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Blind Dragon

Das Auge des Orion
von

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Kapitel 9

Gerade als es langsam dunkel wurde, kam ich zurück zur Villa. Rick, der heimliche Hüter unseres Haussegens ging irgendeinem Job nach, wie ich vermutete, denn er war nicht zuhause. Ich machte mir Sorgen um ihn, ermahnte mich aber zur Ruhe. Schließlich war ich nicht sein Vater und der Junge war in vielen Dingen erwachsener als ich. Er würde zurechtkommen. Selbiges konnte man nicht von Nick behaupten, denn als ich reinkam, sah ich ihn mit einer kaputten Tasse kämpfen. Genauer gesagt klebte er daran fest. Verärgert schüttelte er das Gefäß und versuchte, sich davon zu befreien. Auf einem kleinen Schrank lag meine Nikon, die ich mir auf der Stelle schnappte.

„Bist du nicht noch zu jung für so feste Bindungen?“, fragte ich den Unglücksraben. Verdattert drehte er sich zu mir um. „Bitte lächeeeln!“ bat ich und drückte den Auslöser.

„Du ARSCH!“ schimpfte Nick und wollte die Tasse nach mir werfen. Leider hatte er vergessen, dass sie noch an seiner Hand klebte und so fiel er geradewegs nach vorne. Jetzt wünschte ich mir, ich hätte eine Videokamera gehabt und nicht nur einen Fotoapparat. Mit dieser Aufnahme hätte ich den Preis einer jeden Comedy-Show gewonnen. Er landete Bäuchlings auf dem Fußboden, wo die angeschlagene Tasse endgültig zersprang.

„Sei nicht so unhöflich“, tadelte ich ihn und imitierte seine Zeigefingergeste. „Immerhin habe ich dich gerade von der Tasse befreit.“

Er warf einen Blick auf seine Hand, die ihm das zu seinem Ärger auch noch bestätigte. „Vielen Dank“, höhnte er.

„Für dich doch immer. Wieso mühst du dich eigentlich mit Kleber ab? Du hast doch deine Fähigkeit.“

„Anscheinend hast du bei Ronga nicht viel gelernt.“ Ich unterdrückte den Wunsch, ihm zu zeigen, was ich gelernt hatte, indem ich ihm einfach den Hintern in Brand setzte und sah ihn nur fragend an. „Das geht nur mit magischen Gegenständen.“

„Leider, was?“

Er lächelte versöhnlich. „Ja, leider... Hey sag mal, wie ernst hast du das heute morgen gemeint?“

„Was?“ Ich konnte mich kaum noch an das merkwürdig harmonische Frühstück erinnern. Nur daran, dass es eben so merkwürdig harmonisch gewesen war.

„Dass du mir ne Frau suchst. Du schuldest mir was. Immerhin hast du jetzt den Stein und noch dazu wohnst du hier.“

Ich dachte eine Weile darüber nach, wie gut meine Laune heute war und beschloss, dass ich es ernst gemeint hatte. „Okay, ich stell dir jemanden vor, der uns da vielleicht weiterhelfen könnte. Vielleicht kennt sie jemanden, der sogar eine Nervensäge wie dich haben will.“

„Ner-ven-sä-ge?!“

„Willst du nun, oder willst du nicht?“

„Ich hab Angst. Das letzte Mal, als du so gute Laune hattest, bist du hier gegen meinen Willen eingezogen. Welche Grausamkeit planst du dieses Mal?“

„Idiot, dann eben ni- “

„Schon okay! Lass uns gehen!“
 

Wir fuhren in die Innenstadt. Nick war alles andere als begeistert, als ich ihn die Stufen zu einer heruntergekommenen Kneipe hinabführte. „Hier willst du...?“ fragte er misstrauisch.

„... Meine Exfreundin von der Arbeit abholen.“

„Du hattest ne feste Freundin?“ Er schien seinen Ohren nicht zu trauen.

„Klar hatte ich. Du sagst doch selbst, dass die Arschlöcher immer Frauen abbekommen.“

„Wie einsichtig du doch bist. Ich wundere mich eher wegen deinem Hang zur ;Treue’...“

Er fügte noch irgendetwas hinzu, womit er mich wohl ärgern wollte, doch ich hörte nicht mehr hin. Jazz stand an einem Tisch ganz in der Nähe und kassierte. Wie es aussah hatten die Herren schon so einiges getrunken, denn sie waren laut und es dauerte, bis sie das Geld hervorgekramt hatten. Nun, in diesem Schuppen war das nicht ungewöhnlich. Die Kundschaft bestand überwiegend aus Leuten, die schon mittags mit dem Trinken anfingen. Der Laden musste brummen, hatte ich schon mehr als einmal gedacht. „Hast du sie hier kennen gelernt?“ wollte Nick wissen.

