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Blind Dragon

Das Auge des Orion
von

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Kapitel 8

Mein Vorsatz verflüchtigte sich auch nicht nach einer weiteren Nacht lebhafter Träume. Noch in Schlafshorts und vor dem Zähneputzen schlurfte ich runter in die Küche und traute meinen Augen nicht. Im Gegensatz zu mir hatte Rick den letzten Tag nicht mit Selbstmitleid vertrödelt. Stattdessen hatte er Nick beschwichtigt und mit ihm zusammen die gesamte Villa auf Hochglanz poliert. Ich kam mir vor wie ein schlammtriefender Straßenköter in einem Designerbad. Nick warf mir etwas zu. Reflexartig fing ich es und hatte das Auge des Orion in meinen Händen. „Dein Freund und ich haben herausgefunden, dass du wohl deshalb so viel Ärger hast. Bring’s besser zu deinem Auftraggeber, du Meisterdieb. Sonst steckst du mein Haus auch noch in Brand.“ War hier beim Aufräumen zufällig ein schwarzes Loch gefunden worden? Ich wünschte mir eines, um darin zu versinken.

„Wir finden noch ne Frau für dich“, röchelte ich, weil mir die unausgeruhte Stimme versagte. „Und Rick – äh...“

„Schon gut. Mir auch“, strahlte Rick und zog dann eine Grimmasse. „Aber die Abmachung bleibt hinfällig, damit das klar ist.“

„Du hast das „Idiot“ vergessen“, sagte Nick. „Und dass er heute abwaschen muss.“

Ich lachte erleichtert. „Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen!“

„Ronga sitzt übrigens vor der Tür“, erklärte mein Schützling. „Du hast heute Unterricht. Also beeil dich besser mit dem Abwasch. Er hat zwar ne Engelsgeduld, aber irgendwann kriegt auch er schlechte Laune. Den Beiwagen für dein Motorrad hab ich gestern schon bestellt. Ihr werdet ne Weile fahren müssen. Nimm Badesachen mit.“

„Ihr werdet mir unheimlich“, sagte ich.

Ronga... Ich war immer noch unschlüssig. Was würde geschehen, wenn ich ihm den Stein nicht gab? Mit was hatte ich zu rechnen, wenn ich einen Magier erzürnte, der mächtig genug war, um einen Jungen zu heilen, der dem Tod so nahe wa?. Waren seine zerstörerischen Kräfte genauso ausgeprägt wie seine heilenden? Inständig hoffte ich, dass er nicht nach dem Diebesgut fragen würde.

Gezwungenermaßen brachte ich meine morgendlichen Verrichtungen hinter mich – ja, auch den Abwasch. Ronga saß bereits in dem Beiwagen als ich endlich aus dem Haus kam. Zu sagen, dass er grinste wäre unlogisch gewesen, denn ein Wolf konnte nicht die dazu erforderlichen Muskeln im Gesicht haben, aber irgendwie kam es mir so vor als grinse er wirklich.

Wir fuhren bis Mittag die Küste entlang. Dann erreichten wir schließlich einen leeren Sandstrand weitab jeglicher Zivilisation. Mein Beifahrer sprang aus dem Sitz und streckte sich genüsslich. Die ganze Fahrt über hatte ich nichts außer den Richtungsangaben in mein inneres Ohr gesagt bekommen. Nun hörte ich Ronga wieder ganze Sätze sprechen, auch wenn ich keinen davon verstand. Er richtete sich auf die Hinterbeine auf und seine Konturen begannen vor meinen Augen zu verschwimmen. Ein Gebilde aus grellweißem Licht wich nach und nach den Umrissen eines Menschen. „Verdammt“, fluchte dieser als er merkte, dass er noch seinen Schlafanzug trug. „Nicht gerade sehr autoritär“, gackerte ich.

