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Kapitel 7 - „shattering peripety“

Kapitel 7 - „shattering peripety“
 

„Der Sommer im Jahr 1846 war unerträglich heiß, so dass selbst an der Küste die Nächte nur kaum spürbare Linderung brachten. Für die Fischer und Fischhändler war dies ein Fluch und auch uns traf der Verlust dieses Handelszweiges, wenn auch nur minimal. Unseren Hauptverdienst erzielten mein Vater und ich mit der Verschiffung von Stoffen und allerlei anderer Handelsgüter, die die Küste von Calais erreichten und dort auf eines der Handelsschiffe verladen wurden, die der Koordination meines Vaters unterstanden.
 

Dunkelheit hatte sich über den Hafen gelegt, und noch waren längst nicht alle Kisten, die die vor knappen 2 Stunden vor Anker gegangene 'La Couronne' aus England mitgebracht hatte, entladen. In dem geschäftigen Treiben und meinen stets zwischen schweißgebadeten Männern, Kisten, Säcken und den Listen in meinen Händen hin und her zuckenden Blicken hätte er mir vollkommen entgehen müssen und doch brannte sich fast jede Sekunde, die er für seinen Weg über die Planken bis zu mir benötigte, so tief in mein Gedächtnis als hätte ich ihn ohne Unterbrechung angestarrt.

Bis heute bin ich mir sicher, dass dem nicht so gewesen ist.

Es war nicht unüblich, dass Handelsschiffe Passagiere beförderten, doch ein Mann wie er passte nicht so recht in dieses Bild. Er machte auf mich schlichtweg einen zu wohlhabenden Eindruck, um zwischen Handelswaren oder in den Gemeinschaftskajüten der Besatzung mehrere Tage oder Wochen auszuharren.
 

Wie ich später erfahren sollte war ich weder der Erste und noch lange nicht der Letzte, der seinem Charme auf Anhieb erlag und so überzeugte er mich, während er die gesamte Zeit des restlichen Entladens an meiner Seite verbrachte, ihn zu dem von mir empfohlenen Gasthaus zu begleiten und dort noch etwas mit ihm zu trinken. Das Gespräch war gewiss belanglos, ebenso, wie es mir damals belanglos erschienen sein musste, dass er nicht ein einziges Mal an seinem Wein auch nur nippte, denn an beides kann ich mich nur schattenhaft erinnern. Fesselnde Gespräche und feurige Diskussionen ließen in den nächsten Wochen zunehmend eine Freundschaft zwischen uns entstehen, und doch musste ich mir eingestehen, dass Shatei immer dazu in der Lage war, mich gezielt vollkommen aus der Fassung zu bringen. Er war so ungreifbar, so vollkommen undurchschaubar und um so mehr Misstrauen sich in mir in mancher Situation regte, desto mehr wuchs meine Faszination für ihn und fesselte mich, ohne das ich es selbst merkte.

Seine Geschichten von fernen Ländern und Abenteuern habe ich nie hinterfragt. Mich nie gewundert, wie er so viel in seiner bisherigen Lebensspanne hatte sehen und erleben können, denn wie alt mochte er sein? Mitte zwanzig vielleicht? Gewiss nicht viel älter als ich es damals war.
 

Die nächtliche Zeit, die ich mit ihm verbracht, zusätzlich zu den zahlreichen täglich Arbeitsstunden, gingen zum Leidwesen meiner schwangeren Frau und meiner süßen dreijährigen Tochter. Natürlich dauerte es nicht besonders lange, bis Chantal mich darauf aufmerksam machte, dass ich meine Pflichten als Familienvater und Ehemann mehr als nur vernachlässigte. Ich liebte sie, keine Frage. Ich liebte sie sogar sehr und ich war glücklich und zufrieden mit meinem Leben.... bis Shatei nach Calais kam. Er führte mir vor Augen, was ich nicht besaß und haben wollte. Ich wollte diese Spannung und Abwechslungsreichen Erfahrungen. Ich wollte mit ihm auf Reisen gehen.

Doch meine Liebe zu Chantal und Elise hielt mich in der wachsenden Hafenstadt und auch wenn mein Glück geschmälert war, konnte ich doch noch sagen 'Ich bin glücklich' ohne wirklich lügen zu müssen. Als dann Anfang 1847 mein Sohn zur Welt kam war jedes Fernweh lange Zeit vergessen. Wenn ich jetzt zurückdenke muss ich sagen, dass es mir hätte auffallen sollen, wie unzufrieden Shatei mit dieser Situation war. Und dass wohl nur ich zu blind für das Offensichtliche war, wurde wohl darin deutlich wie mehr sich meine Frau von ihm distanzierte. Vielleicht sah sie in ihm, was er wirklich war, vielleicht hat sie mir mehr als einmal versucht zu verstehen zu geben, welche Gefahr von meinem Freund ausging, doch wann immer wir über ihn sprachen war ich nahezu taub für ihre Worte.
 

