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Kurzgeschichten

das, was ich in ruhigen Minuten fabriziere
von

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Ein Brief

Ihr fragt euch, warum ich es getan habe. Ihr fragt euch, warum ich euch das ohne irgendeine Erklärung oder Vorwarnung angetan habe. Bestimmt tut ihr das, und ich werde euch eine Antwort darauf geben.

Für euch war ich ein nettes Kind, schusselig, unberechenbar und manchmal nervig, aber gut erzogen, höflich, zuvorkommend. Faul, aber trotzdem sozial engagiert. Ihr habt euch auf mich gestützt, auf mich vertraut, wart sicher, dass ich ein nahezu problemloses Leben hatte. Vielleicht hattet ihr ja Recht. Vielleicht war es ja einfach zu problemlos.

Ihr fandet es toll, wie ruhig ich Umgang mit anderen war. Ihr wart begeistert, wie gut ich mich benehmen kann. Stolz, als ihr hörtet, dass ich mich gegen Nazis engagiere. Aber in meinen Träumen lief Blut, viel Blut, mein Hass war groß und meine Gedanken voller Gewalt. Ihr konntet mich vor Gefahren schützen, die von außen kamen, aber nicht vor mir selbst.

Wisst ihr noch, wie ich die Katze von der Straße aufgelesen und zum Tierarzt gebracht habe? Ihr habt mich für meine Tierliebe, für mein Handeln ohne zu zögern gelobt, aber warum ich das wirklich tat, wisst ihr nicht. Ich tat es, um eine Ausrede zu haben, das Blut zu sehen, zu sehen, wie die Katze verreckte. Es lag nicht an der Kate,der Verlust war schade, aber sie hätte so oder so nicht überlebt.

Das alles, diese Gedanken und Gefühle, an denen bin ich kaputtgegangen. Und ihr habt es nicht gemerkt. Ich bin an der ganzen Gesellschaft verzweifelt, angeblich nicht oberflächig, aber dann doch auf Kleidung und Schminke und Ideale aus. Ich wollte das nicht anerkennen, habe es anders gemacht. Und ihr?

Ich bin nicht hässlich. Ich seh nur anders aus als ihr. Trotzdem wollt – oder könnt ihr das nicht wahrhaben. Dabei meine ich niemanden speziell, jeder von euch ist so. Alle, ohne Ausnahme. Speichellecker, Arschkriecher, Spielbälle der Gesellschaft. Und das Schlimmste: Ihr tut nichts dagegen.

Schaut in den Spiegel und ihr seht, was mich so weit getrieben hat.

Schaut in den Kleiderschrank und ihr seht, was mir den Mut gab.

Macht den Fernseher an und ihr hört den Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Ich werde euch nie verzeihen.

Niemals.

Denn ihr seid verantwortlich

- für meinen Tod.

Meine Musik

Ich habe dir gesagt, dass Du es bist.

Ich habe dir gesagt, dass ich dich aufbaue.

Nun, das war so.

Seinerzeit.
 

Du bist ausgerutscht, hingefallen,

auf dem glatten Eis,

das du vorgabst, geschmolzen zu haben.

Ich dachte schon, du bewegst dich nicht mehr.

Und doch hast du dich bewegt, immer wieder,

nur aufgestanden bist du nicht.

Denn was du mir entgegengestreckt hast

War nicht deine Hand, um Hilfe bittend,

Es war dein Finger, anklagend, wütend.
 

Warum beschimpfst du mich,

obwohl DU hingefallen bist?

Du stehst nicht auf, nein.

Und wenn du aufständest und alle jubelten

Ich stieße dich wieder hinunter

So lange

Bis du aufständest

Bevor du den Boden auch nur berührt hättest.
 

Tut es weh, da unten zu liegen?

Warum stehst du nicht auf?

Nimm deinen Finger runter

Er nützt dir nichts.

Es fordert deine Kraft, ihn zu halten

- nutze diese Kraft lieber, um dich hochzustemmen,

dich auf die Füße zu stellen.

Ich wollte dir helfen und will es immer noch.

Aber ich habe die Taktik geändert.
 

Liegst du immer noch?

Ich bringe dir bei, aufzustehen,

wenn auch nicht so, wie DU es willst.

Ich habe meine eigene Musik

Und es satt, nach deiner Pfeife zu tanzen.

Heul nur, es nutzt dir nichts.

Es gibt Dinge, die muss man alleine lernen.

Meine Hand hast du verschmäht,

ast statt dessen gewollt, dass ich dich hebe.

Aber so läuft das Leben nicht, nein.

Ich habe auch Laufen gelernt

Und Aufstehen, und zwar ohne Lift

Nur mit der Hilfe einer Hand.

Aber eine Hilfe nimmt dir nicht alles ab.
 

Also lerne es, sei stark.

Und wenn du nicht laufen kannst, hinke.

Es gibt immer einen Weg,

auch wenn er nicht sichtbar ist,

aber glaube mir:

Mehr als Wegweiser

Bekommst du nicht.

Lauf endlich.

Meine Gitarre über mir

Vor mir das weite Meer, neben mir eine Palme, hinter mir Sand. Hinter dem Sand Meer, neben der Palme Meer, unter mir eine weitere Palme. Meine Hände vertieft in das Spiel auf der Gitarre.

Meine Gedanken kreisen. Es ist vieles passiert in den letzten Tagen. Davids und Kates Trennung, Jojos Flucht - das alles spiegelt sich in meinem Kopf wieder. Und dann Gingers Frage: "Wie ist es, wenn Eltern sich trennen und die Schwester abhaut? Wie beschreibst du das, was nicht zu beschreiben ist?"

Ich kann es nicht beschreiben. Ginger hat das alles auch durchgemacht, sie weiß wie es in mir aussieht. David säuft den ganzen Tag, Kate geht auf den Strich um ihm das Geld dazu zu verschaffen. Beide wollen Jojos Flucht vergessen. Bei Ginger ist es andersherum, Mutter Säuferin, Vater Zuhälter, Bruder abgehauen. Und in beiden Familien hat der Konsum die Hosen an während sich die Geldquelle schindet. Schindet und kaputt machen lässt. Für nichts und wieder nichts.

Die Sonne steht jetzt hoch am Himmel und das Gitarrenspiel meiner Hände geht in Moll über. Jojo. Was wird aus ihr? Sie war meine Schwester, meine Verbündete, meine Lehrerin. Das meiste von dem, was ich gelernt habe über mein Leben als Junge und jetzt, mit 23, als junger Mann kam von ihr - oder doch vielleicht eher als alter Mann?

Die Gedanken kreisen in mir wie Adler, wie Habichte, wie Geier, die meine Eingeweide fressen. Ich würde mich gerne gehen lassen, aber ich kann nicht. Das, was vor wenigen Stunden noch danach schrie alles hinauszuweinen, wegzuspülen, ist jetzt leer.

Jojo. Was ist jetzt, im Moment, in dieser Minute mit ihr? Sie war nicht nur eine großartige Erzählerin, sie war meine Lehrmeisterin, meine Kraftquelle. So vieles, was andere sich hart erarbeiten mussten, brachte sie mir mühelos bei. Beinahe im Spiel. Obwohl sie jünger ist als ich hat sie schon so viel Erfahrung. Dank ihr bin ich mit Ginger zusammen.

Meine Hände spielen schneller, aus traurigen Akkorden wird ein schnelles Tremolo. Ihr Lied. Gingers Lied. Das erste Lied, das ich auf der Gitarre spielen konnte. Das Lied, das sie mir vorspielte, nach unserer ersten gemeinsamen Nacht. Ihr Kopf an meine Schultern gelegt, die Hände mit einem festen, aber nicht verkrampften Griff auf der Gitarre. Ihre Stimme in meinem Kopf. Meine Hände auf der Gitarre.

All this is for you and for ever and if you even do not know what to do with it just sing with me and you will be happy. Because this is for you and for ever and all I want is to be with you right here and now... ein Lied für mich und die Ewigkeit. Danke, Ginger.
 

"Spielst du es noch mal?"

"Nein."

"Warum?"

"Weil es nicht richtig wäre, darum."

"Warum sollte es nicht richtig sein?"

"Man darf es nicht zu oft spielen, sonst verliert es seinen Zauber."

"Was ist nicht zu oft?"

"Höchstens ein mal am Tag."
 

Aber ich spiele es nicht einmal. Ich spiele es zweimal, viermal, so lange, bis die Sonne fast das Meer berührt. Dann höre ich auf und hänge die Gitarre an den Baum, höre den Dialog zwischen Ginger und mir und das Rauschen der Wellen. Erinnere mich, wie es war, als Jojo mir die erste Unterrichtsstunde gab. Höre meine Frage: Ist das nicht gesetzlich verboten? Und ihr Lachen: Wir sind keine Geschwister, ich bin adoptiert.

Langsam klettere ich die Palme hinunter, Gingers Lied auf den Lippen. Gehe auf das Meer zu.

Vor mir das weite Meer, neben mir zwei Palmen, hinter mir Sand. Hinter dem Sand Meer, Neben den Palmen Meer, meine Gitarre über mir.

Langsam steige ich in das Wasser, fühle es kühl meine Waden umspielen, meinen Bauch, meine Brust. Dann schwemmt es meine Gedanken fort.

Four men

Four men went to the beach

No-one saw them

No-one knew them

And no-one would remember

They’ve ever been there
 

Four men went to the beach

One was smoking

One was swallowing

One was blind

And one was drunken
 

They weren’t seen

They weren’t known

They haven’t really

Been there at all
 

And no-one would see them

And no-one would know them

And no-one would remember

They’ve ever been there
 

Unto the last day of time

And space

And life

They even wouldn’t know themselves

Steppendämon

Ruhig lag die Steppe da, nur der Wind wehte leise durch das Gras. Die Tiere, die es hier einmal gegeben hatte, waren schon lange weitergezogen, die Menschen, die hier gejagt hatten, lebten schon lange in den Städten.

Nur einer zog noch hin und wieder in die Wildnis, schwarz gekleidet,

bekannt, aber nicht gekannt.

Geduldet, aber nicht respektiert.

Nur er kannte das wahre Geheimnis der Stadt hinter den Hügeln, der Stadt, deren Geschichte schon lange erforscht werden sollte.

Einer Stadt, von der jeder schon einmal gehört hatte, die aber niemand sehen wollte.

Die niemand sehen sollte.

Niemand.

Die Stadt der Entscheidung.
 

Feuer brannte in der Stadt. Es hatte zuerst keiner der beiden bemerkt, aber es war auf den zweiten Blick nicht zu übersehen.

„Was mag da nur schief gegangen sein?“, fragte sich Ymbassar laut.

„Ich weiß es nicht“, murmelte sein Begleiter, "aber es ist nichts Außergewöhnliches. Es passiert oft.“

Ymbassar fragte nicht, woher er das wusste. Das war Teil ihres Abkommens: Entweder sein Begleiter erzählte etwas von sich aus oder er ließ es bleiben. Sobald Ymbassar nachhakte würde der schwarze Reiter auf dem Apfelschimmel, der so gut mit seinem Sarazenenschwert umgehen konnte, ihn verlassen. Und er würde erst wiederkommen, wenn Ymbassar ihn mindestens einmal gebraucht haben würde. Auch das war ein Teil der Abmachung.