„Warum auch?“, scherzte er. „Ich weiß mich auch so zu behaupten.“

„Sagtest du nicht, du gehst am Tage immer auf vier Beinen?“

„Hin und wieder nehme ich mir die kraftraubende Freiheit, mich meiner Natur zu widersetzen. Sehr vorteilhaft für Mietvertragsverhandlungen und dergleichen.“

„Wo du recht hast... Also, was soll der ganze Aufwand?“

„Ich werde dir helfen zu verhindern, was vorgestern passiert ist.“

Er lächelte als er das sagte, aber mir wurde sehr ernst zumute. „Du weißt also, was das alles zu bedeuten hat? Du weißt wirklich über den ganzen Kram bescheid?“ fragte ich zögerlich.

„Über vieles. Ich hatte viel Zeit zum Lernen. Du bist ein Halbdrache. Das Gen dafür haben viele Menschen, aber es bedarf gewisser Einflüsse, damit es aktiviert wird. Außerdem hast du im Gegensatz zu mir übrigens eine große Begabung für Schwarzmagie.“

Deswegen also seine Bemerkung wegen der Lüge. Er hatte mich Schwarzmagier genannt, weil er gedachte, mich dazu zu machen. Noch mehr Fähigkeiten, die mir außer Kontrolle geraten konnten. „Woher willst du wissen, dass ich aus dem Talent auch was machen will?“

„Oh, ich weiß, dass du das nicht willst, aber wenn du es nicht tust, wirst du garantiert noch öfter umziehen müssen.“ Ich erwartete ein frostiges Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen, aber seine Miene blieb völlig Ausdruckslos, was irgendwie noch viel schlimmer war. „Fangen wir an?“ wollte er wissen.

Widerwillig nickte ich. Im Radius von circa Hundert Metern begann die Erde um uns herum plötzlich zu leuchten. „Innerhalb dieses Kreises sieht niemand was wir tun.“ Eine lange Pause folgte. „Nun denn“, sagte Ronga leise und sog Luft ein als müsse er sich überwinden. „In deiner eigentlichen Gestalt wird es dir leichter fallen.“ Er kam auf mich zu und stellte sich hinter mich. Instinktiv bereitete ich mich darauf vor, ihm eins überzubraten als ich seine Hände auf meinem Rücken fühlte. Er drückte zwei Punkte knapp neben meinen Schulterblättern, murmelte einen halblauten Fluch und drückte zwei andere Punkte in der Nähe der ersten. „Als nächstes lerne ich Akupunktur“, grummelte er. Als er ein drittes Mal die Fingerspitzen verlagerte schien er zu meiner großen Erleichterung gefunden zu haben, was er suchte. Dann ließ der Werwolf mich los und trat eilig vor mich. „Release“, sagte er tonlos und ich spürte wie sich Energie in meinem Rücken sammelte und sich wenig später in Form der beiden Drachenschwingen entlud. Es war das erste Mal, dass ich diese Veränderung wirklich bewusst wahrnahm. So ungefähr musste sich ein Drogenrausch anfühlen. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich völlig entrückt, hatte das Gefühl zu schweben und eins mit der Welt um mich herum zu sein.

Mein neuer Lehrer tat jedoch sein Möglichstes, diesen Zustand wieder zu zerstreuen. Er war verdammt streng. Immer wieder wies er mich an, die Flügel verschwinden und wieder auftauchen zu lassen. Immer wieder schrie ich ihn an, es ginge nicht. Was ich auch täte, ich bekäme es nicht hin. Dann irgendwann tat ich es einfach und von da an war es niemals wieder nötig, dass jemand an mir herumdrückte, um die Schwingen erscheinen zu lassen. Derselbe Vorgang des Widersprechens und Tuns wiederholte sich, als er mir einige Feuermagien beibrachte und mich lehrte, das natürliche Feuer zu speien, das ich in der Kehle produzierte. Ich konnte zetern soviel ich wollte. Was immer er mir auftrug und wie fremd es mir auch schien, es lag mir und klappte nach wenigen Versuchen. Entsetzt und fasziniert zugleich sah ich mich fliegen und mit Feuerbällen nach ihm werfen, die er spielend in alle Winde explodieren ließ. Ich schaute mir zu wie ich Bannkreise und Schutzschilde bildete und damit seine Angriffe parierte. Allerdings wusste ich mit jeder seiner Magien, die ich zurückwarf, dass er nicht mal auf halber Flamme kochte. „Was ist?“ reizte ich ihn angestrengt. „Traust du dich nicht?“

