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Vergleich Animexx-RPG <-> Heim-RPG Rollenspiel, RPG

Autor:  Milkymalk
Ich warne schonmal vor, das wird größtenteils unmotiviertes (=grundloses) Gefasel mit etwas Theorie zum Erstellen von RPGs am Ende.

Schon ein paarmal bin ich zu RPGs eingeladen worden, und auch wenn ich mich ernsthaft freue, daß man mich für "würdig" hält, daran teilzunehmen, habe ich immer abgelehnt. Warum?

Zuerst sollte ich erklären, was für mich ein Rollenspiel aka RPG ist.

Eine Momentaufnahme aus unserer realen Rollenspielrunde: Sonntag Nachmittag, 15 Uhr und 22 Minuten, Spieler A betritt als Letzter die "Gruft", wie wir den Raum nennen, den wir für allerlei Veranstaltungen nehmen. Alle anderen Mitspieler sind bereits da. Mitspieler B verkneift sich mit Mühe eine abfällige Bemerkung über die Unpünktlichkeit, obwohl Mitspieler C immer noch an seinem Burgerking-Fraß kaut und wir eh noch nicht hätten anfangen können. Irgendjemand sucht dann noch nach seinem Charakterblatt, das vermutlich daheim auf dem Schreibtisch liegt, und ich habe wahrscheinlich auch mal wieder meine Würfel vergessen. Kein Problem, wir haben ja insgesamt so ca. 200 davon dabei. Jemand hat Kekse oder Chips auf den Tisch gestellt, entweder damit man sich daran bedienen kann oder um Leute anzumotzen, die sich daran bedienen.

Zugegeben, bisher klingt das nicht allzu reizvoll.

So nach und nach fängt dann tatsächlich das Spielen an. Das bedeutet, eine Gruppe von Leuten, die sich recht gut kennen, spielt eine andere Gruppe von Leuten, die sich recht gut kennen. Man reagiert aufeinander, würfelt aus, ob die eigenen Aktionen gelingen, und lauscht den Beschreibungen des Spielleiters/Erzählers/Dungeon Masters/Meisters, wie die Spielwelt auf die Spielercharaktere reagiert. Und die Gruppe arbeitet zusammen, um ihr Ziel zu erreichen: Da macht ein neugeborener Vampir ohne Ahnung von der nächtlichen Welt die Stadt unsicher und der Prinz der Stadt will ihn eingefangen haben; im nächsten Spiel soll eine unerschrockene Gruppe von Abenteurern den Sohn einer reichen Handelsfamilie auf einem Lastkahn einen großen Fluß entlang zu seiner zukünftigen Angetrauten schippern; ein andermal hören die Spielercharaktere von einer alten Gruft, um die sich etliche Geheimnisse ranken sollen und beschließen, diese zu erkunden; seltsame Ereignisse in New Jersey rufen die Spielercharaktere auf den Plan, die als realitätsverbiegende moderne Magi einer mysteriösen psychiatrischen Klinik auf den Zahn fühlen; eine Crew von Steampunk-Gesetzlosen wird mit ihrem Luftschiff angeheuert, eine Adlige an das andere Ende der Welt zu bringen. Das sind alles tatsächliche Beispiele von Spielplots, die bei uns aufgetreten sind. Wie man sieht, ziemlich viel Abwechslung. Fast alle diese Plots sind vom Spielleiter (oder einem anderen Spielleiter) erdacht worden, und der Spielleiter begleitet die Charaktere auf ihrem Weg zur Lösung und kommentiert ihr Vorankommen.

Wie sehen bei sowas die Charaktere aus? Es sind, meist vom Spieler, nach bestimmten Regeln zusammengestellte Eigenschaften und Punktwerte, die den Charakter darstellen. Es ist klar umgrenzt, was er kann und wie gut. Der Charakter fügt sich durch seine Vorgeschichte möglichst nahtlos in die Spielwelt ein, paßt dazu und wird vom Spielleiter aktiv in die Handlung eingebaut.

Nun zum Vergleich, wie ich Animexx-RPGs bisher wahrgenommen habe. Dabei erhebe ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, und ich bin sicher, daß es nicht bei jedem RPG so abläuft. Tatsache ist aber, daß alle RPGs, bei denen ich bisher reingelesen habe, genau so ausgesehen haben.

Jeder Spieler hat einen Charakter, der einen kleinen Steckbrief besitzt, in dem dargestellt wird, was ihn so einzigartig und besonders macht. Am besten noch mit einem Bild aus irgendeinem Manga oder Anime. Diese Charaktere werden dann zusammengeworfen und machen je nach RPG-Thema verschiedene Dinge miteinander, und zwar jeweils seitenlang:

- sie liefern sich einen Wettbewerb in "wer steht im Wortgefecht cooler da"
- sie tun coole Dinge wie plötzlich auftauchen, gähnend ausweichen, meterweit in die Luft springen und auf Laternenpfosten landen
- sie machen miteinander herum
- völlig wertungsfrei: Sie stellen sich selbst dar.

