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Broken Sky

von

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Kapitel 3: Beim Grab meiner Mutter

3

Beim Grab der Mutter
 

Die Luft war erfüllt von zischendem Dampf und die Hitze der Brennöfen stieg auf durch die Gitter im Boden des Brüters.

Ryushi stand auf der Galerie, die um das kreisrunde Gebäude lief. Er beobachtete die Eipfleger, die durch ihre dicken Wyvernhautanzüge geschützt waren. In knapp über den Boden schwebenden Metallwiegen lagen einige Dutzende Eier. Jedes war so groß wie ein Mensch, hatte eine raue, lederartige Schale und eine gelbweiße Farbe, die Ryushi an Sauermilch erinnerte.
 

Er blickte sehnsüchtig zu ihnen hinunter. Eines Tages, wenn er alt genug wäre, würde eines dieser Eier ihm gehören...

„Aber nicht für lange, kleiner Bruder“, kam eine Stimme von hinten. Natürlich. Sein Bruder hatte wieder einmal seine Gedanken erfasst.

Als keine Antwort kam, lehnte sich Takami neben ihn an das Geländer.

„Ich habe mit dir geredet.“

„Das habe ich gehört!“

Takami sah Ryushi für einen Moment scharf an. Dann richtete er seinen Blick wieder auf das Bild, das sich ihnen unten bot. „Wirklich, kleiner Bruder, diese jämmerliche Eifersucht tut keinem von uns gut. Ich kann nichts dafür, älter zu sein als du. Ist es meine Schuld, wenn dich Vater nicht nach Tusami City lässt, bist du alt genug bist? Oder dass du bis dahin keinen eigenen Wyvern haben darfst?“

Ryushi antwortete nicht.

Die Stimme seines Bruders klang mitfühlend.

„Gräm dich nicht. Er lässt dich und Kia einige der Weibchen fliegen, oder? Sei dankbar dafür.“

„Das ist nicht dasselbe, oder?“, antwortete Ryushi.

„Nicht dasselbe wie gebunden zu sein. Nicht dasselbe wie einen eigenen Wyvern zu besitzen, zu beobachten wie er schlüpft, bei ihm zu sein, wenn er wächst, einer, den man nur selbst reiten kann...“ Er unterbrach sich, warf dann einen Blick zu seinen Bruder und fügte verächtlicht hinzu: „Aber du bist ja demnächst gebunden.“

„Beim nächsten Zwillingsmond“, antwortete Takami. „Du kannst wirklich noch ziemlich unreif sein, weißt du das?“

„Schätze, ich bin alt genug, um es besser zu wissen“, schoss Ryushi zurück.

Takami schnalzte missbilligend mit der Zunge, ging aber nicht weg. Einige Minuten lang beobachteten sie sie einfach die Pfleger, die geschäftig zwischen den Eiern hin und her eilten, die Metallwiegen kreisen ließen, die Bodengitter reinigten.

„Willst du mir erzählen, was du und Vater in Tusami City gemacht habt?“, fragte Ryushi plötzlich.

„Ich habe dich gestern gefragt, aber du wolltest nichts sagen.“

Sein Bruder hatte wie immer genug Andeutungen gemacht, um Ryushis Neugier zu erregen. Genau wie er es beabsichtigt hatte.

„Meine Hände sind gebunden, kleiner Bru…“

„Und hör auf mich so zu nennen!“, schimpfte Ryushi.

Takami grinste in sich hinein, zufrieden, dass seine Stichelei eine Reaktion provoziert hatte. „Ich musste Vater versprechen nichts zu sagten.“ Er machte eine Pause, bevor er fortfuhr: „Lass uns einfach sagen, dass es so Wichtig war, dass man es nur Männern anvertrauen kann.“

Ryushi biss sich auf die Lippe, um eine Antwort zurückzuhalten. Er hatte keine Lust nach dem Köder zu schnappen, wandte sich vom Balkon weg und ging wutentbrannt davon. Er musste sich zusammenreißen, als er Takamis weiches Lachen hinter sich hörte.

Er verließ den Brüter und ging in die kühle Nacht hinaus. Unter dem Sternenbeladenen Himmel blieb er einen Moment stehen, um Atem zu schöpfen und sich zu beruhigen. Glühsteine tauchten den Stallhof in ein fahles orangefarbenes Licht. Sie wurden von Eisenklammern gehalten, die an den Seiten des Gebäudes installiert waren. Eine kühle Bergbrise blies ihm sanft ins Gesicht.