Er lachte. „Ganz der übermütige Anfänger, für den ich dich gehalten habe. Wenn ich mehr tun würde, als dich mit dem kleinen Finger anzugreifen, könnte ich den Rest des Tages damit verbringen, dich zu heilen und von Flüchen zu erlösen. Ich habe zwar kein Talent, aber dafür mehr als zweitausend Jahre Vorsprung.“

„Klar“, entgegnete ich. „Ich hab schon Pferde kotzen sehen.“

„Es gibt durchaus welche, die das können“, konterte Ronga. „Sie haben nur keine Köpfe.“

Ich schluckte. Ein leichtes, aber stetiges Ziehen durchzuckte meine Schläfen. „Erwischt“, flüsterte ich und merkte, wie ich sauer wurde. Er tat es schon wieder. „Hör auf, meine Gedanken zu lesen!“ befahl ich. „Raus!“ Meine Lungen füllten sich bis zum Bersten mit Luft. Ich spuckte ihm eine gigantische Feuerwolke entgegen. Er erledigte sie spielend, indem er sie ins Meer weiterleitete und eine Magie hinterherschickte.

„Den Angriff hätte sogar ich noch stoppen können“, rief ich. Das Ziehen war immer noch da, doch es schien sich leicht verlagert zu haben.

„Kontrollierte Wut“, sagte Ronga trocken. Plötzlich weitete sich das Ziehen zu einer Welle heftigen Kopfschmerzes aus. „Und unkontrollierte“, hörte ich eine Frauenstimme sagen. Der Hellseher war verschwunden. Stattdessen sah ich eine strahlend schöne, goldgelockte Frau vor mir stehen. Die klassische Vorstellung eines Engels, hatte ich sarkastisch gedacht, schon als ich sie zum ersten Mal gesehen hatte. „Ein kopfloses Pferd, ein entstellter Alter und ein Kind in Flammen. Nah genug an der Hölle?“ fragte sie mich liebevoll.

Wieder breitete sich Nebel in meinem Verstand aus. Dieses Mal sah ich alles wie in Zeitlupe. Das Inferno, glühend heiß und dreimal so groß wie ich selbst, die eiskalte Frau, wie sie ihre Hände ausstreckte und die Flammen damit absorbierte, den verbissenen Gesichtsausdruck als sie sah, dass es nicht funktionierte. Ich hörte mich irre lachen und dann entsetzt schreien, als mir einfiel, dass es sich bei der Frau um ein Trugbild von Ronga handelte. Die Konturen der Frau verschwammen und ich sah meinen Lehrmeister wieder. Er riss die Hände hoch und der Hitzesog verstärkte sich. In Windeseile nahmen seine Handflächen das Feuer auf. Die Luft war glühend heiß, aber nirgends mehr war etwas von dem Feuer zu sehen. „Hast du jemals geraucht?“, fragte Ronga. Seine Hände hatten die Farbe von rotglühendem Metall angenommen.

„Kurzzeitig“, antwortete ich verwirrt und merkte, wie meine Gedanken langsam wieder einem geordneten Muster folgten.