Keine Fragen.

Weder über sein Ziel, noch über seinen Führer.

Aber auch er hatte einen Weg gefunden, zusätzliche Informationen herauszufinden, ohne fragen zu müssen.

„Ich würde es begrüßen, wenn du mir erzähltest, was du weißt.“

Der Reiter schüttelte den Kopf. „Dein Trick, um aus mir vielleicht noch mehr herauszubekommen, funktioniert auch nur dann, wenn ich denke, dass es so in Ordnung ist. Ich kann dir nicht mehr erzählen. Du magst es für listig halten, mich zu bitten statt zu fragen, doch lass dir gesagt sein, das auch eine Bitte eine Frage sein kann. Wenn auch nicht in der Art und Weise, wie ihr eure Fragen zu formulieren pflegt.“

Er zog seine Kapuze tiefer ins Gesicht. Nur noch ein Teil des Kinns war zu sehen und Ymbassar fragte sich nicht zum ersten Mal, wie der Krieger es schaffte, trotzdem alles so scharf zu sehen.

Sie ritten weiter.

Je näher sie der Stadt kamen, desto durchdringender wurde der Geruch von verbranntem Fleisch. Schließlich musste sich Ymbassar ein Tuch vor den Mund halten, um nicht erbrechen zu müssen, und auch sein Pferd wurde immer unruhiger und zitterte trotz der Hitze.

Sobald sie aus der Gegend raus wären, würde Ymbassar drei Kreuze machen, mindestens.

Und er war alles andere als gläubig.

Dem Schwarzgekleideten schien es nichts auszumachen, er lenkte sein nervös tänzelndes Pferd mit jahrelang trainierter Sicherheit.

Ymbassar staunte. Dass der Reiter sein Pferd gänzlich unter Kontrolle hatte, das war ihm schon von Anfang an aufgefallen, doch die Art und Weise, wie er sein Pferd beruhigte, hatte Ymbassar noch nicht gesehen. Dazu war er immer zu weit hinten oder zu weit vorne gewesen. Jetzt sah er dem Ganzen fasziniert zu.

Während sein eigenes Pferd schon fast ausbrach und nur wegen seiner Erfahrung auf Schlachtfeldern und seiner gutmütigen, vertrauensvollen Art noch gehorchte, war das Pferd des Reiters sehr scheu und sehr stürmisch, ein reinrassiger Araber, der bei jeder Kleinigkeit durchging. Doch in diesem Moment war es noch ruhiger als Ymbassars, obwohl die Zügel des Mannes locker hingen. Ymbassar hatte sie, soweit er sich erinnern konnte, noch nie gespannt gesehen. Dafür konnte er durch den leichten Stoff der Hose hindurch die Muskeln des Reiters spielen sehen und er bewunderte ihn für seinen faszinierende Umgangsweise mit Tieren.

„Hör zu, ich kann hier nicht weiterreiten", sagte er, als er das Tier gar nicht mehr beruhigen konnte. "Ich bin ein guter Reiter, aber das Pferd weigert sich, weiterzugehen. Es ist kurz davor, auszubrechen. Können wir hier nicht eine Pause machen, bis sich die Pferde an den Geruch gewöhnt haben oder sich zumindest nicht mehr ganz so sehr daran stören?“

Doch der Reiter antwortete nicht.

Ymbassar seufzte.

Keine Fragen stellen.

Denk an die Abmachung.

Keine Fragen.

Schließlich holte er tief Luft. „Ich würde gerne rasten, um mein Pferd und mich an diesen scheußlichen Geruch zu gewöhnen.“

Der Reiter drehte den Kopf zur Seite. „Du solltest dich mehr an die Abmachung halten, Fremder. In meinem Volk wird jemandem, der sein Wort nicht hält, das Herz bei lebendigen Leib herausgeschnitten."

Ymbassar zuckte zusammen, was der Fremde mit einem grausamen Lächeln zur Notiz nahm. Den Teil hatte er vergessen. Ab dem Ende dieses Tages, da war er sich sicher, würde er nie wieder dieses Wort benutzen.

Abmachung.

Der Schwarze lachte kalt. "Dieses Mal werde ich dich zumindest noch am Leben lassen, aber du solltest dich besser beherrschen."

Ymbassar schwitzte.

Keine Forderungen stellen.

Ein Teil der Abmachung.

Warum nur musste dieser Mann ihn nur so unter Kontrolle haben? Warum konnte er, Ymbassar, ihn nicht allein schon mit seinem Tonfall einschüchtern? Bis jetzt hatte das doch bei jedem geklappt, mit dem er Geschäfte gemacht hatte, warum nicht bei ihm?

Der Reiter schien zu wissen, was in ihm vorging. Sein Lächeln wurde zu einem schneidenden, unheimlichen Grinsen. "Im Übrigen können wir gar nicht rasten. Wenn wir jetzt rasten, leben wir morgen Abend vielleicht nicht mehr. Und das würde ich gerne vermeiden.“

Er sah auf Ymbassars Pferd, dann auf Ymbassar selbst. „Aber ich denke auch, dass es besser ist, wenn wir die Pferde laufen lassen und zu Fuß gehen. So nervös, wie dein Pferd ist, sonderbarer Spion, würde es dich nicht einmal mehr drei Meter zum Ziel tragen. Es ist ein Wunder, wie du überhaupt noch im Sattel bleiben konntest ohne dass es dich abgeworfen hat.“ Aus seiner Stimme schwang beißender Spott mit. "Auch wenn du für die Verhältnisse in deiner Stahlwelt ein guter Reiter sein magst. Hier bist du für einen Berittenen einfach nur eine Schande."

Ymbassar seufzte. Dass er einen Spion genannt wurde, gefiel ihm immer weniger, je öfter der Reiter es tat. Er würde so froh sein, wieder an seinem Buch weiterschreiben zu können, so froh.

Seine Gedanken schweiften ab, zu seinem neuen Haus, seiner Frau, seinen beiden Söhnen. Dann fiel ihm wieder ein, wo er war und was er hier tat und setzte sich wieder grade in seinen Sattel.

„Aber was machen wir ohne unsere Pferde?", fragte er, um seine Unaufmerksamkeit zu überspielen, "wir können nicht zu Fuß den gesamten restlichen Weg zurücklegen.“

Doch der Reiter stieg bereits ab. „Näher als bis an die Stadtmauern kommen wir mit den Pferden so oder so nicht, denn selbst der erfahrenste Reiter kann sie dann nicht mehr vorwärts bewegen. Wir müssten sie anbinden, wenn wir auf ihnen zurückreiten wollten, aber dann wäre das ihr sicherer Tod. Wir können sie nicht mitnehmen.

Ganz abgesehen davon ist die Stadt kein Ort für Pferde, es ist viel zu gefährlich. Nein, wenn ein Spion schon freiwillig in seinen eigenen Tod läuft, dann sollte er seinen Egoismus hintenan stellen können. Immerhin sind auch Pferde nur Lebewesen, und auch wenn sie dem Menschen gehorchen, so sind sie doch oft intelligenter als ihre Herren und haben ein Recht auf ihr Leben. Wir lassen sie laufen.“

Ymbassar konnte sich nicht mehr zurückhalten. In einem plötzlichen Wutanfall stellte er sich im Sattel auf, der bedenklich knarzte. Er ignorierte es und schrie den Fremden an. „Wenn es so gefährlich ist, in die Stadt zu gehen, warum begleitest du mich dann? Wer sagt, dass du nicht einfach ein ganz normaler Pferdedieb bist, der sich eine neue Methode ausgedacht hat? Warum ist es so gefährlich? Warum darf ich keine Fragen stellen? Was ist an der Stadt so gefährlich, dass ich nicht hinein darf?“

Der Reiter sah ihn lange und ausdruckslos an und drehte sich dann mit dem Gesicht zur rauchenden Stadt. Das Schweigen, das herrschte, wurde immer unerträglicher und Ymbassar kam sich, noch immer im Sattel stehend, lächerlich vor, aber er wagte es nicht, noch etwas zu sagen. Sein plötzlich aufgekommener Mut hatte ihn schon verlassen, bevor er das letzte Wort gesagt hatte, und nur sein Stolz hielt ihn noch in seiner Position.

Schließlich fing sein Führer wieder an zu reden, allerdings so leise, dass Ymbassar sich anstrengen musste, um ihn verstehen zu können.

„Ich müsste schon lange nicht mehr an deiner Seite verweilen, Spion. Aber wir sind schon so weit gekommen, dass es jetzt auch keinen Unterschied mehr macht.

Nur die, die vertrauen, können in die Stadt hinein. Vertraue mir und ich werde dich hineinführen können.

Lass dein Pferd laufen. Gehe mir nach. Ich führe dich auf einem alten Weg in die Stadt, den schon die Priester damals nutzten, als sie noch bewohnt war.

Folge mir einfach.“ Er ging voraus.

Ymbassar zögerte. Ein plötzliches Aufwallen von Sympathie, das er sich nicht erklären konnte, hinderte ihn daran, umzudrehen – und warum sollte der Mann ihn anlügen? Welchen Nutzen würde er davon haben?

Schließlich siegte seine Neugierde.

Es dauerte einen Moment, bis er den Krieger eingeholt hatte, und auch dann musste er für zwei Schritte des Schwarzen drei machen, doch das fiel ihm nicht weiter auf und er kümmerte sich nicht darum; er hatte sich bereits daran gewöhnt, dass der Reiter sportlicher war als er selbst, obwohl er um etwa zwei Köpfe kleiner war als Ymbassar.

Zusammen kamen sie an der Mauer an. Sie war noch bemerkenswert gut erhalten, doch auch hier war der Geruch nach verbranntem Fleisch unerträglich, obwohl der Wind sehr stark in die andere Richtung wehte.

Ymbassar sah sich die Mauer genauer an.

Sie war komplett, nichts deutete auf einen Angriff hin. Nicht ein einziger Stein schien zu fehlen, die Holzbrücke, die über den Graben führte, sah aus, als wäre sie erst vor kurzem gebaut worden.

Ymbassar lief es kalt den Rücken hinunter. Warum war die Stadt wohl aufgegeben worden? Hatten ihn nicht die Bewohner des Dorfes vorgewarnt, dass er sich auf viele Unannehmlichkeiten vorbereiten sollte? Woher kam der Gestank, wenn hier niemand lebte? Wie wohl der Reiter darauf reagierte, dass alles so friedlich war?

Doch als Ymbassar sich umsah, war der Kämpfer nicht mehr da, dafür hatte sich das Tor weit geöffnet und er konnte die Fußspuren des Schwarzen sehen. Sie führten mitten in die Stadt.

Außer den Fußspuren war von ihm nichts mehr zu sehen.

Vorsichtig folgte Ymbassar den Spuren, das Schwert gezückt. Kein Laut war zu hören.