Um diese Spanne meines Lebens abzuschließen: Es kam wie es kommen musste und ich verlies meine Familie. Shatei zog es nach Paris und ich konnte mich dem Wunsch, ihn zu begleiten nicht erwehren, wie sehr ich es auch versuchte. Und ich schwöre, ich habe es versucht. Unruhen wurden laut und ihre Nachricht erreichte schnell den Handelsort. Auch uns ging es zunehmend schlecht als die Handelskrise 1948 auf uns zu raste. Viele befürchteten eine zweite Revolution, wie sie die halbe Welt schon 1789 in Atem gehalten hatte und als es schließlich zu gewalttätigen Aufständen und a

Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Bürgern mit der französischen Armee kam, war Shatei nicht mehr zu halten, die Stimmen meiner Frau und meines Vaters um so lauter. Doch ich ging mit ihm.

Natürlich behielt ich Recht, als ich sagte, wir würden gewiss erst Paris erreichen, wenn alles vorbei wäre. Louis-Philippe's Regierung fand ihr Ende und die Republik wurde ausgerufen.

Ich erlebte eine Zeit des Wandels und der Neuerungen mit. Etwas, das ich Shatei nie vergessen werde. Doch natürlich konnten mir jetzt die allzu deutlichen Eigenarten meines Freundes nicht mehr entgehen. Wir reisten in einer mit Vorhängen vermummten Kutsche, die Vorhänge waren bei Tage dicht zugezogen und durften nicht geöffnet werden. Er versuchte mir eine seltene Hautkrankheit glaubhaft zu machen, die ihn unangenehm sensibel auf Sonnenlicht reagieren ließe. Ebenso hätte er äußerst empfindliche Augen. In Frankreichs Hauptstadt angekommen hatte er darauf bestanden, zwei Hotelzimmer zu beziehen und zu zahlen, auch wenn ich noch so sehr dagegen argumentierte. Er verschlief jeden Tag, so dass ich mich schnell daran gewöhnte die Tage alleine in Paris' Straßen zu verbringen, was mir all zu bald viel zu viel Zeit zum Nachdenken gewährte. Ich begann, Shatei skeptisch zu beobachten und das entging ihm nicht im Mindesten. Ganz im Gegenteil, schien er genau das zu erwarten und schnell wurde auch mir klar, er wollte mir sein Geheimnis nicht verraten, ich SOLLTE es selbst lüften.
 

Natürlich waren mir alle Vermutungen, mit denen ich der Wahrheit nahe kam zu abwegig, als dass ich an ihnen hätte festhalten wollen, auch wenn ich gewiss nicht selten immer wieder in die selbe Richtung schwenkte. Gewissheit über das was er war und das 'aufklärende' Gespräch erhielt ich in der Nacht des 24. auf den 25. Juni, nachdem auch mich, wie weit über 3000 weitere Aufständische eine Kugel der Nationalgarde traf. Meine Familie hatte nach wenigen Tagen die Nachricht meines Todes in Händen, der jedoch durch nur wenige Tropfen von Shateis verfluchtem Blut verhindert wurde.

Ich war kein Untoter, wie er. Ich dürstete nicht nach sterblichen Blut und musste mich nicht vom Sonnenlicht fern halten. Ich hörte nicht auf zu altern, ich alterte lediglich sehr viel langsamer und hätte mein Körper je die Chance dazu erhalten, das Vampirblut gänzlich zu verarbeiten, vielleicht wäre ich auch wieder zu einem ganz normalen Menschen geworden und alt und grau irgendwann irgendwo eingeschlafen und nie wieder aufgewacht. Doch meine Zuneigung zu Shatei stieg noch so weit es möglich war. Ich war abhängig von ihm, süchtig nach seiner Nähe, seinem Blut und dem Gefühl, dass es auslöste sobald es auch nur meine Lippen benetzte.

Wir verließen Frankreich und bereisten Europa in östlicher Richtung, und sehr bald schon verstand ich, was Shatei suchte. Nicht Ablenkung, Neuheiten, etwas, dass sein unnatürlich langes Leben ausfüllte, sondern das, was jeder x-beliebige Romanvampir sucht: Seinesgleichen, die ihm Antworten geben könnten. Wir begegneten einigen von Ihnen und schnell musste ich mich daran gewöhnen, dass ich in ihren Augen nicht mehr war, als Shateis Diener und Blutwirt. Am Leben erhalten durch sein Blut war ich dazu verpflichtet, ihm mein Blut und alles was er sonst noch von mir verlangen mochte, zur Verfügung zu stellen. Wenn man ignorierte, dass er sich seiner umgarnenden Wirkung, die er nutzte um einen um etwas zu bitten, vollauf bewusst war, könnte man standhaft aussagen, er hatte mir stets die freie Wahl gelassen. Nicht dass bis dato körperlich auch nur annähernd etwas anderes als der Blutaustausch zwischen uns stattgefunden hätte, das möchte ich an dieser Stelle gerne betonen.
 

Erst als wir 1881 nach Calais zurückkehrten wurde mir schmerzhaft bewusst, dass ich kaum gealtert war. Ich mochte vielleicht in dem Körper eines 26-Jährigen stecken, nicht jedoch die 50 überschritten haben, wie Chantal, von der wir erfuhren, dass sie im sterben lag.

Mir zog es schmerzhaft das Herz in der Brust zusammen und wie brutale unnachgiebige Hammerschläge gingen die Erinnerungen an die vielen Male, die ich sie in den letzten Jahren mit anderen Frauen betrogen hatte auf mich hernieder.

