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Bloody Moon

Blutiger Mond (Ach nee! xD)
von

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Chapter One

„Beeil dich, Adrian, wir schließen gleich.“

Die Bibliothekarin blickte ungeduldig auf den leicht zerzausten Blondschopf, der soeben hinter einem Stapel abgegriffen wirkender Bücher aufgetaucht war. Der Angesprochene seufzte verhalten und zwang sich zu einem gewinnenden Lächeln. „Ach, Catrina... Nur noch eine Viertelstunde, dann bin ich fertig. Ich brauche die Informationen wirklich dringend!“

Catrina schüttelte sachte den Kopf, ihre braunen Locken fielen dabei spielerisch über die Schultern ihrer adretten Bluse. „Ich kann nicht ständig wegen einem Einzelnen eine Ausnahme machen. Versteh das doch! Aber meinetwegen kannst du dir zwei der Bücher ausleihen, wenn du mir versprichst, dass sie morgen unbeschadet wieder in ihren Regalen stehen. Du weißt ja: Wiedersehn macht-“

Adrian unterbrach sie mit einer abwehrenden Handbewegung.

„-Freude. Ja, ich weiß... Und ich werde gut darauf aufpassen, danke.“, meinte er mit einem amüsierten Glitzern in den meerblauen Augen, während er flink die schweren Bände in seiner Tasche verstaute. Catrina beobachtete ihn leicht verstimmt und als er in seinen hellen Mantel schlüpfte, rümpfte sie missbilligend die Nase.

„Gern geschehn. Obwohl ich nicht verstehe, wieso ein hübscher Kerl wie du seine Zeit mit Geschichten über Vampire, Elfen und andere Märchengestalten verschwendet. Ich meine, du bist 23! Solltest du nicht langsam aus dem Alter raus sein?“ Der Blonde bedachte sie mit einem nachsichtigen Lächeln, seine Augen wirkten jedoch mit einem Mal distanziert.

„Nein. Ich denke nicht, dass so etwas sonderlich viel mit dem biologischen Alter eines Menschen zu tun hat. Es bleibt jedem selbst überlassen, mit was für Dingen er seine Zeit 'verschwendet'.“, entgegnete er ihr immernoch undurchsichtig lächelnd und neigte höflich den Kopf in ihre Richtung.

„Ich muss jetzt los. Bis Morgen, Catrina.“ Mit diesen Worten wandte Adrian sich um, trat durch die Tür des weitläufigen Saals und verschwand durch das hohe Eingangstor nach draußen.

„Adrian, warte! Adrian...! Es tut mir leid, ich wollte dich nicht verärgern, aber... Adrian, nun warte doch!“ Catrina machte Anstalten den jungen Mann zurückzuhalten, doch schließlich ließ sie resigniert die Hände sinken. Es war sinnlos ihm in diesem Zustand etwas nahezulegen, geschweige denn mit ihm über etwas zu diskutieren, in dem ihre Meinungen grundverschiedener nicht sein konnten. Also wandte sich die Bibliothekarin wieder ihren Aufgaben zu und ließ den Blonden ziehen.
 

Als Adrian die menschenleere Straße entlanglief, umspielte ihn eine kühle Brise. Es hatte deutlich aufgefrischt seit er die Bibliothek betreten hatte, um einige neue Dinge über diese 'Märchengestalten', wie Catrina sie nannte, in Erfahrung zu bringen. Auch war es merklich dunkler geworden, was jedoch wohl zum großen Teil an den schwer am Himmel hängenden Regenwolken liegen mochte. Besorgt blickte der junge Mann nach oben. Es sah ganz danach aus, als würde es schon bald ein ordentliches Gewitter geben.

Adrian zog mit der freien Hand den Kragen seines Mantels weiter nach oben und beschleunigte seine Schritte. Normalerweise war ihm der Regen recht egal – das hieß, wenn er irgendwo im Trockenen saß und las.

Doch gerade jetzt, als er noch die Tasche voller alter Bücher bei sich hatte, konnte er es überhaupt nicht gebrauchen nass zu werden. Eilig überquerte Adrian den Marktplatz der kleinen Stadt, schlüpfte in die schmale Lücke zwischen zwei scheinbar leerstehenden Häusern und rannte die Straße entlang, in der die Gasse schließlich mündete, weiter auf das reichere Viertel der Innenstadt zu.

