Übernachtung bei Kaibas
Übernachtung bei Kaibas
Die Woche verging rasend schnell.
Nach dem schönen Tag am Strand – für den ich im Übrigen keinen Ärger bekam -
hatte es nur noch geregnet, sodass wir oft nur bei ihm zu Hause saßen und Seto
mich dazu zwang, Hausaufgaben zu machen, weil er meinte, ich müsse unbedingt
in der Schule besser werden. Ich denke, ihm war einfach nur langweilig.
Ansonsten schleppte er mich öfters zum Kampfsport mit. Aber er trainierte
lieber mit anderen als mit mir. Meistens mit Leo.
Ansonsten las er in der Zeit sehr viel. Er meinte immer, wenn man schon nichts
für seinen Körper tun konnte, sollte man wenigstens seinen Kopf etwas schulen.
Freitag Abend lag ich einfach nur gelangweilt auf der Couch herum. Die Schule
und das Training waren vorbei und die Hunde waren auch draußen gewesen. Es gab
nichts mehr zu tun. Ich dachte über das Tagebuch und das Fotoalbum nach. Sie
waren mir erst Montag wieder eingefallen und ich hatte sie heimlich mit nach
Hause genommen. Aber bis jetzt hatte ich es noch nicht geschafft,
hineinzusehen, obwohl es mich brennend interessierte, was drin stand.
Ich sah zu Seto herüber, der seinem Hund gedankenverloren die Ohren kraulte,
während er wieder in einem seiner Bücher hing.
„Wollen wir nicht einfach fernsehen?“, fragte ich.
„Gleich. Sobald ich eine spannende Stelle im Buch finde“
„Du hörst an den spannenden Stellen auf zu lesen? Normalerweise nimmt man
dafür doch eine langweilige“
Er sah mich schief an „Wenn ich an einer langweiligen Stelle aufhöre, habe ich
ja keine Motivation merh, das Buch jemals weiterzulesen. Wenns spannend wird
aber schon“
„Okay, wie du meinst“, ich stufte das einfach mal unter Setologik ein, „Sehen
wir jetzt einen Film?“
„Von mir aus“, Seto stand langsam auf.
„Passiert denn gerade etwas Spannendes?“
„Der Typ ist kurz davor erschossen zu werden. - Ich hol Popcorn“
Meinte er etwas zu essen oder den Hund? Egal. Während er weg war, suchte ich
die Fernbedienung unter den Sofakissen. Ich fand sie sogar irgendwann. Man
konnte über Seto alles sagen, aber ordentlich war er nicht unbedingt.
Ich schaltete den Fernseher ein und suchte einen Horrorfilm aus. Je
gruseliger, desto besser.
„Was gefunden?“, fragte Seto, als er wiederkam. Mit einer Schüssel Popcorn in
der Hand. Er setzte sich neben mich auf die Couch. Raiko nahm neben ihm Platz.
Der Hund durfte echt alles.
„Horror“, ich grinste, „Magst du solche Filme?“
„Nur, wenn sich keiner was abschneiden muss“
„Wie jetzt?“
„Ich hab mal ein Buch gelesen, wo der Hauptperson der Fuß abgehackt und die
Wunde dann mit einem Brenner verschlossen wurde.“, er schüttelte sich
unmerklich, „Das war so realistisch geschrieben, dass ich ständig nachsehen
musste, ob ich noch beide Füße hab“
Ich musste mir ein Lachen verkneifen, als ich mir vorstellte, wie Seto
verängstigt auf dem Bett hockte und immer wieder panisch seine Füße zählte.
Aber wenn Seto so leicht panisch wurde, dann würde das ein toller Abend
werden. Ich kannte den Film schon und wusste, dass er eine Menge schockender
Momente drin hatte. Und wenn Seto sich dann erst einmal richtig erschreckt
hatte, würde er sich ängstlich an mich klammern. Ich würde ihn tröstend in den
Arm nehmen und ihm beruhigend zusprechen. Dafür wäre er dann so dankbar, dass
er mich voller Dank küssen würde.