Er hatte gewusst, dass das passieren würde. Takami war erst seit zwei Tagen wieder da und schon konnte Ryushi ihn nicht mehr ertragen. Und da Kia mit diesem Mädchen -Elani- die ganze Zeit unterwegs war, hatte er kaum etwas zu tun. Sein Vater war beschäftigt die Arbeit aufzuholen, die während seines Aufenthaltes in Tsuami City liegen geblieben war. „In Geschäften unterwegs.“ Was bedeutet das?

Ryushi hatte sich immer über die Geschäftsreisen seines Vaters gewundert, aber seine Fragen waren stets unbeantwortet geblieben. Immer hatte sein Vater sich in Schweigen gehüllt. Er war in der Lage gewesen, das auszuhalten, als er noch wusste, dass alle dasselbe fühlten. Aber weil jetzt Takami die Wahrheit kannte und ihm nichts erzählten wollte, wuchs seine Neugier ins Unerträgliche. Und sein Bruder machte es absichtlich noch schlimmer. Er machte sich ein Vergnügen daraus, ihn zu quälen. Vielleicht hatte Kia Recht; vielleicht war er ja tatsächlich eifersüchtig auf das enge Verhältnis, das zwischen Ryushi und seiner Zwillingsschwester bestand. Aber selbst wenn Takami eifersüchtig war, machte es das für Ryushi nicht leichter.

Frustriert ging er zu den Ställen, wo zu dieser Zeit sein Vater sein musste. Ryushi hatte sich vorgenommen ein paar Antworten zu bekommen.

Die Ställe waren in der Form eines Rades errichtet worden, mit einer Nabe, acht Speicher und einem Rand. Sie türmten sich vor ihm auf, doppelt so hoch wie der Brüter, die Mauern in einem matten Rot, an einigen Stellen übersät mit Rostflecken. Er ging durch eine der schmalen Türen hinein.

Drinnen war es dunkel. Die Glühsteine, die von der Decke herabhingen, konnten nu schwach die riesigen Gänge zwischen den Stallungen erleuchten. Überall um ihn herum erfüllte ein seltsames Rauschen die Luft. Es kam von den schlafenden Wyvern und war das rhythmische Geräusch ihres Atems, das Heben und Senken ihrer enormen Flanken. Der moschusartige Geruch der Weibchen stieg ihm in die Nase.

Es ist Brunftzeit, dachte er, als er die Gänge entlang spazierte. Er war nur eine winzige Gestallt unterhalb der riesigen, hoch aufragenden Stalltore aus Metall.

Gewöhnlich ließen sich die Wyvern in den Bergen nieder um kamen nur zur Fütterung zurück. Aber während des Mittsommers wurden die Weibchen in die Ställe, die am Außenrand lagen, eingesperrt und einzeln zur Nabe geführt, in der der Wyvernbulle lebte. Die Familie hielt immer nur einen Bullen. Die anderen wurden verkauft, wenn sie noch jung waren. Wyvernbullen wurden zum Kampf ausgebildet, wenn sie nicht ihren eigenen Weg gingen. Sie hatten ein berüchtigtes Temperament.

Ryushi ging eine Weile ziellos umher. Seine Augen streiften die massiven Metalltüren, die die Wyvern einschlossen. Sie wurden geöffnet, geschlossen, verriegelt und entriegelt durch Hebelvorrichtungen, die auf Druck und Dampf reagierten. Er verstand das System nicht. Wie so viele Mechanismen, die einen wichtigen Teil ihres täglichen Lebens bestimmten, waren sie ein Produkt der Maschinistengilde im Westen. Die Maschinisten galten als äußerst verschlossen und eigenbrötlerisch. Ihre Dienste waren nicht billig. Aber ihr Handwerk wurde überall eingesetzt, bei den Fahrzeugen wie dem Klicktrack ebenso wie bei den Verteilungsvorrichtungen in den Futtersilos.

Nach einiger Zeit hörte Ryushi Stimmengewirr vor sich, das durch die Orangegefärbte Finsternis an sein Ohr drang. Er beschleunigte seine Schritte und erkannte die Stimmen von Banto, Kia und Elani. Schließlich kamen sie in Sicht. Elani saß auf den Schultern von Kia und spähte durch das Gitter in einem der Stalltore.

„Aber was macht ihr mit ihm?“, fragte Elani mit einer Stimme, die ihr grenzenloses Staunen verriet.