Ymbassar ging um die nächste Ecke und ließ beinahe sein Schwert fallen vor Ehrfurcht.

Vor ihm ragte ein riesiger Tempel aus der Erde, der größte, den er je gesehen hatte. Langsam ging er näher heran, die Augen ununterbrochen auf die dunkelrote Kuppel gerichtet. Dann betrat er den geweihten Ort.

Er fand sich in einem riesigen Saal wieder, an den Wänden waren riesige Wandbemalungen zu sehen. Er ging näher.

Es handelte sich um Szenen in diesem Raum, Menschen krümmten sich ohne ersichtlichen Grund auf dem Boden, über ihnen ein furchterregender Priester. Andere wurden von Pferden zertrampelt, von Hunden zerfleischt oder gepeitscht, bis ihnen das Blut die Beine hinunterlief.

„Beeindruckend, nicht wahr?“, fragte eine Stimme hinter ihm.

Erschrocken drehte sich Ymbassar um und stieß mit dem Sprecher zusammen. Vor ihm stand der Schwarze, so nah, dass er seine Körperwärme spüren konnte.

Ymbassar fragte sich, warum er ihn nicht hatte kommen hören.

„Dies hier ist eine Stadt der Toten", erklärte ihm der Schwarze, mit einer viel dunkleren Stimme als der, die er auf dem Ritt gehabt hatte.

"Die Priester lassen die Dorfbewohner in Frieden, weil sie dafür die Touristen opfern.

So ist die Regel.

Keiner darf Fragen stellen, auch das ist die Regel.

Wenn jemand Fragen stellt, ist er des Todes.

Auch das ist die Regel.

Wer keine Fragen stellt, verwandelt sich in ein Pferd und wird auf immer die Freiheit der Steppen genießen dürfen.

Denn jede Münze hat zwei Seiten.

Auch das ist die Regel.“

Ymbassar spürte einen stechenden Schmerz, der sich rasend schnell in seinem gesamten Körper ausbreitete. Er stöhnte.

„Das ist der Preis dafür, dass du die ganze Zeit gefragt hast", fuhr der Fremde fort, "der Preis dafür, dass du mir die ganze Zeit über misstraut hast und der Preis dafür, dass du mir im entscheidenden Moment nicht gehorcht hast.

Der Preis für dein ganzes, verdammtes Leben.

Der Preis dafür, dass du so neugierig warst.

Ich werde dich umbringen, langsam und qualvoll.

Und du wirst nichts dagegen tun können.“

Ymbassar bekam keine Luft mehr. Langsam sank er auf den Boden. Das Stechen ließ nach, doch das merkte er schon nicht mehr. Das Letzte, was er in seinem Leben sah, waren spitze, lange Zähne, die ihn unter einer schwarzen Kutte heraus spöttisch anblitzten.

Der Schwarze kniete sich neben ihn und überprüfte seinen Puls.

Dann drehte er sich langsam um und ging hinaus, um den nächsten Neugierigen zu holen.
 

Sein Pferd, jetzt wieder ganz ruhig, stand vor den Toren, und blickte ihn aus seinen ruhigen, dunklen Augen traurig an.

"Ja", sagte er, "es ist nicht schön für dich, nicht wahr? Aber es muss sein. Die Götter wollen es so. Und nicht jeder kann so sein wie du.

Hundert Jahre sind es seit damals ... oder vielleicht mehr. Du wirst es besser im Gedächtnis haben als ich."

Er nickte und schwang sich auf den breiten Rücken des Tieres.

"Ja", sagte er wieder, und das Pferd trabte langsam an die Mauer, als wollte es sich verabschieden, "so wie es aussieht, wirst du noch eine Weile lang dienen dürfen. Keiner hat sich bis jetzt als würdig erwiesen, aber eins kann ich dir versprechen: Wenn es jemals wieder jemanden mit so reinem Herzen geben wird wie dich, dann werde ich dich nicht mehr in meinem Dienst behalten. Auch wenn du noch so oft beteuerst, dass du dableiben möchtest, ich will dir die Schreie ersparen..

Und nun lauf zurück zum Dorf, Sohn des Schicksals, und hoffe.

Vielleicht wird der Nächste deine Freiheit bedeuten."
 

Und während der schwarze Reiter und sein Pferd auf dem Rückweg ins Dorf waren, bildeten sich auf dem Boden des Tempels rote Linien, flossen wie Blut auf den Leichnam Ymbassars zu und vereinigten sich dort.

Dann fingen seine Haare an zu rauchen und innerhalb von wenigen Sekunden stand das, was noch von ihm übrig war, in Flammen.

Der Stependämon hatte sich sein Opfer geholt.

(Ein Weihnachtsgeschenk, noch ohne Titel)

Wie das alles angefangen hat, weiß ich nicht. Ich weiß noch nicht einmal, ob es wirklich irgendwann angefangen hat oder ob es die ganze Zeit über schon so war. Ob es eine langsame Entwicklung gewesen war oder ob dieses komische Gefühl schon immer da gewesen ist.

Aber wenn es angefangen hat, dann in der Bücherei. Oder Bibliothek. Den Unterschied verstehe ich so oder so nicht. Er saß zwischen den Bücherregalen, genau da, wo ich hinwollte. Das wäre unter anderen Umständen vielleicht kein Problem gewesen, aber ich bin ein Mensch, der es nicht gerne offen zugibt, wenn er Probleme hat. Und vor allem nicht, was für Probleme. Auch dann nicht, wenn der Mensch, der dabeisitzt, ihn gar nicht beachtet.

So wie dieser Typ.

Unschlüssig war ich in diesem Moment, aber auch in gewisser Weise enttäuscht. Ich hätte gerne etwas darüber gewusst – Fakten, nicht das, was man sich darüber erzählte. Aber verscheuchen konnte ich ihn nicht, selbst wenn ich noch so schlecht erzogen worden wäre oder ich ihn noch so gut gekannt hätte. Das war etwas, wovor ich am meisten Angst hatte: Aufsehen zu erregen. Neugierde zu wecken.

Aufzufallen.

Ich betrachtete ihn genauer. Blond, zerzauste Haare. Groß. Vor allem war er sehr schlank und unter seinem Hemd zeichneten sich breite, muskulöse Schultern ab.

Und er saß da, mit dem rechten Knöchel auf dem linken Knie, das Buch auf den Schoß gelegt und den Kopf auf das Bein gestützt. So, als gäbe es außer ihm niemanden auf der Welt. Als würden ihn die Haare, die ihm in die Stirn fielen, nicht im Geringsten stören. Obwohl sie im Licht waren und jeder normale Mensch Probleme gehabt hätte, in dem so entstandenen Schatten zu lesen.

Weltfremd.

Und irgendwie gutaussehend.

Ratlos nahm ich den Buchtitel in Augenschein. Es war nicht leicht, ihn zu erkennen, weil der Stoff seiner Jeans die Buchstaben halb verdeckte, aber in dem Moment, als er umblätterte und sich bücken musste, weil sein Lesezeichen runtergefallen war, konnte ich ihn trotzdem entziffern.

Homosexualität.

Es war nicht gerade ein alltägliches Problem, aber ich war mir sicher, sein Lehrer wäre begeistert gewesen. Jeder Durchschnittsschüler hätte bei einem so brisanten Thema einfach etwas aus dem Internet ausgedruckt oder zumindest das Buch ausgeliehen, damit ihn hier niemand erwischen konnte. Er dagegen saß hier, mitten im Raum, und las.

Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Das Buch, das ich lesen wollte, ja, brauchte, stand direkt über seinem Kopf. Schließlich drehte ich mich um und ging, so leise wie nur möglich. Und je sicherer ich sein konnte, dass er mich nicht hören würde, desto schneller lief ich.

Ich floh.

Stoppen konnte ich erst im Vorraum wieder, auf einem der bequemen Stühle. Dort blieb ich sitzen. Es war schön, man konnte nach Lust und Lauen zum Park hinaussehen, lesen oder einfach nur herumsitzen. Das war das, was ich tat. Sitzen und nachdenken.

Über die Tests. Über den Verdacht der Ärztin. Über die Symptome, die bald schlimmer geworden waren. Und über das Leben. Vor allen Dingen über das Leben. Über was ich ganz bewusst nicht nachdachte, waren meine Probleme. Die, die ich in der Schule hatte. Dinge, die eigentlich, aus meiner momentanen Sicht, absolut unwichtig waren.

"Alles in Ordnung?"

Ich schrak auf. In Gedanken versunken, hatte ich ihn nicht kommen gehört. Jetzt stand er neben mir und lächelte mich an.

Freundlich.

Ich merkte, wie meine Finger zu zittern begannen und verschränkte sie auf meinem Schoß. War es schon so schlimm? Sah man mir die Krankheit schon an? Alles in mir verkrampfte sich und zu einem Nicken musste ich mich zwingen. Aber er ging nicht weg. Er blieb.

Und setzte sich neben mich.

"Wegen was warst du eben in der Abteilung für Problemthemen?"

"Nur so." Die Antwort war draußen, bevor ich über sie nachgedacht hatte. Er hatte mich also doch bemerkt.

Sein verständnisvoller Blick ließ mich aus dem Fenster sehen. Ich konnte ihm nicht in die Augen schauen, zu stark war das Gefühl, dass er wusste, ja, dass er in meinem Gesicht abgelesen hatte, was los war.

Diese Augen ...

"Magst du mir sagen, was dein Problem ist?"

Mir wurde abwechselnd heiß und kalt. "Ich habe kein Problem."

Selbst in meinen Ohren klang es erbärmlich, falsch und einfach nicht wahr. Natürlich hatte ich ein Problem. Aber das konnte und würde ich ihm nicht erzählen, auch wenn er noch so freundlich aussah.

Und dieser Blick ...

"Jeder Mensch hat Probleme." Seine Stimme war ernst und ruhig. "Auch du, sonst wärst du eben nicht weggelaufen."

Mir brach der kalte Schweiß aus. "Woher willst du wissen, wie ich reagiert hätte?", schrie ich ihn an und sprang auf. Mein ganzer Körper bebte und ich merkte, dass das ein Fehler gewesen war. Jetzt aufzuspringen, wegen so einer Banalität, kam einem Geständnis gleich.

Er sah mich noch lange an, mit einem Blick, der gleichzeitig so wissend und freundlich war, dass es mir eiskalt über den Rücken lief. Sah meine zu Fäusten geballten Hände, meinen gehetzten Blick, meine zitternden Finger.

Und nickte.

Ich kann nicht sagen, warum, aber dieses Nicken hatte etwas Beruhigendes, ein Loslassen aus diesem verstehenden Lächeln. Fast automatisch entspannte ich mich und das Zittern wurde schwächer.

"Okay", sagte er einfach nur. "Aber wenn du vielleicht doch irgendwann ein Problem hast, bin ich für dich da."

Dann stand er auf und ging.

Zuerst blieb ich noch eine Weile stehen, mit geschlossenen Augen, und atmete tief durch, dann, als ich mich wieder unter Kontrolle hatte, ging ich zurück zu dem Gang, in dem er vorhin gesessen hatte.

