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Bonheur éphémère

von

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Ein großer König

Francis fühlte sich, als habe er gewonnen. Der Wind, der in sein Gesicht wehte, roch fremd und aufregend. Dies hier war neues Land, das noch kaum jemand vor ihm betreten hatte. Und trotz der destruktiven Absichten seines Erzrivalen hatte er es geschafft, sich ein gutes Stück davon zu sichern. Arthur würde sich noch umsehen, oh, und wie er das würde.

Ein Stück von ihm entfernt saß Arthur auf einem Felsen, das Gesicht der untergehenden Sonne zugewandt. Sein Schatten fiel lang über den Stein und das Gras hinter ihm. Triumphierend machte Francis sich auf den Weg zu ihm hinüber. Das Land war in diesem Gebiet flach, bis zum Horizont zogen sich Steppen mit kurzem Gras. Wie unaufmerksam, dass Arthur ihn nicht längst bemerkt hatte.

„He, Angleterre! Schau dir an, was ich hier habe!“

Arthur zuckte zusammen und drehte sich um. „Vergiss es, Francis!“, fauchte er anstelle einer Begrüßung und schlang die Arme beschützend um das kleine Stoffbündel, das er festhielt. „Du kriegst ihn nicht!“

Francis lachte laut auf, als er näher kam. „Keine Sorge, Angleterre. Ich habe kein Interesse mehr an deinem Balg.“

„Ach ja? Und das soll ich dir...“, begann Arthur, brach dann aber ab. Seine Augen weiteten sich, als er den Jungen erkannte, den Francis auf dem Arm trug. Sein Kopf war gegen dessen Schulter gesunken.

„Darf ich vorstellen?“, fragte Francis und genoss Arthurs fassungslosen Blick. „Das ist Mathieu. Mein neuer kleiner Bruder.“

Einen Moment lang fehlten Arthur die Worte. Er schüttelte den Kopf und sah zwischen Mathieu und dem Jungen hin und her, den er selbst in den Armen hielt. „Aber...“, begann er verwirrt und runzelte die Stirn. „Aber...“

„Ja, Angleterre?“, fragte Francis und blinzelte unschuldig.

„Du nennst ihn...“

„Mathieu. Oui. Weil ich ihn von dir fernhalten werde und ich mir dachte, dass du nicht im Stande bist, diesen Namen auszusprechen.“

„Was ist das denn auch für ein bescheuerter Name?!“

„Ich bitte dich“, erwiderte Francis überheblich. „Dein Bruder hat ja noch nicht mal einen.“

„Natürlich hat er einen!“, widersprach Arthur und wurde rot. „Er heißt... sein Name ist...“

Er brach ab und betrachtete das schlafende Gesicht seines Bruders. Francis lachte nur.

„Genau, wie ich es mir gedacht hatte. Kein Geschmack, kein Stil, nicht einmal ein Name für den Kleinen. Wie fürsorglich du doch bist.“

„Er wird einen Namen bekommen!“, schrie Arthur ihn an. „Aber es wird ein guter, starker Name sein, einer, der etwas aussagt! Ich werde ihn nicht... Fitzgerald nennen, nur in der Hoffnung, dass du das nicht aussprechen kannst!“

„Da bin ich ja beruhigt“, erwiderte Francis und schüttelte den Kopf. „Fitzgerald. So wenig Geschmack traue ich nicht einmal dir zu.“

„Verschwinde“, sagte Arthur und drehte ihm entschieden den Rücken zu. „Du hast einen schlechten Einfluss auf meinen Bruder.“

„Also gut, ich gehe. Dein Balg ist sowieso kein Umgang für meinen Mathieu.“

Damit drehte Francis sich um und ging. Sowohl er als auch Arthur waren fest entschlossen, ihren Schützling von dem des anderen fern zu halten. Und hätte jemand sie daran erinnert, dass die beiden Zwillingsbrüder waren, hätte das ihre Entscheidung nicht im Geringsten beeinflusst.
 

Nachdem Francis weg war, trat wieder Stille ein. Nur der Wind strich über das Gras. Arthur betrachtete die Sonne, doch er nahm sie nicht wahr. Er dachte nach.

Das Bündel in seinen Armen begann sich zu bewegen. Überrascht sah er nach unten, als sein Bruder die Augen öffnete und ihn anblinzelte.

„Na?“, fragte Arthur leise und lächelte ihm zu. „Bist du wach?“

Sein Bruder gluckste und streckte eine Hand aus. Arthur griff nach seinen dünnen Fingern und wandte den Blick wieder nach vorn. Der Kleine brauchte einen Namen, und es durfte kein gewöhnlicher Name sein. Er durfte nicht hinter Francis zurückstehen, dachte er verbissen. Niemals. Wie hatte dieser Mistkerl es eigentlich geschafft, diesen neuen Jungen aufzutreiben? Es war ungerecht.

Arthur seufzte und kramte in seinen Erinnerungen. Er selbst war nach dem sagenhaften König Artus benannt. Es mochte sein, dass es diesen King Arthur niemals gegeben hatte, aber immerhin war er ein legendärer Held. Genau wie Robin Hood.

„Robin Hood, Rächer der Enterbten und Beschützer der Witwen und Waisen... Robin?“, fragte Arthur zögernd und sah auf seinen Bruder hinab, der seinen Blick aus blauen Augen fragend erwiderte. Nein, entschied er. Er wollte ihn nicht nach einer Sagengestalt benennen. Es sollte ein Name eines Helden sein, der wirklich existiert hatte. Denn er spürte, dass dieser Junge viel vollbringen würde. Er würde ein Held sein, die Welt verändern. Vielleicht zum Guten. In jedem Fall würde er ein ganz Großer werden.

Groß...

„849. Der Sohn des Königs von Wessex wird geboren. Er soll später der großartigste Herrscher der angelsächsischen Geschichte werden und ist bis heute der einzige britische König, der je den Beinamen der Große erhielt...“

Sein Bruder gluckste fröhlich und zupfte an Arthurs Kragen.

„Das gefällt dir, ja?“, fragte Arthur nachdenklich. „Willst du wissen, wie er hieß?“

„Wawaah!“, erwiderte sein Bruder ausgelassen.

Arthur lächelte. „Alfred“, murmelte er und betrachtete den Jungen ganz genau. „Alfred the Great.“

Wo ist Europa?

„Du hast so schönes Haar, Mathieu“, gurrte Francis und bündelte die Strähnen zu einem kurzen Zopf. Mathieu antwortete nicht, hielt nur brav seinen Bär auf dem Schoß und saß still.

„So.“ Francis band den Zopf in seinem Nacken mit einem Band zusammen und machte eine Schleife. „Sehr hübsch, Mathieu.“

„Bekommt Jean-Claude auch eine Schleife?“, fragte Mathieu und hielt Francis den Teddy hin. Francis lachte und nahm das Stofftier entgegen.

„Aber natürlich. Wenn du willst, petit prince...“

Er griff nach einem anderen Band und band dem Bär eine Schleife um den Hals. Mathieu sah ihm stumm dabei zu.

„Bei dir sieht der Zopf viel schöner aus, François.“

„Ach was“, winkte Francis ab. „Deine Haare werden länger werden. Dann sieht es genauso aus wie bei mir.“

„Bringst du mir bei, wie man eine Schleife macht?“

Francis lachte auf. „Oh, Mathieu... bis vorgestern waren wir noch damit beschäftigt, dir lesen und schreiben beizubringen, und jetzt willst du schon wieder anfangen, zu lernen?“

Mathieu zuckte die Achseln und drückte den Teddy an sich.

„Du bist doch ein Kind, Mathieu. Du solltest lieber spielen wollen als immer nur lernen.“

„Spielen wir was?“, fragte Mathieu leise.

„Wieso nicht? Was willst du spielen?“

„Ich weiß nicht.“

Francis überlegte einen Moment lang. „Lass uns hinaus gehen“, sagte er dann. „Es ist noch eine Weile bis zum Abendessen, und an der frischen Luft bekommt man Appetit.“

Mathieu nickte und rutschte von seinem Stuhl. Francis achtete darauf, dass er seine dickste Jacke und den Schal anzog, bevor sie hinaus gingen. Der Herbst war kalt, wenn auch klar und sonnig. Manchmal sehnte Francis sich nach dem milderen Klima seiner Heimat, aber den größten Teil der Zeit lenkte Mathieu ihn davon ab.

„Guck mal“, sagte Mathieu, griff Schutz suchend nach Francis' Hand und deutete hinauf in den Himmel. „Was ist das?“

Francis hob den Kopf. Zuerst glaubte er, es seien Blätter, die durch die Luft wirbelten und sich rasend schnell um sich selbst drehten. Er bückte sich, hob eines der vermeintlichen Blätter auf und hielt es Mathieu auf der flachen Hand hin. Es hatte zwei schmale, auseinander gespreizte Teile.

„Was ist das, François?“

„Das sind die Samen, die aus den Ahornbäumen fallen. Sie sind extra so gebaut, damit sie sich um sich selbst drehen und möglichst weit fliegen.“

„Welche sind die Ahornbäume?“

Francis sah sich um und deutete auf einen Baum ein paar Schritte weiter. „Dieser da.“

Mathieu legte den Kopf in den Nacken und sah hinauf zu den vielzackigen, leuchtend roten Blättern. „Den Baum mag ich“, murmelte er.

„Hübsch, nicht wahr?“, stimmte Francis zu. „Aber Ahorn ist zu noch etwas anderem gut.“

„Um Sirup daraus zu machen?“

„Ja, das natürlich auch. Aber noch etwas... schau her“, sagte Francis und nahm den Propeller in beide Hände. Er teilte ihn in der Mitte, öffnete eine Seite mit dem Fingernagel und klebte Mathieu das kleine Horn auf die Nase.

„Was ist das?“, fragte Mathieu ängstlich und schielte nach dem Blatt.

„Nun ja... Kinder nennen es Nasenkleber.“

„Mach es weg“, murmelte Mathieu und versuchte, vor seiner eigenen Nase zurückzuweichen. Francis lachte und zupfte das Blatt wieder ab.

„Es ist nichts, wovor du Angst haben müsstest, Mathieu.“

„Ich mag sie lieber, wenn sie fliegen“, erklärte Mathieu leise und sah hinauf in den Himmel, wo noch immer einige der kleinen Propeller durch die Luft schwirrten. „Ich möchte auch fliegen können.“

„Nun, petit prince“, sagte Francis lachend. „Ich fürchte, das ist etwas, das ich dir nicht beibringen kann.“
 

Arthur saß auf einer Bank hinter dem Haus, in dem er seinen Wohnsitz bezogen hatte. Er hatte eine ganze Menge Wohnsitze neben seinem Anwesen in England, über die ganze Welt verstreut, und in diesem Haus hatte er Alfred untergebracht. Anfangs war ihm das Haus für einen so kleinen Jungen lächerlich groß vorgekommen, aber Alfred war so schnell gewachsen, dass es schon fast beängstigend war.

„Arthur, Arthur! Guck mal!“

Die laute, undeutliche Stimme ließ ihn den Kopf heben. Alfred rannte über die Wiese auf ihn zu, einen Stock in der Hand.

„Guck mal, was ich gefunden habe!“

„Großartig, Alfred“, sagte Arthur geduldig und strich über seinen Kopf. Alfred grinste ihn breit an und spielte mit der Zunge an der Zahnlücke herum, wo ihm ein oberer Schneidezahn fehlte. Der zweite wackelte bereits. Seitdem Alfred seine Milchzähne verlor, war seine Aussprache ziemlich undeutlich. Er versuchte, das durch Lautstärke wett zu machen.

„Und was machst du jetzt mit dem Stock?“

„Das ist kein Stock!“, erklärte Alfred gewichtig. „Das ist ein Gewehr, wie du eins hast! Siehst du? Peng!“

Er legte den Stock auf seine rechte Schulter, kniff ein Auge zu und zog an einem imaginären Abzug. „Peng, peng! Ich möchte Bisons jagen gehen, Arthur!“

„Das wirst du nicht“, sagte Arthur streng. „Du weißt genau, dass du dich von den Herden fernhalten sollst. Es ist gefährlich, ihnen zu nahe zu kommen. Am Ende zertrampeln sie dich.“

„Mich doch nicht!“, winkte Alfred ab und ließ den Stock sinken. „Was machst du da eigentlich, Arthur?“

„Was meinst du?“, fragte Arthur unschuldig.

„Nun tu nicht so! Du hattest doch gerade noch etwas in der Hand, und dann hast du es unter deine Jacke geschoben!“

Arthur zog die Augenbrauen hoch und spürte, wie sich der kleine, harte Gegenstand unter der Jacke in seine Seite drückte. „Da musst du dich geirrt haben.“

„Jaja, Arty“, sagte Alfred sarkastisch, verlor dann aber das Interesse an der Geheimniskrämerei. „Spielen wir etwas zusammen?“

„Wieso spielst du nicht weiter mit deinem Gewehr?“, fragte Arthur.

„Ganz allein? Das ist langweilig! Spiel du mit mir, Arthur!“

„Ich habe gerade etwas zu tun.“

„Was denn, Arthur? Was denn?“

Arthur seufzte und stand auf. „Also gut“, sagte er und lächelte. „Was willst du spielen?“

„Ich bin ein Sheriff“, erklärte Alfred aufgeregt, „und ich habe mein Gewehr, und du bist ein Bankräuber, der gerade eine Bank überfallen hat...“

„Aber wenn du ein Sheriff bist, brauchst du deinen Stern.“

„Oh, natürlich!“, rief Alfred und ließ den Stock fallen. „Ich hole ihn schnell! Bleib hier, ich bin gleich wieder da!“

Er sprang die Stufen zur Hintertür hinauf und verschwand im Inneren des Hauses. Sobald er nicht mehr zu sehen war, griff Arthur unter seine Jacke und zog eine etwa handgroße Holzfigur hervor. Es war ein noch nicht ganz fertiges, geschnitztes Pferd. Sorgfältig pustete er ein paar Späne davon ab und verstaute das Pferd in einer kleinen Holzkiste unter der Bank. Mit seinen Schnitzkünste war es nicht weit her, aber er gab sich Mühe. Langsam bekam er wieder Übung darin. Es war erstaunlich, wie sehr sich seine Gewohnheiten geändert hatten, seitdem er Alfred hatte.
 

