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Gotta heal 'em all!

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hier nun nach einer kleinen Hitzepause ein neues Kapitel :) Es ist nicht ganz so lang, wie das letzte, aber immernoch deutlich länger, als mein Durchschnitt. Allerdings ist es auch vorerst das Letzte, das solch eine Länge erreicht.
Die Regeln findet ihr wie immer im Nachwort.

Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen ^^ Komplett anzeigen

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Ein blindes Huhn und ein kranker Vogel

Schwer atmend öffnete ich die Augen. Ich hatte das Gefühl gehabt, jemand hätte mir einen Sack auf den Bauch geworfen. Irritiert versuchte ich im Halbdunkel zu ertasten, was da auf mir lag. Als ich den Kopf hob, sah ich große Kulleraugen im Feuerschein.

"Du bist das zweite Pokemon in drei Tagen, das mich unsanft weckt", sagte ich heiser zu Glumanda. Er lag bäuchlings auf mir drauf, den Schwanz irgendwo über meinen Füßen, wenn ich die Hitze dort richtig deutete. Verschlafen rieb ich ihm den Kopf, was er mit einem seligen Ausdruck gerne entgegennahm.

"Ich dachte, es sei eine gute Idee Glumanda dich wecken zu lassen". Erschrocken von der plötzlichen Präsenz neben meinem Ohr fuhr ich herum und sah Yumiko in der Hocke über mir kauernd.

"Tut mir leid, dass er sich auf dich geworfen hat." Ihr Grinsen deutete an, dass es ihr nicht so leid tat, wie sie behauptete. Da stand sie auch schon auf und widmete sich ihrem Rucksack. Vorsichtig hob ich den Oberkörper, während ich Glumanda mit einer Hand versuchte zu stabilisieren. Glücklicherweise rutschte es von allein von mir herunter und wartete, bis ich aufgestanden war.

In der Höhle selbst sah es noch genauso aus, wie in dem Moment, als ich die Augen geschlossen hatte. Nichts deutete darauf hin, dass ein neuer Tag angebrochen war. Wie hatte Leif das 20 Jahre lang nur ausgehalten? Er musste doch das ein oder andere mal den Berg verlassen haben, um Sonne zu tanken. Ich würde nach ein paar Tagen in der Höhle ohne Licht und damit ohne Anhaltspunkt, was für eine Tageszeit es überhaupt war, verrückt werden.

Vorsichtig streckte ich alle meine Glieder. Sofort durchfuhr mich ein Schmerz, der von überall zu kommen schien. Meine Hände waren noch immer entzündet, meine Schenkel brannten wie Feuer von der gestrigen Kletterei und meine Füße protestierten in dem Moment, in dem ich sie belastet. Kurz gesagt: ich hatte überall Muskelkater. Frustriert wendete ich mich meiner Matratze zu. Immerhin hatte ich gut auf dem Ding geschlafen, sonst würde mir jetzt zu allem Überfluss auch noch der Rücken schmerzen.

Mit demselben Knopf, mit dem ich die Matratze aufgepumpt hatte, entließ ich die Luft und sah zu, wie sie immer weiter zusammen schrumpfte. Völlig fasziniert beobachtete ich die schon beinahe magische Transformation von großer Matratze zu handlichem Taschenbuch. Glumanda war noch immer die einzige Lichtquelle in unserer kleinen Höhle, weshalb ich - wie auch Yumiko - in seiner Nähe meine Tasche packte.

"Wo ist Leif?", fragte ich sie, als sie fertig war.

"Der ist losgegangen um Wasser zu holen, nachdem er mich geweckt hatte. Hast du gut geschlafen?"

"Erstaunlicherweise ja. Ich war noch nie ein Freund von Camping, aber ich denke wir haben einen guten Einkauf mit der Matratze gemacht." Wobei Einkauf hier das falsche Wort war. Gutes Geschenk passte besser.

 

Unser Frühstück war ebenso mager, wie unser gestriges Abendessen. Zusätzlich zu den Riegeln hatte Yumiko schließlich noch zwei kleine Päckchen herausgeholt, die sich als Saft entpuppten. Kaffee oder sogar Tee wäre mir lieber gewesen, aber das süße Getränk war eine willkommene Abwechslung zum stillen Wasser. Glumanda versuchte ständig Psianas Aufmerksamkeit zu erhalten und fuchtelte vor ihrem Gesicht mit den Händchen herum. Die zeigte sich unbeeindruckt und nagte eher widerwillig an dem Pokefutter. Schließlich gab Glumanda auf und setzte sich mit seinem Essen nieder. Als wir unser Frühstück gerade beendet hatte erschien Leif, eine Fackel in der Hand, die er in eine Halterung an der Wand befestigte. Dadurch wurde die Höhle gleich viel heller.

"Guten Morgen Mimi, Begleiterin von Yumiko", sagte er an mich gewandt. War das jetzt mein Erkennungsspruch? Begleiterin von Yumiko? Das nächste Mal stell' ich mich als Poke-fan oder meinetwegen auch Aromalady vor. Mein irritierter Blick schien ihn nicht zu stören. Er reichte Yumiko zwei vollgefüllte Flaschen, die sofort in ihrem Rucksack landeten.

"Wir sollten aufbrechen. Der Weg ist noch lang bis zum nächsten Ausgang." Yumiko schulterte den nun prall gefüllten Rucksack und ich hing mir die Tasche um. Dabei stellte ich stöhnend fest, dass meine Schulter wund vom Riemen war. Hoffentlich gewöhne ich mich bald an das Laufen und an all die Nebensächlichkeiten, die es mit sich brachte.

Die ersten Schritte waren eine Tortur, aber wenigsten fand ich recht bald meinen Rhythmus. Mein Bedürfnis zu duschen war groß. Besonders, da ich noch dieselben Klamotten wie gestern trug. Zu gerne hätte ich Leif gefragt, wo er das Wasser herhatte. Den ganzen Weg hin und zurück zum See, den wir gestern erkundet hatten, wird er nicht gegangen sein. Irgendwo musste er sich doch auch duschen. Aber Duschen stand heute nicht auf unserer to-do Liste, weshalb wir eisern dem eintönigen Gang folgten.

Glumanda hatte sich ausgeruht und marschierte heute wieder an unserer Seite. Leif führte vorne heraus zusammen mit Psiana den Weg, auch wenn das hier eigentlich nicht nötig gewesen wäre. Immerhin gab es nur diesen einen Pfad. Wer auch immer ihn angelegt hatte, verdiente meine Dankbarkeit. Man hatte so gerade wie möglich durch den Tunnel gebohrt, weshalb uns anstrengende Steigungen erspart blieben. Nur ab und zu gab es Geröll von abgerutschten Wänden, das es zu überwinden galt. Leif erklärte uns, dass der größte Teil des Steinschlages von Kleinstein verursacht wurde, die im Berg gruben.