Und der Grund dafür ist: Es gibt weder einen Spielleiter, der sich als Storyschreiber versteht, noch eine (schnelle oder überhaupt eine) Methode, die Fähigkeiten zweier Charaktere miteinander im Wettstreit zu messen. Was im realen RPG in 20 Sekunden mit ein paar Sätzen und einem Würfelwurf erledigt ist, würde im Foren-RPG Stunden dauern, da selten mal alle Beteiligten gleichzeitig online sind und mitlesen. Somit sagt jeder einfach, was er tut, und es passiert ohne Gelegenheit des "Konkurrenten", dagegenzuhalten; als Ergebnis kommen entweder seitenlange Gespräche zustande (weil ein Gespräch nunmal hin- und hergeht) oder ein Charakter dominiert die Szene und tut was er will - wenn niemand anders die Zügel an sich nimmt.

Problem Nummer zwei sind die Charaktere selbst. Jeder spielt einen Charakter, den er als Spieler toll findet, an sich ist das ja auch okay. Nur versteht jeder Spieler seinen Charakter als Hauptfigur, als Mangahelden, nicht als Gruppenmitglied. Und das gipfelt in seitenlangem Präsentieren und Selbstdarstellung des Charakters. Eine Rollenspielgruppe darf aber nicht aus lauter Einzelhelden zusammengestellt sein. Das ist, als würde man eine Fußballmannschaft aus den besten Torschützen der ganzen Liga bilden. Jeder hat die Starposition, aber es fehlen die Vorlagen.

Was solchen RPGs aber am meisten fehlt ist ein roter Faden, ein Ziel, das alle erreichen wollen und ein Spielleiter, der sagt, wie sie vorankommen. Dabei reicht es aber nicht, daß der Spielleiter einen oder zwei Charaktere als NPCs übernimmt und diese spielt. Für das Entstehen einer interessanten Handlung ist es nötig, daß die Spieler Dinge erfahren, Geheimnissen auf den Grund gehen, Zufälle und Überraschungen erleben. Und das kann man nur mit einem Spielleiter, der einen "Masterplan" hat, was im Spiel passieren soll und passieren wird.

Das RPG findet an einer japanischen Schule statt, wo die Charaktere Engel oder Dämonen sind? Wunderbar. Aber das ist keine Handlung, das ist ein Setting! Wenn man Charaktere in so ein Spiel wirft passiert genau das, was ich geschrieben habe.

Settings sind:
- eine japanische Highschool, an der jeder Schüler entweder ein wiedergeborener Engel oder ein wiedergeborener Dämon ist
- in der Zukunft ist die Welt von Vampiren beherrscht
- etwa 10 Charaktere sind mit etwa 10 anderen Charakteren verkuppelt
- zwei Werwolfrudel liegen miteinander im Streit/Krieg
- normales Alltagsleben in einem Internat

HANDLUNGEN dagegen sind:
- Ein Schüler (am besten NPC) an der Highschool erweist sich als extrem mächtig, ist aber weder Engel noch Dämon, und NPCs und PCs beider Seiten versuchen ihn für sich zu gewinnen.
- Die SCs sind Menschen, die von ihren jeweiligen Dörfern als Opfergaben an die Vampirherrscher ausgeliefert wurden. Sie finden während des Spiels einen Weg zur Flucht und versuchen, sich in Sicherheit zu bringen.
- Okay, beim 10x10-Szenario wird es extrem schwer...
- ...aus dem Streit droht Krieg zu werden, als ein Werwolf mit einem Silberpfeil im Herzen gefunden wird. Die SCs wollen das verhindern und versuchen, herauszufinden, woher der Pfeils stammt - und stolpern dabei über eine Verschwörung und eine größere Gefahr als einen Rudelkrieg.
- SC A und B wohnen im Internat sind ein Paar - bis As beste Freundin/Rivalin aus der Grundschule, C, auftaucht und B schöne Augen macht. Warum tut sie das? Nach und nach stellt sich heraus, daß B und C sich länger kennen, daß C totkrank ist, daß A früher übelst gemein zu C war und sie sich nun rächen will, oder daß C einen viel übleren Plan hat. Entweder A oder C sollten NPCs sein. Solche Alltags-RPGs leben und sterben mit den guten Einfällen eines Spielleiters, der am besten eine Menge Seifenopern kennen sollte ;)

Solche Handlungen funktionieren nur unter einer von zwei Bedingungen:

1. Die Spieler sind extrem kreativ und scheuen sicht auch nicht, sich selbst Steine in den Weg zu legen, um eine interessante Story voranzubringen; sie vertrauen einander in dieser Hinsicht auch genug, um sich auf die Ideen der Anderen einzulassen; sprich: alle handlungsrelevanten NPCs werden von ihnen mitgespielt und bei Bedarf aus dem Hut gezaubert.

2. Es gibt einen Spielleiter, der alles moderiert, die Handlung weitertreibt und die Spielwelt lebendig macht. Alle Aktionen werden nur angekündigt und passieren erst wirklich, wenn der Spielleiter den Ausgang der Aktion beschreibt.

Um es kurz zusammenzufassen:
Ich bin der Ansicht, daß man eine Handlung statt eines Szenarios benötigt sowie eine treibende Kraft, die die Handlung voranbringt und Überraschungen erzeugt. Ansonsten tritt das Spiel sehr bald auf der Stelle.
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Datum: 15.02.2010 00:40
wie wahr....

auf den punkt gebracht
Gewalt ist die Abwesenheit von Sprache.


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