Das Buch war ein dicker Wälzer mit bestimmt 1500 Seiten, ein Lexikon. Ich las den Artikel zweimal, als ich ihn gefunden hatte, nur um sicher sein zu können, dass ich ihn auch wirklich richtig verstanden hatte.

Heilung nur im Frühstadium möglich.

Unter Schock stellte ich das Buch zurück und ging nach Hause. Ich war ganz sicher nicht mehr im Frühstadium, bestimmt nicht. Der Besuch beim Arzt war bereits drei Monate her.

Leise aber durchdringend hallte die Stimme der Ärztin in meinem Kopf wieder. "Ich kann dir nichts Genaues sagen, aber du solltest einen Bluttest machen lassen. Es besteht der Verdacht, dass du sehr krank bist ..."

Am Telefon hatte sie es meiner Mutter gesagt, meine Mutter hatte es mir gesagt. Sie versprach, sich um den Termin für den Bluttest zu kümmern.

Und vergaß es.

In der Zwischenzeit waren die Schmerzen schlimmer geworden, es wurde immer schwerer, mir die Krankheit nicht anmerken zu lassen. Ich spielte Theater, in der Schule, zu Hause, überall.

Aber zu dem Zeitpunkt erfand ich noch Ausreden, wollte es nicht wahrhaben.

Es durfte nicht sein. Nicht diese Nachricht. Ich musste mich irren.

Nächstes Mal.

Nächstes Mal würde ich nach weiteren Informationen suchen, mehr wissen.

Aber jetzt wollte ich nur noch nach Hause.
 

Wenn ich von nun an zur Bibliothek ging, spielte sich immer wieder die gleiche erstaunliche Szene ab: Ich kam zur Problemthemenabteilung, er sah von seinem Buch auf, klappte es zusammen und ging in den Vorraum, um dort weiterzulesen.

Dann war ich alleine.

Ich fand schnell, was ich suchte, machte Notizen, schlug Unbekanntes nach. Innerhalb eines Monats hatte ich bereits meinen Collegeblock fast vollgeschrieben. Jeden Tag drei Stunden lang in der Bibliothek zu sitzen machte sich eben doch bezahlt. Dass ich mich für mein langes Wegbleiben nicht rechtfertigen musste, da meine Eltern ganztags arbeiteten, machte es bedeutend leichter. Solange ich zu Hause war, bevor sie kamen, war alles in Ordnung.

Fast alles.

Manchmal, wenn ich auf meinem Stuhl saß, merkte ich, wie mir die Luft wegblieb. Dann dauerte es mal fünf, mal zehn Sekunden, manchmal aber auch länger, bis ich wieder atmen konnte. Das war das Schlimmste: Zu wissen, dass ich krank war, zu wissen, dass jeden Moment alles einfach aufhören konnte.

Denn auch, wenn ich es nicht wahrhaben wollte und noch immer nach der Bestätigung suchte, dass ich eigentlich gar nicht krank war, konnte ich mir nichts mehr vormachen.

Ich war krank.

Sehr krank.

Ab und zu, in dem Momenten, wo es gar zu schlimm wurde, war ich mir sicher sterben zu müssen. Das waren die Sekunden, in denen vor meinen Augen alles merklich dunkler wurde und ich Sterne sah, bis ich urplötzlich wieder zu Atem kam.

Kurz bevor es das erste Mal passiert war, eröffneten mir meine Eltern, sie wollte Urlaub machen. Alleine. Gaben mir Ratschläge, Nummern für Notfälle, fragten mich, ob alles in Ordnung wäre.

Ich sagte ja.

Schließlich war ich nicht krank.

Dachte ich.

Hoffte ich.
 

Und dann war da immer noch dieser Typ.

Auch, wenn ich aus der Bibliothek gehen wollte, saß er noch im Vorraum, wartete darauf, dass ich fertig würde oder machte Aufgaben. Sein Lehrer musste ihm ein wirklich teuflisches Referat aufs Auge gedrückt haben, die Bücher über die verschiedensten Arten von Sexualität türmten sich regelrecht neben ihm. Er schien kein Zuhause zu haben, als gehörte er zur Einrichtung.

Sein Blick.

Das war es, was mich an ihm anzog und gleichzeitig abstieß. Er sah mich immer an, als wüsste er, was los ist, als könne er bis auf den Grund meines Daseins blicken.

An eine Seele glaubte ich schon da nicht mehr.

Und jedes Mal, wenn ich an ihm vorbeilief, war es, als würden sich in meinem Kopf die Worte wiederholen, die er am ersten Tag gesagt hatte.

Jeder Mensch hat Probleme. Auch du, sonst wärst du vorhin nicht weggelaufen...

...aber wenn du vielleicht irgendwann doch ein Problem hast ...

... bin ich für dich da.

Irgendwann, weiß der Teufel, warum, setzte ich mich schließlich wirklich neben ihn.

Und erzählte.

Von meinen Eltern, die im Urlaub waren. Von meinen Geschwistern. Von meinen Freundinnen, der Schule und unseren Nachbarn, die vor zwei Wochen geheiratet hatten. Von meinem Austausch, an dem ich vor einem Jahr teilgenommen hatte. Und von meiner Krankheit.

"Krebs", sagte ich ganz einfach. So einfach, als wäre es das Normalste der Welt, neben jemand Wildfremden zu sitzen und ihm sein komplettes Leben auszubreiten. "Die Ärztin hatte schon von Anfang an den Verdacht, aber ich wollte es nicht glauben. Und ich denke, ich wusste genau, dass es stimmt, sonst hätte ich meine Mutter an den Termin erinnert. Aber darauf bin ich auch erst gekommen, als ich hier war."

Es war erstaunlich, wie leicht es war, sachlich zu bleiben. In dem Moment, als mir die Bemerkung "und in spätestens zwei Monaten bin ich tot" rausrutschte, klang es in meinen Ohren wie eine nebensächliche Information. Genausogut hätte ich sagen können, dass ich demnächst eine Zahnspange tragen muss. Gleiche Betonung, gleicher Klang.

Es berührte mich nicht.

Wir saßen eine ganze Weile da und schwiegen uns an, er sah mich an, ich sah zum Fenster raus. Und dann ...

Dann umarmte er mich.

Einfach so.

Wahrscheinlich war es einfach nur genauso normal wie jemandem Wildfremdes zu erklären, dass man Krebs hatte, dass man in zwei Monaten nicht mehr am Leben sein würde und dass die Eltern in genau diesem Moment auf Menorca sich die Sonne auf den Pelz scheinen ließen.

Einfach so eben.

Und in dem Moment, als er mich in den Arm nahm und ich merkte, wie mein ganzer Körper sich versteifte, damit er bloß nicht mitbekam, was er eh schon wusste, brach die Mauer zusammen, die ich um mich herum aufgebaut hatte. Zuerst spürte ich nur einen Kloß im Hals, dann lief mir die erste Träne über die Wange und kurz darauf verlor ich auch den letzten Rest Selbstbeherrschung und machte meiner ganzen Angst in einem einzigen Heulkrampf Luft.

Scheiß drauf, was er von mir dachte.
 

Ich habe keine Ahnung, wie lange wir dasaßen und er mir einfach nur über den Kopf strich. Vielleicht war es eine Stunde, vielleicht auch nur eine halbe, aber das war in dem Moment egal. Tatsache ist, das es unglaublich gut tat.

Und von dem Moment an waren wir unzertrennlich.
 

Auch wenn man das jetzt denken könnte, und ich bin mir sicher dass das auch sehr viele tun, waren wir kein Paar. Es war etwas ... Besonderes. Ich weiß, es klingt kitschig, aber wir waren einfach nur beste Freunde. Auch wenn die Bezeichnung nicht ganz stimmt, trifft sie noch am ehesten zu. Dass wir so etwas wie Geschwister waren stimmt genausowenig: Geschwister können sich gut verstehen, aber unsere Freundschaft war für Geschwister zu intim und für eine normale Freundschaft zu persönlich. Es ist schwer zu erklären, aber ich hoffe, man merkt was gemeint ist.

Abgesehen davon hingen wir wirklich jeden Tag aneinander. Wir gingen zusammen in den Park, machten irgendwelchen Unsinn, kauften zum Beispiel Gasluftballons und banden sie einer Taube an den Fuß, um herauszufinden, ob sie stark genug ist, um sich gegen den Zug nach oben zu wehren (sie entkam allerdings in dem Moment, als wir ihr die Ballons schon fast um den Fuß gebunden hatten), kitzelten uns stundenlang durch um festzustellen, ob man davon wirklich auch nachhaltigen Muskelkater bekommen kann, philosophierten über mal mehr und mal weniger jugendfreie Themen und ignorierten es, wenn ich mal wieder einen meiner Anfälle bekommen hatte.

Manchmal wurde er genau in den lustigsten Momenten still, immer dann, wenn er damit den Witz der ganzen Situation kaputt machen konnte. Am Anfang fragte ich ihn noch, was los war, aber als er dann immer nur etwas seltsam lächelte und mich fragte, welche Farbe ich für seinen Sarg aussuchen würde, gab ich es irgendwann auf. Ich konnte nichts mit ihm anfangen wenn er sarkastisch wurde.

Abgesehen davon hatten wir eine sehr schöne Zeit und ich war mir sicher: Wenn der Tod jetzt käme, würde ich glücklich sterben.

Was mich irritierte, war die direkte und persönliche Art, die er manchmal zeigte. Meistens war das, wenn wir im Park waren.

Dabei war es noch nicht einmal so wichtig, ob das was ich sagte oder tat einfach nur so dahergesagt war oder ob ich wirklich länger darüber nachgedacht hatte. Ich fand es einfach ein wenig gewöhnungsbedürftig, dass er auf eine Bemerkung wie "schade, dass ich noch nie einen Jungen geküsst habe" mich zuerst mit einem langen, etwas seltsamen Blick bedachte und sich dann ohne jede Vorwarnung zu mir rüberlehnte.

Es war schön, das bestreite ich nicht, aber trotzdem seltsam. Er war schließlich nicht mit mir zusammen, und wer lässt sich schon von seinem Bruder küssen? Und vor allem ... so?

Das nächste Mal, als wir auf einer Party eingeladen waren, und er mit mir nach draußen gehen musste, weil ich wieder keine Luft bekam, kamen wir schließlich aneinandergelehnt zurück, ich noch immer etwas zittrig. Dass sich ein Großteil der Leute ihren Reim darauf machten und zu sticheln anfingen, konnte ich dementsprechend noch verstehen. Aber musste er dann unbedingt so tun, als wären wir wirklich zusammen?

An dem Abend stritten wir uns zum ersten Mal.

"Kannst du mir vielleicht verraten, was deine Hand an meinem Arsch zu suchen hat?", schrie ich ihn an. "Falls das nicht klar ist: Ich will nichts von dir! Ich mag dich, ich komme gut mit dir aus, aber das hat nichts damit zu tun, dass ich mit dir zusammen bin! Schmink dir das ab!"