 

Nach einer Weile stummen Fußmarsches bat ich um eine Pause. Mir war heute schon schnell die Anstrengung im Gesicht abzulesen gewesen, da mir noch die gestrige in den Knochen hing. Mit einer Handvoll Wasser bespritze ich mir das schweißnasse Gesicht und reinigte darauf hin mit einem extra Schwall Wasser meine entzündeten Handflächen.

Plötzlich bewegte sich das Erdreich unter mir. Erschrocken hüpfte ich zur Seite, doch ein Fuß blieb stecken. Nein, er wurde festgehalten. Ein verärgertes Kleinstein schien es mir übel zu nehmen, es mit Wasser bespritzt zu haben und hatte seinen Griff fest um meinen Fuß gelegt. Ich versuchte frei zu kommen, aber es ließ nicht los. So landete ich unsanft auf meinem Hintern. "Wieso erwische immer ich die wütenden Pokemon", rief ich zu Yumiko, die zu kichern begonnen hatte. Hilfe suchend schaute ich zu Psiana, aber die hatte wohl entschieden mir diesmal nicht zu helfen. Schließlich wurde ich nicht angegriffen, sondern einfach nur festgehalten, was sie nicht als Bedrohung ansah. Jedenfalls sprach so ihre demonstrative Sitzhaltung. Wenigstens Glumanda schien besorgt und klopfte auf dem Kleinstein herum. Ich bezweifelte, dass es überhaupt irgendeine Attacke einsetzt, musste jedoch dennoch im Angesicht seiner Tapferkeit grinsen.

Leif erbarmte sich meiner schließlich und brachte das Kleinstein mit seinem Nockchan dazu mich endlich loszulassen. Ein Schlag des Pokemons hatte gereicht, damit es seinen Griff lockerte und sich ins Erdreich vergrub. Ich bedankte mich bei ihm und rieb mir den Fuß, der glücklicherweise nicht verwundet war. Dabei fiel mir ein Schimmern in dem Loch auf, das Kleinstein hinterlassen hatte. Neugierig untersuchte ich es näher und grub mit der Hand das Etwas weiter aus. Vorsichtig, um mir nicht auch noch die Finger an den Steinen zu verletzten, befreite ich das leuchtende Ding. Leif und Yumiko waren unterdessen näher herangekommen und schauten mir neugierig zu. Prüfend drehte ich das Etwas in meinen Händen und wischte den restlichen Schmutz ab, so gut es ging. Der Gegenstand war relativ weich und flexibel und hatte etwas Schuppiges an sich. Stirnrunzelnd stellte ich mich wieder aufrecht hin, klopfte mir mit einer Hand den Schmutz von der Hose und reichte den Gegenstand Yumiko. Auch sie untersuchte den Gegenstand genauer. Im Gegensatz zu mir erkannte sie jedoch, was das war.

"Ich werd' verrückt! Du hast eine Drachenhaut gefunden?!", sagte sie mit weiten Augen. Zur Antwort legte ich nur den Kopf schief. Der Begriff Drachenhaut war mir bekannt, allerdings wusste ich im ersten Moment nicht, was genau sie bewirkte. Verstärkte sie Attacken? Nein, das war etwas anderes... Moment! Man benutzte sie zum Entwickeln von Pokemon...nur welche waren das. Mit verzerrtem Gesicht rieb ich mir den Kopf, aber ich kam nicht auf die Antwort.

Unterdessen gab mir Yumiko die Haut wieder zurück. "Die Dinger sind sehr selten. Und sehr teuer. Bewahre sie gut auf", riet sie mir. Vorsichtig steckte ich die Haut in meine Tasche. Leif hatte sich bereits wieder zusammen mit Psiana auf den Weg gemacht.

 

Es dauerte tatsächlich gefühlt Stunden, bis wir das Ende des Weges erreicht hatten. Leif hatte uns mit Geschichten aus seiner Zeit hier im Berg bei Laune halten wollen. Doch im Grunde erzählte er nur von seinem Training mit seinen Pokemon. Wie sie Faust gegen Faust gegeneinander gekämpft hatten, tagelang fasteten um den Geist zu stärken oder wie er sich mit andere Trainern gemessen hatte, meistens mit Erfolg. Irgendwann hatte ich angefangen ihn auszublenden und mich einfach auf den Weg vor mir konzentriert. Wie gern hätte ich jetzt meine Musik bei mir gehabt. Eigentlich verging kein Tag, den ich nicht mit Musik verbrachte. Ständig hatte ich Kopfhörer auf mit meinem sich ständig wechselndem Soundtrack auf den Ohren. Dies war der dritte Tag ohne Musik und ich begann sie wirklich zu vermissen. Innerlich hatte ich ein Lied nach dem anderen gesungen, aber es sich innerlich vorzustellen war nicht das gleiche gewesen, als es wirklich zu hören. Mir wurde regelrecht das Herz schwer, wenn ich daran dachte von nun an für eine lange, unbestimmte Zeit ohne Musik auskommen zu müssen. Wie ich das schaffen sollte, wusste ich bei bestem Willen nicht.

Erst, als wir den Gang verließen und in einer riesigen Höhle ähnlich der ersten auf einem Plateau ankamen wurden meine Gedanken wieder ins hier und jetzt gebracht. Auch hier gab es eine Rampe, die nach unten führte, nur gab es glücklicherweise keine zusätzliche Brücke zu überqueren. Weit unter uns sah man einen Lichtkegel, der die Stelle markierte, an der wir den Berg verlassen konnten. Bis dahin mussten wir jedoch noch die Rampe hinunter steigen. Wie schon beim Aufstieg hielt ich mich an der Wand fest - so weit vom Abgrund, wie es mir möglich war. Dabei hielt ich immer ein Auge auf die Öffnungen in den Wänden, um noch eine Konfrontation mit einem verärgertem Pokemon zu vermeiden.

Yumiko lief in kurzer Distanz hinter mir, während Leif ohne Rücksicht auf sein Leben für meinen Geschmack viel zu nah am Abgrund vor mir stolzierte. Allerdings hatte er wohl in all den Jahren gelernt, sich im Berg zu bewegen ohne sich das Genick zu brechen. So schafften wir es alle ohne Zwischenfall hinunter zurück auf den erdigen Boden. Je weiter wir dem Ausgang gekommen waren, desto deutlicher war der warme Luftzug von draußen auf unserer Haut zu spüren gewesen. Ich konnte es kaum erwarten die Dunkelheit endlich hinter mir lassen zu können. Auch Psiana musste es so ergehen, zumindest war sie die Rampe regelrecht hinunter gerannt und ohne zu warten bereits hinaus gegangen.