Keiner erkannte mich wider. Wie auch? Ich war tot. Und 33 Jahre waren eine äußerst lange Zeit. Ich bat bei einem Herrn, der ,wenn auch nur wenig aber doch augenscheinlich, älter war als ich, darum bitten, zu meiner Großcousine wer-weiß-wievielten Grades vorgelassen zu werden, und musste feststellen, dass ich meinem eigenen Sohn gegenüber stand. Den bitteren Nachgeschmack dieser Begegnung werde ich wohl nie wieder loswerden.
 

Ein Priester war der einzige, der noch am Bett meiner sterbenden Frau stand und leise Gebete murmelte. Ihr trüber Blick fand mich und klärte sich sichtbar auf, während ihre Augen sich weiteten. „Bernard....“ Ihre Stimme war ein leises heiseres Flüstern, doch lauter als ihr Rasselnder Atem und somit unüberhörbar in diesem kleinen stickigen Raum. Der Priester sah verwundert auf und ich stellte mich ihm unverzüglich mit leiser Stimme als der vor, der ich vor meinem Sohn zu sein vorgegeben hatte. Sie würde uns jeden Augenblick verlassen, ihre Kinder und Enkelkinder könnten dies leider nicht mit ansehen, doch er würde sich freuen, wenn ich, als Verwandter, bei ihr bleiben könnte, bis es vorbei sei. Meine Bitte an ihn, und allein zu lassen schien ihn sehr zu überraschen und gewiss auch nicht wenig zu verwirren, doch er kam ihr nach.
 

Milchiges Grün schimmerte in den einst so smaragdfarbenen Augen . „Bernard.... du bist gekommen...um mich abzuholen. Endlich...“ Ich nahm ihre Hand, die Kehle wirkte mir wie zugeschnürt und lies meine Stimme ebenso heiser klingen. „Es...tut mir alles so schrecklich leid, meine Liebe.“ Ewigkeiten schienen zu vergehen, ihre Hand war eiskalt in der Meinen. Die Haut wie dünnes Pergament. Ich hatte Scheu, sie mit der kleinsten Bewegung meiner Finger zu verletzen. „Du bist so jung und warm und ich.... schau mich nicht an Bernard...“ Zaghaft strich ich hier über die Wange, Tränen verschleierten meinen Blick. „Nein...nein meine Schöne. Du bist so umwerfend, so strahlend schön, wie eh und jeh...“ „Schmeichler....“ Sie atmete zittrig durch, als müsse sie sich zu etwas durchringen, dann fixierte mich ihr Blick, der sich weiter aufzuklären schien. „Du hast nicht....auf mich gehört. Er hat aus dir gemacht...was auch er ist. Dieses....Monster...“ Ich spürte, wie sie unruhig wurde und versuchte sie mit meiner streichelnden Hand und einem Lächeln, dass mir gewiss kläglich misslang so sehr wie der Schmerz mich aufwühlte, zu beruhigen. Es gelang mir entgegen meiner eigenen Annahme. „Verzeih mir....“ War das einzige, was ich hervor würgen konnte, bevor meine Stimme wegbrach. Sie musste mich hassen. Sie würde Sterben, mit Wut auf mich als ihren letzten Gedanken. Eine zittrige, knochige Hand legte sich an meine tränennasse Wange. „Seit sie mir die Nachricht deines Todes gebracht haben, habe ich mir jeden Tag eingeredet, du seist am Leben, und einfach nur auf Reisen. Das war leichter zu ertragen, wusste ich doch immer, dass du irgendwann mit einem deiner Handelsschiffe auslaufen und nicht zurückkehren würdest, bis du nicht genug gesehen hättest. Ich bin so unendlich glücklich, dass die Illusion, die ich mir geschaffen habe... die Wahrheit ist....“ Sie wollte noch etwas sagen, ich hielt sie besorgt, nein, verängstigt, davon ab. Sie war zunehmend blasser geworden, ihre Worte immer leiser. Es kostete sie zuviel Kraft, zu sprechen. Ihre Lippen bewegten sich noch einmal, dann wich das Leben aus ihren Augen, und ihre Hand fiel von meiner Wange. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich an ihrem Bett geweint habe. Ich weiß nicht, wie Shatei es geschafft hat, mich in ein Schiff zu schaffen oder wie lange ich nur zwischen schlafen und weinen wechselte, bis ich wie nach einer langen fiebrigen Krankheit, mit tauben Gliedern und einem furchtbaren Geschmack in einer schaukelnden Hängematte unter Deck erwachte. Es stank durchdringend nach Meerwasser, Fisch, Schweiß und Unrat.
 