„Nein, im Theater.“

Er lachte lauthals. „Der war gut! DU! Im THEATER!“ Dabei ließ ich es bewenden, obwohl ich tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte. Mir war egal, was er dachte. Nick nahm mein Schweigen zum Anlass, Jazz einer genaueren Musterung zu unterziehen. Was er sah, konnte ich mir denken. Mit seiner Angebeteten aus dem Lethal Nightmarez hatte sie so gar nichts gemein. Ihre Figur war schlank und knabenhaft, im Gesicht hatte sie kein Gramm Schminke, dafür aber einige kleine Pickel am Kinn und ihr Kleidungsstil war extrem nachlässig. Ich bezweifelte, dass er ihr ihren grünen Daumen, ihre Offenheit oder ihre Spontanität ansehen konnte, geschweige denn auf welch wunderbare Weise sie aus dem Rahmen fiel. Was uns allerdings beiden nicht entging als wir uns einen Platz in ihrer Nähe suchten, war der Trunkenbold, der seine Finger nach ihrem Hinterteil ausstreckte. Freundlich, aber nachdrücklich forderte sie ihn auf, seine Hände bei sich zu behalten.

„Heeh, Mann, nu stell dich nich so an“, lallte er sie an und startete einen neuen Versuch, sie am Gesäß zu erwischen.

„Willst du ihr gar nicht helfen?“ flüsterte Nick.

„Hmm“, machte ich gespielt nachdenklich. „Nein, ich glaube nicht.“

Er warf mir einen Blick zu, der mir deutlich sagte, was er davon hielt. Jazz’ Stimme klang melodisch und zärtlich als sie sich erkundigte: „Hast du eigentlich Familienpläne?“

Der Mann betrachtete sie etwas verwundert. „Klar“, antwortete er. Das war ihr Stichwort. Sie hob ein Bein auf die Bank, die er breitbeinig für sich beanspruchte und platzierte ihren Fuß in der Mitte seiner Beine, wo sie ihn ein paar Mal auf dem dünnen Absatz hin und her drehte. Das Brüllen des Säufers war ohrenbetäubend.

„Ich denke, für die nächsten paar Jahre kannst du deine Familienpläne vergessen“, erklärte sie ihm liebevoll, nahm ihr Geld und ging. Nick schluckte. „Vielleicht hätte ich fragen sollen, ob du dem Mann helfen willst... Wie ging das bei euch zu, wenn ihr gestritten habt?“

„Wie in jeder anderen Beziehung auch. Jedenfalls musste ich meine Familienpläne noch nie überdenken.“

Er seufzte sichtlich erleichtert. Im selben Moment entdeckte sie uns. „Hey, Kori!“ rief sie mir zu und kam an den Tisch. Wir umarmten uns flüchtig, wobei sie hörbar die Luft durch die Nase einsog. „Wow, du riechst richtig nach Meer und das in der Großstadt. Den Geruch will ich im Glas.“

„Ich bin da eher für einen Tagesausflug.“ Sie strahlte. „Darf ich vorstellen? Das ist Nick.“

„Yasemin“, antwortete sie und verbeugte sich höflich, was in krassem Gegensatz zu ihrer Aktion von vorhin stand und ihn zu meiner Freude gewaltig irritierte. „Die meisten sagen Jazz, weil sie den Namen nicht vernünftig aussprechen können.“ Ihr langer, blassgrüner Pferdeschwanz machte einen Satz über ihren Kopf und meine Augen klebten an jedem Haar. Ich hasste es, wenn ich so sentimental wurde und genoss es gleichzeitig.

„Hi Jazz“, sagte Nick einsilbig.

„Was trinkt ihr?“

„Nichts“, beeilte ich mich zu sagen. „Wann hast du Feuerabend?“

„Feuerabend?“

Hoppla. Was Siegmund Freud dazu wohl gesagt hätte...

„Feierabend“, berichtigte ich mich. „Wir suchen ne bessere Hälfte für ihn. Dachte du drehst heute Abend vielleicht noch ne Runde.“

Ein Blick auf die Uhr und sie ging zur Theke, um sich beim Chef abzumelden. Nick und ich verließen die Bar, um Jazz am Hinterausgang wiederzutreffen.