Geblendet von dem Licht und somit meine Augen schützend traten wir hinaus an die frische Luft. Sofort spürte ich wieder den Wind durch meine Haare fahren und an meinen Kleidern ziehen. Ein wenig hing mir noch der steinige Geruch in der Nase, aber er vermischte sich bereits mit dem frischen Duft von Blättern, Gras und nasser Erde. Nur ganz langsam gewöhnten sich meine Augen an das Tageslicht. Es herrschte strahlender Sonnenschein und damit ein gleißendes Licht, das unsere Augen förmlich anzugreifen schien.

Ich erkannte unförmige Figuren vor mir, bei denen es sich um Yumiko und die Pokemon handeln musste. Doch die breite Gestalt von Leif sah ich nicht. Blinzelnd drehte ich mich um und entdeckte ihn am Ausgang stehen, die Hände vor dem Gesicht. Für uns, die gerade mal einen Tag in der Höhle verbracht hatten, war das Licht schon schmerzhaft. Wenn Leif tatsächlich Jahre in dem Berg verbracht hatte, wie war es wohl für ihn jetzt Tageslicht zu sehen? Wobei von sehen noch nicht die Rede war.

Yumiko rieb sich ebenfalls die Augen, doch wie auch bei ihr ließ mein Schmerz nach ein paar Minuten nach. Leif stand noch immer im Ausgang.

"Alles in Ordnung?", rief Yumiko ihm zu und lief zu ihm hinüber. Ich wartete zusammen mit den Pokemon, die sich in die Sonne gelegt hatten und sich dort wärmten.

"Ich habe den Tag nicht so hell in Erinnerung", nuschelte er durch seine Hände hindurch. Es würde noch eine ganze Weile dauern, bis sich seine Sicht normalisiert hätte. Leider konnten wir so lange nicht warten. Hier lassen konnten wir ihn aber auch nicht, schließlich waren wir indirekt dafür verantwortlich, dass er nun hier stand. "Man müsste seine Augen schützen", dachte ich. Da fiel mir mein Erste-Hilfe Kit ein. Als ich meine Wunden verarztet hatte, hatte ich auch einen Verband gesehen. Schnell kramte ich es hervor und suchte nach der Rolle, die ich schließlich auch fand.

"Leif, ich habe hier etwas, womit ich Ihre Augen verbinden kann. Dann können sie sich langsam an das Licht gewöhnen", sagte ich und rollte bereits etwas von dem Mull ab.

Yumiko half mir den Verband über seine Augen zu wickeln. Dabei mussten wir auf seine Haare aufpassen, damit wir die nicht ausversehen mit hineinwickelten. Die Zeit im Berg hatte seinen Tribut gezollt. Seine mittlerweile ergrauten Haare waren bis über die Schulter gewachsen. Ein dreckiges, rotes Bandana hielt dabei den Großteil seiner Mähne davon ab ihm ins Gesicht zu fallen. Zusätzlich hatte er aus Mangel an Rasierutensilien einen schönen Rauschebart bekommen. So nah an seinem Gesicht erkannte ich auch ein paar Narben, die blass über seine linke Augenbrauenpartie verlief und eine zweite Narbe an seiner Nase.

Nachdem er nun nichts mehr sah boten wir an ihn zu führen, aber er sah die perfekte Gelegenheit für eine weitere Trainingseinlage. "Eins mit der Umgebung werden", nannte er es. Ich nenne es eher wie lange-wird-es-dauern-bis-er-einen-Baum-trifft.

 

Während sich Leif noch mit seiner Umgebung vertraut machte und Yumiko einschritt, wenn er zu nah an etwas kam, gesellte ich mich zu den Pokemon und wärmte mich in der Sonne. Ihre Strahlen taten meinen geschundenen Gliedern mehr als gut. Als ich mich streckte sah ich, wie Glumanda sich auf den Weg zu einem nahen Busch machte. Psiana ließ sich von all dem nicht stören und putze sich das von der Höhle staubige Fell. Für mich sah es aus wie ein normaler Busch oder vielleicht wie ein kleiner Baum. Aber irgendetwas schien Glumandas Aufmerksamkeit erregt zu haben. Immer weiter steckte es seinen Kopf hinein in das Gestrüpp. Eilig rannte ich hinterher um sicherzugehen, dass der Busch durch Glumandas Schwanz nicht aus Versehen Feuer fing. Während ich also die Flamme weg hob suchte Glumanda, der mittlerweile fast völlig verschwunden war, in dem Busch. Irgendwann begann es unruhig zu zappeln.

"Hast du etwas gefunden", sagte ich zu dem Pokemon. Ich hatte mich in die Hocke gesetzt und beobachtete das Pokemon mit dem Kopf auf meiner Hand abgestützt. So ein Verhalten hatte ich von meinem mittlerweile verstorbenem Hund gekannt. Immer Kopf voraus in irgendetwas hinein. Ich hatte mir angewöhnt einfach zu warten, bis er das Interesse verloren hatte. Wegziehen würde nur dazu führen, dass er nur noch mehr an der Leine zog, um den seltsamen Gerüchen, die er entdeckt hatte, nachzugehen.

Als das Zappeln Glumandas aber immer mehr zunahm erkannte ich, dass es nicht etwa etwas suchte, sondern feststeckte. Vorsichtig nahm ich ihn am Bauch und zog ihn aus dem Gebüsch. Kurze Zeit später stand ich da - das Glumanda in den Händen. Es war erstaunlich leicht, vielleicht gerade einmal fünf Kilogramm. Zunächst hob ich es eher krampfhaft von mir, während ich immer ein Auge auf seine Flamme gerichtet hielt. Aber als ich sah, wie er sie instinktiv nach oben hob, weg von mir, drückte ich ihn an mich. Glumanda schien das nicht zu stören.

Ich legte meine Backe auf seinen warmen Kopf und umfasste ihn mit beiden Händen. Im Winter musste es großartig sein das Pokemon auf dem Schoß sitzen zu haben, einen Tee in der einen und ein Buch in der anderen Hand. Während ich so meinen Fantasien nach ging kam Yumiko mit Leif an der Hand zu uns. Die Umgebung schien sich wohl zu sträuben eins mit ihm zu werden. Ich ignorierte Yumikos schelmisches Grinsen als sie sah, wie ich Glumanda förmlich erdrückte vor Herzlichkeit.

Ihre Augen fielen auf das in meiner Hand reglose Pokemon. Daraufhin legte sie den Kopf etwas schief und ließ Leif los. Besorgt, dass es sich vielleicht verletzt haben könnte, während es im Busch festgesteckt hatte und beunruhigt von Yumikos Reaktion drehte ich es um. Allerdings war er nicht verletzt, sondern vertieft in eine Kugel in seiner Hand. Wie wild knabberte er darauf herum. Bevor ich reagieren konnte griff Yumiko schon danach.