Er hob bloß abwehrend die Hände. "Schon gut, ich hab's verstanden. Kein Fummeln mehr auf Partys, auch nicht wenn's nur ein Spaß ist. Okay. Aber kannst du mir mal verraten, warum du mich jetzt so anschreist? Ein einfaches Nein oder Stopp hätte es auch getan."

"Warum?" Ich funkelte ihn wütend an. "Damit du auch auf jeden Fall verstehst, und zwar nicht nur geistig oder körperlich, dass ich nichts von dir will!"

Er grinste und in dem Moment hätte ich ihn, so wie er war, in den Boden stampfen können.

Dieses Grinsen war einfach zu viel.

Und während ich wütend abrauschte hörte ich ihn nur noch leise, ganz leise hinter mir herrufen: "Ich find's gut, dass wir uns so gut verstehen!" Sein Lachen klang, als würde es zum Rauschen der Blätter dazugehören, so weit war er bereits weg. "Ich will nichts von dir, wirklich nicht! Verdammt noch mal, ich bin schwul!"

Zu der Zeit hätte ich noch nicht gedacht, dass das alles irgendwann vorbei sein würde. Ich habe gesagt, dass ich nicht weiß, wie es genau angefangen hat oder ob es die ganze Zeit schon so gewesen war, dass wir uns so gut verstanden haben. Gegen Ende wusste ich genausowenig darüber, wie es jemals ohne ihn sein würde, wie darüber, wie es angefangen hatte.

Schlussstrich war an einem Abend, an dem ich drei oder vier Atemnotattacken hintereinander gehabt hatte. "So kann das nicht weitergehen", hatte er gesagt.

Dann unterhielten wir uns noch lange Zeit darüber, wie es wohl sein würde, wenn ich sterben müsste, wie ich mir den Tod vorstelle und der ganze Kram, über den man redet, wenn man nicht wirklich ein Thema hat.

Sehr spät am Abend ging er dann nach Hause.

Das war das letzte Mal, dass ich ihn sah.
 

Ist es nicht ironisch? Genau an dem Platz, an dem wir über die Auferstehung von Leichen und das Leben nach dem Tod geredet haben, ist jetzt dein Grab. Eigentlich weiß ich nichts über dich. Wer ist zum Beispiel die Frau, die immer wieder die Blumen gießt? Oder der junge Mann, der immer zwischen zwölf und halb eins kommt, sich mit einem knappen Gruß neben mich setzt und traurig den Grabstein anstarrt, auf dem dein Name steht, bevor er geht?

Der Friedhof hat etwas Beruhigendes. Hier ist es leise, wenn ich hier sitze muss ich mir kein albernes Gegiggel antun, wenn kleine Teenagermädchen auf ihren zu hoch geratenen Stöckelschuhen durch die Gegend stöckeln.

Und vor allem kann ich nachdenken.

Wann ich will.

So viel ich will.

Eigentlich ist es gar nicht so schlimm, das du gestorben bist. Schlimmer finde ich, das du mich verraten hast. Du hast mir versprochen, da zu sein wenn ich sterbe. Du hast versprochen, dass du mich nie alleine lässt.

Und jetzt?

Jetzt ist alles, was ich von dir habe, eine blasse Erinnerung und ein paar leere Worte, die mir durch den Kopf spuken, sobald ich die graue Inschrift anstarre. Und alles, was ich wirklich mit Sicherheit über die Beerdigung sagen kann, ist: der Sarg war dunkelbraun.

Ich war noch nicht einmal eingeladen.

Mir kommt es so vor, als wäre ich der Pausenclown gewesen, der noch nicht einmal der Familie vorgestellt werden muss. Der, dem man prinzipiell nicht sagt, dass man schwerkrank ist. Hattest du nicht etwas von Vertrauen gesagt? Was ist damit? Hattest du jemals auch nur eine Vorstellung von Vertrauen?

Aber um genau zu sein: Ich kann das auch ohne dich. Ich brauche dich nicht, um leben zu können.

Und um zu sterben erst recht nicht.

Verräter.
 


 

Junges Mädchen tot aufgefunden

Am 16.08.2006 hat sich ein siebzehnjähriges Mädchen in der Bleichstraße das Leben genommen. Sie hatte sich in der Badewanne ihres Elternhauses mit einem scharfen Messer die Pulsadern aufgeschnitten, nachdem sie sich mit den verschreibungspflichtigen Schmerzmitteln ihres Vaters betäubt hatte.

Die Eltern, die von einem vierzehntägigen Urlaub zurückkamen, fanden die Leiche gestern gegen Mittag. Der Verwesungsprozess hatte bereits eingesetzt. Die Polizei schließt eine Verzweiflungstat nicht aus.

Wie die Schnappschildkröte zu ihrem Namen kam

Lang, lang ist's her, da lebte einmal auf einer kleinen, süßen Insel eine kleine, süße Schildkröte. Wie die Schildkröte hieß habe ich vergessen, aber das interessiert hier glaube ich sowieso keinen. Damals war noch die Zeit, als Schildkröten entweder keinen oder absolut dämliche Namen hatten, und die Protagonistin bloßzustellen wäre kontraproduktiv.

Diese Schildkröte jedenfalls lebte friedlich und glücklich in ihrem dortigen Gewässer, und sie lebte wohl auch heute noch friedlich und glücklich dort, wenn... ja, wenn nicht der Mensch gewesen wäre.
 

Der Mensch tat die ganze Zeit recht freundlich, weswegen die Schildkröte auch nie einen Grund dazu sah, sich ihm gegenüber unfreundlich zu verhalten. Die beiden wurden gute Freunde und redeten miteinander, Stunden, nein, Nächte, ja sogar Wochen vergingen wie im Fluge, und während sie sich gegenseitig über ihr Herkunftsland ausfragten, Familienstand, Kinderwünsche, Heiratspläne, Verkupplungsversuche und was Menschen und Schildkröten sonst noch so beschäftigt wenn sie nichts zu tun haben, fiel ihnen langsam auf, dass die Früchte, die ihnen anfangs noch recht gut geschmeckt hatten, ihnen nach und nach immer mehr zum Halse heraus hingen. Was auch immer sie essen wollten, nichts war nach ihrem Geschmack, und während die Schildkröte mehr und mehr verzweifelte, hatte der Mensch eine Idee.

Es ist wohl überflüssig zu sagen, dass die Idee zunächst gar nicht so übel zu sein schien: Da der Mensch ja, klug wie er war, nicht ohne Vorräte auf die Insel gegangen war, hatte er zufälliger Weise noch einige Gläser Dosenwürstchen übrig, die er aufgrund des reichen Früchtevorkommens ja zunächst nicht gebraucht hatte. Nicht, dass die auch nur geringfügig genießbarer waren, aber nach so langer Zeit, in denen sich die beiden von Früchten ernährt hatten, erschien ihnen das Glas wie das Paradies auf Erden, das von Engel Gabriel auf seinen goldenen Schwingen-...

Ich schweife ab. Nun, jedenfalls betrug es sich so, dass der Mensch auch der Schildkröte etwas von den Würstchen abgab, schließlich waren sie ja befreundet und Freunde teilen ja Freud und Leid und alles andere mit dazu, so zumindest der Mensch, aber da der unbestreitbarer Weise während seines kurzen Lebens insgesamt mehr Mist zusammenschwafelte, als im Meer seit Anbeginn der Zeit Fische gelebt hatten, werde ich das hier nicht weiter ausführen. Um es kurz zu machen, der Schildkröte sagte der Geschmack der Würstchen ebenfalls zu und zusammen schmausten sie und waren wieder friedlich und glücklich bis an ihr Lebensende...
 

Oder zumindest wäre es so gewesen, wenn die Insel nicht die einzige Insel gewesen wäre, auf der diese Art von Schildkröten lebten, und natürlich wenn die Kokospalmen der Insel nicht zufälliger Weise alle gleichzeitig für die Insulanischen Spiele trainiert hätten. So jedoch kam es, dass der Mensch die Schildkröte mitsamt ihrer Familie, deren Familien und deren Familien, also kurz gesagt die gesamte Gattung dieser Schildkröten, mit zu sich nach Hause nehmen wollte, um ihnen eine Abwechslung von den langweiligen Früchten zu bieten und Würstchen, so viele sie nur essen konnten, denn der Mensch war außerdem Würstchenfabrikbesitzer und ein wenig profitgeil, aber das ist eine andere Geschichte.

Jedenfalls waren die Schildkröten und der Mensch gerade dabei, das Schiff zu besteigen, als die Palmen anfingen, für die Disziplin des Nusswerfens zu trainieren. Viele Nüsse stürzten in die Fluten und ertranken, noch mehr starben den Tod durch Gefressenwerden... aber da es momentan nicht um das armselige Ableben der Kokosnüsse geht sondern um die Geschichte der Schildkröten und des Menschen, die ja noch immer dabei sind, das Schiff zu besteigen, muss wohl auch gesagt werden, dass einige Nüsse gerettet wurden und statt in ihren Tod auf die Köpfe der Schildkröten und des Menschen fielen. Nun waren es nicht viele Schildkröten und nur ein Mensch, aber Tausende und Abertausende Kokosnüsse, weswegen die Trefferquote recht hoch war.

Die nun leicht geschädigten Schildkröten und der Mensch bemerkten von dieser Begebenheit allerdings nicht viel, da sie sich dank einer äußerst starken Gehirnerschütterung an nichts mehr erinnerten, und machten da weiter, wo sie gewesen waren, als wir sie das letzte Mal verließen, um umzuschwenken auf das Schicksal der armseligen, bemitleidenswerten, nun fast ausgerottete Art der Kokos-...

Nun, der Mensch brachte die Schildkröten jedenfalls zu seiner Heimat. Während der Fahrt stellte sich jedoch heraus, dass sowohl die Schildkröten wie auch der Mensch nun so geistig verwirrt waren, dass sie Würstchen nicht mehr von Fingern und Zehen unterscheiden konnten. Das war nicht weiter schlimm, kein vernünftiger Mensch braucht heutzutage noch seine Zehen und Finger, und so kamen sie auch (fast) unbeschadet an Land.
 

Wie es der Zufall aber nun wollte, bemerkten die Menschen an Land nicht die Schildkröten an Bord, da sie voll und ganz damit beschäftigt waren, den Mensch, der ihrer Meinung nach nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte, womit sie nicht so ganz daneben lagen weil er seine einzige während der Schifffahrt versehentlich fallen gelassen hatte, wegzusperren, angeblich um ihn vor sich selbst zu beschützen.

Die weitere Rolle der Schildkröten ist hier schnell erzählt: Als sie merkten, dass sich niemand mehr um sie kümmerte, gingen sie von selbst an Land, um nach diesen wundervollen Würstchen zu suchen, deretwegen sie gekommen waren... den Rest kann der Leser sich wohl denken.