„Du gehst in den Beiwagen“, befahl ich meinem Freund mit dem Monitor, der daraufhin das Gesicht verzog. Er war riesig und der Mangel an Beinfreiheit passte ihm gar nicht.

„Du hast n Beiwagen?“, freute sich Jazz. „Wollte schon immer mal in so nem Ding fahren.“

„Glück gehabt.“ Ich tat als würde ich nicht sehen, wie sie Nick heimlich zuzwinkerte. Sie liebte es, hinten auf dem Motorrad mitzufahren, doch sie war furchtbar hilfsbereit. Er wurde verlegen und sah mich entschuldigend an. „Schon gut“, lachte ich. „Sie flirtet mit allem, was sich bewegt.“

„Das tut er auch... Und nicht nur das“, neckte sie mich und zeigte mir den Mittelfinger.

„Meine liebevolle Ex“, sagte ich, startete den Motor und hielt dann plötzlich inne. „Hey, Jazz, wie weit ist es?“

Sie zog eine Augenbraue hoch. Das hatte sie von mir. Eine der vielen Gesten, die Partner voneinander übernehmen. „Irgendwas nicht in Ordnung?“ erkundigte sie sich.

„Nur so’n Gefühl.“ Eines, das mir den Magen zusammendrückte und mir den Schweiß in den Achselhöhlen ausbrechen ließ. Als wäre das Antwort genug, machte sie sich auf den Weg zur U-Bahnstation. „Könnt ihr zwei bitte mit Worten kommunizieren?“ beschwerte sich Nick. „Ich komme mir langsam vor wie das fünfte Rad am Wagen.“ Sie legte ihm beschwichtigend einen Arm um die Schulter. „Besser?“ Endlich bekam sein kreideweißes Gesicht zwei gesund aussehende rote Wangen.

Die U-Bahn brachte uns fast direkt zu einer kleinen, ansprechend aussehenden Bar. Nick erschrak als er das Schild sah. „Ka-karaoke? Das ist nicht euer Ernst, oder? Das wollt ihr euch nicht antun! Niemand würde mir freiwillig beim Singen zuhören! Koriii!“ Hilfesuchend sah er mich über die Schulter hinweg an, während Jazz ihn in den Laden schleifte. Meine Wangen taten weh. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich den ganzen Weg hierher lächelnd zurückgelegt hatte. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag: Seit Monaten war ich nicht mehr so glücklich gewesen. Es fühlte sich beinahe fremd an.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von: abgemeldet
2008-06-11T12:02:09+00:00 11.06.2008 14:02
haha ich find die ganze geschichte bisher total geil....und in diesem kapitel wird das "arschloch" endlich mal sentimental.... ouh man wie ich dieses lächeln nach langerzeit nur zu gut kenne.... muskelkater den ganzen nächsten tag im gesicht... so ich lese weiter
Von:  Anoriel
2008-02-21T15:49:23+00:00 21.02.2008 16:49
Wie süss... ich kann mir richtig vorstellen wie seine Wangenmuskeln weh tun weil sie lange nicht mehr gelächelt haben..
hmm..ich frag mich warum die sich getrennt haben, sie wirken noch immer sehr vertraut miteinander..

*grins* ich freu mich shcon auf die Ausführung wie Nick singen soll *lach*


Von:  Nochnoi
2007-09-03T10:47:36+00:00 03.09.2007 12:47
Jetzt landen sie doch tatsächlich in ner Karaoke-Bar! XDD Ich kann verstehen, dass Kori so gute Laune hat, an seiner Stelle würde ich mir auch gerne ansehen, wie Nick sich zum Affen macht XDD

Und mir gefällt diese Jazz wirklich gut ^_____^ Ein Mädel, das weiß, was es will, und auch nicht unbedingt vor roher Gewalt zurückschreckt XDD Ich mag ihre Methode, lästige Männer abzuwimmeln!
Und Kori hat sie tatsächlich im Theater kennen gelernt? O.o Erstaunlich! Ich frag mich ehrlich gesagt, wie er sich dahin verlaufen hat ;p Entweder er ist wirklich nur durch Zufall dort gelandet oder er hat tatsächlich eine kulturelle Ader, von der wir noch nichts mitbekommen haben XDD

Also es war wirklich ein sehr amüsantes Kapitel ^_____^


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