"Du Dummerchen! Die kann man doch nicht essen. Zumindest noch nicht." Glumanda protestierte, als sie ihm sein Spielzeug wegnahm, aber wurde schnell mit ein paar Streicheleinheiten von Yumiko entschädigt. Ich setzte Glumanda ab,  das wieder im Busch verschwand und beäugte die Kugel neugierig. Im ersten Moment hatte ich auf Grund der roten Farbe gedacht, er hätte einen Pokeball gefunden. Aber bei näherer Betrachtung ähnelte es eher einer viel zu großen....Beere?!

Ich fragte Yumiko, was das für ein Ding sei. Aber sie bestätigte nur meine Vermutung.

"Noch nie eine Aprikoko gesehen?" Doch hatte ich, aber das tat hier nichts zur Sache. Schnell nickte ich und deutete an, dass ich wusste, wovon sie sprach. Glumanda hatte unterdessen bereits eine zweite herausgezogen. Auch diese nahm ihm Yumiko aus den Händen und rief ihn zurück in seinen Pokeball, bevor er sich wieder in den Busch stürzen konnte. Das wird ihm nicht gefallen.

Beide Aprikoko waren rot. Also entweder gab es nur Rote oder Glumanda hatte eine Schwäche für die Farbe... Mir entging nicht, wie Yumiko beide Aprikoko einsteckte. Neugierig ging ich zum Busch. Ich hatte nur zwei Pokebälle, wenn ich aber jemanden finden würde, der mir aus den Aprikoko Bälle machen konnte, würde sich dieses Problem erledigt haben. Da Yumiko ohne Zögern die Aprikoko in ihrer Tasche hat verschwinden lassen ging ich davon aus, dass man sich einfach ein paar nehmen konnte.

Blind streckte ich meine Hand in den Baum und fühlte. Zunächst bekam ich nur Blätter und Äste zu fassen, aber bald schloss sich meine Hand um etwas Festes, Rundes. Ich ertastete die Stelle, an der die Aprikoko am Ast angewachsen war und schob meine Finger dazwischen, bis sie in meine Hand fiel. Langsam, um mir nicht die Unterarme noch weiter zu zerkratzen holte ich eine rote Aprikoko zum Vorschein. Damit wäre die Frage wohl geklärt. Es gab nur rote Aprikoko. Als ich meine Augen nach links und recht schweifen ließ sah ich jedoch, dass hier überall solche Büsche standen. Vermutlich waren das alles Aprikokobäumchen. Ich probierte mich an einem Baum etwas weiter links und wiederholte die Prozedur. Diesmal fand ich eine weiße Aprikoko.

Aufgeregt holte ich gleich noch eine aus dem Baum. Mehr als drei, konnte ich nicht in der Hand halten, also verstaute ich sie in meiner Tasche. Welcher Ball genau nun aus welcher Aprikoko herauskam wusste ich nicht. Aber Hauptsache, ich hatte Bälle. Ich ging zum nächsten Baum und gerade, als ich eine weitere Aprikoko pflücken wollte, wurde ich von Yumiko unterbrochen.

"Ich sehe, wie du dich freust, aber man sollte nicht mehr Aprikoko nehmen." Schnell steckte ich beschämt meine Hände in die Hosentaschen. Über ein mögliches Limit an zu pflückenden Aprikoko hatte ich gar nicht nachgedacht.

"Wir sollten weiter gehen", sagte Yumiko, den Blick nach Richtung Osten, zumindest glaubte ich das. Dankbar nahm ich ihren Themenwechsel auf.

"Ist es noch weit bis nach Mahagonia City?" Bitte sag 'nein', bitte sag 'nein'.

"Heute werden wir es nicht mehr schaffen", sagte sie mit versöhnlicher Stimme. Mir entging nicht, wie sie meiner Frage geschickt ausgewichen war. Niedergeschlagen senkte ich den Kopf. "Ich brauche eine Karte", dachte ich. Ich vertraute Yumiko, aber ich würde mich besser fühlen, wenn ich eine Karte hätte, auf der ich unseren Weg im Auge behalten konnte.

"Dann sollten wir zusehen, dass wir heute so viel Strecke wie möglich hinter uns bringen", erwiderte ich schließlich und begann loszulaufen. Nur um kurze Zeit später von Yumiko am Arm gepackt und herumgedreht zu werden. Falsche Richtung.

 

Mit dem blinden Leif kamen wir zunächst nur langsam voran, was meine Geduld wirklich strapazierte. Ich hasste es langsam laufen zu müssen und er zwang uns in ein Tempo, dass absolut nicht dem meinem entsprach. Jeder hatte ein ideales Lauftempo und alles darunter oder darüber war ermüdend. Sein Lauftempo lag weit darunter. Zudem bildete ich mir sogar ein, dass meine Muskeln während des langsamen Laufens mehr schmerzten, als während des schnellen. Immer wieder hatte ich ihn mit jedem mal weniger höflich gefragt, ob wir ihn führen sollten, was er jedoch jedes Mal aus Stolz ablehnte.

Die Landschaft änderte sich allmählich von bergig zu seeig. Man hatte zunächst an vielen Stellen Rinnsale aus Wasser aus dem Berg fließen sehen, die sich nach und nach zu kleinen Bachläufen gebildet hatten. Ich dachte an den unterirdischen See im Berg zurück, aus dem sicherlich ein Teil des Wassers kam. Unser Weg hatte immer entlang dieser Bäche geführt, bis sie sich schließlich in unzählige erst kleine und dann größere Seen verloren. Verloren hätten wir beinahe auch Leif, der beim Überqueren einer Holzbrücke beinahe ins Wasser gefallen wäre. Dies war endlich der Punkt, an dem er unsere Hilfe annahm. Von da an kamen wir deutlich schneller voran.

Die Sonne stand hoch am Himmel, als ich um eine Essenspause bat. Völlig erschöpft, zumindest was mich betraf, ließen wir uns am Ufer eines der größeren Seen nieder. Sofort hatte ich die Schuhe ausgezogen, obwohl ich wusste, dass das eine schlechte Idee war, und ließ sie nun während ich eine weitere dieser ekelhaften Nudelboxen in mich hineinzwang im Wasser baumeln. Die Kälte war Balsam für meine geschundenen Füße.

Nachdem Yumiko ihre Portion zu Ende gegessen hatte, holte sie plötzlich vier Pokebälle hervor und warf sie alle auf einmal. Zum Vorschein kamen die mir bereits bekannten Pokemon Dragonir, Glumanda und Rabauz. Das vierte und scheinbar auch ihr letztes starrte ich neugierig an. Sie hatte ein Sniebel, dessen weiße Krallen gefährlich scharf im Sonnenlicht glänzten. Neben Glumanda und Rabauz wirkte es zwar groß, aber keins der beiden war wirklich ausgewachsen. Ich schätzte, dass es in etwa Psianas Höhe erreichen würde. Doch da Psiana im Schatten einige Meter von uns schlief, konnte ich es schlecht vergleichen.