Bereits nach wenigen Augenblicken erreichte er eine kleine Villa, deren Vorgarten sosehr mit wilden Rosen zugewachsen war, dass man das schmiedeeiserne Tor dahinter, welches auf den Hof des Anwesens führte, kaum mehr erkennen konnte.

Normalerweise hielt Adrian immer kurz in seinem Treiben inne um den betörenden Duft zu genießen, wenn er an den blühenden Sträuchern vorüberkam, doch jetzt hatte er für die schönen Gewächse nicht mehr als einen flüchtigen Blick übrig. Stattdessen schlüpfte er hastig durch das Tor, eilte zur Eingangstür der Villa hinüber und öffnete diese mit einem leisen Klacken. Als Adrian das Haus dann betrat, umfing ihn sogleich angenehme Wärme.

Die Tür hinter sich schließend zog der Blonde seine Schuhe und den Mantel aus, den er an einem Haken an der sauberverputzten Wand befestigte. Seine Tasche stellte er im Salon auf einen der dunklen Tische, bevor er selbst sich in den Stuhl daneben fallen ließ.

„Aaah, geschafft...“ Seufzend fuhr Adrian sich durch sein dichtes Haar, seine Finger zitterten kaum merklich aufgrund der Kälte, der sie noch vor Kurzem ausgesetzt gewesen waren. Dann griff er nach einer Zeitung, die auf der Kommode nahe des Tisches lag und begann mit fahrigen Bewegungen darin zu blättern.
 

Nachdem er einige langweilige Artikel über die neusten Erkenntnisse in der Pferdezucht des Landadels überflogen hatte, blieb sein Blick an der Überschrift eines winzigen Absatzes hängen. “Rätselhafter Mord an einem Museumswachmann – keinerlei Verletzungen am Körper des Toten”, stand da in fetten Lettern und darunter war ein schwarzweißes, sehr undeutliches Bild, das das gewölbeartige Museumsgebäude der Stadt zeigte. Adrian kniff die Augen argwöhnisch zusammen und las interessiert, was die Presse zu diesem Fall berichtete.

“Der 22-jährige Bürger Alfred Benson, Sicherheitsbeamter im städtischen Museum für alte Relikte und Schriften, wurde am vergangenen Montag tot aufgefunden. Den Ärzten zufolge müsste er jedoch bereits am Sonntagabend verstorben sein, da sein Leichnam bereits eine gewisse Starre und andere Indizien für einen früheren Tod aufwies. Unklar ist allerdings, ob es sich bei Bensons Fall um einen Mord handelt, denn laut Aussagen des Inspektors starb der junge Mann weder durch Gift, noch durch äußere Gewalteinwirkungen. Zumal alle Türen und Fenster des Gebäudes fest von innen verriegelt vorgefunden wurden . Bleibt also die Frage, woran Benson wirklich starb. Da seine Augen geöffnet waren und auf seinem verkrampften Gesicht ein Ausdruck des Grauens geschrieben stand, gehen die Leute von einem Herzinfarkt aus. Aber war das wirklich die Ursache für seinen frühen Tod? Viele zweifeln daran. Denn Benson war gemeinhin als gesundheitsbewusster und stattlicher junger Mann bekannt...

Ihr Zuständiger für ungelöste Fälle, Anthony Georgery”

Die Türen und Fenster waren von innen verriegelt. Adrian ließ sich diesen Satz noch einmal durch den Kopf gehen und zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. Wie war das möglich? Er war sich ziemlich sicher, dass Alfred, den er sogar noch von der Schule her kannte, nicht an etwas so banalem wie einem 'Herzinfarkt' gestorben war.

Aber er konnte sich keinen Reim darauf machen, wer so weit gehen würde und seinen ehemaligen Klassenkameraden umbringen könnte. Hatte Alfred Schulden gehabt? Vielleicht, er zeigte bereits früh die schlechte Angewohnheit, um Geld zu spielen.

Doch selbst wenn er wirklich von einem Schuldner ermordet worden war: Wie hatte der Täter dies angestellt? Konnte er Türen so verriegeln, dass es aussah, als wären sie von innen verschlossen worden? Hatte er das Museum nach seinem Vergehen vielleicht sogar überhaupt nicht verlassen? Befand er sich möglicherweise noch im Gebäude?