Ich quälte mich aus der Hängematte, trat scheinbar nicht richtig auf und landete der länge nach schmerzhaft hart auf dem feuchten Holzboden. Leise fluchend rappelte ich mich auf und sah mich um. Der kleine Raum in dem noch ein paar Kisten und Säcke verstaut waren, war verlassen, ich fand leider keine Wechselkleidung und stieg somit Gekleidet in der schlabbrigen bestimmt mindestens eine Nummer zu großen Hose und dem nahezu aufgetragenen Hemd aus grober Baumwolle, die steile Treppe hinauf an Deck. Das Schiff war nicht wirklich groß, jedoch auch alles andere als eine kleiner Fischkutter. Nur wenige Matrosen waren an Deck beschäftigt, Shatei stand vor einem sternenklaren Nachthimmel an der Reling, den Blick auf das weite Meer gerichtet. Meine erste Schifffahrt und ich kann mich bedauerlicherweise nur an diese und die darauf folgende Nacht, in der wir bereits an der Englischen Küste anlegten erinnern. „Du hast dich aufgeführt, wie ein Geisteskranker. Ständig hast du geschrien und geweint, bis du vor Erschöpfung eingeschlafen bist. Mehr als zwei Tage sind so vergangen, bis du dann angefangen hast, zu fiebern. Bei dem scheußlich kalten Wetter in letzter Zeit kein Wunder. Glaub mir, es fiel mir nicht einfach, aber so sehr du gebettelt hast, habe ich dir mein Blut dennoch verweigert. Wir können uns beide glücklich schätzen, dass die Matrosen nichts bedeutendes von deinem ohnehin zusammenhanglosen Fieberwahn-Gebrabbel mitbekommen haben. Die letzten Tage hast du dann, dem Himmel sei dank, in komatösem Tiefschlaf verbracht. Wir erreichen morgen York.“, war Shateis knappe Schilderung der bisherigen Vorfälle. Ich war mir unschlüssig, ob ich über sein Verhalten wütend sein sollte, doch andererseits fiel es mir unglaublich schwer. Es war wirklich unglaublich kalt. An sich kein Wunder, im Winter auf See, glücklicherweise wurde ich minutenschnell mit warmer frischer Kleidung ausgestattet und mir fiel nun auch erstmalig auf, dass Shatei eine schlichte Stoffhose und ein äußerst dünnes Hemd mit weiten Ärmeln trug. „Du beschwerst dich über meine Worte im Fieber und stehst hier in Sommerkleidung bei Minustemperaturen. Entbehrt dies nicht einer gewissen Logik, mein Freund?“ Er hatte mir viel erklärt. Sehr viel. Ich muss also gestehen, er ist -oder war zumindest derzeit- ein ausgezeichneter Lehrmeister im Punkto Vorbereitung auf ein unsterbliches Leben. Doch die Dinge, die die geistigen Kräfte betraf, Präsenz, Verschleierung, Gedanken lesen sowie die eigenen schützen, sickerten durch mein Gehirn, wie durch ein Sieb.

Erst einige Monate später habe ich begonnen mich eingehend damit zu beschäftigen.
 

Hier also beginnt die eigentliche Geschichte. Ich war bereits ein Vampir, als wir im Jahr 1935, nachdem wir Europa noch einige Male verlassen und wieder betreten hatten, nach Schottland kamen und uns somit auch bald unweigerlich vor den Toren dieses Schlosses wieder fanden. Nicht dass wir nicht beide zuvor schon gespürt -gewittert- hätten, dass hier mehr als nur eine handvoll Vampire lebten, wir hatten auch mehr als oft genug in anderen Ländern von unseresgleichen von diesem Schloss und seinem Schlossherrn Andrea Lecrois gehört. Was immer uns abgehalten hatte, ich möchte die Bekanntschaft zu Andrea in meinem Leben nicht missen, jedoch hätte ich mir gerne die Erfahrung mit Shatei auf entgegengesetzten Seiten zu stehen, erspart.
 

Andrea war genau das, wonach wir all die Jahrzehnte gesucht hatten. Er wusste so viel. Vielleicht nicht alles, dennoch schien sein Wissen unerschöpflich, und umso unendlicher die Informationen in dieser Bibliothek. Die Monate in denen ich Shatei nahezu überhaupt nicht zu Gesicht bekam, waren für uns so unbedeutend kurz als wären es wenige Tage gewesen in denen unsere Interessen auseinander und unsere Wege in verschiedene Richtungen in diesem Bauwerk führten.

„Ich habe eine Bitte an dich Bernard.“ Andrea stand neben dem Sessel, in dem ich es mir vor einem Kamin bequem gemacht hatte. Ein Stapel Bücher, der bis zur Armlehne reichte, neben mir, eines der Bücher aufgeschlagen in meinem Schoß liegend. Meine Hand brauchte die Geste, mit ihr auf den mir gegenüberliegenden Sessel zu weisen, nur andeuten, damit er die Einladung verstand. Es war so unendlich einfach, mit ihm zu kommunizieren. Meist reichten die wenigsten Worte, nur die Idee einer Geste oder Entgegnung, die wir regelrecht in den Augen des jeweils anderen ablesen konnten ohne uns der Telepathie bedienen zu müssen. Etwas, von dem ich mir inständig gewünscht hätte, dies mit Shatei bewältigen zu können, denn gewiss hätte es später dann nicht annähernd so viele Missverständnisse zwischen uns gegeben. „Wie kann ich dir behilflich sein?“ Die Verwunderung, mit der ich das Wort 'ich' belegte, konnte ihm nicht entgangen sein. Es erschien mir merkwürdig, dass ein Mann wie er, mich um einen Gefallen zu bitten gedachte. Er lehnte sich in dem Polstermöbel zurück, legte die Fingerspitzen seiner Hände federleicht aneinander. „Du magst den Eindruck haben, ich besäße ein unersättliches Erinnerungsvermögen, doch dem ist gewiss nicht so.“ Er machte eine kurze Pause, in der ich, ohne meine Blick von ihm zu nehmen, das Buch beiseite legte. „Ich habe unzähliges aus meinem Leben vergessen und mir ist nur zu deutlich bewusst, dass ich weiter vergessen werde. Mein sterbliches Leben existiert in meiner Erinnerung nur noch schemenhaft. Meine Bitte ist: Hilf mir dabei, verlorene Details wieder zu finden. Es würde mir eine große Freude sein, mit dir gemeinsam alte Karten und Schriften zu studieren, die meiner Erinnerung auf die Sprünge helfen könnten und in Schriftform festzuhalten, was mir nicht wieder entgleiten soll.“ Ich wusste kaum, wie ich der Ehre, die ich empfand Ausdruck verleihen sollte. Ich muss ihn wohl mit vor Euphorie brennendem Blick angestarrt haben.
 