Und auch hier lässt sich nur die unglaubliche Dummheit des Menschen bemerken: Statt einen Zusammenhang herzustellen zwischen dem Würstchenfabrikant ohne Finger und Zehen und den scheinbar aggressiven Schildkröten, erklärten die Wissenschaftler den Mensch zu einem unheilbaren Irren und die Schildkröten zu einer neuen Art. Nun, wenn es sie glücklich macht...
 

Und die Moral von der Geschichte: Wenn du eine Schnappschildkröte triffst, hau ihr eine Kokosnuss auf den Kopf – bewiesen ist nichts, aber vielleicht lässt sich das Ganze ja auch rückgängig machen...?

(Oder auch im Volksmund: ein Schlag auf den Hinterkopf erhöht das Denkvermögen... ;D)

Spürst du

Spürst du nicht auch manchmal

das Bedürfnis

ich liebe dich zu sagen

ohne es zu meinen

nur um es gesagt zu haben?

Um Nähe zu spüren

und Wärme

Um Liebe zu bekommen

und zurückgeben zu können?
 

Spürst du nicht auch manchmal

das Bedürfnis

Ich liebe dich zu sagen

ohne es zu meinen?

Abschied

Es war sehr dunkel in ihrem Zimmer, aber sie wollte nicht aufstehen, um das Licht anzumachen. Von draußen kam eine warme Brise in den Raum, das einzige Leben in ihren vier Wänden. Nichts war mehr, wie es einmal gewesen war. Sie war allein.
 

Durch die Zweige der alten Eiche vor ihrem Fenster sah sie, wie die Sonne den Horizont berührte. Es war erst Sommer, aber dennoch war der Baum schon kahl, geradezu als fühlte er ihrem Schmerz. Kannten Bäume Emotionen? Begriffen sie, was um sie herum vor sich ging? Oder lebten sie gar nicht wirklich, existierten einfach, einsam, ewig, ein Zeugnis der Zeit und doch auch wieder nicht?

Eine Stimme hallte in ihrem Kopf wieder, eine gefühlte Ewigkeit vor heute gehört und nur noch ein kraftloser Schatten dessen, was sie ihr vorher bedeutet hatte. "Ich komme zurück, wenn die Geburt ansteht." Weit, weit entfernt... so weit. Unantastbar, unerreichbar, als wäre es nicht erst vor zwei Monaten gewesen. Als wäre er schon Ewigkeiten fort. Aber sie spürte, dass das keinen Unterschied gemacht hätte. Er würde erst in einigen Tagen erfahren, was passiert war, wenn er in die nächste größere Stadt käme. Bis dahin wäre sie tot, tief, tief in ihr wäre nichts mehr übrig, das der Schmerz noch zerstören könnte. Tot... tot... ein so leeres Wort für eine solche Grausamkeit, für so ein Ding der Unmöglichkeit.

Eine leichte Bewegung ließ ihren Blick zur Seite wandern. Direkt neben ihr, an der Gardine, hing ein Schmetterling; ein bunter Fleck, umrahmt von den warmen Strahlen der Abendsonne. Als seine Flügel, wie von ihrer plötzlichen Bewegung erschrocken, auseinander klappten, starrten ihr tiefblaue Augen entgegen. Aus ihrem Leid gerissen runzelte sie die Stirn. Sie hatte ihn nicht kommen gesehen.

Vorsichtig näherte sie sich ihm und fing ihn in ihrer hohlen Hand. Sie konnte nicht anders als diese fremdartige und doch ihr bekannte Schönheit zu bewundern, sie mit ihren Blicken zu verschlingen, sie in ihrem Gedächtnis aufzubewahren wie einen Schatz, während der Schmetterling verzweifelt versuchte, aus seinem plötzlichen Gefängnis auszubrechen.

Sie musste schlucken. "So zerbrechlich", flüsterte sie kaum hörbar und ihre freie Hand wanderte unbewusst zu ihremjetzt leeren und verletzlichen Bauch. "So zerbrechlich..."

Entschlossen gab sie den Schmetterling wieder frei. "Sag es ihm", bat sie das Tier. "Sag ihm, was passiert ist. Sag ihm, ich brauche ihn."
 

Und während der Schmetterling vom Wind dem Abendrot entgegen getragen wurde, sank sie in sich zusammen und fing endlich, endlich an zu weinen.

Magie

Biegen, Beugen, Strecken,

Sprung

Im Rhythmus

mal schnell,

mal langsam.

Füße die fliegen,

hin, her, auf den Spitzen

hinein ins Leben.
 

Stunde um Stunde

Bewegung

Faszination

Zauber

im Rhythmus.

Mal schnell,

mal langsam.

Niemals Stillstand.
 

Kein Mensch, kein Tier,

kein Wesen,

nur noch Gefühl,

sich wiegend zur Musik.

Mal schnell, mal langsam,

immer im Takt,

immer Bewegung

im Paukenschlag.
 

Eine Flamme, züngelnd

zum Himmel herauf

dann eine Gazelle

auf der Flucht

verfolgt vom Löwen

Anmut und Grazie.

Afrika lebt

im Spiel der Geigen.
 

Crescendo

schnell, nicht mehr langsam

hektisch

suchend

Einsamkeit auf Füßen.

Unerreichbar,

die Bühne als Todesschlucht.
 

Der Vorhang fällt

Applaus

Begeisterung.

Die Tänzerin,

jetzt wieder Mensch,

sitzt auf dem Boden

und weint.

Träume

Der Raum war so leer, dass Jennifer ihren Atem wiederhallen zu hören glaubte. Er war klein, aber ihr erster eigener Raum. Keine Leihgabe, ihr Besitz. Und der Rest der Wohnung würde folgen, sobald er fertig repariert war.

Nein, etwas Besonderes war es wirklich nicht, die Wohnung hatte keine gute Lage, sie hatte keine großartige Aussicht. Die Nachbarn kannte sie auch noch nicht, aber nichts konnte sie von ihrem Hoch herunterholen. In zwei Wochen schon würde sie einziehen, zusammen mit dem besten Ehemann den sie sich hätte vorstellen können.

Sie machte die Augen zu und stellte sich vor, wie eine frische Frühlingsbrise durch das Zimmer wehte. Sie hörte den Ruf der Vögel von draußen kommen, das Zwitschern und Flattern, das Singen und Schimpfen. Sie konnte nicht anders, sie musste die Augen einfach wieder öffnen.

Die Strahlen der Sonne malten ein buntes Mandala an die Wand, gebrochen vom Windspiel vor dem Fenster. Jennifer machte einen faszinierten Schritt vorwärts, dann noch einen. Schließlich stand sie vor dem bunten Lichterbild, angezogen von einer so einfachen und doch so faszinierenden Schönheit. Der rauhe Putz streichelte beim Darübergleitenlassen ihre Fingerspitzen wie die Unterseite einer Hundepfote, unnachgiebig, aber auf seine Art und Weise doch wieder weich.

Sie legte die flache Hand auf die Wand, spürte ihre Wärme dort, wo die Sonne sie berührt hatte. Sogar einen Herzschlag konnte sie spüren, so sehr vertiefte sie sich in ihre pure Empfindung. Es schien, als atmete das Haus, als reagierte es auf sie. "Hallo Jennifer", murmelte es ihr zu, hieß sie willkommen und nahm sie in sein Innerstes auf. Sie lief an der Wand entlang, kitzelte ihre Haut, strich über das Grau und ließ es bis in ihre Seele wandern. Nur, dass das Grau nicht länger grau war. Dort, wo ihre Hände den Putz berührt hatten, wurde er gelb, so gelb wie Sonnenblumen im August auf dem Höhepunkt ihrer Blüte und dieses Gelb, das zuerst nur wenige Stellen zierte, breitete sich langsam aus. Es kroch über die winzigen Hügel und Täler der Wand, über Jennifers Finger, durch sie hindurch. Es erfüllte sie, durchdrang ihre Poren und machte, dass sie sich frei fühlte, so frei...

Sie lehnte sich in die Farbe, fühlte, wie sie nachgab und die junge Frau sicher in sich bettete. Sie wurde sanft hin und her geschaukelt, gewiegt wie ein kleines Kind. Vollkommener Trost umhüllte sie, deckte sie zu. Alle ihre Sorgen waren wie weggeblasen, nichts war mehr wichtig genug um diese so starken Gefühle beiseite schieben zu können. Nichts, nur noch die Freiheit, der Frieden, die alles umfassende Sicherheit die sie hier und jetzt spürte und die sie nicht mehr losließen...
 

"Jennifer?" Kevin machte vorsichtig einen Schritt auf seine Frau zu und schloss sie in seine Arme. "Woran denkst du gerade?"

Es schien, als hätte er sie von weit, weit weg zurückgeholt. Zuerst blinzelte sie nur, wie um zu realisieren wo sie sich wirklich befand, dann aber schaute sie ihn aus den strahlend grünen Augen an, in die er sich vor so langer Zeit verliebt hatte.

"Ich musste gerade... nichts." Sie lächelte und die Wärme, die von ihr ausging, übertrug sich wie von selbst auch auf ihn. "Was hältst du davon, die Wände hier gelb zu streichen?"

"Es ist deine Wohnung", sagte er sanft. "Du entscheidest, wie wir welches Zimmer streichen."

"Ich denke, gelb passt hier perfekt."

"Gut." Er küsste sie auf die Schläfe. "Also streichen wir dieses Zimmer gelb."

Und zusammen sahen sie der Abendsonne zu, wie sie draußen langsam aber unaufhaltsam unterging.

Die Nacht würde kalt werden.

Silvesterabend

Sie hörte erst am See wieder auf zu rennen. Dort, im Schatten der alten Weide, ließ sie sich frierend und traurig auf die kleine Parkbank fallen.

"Entschuldigen Sie", kam es schnarrend von hinten, "ich möchte Sie nicht stören, aber ist es Ihnen Recht, wenn ich mich zu Ihnen setze? Die Bank ist normal mein Schlafplatz..."

Sie nickte und das Lumpenbündel, denn nichts anderes erkannte man mehr von dem mann, plumpste neben ihr auf die Bank.

"Allein um diese Zeit?", schnarrte es. "In der Nacht zu Neujahr?"

Wieder nickte sie. "Probleme zu Hause", sagte sie. Ein mitfühlendes Seufzen von der Seite, dann war es wieder still.

"Ich wünschte, ich wäre noch ein kleines, naives Kind", brach es aus ihr heraus. "Dann wäre es so einfach, in meinen Eltern noch die allmächtigen Erwachsenen zu sehen."

Der Mann knurrte zustimmend. "Dann wäre jeden Tag eine warme Mahlzeit auf dem Tisch."

"Dann könnte ich es hinnehmen, wenn meine Mutter wieder zu viel getrunken hat und lauter wird, weil ich es nicht bemerken würde."

"Dann hätte ich einen kleinen fetten Kater namens Kasimir, der mein bester Freund wäre."

In stillem Einverständnis schwiegen sie und jeder hing seinen Gedanken nach.