Das ist Blödsinn, schalt Adrian sich kopfschüttelnd und faltete die Zeitung wieder zusammen. Wenn da eine Person im Haus gewesen wäre, dann hätten die Beamten sie sicher bemerkt. Oder konnte der Täter sich vielleicht unsichtbar machen oder in Rauch auflösen? Unwillkürlich musste Adrian an eine Zeile aus dem Buch über Elfen und Feen denken, das er vor einiger Zeit gelesen hatte:

“Feen besitzen die Fähigkeit, sich über einen bestimmten Zeitraum hinweg so gut ihrer Umgebung anzupassen, dass man sie mit dem bloßen Auge nicht mehr wahrnehmen kann. [...] Sie werden also kurzweilig unsichtbar und sind deswegen oftmals nur schwer auszumachen.”

Zwar würde diese Tatsache den Umstand erklären, weshalb weit und breit kein potentieller Täter in Sicht gewesen war, doch erwies sich bei intensiverem Nachdenken eine Fee als eben solcher als ziemlich unsinnig, wie Adrian fand. Warum sollte ein solch kleines und zartes Geschöpf einen verhältnismäßig riesigen Menschen töten – und vor allem: Wie sollte es das angestellt haben? Adrian seufzte verhalten.

“So komme ich nicht weiter.”, murmelte er resigniert und erhob sich umständlich aus dem gepolsterten Stuhl, in dem er saß. Das Läuten der Glocke an der Eingangstür, das plötzlich erscholl, ließ den jungen Mann gleich darauf erschrocken zusammenfahren.

“Ich komme!” Eilig und mit heftig schlagendem Herzen lief er über den teppichbelegten Flur zu dem Ursprung des Geräuschs, stolperte dabei beinahe über seine Schuhe, die er zuvor achtlos in den Weg gestellt hatte, und öffnete schließlich schwungvoller als nötig gewesen wäre die hölzerne Tür.

“Ja?”

Ein gutgekleideter Mann in schwarzem Mantel zog soeben die ebenfalls schwarz behandschuhte Hand von der Glockenschnur zurück und wandte das Gesicht der sich öffnenden Pforte zu.

“Oh, Jordan. Ich... Du hast mich erschreckt!” Adrian warf seinem Gegenüber einen vorwurfsvollen Blick zu, den dieser jedoch gekonnt ignorierte.

“Das tut mir Leid.”, meinte der als Jordan Angesprochene lässig und gab sich dabei noch nicht einmal die Mühe, seiner kühlen Stimme einen ehrlichen Klang zu geben.

“Natürlich, das glaube ich dir aufs Wort.”, entgegnete ihm Adrian säuerlich, zauberte jedoch gleich darauf ein wie gewohnt höfliches Lächeln auf sein Gesicht. Immerhin gehörte er zu den wenigen Leuten, die Jordan Van Morrow, den letzten Spross einer angesehenen Adelsfamilie und Leiter vieler Fabriken im Ausland, per Du anreden durften – da musste er den Bogen ja nicht überspannen. “Was kann ich für Euch tun, Mylord?”

Der Adlige schenkte ihm einen vernichtenden Blick, sein hellgraues Auge funkelte gereizt, als er mit der einen Hand die schwarze Augenbinde zurechtrückte, die sein linkes Auge verbarg.

“Lass den Unsinn. Ich muss mit dir reden, Adrian...”

Er wies ungeduldig in Richtung der Tür. “Kann ich freundlicherweise reinkommen?”, fragte er dann noch ein wenig gereizter und sah den Blonden eindringlich an. Adrian hob die Schultern und trat einen Schritt zurück. Es schien um eine ernste Sache zu gehen, andernfalls würde der junge Lord sich wohl kaum die Mühe machen hierher zu kommen.

“Natürlich. Gib mir gerade deinen Mantel-”

“Ich behalte ihn an. Nun komm endlich!” Jordan rauschte an ihm vorbei und winkte ihn mit einer ebenso herrischen wie mürrischen Geste zu sich. Mit fragendem Gesichtsausdruck ließ Adrian die Pforte hinter sich ins Schloss fallen. “Was gibt es denn so Wichtiges?”, wollte er anschließend neugierig wissen, während er vor dem anderen stehen blieb und ihn mit seinen tiefblauen Augen fixierte. “Nun?”

Jordan senkte finster die Stimme.

“Es geht um diesen Mord. Du weißt schon, der an dem Museumswachmann...” “Oh, du weißt davon?”, entfuhr es seinem Gesprächspartner überrascht, bevor dieser sich zurückhalten konnte. Jordan starrte ihn ungläubig an, sein Blick wirkte nun, als würde er einem kleinen Kind etwas über Quantenphysik erklären müssen.