Es waren wunderbare Monate. Und Shatei gesellte sich zu uns und verfolgte unsere Nachforschungen. Nachdem ich so mühselig gelernt hatte damit umzugehen, Leben nehmen zu müssen um selbst zu überleben, fühlte ich mich endlich wieder so lückenlos glücklich, wie lange nicht mehr. Doch natürlich durfte dies nicht von Dauer sein. Andrea begann zunehmend sich zu verändern und ich musste bald erkennen, was mit ihm vorging. Er versank mehr und mehr in seiner eigenen Gedankenwelt. Zog sich immer häufiger zurück. So gehörte ich zu jenen, die die Ankunft einer Hochschwangeren Frau im Vorhof der Schlossruine mit gemischten Gefühlen sahen. Das Wetter war scheußlich, schon die letzten Wochen und würde es auch die nächsten Wochen bleiben. Ich gehörte zu jenen, die instinktiv hinausrannten und ich war derjenige, der sie in das Schloss trug. Sie fieberte, klammerte sich zitternd an mich und lies mich nur wiederwillig los, als ich sie in einem der Zimmer auf ein Bett gelegt hatte. Einige waren mir neugierig gefolgt und der Aufruhr schien auch Andreas Interesse geweckt zu haben. Nachdem nun schon so lange nichts mehr sein Interesse wert gewesen zu sein schien. Auch Shatei war dort, doch er verlies mit allen außer Andrea, Roderique und mir, den Raum. „Ich ... habe solche Angst...“ Das hilflose Wimmern klang umso kläglicher durch das Kältezittern, das zu den Wehen hinzukommend ihren Körper schüttelte. Es war Andrea, der mit einer mir bis dato unbekannten Wärme in den Augen auf die werdende Mutter zutrat, am Bettrand platz nahm und ihr überaus zärtlich einige von Regen und kaltem Schweiß nassen Haarsträhnen aus der Stirn wischte. „Ganz ruhig, Susan. Mein Freund hier ist Arzt. Es wird alles gut werden.“ Roderique trat neben ihn. Er sprach leise mit der jungen Frau, während Andrea am Bett sitzen blieb und ihre Hand hielt. Er wich die gesamte Zeit nicht von ihrer Seite.
 

Der alles umfassende Blutgeruch in diesem Raum, die rot verfärbten Laken, der laute kräftige Herzschlag der von Schmerz und Anstrengung heftig atmenden Mutter, hätten mich in willenlose Raserei stürzen müssen, doch das was ich dort miterleben durfte, die Erinnerung an die beiden vergangenen Male in denen ich einer Geburt, der Geburt MEINER Kinder, hatte beiwohnen dürfen, hielten mich bei Verstand. Ich erlebte diese Szenen vor meinem geistigen Auge erneut, bis ich mir wieder der Realität um mich gewahr wurde.

Nachdem Roderique den Säugling warm in weiches Tuch gewickelt und ihn der Mutter in die kraftlosen Arme gelegt hatte, spürte ich Andreas Arm um meine Schultern. „Lass uns bitte allein, Bernard.“ Der Ausdruck in seinen Augen beunruhigte mich, dennoch verlies ich mit Roderique den Raum und erfuhr erst später von Andrea, was weiter geschehen war.
 

Die junge Frau hatte gespürt, dass sie nicht die nötige Kraft finden würde, sich von den Anstrengungen der Geburt zu erholen und hatte ihm, wie immer es ihr gelungen war, das Versprechen abgenommen, den Jungen aufzuziehen. Wie oft habe ich mir die Triaden seiner Verzweiflung anhören dürfen. Der so strahlende, selbstbewusste Andrea, der alles konnte, alles wusste, war am Ende ratlos, als es um ein Kind ging. Es dauerte nicht lange, bis er aufgab und das Kind in meine und Felicitas' Verantwortung gab. Natürlich war er immer wieder mal für das Kind da, doch bei weitem nicht oft und intensiv genug. Wie sehr der Junge seinen Ziehvater doch vermisste. Ich nahm die Rolle seines Lehrers ein, Felicitas die der mütterlichen großen Schwester und so wie er uns beinahe alles überlassen hatte, hätte Andrea uns auch die Erklärung dessen, was wir waren und warum er so vollkommen anders war als wir, überlassen sollen. Ich kann bis heute nicht klar zu fassen bekommen, was mich an dem Verhalten des Kindes nach dem 'klärenden' Gespräch mit Andrea so verstörte, es nahm letzten Endes doch vorerst die richtigen Züge an, das ist wohl das Wichtigste.

