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Raziels erste Liebe

oder: kann ein Vampir überhaupt lieben?
von

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Das gefangene Mädchen

Raziel schlägt schläfrig die Augen auf. Alles um ihn ist dunkel. Er hört das Topfen von Wasser und schaut sich unsicher um. Raziels Kopf dröhnt noch von dem Schlag seines Feindes. Raziel stöhnt vor Schmerz auf und versucht, sich den Kopf zu halten, doch er kann seine Klauen nicht bewegen. Jetzt erst merkt er, dass er an eine Wand gekettet ist. Er versucht verzweifelt sich zu befreien, vergebens; er ist zu schwach. "Gib dir keine Mühe, Vampir. Dies wird nun dein Zuhause sein, bis du hingerichtet wirst." sagt eine junge, mädchenhafte Stimme und Raziel sieht sich panisch um. In einer der dunkelsten Ecken erkennt er ein kleines und sehr dürres Mädchen. "Wer bist du? Was machst du hier? Was fällt dir überhaupt ein, dich im Schatten zu verstecken und mich so zu erschrecken?! Und was meinst du damit, das dies mein Zuhause sein wird, bis ich hingerichtet werde? Wo bin ich hier überhaupt? Dieser... dieser... Keller entspricht nicht meiner Würde!" empört sich Raziel. Das Mädchen kichert und anwortet ruhig: "Deine Würde ist unwichtig. Überhaupt spielt es hier keine Rolle, wer man ist und woher man kommt. Nun, wie dem auch sei... ich bin Marie. Ich bin wie du eine Gefangene im Kerker der Serafan. Auch ich soll hingerichtet werden, nur weil ich aus Hunger gestohlen habe. Ich bin eine Waise. Meine Eltern wurden von Vampiren getötet, also von Vertretern jener Rasse, der du angehörst..." Bei ihren letzten Worten fällt Raziel auf, das diese nicht von Verachtung untermalt werden. Es war lediglich eine Tatsache. "Die Serafan haben mich bezwungen und in ihren stinkenden, feuchten Kerker gezwängt? Mich? Den großen Raziel, den Erstgeborenen des mächtigen Vampirs Kain und seinen persönlichen Stellvertreter? Unmöglich!" wendet Raziel ab. Marie kichert. "Ja, sie haben dich bezwungen. Ich habe sehr viel von euch Kainiten gehört. Ihr sollt sehr stark sein. Aber wenn du es nicht einmal schaffst, die Serafan zu besiegen..." - "Was fällt dir ein?! Ich bin kein Schwächling! Ich war nicht auf sie vorbereitet! Ich war nicht gestärkt!" verteidigt sich Raziel wütend. Marie kichert noch mehr. Raziel kocht vor Wut. Doch plötzlich wird der Streit durch ein seltsames Geräusch gestört, das wie ein Knurren klingt. Raziel ist hungrig. Er schaut verlegen an sich runter. Marie kann sich ein dezentes Lachen nicht verkneifen. "...Wie lange bin ich schon hier? Ich habe Durst... brennenden Durst." sagt Raziel ruhig, mit verträumt wirkenden, halb geschlossenen Augen und einem leisen, hungrigen Fauchen. "Etwa eine Woche. Die Vampire draussen scheinen dich zu suchen und befreien zu wollen... es wäre schön, wenn sie auch mich befreien..." antwortet Marie traurig. 'Eine Woche! Kein Wunder, dass ich so schwach bin. Mein Durst bringt mich noch um! Irgendwie muss ich diese Ketten doch sprengen können...' denkt Raziel und versucht wieder, seine Fesseln zu lockern und sich zu befreien. Marie kommt langsam auf ihn zu. "Du hast Hunger, nicht wahr? Dann trink von mir. Es wird dich stärken." Marie entblößt ihren Hals und bietet ihn Raziel dar. Dieser weicht zurück. Doch dann denkt er 'Was ist denn nur mit mir los? Sie ist nur ein Mensch, nichts weiter als Nahrung für meinen Körper. Und ausserdem: Sie will es doch. Ich sollte sie töten. Aber irgendwie dreht sich mir bei dem Gedanken der Magen um - Wenn ich denn einen habe.' "Du bist mutig, kleine Sterbliche, das muss ich dir lassen. Aber ich könnte dich töten. Warum auch nicht? Es gäbe viele Gründe: Du bist ein Mensch, nichts als Nahrung für mich. Und außerdem bist du frech und hast mich vorhin erschreckt, vergiss das nicht. Wenn ich eins nicht leiden kann, dann sind es Sterbliche, die mir unsympathisch sind. So wie die Serafan. Ich würde sie sofort töten. Und ich habe große Lust, mit dir das Gleiche zu tun." sagt Raziel herausfordernd, als ob er sie verschrecken will. Doch Marie kommt näher. "Es macht