Geschichte #1

François hat mir schon vor einiger Zeit lesen und schreiben beigebracht. Ich habe eine schöne Schrift, sagt er, aber das Schreiben geht so langsam. Ich wollte etwas lesen und habe mir die Bücher angesehen, die auf seinem Regal stehen. So viele sind es nicht. Ich habe eines heraus genommen und es aufgeschlagen, und es waren Bilder darin. Ich dachte eigentlich nicht, dass François Bücher mit Bildern liest, denn Bilderbücher sind für Kinder. Aber es waren komische Bilder, und ich konnte nicht ganz erkennen, was das sein sollte. Es waren Männer und Frauen, aber der Zeichner war wohl nicht so gut, denn er hatte die Kleider vergessen. Vielleicht konnte er die nicht so gut zeichnen. Das ist ja nicht schlimm, Kleider kann ich auch nicht so gut.

Bevor ich weiter durch das Buch blättern konnte, ist François aufgetaucht. „Mathieu“, hat er gesagt und etwas überrascht ausgesehen. „Was machst du denn da?“

„Ich möchte etwas lesen.“

„Das ist kein Buch für dich“, hat François gutmütig gesagt, mir das Buch weggenommen und es wieder ins Regal gestellt. „Soll ich dir ein Buch heraus suchen, das du lesen kannst?“

„Ja, bitte.“

Er hat gesucht und gesucht, und plötzlich hatte ich eine Bibel in der Hand.

„Das kannst du lesen, Mathieu.“

„Nichts anderes?“

„Die anderen Bücher sind noch nichts für dich.“

Eigentlich war eine Bibel nicht ganz das, was ich mir vorgestellt hatte, aber ich wollte François nichts sagen, weil er es gut gemeint hatte. Also habe ich angefangen zu lesen, aber dann wurde es langweilig, also habe ich einen Teil übersprungen, und dann kam etwas Interessanteres über zwei Engel und das habe ich gelesen.

Die beiden wollten sich eben schlafen legen, da kamen die Männer von Sodom, alle miteinander, alte und junge, und umstellten das Haus. „Lot, Lot“, riefen sie, „wo sind die Männer, die heute Abend zu dir gekommen sind? Gib sie heraus, wir wollen mit ihnen Verkehr haben!“

Den letzten Teil habe ich nicht verstanden, also habe ich François gefragt.

„François? Was wollen die?“

François hat die Augenbrauen hochgezogen und über meine Schulter hinweg die Seite gelesen und dann hat er das Buch zugeschlagen und es wieder ins Regal gestellt. „Das erkläre ich dir später“, hat er gesagt. „Vielleicht.“

„Vielleicht? Wie geht denn das mit dem Verkehr?“

Er hat mir zugezwinkert. „Eines Tages wirst du es herausfinden, aber im Moment bist du noch zu klein. Viel zu klein.“

„Ich möchte weiterlesen“, habe ich ganz leise gesagt.

„Ich glaube, nicht einmal dieses Buch ist für dich geeignet.“

„Was soll ich denn dann machen?“

François hat den Kopf schief gelegt, aber dann ist ihm etwas eingefallen. „Ich gebe dir ein Buch“, hat er gesagt und gelächelt. „Dann kannst du deine eigenen Geschichten schreiben, petit prince. Wie wäre das?“

„Ich weiß nicht, ob ich das kann.“

„Bestimmt kannst du.“

Und ich denke, er hat Recht gehabt. François hat mir das Buch gegeben und ich habe geschrieben. Das hier war die erste Geschichte. Dafür, dass sie meine erste ist, ist sie gar nicht schlecht, finde ich.
 

„Ich habe dich, Arthur!“, rief Alfred und fuchtelte mit dem Stock in seine Richtung. „Ergib dich, oder ich schieße!“

„Also gut“, sagte Arthur und hob die Hände. „Ich gebe mich geschlagen, Sheriff.“

„Na also!“ Zufrieden ging Alfred auf ihn zu. „Sheriff Alfred hat mal wieder hervorragende Arbeit geleistet und die Welt vor dem bösen Schurken... aaah!“

Arthur zog ihm den Stock aus der Hand, warf ihn beiseite und hob Alfred ächzend hoch. „Alarm!“, schrie Alfred und ruderte mit den Armen. „Alarm! Unser Held wurde überwältigt!“

„Der Sheriff ist in die Hände von bösartigen Gaunern gefallen“, erklärte Arthur grinsend und trug Alfred in Richtung der Tür. „Und jetzt ist es schon furchtbar spät und alle müssen essen und dann ins Bett.“

„Ich will nicht ins Bett!“

„Morgen werden wir dann sehen, wie Sheriff Alfred sich heldenhaft aus den Fängen seiner heimtückischen Entführer befreit.“

„Das finde ich toll!“, sagte Alfred und wirkte gleich viel zufriedener. Arthur lächelte, öffnete die Tür und trug ihn hinein. Es war nicht immer so einfach, Alfred davon zu überzeugen, dass für heute Schluss war.

Arthur setzte den Jungen in der Küche auf einem Stuhl ab und wandte sich dem Herd zu. „Hast du großen Hunger?“

„Ich frage mich, wie ich es schaffen werde, mich zu befreien“, sagte Alfred, ohne auf ihn einzugehen. „Ich werde einen sehr klugen Plan entwickeln und mich befreien, und dann werde ich der Held sein!“ Er grinste zufrieden.

„Das wirst du“, murmelte Arthur abwesend, während er Brot und Käse aus dem Schrank holte.

„Oh, ich freue mich auf morgen!“

„Jetzt isst du erst einmal“, sagte Arthur entschieden. „Helden müssen essen, damit sie groß und stark werden.“

„Okay, Arty...“

„Und danach musst du ins Bett, damit du morgen gut ausgeruht bist.“

„Ja, mum“, sagte Alfred und grinste.

„Und nenn mich nicht mum, du undankbares Balg“, fügte Arthur gespielt streng hinzu, doch er lächelte.
 

„François?“, fragte Mathieu und zog die Decke bis zu seinem Kinn.

„Ja?“

„Ich muss dich was fragen.“

Francis zog die Augenbrauen hoch und lächelte. „Was denn, Mathieu?“

„Fahren wir mal nach Frankreich?“

„Wieso denn das?“

„Du erzählst immer so viel davon“, erwiderte Mathieu leise. „Es scheint dir sehr zu gefallen.“

„Oh, oui“, sagte Francis und lachte.

Mathieu legte den Kopf schief. „Wo ist Frankreich?“

„In Europa.“

„Wo ist Europa?“

„Wenn man mit dem Schiff lange genug über das Meer fährt, in die Richtung, in der die Sonne aufgeht, dann kommt man nach Europa.“

„Fahren wir mal da hin?“, fragte Mathieu.

„Es ist eine lange und gefährliche Reise, Mathieu. Dafür bist du noch zu klein. Und außerdem... dein Platz ist hier. Du gehörst genau hier hin.“

„Aber du gehörst nach Europa, oder?“, fragte Mathieu leise. „Du willst dahin zurück, oder? Ziemlich bald schon.“

Francis sah ihn an und seufzte. „Wieso nur kann man dir nichts verschweigen, Mathieu?“

„Also stimmt es?“, fragte Mathieu.

„Ja, es stimmt. Ich werde bald wieder nach Frankreich zurück fahren. Es müssen viele Dinge geregelt werden.“

„Nimmst du mich mit?“

„Aber Mathieu... Ich sagte doch schon, dein Platz ist hier.“

Mathieu sah ihn unglücklich an und Francis strich über seinen Kopf. „Komm schon, petit prince. Ich komme doch wieder. Du bist groß genug, um eine Weile lang für dich selbst zu sorgen, oder?“

„Aber du kommst wieder?“

„Natürlich komme ich wieder“, versprach Francis. „Und bis dahin kommst du schon zurecht. Du bist doch ein großer Junge, oder?“

Oui“, murmelte Mathieu.

„So ist es recht“, sagte Francis und lächelte. „Sorg dafür, dass dein großer Bruder Francis stolz auf dich sein kann.“
 

„Alfred!“, rief Arthur in das Haus hinein, doch niemand antwortete ihm. Nirgendwo regte sich etwas. Stirnrunzelnd betrat Arthur das Wohnzimmer, doch auch hier war niemand zu sehen.

„Alfred, komm raus! Das Spiel ist beendet! Du bist ein Held, du hast es geschafft, zu entkommen. Jetzt komm raus, ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen. Alfred!“

Wieder erhielt er keine Antwort. Also gut, dachte Arthur seufzend. Dann musste er das Spiel eben noch etwas weiter spielen, bis er Alfred gefunden hatte. Nachdenklich sah er sich um und bemerkte, dass der Vorhang neben dem Fenster sich leicht bewegte. Er ging hinüber und zog den Stoff mit einem Ruck beiseite.

„Hab' ich dich!“

„Peng!“, rief Alfred und fuchtelte mit einem Stock in Arthurs Richtung. „Peng! Ich habe dich getroffen! Du musst jetzt umfallen.“

„Später“, sagte Arthur ernst. „Ich muss dir etwas sagen, Alfred.“

„Was denn?“, fragte Alfred und grinste. „Wenn du dich ergeben willst, dann...“

„Nein, will ich nicht.“ Arthur griff nach seiner Schulter, schob ihn zum Sofa und setzte sich selbst daneben. „Ich muss dir etwas erzählen.“

„Was denn?“

„Ich werde heute Abend nach Hause fahren.“

Alfreds Grinsen verblasste nur langsam von seinem Gesicht. „Was... wieso denn?“

„Ich hätte schon lange zurückkehren sollen“, sagte Arthur und wich seinem Blick aus.

„Wieso sagst du das erst jetzt?“, fragte Alfred hilflos. „Heute Abend, das ist ja... das sind ja nur noch ein paar Stunden!“

„Ich wollte dir nicht die Laune verderben“, murmelte Arthur und schaffte es noch immer nicht, Alfred anzusehen. „Ich... ich komme auch bald wieder, Alfred. Du bist doch ein Held, oder?“

„Aber...“, begann Alfred, doch Arthur stand auf. „Wenn ich weg bin, darfst du in der Kiste unter der Bank hinter dem Haus nachsehen“, sagte er. „Da gibt es eine Überraschung für dich. Aber erst, wenn ich...“

„Eine Überraschung?“, fragte Alfred begeistert und sprang auf. „Was für eine Überraschung? Ich will...“

„Nein, du wirst nicht jetzt nachsehen“, sagte Arthur streng und hielt ihn am Arm zurück. „Erst, wenn ich weg bin, habe ich gesagt.“

„Och, Arthur“, murrte Alfred und blinzelte zu ihm auf. Dann schlang er unvermittelt die Arme um Arthurs Beine. „Komm bald wieder“, sagte er.

„Natürlich tue ich das“, sagte Arthur beruhigend und strich über seinen Kopf. Er würde nicht lange weg bleiben. Bis dahin konnte Alfred mit den Holzpferden spielen, die Arthur gestern Abend noch fertig geschnitzt hatte.

Was ist Krieg?

Mathieu stand am Hafen, ließ die Arme über eine niedrige Mauer baumeln und betrachtete das Schiff, das ein Stück weiter vorn anlegte. Eine Planke war vom Deck auf den Kai gelegt worden und Männer begannen, Fässer vom Schiff zu rollen. Hinter ihnen tauchte eine hoch gewachsene Gestalt auf und sah sich suchend um. Aschblonde Locken wehten im Wind um ihren Kopf.

„François!“, rief Mathieu und winkte mit den Armen, doch der Wind riss die Stimme von seinen Lippen. „Hier bin ich!“

Zu seinem Glück entdeckte Francis ihn im nächsten Moment. Selbst auf die Entfernung sah Mathieu, wie er lachte. Er drängelte sich an den Männern vorbei über die Planken, sprang an Land und lief auf Mathieu zu.

„Mathieu, mon petit!“ Francis hob ihn hoch, küsste ihn auf beide Wangen und stellte ihn dann auf die Mauer, um ihn anzusehen. „Du bist ja gewachsen.“

„Ich habe Striche an die Haustür gemacht“, sagte Mathieu und lächelte leicht. Trotz seiner Freude, Francis wieder zu sehen, konnte er nicht anders, als unter dessen fröhlichem Auftreten Sorge zu erkennen.

„Na, die werde ich mir ansehen...“

„François? Ist etwas passiert?“

„Was soll passiert sein?“, fragte Francis munter und hob ihn wieder von der Mauer herunter. „Ich dachte, es sei an der Zeit, dich mal wieder zu besuchen. Das habe ich dir doch geschrieben... oder hast du den Brief nicht bekommen?“

„Doch“, sagte Mathieu. Er hatte ihn so oft gelesen, dass er mittlerweile glaubte, ihn auswendig zu kennen.

„Also, petit prince“, sagte Francis und griff nach seiner Hand. „Gehen wir? Hast du das Haus in Ordnung gehalten, während ich weg war?“

Mathieu nickte und lehnte den Kopf gegen Francis' Hand, die seine eigene festhielt. „Ich bin froh, dass du wieder da bist“, sagte er leise.

„Ich auch, Mathieu. Ich auch.“
 

Arthur schloss die Tür auf und putzte seine Schuhe ordentlich ab, bevor er eintrat. Es wäre nicht nötig gewesen, erkannte er gleich darauf. Seitdem er zum letzten Mal hier gewesen war, schien Alfred nicht mehr gefegt zu haben.

„Alfred! Wo zum Teufel steckst du?“

Von oben erklangen ein Poltern und ein erfreuter Ruf und Alfred rannte die Treppe hinunter.

„Arthur! Was machst du denn hier?“

„Ich habe dir geschrieben, dass ich komme“, sagte Arthur missmutig. „Wieso warst du nicht...“

Er brach ab, als Alfred die Arme um seinen Bauch schlang und ihn fest drückte. „Ich hab dich vermisst!“, sagte er.