Banto lachte. „Die Wyvern-Zucht kann ein sehr einträgliches Geschäft sein, Elani“, dröhnte er und seine Stimme hallte durch die Gänge wider. „Ihre Schuppen können für alles mögliche verwendet werden; die Schalen ihrer Eier geben schöne leichte Waffen ab: ihre Klauen – wir müssen sie einmal im Jahr abkneifen – werden zu teuren Schmuck verarbeitet. Und es gibt immer eine Nachfrage nach jungen Bullen: selbst König Macaan hat einige unserer Tiere in seinen privat Flughafen.“

„Macaan …“, wiederholte Elani und ihre Stimme klang verächtlich.

„König Macaan“, verbesserte Kia und lachte. „Sag das nicht einfach so. Er ist ein großer Anführer! Er sorgt dafür, dass die Dominions für Leute wie uns ein gutes Land zum Leben und Aufwachsen sind.“

„Aber er ist . . .“

„Elani . . .“, unterbrach Banto sie sanft. „Kein Aber. Seit Königs Macaan an die Macht kam, hat er für die Dominions eine Menge gutes getan. Wusstest du zum Beispiel, dass zuvor Lehnsherren in verschiedenen Provinzen das Sagen hatten? Dass sich diese Lehnsherren ständig bekämpften und Kriege gegeneinander führten? Damals war kein friedliches Nebeneinander möglich und Probleme konnten in den Dominions nur schwer gelöst werden. Aber als Macaan König wurde vereinigte er die Provinzen unter eine Regierung. Alles ist besser geworden.“

„Ja, Onkel Banto“, antwortete sie widerwillig mit einem Gesichtsausdruck, der zeigte, dass sie es gehört hatte, aber nicht glaubte.

Ryushi zuckte. Jetzt nannte sie ihn Onkel? Wer war dieses Mädchen überhaupt?

Er erinnerte sich an das, was Kia ihm erzählt hatte. Elani war ein Waisenkind, das von Hochi adoptiert worden war, einem Freund ihres Vaters in Tusami City. Hochi hatte Banto gebeten ein paar Monate auf sie aufzupassen, weil er sich um einige Geschäfte kümmern musste. Aber in den wenigen Tagen, seit sie hier war, konnte man das Gefühl haben, als habe Elani sie als ihre Familie adoptiert. Sie nannte Banto ihren Onkel und Kia und Ryushi ihren Vetter und ihre Kusine.

Sie schien sich besonders Kia angeschlossen zu haben; und Kia die nie eine jüngere Schwester gehabt hatte, genoss es. Sie verbrachte fast jede freie Minute miteinander. Ryushi konnte nicht anders, als sich ein wenig ausgeschlossen zu fühlen.

„Sieh mal, Elani. Da ist Ryushi“, rief Kia, als sie ihn näher kommen sah.

„He, Vetter Ryushi“, sagte sie und lächelte süß. Ryushi taute sofort auf und vergaß seinen Missmut.

„Hi, El“, sagte er.

„Kia hat mir erzählt, dass du einen so großen Golem besiegt hast“, sagte sie und breitete ihre Arme so weit auseinander, dass sie fast das Gleichgewicht verloren hätte und von Kias Schulter gefallen wäre.

Ryushi sah seine Schwester an und zog eine Augenbraue hoch. Kia zuckte ganz wenig mit den Achseln und in ihrem Gesicht stand: Okay, vielleicht habe ich etwas übertrieben.

Banto lachte sein Nebelhornlachen, sein Blick fiel auf Ryushi. „So groß? Wirklich? Du musst dich enorm gesteigert haben.“

„Es wird langsam besser“, antwortete Ryushi bescheiden, überrascht, im Mittelpunkt solcher Bewunderung zu stehen.

„Langsam ist die bessere Art zu lernen, mein Sohn“, sagte Banto philosophisch.

Ryushi blickte zu Boden, ertrug einen Moment die unbehagliche Stille,bevor er seinen Vater eindringlich bat: „Vater, ich muss mit die sprechen.“

„Warum werfen wir nicht einen Blick auf den großen Wyvernbullen, Elani?“, fragte Kia taktvoll.

„Jaaa!“, rief Elani begeistert. „Ist er größer als die Wyvernmädchen?“

„Oh, er ist riesig“, sagte Kia zu ihr, als sie Elani wegtrug. „Er ist so groß, dass er auf dich stampfen könnte und er nicht mal bemerken würde!“

Elanis kichern wurde leiser, als die beiden Mädchen sich entfernten und Ryushi und sein Vater im Gang allein ließen. Nur die gewaltigen Seufzer der schlafenden Wyvern waren noch zu hören.