"Dann könnte meine Mutter mich nicht einfach beiseite schieben und ignorieren", fuhr sie schließlich leise fort. "Sie müsste auf mich aufpassen und mich beschützen, damit mir beim Böllern nichts passiert. Dann könnte sie nicht mehr alle Verantwortung für die Kinder auf mich abschieben, weil ich selbst noch ein Kind wäre. Dann könnte ich das Feuerwerk Jahr für Jahr bewundern und mich freuen ohne zu wissen, dass das neue Jahr doch nur wieder an das alte anknüpft."

"Dann könnte ich darauf vertrauen, es immer warm zu haben", ergänzte er, "dann wäre ich sicher. Dann könnte ich mich mit meinen besten Freunden prügeln und nach zehn Minuten wäre alles wieder im Lot."

Der Qualm der Silvesterkracher verzog sich und sie starrten zum Himmel hinauf. Er zog eine Flasche aus seiner Jacke und reichte sie ihr.

"Auch nen Schluck?", fragte er. Sie nickte und trank.

"Weißt du", murmelte sie deprimiert, "das Leben ist scheiße. Etwas hört auf, das andere baut darauf."

Er nickte.

"Man hat keine Freiheit, es bleibt stets alles beim alten."

Wieder nickte er. Schweigen.

Endlich stand sie auf. "Ich muss zurück nach Hause", seufzte sie, "man wird mich schon vermissen. Frohes neues Jahr noch."

Glucksend sah er ihr nach. "Ebenso", antwortete er mit einem Hauch Ironie, "ebenso."

Freiheit

Könnte ich tanzen, könnte ich mich bewegen, sollte ich die Gefühle ausdrücken die ich jetzt fühle, müsste ich in einer alten Fabrik tanzen. Zerbrochene Fenster, Schmutz, Dreck, Leere... eine trostlose Welt, in der nichts mehr lebt.

Wenn.

Wenn ich meine innersten Gefühle durch Tanz ausdrücken sollte, läge ich da, in der Mitte der Halle, alle Viere von mir gestreckt. Die Tränen wären echt, während ich nackt auf dem Boden läge. Und wartete, bis das Stück vorbei ist, ein Stück, in dem keine Note gespielt wird, kein Geräusch vorkäme bis auf ein leises Signalhorn aus der Ferne.

Ein letztes Zeichen von Leben, das von weit weg zu mir hinüber weht. Unerreichbar, unantastbar. Wissen, dass das Leben auch anders sein kann. Gewissheit, dass für mich diese Option verwehrt ist.

Aber ich kann nicht tanzen.

Ich kann nichts ausdrücken.

Deswegen, nur deswegen, sitze ich noch hier in meinem Zimmer. Und während ich den Autos zuhöre, die vor unserem Haus vorbeifahren, verfolge ich mit den Augen eine einsame, langsame Träne, die auf meinen Finger tropft, um dann ganz langsam über die blutverschmierte Messerklinge zu gleiten.

Erst als die Tür aufgeht und ich in ein verständnisloses, geschocktes Gesicht blicke, kann ich wieder lächeln.

Du kommst zu spät.

Ich bin frei.

Es war eine kalte Nacht im November, als es das erste Mal geschah, und viele andere Male folgten. Und immer wurde es intensiver.

Zuerst war es nur ein Geräusch, das ich hörte, und ein Schatten, der mit der Dunkelheit verschmolz. Dann wurde es immer mehr zu einem Menschen, der dann und wann vor unserem Fenster stand und ins Haus sah. Und irgendwann war er so oft da, dass sich niemand mehr Gedanken um ihn machte.

Außer mir.
 

Manchmal stellte ich ihm etwas zu essen vor die Tür, manchmal alte Kleider. Er nahm sie mit, um dann wieder zu verschwinden. Und so ging es viele Jahre lang, bis aus dem kleinen Mädchen von sieben Jahren eine junge Frau wurde, die noch niemandem je von ihrem Geheimnis erzählt hatte.

Ich wollte damals weg von unserem Dorf, so unmöglich es auch schien, aber nichts konnte mich aufhalten. Trotz des Verbots meiner Eltern, den nahezu unglaublichen Gerüchten aus dem Dorf und dem schockierten Blick meines großen Bruders zog ich schließlich in die Stadt, wo ich versuchte, mich als Schneiderin zu ernähren.

Eigentlich war es mehr Zufall, wenn auch ein sehr großer. Auf dem Markt, während ich neue Stoffe für meine Schneiderei suchte, zupfte mich ein kleines Mädchen am Ärmel. Und als ich dann in die traurigen grünen Augen sah, die so hoffnungslos zu mir aufsahen, war es zu Ende.

Und dabei hatte es noch nicht einmal angefangen. Ich hatte nicht viel Geld und nicht viel Platz, aber so vieles an diesem Kind erinnerte mich an mich selbst; Waise, zum Betteln gezwungen, ohne Chancen auf ein neues Leben. Und als wäre das nicht schon genug, trug sie das Kleid, das ich damals auch getragen hatte, als mich meine spätere Familie fand - und das ich in meinem kindlichen Wohlwollen dem Fremden mitgegeben hatte.

Was genau mir alles durch den Kopf ging, weiß ich nicht mehr genau. Aber heute sitze ich am Fenster meienr kleinen Schneiderei, höre dem Schneiden des Stoffs zu, den das kleine Mädchen von damals für ihr Brautkleid zurechtschneidet, bevor es zu dunkel wird, sehe hinaus zu den vielen aufziehenden Sternen am Himmel und lächle.

Draußen, unter dem Apfelbaum, steht er, noch so jung wie damals, und lächelt zurück.

Dann trägt der Wind ihn davon.
 

________

Johannes 3,8

Der Wind weht, wo er will, und du hörst seine Stimme. Aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht.

So ist jeder, der aus dem Geist geboren ist.

Vorweihnachtsabend

Ich renne, muss mich beeilen. Viel Zeit bleibt mir nicht mehr, bis ich da sein muss. Überall hängt Wäsche auf den Leinen, die von Haus zu Haus gespannt sind... ich beachte sie kaum. Wie Farbschlieren nehme ich sie wahr, rot, braun, grün. Sie gehen ineinander über, verschmelzen zu einem bunten Himmel, unter dem ich durchrenne.

Schnell.

Händler kreuzen meinen Weg, in ihren Körben verschiedenste Dinge, die sie zum Verkauf anbieten. Die sie auch mir anbieten, aber was ich brauche habe ich schon. Glatt liegt es in meiner Hand, ein Rest Wasser gluckert im Inneren.

Ich darf es mir nicht ausmalen, darf nicht einmal daran denken, was passiert wenn ich zu spät komme. Ich weiß, du würdest sagen dass es nicht so schlimm ist. Aber heute, heute will ich um jeden Preis nochmal bei dir sein. Bevor du zurückgehst. Zurück in deine Welt, in ein Land, in dem Winter herrscht, Nässe und Kälte.

Das Hotel kommt in Sicht. Ich bemerke ein leichtes Stechen in der Seite, aber ich ignoriere es. Mein Ziel ist so nah, ich darf nicht aufgeben. Nur am Rande bemerke ich, dass mir die vom Salzwasser getränkten Hosenbeine hart gegen die Waden schlagen. Die Straße scheint immer länger zu werden, aber du bist noch da, ich kann es fühlen. Und das ist schließlich die Hauptsache.

Und dann, als ich nur noch wenige Meter vom Eingang entfernt bin, sehe ich dich. Du willst gerade in ein Auto steigen, ich rufe dir zu. Renne so schnell ich nur kann. Mein Atem geht pfeifend, aber immerhin: Du hast mich gehört, wartest. Als ich stehen bleibe, habe ich das Gefühl umzufallen, meine Beine scheinen mir nicht mehr gehorchen zu wollen. Strahlend und glücklich darüber, dich noch erreicht zu haben, drücke ich dir mein Geschenk in die Hand, gerade noch rechtzeitig. Jemand, den ich nicht kenne, schiebt dich bestimmt in das Wageninnere. Mir bleibt nichts anderes übrig als hinter dir her zu winken, einem kleiner werdenden Menschen, der auf dem Rücksitz eines teuren Autos ungläubig auf eine Muschel starrt.
 

Nein, traurig bin ich nicht, dass du weg bist. Schade nur, dass ich dein Gesicht nicht sehen kann, wenn du aufwachst. Wenn du die Muschel siehst und dich fragst, wie sie in deine Hand kam. Außerdem, wer weiß? Vielleicht sehen wir uns wiedern, nächste Nacht?

Ich setze mich auf die Hoteltreppe, genieße die letzten Strahlen der Sonne, die hier gerade untergeht. Innerlich bin ich mir schon fast sicher, dass du wiederkommst.

Die schönsten Träume hat man schließlich immer zweimal im Leben.
 

Morgen ist Weihnachten.

Rausch

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Kommentare zu dieser Fanfic (38)
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Von:  MrAufziehvogel
2010-05-21T23:33:54+00:00 22.05.2010 01:33
Legen wir wirklich unsere Maske ab, oder ist es nur eine weitere, die wir aufsetzen?

Ein Gedicht, das mich an das Zerplatzen einer Seifenblase erinnert. Lautlos; wie nie dagewesen verschwindet der Glanz aus den Augen. Die Leere weitet sich.
Schön!
Von:  lomelinde
2009-08-09T11:22:19+00:00 09.08.2009 13:22
Entschuldige dass ich es erst jetzt kommentiere, aber ich war in letzter Zeit mehr oder miner abgelenkt vom Internet etc. Aber du sollst deinen dritten Kommentar bekommen.
Also die Geschichte ist sehr kurz, dass ist nicht immer von Vorteil, aber hier passt es alles in allem ganz gut, dennoch muss ich gestehen, dass ich es mir etwas ausgeschmückter dennoch etwas besser vorstellen kann. Also, die Geschichte ist auch so sehr gut, nur hätteste du vielleicht den ein oder anderen Aspekt bessedr herausarbeiten können.
Ich muss sagen nach schmunzeln wie es manchen anderen geht danach war mir nicht, da eine bedrückende Stille über den beiden Charakteren liegt. Zwei wesentlich Probleme der Menschen in der heutigen Zeit hast du gut herausgearbeitet:
1) Der Mensch ist nie zufrieden mit dem was er hat, ob er nun ein Penner ist oder eine gute wohlbehütete Familie hat
2) Die Menschen können nicht zuhören, reden aneinander vorbei und sind ich bezogen ohne Ende
Ich weiß nicht ob dass Intention deine Geschichte war, aber das ist was bei mir ankommt. Die zwei Reden nur von sich selbst und kriegen nicht mal wirklich mit was der andere sagt.
Typisches Phänomen einer heutigen Gesellschaft, etwas überstilisiert dargestellt.

Mir gefällt die Geschichte sehr gut.
Liebe Grüße
lomeli
Von:  sweet-kirara
2009-07-14T19:07:42+00:00 14.07.2009 21:07
Also ich bin nicht sicher ob ich das gelesen habe, was du gemeint hast, oder was ich lesen wollte. So ein wenig Spielraum für die eigene Denkweise ist verstckt hinter vorgegebenem Text. Anders gesagt, kann es sein, das ich dich missverstanden habe. Aber das macht die Geschichten Anderer so richtig spannend! Möglicherweise haben die Zwei total aneinander vorbeigeredet, möglicherweise aber auch miteinander. Auf jeden Fall waren sie für den Moment nicht allein, und das ist das Beste an der Story, finde ich. Obwohl es nur für Minuten war. Kurz, genial, schön!