„Ja... ich dich auch“, erwiderte Arthur und lächelte.

„Aber jetzt bist du wieder da“, stellte Alfred zufrieden fest. „Wollen wir zusammen spielen? Alle meine Holzpferde sind kaputt gegangen...“

„Was? Wie ist das denn passiert?“

„...nur eins hat noch drei Beine, aber es steht nicht mehr so gut.“

„Musst du denn all deine Spielsachen kaputt machen?“, fragte Arthur und schob ihn von sich weg. „Wozu habe ich sie dir denn gemacht?“

„Zum spielen!“

„Und nicht zum kaputt machen.“

„Ach, Arthur“, sagte Alfred und versuchte offenbar, erwachsen zu klingen. Es gelang ihm eher schlecht. „Komm doch erst einmal rein. Willst du etwas essen?“

„Ja, gern. Die Reise war sehr lang und ich...“

„Juhuu!“, rief Alfred und rannte ihm voraus in die Küche. „Du kochst!“

Arthur seufzte tief. Da nahm man die lange Reise auf sich und freute sich, endlich dort anzukommen, wo man willkommen war, und dann musste man selbst kochen. Doch wenn er ehrlich war, machte es ihm nicht viel aus. Alfred würde klaglos essen, was er kochte. Das taten nicht viele.
 

„François?“

Überrascht sah Francis auf und lächelte, als er Mathieu in der Tür stehen sah. „Cher Mathieu. Was ist los?“

Mathieu legte den Kopf schief. „Hast du mal ein Pflaster?“

„Wofür?“, fragte Francis erschrocken. „Hast du dir wehgetan?“

„Nicht ich“, erklärte Mathieu und zog ein Stofftier hinter seinem Rücken hervor. „Aber Jean-Claude.“

Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte Francis den Teddy, den Mathieu ihm hinhielt. Er hatte eine dünne Spur aus Füllwolle auf dem Boden hinterlassen.

„Was ist denn passiert?“

„Die Naht am Rücken ist aufgerissen.“

„Zeig mal her“, sagte Francis und streckte die Hand aus. Mathieu nickte und kam hinüber zu dem Sessel, in dem Francis saß.

„Hmm... da nützt ein Pflaster nichts“, erklärte Francis gutmütig und betastete den Riss, der sich über den gesamten Rücken des Stofftieres zog. „Das müssen wir nähen.“

„Müssen wir?“, fragte Mathieu ängstlich.

„Keine Sorge, ich mache das schon. Und es wird Jean-Claude sicher nicht wehtun... nanu?“ Überrascht tastete Francis an dem Bauch des Teddys herum. „Das fühlt sich an, als wäre da etwas drin.“

Oui“, sagte Mathieu schüchtern. „Ich habe mein Buch reingesteckt.“

„Dein Buch? Wieso das denn?“

„Naja... du hast mal gesagt, man sollte seine Habseligkeiten beisammen halten. Das Buch und Jean-Claude sind meine zwei Habseligkeiten.“

„Aber wenn wir den Bär zunähen, bekommst du es nicht wieder heraus.“

„Deswegen wollte ich ja lieber ein Pflaster haben.“

Francis lachte auf und gab Mathieu den Teddy zurück. „Also gut, warte kurz. Ich gebe dir ein Pflaster.“

Er wandte sich um und kramte in dem kleinen Koffer, der neben dem Sessel auf einem Tisch stand. Unter einigen Bandagen fand er schließlich, was er gesucht hatte. „Hier, petit prince. Dann verarzte du mal deinen Freund.“

„Er ist nicht mein Freund“, erwiderte Mathieu ernst. „Du bist mein Freund, François. Jean-Claude ist doch nur ein Stofftier.“

Lachend strich Francis ihm über den Kopf.

„Was hast du da eigentlich, François?“

„Was meinst du?“

Mathieu legte den Kopf schief und deutete auf den Verband, der unter Francis' hochgerolltem Ärmel hervorragte. Er bedeckte seinen Oberarm und endete knapp über dem Ellbogen.

„Ach, das“, sagte Francis beiläufig, „das ist nichts. Geh in dein Zimmer, Mathieu, und kümmere dich um den Bären.“

„Hast du dir wehgetan?“, fragte Mathieu blinzelnd.

Non... oui. Aber es ist nichts...“

„Wobei denn?“

Francis sah ihn eine Weile lang an und seufzte dann tief. „Setz dich zu mir, Mathieu“, sagte er und deutete auf seinen Schoß. Mathieu nickte unschlüssig und kletterte auf sein Knie.
 

„Das war lecker, Arthur“, sagte Alfred zufrieden und rieb sich seinen Bauch, der sich unter seinem Hemd leicht wölbte. „Genau wie immer!“

„Es freut mich, dass es dir schmeckt“, sagte Arthur lächelnd.

„Aber sicher tut es das! Es war wirklich...“

„Wenn du dich bei mir beliebt machen willst, damit du nicht beim Spülen helfen musst, gib es besser gleich auf.“

„Och Mensch“, murrte Alfred, rutschte aber bereitwillig von seinem Stuhl und griff nach seinem Teller. Arthur stapelte das Besteck auf seinem eigenen Teller und öffnete die Hintertür der Küche, die hinaus führte.

Neben der Tür an der Hauswand standen eine alte Wasserpumpe und ein Holzbottich. Arthur betätigte den Handgriff der Pumpe, der sehr schwer war und quietschte. Er war schon bald außer Atem, doch er wollte es sich nicht anmerken lassen. Alfred hielt die dreckigen Teller unter den ungleichmäßig fließenden Wasserstrahl, bis sie halbwegs sauber waren.

„Fertig“, verkündete er nach einer Weile und legte das letzte Messer auf die Teller, die er auf einer Fensterbank abgestellt hatte.

„Gut“, sagte Arthur erleichtert, schnaufte und wischte sich über die Stirn.

„Bist du müde?“

„Nein, nein, wo denkst du hin?“

„Das ist gut!“, sagte Alfred zufrieden. „Ich bin nämlich auch noch überhaupt nicht müde.“

„Ja, das glaube ich dir.“ Arthur sah kopfschüttelnd zu ihm hinunter, konnte aber ein Lächeln nicht unterdrücken. „Also gut. Da das hier mein erster Abend ist, darfst du noch ein wenig aufbleiben.“

Alfred brach in ein spontanes Jubelgeschrei aus.

„Setzen wir uns doch ein wenig“, schlug Arthur vor und ging ein paar Schritte weiter zu einer Bank, die dort stand, wo die festgetretene Erde nah an der Hauswand in Gras überging. Alfred hüpfte hinter ihm her und redete.

„Danke, Arthur! Wir können noch so viel machen, wenn ich länger aufbleiben darf! Wollen wir mit meinen Holzpferden spielen?“

„Hast du nicht gesagt, du hättest sie alle kaputtgemacht?“

„Ich habe sie nicht kaputtgemacht, sie sind kaputtgegangen.“

„Das läuft auf das selbe hinaus.“

„Oder wir könnten...“

„Setz dich“, sagte Arthur, ließ sich auf der Bank nieder und betrachtete den Horizont. Die Sonne begann schon unterzugehen.

„Sitzen? Wie langweilig“, murrte Alfred.

„Ich muss dir etwas Wichtiges sagen.“

Alfred merkte auf. „Etwas Wichtiges? Etwas, das du nur einem Helden anvertrauen kannst?“

„Etwas, das ich nur einem großen, vernünftigen Jungen anvertrauen kann, der sich brav neben mich setzt, damit ich von seinem Gezappel nicht noch verrückt werde.“

„Ich zapple nicht“, erwiderte Alfred gewichtig und kletterte neben Arthur. „Das ist überschüssige Energie.“

„Alfred“, sagte Arthur ernst und Alfred verstummte, als er sein Gesicht sah. „Ja?“, fragte er und versuchte, möglichst erwachsen zu klingen. „Was denn, Arthur?“
 

„Was ist denn nun passiert, François? Hast du dir wehgetan?“

„Nicht ich mir“, murmelte Francis und legte einen Arm um Mathieu, der den Hals verdrehte und versuchte, ihm ins Gesicht zu sehen. Als er es nicht schaffte, gab er es auf und streichelte beruhigend seinen Teddy.

„Ich habe in dem Brief an dich nicht geschrieben, warum ich zu dir komme.“

Non“, sagte Mathieu.

„Du hast aber auch nicht gefragt.“

„Ich dachte, du hättest mich einfach vermisst.“

Die Verletzung in seiner Stimme ließ Francis betreten lachen. „Das auch, Mathieu, das natürlich auch. Aber es gab noch einen Grund, aus dem ich so schnell wie möglich aus Europa weg und zu dir musste.“

„Wieso denn?“

Francis seufzte leise und strich durch Mathieus Haare, als wollte er ihn im Vorfeld schon beruhigen. „Es ist gerade Krieg in Europa.“
 

„Es ist gerade Krieg in Europa.“

Alfred starrte Arthur mit leicht geöffnetem Mund an. „Was ist das?“, fragte er dann und runzelte die Stirn.

„Was?“

„Dieses Krieg.“

Arthur sah ihn verwirrt an und seufzte, als er verstand. „Es ist etwas, das ein Kind wie du nicht kennen sollte“, antwortete er leise. „Es ist das Schlimmste, was unsereinem passieren kann.“

„Was ist es?“, fragte Alfred ratlos und versuchte, es zu begreifen. „Ist es eine Art Krankheit oder so?“

„Nein, es... oder doch, vielleicht könnte man es als Krankheit bezeichnen“, murmelte Arthur und betrachtete die untergehende Sonne. „Krieg ist, wenn frühere Freunde zu den schlimmsten Feinden werden und deine Nachbarn versuchen, dich zu vernichten. Wenn es nur noch für dich oder gegen dich gibt und nichts mehr dazwischen. Krieg ist Brand und Mord und Tod.“

Alfred sah ihn mit großen Augen an und Arthur griff nach seiner Hand. Sie war noch kalt vom Wasser aus der Pumpe. Er wünschte sich, er müsse Alfred das alles nicht erzählen, aber es war von Anfang an klar gewesen, dass er es irgendwann würde erfahren müssen. Wenn er es jetzt nicht erfuhr, könnte es zu spät sein.

„Krieg ist Hass.“
 

„Krieg ist Hass“, erklärte Francis und strich noch immer durch Mathieus Haar, der wie erstarrt auf seinem Schoß saß. „Nichts als der pure Hass, Mathieu.“

„Und dein Arm?“, fragte Mathieu leise und sein Blick wanderte zu dem Verband an Francis' Arm. Francis seufzte leise.

„Ich habe gegen Angleterre gekämpft und wurde verwundet.“

„Wer ist das, Angleterre?“

„Oh... schwer zu sagen.“ Francis lachte verbittert. „Er ist ein crétin, so viel steht fest.“

„Und du hast Krieg mit ihm?“

Oui“, murmelte Francis und griff nach Mathieus Hand. „Und deswegen, Mathieu, werde ich dich in Sicherheit bringen.“

„In Sicherheit?“, wiederholte Mathieu erschrocken. „Kommt er denn hierher?“

„Ich weiß es nicht, aber ich traue ihm alles zu.“ Erneut lachte Francis auf diese verbitterte Art.

Mathieu biss auf seiner Lippe herum. „Wo willst du mich hinbringen?“, fragte er leise.

„In eine Festung etwas weiter im Landesinnern, keinen Tagesritt von hier. Sie ist die stärkste Festung der Umgebung.“

„Und dort bin ich sicher?“

„Natürlich“, sagte Francis beruhigend und küsste seine Hand. „Ich werde mit dir dort bleiben, zumindest für eine Weile. Dann sehe ich weiter.“

„Wann reiten wir hin?“

„Morgen früh.“

Nachdenklich kaute Mathieu auf seiner Unterlippe. „Können wir nicht sofort los?“, fragte er leise.

„So schnell wird Angleterre nicht kommen, Mathieu. Diese eine Nacht können wir uns sicher noch Zeit lassen.“

„Ich würde lieber sofort gehen“, murmelte Mathieu und drückte den Teddy an sich.

Francis warf einen Blick auf den Verband an seinem Arm und seufzte. „Also gut“, sagte er und ließ Mathieu von seinem Schoß rutschen. „Wenn du dich dann sicherer fühlst... einen Unterschied macht es sowieso nicht.“
 

„Und jetzt?“, fragte Alfred leise und ungewöhnlich kleinlaut.

„Nun lass den Kopf nicht hängen“, sagte Arthur fest und strich über seinen Kopf. „Ich werde nicht zulassen, dass Francis dir ein Haar krümmt. Du wirst hier bleiben und auf einen Brief von mir warten. Wenn ich dir schreibe, dass du dich in Sicherheit bringen sollst, wirst du das sofort tun. Dasselbe gilt, wenn du länger als zwei Wochen am Stück nichts von mir hörst.“

„Und wenn doch?“, fragte Alfred hoffnungsvoll. „Wenn ich von dir höre?“

Arthur lächelte. „Dann bedeutete das, dass ich Francis im Zaum halten kann“, erklärte er. „Und genau das wird auch passieren, Alfred. Er wird niemals bis zu dir vorrücken können.“

„Also gut“, sagte Alfred und schlang die Arme um Arthurs Bauch. „Sei ein Held und gewinne gegen Francis, denn wenn nicht, muss ich kommen und dich heldenhaft retten.“

„Das wirst du nicht...“

„War nur ein Spaß, Arthur“, sagte Alfred und grinste ihn an, doch gleich darauf wurde er wieder ernst. „Du gewinnst doch, oder?“

Obwohl Arthur wusste, dass man niemals ein Versprechen geben sollte, von dem man nicht wusste, ob man es halten konnte, tat er es. „Natürlich gewinne ich“, sagte er beruhigend.