„Ich weiß, dass Takami bei dir war, mein Sohn“, sagte Banto mit seiner tiefen, tröstenden Stimme. „Ich kann mir also vorstellen, worum es geht. Unsere Reise nach Tusami City. Habe ich Recht?“

„So ist es, Vater“, sagte Ryushi und bemühte sich Bantos Blick standzuhalten. „Aber es ist noch mehr. Ich weiß nicht, ob es daran liegt das ich jetzt Kleinigkeiten bemerke, die mir entgangen sind, als ich kleiner war, oder so . . . ist auch irgendwie egal, Vater, es gibt etwas, dass du uns nicht erzählst. Und es ist nicht einfach so, dass du uns nicht in deine Geschäfte mit einbeziehen willst, weil wir noch nicht alt genug sind, um sie zu verstehen, wie du immer sagst. Es sind diese Reisen, diese Geheimnisse . . . und diese Briefe, die du schreibst, diese Leute, die zu den Ställen kommen und dann wieder verschwinden. Du sagst immer, dass es alte Freunde sind, aber das sind sie nicht! Vergib mir, Vater, aber sogar ich kann sehen, dass du oft mit deinen Gedanken ganz woanders bist.“

Banto war still, seine Miene unbewegt. Er betrachtete seinen Sohn. Ryushi war nicht sicher, ob in seinen Augen Zorn lag, Stolz, Trauer . . . oder alles zusammen. Er wollte jetzt aufhören, konnte aber nicht. Er musste weiter sprechen. Er musste es wissen. Mit ruhiger Stimme fuhr er fort.

„Ich habe immer alles akzeptiert, was du uns erzählt hast, Vater, selbst wenn ich es nicht ganz geglaubt habe. Aber wie konntest du Takami in alles einweihen und fortfahren, mich und Kia wie Kinder zu behandeln. Als wüssten wir nicht ganz genau, dass das, was du uns erzählst, nicht wahr ist! Selbst die Sache mit Elani, Vater. Kümmerst du dich wirklich nur um sie, solange Hochi unterwegs ist? Du musst es nur sagen!“

Einen Moment lang sagte Banto gar nichts, dann verwandelte sich sein Gesichtsausdruck. Um seine Lippen spielte ein Lächeln und seine Augen füllten sich mit Tränen. Er legte eine Hand auf die Schulter seines Sohnes.

„Es tut mir Leid, Ryushi. Wenn ich gewusst hätte, wie klug meine Kinder in meiner langen Abwesenheit geworden sind, hätte ich euch nichts vorgemacht. Aber wenn du nicht wie ein Kind behandelt werden willst, dann handle jetzt wie ein Erwachsener. Akzeptiere, dass die Gründe, die mich veranlassen euch nicht zu erzählen, was ich mache, gute Gründe sind!

Und vertraue deinen Vater. Wenn die Zeit kommt, wirst du alles erfahren; und vielleicht wirst du dir dann wünschen, dass du nicht so neugierig gewesen wärst. Die Welt draußen ist groß und gefährlich, gefährlicher, als du dir vorstellen kannst. Eines Tages wirst du ihr gegenübertreten müssen. Ich möchte nur, dass du dann so gut vorbereitet wie möglich bist.“

Ryushi sah seinen Vater fest an, seine Augen flehten. „Dann . . . du kannst mir nicht irgendwas sagen?“

„Nein“, sagte Banto. „Ich wünschte, ich könnte es. Aber ich kann nicht. Ich will dir nicht weiter etwas vormachen, aber ich kann dir nichts erzählen, bis du bereit bist. Bis du bereit bist zu verstehen.“

Ryushis Gesicht verhärtete sich. „Und Takami? War er bereit?“

Sein Vater schlug die Augen nieder. „Ich fürchte nein“, antwortete er. Eine große Sorge lag in seiner Stimme.

Ryushi schnaubte unwillig und wandte sich zum Gehen um.

„Mein Sohn“, rief Banto ihm hinterher.

Ryushi blieb stehen. „Ja, Vater?“

„Du bist jetzt wütend. Ich weiß, ich habe nicht das Recht von dir etwas zu fordern. Aber du musst mir etwas versprechen.“

Ryushis Kiefer zogen sich zusammen.

Er gab keine Antwort.

„Das Mädchen. Elani. Schütze es mit deinem Leben. Versprich es mir!“

„Ich schwöre beim Grab meiner Mutter“, sagte Ryushi ruhig.

„Wenn du willst, Vater. Ich schwöre beim Grab meiner Mutter.“

„Danke, mein Sohn“, sagte Banto und seine Stimme hörte sich plötzlich schrecklich zerbrechlich an.



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