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Die zehn besten Serienfinal-Episoden mit dem Def seinem Seal of Approval - Platz 7

Autor:  Yeo


Und es wird weitergelistet in den Top 10 der besten Serienfinal-Episoden von wo gibt.
Die Regeln und Plätze 10 bis 8 entnehmt ihr meinen letzten Postings.

Und denkt dran: SPOILER-Warnung für die hier besprochenen Serien!

Platz 7: Die Sopranos




85 Stunden, verteilt auf 6,8 Staffeln hat Mastermind David Chase auf diese finale Folge hingearbeitet. Der große amerikanische Roman über Familie, DIE Familie und über Essen.
Ein Epos, das einen epochalen und erschütternden Schlussakt vermuten ließ …
Doch was folgte, war eine letzte Stunde in New Jersey, die keine Anstalten machte, sich gehetzt zu fühlen.

Während die vorletzte Folge noch einen Knall nach dem anderen abfeuerte und man dachte, das sei der Point of no Return für alle Beteiligten, gab es statt Sperrfeuer, Explosionen und massenhaft zu füllenden Leichensäcken eine recht antiklimaktische Konfliktlösung der kontrahierenden Mafiafamilien an einem wackeligen Gartentischchen in einem dunklen Lagerhaus. Ein paar Kompromisse, spröde Verhandlungen – basta.
Der Rest der Folge wirkte wie eine mittlere Episode aus irgendeiner Staffel. Eine dieser Lückenfüller-Abhandlungen, um die Geschichten und zwischenmenschlichen Beziehungen voranzutreiben. Eine Überbrückung zwischen Highlights – nur ohne Aussicht auf künftige Entwicklungen, da dies der Schlussteil war.
So verbringen wir fast schon etwas zuviel Zeit mit Nebensächlichkeiten wie Tony Sopranos zugelaufener Katze, Gesprächen über amerikanische Casting-Shows oder AJs brennendem SUV.
Das Ganze wird natürlich mit den David Chase’schen filmwissenschaftlich höchst komplexen semiotischen Einschüben gewürzt – doch ganz ehrlich: 95% der Zuschauer verstehen doch eh nich, warum die Katze das Bild vom kurz zuvor verstorbenen Christopher anstarrt oder warum bei Bobbys Leichenschmaus Tony das Bild vom Vesuv mustert, während Carm neben ihm auf einem Stuhl sitzend ihr Essen in sich hinein arbeitet. Ein Symbol hier, eine Analogie da.

Es ist, als wolle einem der Macher sagen, dass es in der Serie nie um narrative Finalitäten oder dramatische Wechselwirkungen ging, wie man sie aus jedem anderen Medium massenweise vorgesetzt bekommt. Das Leben geht weiter – egal, wie schlecht die Karten stehen.

Ein beinahe würde man die Folge schon als Banalität abtun … wären da nicht die fünf Minuten ganz zum Schluss. Eine finale Szene, die ein wahres Wunderwerk ambitionierter Filmkunst ist.
Tony trifft sich mit seiner Familie im Holsten’s, einem Diner, in dem alle zusammen Zwiebelringe essen, während die Jukebox „Don’t Stopp believing“ von  Journey spielt. Und Meadow hat Probleme beim Parallel-Einparken.
Leute treffen sich im Diner – verschiedene Familien, wenn man so will. Der Baseball-Coach mit seiner Jugend-Mannschaft, der Trucker, der sein Zwischenstop-Bier genießt, ein paar junge Leute, die sich einen Snack holen. Ein letztes Mal wird die Familien-Analogie doppelt unterstrichen. Tony hatte mit seiner Frau-und-Kinder-Familie sowie der ihm unterstellten Mafia zwei Familien. Doch es gibt noch so viele andere Familien da draußen.

Und alle haben sie eine gute Zeit. Meadow parkt erfolgreich ein, betritt das Diner. Ende.

Das Leben geht halt weiter.


… oder eben nicht.