“Natürlich weiß ich davon, du...!”, zischte er genervt, wobei er sich mit einer erschöpften Bewegung durch sein pechschwarzes Haar fuhr. Er wirkte ziemlich übernächtigt. “Unterbrich mich nicht und hör einfach kurz zu. Es ist nämlich so: An diesem Sonntag ist auch ein überaus wertvolles und altes Relikt gestohlen worden. Es handelt sich dabei um den sogenannten 'Gral' – ein Gegenstand, dem angeblich magische Kräfte innewohnen und den die Bauerntölpel und Arbeiter als heilig verehren.

Wie dem auch sei, jedenfalls will der Inspektor, dass diese Tatsache, das Verschwinden des Grals, unter Verschluss gehalten wird. Höchstwahrscheinlich weil er befürchtet, dass sich aufgrund einer blödsinnigen Legende eine Panik ausbreitet. Es heißt, der Gral wäre eines der sieben Reliquien, die den Dämonen und Höllenfürsten Adrammelech bannen. Wenn man diese, von denen ein jedes für den Sieg über eine der sieben Todsünden steht, also zusammenführt, kann man ein unvorstellbar mächtiges Wesen der schwarzen Magie heraufbeschwören.

Völliger Unsinn, natürlich. Aber einen Streik meiner vor Angst schlotternden Arbeiter kann ich im Augenblick nicht gebrauchen...”, schloss der Adlige schließlich, während er den aufmerksam lauschenden Blonden ansah.

Adrian stieß einen leisen Pfiff aus.

“Das ist ja sehr interessant. Aber wie konnte das geschehen? Ich meine, der Mord, das Verschwinden des Grals und die von innen verriegelten Türen – das alles muss doch irgendwie mit etwas anderem im Zusammenhang stehen. Etwas größerem... Und wie hat der Täter es geschafft?”, meinte er aufgeregt und lief im Flur auf und ab.

Jordan nickte. “Das glaube ich auch. Aber ich weiß nicht, wie der Dieb es geschafft haben könnte – für einen Menschen erscheint diese Tat als beinahe unmöglich.”, stimmte er Adrian nachdenklich zu, wobei er sich müde über sein Auge wischte. Dieser blieb abrupt stehen.

“Genau! Für einen Menschen ist diese Tat unmöglich – also muss es ein anderes Geschöpf gewesen sein.” Adrian blickte gedankenverloren auf ein kleines Loch in einem der kostbaren Wandteppiche. Der Ausdruck auf Jordans Gesicht wirkte eher skeptisch.

“Ach...! Und was soll das deiner Meinung nach für ein Geschöpf gewesen sein? Eine Elfe vielleicht?!” Er lachte humorlos. “Das jedenfalls glauben die Arbeiter meiner Fabrik hier in der Stadt. Einige Kinder sind spurlos verschwunden, man munkelt über geflügelte Wesen und unheimliche Gesänge in der Nacht. Wenn du mich fragst, sind die Kinder der drei Arbeiter Opfer eines Perversen geworden, die geheimnisvollen Wesen waren nichts weiter als Schmetterlinge oder Falter und der Gesang ging wahrscheinlich von einem probenden Knabenchor aus... Alles andere wäre absurd.”, schnaubte Jordan verächtlich und schüttelte den Kopf.

Der Blonde horchte auf. “Sie haben geflügelte Wesen gesehen? Wo?”

Jordan hob die Schultern. “Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich bloß irgendwo in ihrer Fantasie...”, meinte er nachdrücklich, doch Adrian wedelte abwehrend mit der Hand.

“Das glaube ich nicht. Jordan, es klingt vielleicht fantastisch, aber wäre es nicht möglich, dass neben unserer Zivilisation noch eine völlig andere existiert?

Eine, die aus Wesen besteht, die wir nur für ein Märchen halten?”

“Es klingt in der Tat sehr fantastisch.”, unterbrach Jordan ihn forsch und blickte den jungen Mann argwöhnisch an. “Fängst du jetzt schon wieder damit an? Es gibt keine solchen Wesen. Ihr Schriftsteller habt einfach zuviel Fantasie...” Adrian schüttelte heftig den Kopf, seine Augen wirkten ungewohnt ernst. “Nein. Es gibt sie – und ich werde es dir auch beweisen.”, meinte er überzeugt, während er dem Adligen den Finger leicht vor die Brust stieß.