„Dann ist ja gut“, sagte Alfred, gähnte im nächsten Moment und lehnte den Kopf gegen Arthurs Schulter. „Dann brauche ich mir ja... keine Sorgen... Sorgen...“

Arthur blieb auf der Bank sitzen und strich über Alfreds Kopf, während er weiter den Sonnenuntergang betrachtete. Eines hatte er Alfred nicht direkt gesagt, und er war sich sicher, dass auch Francis es seinem kleinen Bruder verschwiegen hatte (vorausgesetzt, er hatte ihm überhaupt von dem Krieg erzählt). In Europa war es um Francis und Arthur gegangen. Hier aber ging es nur noch um ihre jüngeren Brüder, einzig und allein. Der Verlierer dieses Kampfes würde vielleicht keine Gebietseinbußen zu Hause hinnehmen müssen, dafür aber den Verlust einer Kolonie. Eines Schützlings.

Und dieser Verlierer würde nicht er sein, dachte Arthur entschlossen. Er wandte sich wieder Alfred zu, der mittlerweile neben ihm eingeschlafen war. So viel zu länger aufbleiben... Mit einem Lächeln auf den Lippen hob er seinen kleinen Bruder hoch und trug ihn ins Haus.

Er würde alles tun, damit er am Ende nicht der Verlierer war.

In Quebec

„Und er kommt nicht her?“, fragte Mathieu und konnte den Blick nicht von dem Verband an Francis' Arm lösen.

„Natürlich nicht“, sagte Francis beruhigend und strich über seinen Kopf. „Diese Festung ist nicht einzunehmen, Mathieu. Es ist unmöglich.“

„Bist du sicher?“, fragte Mathieu leise.

Oui.

„Und wenn Arthur es doch schafft, herein zu kommen...“

„Das wird nicht passieren“, unterbrach Francis ihn ruhig. „Schlaf jetzt, petit prince. Und träume etwas Schönes.“

Mathieu legte den Kopf von einer Seite auf die andere. „Gute Nacht“, sagte er dann leise.

Francis lachte. „Gute Nacht, Mathieu.“

Er löschte das Licht neben dem Bett, stand auf und schloss leise die Tür hinter sich. Danach machte er sich auf den Weg in sein eigenes Schlafzimmer.

Die Festung war uneinnehmbar, versuchte er sich selbst zu überzeugen. Sie lag auf der Spitze eines Berges. Niemand könnte die Felswand hinauf klettern, und die anderen Zugänge waren schwer bewacht. Hier würde Arthur ihn nicht angreifen können. Es war die richtige Entscheidung gewesen, Mathieu hierher zu bringen. Hier war er sicher. Sie beide waren erst einmal sicher.

Seufzend betrat er sein Schlafzimmer, schloss die Tür hinter sich und warf einen letzten Blick aus dem Fenster. Draußen war es stockdunkel, er erkannte nichts. Niemand würde versuchen, diese Festung anzugreifen, dachte er und kroch unter seine Bettdecke. So dumm wäre nicht einmal Arthur. Nein, dumm war der falsche Ausdruck. So sehr würde nicht einmal Arthur sich selbst überschätzen. Er blies die Kerze auf seinem Nachttisch aus, raschelte noch ein wenig mit der Decke und lag dann still im Dunkeln.

Wieso fühlte er sich nur so angespannt? Nun gut – angesehen von dem offensichtlichen Grund, dass er sich gerade in einem Krieg befand. Aber bisher lief es nicht allzu schlecht für ihn, zu Hause in Europa nicht und auch hier nicht. Er hatte sich extra hierhin zurück gezogen, um sich ein wenig Ruhe zu gönnen und seine Verletzung auszukurieren. Arthur war ebenfalls in Richtung Übersee abgereist, doch Francis wusste nicht sicher, ob er schon angekommen war und mit wie vielen Männern.

Es machte keinen Unterschied, dachte er und schloss die Augen. Um diese Festung zu belagern, würde Arthur viele Männer brauchen. Mehr, als er hoffentlich würde entbehren können. Und um sie einzunehmen... was für ein Unsinn. Diese Festung ließ sich nicht einnehmen.

Die Tür knarrte. Sofort war Francis wieder hellwach. War doch ein Eindringling herein gekommen?

„François?“, flüsterte eine dünne Stimme und Francis entspannte sich.

„Ach, du bist es nur, Mathieu... Was ist los?“

„Kann ich bei dir schlafen?“, fragte Mathieu leise.

„Hast du schlecht geträumt?“

„Nein. Aber ich habe Angst.“

Francis seufzte leise. „Komm her.“

Mathieu tapste durch das Zimmer und kletterte auf das Bett. Er schwieg, als Francis den verletzten Arm um ihn legte und über seine Haare strich.

„Hab keine Angst, Mathieu. Es kommt niemand rein.“

„Und wenn doch?“

„Dann passe ich auf dich auf. Verlass dich darauf, petit prince.“

Leicht beruhigt schloss Mathieu die Augen, drückte seinen mitgebrachten Teddy an sich und gähnte.

„Schlaf“, sagte Francis und lächelte. „Morgen sieht die Welt schon anders aus.“
 

Ein kalter Wind fuhr um die kahlen Felsen. Arthur warf einen Blick nach oben zu der Festung und runzelte die Stirn. Der Plan hatte etwas, das musste er zugeben. Die erste Gruppe von Soldaten war schon die Küste hinauf geklettert und hatte die oben stationierten Wachen überwältigt. Nun würden die anderen ihnen auf dem selben Weg folgen, während die Besatzung der Festung selig schlief. Abgesehen von dieser einen Schwachstelle war die Stadt kaum einzunehmen. Aber wenn das gesamte Heer es schaffte, den Hang hinauf zu klettern, ohne dass Francis' Leute es bemerkten, hatten sie wohl eine Chance.

Arthur schnaubte. Das gesamte Heer diesen Hang hinauf. Lautlos. In stockfinsterer Nacht. Wenn das nicht spaßig klang. Aber er sah ein, dass er keine andere Wahl hatte. Wenn er Francis besiegen wollte, würde er irgendwo anfangen müssen.
 

Francis erwachte, als Mathieu an seinem Ärmel zupfte. „François“, flüsterte er. In seiner leisen Stimme lag Panik. „François!“

„Was ist denn?“, fragte Francis verschlafen und gähnte.

„Sie sind hier!“

Sein Gähnen blieb ihm im Hals stecken und sein Herz begann zu rasen. „Was meinst du?“, fragte er Mathieu, der sich an ihn klammerte und zitterte.

„Hörst du sie nicht?“

Francis lauschte. Er hörte Schritte, gedämpfte Stimmen und von sehr weit weg das Klirren von Waffen. Aber wie konnte das sein? Wie war es möglich, dass die Festung...

„Was machen wir jetzt, François?“, fragte Mathieu schrill.

„Zuerst einmal ruhig bleiben“, versuchte Francis, ihn zu beruhigen, obwohl ihm selbst das Herz bis zum Hals schlug. „Es wird alles gut. Du musst hier weg. Ich werde...“

Er verstummte, als er Schritte auf dem Gang hörte.

„François“, wimmerte Mathieu. „Ich will nicht, dass...“

„Sei still“, flüsterte Francis, schob Mathieu auf die Seite des Bettes, die zur Wand gerichtet war, und zog die Decke über ihn. „Bleib ganz still liegen und rühr dich nicht. Vertrau mir, Mathieu.“

„Aber...“

Die Tür wurde aufgestoßen und schlug gegen die Wand. Arthur betrat das Zimmer, ein Gewehr in den Händen und ein überlegenes Grinsen auf dem Gesicht.

„Francis. Es tut mir Leid, wenn ich ungelegen komme.“

Francis spürte Mathieu hinter sich zittern und versuchte, sich so zu drehen, dass er die verdächtige Wölbung unter der Decke verdeckte. Er blinzelte zwischen seinen wirren Haaren zu Arthur hinauf und schnalzte tadelnd mit der Zunge. „Also wirklich, Angleterre. Dass du keine Manieren hast, wusste ich ja, aber zu dieser frühen Stunde...“

„Ich habe diese Festung so gut wie eingenommen“, erklärte Arthur selbstgefällig. „Du hast verloren, Francis.“

„Na so etwas“, erwiderte Francis und seufzte theatralisch.

„Wie heißt es doch bei dir? C'est la vie.“

„Das hast du aber schön gesagt, Angleterre. Abgesehen von deiner Aussprache.“

„Spar dir deine klugen Sprüche.“

„Du bist es, der mit dem Sprücheklopfen angefangen hat.“

„Steh auf“, verlangte Arthur und machte einen Schlenker mit der Waffe.

„Ah, Angleterre...“

„Sofort.“

Seufzend schwang Francis die Beine über die Bettkante und versuchte, nicht allzu nervös zu wirken. Glücklicherweise hatte Mathieu aufgehört zu zittern.

„Verzeih mir meine Aufmachung, aber ich habe geschlafen. Wenn du dich angekündigt hättest, hätte ich mich angemessen kleiden können.“

„Kleider sind mir völlig egal.“

„Ja, das sieht man“, bemerkte Francis kopfschüttelnd und betrachtete Arthurs Uniform. Arthur grinste auf eine verkrampfte Art und hob das Gewehr, bis die Spitze des Bajonetts an Francis' Brust stieß.

„Keine Angst, Francis. Ich werde dich laufen lassen. Vielleicht werde ich sogar davon absehen, diese Stadt niederzubrennen.“

„Wie nett von dir“, sagte Francis steif und lächelte. „Aber ich denke mal, die Sache hat einen Haken.“

„Wie man's nimmt“, gab Arthur zu und senkte die Stimme leicht. „Ich will natürlich eine Gegenleistung dafür.“

„Und worin besteht diese Gegenleistung?“

„Kannst du dir das nicht denken?“

Francis legte den Kopf schief und zwang sich, den Huckel unter der Bettdecke nicht anzusehen. „Ich weiß nicht, wovon du redest“, erwiderte er unschuldig.

„Oh doch, das weißt du“, widersprach Arthur mit einem unguten Leuchten in den Augen. „Ich habe unten das Zimmer dieses Jungen gefunden.“

„Oh, du meinst Mathieu?“

„Wie auch immer er heißt. Sein Bett war leer, aber nicht gemacht. Er war vor kurzer Zeit noch hier.“

Francis zog die Augenbrauen hoch und versuchte, unbeeindruckt auszusehen. „Und?“, fragte er.

„Und?“, wiederholte Arthur und trat etwas näher. Das Bajonett stieß an Francis' Kinn. „Und ich denke, du weißt ganz genau, wo er gerade steckt.“

Je suis désolé, aber ich weiß nicht, wovon du sprichst.“

„Ich warne dich, Francis. Ich habe nicht viel Geduld.“

„Nein, das war zugegebenermaßen nie deine Stärke.“

„Sag mir, wo er steckt, und ich lasse dich in Frieden“, sagte Arthur. „Oder nein, Frieden wäre ein bisschen hoch gegriffen. Aber ich lasse dich von hier entkommen, in Ordnung?“

„Mir scheint, du verstehst das Problem nicht, Angleterre“, sagte Francis und reckte das Kinn, um dem Bajonett auszuweichen. Schweiß stand auf seiner Stirn. „Ich weiß nicht, wo Mathieu gerade steckt.“

Sei still, betete er stumm. Keinen Laut jetzt.

Arthur runzelte die Stirn. „Und das soll ich dir glauben?“

„Du kannst es mir glauben und mich in Ruhe lassen“, legte Francis ihm die Möglichkeiten dar, „oder du kannst mich aufspießen und dich dann erst entschließen, mir zu glauben. Es läuft auf dasselbe hinaus.“

„Für mich. Für dich nicht.“

Mon dieu, oui. Aber entscheide dich schnell, Angleterre, denn einige von uns möchten heute Nacht noch schlafen“, sagte Francis und unterdrückte ein Gähnen. Mit einer Klinge an seiner Kehle war ihm das zu riskant.

Arthurs Augen waren zu Schlitzen verengt. Er war nicht dumm, dachte Francis. Er mochte Arthur verabscheuen, aber er unterschätzte ihn keineswegs. Diesen Fehler hatte er nur einmal gemacht und danach nie wieder. Obwohl... doch, streng genommen hatte er Arthur in dieser Nacht erneut unterschätzt. Er hätte niemals gedacht, dass er die Festung einnehmen könnte.

„Der Junge war hier“, sagte Arthur fest. „Aber jetzt ist er nicht mehr in seinem Bett.“

„Wenn du das sagst.“

„Also gut“, sagte Arthur und ließ die Waffe langsam sinken. „Wenn er weggelaufen ist, wird er nicht weit kommen. Meine Männer werden ihn finden. Wenn nicht... falls du ihn finden solltest, wirst du mir doch sicher Bescheid sagen, Francis?“

Bien sûr“, antwortete Francis sarkastisch. Er traute dem Braten ganz und gar nicht. So einfach würde Arthur sich nicht abwimmeln lassen.

„Sehr gut“, sagte Arthur und lächelte. Sein Lächeln machte Francis Angst. Es lag etwas Bitteres, Verkrampftes darunter.

Angleterre“, begann er und versuchte, ruhig zu klingen. „Wenn es da noch etwas gibt, das du...“

Er brach in einem Schrei ab, als Arthur das Gewehr ein Stück herum schwenkte und auf das Bett richtete. „Angleterre! W-was...“

„Hast du ein Problem, Francis?“, fragte Arthur und holte aus. Die eiserne Spitze, die am vorderen Ende des Gewehrs angebracht war, raste auf den Buckel unter der Decke zu. Francis schrie auf, griff nach dem Lauf und schaffte es, ihn zur Seite zu drehen. Mit einem lauten Klirren stieß die Klinge gegen die steinerne Wand.

„Bist du wahnsinnig?!“, brüllte Francis und bemerkte, dass er am ganzen Körper zitterte.

„Wieso?“, fragte Arthur und legte den Kopf schief. „Weil ich deine Decke ein wenig durchlöchern wollte, nur zur Sicherheit? Es ist unsinnig, ein Schlafzimmer zu verlassen, ohne das Bett anständig durchsucht zu haben, nicht wahr?“

Francis atmete schwer. Das Bündel unter der Decke hatte wieder zu zittern begonnen.

„Also, Francis“, sagte Arthur und ein Grinsen zog über sein Gesicht. „Darf ich fragen, wieso dir so viel an dieser Decke liegt?“

„Du bist ein Monster, Angleterre“, flüsterte Francis.