Ich fühlte mich in der Zeit zurückkatapultiert. Felicitas die Amme, meine Wenigkeit als Mentor, und Andrea ein Vater, der sich kaum Zeit nahm, an den der Junge nur heran kam, wenn er über andere darum bat, dass sein Vater zu ihm kam oder in empfing. Ein Vater, mit dem er ausgewählt höflich sprach. Wenn er ihn ansah so leuchtete mehr Verehrung und Bewunderung in seinen jungen Augen, als Liebe. Shatei beobachte den Knaben meist nur verstohlen und argwöhnisch, wich mir jedoch jedes Mal aus, wenn ich ihn auf ihn ansprach. Ich war wieder einmal so unglaublich blind und sah nicht das Unglück auf das wir zusteuerten.

Shatei hatte längst mit vielen Anderen Partei gegen Andrea ergriffen, sie waren gegen das Aufwachsen eines Sterblichen unter ihnen. Ein Kind, das inzwischen zu einem Teenager geworden war, der seine pubertären Launen nicht im Geringsten verheimlichte oder zu unterbinden suchte, stets erpicht darauf, seine Grenzen zu entdecken. Das Verbot Andreas seinem Sohn etwas zuleide zu tun hielt die Vampire davon ab, dem Jungen eine Lektion erster Güte zu erteilen und die seltenen Male, die Andrea ein Machtwort sprach, reichten lange nicht, um ihn in die Schranken zu weisen. Im Gegenteil wurde es nur schlimmer, umso mehr ihm bewusst wurde, dass sein Vater nur noch Zeit für ihn fand, wenn er ihn zu schelten hatte. Sein Trotz richtete sich nun gegen Andrea und alles womit er diesem auch nur die kleinste Gefühlsregung entlocken konnte, war ihm Recht. Vielleicht war ich sogar der einzige im Schloss, der von Andrea erfuhr, wie es nur wenige Jahre später wirklich zwischen ihm und dem bald schon 17-Jährigen jungen Mann stand. Für ihn stand außer Frage, dass er seinen Sohn eines Tages verwandeln und nie von seiner Seite weichen lassen würde.
 

Nie hätte ich Shatei derartige Grausamkeit zugetraut, denn er schmeichelte sich zunehmend bei dem Knaben ein. Umgarnte ihn, wie er einst mich umgarnt hatte und ich war mir schmerzlich sicher, bei ihm würde er weiter kommen, als bei mir, der ich nie auch nur das leiseste körperliche Interesse an Männern hatte empfinden können.

Er erreichte sein Ziel: Andrea wurde rasend vor Eifersucht je näher die beiden sich kamen, bis letztendlich die Grenze überschritten war und nicht nur der Körper sondern auch das Herz des Jungen vollkommen auf Shatei geprägt waren. Es kam zu offenen Anfeindungen zwischen zwei Parteien, die sich schleichend aber stetig im Schloss gebildet hatten. Es tat mir so unglaublich leid für alle Beteiligten, dass es nie um Liebe und Sterblichkeit oder Unsterblichkeit des Jungen gegangen war, sondern von Anfang bis Ende nur ein Kampf um Macht und Ansehen gewesen ist.

Wie nicht anders zu erwarten, war es Andrea, der Shatei letztendlich mit der Bitte um Frieden entgegentrat und überdeutlich in meiner Anwesenheit so wie der seines Sohnes betonte, wie wenig ihm das Sagen im Schloss bedeutete. Wie viel dafür aber sein Sohn und dessen Glück und Unversehrtheit.

Die nächsten Entwicklungen entziehen sich meinem Verständnis. Ich war und bin nicht in der Lage sie nachzuvollziehen. Fakt ist, Shatei verlies das Schloss, ohne ein Wort an mich oder irgendwen, der bereit gewesen wäre, mir mitzuteilen, warum und wohin er gegangen war. Erst als zwei Jahre später unser sterblicher Zögling nach langen Gesprächen, viel Wut, bösen Worten, liebevollem wieder Vertragen und etlichen Argumenten dem Schloss und damit Andrea und uns den Rücken kehrte, kam Shatei zurück. Andrea verschwand spurlos und es setzte sich das Gerücht fest, Shatei habe ihn getötet oder vertrieben. Er widersprach kein einziges Mal, wenn man ihn mit diesen Vorwürfen konfrontierte, grinste überheblich oder zuckte mit abfälligem Blick die Schultern. Nichts lies darauf schließen, dass die Gerüchte nicht stimmten, auch wenn nichts sie bestätigte. Es genügte, um unbändige Wut in mir zu schüren. Zum Teil wegen der Vorwürfe, die auch ich ihm nun machte aber bedeutend mehr noch, weil er nicht mit mir sprach. Ich trieb es bis zum Äußersten und hatte selbst in meinem Schmerz über den Verlust Andreas und seines Sohnes gar nicht realisiert, dass ich mir einen ehemals sehr guten Freund zum Todfeind gemacht hatte. Das Wort Todfeind sage ich, wie ich es meine. Ich wachte aus meinem aggressiven Verhalten ihm gegenüber erst auf, als ich nahezu tot unter ihm lag, sein brennender Blick sich in mich bohrte, während er mir androhte, es zu Ende zu bringen, sollte ich es noch einmal wagen, ihn mit physischen oder psychischen Kräften oder auch nur verbal anzugreifen... Möglicherweise ist das der Grund, warum ich selbst die Gerüchte den Umstand über Andreas Verschwinden geglaubt habe und ihm seit schätzungsweise vier Jahrzehnten aus dem Weg gegangen bin, bis Shatei mich vor drei Nächten..... nein, bis Andrea selbst mich kurz bevor du heute morgen hergekommen bist, aufgesucht hat.t“
 