Es ist was an der Szene, das einen nachdenklich macht, und erst nach und nach entfaltet sich die eigentliche filmische, dramaturgische, emotionale Macht dessen, was man vielleicht erst viel zu profan rezipiert hat.
Irgendwas haben Drehbuch, Kamera und die ganze Handschrift der Serie in einem aufgebaut.

Zunächst ist es nur so ein Gefühl, doch nach und nach entwickelt es sich zu etwas Größerem.
Man entdeckt und deutet immer mehr, immer mehr, immer mehr.
Was bedeutet das Gemälde an der Wand, als Tony das Diner betritt? Warum schaut Tony nicht auf, als er AJs Hand packt, was hat es mit dem Fokus auf Meadows Park-Problemen auf sich? Was bedeutet das Muster der Kameraeinstellungen? Die Türglocke? Und was für eine Rolle spielt der Typ am Thresen? Warum bekommt er so viel Aufmerksamkeit von der Kamera …?

Der Feelgood-Moment ist vielleicht gar nicht das, was er zunächst schien. Vielleicht ist er das absolute Gegenteil.


Und je länger man darüber nachdenkt, desto bewusster wird einem die zu interpretierende Wahrheit:
Tony Soprano ist tot.


Was man nie grafisch serviert bekommt, ist der einzig logische Schluss des finalen Akts.
Meadow betritt das Diner und muss in direkter Blickrichtung sehen, wie ihrem Vater das Gehirn weggeschossen wird. Carmela und AJ sitzen direkt davor.
Die vermeintlich wohl positivste Szene der ganzen 86-stündigen Serie ist der versteckte größte Horror für die Sopranos.

Doch um zu diesem Schluss zu gelangen, muss der Zuschauer sehr viel arbeiten. Zahlreiche Bilder und Gesprächsfetzen gilt es, zu deuten.
Die ultimative Aussage der Serie muss entschlüsselt werden: Die Aussage, dass es eigentlich um den Aufstieg und Fall, Geburt und Tod von Tony Soprano ging.
Von der „Wiedergeburt“ in der ersten Szene der ersten Folge bis zu seinem finalen Point of View: dem schwarzen Nichts des Todes.

Die letzte Staffel hat deutlich gemacht, dass es kein Happy End für Mitglieder oder Beteiligte der Mafia gibt.
Keiner kommt heil aus der Sache raus. Onkel Junior vegetiert mit Alzheimer seinen letzten Tagen entgegen, Silvio liegt in einem Koma aus dem er nicht mehr erwacht, Paulie besetzt schlussendlich die gefährlichste Position in der Familie und er weiß, dass damit sein Todesurteil ebenfalls unterschrieben ist. Ein einsamer, nerviger alter Mann ohne Nachkommen ist das, was noch übrig bleibt vom New Jersey-Kern-Mob.

Im Prinzip eine nette Aussage. Verbrechen lohnt sich nicht.
Und dennoch wollen wir nicht wahrhaben, dass es so endet. Wir wollen das Ende auf Krampf anders interpretieren. Die Aussage soll bitte sein, dass das Leben weitergeht und nicht aprupt endet.

Wir wollen nicht glauben, dass Tony in diesem Diner eliminiert wird.
Das größte Arschloch der Fernsehgeschichte.
Tony hat alles gemacht, um uns anzuwidern. Er hat Familienmitglieder ermordet, seine Frau verprügelt, unzählige Leben zerstört, Leute in den Selbstmord getrieben, geklaut, gehurt.
Und dennoch wünschen wir ihm nicht so ein unrühmliches Ableben.
Wir wünschen uns, dass es da draußen immer den ultimativen Soziopathen gibt, der in New Jersey das gesellschaftliche und moralische Gefüge untergräbt.

Tony Soprano – der Adolf Hitler unserer Zeit. Und wir haben ihn in unser Herz geschlossen.
Und genau das ist es wohl, was großartiges Fernsehen ausmacht. David Chase’ Meisterwerk. Wir waren alle in Tonys Kopf und uns fällt es schwer, wieder rauszukommen.

Die Endsequenz auf YouTube:
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