Nicole

Bin im Zirkel " Ich lese was ihr schreibt - Schreibaktionen".
Von:  Schreiberliene
2009-07-14T03:56:06+00:00 14.07.2009 05:56
Hallo Karopapier,

um ehrlich zu sein, bei dieser Geschichte musste ich schmunzeln. In den letzten Wochen durfte ich bei so vielen Wohnunssuchen dabei sein, und wenn auch nur eine Gefühle wie die beschriebenen geweckt hätte, wäre sie sicherlich sofort genommen worden...

Ich mag deine Beschreibungen wirklich gerne, hier besondern. Es geschieht zwar nicht viel, im Grunde gibt es gar keine Handlung, aber ich empfinde diese Geschichte wie ein Gemälde. Gerade die Verquickunng von Realitätsnähe und Traumreich ist sehr anziehend, sehr fesselnd. Durch den letzten Satz vermeidest du, ins Kitschige abzurutschen; der Abschluss ist also sehr gut gewählt.

Natürlich hättest du etwas mehr Rahmenhandlung aufbauen können, doch wenn man ohne Erwartungen an den Text herangeht, macht es auch so Freude, ihn zu lesen.

Trotzdem gibt es einen Wehrmutstropfen:

Wohnungen werden renoviert, nicht repariert; der erst Satz wirkte auf mich zudem etwas ungelenk. Vielleicht lässt sich da ja noch was drehen.

Alles Liebe,

Anna

~ein Geschenk~

Von:  Schreiberliene
2009-07-14T03:43:32+00:00 14.07.2009 05:43
Hallo,
meine Güte, heute bin ich ja kaum zu stoppen. Und wenn es so oder so schon so spät [früh?] ist, kann ich ja auch gleich weitermachen...

Ich finde die Idee wirklich gut. Dieses Zwiegespräch, das die beiden so unterschiedlichen Ebenen verdeutlich, hat mich schmunzeln lassen.

Gerade die Konsequenz, die die beiden Protagonisten aus ihren deprimierenden Erkenntnissen ziehen - nämliche keine - lässt das Ganze vielschichtiger wirken. Obwohl alles wohl beim Alten bleibt, lebt man weiter, in der Hoffnung, das neue Jahr werde doch anders.

Auch die Umsetzung ist dir gut gelungen; wenig Rechtschreibfehler und dafür ein gelungener Aufbau; zusätzlich eine Portion Humor...

Sehr schön.

Alles Gute,

Anna

~present for Karopapier~
Von:  Schreiberliene
2009-07-14T03:36:08+00:00 14.07.2009 05:36
Hallo,

hier finde ich den Einstieg wieder sehr passend. Auch deine Beschreibungen, die Metaphern, gefallen mir gut. Wieder entsteht ein Bild, wieder wir der Leser auf eine Reise genommen, wieder gibt es eine Atmosphäre. Die Melancholie, die aufkommt, ist sehr sanft, sehr tiefgründig. Ich empfinde das als passend; der Text bedarf keiner reißerischen Sätze.

So ist dann auch das Ende sehr ruhig, fast schon gleitend; dem Leser könnte beinahe entgehen, was geschieht.

Im Großen und Ganzen ist es ein schöner Text; ob mir der Selbstmord allerding als Ausweg gefällt, weiß ich nicht. Im Grunde weiß ich es schon - ich mag solche Geschichten nicht. Abgesehen davon, das "geschockt" kein besonders schönes Wort ist, finde ich, dass bei einer solchen Handlung die Motive dargelegt werden müssen. Nur die Tatsache, dass jemand gelähmt ist, reicht da noch nicht...
Deswegen fehlt mir einfach ein Teil der Geschichte.

Das ändert aber nichts daran, dass es gut gemacht ist; meine einzige Fehleranmerkung hast du dir schon selber geschnappt, deswegen ist jetzt hier Schluss.

Alles Gute,

Anna

~present for you~
Von:  Schreiberliene
2009-07-14T03:25:20+00:00 14.07.2009 05:25
Hallo Karopapier,

der Anfang ist im Grunde gut gewählt, doch irgendwie ist der Satz zu lang.
Das war mein erster Eindruck.

Dann hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass es zwar schön gemacht ist, aber irgendwie gab es da zu wenig Subtiles, zu wenig, was mich fesselt...

Das einzige, was mich interessieren würde, wäre, welche Bibelstelle du unten angibst - es ist doch eine Bibelstelle, oder? Vielleicht schaue ich das mal nach.

Ansonsten bleibt mir die Protagonistin fern, die Geschichte auch, es kommt einfach kein rechtes Interesse auf. Dazu kommt dieses Gefühl, den imaginären moralischen Zeigefinger zu sehen - ein bisschen langweilig...

Die Atmosphäre hat mir hier gefehlt, glaube ich. Davon gab es in den anderen Geschichten so viel, dass das hier enttäuscht.

Alles Gute,

Anna

~present for you~
Von:  Schreiberliene
2009-07-14T03:15:34+00:00 14.07.2009 05:15
Hallo,

ich mag deinen Stil recht gerne; die Wiederholungen und herausgestellten Worte erschaffen eine Atmosphäre, die gut zu deiner Geschichte passt. Als Leser fiebere ich mit und möchte wissen, ob der Unbekannte es schafft und rechtzeitig ankommt.

Inhaltlich war ich nach dem letzten Satz zuerst etwas verwirrt, bis mir klar wurde, dass er sich nicht darauf bezog, dass das Ich geträumt hat, sonder vielmehr darauf, dass das Ich der Traum war...
Das hat mir sehr gut gefallen, die Idee hat etwas rührendes. Auch die Muschel, die offensichtlich aus dem Traumland mitgenommen werden kann, ist ein schönes Detail und verleiht dem Geschehen etwas märchenhaftes.

Mir hat es wirklich gut gefallen - diesmal hält sich die Verstörung also in Grenzen.

Ein paar Fehler sind mir zu Anfang aufgefallen; muss ist einmal unschön wiederholt, "Vielleicht sehen wir uns wiedern, nächste Nacht?" <--- hier ist das "n" zuviel und gerade am Anfang könnte man noch etwas aufmerksamer drüberlesen.

Wirklich viel Kritisches fällt mir momentan nicht ein; mal sehen, ob sich das ändert, wenn ich irgendwann ein paar längere Werke von dir lese.

Alles Gute,

Anna

~present for you~
Von:  Schreiberliene
2009-07-14T03:04:21+00:00 14.07.2009 05:04
Hallo Karopapier,

um ehrlich zu sein, ist mir bei deiner Beschreibung schlecht geworden - die Kennzeichnung Adult finde ich daher absolut gerechtfertigt. Die Lektüre hinterlässt bei mir dann auch ein flaues Gefühl im Magen - zumindest hattest du keine Probleme damit, Emotion zu transportieren.

Der Inhalt ist für mich insofern schwer nachzuvollziehen, als das ich Ritzen in meinem Umfeld häufig als eine Art Gruppenaktion empfinde, die mehr aus Prestigezwecken als aus echten Problemen heraus vollzogen wird. Dennoch werden die Beweggründe in deinem Text sehr klar, die Emotionen werden wenn schon nicht verständlich dann zumindest nachvollziehbar.

Die Protagonistin handel aus einem Antrieb heraus, der ungeklärt bleibt; deswegen bleibt sie mir auch relativ fremd. Dennoch wirkt sie authentisch, nicht nur wie eine Kunstfigur, ihre Probleme, die offensichtlich mit ihrer Familie in Zusammenhang stehen, berühren mich als Leser trotz der fehlenden Information. Die Darstellung eines Leidenswegs hätte auch schnell zu viel sein können, ich denke, du hast hier eine gute Lösung gefunden.

Dementsprechend intensiv ist dann auch die Atmosphäre. Das ungute Gefühl lässt sich nicht so einfach abschütteln.

Die Form, die du gewählt hast, unterstützt durch den nüchternen Aufbau die Handlung. Ich kann nicht sagen, dass es mir gefallen hat, aber ich denke auch nicht, dass das primär deine Intention war. Die Umsetzung ist dir in jedem Fall gut gelungen.

Ein paar kleine Fehler:

"Und das Hass kam."

Der Hass.

"Sie lie0 es in sich brodeln und köcheln, "

ließ.

Alles Gute,

Anna

~present for you~
Von:  fallenshadow
2009-07-09T13:43:44+00:00 09.07.2009 15:43
>wie ruhig ich Umgang mit anderen war.
"wie ruhig ich im Umgang mit anderen war."

>Es lag nicht an der Kate
"Katze"

>angeblich nicht oberflächig
"oberflächlich"

Ansonsten sind keine Fehler im Text.

Im Großen und Ganzen gut geschrieben, auch wenn es schon mit "Ihr fragt euch, warum ich es getan habe." beginnt. Da denkt man sich eigentlich schon, dass sich der Ich-Erzähler umgebracht hat.

Eine sehr interessante Sichtweise, auch wenn ich die Zeit nicht wirklich zuordnen kann. Ist das während der Nazi-Zeit oder kurz danach? Bei beidem ist es eher fraglich, ob die Eltern dann stolz wären, wenn sich die Tochter (?) gegen Nazis engagiert. Während der Nazi-Zeit wäre so etwas zu gefährlich gewesen, da hätten die Eltern eher Angst gehabt und nach der Nazi-Zeit - wie man in "Der Vorleser" lesen bzw. sehen kann (vielleicht kennst du das Buch/den Film ja) - werfen Jugendliche ihren Eltern vor, dass sie während der Nazi-Zeit nichts getan haben. Und heutzutage, na ja, da würde man wohl eher sagen gegen Rechtsradikalismus oder gegen Neo-Nazis.

Das mit der Katze fand ich ... eklig, gemein, grausam? Irgendetwas in der Richtung. Immer müssen die Katzen sterben -.- (War in "Das Parfum" das gleiche, vielleicht kennst du den Film, da wird im Film eine Katze abgekocht, während im Buch nichts davon zu lesen ist.) Aber wenigstens stellt die Katzen-Erzählung einmal den Charakter des Briefschreibers da.

Ich fand es interessant, dass sie (ich nehme mal an, dass es ein Mädchen ist, wenn es um Kleider und Schminke geht), den Leuten vorwirft, dass sie sich vor der Gesellschaft beugen (wobei die Leute eigentlich selbst die Gesellschaft sind, und sich dann eigentlich vor sich selbst verbeugen!), und sie selbst mit ihrem Blutdurst aber auch nicht gerade einen Menschen darstellt, der man gerne sein würde.

Das Kapitel wirft jedenfalls Stoff zum Diskutieren auf.

lg fallen_shadow

~present for you~


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