Bernard stand von seinem gepolsterten Stuhl auf und kam um den Schreibtisch herum, setzte sich auf die Tischplatte. Er war während er seine Geschichte erzählt hatte mehrmals aufgestanden, unruhig auf und ab gegangen, um sich dann wieder zu setzen und einige Zeit darauf wieder aufzustehen. Auch Joèl hatte seinen Platz irgendwann kurz vor Ende der Erzählung verlassen und war ein paar wenige Schritte hin und her gegangen bevor er sich gegen ein Regal gelehnt und seinen Blick wieder auf Bernard gerichtet hatte. Einige Atemzüge lang herrschte Stille im Raum. Bernards Blick war in keiner Weise erwartungsvoll, und doch hatte Joèl das Gefühl, dass er irgendetwas zu dieser Geschichte sagen sollte. Immerhin hatte er lange genug auf den dunkelblonden Vampir einreden müssen bevor dieser ihm endlich seufzend nachgegeben hatte. Doch alles was ihm zu sagen einfiel kam ihm kläglich dumm vor. Das Schweigen wurde ihm unangenehm und er senkte verlegen den Blick. Er musste die zahlreichen Informationen erst verdauen. In wenigen Minuten hatte er mehr über Shatei erfahren, als all die Zeit, die er bislang schon in dessen Nähe verbracht hatte. Und doch kam er zu dem Schluss, das all dieses neue Wissen ihm nicht im geringsten half, Shatei oder Andrea einzuschätzen. Stattdessen formte sich ein anderer unangenehmer Gedanke in ihm: Würde Shatei Wut darüber empfinden, dass er nicht ihn sondern Bernard gefragt hatte....Hätte Shatei ihm etwas erzählt, wenn er ihn gefragt hätte?
 

„Geh ruhig Joèl. Man sieht dir deutlich an, dass du Zeit für dich alleine brauchst.“ Irgendetwas in Bernards Blick gefiel dem Studenten nicht. Er hatte an einigen Stellen der Geschichte verletzt gewirkt, aber das jetzt war keine Trauer, Schuld, oder Schmerz, die er auf sich bezog.... Es war Mitleid. Aber warum? Er schüttelte den Gedanken ab. Sein Gehirn musste sich jetzt mit etwas anderem beschäftigen. „Ich danke dir....“ Er hoffte, dass sein Lächeln nicht zu kläglich misslang und verlies dann der Raum, um in seine eigenen Gemächer zurückzukehren. Bis Sonnenuntergang würde er ganz allein für sich und seine Gedanken Zeit haben, nur unterbrochen, von Felix, der ihm wohl zweifellos etwas zu Essen vorbeibringen würde, sobald er, wie auch immer er das stets machte, erfahren würde, dass Joèl wach war. Shatei und er waren schnell übereingekommen, dass sie Felix einweihen mussten, damit Joèl sich nicht stets auffällig in die Küche schleichen musste.
 

Tatsächlich fand er nichtmal eine volle Stunde schlaf, bevor er wieder aufwachte und unruhig in seinen Zimmern herumlief. Irgendetwas wühlte ihn zunehmend auf. Das ungute Gefühl, dass sich etwas tat, das ihm ganz und gar nicht behagte. Es lag eine merkwürdige Spannung in der Luft, die nicht nur von Shateis und auch Bernard eigentümlichen Verhalten herrührte. Plötzlich und ohne genau zu wissen warum, landeten seine Gedanken bei Erique. Er hatte weder ihn noch den Professor seit drei Nächten gesehen. Waren sie abgereist und hatten ihn zurückgelassen, weil sie alle glaubten, er sei selbst ein Untoter? Oder war ihnen vielleicht etwas... Nein! Diesen Gedanken durfte und wollte er sich gar nicht erst erlauben. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und Joèl verlies festen Schrittes sein Zimmer. Wem immer er begegnen würde, es war ihm Recht. Er brauchte Ablenkung von dieser Achterbahnfahrt, die seine Gedanken da machten, denn mittlerweile war er geistig so durchgeschleudert, dass er das Gefühl hatte, in einer anderen ihm nahezu vollkommen unbekannten Sprache zu denken von der er nur hier und da ein Wort ohne jeglichen Zusammenhang aufzuschnappen in der Lage war.

