Zum Inhalt der Seite

Einzelposting: Frühkindliche Prägung


Links hierher: http://www.animexx.de/forum/thread_164965/-1/12924989339829/
http://desu.de/VbDkiYG




Von:    roterKater 16.12.2010 13:01
Betreff: Frühkindliche Prägung [Antworten]
Avatar
 
Also bevor dieses Ammenmärchen hier weiter breitgetreten wird: sexuelle Orientierung ist nicht angeboren, nicht genetisch bedingt und vor allem nicht vererbbar! Das ist eine Erfindung der Sexualpsychologie, die sich auf die Fahne geschrieben hat, alles, was nach konservativen Maßstäben nicht "normal" ist, zu einem pathologischen Zustand zu verklären, und weil es dafür irgendeine wissenschaftlich akzeptierte Rechtfertigung braucht, wurde halt der Mythos vom "Homo-Gen" ins Leben gerufen - welches übrigens bis heute nicht gefunden wurde.

Dazu muss man wissen, dass die Vorstellung einer "sexuellen Orientierung" selbst eine Erfindung der Sexualpsychologie ist. Der Mensch hat Jahrtausende lang auch ohne die Vorstellung leben können, dass du automatisch bist, was du tust. Im alten Rom hat zum Beispiel jeder einfach gevögelt, worauf er/sie Lust hatte, ohne dass dadurch eine Aussage über seine Identität getätigt wurde. Du konntest also eine homosexuelle Beziehung haben, ohne dass dadurch automatisch festgelegt wurde, dass du jetzt homosexuell bist (oder bi oder hetero). Selbst im christlichen Mittelalter wurden gleichgeschlechtliche Beziehungen zwar kriminalisiert, aber nicht pathologisiert.

Die Idee von Homosexualität als Abweichung oder gar Krankheit ist tatsächlich keine 200 Jahre alt. Und sie ist im Wesentlichen die Übetragung christlich-konservativer Normen und Werte auf wissenschaftliche Verhandlungssysteme. In Japan gab es zum Beispiel bis ins 19. Jahrhundert noch keine Vorstellung davon, dass Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen irgendwie anders sind. Das kam erst im Zuge der Modernisierung nach der Landesöffnung, wo man dummerweise auch konservative Vorstellungen aus dem Westen (Homosexualität ist Barberei) als modernes Erfolgsmodell übernommen hat.

Dennoch gibt es halt eine lange Tradition vielseitiger sexueller Ausprägungen in der japanischen (und allgemein asiatischen) Kultur. Zum Beispeil lässt sich die Vorstellung des androgynen Bishounen bis zum "Genji monogatari" zurückverfolgen (Genj war "so schön wie eine Frau") und war in der Edo-Zeit besonders über das Kabuki extrem populasisiert. Diese sexuelle Offenheit in der Kulturproduktion (die in keinem Verhältnis zur Diskriminierung im japanischen Öffentlichkeitsdiskurs steht) findet sich bis heute in Anime und Manga wieder, unter anderem auch "Sailor Moon".

Aber zurück zum Thema. Neben dem Märchen, dass sexuelle Orientierung nicht nur als Identitätskriterium biologisch existiert (Blösdinn), sondern auch genetisch determiniert ist (Riesenblödsinn), gibt es nocheinen zweiten darin verschränkten Mythos: dass sich Menschen eindeutig in männlich/weiblich unterteilen lassen und dass man darauf eben auch die hypothetische sexuelle Orientierung projiziehren kann.

Erstens ist das biologisch Stuss: es gibt allein neun biologische Kriterien, nachdem man männlich/weiblich unterscheiden kann, und nicht immer stimmen alle überein. Zum Beispiel gibt es Frauen mit XY-Gen. Dann gibt es die psychische Intersexualität - du fühlst dich als Frau im Männerkörper oder andersrum.

Umgekehrt geht die Idee einer "sexuellen Orientierung" auch von der Vorstellung aus, dass das, was wir attraktiv finden, eindeutig als männlich oder weiblich zuordnenbar ist und sich Menschen danach eben als homo, hetero und bi unterteilen lassen. Aber was ist denn nun, wenn ein Edo-zeitlicher Bürger einen zwar männlichen, aber weiblich aussehenden Kabuki-Spieler vergöttert? Ist der dann schwul? oder bi? Oder doch hetero?

Diese Einteilung macht einfach keinen Sinn, und ganz besonders macht sie für Anime/Manga keinen Sinn weil diese sexuellen Uneindeutigkeiten dort eben sehr verbreitet sind, gerade in den "Mädchen-Manga-Genres" BL und Shoujo.

Ich denke, wenn sich viele Animexxler hier als "bi" eintragen, heißt das einfach nur, dass in der Szene allmählich die bisher noch unbewusste Erkenntnis Einzug erhalten hat, dass das konservative Modell von Hetero- und Homosexualität einfach keine Gültigkeit mehr für sie hat. Und ehrlich gesagt finde ich das gut so!

P.S. Wen das näher interessiert, dem kann ich die GID-Broschüre "SeXY Gene 2009" vom Genethischen Netzwerk empfehlen. Da wird auch mit dem "Homo-Gen" kräftig der Boden gewischt. Sehr lesenswert.
***Blog zu deutschen Manga-Publikationen***
***Deutscher Manga? Japanischer Manga? Mitraten und Gewinnen!


Zurück zum Thread