Ich sah zu, wie Yumiko jedem der Pokemon Futter gab. Dragonir hatte jedoch mehr Spaß daran im Wasser zu schwimmen, als zu fressen. Leif schlug jedes Essensangebot aus, sowohl für sich als auch für seine Pokemon und hatte sich im Schneidersitz auf den Boden gesetzt, wo er sich seitdem nicht mehr bewegt hatte. Wenn ich mir so ansah, wie Rabauz das Futter verschlang konnte ich mir vorstellen, dass das kleine Pokemon ganz glücklich darüber war einen neuen Trainer zu haben. Jemand, der nicht von der Energie des Universums versuchte zu leben. Wenn ich auch ihre Wahl des Essens noch immer nicht unterstützte, so war es besser, als nichts.

Plötzlich raschelte etwas im Gebüsch. Bisher hatten wir keine wilde Pokemon gesehen, was aber auch daran lag, dass das Gebiet von Seen übersät war und es damit wenig Platz für an Land heimische Pokemon bot. Aus Reflex hört ich auf mir die Nudeln in den Mund zu schieben und starrte auf die Stelle, die sich gerade noch bewegt hatte. Die anderen, selbst Psiana schienen nichts bemerkt zu haben. Ich spürte, wie ein Kribbeln über meine Haut fuhr, was definitiv nicht vom Wind kam. Wieder bewegte sich der Busch. Wie in Trance legte ich meinen Becher beiseite, schlüpfte in die Schuhe und ging auf das Gewächs zu. Den Blick auf die Stelle gerichtet, an der ich die Bewegung gesehen hatte. Ich spürte keine Angst, sondern innere Ruhe, als ich meine Hand ausstreckte und ins Ungewisse fasste.

Tatsächlich schlossen sich meine Hände um etwas Weiches, Atmendes, was sich aber nicht gegen meinen Griff wehrte. Vorsichtig zog ich das Lebewesen aus dem Busch hervor und starrte verwirrt auf das kleine Habitak in meinen Armen. Mittlerweile hatte Yumiko mitbekommen, dass ich mich bewegt hatte und rief besorgt, ob es mir gut ging. Da ich zum Rücken zu ihr stand sah sie nicht, was ich in Händen hielt.

Der Schatten über seinem Federkleid war nicht zu übersehen. Es hatte die Augen geschlossen und atmete flach. Ein Wunder, dass es sich überhaupt soweit bewegen gekonnt hatte, um den Busch zum Wackeln zu bringen und damit meine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich hatte zwar noch nie ein Habitak in der Hand gehabt, aber ich konnte dennoch sagen, dass es völlig unterernährt war. Man fühlte das Skelett unter den struppigen Federn und es wog fast nichts. Kein Wunder, dass es so klein war. Überall hingen Blätter und Schmutz, als ob es sich schon lange auf dem Boden bewegt hätte. Sicherlich hatte es schon lange keine Kraft mehr zu fliegen.

Irgendwann schaltete sich mein Verstand wieder ein und ich antwortete Yumiko, dass nicht alles in Ordnung war und zeigte ihr das kranke Habitak.

"Kannst du es heilen?", fragte sie mich. Natürlich hatte ich mit einer solchen Frage gerechnet, schließlich hatte ich soweit bereits selbst gedacht. Nur war ich keinen Schritt weiter, was das Heilen auf Abruf anging. Noch immer von den Bandagen zur Blindheit verdammt bemerkte Leif nicht, was um ihn herum geschah.

Ich ließ es auf einen Versuch ankommen und strich dem Vogel über die Federn in der Hoffnung, dadurch etwas auszulösen. Doch nach ein paar Sekunden wurde klar, dass das so nicht funktionieren würde.

"Konzentrierst du dich auch?" Solch kluge Sprüche halfen schon gar nicht. Mit einem schiefen Blick unter meiner Brille hindurch bat ich sie, nur Konstruktives beizutragen. Natürlich konzentriere ich mich, was soll die Frage?

Wie der Vogel so leblos da lag hatte ich plötzlich den Gedanken es vorsichtig zu reiben, um die Bewegung und Atmung zu stimulieren, wie man es oft bei neugeborenen Hunden tat. Wieder fuhr ich ihm über die Federn, diesmal jedoch mit ein wenig mehr Druck, wobei ich aufpassen musste ihm nicht weh zu tun. Ich konzentrierte mich auf meine Bewegung und die Kraft, die ich wagte auszuüben. Dabei achtete ich auch immer auf den Körper des Habitaks. Dann geschah es. Die Schwanzfedern waren das Erste, was zu leuchten begann. Der Schein breitete sich von Feder zu Feder aus, bis er schließlich den ganzen Vogel einhüllte. Doch es blieb nicht nur bei dem Pokemon in meiner Hand. Wie schon zuvor wanderte der Schein auf mich über, bis ich erneut von Licht geblendet gezwungen war die Augen zu schließen.

"Es funktioniert!", hörte ich Yumiko neben mir rufen. Plötzlich war es vorbei. Der Schatten war von dem Pokemon gewichen, dass nun mit offenen Augen in meinen Händen lag. Eher unkontrolliert bewegte es seine nun rötlichen Flügel, aber ich hinderte es daran, sich davon zu machen. Seine Krallen schlugen mir ins Fleisch, aber es war viel zu schwach, um ernsthaft Schaden anzurichten.

"Hör auf zu zappeln!", befahl ich zu dem Pokemon. "Du kannst noch nicht fliegen." Es war deutlich agiler als Nachtara nach meinem Handauflegen. Demnach war es wohl noch nicht allzu lange an Schattenriss erkrankt gewesen. Dennoch lang genug, um deutlich Gewicht zu verlieren. Mir wurde bewusst, dass Nachtara wohl schon längst verstorben gewesen wäre, wenn er keinen Trainer gehabt hätte, die ihn künstlich ernährte.

"Du hast unheimliches Glück, dass wir hier entlang gegangen sind", erzählte ich dem Vogel, der noch immer nicht still halten wollte, während ich zusammen mit Yumiko zurück zu unseren Sachen und den Pokemon ging. Yumiko war mir bereits einen Schritt voraus und hatte ein Brikett geholt, das sie nun Habitak zu Fressen anbot. Allerdings bekam der Vogel das Futter noch nicht einmal in den Schnabel. Yumiko versuchte das Brikett zu zerbrechen, hatte aber keinen Erfolg.