Ein verhaltenes Seufzen antwortete ihm. “Na schön, du hast gewonnen. Aber ich will die Beweise sehen, die du dafür hast.” Jordan fixierte ihn mit einem aufmerksamen Blick seines schmalen Auges. “Solange, bis ich sie gesehen habe, bleiben diese Geschichten über Elfen und dergleichen für mich Hirngespinste.” Der Blonde wirkte erleichtert.

“In Ordnung. Aber um dir Beweise zu liefern, brauche ich noch eine Verbündete. Du weißt, von wem ich spreche?”

“Rein zufällig von Elaine?”, fragte der andere zurück und musterte ihn nun eingehend.

“Genau. Lass uns zu ihr gehen und ihr von meinem Verdacht erzählen.” Adrian wandte sich zu der Eingangstür um, schlüpfte in Mantel und Schuhe und drückte die Klinke herunter. Mit einigen wenigen Schritten hatte Jordan ihn eingeholt. “Warte mal, was für ein Verdacht denn?”, wollte er wissen, bevor er seinem Begleiter aus der Villa folgte.

“Na, dass diese ganzen Vorfälle nicht mit rechten Dingen zugegangen sind. Dass es sich dabei womöglich nicht um Menschenwerk handelt...”, antwortete Adrian ihm ungeduldig und lief über seinen Hof zu dem schmiedeeisernen Tor hinüber, den Adligen dicht auf seinen Fersen.

“Aha.”, machte Jordan tonlos, während sie das Anwesen verließen. “Meinetwegen, ich habe selbst keine bessere Erklärung dafür.”, fügte er dann hinzu und kassierte prompt einen triumphierenden Blick.

“Da hast du es. Und außerdem... Oh, da steht ja noch immer deine Kutsche!”, rief Adrian erfreut aus, der soeben das wartende Pferdefuhrwerk entdeckt hatte, welches vor seiner Villa stand.

Jordan gab dem Fahrer des Gespanns einen knappen Wink, schob den jungen Schriftsteller vor sich her auf die Tür der Kutsche zu und schlüpfte geschmeidig hindurch. “Willson, fahren Sie uns ins Handelsviertel, zum vierten Dock.”, befahl er dem Diener dann herrisch, während sein Begleiter sich hinter ihm in das Wageninnere quetschte. Der Mann nickte ergeben.

“Jawohl, Sir.”

Nachdem nun auch Adrian in den weichen Sitzpolstern Platz genommen hatte, setzte sich das Gespann sachte schaukelnd in Bewegung. Als es an der nächsten Kreuzung die Richtung zum Hafen hin einschlug, spähte der Blonde aus dem Fenster und musterte verträumt die Fassaden der vorbeiziehenden Häuser. Er wurde jedoch bald von der dunklen Stimme Jordans aus seinen Gedanken gerissen, der sich ein wenig in seinem Sitz nach vorne gelehnt hatte.

“Was möchtest du ihr denn eigentlich sagen? 'Elaine, Elfen haben Benson getötet, ich weiß aber nicht wie und warum.'? Nicht besonders orginell, oder?”, fragte der Adlige sarkastisch in die Stille hinein und richtete sein graues Auge auf das Gesicht seines Gegenübers. Der andere seufzte resigniert.

“Natürlich nicht. Ich erzähle ihr lediglich von den verschiedenen Vorfällen und äußere dann meinen vagen Verdacht. Ich bin mir sicher, sie wird es verstehen. Immerhin war sie als Kind immer mit mir zusammen in der Bibliothek und wir haben sogar schon einmal in der Heide ein geflügeltes Wesen gesehen, das vielleicht eine Fee gewesen sein könnte - jedenfalls war es zu groß für einen normalen Schmetterling...”, erklärte er sachlich und warf dem Schwarzhaarigen einen kurzen Blick zu.

Dieser wirkte allerdings alles andere als überzeugt. “Klar, wenn du meinst. Aber verlass dich besser nicht auf meine Unterstützung, wenn du versuchst ihr das verständlich zu machen...”, murrte er und verzog leicht das hübsche Gesicht zu einer Grimasse.
 