„Das bin ich nicht“, erwiderte Arthur ernst. „Wäre ich es, hätte ich geschossen.“

Francis hörte ein leises Wimmern hinter sich. Mathieu sollte still sein, dachte er verzweifelt, stellte aber im nächsten Moment fest, dass es keinen Unterschied machte. Jetzt nicht mehr.

„Also, Francis“, sagte Arthur und ließ die Waffe sinken. „Hast du vielleicht doch eine Ahnung, wo der Junge stecken könnte?“

Er hatte verloren, dachte Francis, konnte es aber nicht begreifen. „Angleterre, bitte... du kannst ihm nichts tun.“

„Hol ihn raus“, sagte Arthur nur. Das Gewehr hielt er gesenkt, doch noch immer umklammerte er es so fest, dass seine Handknöchel sich weiß durch seine Haut drückten.

Francis biss sich auf die Lippe, drehte sich um und legte eine Hand auf die Decke. „Hab keine Angst, Mathieu“, flüsterte er und zog sie beiseite. „Ich bin hier. Ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert.“

Mathieus Kopf tauchte unter der Decke auf, eingerahmt von hellem, wirrem Haar. Sein Gesicht war verweint.

„Ganz ruhig, Mathieu“, sagte Francis, griff nach seinen Armen und zog ihn auf die Beine. „Es wird alles gut.“

Arthur stand reglos da und sah zu. Mathieu erwiderte seinen Blick ängstlich und versuchte, sich hinter Francis zu verstecken.

„Das ist er?“

Oui.“

„Er sieht Alfred sehr ähnlich.“

„Wem?“, flüsterte Mathieu Francis zu. Er zitterte am ganzen Körper.

„Hör ihm nicht zu, Mathieu. Es wird alles gut.“

Arthur legte den Kopf schief. „Du hast dich mal wieder überschätzt, Francis“, sagte er und schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Meine Männer haben diese Festung eingenommen.“

Angleterre. Ich weiß, dass ich verloren habe, aber müssen wir das vor dem Jungen ausdiskutieren?“

Yes, indeed. Es betrifft ihn direkt.“

„Wie meinst du das?“, fragte Francis und umklammerte Mathieus Hand fester.

„Du dachtest, du könntest eine Kolonialmacht sein“, sagte Arthur und schüttelte den Kopf. „Aber du hast nicht das Zeug dazu, Francis. Deine Zeit ist abgelaufen.“

„Hör auf, um den heißen Brei herum zu reden, und sag mir, was du willst!“

„Ist es nicht offensichtlich, was ich will?“, fragte Arthur und sah Mathieu an, der unter seinem Blick zu schrumpfen schien.

„Das kannst du nicht machen“, brachte Francis hervor. „Angleterre, du...“

„Ich kann“, erwiderte Arthur und zuckte die Achseln. „Ich bin der Gewinner. Ich lege die Bedingungen fest.“

Francis starrte ihn an.

„Was will er, François?“, flüsterte Mathieu ängstlich. „Was will er?“

„Du hast eine Schlacht gewonnen, aber noch nicht den Krieg.“

„Eine Schlacht genügt mir, um eine Entschädigung zu verlangen“, erwiderte Arthur und hob sein Gewehr wieder. „Gibst du ihn mir oder zwingst du mich, ihn mir mit Gewalt zu nehmen?“

Francis schluckte schwer und betrachtete den Gewehrlauf, der auf seine Brust gerichtet war. Es gab keinen Ausweg, dachte er. Selbst wenn er mutig gewesen wäre (was er nicht war), hätte es Mathieu und ihm nichts genutzt. Er hatte verloren. Er hatte keine andere Wahl, als Arthurs Bedingungen Folge zu leisten.

„Ich möchte, dass dir eins klar ist, Angleterre“, sagte Francis leise und spürte, wie Mathieu neben ihm zitterte. „Du hast diese eine Schlacht gewonnen, aber noch ist gar nichts entschieden. Ich lasse ihn jetzt mit dir gehen, aber sobald alle Schlachten geschlagen sind und der Krieg beendet ist, hole ich ihn mir wieder. Du tust also gut daran, ihn anständig zu behandeln.“

Arthur schnaubte. „Ich werde gut für ihn sorgen. Du weißt genau, dass ich kein Unmensch bin.“

„Du bist kein Mensch.“

„Du weißt, wovon ich rede. Also?“

Francis wusste, was er mit also meinte. Er musste es jetzt tun, dachte er und schluckte. Angst stieg in ihm auf. Es war nicht einmal die Angst davor, dass Arthur Mathieu schlecht behandeln könnte, jetzt noch nicht – es war die Angst davor, den Jungen enttäuschen zu müssen.

„Sei mir nicht böse, Mathieu“, murmelte er, drehte sich zu ihm um und drückte ihn fest an sich. „Wir sehen uns wieder. Das hier ist kein Abschied für immer.“

„François?“, fragte Mathieu ängstlich. „Wieso...?“

„Du wirst jetzt mit Angleterre hier gehen, in Ordnung? Sei brav. Ich weiß, dass du ein lieber Junge bist, also... benimm dich gut. Ich hole dich wieder ab, ganz sicher. Ich hole dich wieder.“

„Ich will nicht, François“, flüsterte Mathieu und vergrub das Gesicht an seiner Schulter. „Du hast immer gesagt, dieser... Angleterre ist ein crétin.“

Francis lächelte. „Vielleicht kommst du ja besser mit ihm zurecht als ich“, sagte er und wusste, dass es kein überzeugendes Argument war. „Versuch es, petit prince.“

„Aber...“

Doch Francis ließ ihn nicht ausreden. Er hatte beschlossen, es hinter sich zu bringen. Nach einiger Zeit würde er Mathieu wieder abholen, versuchte er sich selbst zu überzeugen. Das hier war kein Abschied für immer. Er versuchte, daran zu glauben, als er Mathieu hochhob und auf dem Boden absetzte.

„Ganz ruhig. Es wird alles gut.“
 

Arthur musterte den Jungen, der dort vor ihm stand, müde und verängstigt. Abgesehen davon sah er Alfred wirklich ähnlich, dachte er. Es war gut, die beiden Brüder neben einander aufzuziehen. Sicher war es das. Es war kein Unrecht, ihn Francis wegzunehmen.

„Wie heißt du?“, fragte er.

Der Junge blinzelte das Gewehr an. Dann wanderte sein Blick zu Arthur hinauf. Seine Lippen zitterten leicht, doch er brachte kein Wort heraus.

„Das müsstest du doch noch wissen, Angleterre“, sagte Francis, der sehr blass war. Dennoch versuchte er, sich seine Würde zu bewahren. „Er heißt Mathieu.“

„Vielleicht hättest du ihm damals doch besser einen Namen gegeben, den ich aussprechen kann“, stellte Arthur fest und runzelte die Stirn. Der Junge drückte einen schlaff aussehenden Teddy an sich und sah ihn hilflos an.

„Versuch es einfach“, sagte Francis. „Gib dir Mühe.“

„Ma... Math... Matthew.“

„Nicht Matthew. Mathieu.“

„Matthew“, wiederholte Arthur und nickte. „Das wird sogar Alfred aussprechen können.“

„Ich heiße Mathieu“, sagte der Junge leise. „So schwierig ist das doch nicht.“

„Sei froh, dass ich dich nicht komplett umtaufe“, erwiderte Arthur streng. Matthew zuckte zusammen und begann leicht zu zittern. Er hatte ihm Angst gemacht, dachte Arthur zerknirscht. Auch das noch.

„Also... komm mit, Matthew“, sagte er, hängte das Gewehr über seine Schulter und streckte ihm eine Hand hin.

Non“, murmelte Matthew.

„Bitte, Mathieu“, sagte Francis leise. „Es ist nichts daran zu ändern.“

„Ich will bei dir bleiben, François.“

„Ich hole dich wieder, petit prince. Du bleibst nicht für immer bei Angleterre, nur für ein Weilchen. Bevor du es merkst, bist du schon wieder zu Hause bei mir. Versprochen.“

Arthur beschloss, ihm nicht zu widersprechen. Als Matthew sich noch immer nicht regte, trat er auf ihn zu und griff nach seiner Schulter. „Komm mit“, sagte er und versuchte, freundlich zu klingen. „Ich tue dir nichts. Ich nehme dich mit zu mir, dort kannst du deinen Bruder kennen lernen. Willst du das nicht?“

Non“, flüsterte Matthew zitternd. Und dann heulte er laut auf und umklammerte Francis' Beine neben sich.

„Mathieu“, brachte Francis hervor und rührte sich nicht.

„Gib ihn mir“, sagte Arthur, doch Francis schien ihm nicht einmal zuzuhören. Er sah Matthew an, der sich an ihn klammerte, und sah aus, als kämpfe er mit den Tränen.

Arthur trat einen Schritt vor und hob Matthew hoch. Es war nicht einfach, weil der Junge sich an Francis' festhielt, als ginge es um sein Leben. Vielleicht glaubte er, es ginge tatsächlich um sein Leben, dachte Arthur. Was hatte Francis ihm nur von dem bösen Angleterre erzählt.

Es hatte ihn nicht zu interessieren, dachte er, als er den um sich schlagenden Jungen zu bändigen versuchte. Es war nicht seine Sache, was zwischen Francis und Matthew gewesen war. Die beiden waren Vergangenheit. Von jetzt an würde Arthur sich der Aufgabe annehmen, Matthew aufzuziehen. Der Junge würde noch erkennen, dass es so besser für ihn war. Und es störte Arthur nicht im Geringsten, was Francis von der Sache hielt.

Das glaubte er.

Er wandte sich zur Tür. Matthew hing über seiner Schulter und weinte noch immer lauthals. Arthur strich über seinen Rücken und versuchte erfolglos, ihn zu beruhigen. Kurz bevor er den Raum verließ, machte er den Fehler, sich noch einmal zu seinem Erzrivalen umzusehen. Francis stand mitten im Raum und sah ihnen nach. Er war barfuß, sein Nachthemd war zerknittert und ließ ein Stück seiner behaarten Beine frei. Sein Gesicht wirkte wie versteinert, das Kinn war von Bartstoppeln bedeckt. Die Haare hingen in wirren Locken auf seine breiten Schultern. Stumme Tränen liefen über seine Wangen und er machte sich nicht die Mühe, sie beiseite zu wischen.

Arthur wünschte sich, er hätte ihn hassen können, ihn wenigstens verachten können, wie er es immer getan hatte. Doch er konnte es nicht. Stattdessen drehte er sich langsam um und ging.

Dinge, die Angleterre gesagt hat

Wie an jedem Morgen in letzter Zeit war Alfred dem Postboten entgegen gerannt, und zu seiner großen Freude hatte der Mann ihm schon von weitem mit einem Brief zugewinkt. Angesichts von Alfreds Begeisterung hatte er gelacht, ihm den Kopf getätschelt und bemerkt, so würde seine Arbeit ihm Spaß machen. Alfred hatte ihm nicht zugehört, sondern hatte den Umschlag in seine Tasche gestopft und war zurück zum Haus gerannt. Jetzt saß er am Küchentisch, vor sich eine Tasse Milch und den unscheinbaren Umschlag.

Das Siegel trug eindeutig Arthurs Wappen. Er hatte schon mehrmals geschrieben, immerhin war er schon seit einer Weile weg. Selten war zwischen zwei Briefen mehr als eine Woche verstrichen, was Alfred beruhigte – nach zwei Wochen ohne Nachricht hätte er sich in Sicherheit bringen müssen, und wo das lag, wusste er nicht genau. Und was sollte er tun, wenn er erst einmal in Sicherheit war? Tatenlos da sitzen und nicht wissen, was mit Arthur passiert war? Nein. Das wäre das Schlimmste, was Alfred sich vorstellen könnte.

Die Briefe, die er von Arthur bekam, beruhigten ihn, aber gleichzeitig war es jedes Mal eine Überwindung, sie zu öffnen. Was, wenn in diesem Brief schlechte Nachrichten stehen würden? Alfred, du musst sofort fliehen. Oder: Alfred, ich bin geschlagen worden und in die Hände von bösartigen Bösewichten gefallen. Es gibt kein Entkommen. Nun, in einem solchen Fall würde Alfred sofort aufbrechen, um Arthur zu retten. Zumindest hoffte er, dass er heldenhaft genug wäre, um das zu tun.

Noch immer lag der Umschlag unschuldig und geschlossen auf dem Tisch. Alfred rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Er wischte alle kleinen Brotkrümel von der Tischplatte. Er trank seine Milch bis auf den letzten Tropfen aus. Danach holte er tief Luft und beschloss, dass er endlich genug Mut gesammelt hatte, um den Brief zu öffnen. Das wäre doch gelacht. Sorgfältig griff er nach einem Messer und schlitzte den Umschlag auf. Ein gefalteter Zettel rutschte heraus.

Lieber Alfred.

Wie geht es dir? Ich hoffe, du langweilst dich nicht zu sehr ohne mich. Wenn doch, gibt es dennoch sehr gute Nachrichten: Bereits während ich dir dies schreibe, laufen die Vorbereitungen für unseren nächsten Angriff. Ich kann dir leider nicht mehr verraten, aber es wird ein Schlag sein, der Francis schwer treffen wird. Unser Plan ist gut, und ich sehe nicht, wie er misslingen könnte. Mit etwas Glück bin ich schon in ein paar Tagen wieder bei dir, auch wenn ich dir nicht sagen kann, wie lange ich in diesem Fall werde bleiben können. Aber vorbeikommen werde ich in jedem Fall. Und noch etwas, Alfred: Räum auf. Je nach Gelingen unseres Plans werde ich noch jemanden mitbringen.

Ich muss jetzt aufhören und letzte Vorbereitungen treffen. Pass gut auf dich auf, was auch immer passiert. Alles Liebe und bis bald,

Arthur.

Alfred spürte, wie er vor Aufregung errötete. Hastig begann er, den Brief noch einmal von vorn zu lesen, doch er kam nur ein paar Zeilen weit.