"Weich es im Wasser ein", bot ich an. " Es wird sich vollsaugen, wie ein Stück Brot. Dann kann Habitak daran nagen. Und Flüssigkeit bekommt es dadurch auch." Wild nickend und etwas nuschelnd was sich anhörte wie "Gute Idee" tauchte sie ihre Hand samt Pokefutter in den See. Schnell erhaschte ich einen Blick auf Leif, der sich keinen Meter gerührt hatte und noch immer in Meditation vertieft war. Oder er schläft.

Sniebel und Glumanda standen neben mir und betrachteten das Habitak in meiner Hand. Der Anblick der fremden Pokemon beunruhigte den Vogel nur umso mehr, weshalb ich meinen Griff etwas fester legte. Nach kurzer Zeit startete Yumiko mit dem deutlich vollgesogenen Brikett einen zweiten Versuch. Trotzt anfänglicher Skepsis nagte Habitak nun an dem Futter und verputzte das Brikett langsam, aber vollständig. Ein zweites wollten wir ihm, jedenfalls dachte ich, dass es ein 'er' war, nicht geben. Sein Magen würde mehr Futter vielleicht gar nicht vertragen.

Das Habitak war eine weitere Erinnerung daran, weshalb ich mir all die Schmerzen überhaupt antat. Es wäre gestorben, vermutlich sogar sehr bald, wenn wir es nicht gefunden hätten. Oder besser gesagt ich es nicht gefunden hätte, die erstaunlicherweise in der Lage war zu leuchten und damit Pokemon zu heilen. Lächelnd schaute ich auf das Habitak. Es war ein gutes Gefühl, dem Pokemon geholfen zu haben.

Unterdessen beendete Yumiko die Rast für ihre Pokemon. Beinahe sofort reagierten sowohl Psiana als auch Leif und erhoben sich. Scheinbar hatte er doch nicht geschlafen. Das Habitak noch immer tragend marschierten wir weiter. Es dauerte nicht lange, bis Leif das Wort ergriff.

"Mimi, Begleiterin von Yumiko", - schon wieder dieser Titel - "was hast du da gerade mit dem Habitak gemacht?" Er hatte seinen Kopf zu mir gedreht, was allein schon erstaunlich war. Woher wusste er, auf welcher Seite ich lief? Und woher wusste er überhaupt, dass es ein Habitak war? Das Pokemon war bisher völlig still gewesen und hatte sich nur unruhig bewegt. Zudem kam noch hinzu, dass ich das Gefühl hatte, er schaute mir durch die Bandagen in die Augen. War an der Sache über eins mit der Umgebung werden etwas dran?

Ein Räuspern Yumikos brachte mich in die Realität zurück. Leif wartete noch immer auf eine Erklärung.

"Es hatte Schattenriss. Ich kann nicht genau sagen wieso, aber wenn ich ein krankes Pokemon berühre, verschwindet die Krankheit." Leif nickte.

"Nun, ich habe noch nie von solch einer Krankheit gehört, aber wenn du den Pokemon helfen kannst, hast du meinen Respekt." Irritiert starrte ich ihn an. Dann begriff ich, was er meinte. Gerade wollte ich näher auf seine Aussage eingehen, aber Yumiko war schneller.

"Sie haben noch nie vom Schattenriss gehört?! Wurde wirklich Zeit, dass sie aus der Höhle herauskommen." Der Mann hatte nun mal Ausdauer.

"Dann haben Sie noch gar nichts von der Krankheit mitbekommen, die die Pokemon befällt", erklärte ich ihm ruhig. "Die Pokemon sehen aus, als wären sie von einem schwarzen Tuch überzogen und nach und nach versagt alles. Zuerst bewegen sie sich kaum, bis sie beinahe nur noch schlafen. Sie essen nicht mehr, sie trinken nicht mehr. Und irgendwann hören sie auf zu atmen." Während ich erzähle streichelte ich das Habitak, dem dieses Schicksal erspart geblieben war, mit dem Daumen. 

"Und du kannst sie heilen?" Ich nickte, erinnerte mich jedoch, dass er das nicht sehen konnte.

"Ja, irgendwie. Es gibt kein Heilmittel. Yumiko und ich sind auf der Reise, damit ich lerne meine ... Gabe richtig einzusetzen." Kurz hatte ich gezögert das Wort "Gabe" auszusprechen. Es klang lächerlich. Aber ein anderes Wort gab es nicht, dass mein Leuchten beschrieb.

"Lernen musst du es nicht mehr", sagte er mir warmer Stimme. "Du kannst es bereits. Was dir fehlt ist Training." Typisch. Für ihn war Training die Lösung für alles. Aber ich konnte mich schlecht für 20 Jahre in den nächstbesten Berg verkriechen. Außerdem, wie sollte ich das Heilen trainieren, wenn ich noch nicht einmal verstand, was ich zu tun hatte. Ich ließ seinen Ratschlag unkommentiert und lief weiter neben ihm her. Das Habitak hatte es sich mittlerweile in meiner Hand gemütlich gemacht. Scheinbar hatte es die Vorteile des Getragenwerdens erkannt: schneller Transport ohne Kraftaufwand.

Zwar benötigte Habitak keine Energie um vorwärts zu kommen, wir dafür aber umso mehr. Die nächsten verbliebenen Stunden des Tages folgten wir den vielen Wasserläufen und mir kam es vor, als kämen wir nicht wirklich voran. Der Weg zog sich wie Teer und da Bäume nur vereinzelt an den Seen auftauchten und es beinahe nur hohes Gras gab, sah man auch keine anderen Pokemon. Das ein oder andere Mal glaubte ich etwas Lilanes von einem Busch zum anderen rennen zu sehen, was demnach ein Rattfratz gewesen sein könnte, sicher war ich mir jedoch nicht. Das Habitak hatte ich mir auf die Schulter gesetzt, nachdem mir meine Hände vom ständigen Hochhalten angefangen hatten zu schmerzen. Dort hatte es sich bequem gemacht.

 

Als die Sonne bereits die Bäume berührte war es an der Zeit, sich einen Ort zum Schlafen zu suchen. Wir entschieden uns für eine Stelle unter einem der Bäume mit Fluss in der Nähe. Nicht, dass man hier irgendwo weit gehen müsste, um an Wasser zu kommen. Hier gab es praktisch mehr Wasser als Land.

Mit zunehmender Dunkelheit befreiten wir Leif von den Bandagen, der sich daraufhin die tränenden Augen rieb. Ein wenig Sonnenlicht gab es noch, so wurde unser Lager genug erhellt, damit Leif seine Umgebung inspizieren konnte. Er ging zum Fluss und betrachtete sich auf der reflektierenden Oberfläche. Er fuhr sich mit der Hand übers faltige Gesicht uns rückte sein Stirnband zurecht. Daraufhin glitten seine Augen nach oben zum Himmel.