Ja, es war perfekt. Ich musste mich nur zurücklehnen und warten.
„Popcorn?“, Seto hielt mir die Schüssel hin.
„Danke“, bis jetzt sah er aber noch nicht sehr verängstigt aus. Aber das würde
schon kommen. Die schockenden Szenen kamen ja erst noch.
Jetzt gleich würde es passieren. Jeden Augenblick würde ein Monster hinter der
Tür direkt auf den Fernseher zuspringen und dann den Typen auf unheimlich
grausame Weise töten. Im Film natürlich. Als ich diese Szene das erste Mal
gesehen hatte, konnte ich nicht mehr aufhören, zu kreischen wie ein Mädchen.
Peinlich aber wahr. Damals war ich natürlich noch ein kleines unbescholtenes
Kind gewesen. Aber es war wirklich eine schreckliche Szene. Ich machte mich
schon mal bereit, Seto aufzufangen.
Doch dann geschah etwas, das unmöglich war. Das Monster sprang auf den
Fernseher zu und direkt neben mich auf die Couch. Ich stieß einen spitzen
Schrei aus und klammerte mich ängstlich an Seto.
„W-was zum...?“, wimmerte ich.
Aber das war gar nicht das Monster. Es war bloß Akito, der mich unglaublich
breit angrinste.
„Ein bisschen schreckhaft, der Kleine“, meinte er zufrieden.
„Popcorn?“, fragte Seto. Er hatte nicht mal mit der Wimper gezuckt.
Für jemanden, der so schreckhaft war, blieb er aber erstaunlich entspannt.
„Sollen wir lieber was anderes sehen. Etwas, das dich nicht so erschreckt?“,
wollte Seto wissen. Er sah mich amüsiert an, aber gleichzeitig entdeckte ich
etwas in seinem Blick, das man mit etwas gutem Willen als Fürsorge auslegen
konnte.
„N-nein, ich hab mich nur wegen dem Idioten da erschreckt“, ich deutete auf
Akito, wobei ich mich immer noch tapfer wie ein Eichhörnchen an Setos Arm
festhielt.
„Jetzt bin ich wieder Schuld!“, beleidigt griff er nach dem Popcorn.
„Sehen wir uns einfach weiter den Film an“, seufzte Seto, „Könntest du ganz
nebenbei aufhören, meinen Arm abzuklemmen?“
„Sorry“, ich ließ ihn hastig los.
Also sahen wir uns weiter den Film an. Zu meiner Enttäuschung war Seto aber
nicht wirklich davon verängstigt.
„BUH!!!“
Erschrocken krallte ich mich wieder in Setos Arm.
„Popcorn?“
„Man, Joey. Du bist wirklich schreckhaft“, lachte Mokuba.
„Witzig!“, fauchte ich. Ich war schon am Rande eines Herzinfarktes.
„Joey, mein Arm!“, rief Seto ungeduldig.
Ich ließ wieder los, während sich Mokuba einfach zwischen mich und Seto
drängte und sich an seinen Bruder kuschelte. Das passte jetzt ganz und gar
nicht in meinen Plan! Aber Seto schien gegen den ganzen Horror sowieso immun.
Bis zu der einen Stelle.
Jetzt kam die Szene, wo der Mörder sein Opfer dazu zwang, sich die Hand
abzusägen. Erst sägte es bis auf den Knochen und dann zerrte es von allen
Seiten daran, bis der Knochen brach und die Hand abriss.
„Oh Gott!“, stöhnte Seto. Er hielt sich die Augen zu, „Sagt mir, wenn es
vorbei ist“
So was konnte er wohl wirklich nicht sehen. Und ich saß nicht neben ihm, um
ihn zu trösten! Vielen Dank auch, Mokuba!
„Vorbei“, meinte Akito grinsend, obwohl jetzt die schlimmste Stelle kam.