„Dann hoffe ich für dich, dass du Rauchringe machen kannst. Für das hier brauchst du nämlich einen sehr großen. Wenn du ihn machst, denk an den Stein, den du gestohlen hast. Wäre vorteilhaft für uns beide, wenn du dich sehr gut an seine Farbe erinnerst.“

Instinktiv formte ich im Mund den Rauchring. Was sollte die dumme Frage? Der Stein war grün. Smaragd- oder Flaschengrün. Mit diesem Gedanken hauchte ich, als wollte ich Rauch auspusten. Statt Rauch kam Feuer und es leuchtete grün wie die Wasserflasche in meinem Traum. Der zunächst winzig kleine Ring wuchs sich zu einem Feuerreif aus als ich sah, warum Ronga das Feuer mit den Händen aufgesogen hatte. Mein eigenes Feuer kam zurück. Der Feuerball sauste geradewegs auf mich und meinen lächerlich wirkenden Feuerring zu. Ich riss die Arme auseinander und der Ring wuchs weiter, wuchs und wuchs bis er endlich größer war als der Feuerball. Dann trafen beide aufeinander. Genau zur Hälfte glitt der Feuerball in den Ring hinein. Letzterer begann, sich um die roten Flammen zu drehen. Meine ausgestreckten Arme wurden von einem Schlag getroffen, während mein Kopf sich anfühlte, als würde er gleich zerspringen. Schwarze Flecken sammelten sich in meinem Sichtfeld und breiteten sich rasch aus.

„... Die Hände zusammen!“ hörte ich Ronga wie durch einen endlos langen Tunnel rufen. Ich versuchte, die Hände auf Bauchnabelhöhe zusammenzubringen und bemerkte einen mächtigen Gegendruck. Zentimeter um Zentimeter brachte ich meine Handflächen näher zueinander. Je weiter ich kam, desto kleiner wurde der Ring und mit ihm der Feuerball. Von dem Teilerfolg angespornt, aber auch unter Aufgebot all meiner verbliebenen Kräfte, schaffte ich es, meine Hände ganz zusammenzubringen. Das Feuer verschwand. Zu Tode erschöpft ließ ich mich in den Sand fallen.

Ronga robbte neben mich, ein frohes Lächeln im Gesicht. „Freut mich, dass du dich wenigstens ein bisschen anstrengen musstest“, krächzte ich kraftlos und schaute in den wolkenlosen Himmel hinauf. Daraufhin lachte er. „Geschafft hast du mich. Ich bin völlig hinüber. Du musst die Arme wirklich hassen.“

Mir fiel wieder ein, wie er mich dazu gebracht hatte, diesen Feuerball zu speien. „Wenn dir dein Leben lieb ist, mach das nie wieder“, knirschte ich.

„Versprochen bei meinem Augenlicht und meiner rechten Hand“, antwortete er. Der unglaublich mitfühlende Ton in seiner Stimme brachte mich durcheinander. Noch immer war mir Rongas Denkweise völlig fremd. Ich blickte neben mich, wollte in seinem Gesicht lesen, doch er war bereits wieder ein Wolf. „Amüsier dich“, legte er mir nahe. „Bevor du nicht halbwegs wieder bei Kräften bist, setze ich keine Pranke in deinen Beiwagen.“

„Ich versteh dich wirklich nicht“, murmelte ich und ging schwimmen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  SilentStrider
2007-09-15T15:02:04+00:00 15.09.2007 17:02
Yeah, so langsam fängt Kori richtig an zu rocken!
*auch Feuerbälle schleudern können will*
*schnüff*
Vielleicht kommts ja bals mal zu nem Duell oder so. Das wäre cool...
Von:  Nochnoi
2007-09-03T10:38:03+00:00 03.09.2007 12:38
Ronga im Schlafanzug XDDD
Sorry, das musste jetzt einfach sein ;p Ja, ja, diese großen und mächtigen Männer sind immer sosehr mit der Magie, dem Kosmos und allem möglichen beschäftigt, dass sie sogar vergessen, sich umzuziehen XDD

Aber Koris kleine Trainigsstunde war wirklich sehr eindrucksvoll beschrieben, man hat sich tatsächlich in die Szene hineinversetzt gefühlt ^.^ Echt klasse!


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