"Es ist Jahre her, seit ich Sterne gesehen habe." Automatisch folgte ich seinem Blick und sah, dass man tatsächlich bereits ein paar Sterne erkennen konnte. Meine Matratze hatte ich aufgepumpt und legte mich nun auf den Rücken. Habitak hatte sich neben meiner Matratze eingekugelt.

Es war das erste Mal, dass ich unter freiem Himmel schlafen würde. Die gestrige Nacht hatte ich immerhin in einer geschlossenen Höhle verbracht. Noch war die Wärme des Tages spürbar, aber schon bald würde es hier dank dem vielen Wasser recht kalt werden. Schnell kramte ich auch meine Decke hervor und bedeckte meine Füße.

"Was wollen Sie jetzt machen?", hörte ich Yumiko fragen. Ich sah, wie sie Leif anschaute, der noch immer von seiner Umgebung fasziniert war.

"Was meinst du?"

Yumiko machte es sich auf ihrer Matratze bequem. Also war auch sie erschöpft, stellte ich zufrieden fest. Ich hatte schon Angst gehabt, sie sei nicht menschlich.

"Sie haben Jahre lang in der Höhle gelebt. Wollen Sie wirklich jetzt nach Saffronia City zurückkehren?"

"Ja, das werde ich. Vielleicht ist Sabrina auch gar nicht mehr Arenaleiterin", sagte er traurig. "Aber ich vermisse mein zu Hause, mein Dojo. Meinen Traum, Arenaleiter zu sein habe ich noch nicht aufgegeben. Eines Tages wird mein Dojo die Arena sein."

Im Angesicht seiner Innbrunst musste ich lächeln. Ich bewunderte Menschen mit einem Traum und einem Ziel, auf das sie hinarbeiten konnten. Auch Yumiko schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.

"Oh, soweit ich weiß ist Miss Sabrina noch immer unangefochtene Arenaleiterin."

Diese Nachricht schien seinen Geist zu beleben, da sich ein verschwörerisches Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete.

"Dann wird es Zeit ihr zu zeigen, sich besser nicht mit mir anzulegen."

Belustigt von seinem Ausbruch an Selbstbewusstsein schüttelte ich den Kopf und richtete meinen Blick gen Himmel. Von dieser Perspektive aus sah es hier nicht anders aus, als bei mir zu Hause. Ich hatte sogar kurz das Gefühl, den großen Wagen zu erkennen. Innerlich schollt ich mich für meine Naivität. Als ob man hier den großen Wagen sehen kann.

Yumiko bot mir einen Riegel an. Wie viele sie davon wohl dabei hatte? Während ich auf dem süßen Riegel knabberte, holte ich eine der Aprikoko hervor, um sie endlich mit Ruhe untersuchen zu können. Auf der Oberfläche gab es unzählige kleine, feine Härchen. Sie war sehr schwer und fühlte sich schon fast massiv an. Testweise schüttelte ich sie dicht an meinem Ohr, aber ich hörte keine Flüssigkeit im Innern. Man musste sie essen können, schließlich hielt ich gerade in der anderen Hand einen Aprikokoriegel. Aber die Hülle war derart fest und hart, dass ich mir nicht vorstellen konnte sie ohne einen Bohrer öffnen zu können. Die weiße Aprikoko unterschied sich ein wenig von der roten. Sie war weniger rund und hatte längere Härchen. Doch auch sie war schwer und massiv.

Zuletzt konnte ich nicht anders, als an ihnen zu riechen. Zitrusfrüchte verbreiteten schon in ihrer Schale einen süßen Duft und reife Bananen rochen oft intensiver, als sie tatsächlich schmeckten. Doch diese - ist das eine Frucht? - roch nur nach Gras und wenig appetitlich.

Die Müdigkeit überkam mich und ich verstaute meine Beute wieder in der Tasche. Da sah ich die Drachenhaut blau im Innern schimmern. An die hatte ich gar nicht mehr gedacht. Ich hatte schließlich noch keine Verwendung für sie und ich musste gestehen, sie selbst während dem Spiel nie eingesetzt zu haben. Mein Blick fiel auf Yumiko. Ich musste nicht lange überlegen und stand noch einmal auf, nicht ohne ein Knacken meiner Knie.

Vorsichtig ging ich an Leif vorbei, der sich um das Feuer gelegt hatte, das er entfacht hatte, während ich die Aprikoko untersucht hatte. Er lag auf dem nackten Boden, schnarchte aber schon leise vor sich hin. Yumiko hingegen war noch wach und schaute überrascht, als ich neben ihrem Schlafplatz in die Hocke ging. Ich hob ihr die Drachenhaut hin.

"Ich denke du könntest das besser gebrauchen, als ich", flüsterte ich. Yumiko erhob sich schnell und stützte sich auf einer Hand ab. Schüttelte aber den Kopf.

"Die hast du gefunden. Du solltest sie behalten. Wer weiß eines Tages wirst du-"

"Nein", unterbrach ich sie sanft. "Ich denke nicht. Außerdem möchte ich mich dafür revanchieren, dass du ohne zu zögern diese Reise mit mir machst. Ich weiß das zu schätzen."

Zuerst reagierte sich nicht und starrte mich nur mit offenem Mund an. Dann fiel sie mir um den Hals und ließ einen leisen Kreischer hören.

"Du weckst Leif noch auf", protestierte ich, während sie mir die Luft abdrückte. Doch der schnarchte unbeeindruckt weiter. Zögerlich erwiderte ich die Umarmung.

"Ich werde die Drachenhaut gut einsetzten", versprach sie mir, als ich sie ihr überreichte, nachdem sie mir wieder ein wenig Luft zum Atmen gegeben hatte.

"Davon gehe ich aus", sagte ich und machte mich wieder zurück zu meiner Matratze. Ich entschloss es genug für heute sein zu lassen und zog meine Weste aus. Ich wollte nicht auch noch mit ihr schlafen, wenn ich schon nicht aus meinen anderen Klamotten raus kam. Die Decke würde mich schon warm genug halten. Die Schuhe loszuwerden war an sich schon eine Wohltat, aber das Gefühl sich endlich ausruhen zu können war überwältigend. Ich warf noch einmal einen Blick auf Habitak, dass nur noch als Federkugel zu erkennen war. Ich hatte den Drang es noch einmal zu streicheln, wollte es aber nicht wecken. Im Moment war ich unschlüssig, was ich mit dem Habitak machen sollte. Natürlich konnte ich es behalten, aber ich konnte es mir nicht als mein Pokemon vorstellen.