Seto sah kurz hin und stöhnte dann angewidert, bevor er eilig wegsah „Du
Mistkerl!“, knurrte er.
„Jetzt ist es wirklich vorbei“, versicherte ich ihm.
Er schielte zwischen den Fingern durch und atmete erleichtert auf „Ein Glück“
Ich musste lächeln, als ich bemerkte, wie er unauffällig seine Hände
überprüfte, ob sie noch heile waren. So ganz gruselfest war selbst er nicht.
Dann fiel der Strom aus.
Um uns herum wurde alles dunkel und auch das Fernsehbild verschwand.
„Was ist denn jetzt?“, fragte ich irritiert.
Seto ging zum Fenster und sah nach draußen „Scheinbar ist die ganze Stadt ohne
Strom“
„Und was nun?“
„Erst mal brauchen wir Licht“, bestimmte Akito,“Gibt es hier Kerzen oder
Taschenlampen?“
„Irgendwo bestimmt“, meinte Seto.
„Im Keller und in der Vorratskammer“, sagte Mokuba.
„Dann teilen wir uns auf und holen das Zeug“, schlug ich vor, wobei ich mich
schnell zu Seto gesellte, damit ich mit ihm gehen konnte, „Gehen wir beide in
den Keller?“
„Wenn ich den Weg finde...“
Wir tasteten uns vorsichtig den Flur entlang in Richtung Kellertreppe.
Natürlich musste ich bei jeder Gelegenheit, die sich bot, irgendwo
gegenlaufen, bis sich Seto erbarmte, mich am Handgelenk zu packen und sicher
durch die Dunkelheit zu führen. Seine Nähe war so schön beruhigend.
„Pass auf. Jetzt kommt die Treppe.“, meinte er.
Ich klammerte mich fester an seinen Arm. Vorsichtig gingen wir Stufe für Stufe
hinab, bis wir endlich den Keller erreichten.
„Such du auf der linken Seite. Ich sehe rechts nach“
Also tastete ich mich nach links, wobei ich feststellte, dass hier scheinbar
schon ewig nicht mehr sauber gemacht worden war. Ich lief ständig in
Spinnweben hinein. Aber dann fand ich ein paar Schränke, in denen ich sogar
Kerzen entdeckte.
„Hey, ich hab eine Taschenlampe gefunden“, rief Seto und leuchtete damit in
meine Richtung.
„Und ich hab Kerzen“
„Sehr gut. Dann lass uns von hier verschwinden. Ich hasse diesen Keller!“
Er leuchtete uns den Weg und so kamen wir sicher oben an. Mokuba und Akito
waren noch unterwegs, sodass wir erstmal die Kerzen verteilten, bevor wir uns
auf die Couch setzten. Diesmal würde ich nicht zulassen, dass sich Mokuba
zwischen uns drängelte.
„Und? fandest du den Film nun gruselig?“, fragte ich interessiert.
„Nein, nur eklig.“, er überlegte kurz, „Soll ich dir mal was richtig
Gruseliges erzählen?“
„Mach doch. Mich kannst du nicht erschrecken“, meinte ich tapfer.
„Also schön. Diese Geschichte ist aber wahr“, er schaltete das Licht der
Taschenlampe aus und begann mit unheilvoller Stimme zu erzählen, „Vor vielen
Jahren, bevor Gosaburo das Haus bauen ließ, stand hier eine Jugendherberge.
Die Hütten waren ganz aus Holz und immer vier Mann teilten sich ein Zimmer.
Wenn eine Gruppe den letzten Abend hier war, gab es eine Tradition, bei der
das jüngste Gruppenmitglied seinen Mut beweisen musste. Die Prüfung des
kleinen Peter war es, eine Nacht ohne Strom und ganz allein in einem dieser
Zimmer zu verbringen, isoliert von der Außenwelt. Zur Sich-“
„Peter?“, ich grinste.