„Er kommt zurück!“, schrie er, ließ den Zettel fallen und führte einen spontanen Freudentanz rund um den Küchentisch auf. „Arthur kommt zurück!“
 

Geschichte #6

François hat mich unter der Decke versteckt, also konnte ich nichts sehen. Es war heiß und stickig darunter und alles hat gejuckt, aber ich durfte mich nicht bewegen. Wahrscheinlich hat es gejuckt, weil ich mich nicht bewegen durfte. So ist das manchmal.

Ich habe diesen Angleterre gehört. Ich mag seine Stimme nicht, sie klingt zu hoch und zu dünn. Nicht wie die von François. Und er benutzt seine Nase nicht zum Sprechen, das finde ich dumm. Wozu ist eine Nase denn sonst noch da? Außer, um Rotz drin zu haben. Meine Nase lief unter der Decke, aber ich konnte sie nicht putzen. Ich durfte mich ja nicht bewegen. Beinahe hätte ich geweint.

Ich habe nicht alles von dem verstanden, was François und dieser Angleterre gesagt haben. Das einzige, was wichtig war, war, dass ich wegmuss. Dabei will ich gar nicht. Mich hat keiner gefragt, ob ich will. François hat gesagt, es ist kein Abschied für immer. Aber ich will gar keinen Abschied, selbst wenn er nicht für immer ist. Ich will bei François bleiben. Für immer und immer.

Angleterre hat mich hochgehoben. Ich wollte nicht, dass er mich hochhebt. Fast wünschte ich, er hätte mir wehgetan, weil er das als Böser eigentlich tun müsste, aber das hat er nicht. Er hat nur die ganze Zeit geredet.
 

Dinge, die Angleterre gesagt hat.

„Du brauchst keine Angst vor mir zu haben.“

„Ich tue dir nichts.“

„Eines Tages wirst du mir noch dankbar sein, weil...“ (Dann hat er wohl vergessen, wofür ich ihm dankbar sein werde. Ich weiß auch beim besten Willen nicht, was das sein sollte.)

„Alles in Ordnung, Matthew?“ (So heiße ich gar nicht.)

„Ich heiße Arthur. Arthur Kirkland.“ (Nicht einmal seinen eigenen Namen kann er richtig aussprechen. Es heißt nämlich „Arthür“.)

„Ich werde dir nichts tun. Du kannst aufhören, zu weinen.“

„Ich werde dich dorthin mitnehmen, wo Alfred wohnt. Kennst du Alfred? Er ist dein Bruder, weißt du? Er sieht dir unheimlich ähnlich. Du wirst ihn sicher mögen. Naja... lass dir von ihm nichts erzählen, er spinnt schon mal ein bisschen. Aber abgesehen davon ist er ganz nett.“

„Ist ja gut, Matthew.“ (Das ist nicht mein Name.)

„Du brauchst nicht zu weinen.“ (Hat der eine Ahnung.)
 

Dinge, die Angleterre nicht gesagt hat.

„In Wirklichkeit bin ich ein böser Zombie, der ständig zu Leuten geht und ihnen ihre kleinen Brüder wegnimmt, um ihnen wehzutun, und die Kinder dann frisst.“ (Vielleicht war es ganz gut, dass er das nicht gesagt hat.)

„Das hier ist nur ein dummer Scherz, weil heute der erste April ist, obwohl er das gar nicht ist. Ich werde sofort wieder umdrehen und dich zu François zurückbringen.“ (Ich wünschte, er würde das sagen. Jetzt gleich. Er kann es immer noch sagen. Es ist noch nicht zu spät.)

„Ich weiß genau, dass du Mathieu heißt, aber ich nenne dich Matthew, weil ich dich ärgern will.“ (Er will es ja nur nicht zugeben.)
 

Etwas, das François gesagt hat.

„Morgen sieht die Welt schon anders aus.“ (Anders, François? Aber anders als was?)
 

„Arthur!“, rief Alfred fröhlich, sobald er das Pferd seines Bruders durch das Tor traben sah. Er sprang von der Veranda und lief ihm entgegen. „Da bist du ja wieder! Ich habe...“

Er brach ab und starrte neugierig das Bündel an, das Arthur vor sich hielt. „Was hast du da?“

Arthur hielt sein Pferd an und lächelte Alfred zu. „Nanu? Du bist so früh schon auf den Beinen?“

„Du hast geschrieben, vielleicht bringst du jemanden mit, deshalb!“, erklärte Alfred und griff nach den Zügeln. „Aber jetzt bist ja doch allein.“

„Nein, überhaupt nicht“, sagte Arthur und beugte sich ein wenig vor. „Matthew? Wir sind da.“

Erstaunt sah Alfred, dass das Bündel sich zu bewegen begann, und stellte fest, dass es sich dabei um einen Jungen handelte. Er saß vor Arthur im Sattel und trug dessen Jacke, die ihm viel zu groß war. Er blinzelte Alfred müde und ziemlich verängstigt an.

„Hey, du!“, sagte Alfred und grinste breit. „Wie heißt du?“

Der Junge wich vor ihm zurück, so weit es ging.

„Er heißt Matthew“, erklärte Arthur, ließ sich aus dem Sattel rutschen und hob den Jungen ebenfalls herunter. „Und das ist Alfred, Matthew. Dein Bruder.“

Matthew schüttelte den Kopf und umklammerte die viel zu langen Ärmel der Jacke, als wolle er sich daran festhalten. Mit einem Arm drückte er ein abgenutztes Stofftier an sich.

„Mein Bruder?“, fragte Alfred begeistert. „Heißt das, ich habe einen kleinen Bruder?“

„Ich bin größer als du“, flüsterte Matthew, aber er war so leise, dass Alfred ihn einfach überhörte.

„Das heißt ja, ich bin nicht mehr der Jüngste, Arthur! Awesome! Hey, du, Mattie! Ich darf doch Mattie sagen, oder?“

Non.“

„Ich heiße Alfred, und ich bin ein Held und dein großer Bruder! Ist das nicht toll?“ Er boxte Matthew spielerisch gegen den Oberarm. Matthew taumelte und fiel auf den Boden.

„Um Himmels Willen!“, sagte Arthur und beeilte sich, ihm wieder aufzuhelfen. „Sei doch nicht so grob mit ihm, Alfred!“

„Wieso grob? Ich hab ihn ja kaum berührt, davon fällt man doch nicht gleich um! Er ist doch ein Junge, oder? Oder? Wieso hat er dann so lange Haare und warum trägt er ein Kleid?“

„Das ist ein Nachthemd“, murmelte Matthew und klopfte Dreck von seinem Stofftier.

„Wieso läufst du mitten am Tag im Nachthemd rum?“, fragte Alfred neugierig.

Arthur seufzte tief. „Nun lass ihn doch erst einmal zu Atem kommen, Alfred. Matthew hat diese Nacht nicht viel Schlaf gehabt. Möchtest du dich ein wenig ausruhen, Matthew?“

„Ich heiße Mathieu“, flüsterte Matthew. Seine Augen fielen beinahe zu und er taumelte erneut.

„Es ist wohl am Besten, wenn du sofort ins Bett gehst“, sagte Arthur. „Ist es in Ordnung für dich, wenn er heute einmal in deinem Bett schläft, Alfred? Wir werden uns um ein zweites Bett kümmern, während er sich ausruht. In Ordnung?“

„Ja“, sagte Alfred großzügig. Immerhin war er ein Held.

Non“, murmelte Matthew.

„Es heißt no! Arty, heißt es nicht no? Wieso sprichst du so komisch? Ist deine Nase zu?“

„Jetzt ist es aber gut, Alfred!“, sagte Arthur streng, nahm Matthews Hand und spürte, wie der Junge zurück zuckte. „Komm mit, Matthew. Ich zeige dir, wo du schlafen kannst.“

„Ich heiße Mathieu“, sagte Matthew leise und lief neben ihm her. Alfred hüpfte um sie herum und nahm seinen neuen Bruder kritisch in Augenschein.

„Wie sagst du, dass du heißt?“

„Mathieu.“

„Wie? Du hast gerade geniest, als du es sagen wolltest.“

„Mathieu!“

„Hast du Schnupfen? Oder...“

„Alfred!“, fauchte Arthur ihn an. „Tu mir den Gefallen und geh im Wohnzimmer spielen, bis ich komme!“

Beleidigt schob Alfred die Unterlippe vor. „Ich hab ihn ja nur gefragt“, sagte er und rannte davon.
 

Nachdem Arthur die Tür hinter sich geschlossen hatte, saß Matthew eine Weile lang auf der äußersten Kante von Alfreds Bett und baumelte mit den Beinen. Er wollte nichts anfassen. Er wollte nicht schlafen. Er wollte ja nicht einmal hier sein.

Langsam befreite er sich aus der Jacke, die Arthur ihm in der letzten Nacht gegeben hatte. Sie war viel zu groß, schwer und scharlachrot. Er sah darin aus, als gehöre er zu Arthurs Soldaten, dachte er. Was würde Francis sagen, wenn er ihn so sähe? Hastig stieß er den steifen Stoff von sich weg, als ginge eine ansteckende Krankheit davon aus. Die Jacke fiel zu Boden.

Der gerüschte untere Saum seines Nachthemdes war dreckig, er war wohl einige Male darauf getreten. Er bemerkte es nur nebenbei, denn eigentlich interessierte ihn etwas ganz anderes. Hastig sah er sich um, ob jemand zusah, doch er schien allein im Raum zu sein. Vorsichtig schob er eine Hand durch den Riss im Rücken des Teddybären. Er tastete in der weichen Wolle herum, bis er an die steifen Seiten seines Buches stieß. Atemlos zog er es heraus.

Der Einband war ein wenig gekrümmt und eine Seite ganz am Ende hatte ein Eselsohr, doch ansonsten war das Heft noch unversehrt. Er hatte es geschafft, es mit sich zu schmuggeln, in dem Bär, wo es immer steckte. Arthur hatte nichts bemerkt. Matthew mochte irgendwo in der Fremde sein, doch er hatte noch etwas, das ihn an Francis erinnerte. An das Leben, das er gehabt hatte. Und wer konnte es wissen? Vielleicht hatte Francis ja Recht gehabt. Vielleicht war es kein Abschied für immer gewesen...

Matthew ließ den Bär auf dem Bett liegen und stand auf, das Buch beschützend an seine Brust gedrückt. Irgendwo musste hier doch ein Stift zu finden sein. In einer Ecke des Raumes gab es einen kleinen Tisch, auf dem ein Holzkasten stand. Zögernd öffnete Matthew ihn und fand in seinem Innern mehrere Kreidestücke und einen Kohlestift. Erleichtert nahm er den Stift heraus und setzte sich an den Tisch. Er sah sich noch einmal zur Sicherheit um, bevor er das Buch aufschlug, die Seite glatt strich und mit konzentriertem Gesicht zu schreiben begann.
 

Geschichte #7 – Die Geschichte von Alfred

Ich habe Alfred zum ersten Mal getroffen. Er hat mich geboxt und ich bin hingefallen. Ich wusste nicht richtig, wo oben und unten war, weil ich so müde war. Deswegen bin ich wahrscheinlich gefallen. Aber er hätte mich trotzdem nicht boxen müssen, oder? Er sagt, er ist mein Bruder. François ist auch mein Bruder, und der hat mich nie geboxt.

Alfred ist laut und redet viel, aber er sagt überhaupt nichts. Ich mag es nicht, wie er spricht, irgendwie breit, als ob er immer den Mund voll hätte. Er hat gefragt, ob ich Schnupfen hätte. Er ist so dumm und so ein Großmaul. Ich mag ihn nicht.

Er soll nicht mein Bruder sein.

Das hier ist die Geschichte von Alfred. Sie ist noch nicht fertig. Ich hoffe, dass er sich am Ende der Geschichte gebessert hat und nicht mehr so laut und dumm ist. Andererseits kann ich mir Alfred nicht anders vorstellen als so, wie er ist.
 

„Er ist komisch“, verkündete Alfred entschieden und schloss die Tür zum Abstellraum. Das Feldbett, das sie hinter einigen Bilderrahmen gefunden hatten, war etwas verstaubt, aber es wirkte sehr stabil.

„Ach, Alfred“, sagte Arthur und schüttelte den Kopf. „Gib ihm eine Chance. Er ist nicht komisch, er ist nur etwas anders als wir.“

„Aber wir sind normal, und wenn er nicht ist wie wir, ist er nicht normal. Und dann ist er komisch!“

„Früher oder später wird er sich uns anpassen“, stellte Arthur klar. „Sicher braucht er einige Zeit, um sich einzugewöhnen. Sei nicht so streng mit ihm. Er ist dein Bruder.“

Alfred verdrehte die Augen. „Wieso ist er dann so anders als ich, wenn ich doch sein Bruder bin?“

„Anders? Schau doch mal in den Spiegel, Alfred. Man sieht euch eindeutig an, dass ihr Brüder seid.“

„Echt?“, fragte Alfred überrascht und versuchte, in einer verglasten Schranktür sein Spiegelbild zu erkennen. Es war farblos, doch er erkannte sein dreieckiges Gesicht, seine hellwachen Augen und seine unordentlichen Haare. „Finde ich nicht. Er hat Haare wie ein Mädchen.“

Arthur seufzte tief. „Er wird ab sofort bei uns wohnen, Alfred. Finde dich damit ab.“

„Bis wann denn?“

Einen Moment lang zögerte Arthur. „Für immer“, antwortete er dann und griff nach seinem Mantel.

„Für immer und ewig?“, fragte Alfred beeindruckt. „Das ist aber lange.“

„Ja“, sagte Arthur leise und öffnete die Tür.