Heute Morgen hätte ich nie geglaubt, mit einem Habitak neben dem Kopf einzuschlafen. Diese Welt war einfach erstaunlich. Ich gähnte. Das erste Pokemon will gut gewählt sein. Vielleicht traf ich es ja morgen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
- Du findest eine Drachenhaut
- Am Ausgang der Hölle befinden sich ein paar Aprikokobüsche deiner Wahl. Bediene dich, wenn du magst.
- Heile ein wildes Habitak
- Bewege dich auf Route 42. Aber du wirst die Stadt noch nicht erreichen. Übernachte unter freiem Himmel
- Der Weg ist deutlich leichter, als in der Höhle, aber du hast natürlich Muskelkater Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Erenya
2015-10-13T07:24:58+00:00 13.10.2015 09:24
Leif ist schon ein witziger Geselle. Irgendwie vermisse ich ihn jetzt schon, wenn ihr euch von ihm trennt.

ich hoffe natürlich für dich, das Yumiko die Drachenhaut gut einsetzen wird. Welches Pokemon sie damit wohl entwickeln wird? Dragonir? Braucht Dragonir überhaupt eine Drachenhaut?

Die Sache mit den Aprikokos wird noch interessant, allerdings seid ihr ja doch etwas weiter von dem jenigen entfernt, der dir da raus Pokebälle machen kann. Aber was nicht ist kann ja noch werden, die Reise hat ja gerade erst begonnen.
Antwort von:  ougonbeatrice
14.10.2015 12:18
Nein, Dragonir braucht sie nicht. Eigentlich kann nur ein Pokemon damit entwickelt werden, aber das hat Yumiko noch nicht.
Richtig der Mensch der daraus Pokebälle macht ist in einer ganz anderen Ecke. Aber man hat sie. Ich kann ja mit ihnen jonglieren oder sowas.
Von:  yazumi-chan
2015-07-18T15:13:37+00:00 18.07.2015 17:13
Endlich aus der Höhle raus... Das war kein spaßiger Spaziergang :) Ich bin etwas unglücklich mit dem Fettdruck, weil ich das nur als Kursiv kenne xD Ist natürlich deine Entscheidung, aber ungewohnt ist es schon. Habitak und Glumanda sind richtige Schätze, und Yumiko mag ich inzwischen auch sehr gerne.
Ich bin genau wie du bei Sachen, die mich stören. Erstmal ewig lange nichts sagen und stumm vor sich hinbrodeln, bevor dann irgendwann Schluss ist.
Ich grübele außerdem noch über die Funktionsweise deiner Heilfähigkeiten. Es ist immer so unterschiedlich, ich habe langsam keine Ahnung mehr, was die Heilung startet xD Hoffentlich wird sich das beim Training klären.
Antwort von:  ougonbeatrice
19.07.2015 10:48
Danke wie immer fürs Lesen. ^^

Den Fettdruck hab ich total vergessen. Für mich is das Kursiv einfach nur 'Gedanken', daher hab ich das, was betont werden soll in meinem Dokument dann dick gemacht. Aber wenn das dann doch so sehr stört dann mach ich das Kursiv.
Glumanda ist auch mein Augapfel ^^ Gerade weil es noch sehr jung ist kann es sich so ziemlich alles erlauben. ^.^

Mein Motto: lächeln und winken ;) Wenn das Winken dann aufhört wirds kritisch.

Um mir die Heilung erklären zu lassen brauch ich erst einmal jemanden, der Ahnung von sowas hat ;)

Danke und liebe Grüße
Von: abgemeldet
2015-07-17T20:38:59+00:00 17.07.2015 22:38
Hmm, also wenn du eine Karte brauchst, solltest du doch mal Leif fragen. Selbst wenn er sie nur skizziert und sie auf einen zwanzig Jahre alten Stand datiert, ist das besser als hinter Yumiko hinterher zu laufen und das Beste zu hoffen. ;-) In dem Moment, bevor das Habitak aufgefunden wurde, hielt ich dich für sehr mutig. Das intuitiv zu tun, wäre mir nach den Zubats und Kleinsteins des Kesselbergs doch schwerer gefallen, aber das SI ist generell eher schwer aus dem Konzept zu bringen. Bisher wird fast ausschließlich stumm geschimpft, unabhängig davon, ob Leifs Lauftempo, das Essen, die Füße zum Gegenteil verleiten - na, mal schauen, bis das von einem Gegner ausgehebelt wird.

Was ich interessant fand, war der Unterschied zwischen trainierten und wilden Krankheitfällen. Allerdings hat keiner ein totes Pokémon in der Natur gefunden, das kommt bestimmt demnächst als Schockerlebnis, das die Geister spaltet. Bis dahin kann man sich an dem jungen, verspielten Glumanda erfreuen. ;-)
Nur eine Frage blieb für mich offen: Weshalb dürfen nicht mehr Aprikoko gepflückt werden? Aus Respekt gegenüber anderen Trainern, die auch Bälle benötigen? Weil sie sehr langsam gedeihen? Weil ... Yumiko, das hättest du ausführen können!

Viele Grüße, Morgi
Antwort von:  ougonbeatrice
17.07.2015 22:52
Ui bist du fix ^^
Danke fürs lesen. Dass jemand eine Karte zeichnen könnte darauf komm ich einfach nie XD Ich selbst bin unheimlich schlecht in Karten zeichnen das ist alles... nur keine annähernde Beschreibung eines Weges. Daher fällt mir nie ein, dass es Charaktere gibt die sowas können XD Aber ich werde daran denken. Noch darf ich glaub ich sowieso keine Karte haben aber ich will eine. Zur Not lass ich die dann malen ;)
Ja das alles staut sich auf. Ich bin sehr lange ruhig bei sowas und lass andere einfach machen. Aber es kommt der Punkt, an dem ich keine Lust mehr habe. Und dieser Punkt wird kommen ^^
Zu deiner Frage. Du hast Recht, das hätte ich ein wenig ausarbeiten können. Es soll aus Respekt vor den anderen Trainern einfach nicht mehr genommen werde. Ich dachte dabei an die Spiele, da man dort ja immer nur eine Aprikoko bekommt. Wenn also ein Trainer einfach den Busch leer macht gilt das als schlechtes Benehmen. Es ist kein Gesetzt, dass man nur ein zwei oder drei nimmt, aber eben Sitte. Da hatte ich das so schön in meinem Kopf, aber sowas hätte mir Yumi erklären können/müssen. Da hast du völlig recht.
Antwort von:  ougonbeatrice
17.07.2015 22:55
Jetzt hat sich das abgeschickt bevor ich danke sagen konnte XD
Danke für deine Hinweise und das werde ich im Hinterkopf behalten. Ich weiß noch nicht, ob ich überhaupt nervenstark genug bin tote Pokemon zu sehen. Tote Tiere ist für mich immer....mein Herz verkraften das nicht. Daher vermeide ich natürlich solche Szenen. Aber ich werde nicht immer rechtzeitig zur Stelle sein um ein Pokemon zu heilen, da mach ich mir keine Illusionen.

Grüße Beato


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