„Ja, die Gruppe kam aus Deutschland. Jedenfalls wurde zur Sicherheit die Tür
des Zimmers verschlossen, damit Peter nicht fliehen konnte.-“
„Peter? Ist das dein Ernst. Der Name ist ja überhaupt nicht unheimlich. Warum
nicht so was, wie Blooooooooooooood oder Vampire Joe?“
„Weil es eine wahre Geschichte ist und der Typ nun mal nicht Vampire Joe hieß,
sondern Peter!“, meinte Seto ungeduldig, „ Zumindest passierte in der Nacht
etwas, womit keiner gerechnet hatte.-“
„-Blooooooooooooood und Vampire Joe kamen, um klein Peter zu fressen“
„Ich fress dich gleich! Also halt die Klappe und hör zu! In der Nacht fegte
ein schrecklicher Sturm übers Land. Ein Blitz schlug genau in das Zimmer von
Peter ein und ein Feuer brach aus. Peter versuchte zu fliehen, aber die Tür
war verschlossen und er kam nicht raus.-“
„Und wo waren die anderen? Wieso haben die ihn nicht gerettet?“
„Hör endlich auf, mich laufend zu unterbrechen! Die anderen sahen natürlich
das Feuer, aber alle Wege, die zu Peter führten brannten lichterloh und so
konnten sie ihm nicht helfen. Peter saß in der Falle und verbrannte auf
qualvollste Weise. Das Feuer setzte seine Füße in Brand und arbeitete sich von
dort langsam nach oben. Über die Beine, den Bauch, die Brust, die Arme und
erst zum Schluss der Kopf. Erst nachdem das letzte Haar verbrannt war, starb
Peter.-“
„Heißt das, er hat miterlebt, wie er ganz langsam verbrennt?“
„In der Tat. Aber die Flammen ließen sich Zeit. Erst verbrannten sie seine
Haut, bevor sie sich in sein Inneres bohrten und ihn langsam von ihn
auffraßen.“
„Er ist von Innen verbrannt?“, fragte ich kleinlaut. Wie brutal war das denn?
„Ja. Als man am nächsten morgen die Herberge betrat, stellte man fest, dass
nur die Stelle an der Peter gestanden hatte, vom Feuer betroffen gewesen
waren. Alles andere war nicht einmal angesengt. Von Peter selbst blieb
allerdings nur ein Haufen Asche, der vom Wind davon getragen wurde. Es klang
so, als würde der Wind heulen >Ich werde mich rääääääääächen für das
Leiiiiiiiiid, das ich ertraaaaaaagen musste. Von heute an alle füüüüüüüüünfzig
Jahre werde ich wiederkeeeeehren und den jüngsten Gast des Hauuuuuuuses auf
ebenso grauuuuuuuusame Art vom Feuer verzeeeeeeehren lassen<. Seitdem nennt
man ihn Peter mit der Feuerfaust“
Ich schluckte „Und wann sind die fünfzig Jahre um?“
„irgendwann dieses Jahr.“, meinte Seto leichtfertig, „Welcher Tag ist denn
heute?“
„Der 15. November“
Er sog scharf die Luft ein „D-das ist nicht dein Ernst, oder?“
„Doch, wieso?“
„Das ist schlecht, mehr als schlecht“, in Setos Stimme flackerte Panik auf.
„W-was ist denn?“, fragte ich ängstlich. Wieso hatte er nur solche Angst?
„Es ist heute“, er packte mich an den Schultern und schüttelte mich,
„Verstehst du nicht? Heute sind die fünfzig Jahre um“
„N-nein unmöglich. Was sollen wir tun?“
„Wir? Nichts“, er wich vor mir zurück, „I-ich bin es nicht, auf den er es
abgesehen hat, sondern du. Der jüngste Gast des Hauses. Also ich verschwinde“
Er wollte von der Couch, aber ich hielt ihm am Arm fest, „Vielleicht täuscht
du dich ja?“
„Nein, es passt alles. Achte doch auf die Anzeichen.“, flüsterte er unruhig,
„Er wird bald da sein“
„W-was für Anzeichen?“
„Als erstes kommt das Unwetter, dann der Stromausfall. Dann hörst du, wie er
an der Fensterscheibe kratzt, nur ganz leicht, aber trotzdem hörbar.“
Da war tatsächlich ein Geräusch an den Fensterscheiben, als würde immer wieder
leicht etwas gegenschlagen.