Und tatsächlich war es später Adrian, der der jungen Händlerin mit dem flammend kastanienroten Haar die Einzelheiten über die zurückliegenden Vorkommnisse erzählte. Elaine lauschte seinen Worten ohne ihn zu unterbrechen, ihr hübsches, leicht sonnengebräuntes Gesicht war von einem nachdenklichen Ausdruck geprägt. Als er schließlich geendet hatte, ließ sie sich langsam auf einen der Stoffballen sinken, die in der weitläufigen Lagerhalle des vierten Docks gestapelt wurden.

“Das klingt ja alles ziemlich seltsam.”, meinte sie dann gedehnt und blickte dabei abwechselnd von Adrian zu Jordan. “Glaubst du auch, dass diese Vorfälle von anderen Wesen als den Menschen ausgingen?” Die Rothaarige wandte sich an Jordan, der, lässig an die Wand des Lagerhauses gelehnt, die gesamte Unterredung stillschweigend verfolgt hatte.

“Eigentlich nicht, wenn ich ehrlich sein soll. Klingt für mich eher nach einer Kindergeschichte... Allerdings stehe ich bei diesen Fällen vor mehr als nur einem ungelösten Rätsel.”, antwortete dieser ihr vorsichtig, wobei er einmal mehr seine kunstvolle Augenbinde zurechtrückte.

Elaine nickte zustimmend. “So geht es mir auch. Aber da ich weiß, dass Ad weder ein Lügner noch ein Dummkopf ist, glaube ich ihm. Wenn er sagt, dass es keine Menschen waren, dann waren es auch keine.” Adrian antwortete ihr mit einem dankbaren Lächeln.

“Ich wusste, dass du meinen Worten Glauben schenken würdest, Elaine.”, meinte er voller Zuneigung und fuhr sich durch das dichte Haar. Seine Kindheitsfreundin hob jedoch mahnend die Hand.

“Moment, freu dich nicht zu früh. Beweisen müssen wir unseren Verdacht immer noch – sonst bleibt er nämlich genau das: bloß ein Verdacht. Außerdem wissen wir nicht, was es mit diesem Mord, dem Gral und dem ganzen Rest auf sich hat. Vielleicht besteht ja doch kein ernstzunehmender Zusammenhang zwischen den Fällen?”, warf sie ein, ihre grünen Augen funkelten im Licht der Sonne, als sie sich erhob und aus der Halle trat.

“Besser wir sammeln Informationen über einen möglichen Tathergang. Kommt, gehen wir in die Bibliothek und schauen, ob wir dort etwas Brauchbares finden!” Die beiden Männer folgten ihr mit zustimmendem Gemurmel. Während der Fahrt sprach keiner von ihnen ein Wort und auch, als sie die Bibliothek betraten, herrschte Schweigen. Nachdem Adrian der herbeieilenden Catrina zuallererst versichert hatte, dass er ihr die ausgeliehenen Bücher gleich morgen zurückbringen würde, machten sie sich gemeinsam daran, nach Bändern zu suchen, die von Fantasie-Wesen handelten. Nur hatten sie eindeutig das Pech, dass in den meisten Werken lediglich Dinge standen, die ihnen ungefähr so hilfreich waren wie ein Laib Brot einem Verdurstenden.

“Wen interessiert denn, ob so ein alter Schwachkopf einen besonders großen Nachtfalter für eine Fee gehalten hat?!”, knurrte Jordan zu dem Thema und vergrub sich erneut in einem der dicken Wälzer. Es dauerte geschlagene drei Stunden, bis Adrian schließlich einen leisen Pfiff ausstieß und den anderen Beiden mit einem Wink zu verstehen gab, dass er etwas gefunden hatte. “Seht euch das an!” Er hielt aufgeregt ein besonders altes Exemplar empor, damit sie den Titel erkennen konnten. 'Blutiger Mond – eine Legende über die Entstehung zweier Welten' stand da in goldenen Lettern, welche sich langsam von dem ledernen Einband abzuschälen begannen.

“Blutiger Mond...?”, wiederholte Jordan fragend und starrte den Blonden ratlos an. “Was soll das sein?” Dieser zeigte auf eine der verblichenen Seiten, wobei er mit klarer Stimme daraus vorzulesen begann: “Einst lebte auf der Erde eine Vielzahl von Wesen, die – ähnlich den Menschen – über eine außerordentliche Intelligenz verfügten. Elfen, Nachtmahre und Feen waren darunter, die alle zusammen das Gleichgewicht der Welt sicherten. Doch wurde dieses Gleichgewicht erschüttert, als der Blutige Mond am Himmel erschien und die Sonne in einem Meer aus Finsternis versank.