nichts, wenn du mich töten willst. Ich werde doch sowieso hingerichtet." sagt sie. Sie legt sich sanft in seine Klauen. Raziel beugt sich mit einem grimmigen und dennoch erfreuten Blick über sie, öffnet den Mund - und schlägt Marie mit einem hungrigen und angsteinflößenden Fauchen seine Fänge in den Hals. Marie zuckt auf, doch sie versucht sich zu beruhigen und sich voll und ganz darauf zu konzentrieren, ruhig und mutig zu bleiben. Raziel trinkt hungrig, ein genüsslicher Seufzer entrinnt ihm, während sein quälender Durst gestillt wird. Nach einer Weile löst er seinen Griff und zieht behutsam seine Zähne aus Maries Hals. Sie ist sehr geschwächt, doch Raziel bereut es nicht im Geringsten, dass er ihr das Leben gelassen hat. Er hält sie sicher in den Armen, und während sie schläft, fällt auch Raziel langsam wieder in einen tiefen Schlummer. Die romatische Stimmung wird jedoch abrupt unterbrochen, als Raziel über sich die Stimmen der Serafan hört. "Wir sollten nicht mehr länger warten. Wenn wir seine Hinrichtung nicht bald durchführen, werden die Vampire da draussen ihn befreien." - "Stimmt. Wir werden in morgen Mittag, wenn die Sonne hoch am Horizont steht und es zu warm für die Vampire ist, hinrichten. So können seine Artgenossen ihm nicht helfen." - "Und was ist mit der diebischen Göre?" - "Die wird mit ihm zusammen hingerichtet, noch vor ihm. Dann wird ihn sein quälender, verfluchter Blutdurst noch mehr peinigen!" Raziel ist völlig geschockt und sprachlos. Zuerst weiß er nicht, ob er Marie davon in Kenntnis setzen soll oder nicht. Doch dann schüttelt er den Kopf und weckt Marie unsanft auf. "Was... Raziel? ...Was ist los? Du bist ja so aufgeregt." - "Aus gutem Grund. Ich habe - Dank meines vampirischen Gehörs - ein Gespräch der Serafan mitbekommen. Wir beide sollen morgen Mittag hingerichtet werden. Du vor mir, damit mich der Geruch deines Blutes ein letztes Mal in den Wahnsinn treibt!" - "Nein! Oh bitte nicht. Raziel, was sollen wir tun?" Marie weint vor Verzweiflung. "Es gibt nur eine Lösung, aber sie ist für mich sehr riskant." - "Welche?" - "Ich setze meine Artgenossen per Telepatie darüber in Kenntnis, aber es würde mich sehr schwächen; ich habe zu wenig Blut getrunken, und wenn ich noch mehr von dir nehme, dann..." Raziel stockt und ihm entfährt ein kurzes Lachen. "Schon merkwürdig... ich habe immer gedacht, das ich mich nie mit einem Menschen anfreunden würde... und jetzt will ich noch nicht einmal, das dieser Mensch stirbt. Du scheinst mir ans Herz gewachsen zu sein, junge Sterbliche. Muss wohl daran liegen, dass du mir dein Blut als Nahrung gegeben hast. Das Ganze noch freiwillig, wohlgemerkt. Obwohl du wusstest, dass ich dich hätte töten können... puh... ich muss es versuchen. Es ist die einzige Chance, wie wir hier beide unbeschadet aus diesem Kerker kommen." sagt Raziel und mit großer Konzentration sendet er ein schwaches Signal aus. Er scheint mit jemanden in Kontakt getreten zu sein und versucht mühsam, die Verbindung in Stand zu halten. Doch schon bald fällt er erschöpft zu Boden. "Raziel, Raziel ! Oh, bitte Raziel, du darfst nicht sterben, bitte! Bleib bei mir! Bitte... verlass mich nicht..." Marie schluchzt herzerweichend. Plötzlich hört sie eine Stimme, ein leises, mühsames Wispern: "Du vergisst, ich bin bereits tot, Marie. Selbst wenn ich lebendig wirke, in Wahrheit bin ich schon jahrelang tot." Es ist Raziel. Er redet mit ihr. Marie atmet erleichtert auf. Eine kleine Träne tropft auf Raziel. Er faucht vor Schmerz auf. "Oh, tut mir leid, Raziel." Raziel öffnet seine Lippen, doch Marie unterbricht ihn. "Rede nicht weiter, das belastet dich nur zusätzlich. Schlaf ein und hoffe darauf, dass uns deine Artgenossen befreien." flüstert sie, und Raziel fällt wieder in tiefen Schlaf. 'Warte mal kurz... Er hat mich eben mit meinem Namen angesprochen. Nicht mit Sterbliche oder Mensch." denkt Marie verwundert. Doch dann legt sie sich müde zu ihm, kuschelt sich an ihn und schließt die Augen. Bald darauf schläft auch sie ein.



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