„Dann siehst du ein Flackern auf dem Flur und hörst seine Schritte, wie er
langsam näher kommt“
„S-seto, es flackert wirklich“, zittrig deutete ich auf den Türspalt, durch
den immer nur für wenige Sekunden Licht fiel und dann wieder verschwand. Und
da waren Schritte, die näher kamen.
„Dann fehlt nur noch das letzte Vorzeichen“, flüsterte Seto düster.
„W-was?“
„Die Tür springt auf und Peter mit der Feuerfaust steht da, bereit dich zu
rösten“, seine Stimme war so leise, dass ich ihn nur mit Mühe verstanden
hatte.
Mit einem Ruck flog die Tür auf und er stand da, mit dem Feuer in der Hand.
„NEIN“, ich schrie verzweifelt und klammerte mich an Setos Körper, „Töte mich
nicht, bitte nicht. Ich bin zu jung zum sterben“, wimmerte ich. Ich hatte noch
nie so viel Schiss, wie in diesem Moment.
Aber dann hörte ich, wie Seto anfing zu lachen.
„Wieso sollte ich dich töten?“, fragte Akito verständnislos. Er hielt immer
noch die Kerze in der Hand, die ich für die Feuerfaust gehalten hatte. Hinter
ihm sah Mokuba neugierig zu mir.
„Du bist nicht... Peter mit der Feuerfaust... oder?“, stellte ich verängstigt
fest.
„Ach, die alte Geschichte.“, Mokuba grinste, „Sag bloß, du bist darauf
reingefallen“
„Reingefallen? A-aber es war doch so echt. Es hat doch alles gepasst. Die
Fenster, das Licht...“, hauchte ich fassungslos. Ich sah Seto fragend an, aber
der kriegte sich immer noch nicht ein vor Lachen. Dabei schien er nicht mal
mitzukriegen, dass ich immer noch an ihm klebte.
„Wenn der Wind stark ist, schlagen die Zweige immer ans Fenster.
Wahrscheinlich hast du das gehört“, erklärte Akito, „Und das Licht war Mokubas
Taschenlampe“
„Aha... Aber Seto, du warst doch total panisch...“
Er atmete kurz durch,um nicht gleich wieder loslachen zu müssen, „Ich bin
wirklich sehr überzeugend, nicht wahr?“, er lächelte immer noch amüsiert, „So
viel dazu, dass ich dich nicht erschrecken kann“, dann fing er erneut an zu
lachen.
>Er ist so wunderschön, wenn er lacht...<
Ich klammerte mich weiterhin an ihn. Solange er nichts dagegen sagte, sah ich
es gar nicht ein, ihn loszulassen. Immerhin war er schön warm und er roch so
gut.
Akito stellte ein paar Sachen auf den Tisch ab, die ich nicht erkennen konnte.
Erst, als er die ganzen Kerzen anzündete, sah ich, was es war. Bier, Wodka,
Chips und Cola.
„Hey, wieso plünderst du meinen Kühlschrank?“, fragte Seto entrüstet.
„Ohne Strom kühlt der nicht mehr, weißt du? Da dachte ich, wir sollten das
Zeug vernichten, bevor es warm wird.“, Akito grinste, „Cola für die Kleinen
und Alkohol für uns beide“
„Ich gehöre doch nicht zu den Kleinen!“, fauchte ich.
„Und trotzdem suchst du Schutz bei Mama Seto?“
Was sollte ich darauf erwidern? Also starrte ich ihn nur feindselig an.