Die Hölle schien sich aufgetan zu haben, die Grundfesten der Erde erbebten unter dem Zorn der rasenden Stürme. Unzählige ließen ihr Leben, doch das Tosen der Heerscharen wollte nicht vergehen. Einige Völker verschwanden vollständig vom Antlitz des Planeten, andere verkümmerten und versuchten dem Unglück zu entfliehen. Nur wenigen gelang es zu entkommen... Bald darauf spaltete sich die Eine Welt – zwei neue Welten entstanden. 'Thirador', das den Menschen Schutz bieten sollte und 'Avalon', welches vorwiegend den Völkern der Elfen, Feen und Einhörner ein Zuhause werden würde. Alle anderen Völker verblieben in einer Randwelt namens 'Livarhdon', der Schattenwelt, welche Avalon von der Welt der Menschen trennte und zu einem trostlosen Gefängnis für die Wesen werden würde, die in ihr lebten...”

Adrian sah auf. “Und ab hier fehlen einige Seiten. Klingt ganz schön überwältigend, oder?”, fragte er tonlos und klappte langsam das Buch in seinen Händen zusammen. Elaine und Jordan erwiderten seinen Blick nervös, bevor Jordan schließlich das Wort ergriff. “Naja, was da steht könnte wahr sein. Ich wiederhole, es könnte! Aber beweisen tut das noch lange nichts.”, bemerkte er mürrisch, das blasse Gesicht zu einer skeptischen Grimasse verzogen. Der andere lachte leise.

“Beweisen kann ein Buch wie dieses alleine nichts, aber wir können es.”, meinte er mit einem merkwürdig entrückten Ausdruck auf den jugendlichen Zügen und musterte den ledernen Einband. “Aber stellt euch das mal vor: Thirador, das wäre dann wohl unsere Erde. Und Avalon und Livarhdon wären dann so etwas wie...Parallelwelten zu der unseren. Was passiert, wenn diese Drei sich kreuzen? Wird der blutige Mond erneut auftauchen? Könnten die Vorfälle in der Stadt etwas mit dieser Geschichte zu tun haben?” Eine Hand berührte ihn sachte an der Schulter, es war Elaine.

“Wer weiß das schon? Aber was da steht, ergibt schon irgendwie Sinn...” Die Rothaarige wirkte leicht beunruhigt. Doch Jordan schüttelte abwehrend den Kopf. “Naja, vielleicht ein wenig. Aber es klingt auf jeden Fall sehr weit hergeholt. Wie heißt denn der Autor dieses Werkes?”, erkundigte er sich bei Adrian, der sogleich interessiert die Vorderseite des Buches unter die Lupe nahm. “Sein Name ist - oder eher war? - T. C. Morroccin. Nie von ihm gehört. Obwohl... Könnte gut sein, dass ich schon andere Werke von ihm gelesen habe.”, antwortete der Blonde nachdenklich, wobei er die anderen Beiden anblickte.

“Tja, wenn das, was da steht, wahr ist, dann droht uns wohl Gefahr, oder?”, fragte er dann ein wenig lahm und stellte müde das dicke Buch auf seinen Platz im Regal zurück. Elaine lächelte. “Hört sich so an. Was meint ihr? Sollten wir uns Sorgen machen?” Die Heiterkeit in ihrer Stimme wurde von dem ernsten Blick ihrer grünen Augen Lügen gestraft. Jordan hob die Schultern. “Keine Ahnung. Eher nicht, denke ich...” Er seufzte. “Lasst uns gehen, ich habe genug von dieser finster-lieblichen Märchenstunde.” “Ja, ich auch. Gehen wir zu mir nach Hause?”, stimmte ihm Adrian mit einer erschöpften Handbewegung in Richtung Ausgang zu und ging den anderen voraus durch die Tür.

Es dauerte nicht lange, bis Elaine und Jordan ihn eingeholt hatten. “Zu dir?”, fragte Elaine nach, während sie zu dritt in der noch immer wartenden Kutsche Platz nahmen. “Das gefällt mir. Ich war schon eine Ewigkeit nicht mehr in deinem Haus.” Sie lehnte sich zurück. “Eigentlich sollte ich eher Villa sagen, nicht wahr? Ist irgendwie passender...”, meinte sie dann belustigt, während Jordan leise schnaubte.