„Wo willst du hin?“

„In die Stadt. Ich werde ein paar Einkäufe erledigen.“

„Ich komme mit!“, rief Alfred fröhlich und griff nach seiner Jacke, doch Arthur drehte sich um und schüttelte den Kopf. „Nein, Alfred. Du bleibst hier und passt auf das Haus auf.“

Alfred verzog enttäuscht das Gesicht. „Kann das Haus nicht auf sich selbst aufpassen?“

„Ich meine doch, dass du hier bleiben sollst, falls Matthew aufwacht.“

„Ist er ein Baby oder was? Hier passiert ihm doch nichts, selbst wenn wir beide eben in der Stadt sind...“

„Alfred“, seufzte Arthur und strich über seinen Kopf. „Denk doch mal nach. Wie würdest du dich fühlen, wenn du in einem völlig fremden Haus aufwachen würdest und niemand wäre da?“

Alfred schob die Unterlippe vor, doch dann hellte sich sein Gesicht auf. „So, als könnte ich die Hilfe eines Helden brauchen!“

„Ganz genau“, sagte Arthur mit einem schiefen Grinsen. „Also tu mir den Gefallen und sei ein Held, Alfred. Okay?“

„Okay“, erwiderte Alfred bescheiden und grinste. „Wann kommst du wieder?“

„Bevor es dunkel ist.“

„Gut! Dann bis später, Arthur!“, sagte Alfred und winkte. Arthur lächelte und wandte sich ab. Gut, dass man den Jungen mit der Aussicht, ein Held sein zu können, immer motivieren konnte.
 

Die Sonne schien auf das Bett, als Matthew die Augen öffnete. Einen Moment lang glaubte er schläfrig, alles sei in Ordnung, bis ihm wieder einfiel, was passiert war. Er war in einem fremden Haus. In einem fremden Bett. Unter fremden Leuten.

„Hey, Mattie! Endlich bist du wach!“

Er zuckte zusammen und zog Schutz suchend die Decke zu sich heran. Alfred hockte an seinem Fußende und grinste ihn breit an. „Hast du Hunger? Ich habe etwas zu Essen gemacht!“, verkündete er und sprang vom Bett auf den Boden. „Arthur ist weg in die Stadt, aber ich bin hier geblieben, damit du nicht ganz allein bist. Ich habe pancakes gemacht, willst du welche?“

Matthew starrte ihn unschlüssig an, und Alfred erwiderte seinen Blick mit einem Grinsen. Alles in Matthew sträubte sich dagegen, etwas von ihm anzunehmen, doch sein Magen knurrte. Arthur und er waren die Nacht hindurch geritten und er hatte seit mindestens einem Tag nichts mehr gegessen.

„Also, kommst du jetzt?“, fragte Alfred, und Matthew nickte unsicher und schob die Decke beiseite. Noch immer trug er nur sein Nachthemd, fiel ihm auf.

„Willst du was Anständiges zum Anziehen haben?“, fragte Alfred, der es ebenfalls bemerkte. „Ich könnte dir was leihen, wenn du willst! Wir sind ja ungefähr gleich groß...“

„Nein danke“, murmelte Matthew.

„Nicht? Na, auch gut, dann werden die pancakes wenigstens nicht kalt. Komm mit, Mattie!“

Sorglos griff Alfred nach seinem Arm und zog ihn hinter sich her, aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Durch eine weitere Tür gelangten sie in einen Raum, den Matthew erst auf den zweiten Blick als Küche erkennen konnte. Der Herd in einer Ecke war mit Mehl und anderen Flecken bedeckt. Überall standen und lagen Schüsseln, Tüten, Löffel und Teller herum. Alfred ging zu dem Esstisch in der Mitte des Raumes und wischte mit dem Ärmel ein Stück der Tischplatte frei vom Mehl.

„Hier! Setz dich, Mattie!“

Zögernd setzte Matthew sich auf einen Stuhl und baumelte mit den Beinen. Alfred wich geschickt einem zerbrochenen Ei aus, das auf dem Boden lag, hob einen Teller hoch und balancierte ihn zurück zum Tisch. Auf dem Teller lagen zwei oder drei dampfende Pfannkuchen.

„Bitte schön! Ich kann schon pancakes machen, denn ich bin ein Held!“

Unsicher sah Matthew die Pfannkuchen an. „Gut... soll ich...?“

„Oh, du brauchst noch eine Gabel, stimmt's? Wie dumm von mir!“

Er rannte zu einem Schrank und begann, in einer Schublade zu kramen. Matthew betrachtete seinen Teller unschlüssig. Von Francis war er eine bessere Versorgung gewohnt, aber er hatte Hunger.

„Da!“, sagte Alfred und knallte eine Gabel auf den Tisch. „Lass es dir schmecken, Mattie!“

Matthew versuchte, zu lächeln, doch dann fiel ihm ein, dass es die Mühe nicht wert war. „Danke“, murmelte er stattdessen und griff nach der Gabel.

„Keine Ursache“, erwiderte Alfred großzügig und ließ sich auf einem Stuhl ihm gegenüber nieder. Er stützte das Kinn in die Hände und betrachtete Matthew so neugierig und unverhohlen, dass Matthew sich regelrecht nackt fühlte. Zögernd ließ er die Gabel sinken.

„Würdest du bitte aufhören, mich anzustarren?“

„Wieso?“, fragte Alfred überrascht.

„Lass es bitte einfach.“

„Aber ich will dich kennen lernen, Mattie!“, erklärte Alfred und strahlte ihn an. „Wir sind zwar Brüder, aber ich weiß gar nichts über dich! Also, ich heiße Alfred, ich bin ein Held, und wenn ich groß bin, werde ich Cowboy. Was ist mit dir?“

Matthew blinzelte ihn an und schluckte einen Mundvoll Pfannkuchen. „Ich heiße Mathieu“, sagte er dann.

„Wie?“

„Vergiss es“, sagte Matthew deprimiert.

„Nein, nein! Bring es mir bei, Mattie!“, verlangte Alfred. „Wie sagt man das? Irgendwie durch die Nase, oder?“

„Lass mich in Ruhe.“

„Nun sei doch nicht gleich beleidigt, Mattie. Ich will doch nur nett sein!“

Matthew kam um eine Antwort herum, weil in eben diesem Moment das Geräusch der Haustür erklang.

„Arthur!“, rief Alfred, ohne aufzustehen. „Wir sind hier in der Küche!“

Arthur schob den Kopf zur Tür herein und riss entgeistert die Augen auf. „Was ist denn hier passiert?“

„Ich habe Mattie pancakes gemacht! Ist das nicht toll?“

„Sehr gut, Alfred“, sagte Arthur und betrat die Küche. Er sah gehetzt aus, doch er nahm sich die Zeit, um den beiden Jungen zuzulächeln. Matthew senkte den Blick auf seinen Teller.

„Was ist denn los, Arthur? Ist etwas passiert?“

„Ja“, gab Arthur zu und lud eine Tüte, die er in der Hand gehalten hatte, auf dem Tisch ab. „Es tut mir wirklich Leid, aber ich muss gleich wieder weg.“

„Wieso das denn?“, fragte Alfred enttäuscht.

„Nun, es...“, begann Arthur, brach dann ab und warf einen hastigen Blick zu Matthew hinüber, der aufmerkte.

„Geht es um François?“, fragte er hoffnungsvoll.

„Nun... in der Stadt geht die Nachricht um, dass Francis... etwas plant.“

„Stimmt das? Arthur, stimmt das? Wo musst du hin?“

Arthur schien nicht zu wissen, was er tun sollte. „Ich muss jetzt los“, sagte er zu Alfred und strich ihm über den Kopf.

„Aber du hast doch gesagt, du musst jetzt erst einmal nicht mehr kämpfen!“

„Ich werde dir schreiben, okay?“

„Ich will nicht, dass du schon wieder gehst!“, rief Alfred und Matthew bemerkte überrascht, wie hilflos er plötzlich aussah.

„Sei nicht traurig, Alfred“, sagte Arthur und grinste schief. „Ich komme doch wieder, hmm? Und bis dahin bist du ja auch nicht allein. Du hast doch Matthew.“

Alfred warf Matthew einen prüfenden Blick zu und nickte dann. „Okay“, sagte er und reckte das Kinn. „Aber du schreibst trotzdem, oder?“

„Natürlich. So bald wie möglich.“

„Na dann... bis bald, Arthur!“

„Bis bald“, erwiderte Arthur und warf noch einen letzten Blick auf Matthew. „Bis bald, Matthew.“

Matthew sah ihn nicht an und nahm noch einen Bissen von den Pfannkuchen.

„Ich habe dir ein paar Kleider aus der Stadt mitgebracht. Alfreds Sachen werden dir sicher auch passen... Ihr schafft das schon, ihr beide.“

„Klar!“, sagte Alfred überzeugend. „Wir schaffen das, Mattie und ich!“

Er grinste ihn an, und Matthew starrte zurück. Er würde gar nichts mit Alfred zusammen machen. Arthur würde wieder gegen Francis kämpfen, und diesmal würde Francis gewinnen. Er würde ganz schnell wieder von hier wegkommen, weg von Arthur, weg von Alfred. Sehr schnell.

Aus der Welt geschafft

Alfred war erschöpft, aber es war eine gute Art von Erschöpfung – die, die eintrat, wenn man hart gearbeitet und etwas geschafft hatte. Er hatte die Küche ganz allein sauber gemacht. Er hatte die Taschen ausgepackt, die Arthur aus der Stadt mitgebracht hatte, und Matthew die Kleider in die Hand gedrückt, die für ihn darin lagen. Er hatte ihm die Wasserpumpe und die Wanne hinter dem Haus gezeigt und ihm erklärt, wie man den Hocker hinstellen musste, um bequem an den Handgriff der Pumpe zu kommen. Er hatte ganz allein das Feldbett in sein Zimmer geschoben und aufgeklappt, hatte eine Decke aus dem Wohnzimmer geholt und zwei Kissen von einem der Sofas. Und die ganze Zeit über hatte er versucht, mit Matthew zu reden.

„Hast du soweit alles verstanden, Mattie? Moment, ich muss noch ein Handtuch für dich holen! Warte kurz, ich bin gleich wieder da!“

„Hast du dich gewaschen? Gut! Hey, die Klamotten passen ja! Und sie stehen dir auch nicht schlecht, wirklich. Aber wieso hast du nur so lange Haare?“

„Soll ich dir meine Holzpferde zeigen? Wollen wir zusammen spielen, Mattie? Oder wozu hast du Lust?“

„Ich habe deinen Teddy auf dein Bett gesetzt. Er sieht ganz schön zerknüllt aus, oder? Ich habe auch einen Teddy, willst du ihn sehen? Und ein Pferd und ein Schaf. Ich zeige sie dir, wenn du willst!“

Was auch immer er gesagt hatte, er war auf taube Ohren gestoßen. Matthew hatte ihm nie geantwortet, höchstens genickt oder – öfter – den Kopf geschüttelt. Die ganze Zeit über hatte er ihn stumm mit diesen furchtbar traurigen Augen angesehen. Alfred hatte noch nie so traurige Augen gesehen. Sie jagten ihm Angst ein. Er verstand nicht, wie Arthur sagen konnte, Matthew und er sähen sich ähnlich. Alfreds Augen waren nicht so.

„Wir teilen uns ein Zimmer, Mattie, ist das nicht toll? Dann können wir uns vor dem Einschlafen unterhalten und uns Geschichten erzählen, das wird ganz großartig!“

Erneut antwortete Matthew nicht, sah nur hinaus in den dunkler werdenden Himmel. Den Teddy hatte er von seinem Bett genommen, hielt ihn auf dem Arm und streichelte ihn. Wie kindisch, dachte Alfred geringschätzig. Wieso hörte Matthew ihm nur nicht zu? Hatte Alfred nicht alles getan, um es ihm Recht zu machen? Und immer noch benahm er sich, als habe er ihm etwas getan. Die Begeisterung, die Alfred zunächst für seinen neuen Bruder empfunden hatte, verschwand langsam.

„Sollen wir ins Bett gehen, Mattie?“, fragte er und beschloss, es ein letztes Mal zu versuchen. Zu seiner Überraschung drehte Matthew sich um und blinzelte ihn an.

„Ins Bett?“

„Also, ich bin müde“, erklärte Alfred und rieb sich die Augen. „Ich habe den ganzen Tag gearbeitet, musst du wissen.“

Er hatte gehofft, Matthew würde sich wenigstens ein bisschen dankbar dafür zeigen, doch das tat er nicht. Stattdessen nickte er langsam und trat von dem Fenster weg.

„Ja. Ich bin auch müde.“

„Das da ist dein Bett“, erklärte Alfred und deutete in die entsprechende Richtung, für den Fall, dass Matthew schwer von Begriff war. Er zog die Vorhänge vor das Fenster, kroch in sein Bett und gähnte.

„Oh, die Kerze steht gleich neben dir. Würdest du sie auspusten?“

Matthew reagierte erst nach einigen Sekunden, nickte dann und ging ebenfalls zu seinem Bett. Er legte seinen Teddy hinein und deckte ihn sorgfältig zu, bevor er sich selbst daneben legte. Alfred kicherte.

„Du kümmerst dich echt gut um diesen Bär, oder?“

Matthew sah ihn fragend an. „Meinst du Jean-Claude?“

„Wen?“

„Nichts“, murmelte Matthew.

„Nein, Mattie, nicht nichts! Was hast du gesagt? Wie heißt der Bär?“

Statt einer Antwort stützte Matthew sich auf die Ellbogen auf und blies die Kerze auf dem kleinen Nachttisch aus. Es wurde dunkel.

„Wieso sagst du mir nicht, wie dein Bär heißt, Mattie?“

„Gute Nacht.“

„Ich sag dir auch, wie meiner heißt!“

„Wie denn?“

„Washington“, antwortete Alfred stolz.

„Was ist das denn für ein Name?“

„Es ist ein sehr guter Name! Wie heißt deiner also?“

„Jean-Claude.“

„Wie?“

„Vergiss es“, flüsterte Matthew durch die Dunkelheit.

„Nun sei doch nicht eingeschnappt, Mattie! Ich will doch nur nett sein!“

Er erhielt keine Antwort. Alfred runzelte die Stirn.

„Wieso willst du mir nicht beibringen, wie man es ausspricht, Mattie?“

Noch immer blieb es still. Alfred seufzte tief und drehte sich auf die andere Seite. „Arthur hat gesagt, du musst dich erst eingewöhnen“, erklärte er. „Und weil ich so vernünftig bin, gebe ich dir noch eine Chance. Obwohl ich wirklich nicht verstehe, was du gegen mich hast, Mattie. Good night.“

Er seufzte leise, schloss die Augen und fand sich damit ab, dass Matthew nicht mehr antworten würde. Er wollte seinem Bruder wirklich eine Chance geben, sich einzuleben, aber er verstand nicht, wieso Matthew es ihm und vor allem sich selbst so schwer machte. Alfred war doch nett, und Arthur war es ebenso. Wieso konnte Matthew die ihm entgegen gebrachte Freundlichkeit nicht einfach erwidern?