„Ach lass ihn“, meinte Seto, „Er hat mich doch nur etwas gewärmt. Richtig?“
Überrascht sah ich ihn an. Er nahm mich in Schutz?
>Ich liebe dich, mein Held ^^<
Eilig nickte ich „Stimmt, ich habe ihn nur gewärmt“
„Und damit kannst du jetzt auch gern wieder aufhören“, Seto schob mich etwas
von sich, sodass ich ihn unfreiwillig loslassen musste, „Du kannst Bier haben,
aber für Wodka bist du zu jung“
„Ich bin genauso alt wie du!“, murrte ich.
„Nicht ganz. Ich bin stolze 18 und du nur jämmerliche 17. Mir erlaubt das
Gesetz zu trinken, dir nicht“
„Vor einem Monat klang das aber noch ganz anders“, meinte Mokuba spitz, „Da
hast du noch gesagt >Mit 17 ist man ja schon im 18. Lebensjahr, also bereits
erwachsen<“
Seto seufzte melancholisch „Damals war ich noch schrecklich unreif. Aber man
möge es mir verzeihen, denn ich war ja noch minderjährig“
„Dieser Sinneswandel hat natürlich rein gar nichts damit zu tun, dass du jetzt
erst legal an den Alkohol kommst“
„Natürlich nicht! Was unterstellst du mir denn?“, Seto hüstelte künstlich,
„Aber als ich dann die erste Flasche Wodka legal erwarb, da dachte ich mir,
vielleicht haben diese Altersbeschränkungen ja tatsächlich einen Sinn...“
„Und wenn du jetzt noch einmal 17 wärst, würdest du natürlich keinen Alkohol
mehr trinken oder mit gefälschtem Führerschein Auto fahren.“, höhnte Akito
„Du bist mit gefälschtem Führerschein Auto gefahren?“, fragte ich zweifelnd.
„Ich hab mich doch nur um ein Jahr älter gemacht. Das ist doch wohl kein
Verbrechen.“
„Doch eigentlich schon“
„Hey, ich hab das Gesetz doch nicht gebrochen, sondern es nur ein bisschen
zurecht gebogen. Und jetzt hab ich ja einen richtigen Führerschein. Ich hab
dem nur ein bisschen vorgegriffen“, er schnaubte, „Außerdem, was reden wir
denn jetzt von mir? Überlegt lieber, was wir jetzt machen!“
„Wir könnten in die Billardfabrik fahren und ein paar Runden spielen“, schlug
Akito vor.
„Mit MEINEM Führerschein wohlgemerkt“, rief Seto triumphierend.
„Oder wir fahren ins Kino“
„Auch mit MEINEM Führerschein“
„Ja, du hast einen ganz tollen Führerschein.“, Mokuba verdrehte die Augen,
„Aber der nützt gar nichts, weil weder Kino noch irgendetwas anderes Strom
hat.“
„Dann bleiben wir doch einfach hier und erzählen Horrorgeschichten“, schlug
ich vor.
„Damit du wieder in Panik gerätst?“, fragte Akito.
„Ich bin doch nur in Panik geraten, weil Seto so panisch geworden ist!“
„Meine Überzeugungskraft ist grenzenlos.“, nickte er bestätigend, „Deshalb
kriege ich ja auch immer die besten Verträge.“
Wir gaben die ganze Nacht Gruselgeschichten zum besten, wobei Seto und Akito
einen Großteil des Alkoholvorrats vernichteten. Aber wenn sie davon betrunken
waren, merkte man es ihnen überhaupt nicht an.
„Ich kenne eine tolle Geschichte“, meinte Akito, „Eine alte Frau lebte seit
Jahren allein in einem großen Haus. Nur ihr Hund leistete ihr Gesellschaft.
Wenn sie abends schlafen ging, ließ sie immer eine Hand aus dem Bett hängen,
an der ihr Hund jede Nacht so lange leckte, bis er eingeschlafen war. Eines
Abends, als sie gerade dabei war einzuschlafen, hörte sie ein leises Tropfen.