“Jetzt übertreib mal nicht, Madam. Komm zu mir und besichtige einmal meine Villa – dann weißt du, dass Adrians Heim mehr einem Haus entspricht.”, meinte er mit einem verächtlichen Seitenblick auf den Blonden, den dieser jedoch mit einem Lächeln quittierte. “Wir können nicht alle so erfolgreiche Firmenbesitzer sein, wie du.”, erwiderte Adrian schulterzuckend, während das Gespann sich leicht ruckelnd in Bewegung setzte.

Elaine nickte lachend. “Dein Anwesen ist mir bestimmt zu riesig. Ich mag es nicht, wenn man sich in dem Garten eines Hauses oder in diesem selbst verlaufen kann. Das kommt mir irgendwie nicht besonders gemütlich vor.” Die Antwort des Schwarzhaarigen bestand lediglich aus einem desinteressierten Brummen, das seine Begleiter dazu veranlasste erneut in ein Schweigen zu verfallen. Diesmal wurde die unangenehme Stille allerdings erst unterbrochen, als sie vor dem Eingangstor der kleinen Villa angelangt waren und Adrian das dunkle Holz elegant aufschwingen ließ. “Herein spaziert!”, forderte er die beiden anderen heiter auf, wobei er selbst sich bereits den Mantel auszog.

Jordan ließ sich das nicht zweimal sagen, er trat mit geschmeidigen Schritten über die Schwelle und hängte seinen eigenen schwarzen Mantel lässig an einen der Haken, die an der Wand angebracht waren.

Die rothaarige Händlerin folgte ihm ein wenig zögernd, entledigte sich dann jedoch ihrer Weste und blickte sich interessiert um. “Adrian, du hast ja ganz viele neue Sachen hier?”, fragte sie lächelnd, während ihre schlanken Finger behutsam über eine aus Japan oder China importierte, äußerst wertvoll aussehende Vase strichen, welche auf der edlen Kommode neben ihr stand.

Adrian schmunzelte leicht. “Naja, soviele sind es nicht. Nur die Vase dort und der Wandteppich da hinten...”, murmelte er scheinbar peinlich berührt und schloss die Tür hinter sich mit einem leisen Klacken. Mit einer geübten Handbewegung öffnete er den Verschluss seiner Schuhe, stellte diese ordentlich nebeneinander und wandte sich erneut zu seinen Gästen um. “Geht schon mal ins Wohnzimmer. Kann ich euch irgendwas anbieten?”



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SaRiku
2007-05-23T21:04:27+00:00 23.05.2007 23:04
Yaaattaaaa!
Es lohnt sich ja richtig, nach langer Zeit wiedermal in deinen Fanfictions nachzuschauen!

Du hast dir auf jeden Fall wieder eine sehr interessante Geschichte einfallen lassen -die du hoffentlich nicht auch wieder unangetastet lässt, was Fortsetzungen bei den anderen Geschichten von dir betrifft...

"Bloody Moon"... einerseits ein vierlversprechender Titel, aber andererseits recht simpel (außerdem hat meine Freundin LaCroixSanglant einen Doujinshi, der so heißt ^^°).
Dein Schreibstil ist wirklich wie immer unangefochten gut! Die Charakter sind sehr individuell und erregen Interesse, die Beschreibung der Gefühle ist dezent genung um immer noch spannend zu wirken und die Eindrücke, die du von der Umgebung vermittelst, gefallen mir auch unglaublich gut! Vor allem die Stelle, da du von den Rosen und der Villa Adrians im Allgemeinen sprichst! (irgendwie bin ich der Auffassung, dass du ein richtiger Autor werden solltest! =3)
Nur... Ich habe einen Teil nicht richtig verstanden... Vielleicht habe ich auch ein wichtiges Detail überlesen, aber ich habe einfach nicht mitbekommen, wie es auf einmal "Tag" wurde. Als plötzlich Sonnenlicht Elaines Augen zum Leuchten brachte, war ich verwirrt...

Naja, bevor ich dich wieder zutexte, höre ich lieber wieder auf. Aber auch diese Geschichte hier gefällt mir gut (wie du wahrscheinlivch schon bemerkt haben dürftest).
Ich hoffe auf ein nächstes Kapitel, vor allem, weil du so spannend aufgehört hast *seufz*
Lg Eiselfe


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