Dass er ausgerechnet in Erique hineinlaufen würde, hatte er am wenigsten erwartet. Er stutzte kurz, legte gerade seine Maske auf, als sie sofort wieder abfiel und einem Ausdruck absoluten verständnislosen Erschreckens platz machte. Erique stand vor ihm mit einem Glanz in den Augen, der alles andere als normal, oder überhaupt von menschlichem Verstand geprägt war. Sein Grinsen war beängstigend, den Kopf hatte er leicht zur Seite gelegt. „Joèl, mein Liebster, was hast du denn? Du siehst so erschrocken aus.“ Wer immer das dort vor ihm war, das war nie und nimmer Erique. Nicht sein Erique! Sein Grinsen wurde noch ein wenig breiter und es fiel Joèl wie Schuppen von den Augen. „Nein.....nein......“ , nur leises Murmeln drang über seine Lippen. Der neugeborene Vampir kam langsam näher. Irgendetwas in diesen blauen Augen war abgrundtief bösartig, wenn auch überlagert und nahezu verschleiert von Wahnsinn. „Wir werden jetzt für immer zusammen sein, Joèl. Ich bin jetzt wie du. Ich bin dir gefolgt, jetzt kannst du mich wieder lieben, nicht wahr? Jetzt brauchst du keine Angst mehr um mein Leben zu haben.“ Er wich stolpernd rückwärts. „Shatei!! Shatei du verdammter Mistkerl, ich weiß genau dass du mich hörst!! Dafür wirst du bezahlen du Teufel! SHATEI!!!“ Erique blinzelte verwirrt. Ansonsten tat sich nichts in ihrer Nähe.
 

Gnadenlose, blutrote Wut überlagerte den Schmerz über das, was Joèl soeben erfahren hatte. Er stürmte, Erqiue ignorierend, an diesem vorbei. Instinktiv fand er die Flügeltür, stieß sie auseinander und betrat Shateis Privaträume. Der Vampir stand Mitten im Raum, die Arme verschränkt, den Blick zur Tür gewandt, als habe er ihn erwartet. „Du verdammte Ausgeburt der Hölle, was hast du mit ihm gemacht! Wir hatten eine Abmachung, wenn ich dir schon sonst nichts positives zugetraut habe, so doch, dass du ein wenig Ehre im Leib hast. Hast du das nicht selbst gesagt!? Du hälst dich an einen Deal! Ein Versprechen, auch wenn du sonst nur lügst?“ Joèl schrie und prügelte tobend mit seinen Händen auf den Brustkorb des Vampirs ein. Er war zu blind vor Wut, als dass er gezielt hätte zuschlagen können. Shatei tat nichts, um ihn abzuhalten, sagte nicht einmal etwas. „Er war es nicht.“ Das war nicht die Stimme des Schwarzhaarigen. Joèl hielt mitten in der Bewegung inne und hielt den Atem an. „Er war es nicht.“, wiederholte die Stimme. Joèl drehte sich herum. Andrea hatte in einem der ledernen Sessel der Sitzgruppe gesessen und stand nun auf. Sein Haar trug er heute offen. Er tat nur einen einzigen Schritt auf sie beide zu, blieb dann wieder stehen und fixierte Joèls Blick. „Ich war es. Ich habe Erique getötet und ihm mein Blut gegeben.“ Unfähig sich zu rühren, starrte Joèl in die beiden eisblauen Kristalle vor ihm. Er nahm am Rande seines Bewusstseins die glühende Spur wahr, die eine einzelne heiße Träne auf ihrem Weg über seine Wange nach unten zog. Sein Körper begann zu zittern und die Knie wurden ihm weich. Er spürte kräftige Hände an seinen Oberarmen, die ihn aufrecht hielten, spürte eine stählerne Brust hinter seinem Rücken, die ihn zusätzlich stützte. Ihm ein vages Gefühl von Sicherheit gab. Seine Gedanken begannen zähflüssig wieder zu fließen, wieder verständlicher zu werden. Darum also hatte Shatei ihm so eindringlich versucht begreiflich zu machen, dass er sich erhoffte, Joèl würde sich von ihm helfen lassen. Doch warum war Andrea hier, wenn die beiden sich doch so sehr hassten? Warum war Bernard gerade heute bereit gewesen, ihm diese Geschichte zu erzählen? Hatten sie all dies vielleicht gemeinsam geplant? War das alles ein Spiel, dass sie alle gemeinsam mit ihren drei Opfern spielten? Oder tat er Shatei nun unrecht, so wie Bernard ihm einst unrecht getan hatte. Hatte ihm Bernard deshalb alles erzählt, um ihm unterschwellig einzubläuen, nicht dasselbe zu tun? Aber warum Andrea? War sein erster Eindruck von dem Mann so falsch? Konnte jemand wie Bernard eine so enge Freundschaft und Sympathie zu jemandem aufbauen, der im Grunde grausam und bösartig war? Oder war Bernards gesamte Geschichte vielleicht nur eine Lüge?
 

All diese Fragen, all die Emotionen in ihm, diese so drastisch veränderter Situation waren einfach zu anstrengend. Er hatte nicht mehr die Kraft. Zu wenig Schlaf, zu viel Unruhe. Er wollte einfach nicht mehr denken. Flehte geistig um eine Pause! Geistig? Ihm war als könne er seine eigene Stimme wimmernd diese Bitte in Worte fassen hören, lies sich vollkommen in Shateis Umarmung sinken, so dass er gewiss wie ein nasser Sack zu Boden fallen würde, sobald dieser ihn losließe, dann klappten seine Augenlider zu und kurz umhüllte ihn ein angenehmes Schwindelgefühl, dann endlich Stille....



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  ReinaDoreen
2008-12-14T12:44:30+00:00 14.12.2008 13:44
Dieser Ausflug in die Vergangenheit war sehr interessant.
WAr das so geplant, das Erique ein Vampir wird? Joel ist ja entsetzt und wieso hat Andrea das getan?
Reni


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