Also stand sie auf und ging in die Küche, um den Wasserhahn fester zuzudrehen.
Dann ging sie wieder ins Bett und ließ ihre Hand heraus hängen, damit der Hund
daran lecken konnte. Doch dann hörte sie es wieder. Tropf, tropf, tropf...
Also sah sie im Bad nach und drehte die Hähne fester zu. Wieder legte sie sich
ins Bett und ließ den Hund ihre Hand lecken. Da hörte sie es wieder. Tropf,
tropf, tropf... Sie wunderte sich, woher dieses Geräusch kam. Also ging sie in
den Keller und drehte den letzten Hahn, den sie noch nicht überprüft hatte,
zu. Plötzlich hörte sie das Geräusch neben sich. Tropf, tropf, tropf... Es kam
aus dem Schrank. Vorsichtig öffnete sie ihn. Und zum Vorschein kam der tote
Hund. Er war an einem Fleischerhaken aufgehängt und das Blut tropfte auf den
Boden des Schrankes. Da fand sie einen Zettel, auf dem stand: >Auch Mörder
können lecken!<“
Ich schüttelte mich „Wie unheimlich. Der Mörder hat ihr die ganze Zeit die
Hand geleckt?“
„Zweitklassiger Horror“, meinte Seto ungerührt.
„Als ob deine Geschichte besser war!“, murrte Akito.
„Doch, irgendwie schon“
„Aber stell dir doch mal vor, was du in dieser Situation machen würdest“,
flüsterte ich, „Du weißt, dass der Mörder die ganze Zeit neben deinem Bett
gelegen hat. Und jetzt ist er oben in deinem Haus und wartet auf dich“
„Pech“, Seto gähnte nur, „Wir sollten langsam auch mal ins Bett gehen. Es ist
schon spät“
„Und ich muss noch nach Hause“
„Schlaf doch hier, Joey“, schlug Mokuba vor, „Geht das, Seto?“
„Von mir aus“
„Im Ernst?“, ich sah Seto aus großen Augen an, „Ich darf hierbleiben?“
„Ja, Mokuba zeigt dir, wo du schlafen kannst“
Hab ich schon erwähnt, dass Seto mein Held ist?
Seto griff nach der Taschenlampe und leuchtete uns den Weg durch den Flur. Vor
einer Tür blieb Mokuba stehen. „Hier kannst du schlafen, Joey“
„Was denn? In dem verfluchten Zimmer?“, fragte Seto.
Mokuba stieß ihm in die Seite „Hör nicht auf ihn. Das Zimmer ist okay.“
„Danke. Habt ihr vielleicht noch einen Schlafanzug für mich?“
„Ich bring dir gleich einen“, meinte Seto und tappte davon.
„Ich werde auch schlafen gehen“, sagte Mokuba, „Schlaft gut“
„Ja, ich geh dann mal auch in mein Zimmer“, nickte Akito.
Und schon war ich ganz allein. Im Dunkeln. Ich ging ins Zimmer und sah mich
etwas um. Soweit ich das ohne Licht beurteilen konnte, war es recht luxuriös
eingerichtet. Ein großes Bett, ein wertvoll aussehender Schrank und sogar ein
Badezimmer.
Langsam ließ ich mich auf die Bettkante sinken. Es war trotzdem irgendwie
unheimlich hier.
Zum Glück kam Seto bald wieder.
„Hier. Der Schlafanzug müsste passen.“, er hielt ihn mir vor die Nase.
„Gehört der dir?“
„Nein, keine Sorge. Für Gäste haben wir immer Schlafanzüge in jeder Größe da.
Gosaburos Gesetz der Gastfreundschaft.“
„Danke.“, ich nahm ihn ihm ab, auch wenn es mir nichts ausgemacht hätte, wenn
es einer seiner Schlafanzüge gewesen wäre. Aber man kann ja nicht alles haben.
„Kein Problem. Brauchst du sonst noch etwas?“, er war schon wieder halb dabei,
zu gehen.
„W-willst du nicht noch etwas hierbleiben?“, fragte ich kleinlaut.
„Joey...“, Seto setzte sich neben mich aufs Bett, „Du musst keine Angst haben.
In dem Haus ist noch keiner gestorben und du wirst bestimmt nicht der Erste
sein.“
„I-ich hab ja auch keine Angst“
„Als ich das erste Mal in diesem Haus übernachten musste, hab ich kein Auge
zugekriegt, so verängstigt war ich. Aber hier gibt es wirklich nichts, worüber
du dir Sorgen machen musst, okay? Außerdem bin ich ja auch noch da.“, meinte
er beruhigend.
„Okay...“, murmelte ich.
„Dann schlaf gut“, er stand auf und schloss die Tür hinter sich.
In der Nacht konnte ich einfach nicht schlafen. Ich hatte viel zu viel Angst
davor, dass irgendjemand kam und mich abfackelte oder dass ein Mörder unter
meinem Bett lag. Setos Worte waren zwar lieb gemeint gewesen, aber so ganz
geholfen hatten sie nicht.
Plötzlich schlug etwas gegens Fenster und ein gleißender Blitz erhellte die
Nacht. Ich saß mit einem Mal kerzengerade im Bett.
Okay das wars! In dem Zimmer würde ich bestimmt nicht bleiben!
Schnell eilte ich auf den Flur. Ich wollte einfach nur weg. Irgendwohin, wo
ich sicher war, am besten zu Seto. Also suchte ich sein Zimmer, das sich hier
in der Nähe befinden musste. Nach einigen Fehlversuchen fand ich es auch. Ich
schlich mich zu seinem Bett. Sehr gut, er schlief schon tief und fest. Doch
dann entdeckte ich Mokuba. Er schlief zwar auch schon, aber an den Bauch von
meinem Seto gekuschelt. Und Raiko lag zusammengerollt auf seinen Füßen.
Scheinbar hatten wir alle dieselbe Idee gehabt, uns von Setos Nähe beruhigen
zu lassen bei diesem schrecklichen Sturm.
Ich kuschelte mich an seine freie Seite und legte den Kopf auf seine Brust.
Sein gleichmäßiger Herzschlag beruhigte mich ungemein und er war so
wunderschön, genau wie sein Bestitzer.
Bevor ich mich ganz hinlegte, sah ich noch mal in Setos schlafendes Gesicht.
Er sah aus wie ein Engel und seine Züge waren völlig entspannt. Sein Mund war
ein bisschen geöffnet, sodass er schon fast zum Küssen einlud.
Sollte ich es wagen? Nur ein winzig kleiner Kuss?
Er würde es nie erfahren und ich könnte einmal von seinen weichen Lippen
kosten. Nur einmal...
Und wenn er es doch rausfände und mich deshalb umbrächte, so würde ich als
glücklichster Mensch der Welt sterben.
Vorsichtig beugte ich mich zu ihm vor. Ich konnte bereits seinen Atem auf
meinem Gesicht spüren. Dann tat ich es einfach. Ganz vorsichtig und sanft
küsste ich ihn. Er hatte tatsächlich so wunderbar weiche Lippen wie ich immer
vermutet hatte und er schmeckte angenehm süß. Ich hätte Stunden an ihm hängen
können, aber das Risiko, dass er aufgewacht wäre, war zu groß. Berauscht ließ
ich von ihm ab und sah noch einmal in sein Engelsgesicht. Er schlief immer
noch seelenruhig. Gut so.
Überglücklich kuschelte ich mich wieder an seine Brust und ließ mich von
seinem Herzschlag beruhigen. Ich schlief mit dem Gedanken ein, dass ich meinen
allerersten Kuss einem Engel geschenkt hatte.
Danke für die vielen lieben Kommentare.
Freut mich, wenn die ff jemandem gefällt. ;)