Als er schon dabei war, in den Schlaf hinüber zu dämmern, drang ein leises Geräusch an seine Ohren. Zuerst fand er nichts dabei, wie es oft ist, wenn man träumt: Nichts kann einen wundern, alles scheint normal. Erst, als das Geräusch lauter wurde, fiel ihm auf, dass es alles andere als normal war. Schläfrig öffnete er die Augen und lauschte. Als er erkannte, worum es sich bei dem Geräusch handelte, war er sofort hellwach.

„Mattie?“, flüsterte er und setzte sich auf. „Warum weinst du denn?“

Er erhielt keine Antwort bis auf das leise Schluchzen, das aus Matthews Richtung kam. Sein Bruder hatte sich unter seiner Decke zu einem leicht zitternden Knäuel zusammengerollt. Der Teddy war neben das Bett gefallen. Hastig schlug Alfred seine Decke beiseite, stand auf und schlich zu Matthew hinüber.

„Was hast du?“, fragte er hilflos und streichelte den Huckel unter der Decke. „Mattie? Was ist denn?“

„Lass mich... in Ruhe“, brachte Matthew hervor. Seine Stimme war hoch und zitterte vor Schluchzen.

„Nicht weinen, Mattie“, sagte Alfred hastig. „Habe ich dir was getan? Das wollte ich nicht, wirklich! Was ist denn los?“

Matthew antwortete nicht, sein Schluchzen wurde nur noch lauter. Alfred biss sich auf die Lippe, hob dann hoffnungsvoll den herunter gefallenen Teddy auf und setzte ihn an Matthews Kopfende. „Nicht weinen, Mattie“, sagte er und hörte, dass seine Stimme zitterte. „Das kann ich nicht haben. Hör auf, sonst muss ich auch gleich weinen.“

„Geh weg“, schniefte Matthew, streckte einen Arm unter der Decke hervor und versuchte halbherzig, Alfred beiseite zu schieben. Er griff daneben.

„Nein, ich werde nicht gehen. Ich möchte dir doch helfen, Mattie... Was hast du?“

Matthew zog geräuschvoll die Nase hoch und verkroch sich noch weiter unter der Decke. „Ich will zu François!“, heulte er.

Verständnislos runzelte Alfred die Stirn. Er erinnerte sich an nicht viel, was Arthur ihm von diesem Francis erzählt hatte. Dass er eitel und arrogant war, aber auch ein Feigling. Dass er der Böse war, gegen den Arthur kämpfen musste. Und zu so einem wollte Matthew zurück?

„Warum das denn?“, fragte er bestürzt.

Anstelle einer Antwort schrie Matthew auf und trat aus. Er traf Alfred in den Bauch, was diesen zurück stolpern ließ. Weniger wegen der Wucht des Tritts als weil er so überrascht war.

„Geh weg!“, kreischte Matthew und trat noch immer unter der Decke nach ihm. „Geh weg, geh weg, geh weg!“

„Aber...“, begann Alfred leise und brach dann ab. Matthew schrie und weinte unter seiner Decke und wollte sich einfach nicht beruhigen. Sein Teddy mit dem unaussprechlichen Namen war wieder zu Boden gefallen.

Leise drehte Alfred sich um, legte sich wieder in sein Bett und zog sich die Decke über den Kopf. Er verstand gar nichts mehr. Wenn Francis böse war, wieso sollte Matthew zu ihm zurück wollen? Wenn Matthew sein Bruder war, wieso verstanden sie sich dann so wenig?

Er konnte sich die Ohren zuhalten, so fest er wollte, Matthews Schluchzen hinter sich hörte er trotzdem. Alfred drehte sich mit dem Gesicht zur Wand, die Hände fest auf die Ohren gepresst, und schniefte leise in sich hinein. Er hatte nicht gelogen: Er konnte es nicht ertragen, wenn jemand anderes weinte. Noch dazu jemand, den er mochte. Oder zumindest zu mögen versuchte.

In dieser Nacht fand keiner der Jungen vor dem Morgengrauen Schlaf.
 

Schwungvoll setzte Arthur seine Unterschrift unter den Brief, den er an Alfred geschrieben hatte. Er war so glücklich wie seit langem nicht mehr. Die Verhandlungen nach dem Ende des Krieges waren lang und anstrengend gewesen und seiner Meinung nach war Francis für einen Verlierer noch glimpflich davon gekommen – zu glimpflich. Aber trotz allem hatte Arthur es geschafft, seine Interessen durchzusetzen. Ganz besonders sein Interesse an Matthew.

Angleterre“, erklang eine leise Stimme hinter ihm und Arthur zuckte zusammen. Er drehte sich um und war nicht überrascht, Francis in der Tür stehen zu sehen. Ein Grinsen zog über sein Gesicht.

„Francis. Bist du hier, um dem Sieger zu huldigen?“

Francis steckte seine Stichelei kommentarlos ein. „Ich möchte dich um einen Gefallen bitten“, sagte er und trat einen Schritt näher.

„Vergiss es“, sagte Arthur und wandte ihm den Rücken zu. „Wir haben lange genug diskutiert. Du behältst Guadeloupe, ich behalte Matthew. Wir haben es entschieden. Und jetzt bin ich es Leid, mit dir zu diskutieren, Francis, also sei so gut und geh mir aus den Augen.“

„Ich finde mich mit den Verhandlungsergebnissen von heute ab.“

„Um mir das zu sagen, hättest du nicht extra zu kommen brauchen. Du hast sowieso keine andere Wahl, als dich damit abzufinden.“

„Es geht um etwas anderes. Angleterre... ich möchte dich um einen Gefallen bitten. Unter Gentlemen.“

„Und seit wann bist du unter die Gentlemen gegangen?“, fragte Arthur und sah sich zu ihm um. Erneut ging Francis nicht auf seinen Spott ein, sondern hielt ihm einen kleinen, gefalteten Zettel hin.

„Würdest du Mathieu das hier von mir zukommen lassen?“

„Was ist das?“

„Wie sieht es denn aus, Angleterre? Es ist ein Brief.“

„Nun sei nicht unverschämt“, erwiderte Arthur und zog den Zettel aus seiner Hand. „Was steht drin?“

„Der Brief geht an Mathieu.“

Arthur runzelte die Stirn und entfaltete den Zettel. Auf dem Papier stand ein einziger Satz, von dem er bis auf das Mathieu am Ende kein einziges Wort verstand.

„Was steht da?“

„Diesen Brief sollte Mathieu lesen“, sagte Francis, der seine Wut nur mühsam beherrschte. „Nicht du.“

„Was steht da? Du weißt genau, dass ich kein Französisch kann.“

„Deswegen habe ich den Brief genau so geschrieben.“

Arthur schnalzte missbilligend mit der Zunge. „Was erwartest du von mir, Francis? Dass ich Matthew diesen Brief gebe, in dem weiß Gott was stehen könnte? Und das trotz deiner Unhöflichkeit?“

„Bitte, Angleterre“, sagte Francis und biss sich auf die Lippe. „Tu Mathieu den Gefallen.“

„Abgelehnt“, sagte Arthur schlicht und schob den Zettel unter einige andere Dokumente auf seinem Schreibtisch.

Francis starrte ihn an. Die geballten Fäuste an seinen Seiten begannen wütend zu zittern, doch Arthur hob die Hand. „Ich an deiner Stelle würde nichts Dummes tun, Francis. Denk an das, was du verlieren könntest.“

„Und das wäre?“, brachte Francis hervor.

„Nun, das kommt ganz darauf an“, erwiderte Arthur. „Es liegt an dir, ob du Matthew so schnell wiedersiehst... und auch, ob er dich jemals wiedersehen möchte.“

„Du wirst Mathieu nicht gegen mich aufhetzen.“

„Er ist jung und leicht zu beeinflussen. Du gibst mir und ihm besser keinen Grund, schlecht von dir zu denken.“

Reglos starrte Francis ihn an. „Wir werden ja sehen, Angleterre“, flüsterte er.

„Ja, wir werden sehen“, stimmte Arthur ihm beiläufig zu und drehte sich wieder um. „Fürs Erste würde ich gern sehen, dass du aus meinem Büro verschwindest.“

Er hörte ein wütendes, aber hilfloses Keuchen hinter sich. Dann durchquerten Schritte den Raum und die Tür fiel ins Schloss. Arthur atmete auf, lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und las noch einmal den Brief, den er an Alfred schicken würde. Plötzlich fragte er sich, was Matthew von dem Inhalt halten würde. Beim Schreiben war er so enthusiastisch gewesen, dass er gar nicht daran gedacht hatte, dass er für Matthew keine guten Nachrichten hatte. Hoffentlich würde der Junge nichts Dummes tun.

Zögernd zog er Francis' Zettel wieder hervor und las ihn erneut durch, ohne ein Wort zu verstehen. Es war nur ein Satz. Was konnte daran schon so Schlimmes sein? Francis konnte Matthew nicht auf die Distanz manipulieren, nicht, wenn Arthur da war und auf ihn aufpasste. Und wenn er nun schon dabei war, einen Brief zu verschicken...

Behutsam faltete er den Zettel wieder und schob ihn in den selben Umschlag, in dem er den Brief an Alfred verschicken würde. Er wusste nicht, wieso er das tat. Sicher nicht, um Francis einen Gefallen zu tun. Auch nicht für sich selbst, obwohl er sich das gern eingeredet hätte. Aber für wen tat er es dann?
 

„François ist mein großer Bruder und Arthur hat mich entführt“, erklärte Matthew beim Frühstück, ohne Alfred anzusehen. „Aber François wird Arthur besiegen und mich ganz schnell wieder abholen.“

Ich bin dein Bruder“, entgegnete Alfred. „Nicht dieser Francis.“

„Du bist nicht mein Bruder. Ich mag dich nicht.“

„Brüder sucht man sich nicht danach aus, ob man sie mag!“, erwiderte Alfred neunmalklug. „Und überhaupt – Arthur hat gesagt, dieser Francis ist böse, und die Bösen können nicht gewinnen, weil sie die Bösen sind. Und Arthur hat auch gesagt, dass du für immer hier bleibst.“

„Das stimmt aber nicht“, sagte Matthew leise und starrte ihn an.

„Wohl! Wenn Arthur das sagt, stimmt das!“

„Nein!“, quietschte Matthew.

„Doch!“

„Nein!“

„Weißt du, deine Argumente überzeugen mich nicht“, erklärte Alfred und winkte ab. „Arthur sagt, du bleibst für immer hier, also muss es stimmen.“

„Du bist dumm“, sagte Matthew und wischte sich mit dem Ärmel über die Nase. „Du glaubst alles, was Arthur sagt.“

„Und du glaubst wirklich, dass dieser Francis kommt und dich abholt? Bis jetzt ist er jedenfalls nicht hier.“

„Er muss erst gegen Arthur kämpfen und ihn besiegen, dann kann er kommen.“

„Aber wenn sie kämpfen, wird Arthur gewinnen!“, sagte Alfred triumphierend.

„Stimmt gar nicht! François wird gewinnen!“

„Arthur!“

„François, François, François!“, schrie Matthew und hielt sich die Ohren zu.

„Du benimmst dich wie ein kleines Kind“, stellte Alfred fest und seufzte nachsichtig. „Aber Arthur sagt, du hast es schwer und musst dich erst eingewöhnen, also verzeihe ich dir.“

Mit Tränen der Wut in den Augen wandte Matthew sich ab. „Du behandelst mich, als wäre ich blöd“, murmelte er so leise, dass Alfred nichts hörte. Sein Bruder achtete ohnehin nicht mehr auf ihn.

„Oh, schau mal! Wir haben einen Brief bekommen! Hatte ich gar nicht gemerkt... Ob der von Arthur ist?“

Eifrig rannte Alfred zur Tür und hob den versiegelten Umschlag auf, der unter dem Briefschlitz auf der Fußmatte lag. „Er ist von Arthur! Wow! Soll ich ihn dir vorlesen, Mattie?“

„Ich kann selbst lesen“, erwiderte Matthew leise. „Und außerdem will ich gar nicht wissen, was...“

Lieber Alfred“, las Alfred aufgeregt vor. „Das bin ich. Wie geht es dir? Ich hoffe, du fühlst dich nicht allzu einsam ohne mich. Natürlich nicht, ich habe doch Mattie! Zu meiner großen Freude kann ich dir mitteilen, dass ich schon bald wieder zu dir zurückkehren werde. Alle Bedrohungen für dich oder Matthew sind aus der Welt geschafft.“ Langsam ließ Alfred den Brief sinken und machte große Augen. „Wow, hast du das gehört, Mattie? Das klingt ja richtig gut!“

Matthew starrte reglos den Brief in Alfreds Händen an. „Was meint er damit?“, flüsterte er. „Was heißt... aus der Welt geschafft?“

„Ich nehme an, es heißt, dass er alle Feinde besiegt hat“, erklärte Alfred und zog die Schultern hoch. „Deinen Francis und so. Warte, er schreibt weiter... Ich freue mich sehr darauf, euch beide wieder zu sehen. Mit freundlichen Grüßen an dich und Matthew, Arthur.

„Du lügst“, sagte Matthew und schüttelte leicht den Kopf. „Das steht da gar nicht.“

„Klar steht es da!“, erwiderte Alfred aufgebracht. „Nennst du mich einen Lügner? Du kannst es selbst lesen, da!“

Er hielt Matthew den Brief hin. Matthew griff danach, als befände er sich in einem Traum. Die Worte verschwammen vor seinen Augen, doch sie änderten sich nicht. Was Alfred vorgelesen hatte, stand dort wirklich.

Alle Bedrohungen für dich oder Matthew sind aus der Welt geschafft.

„Hey!“, sagte Alfred plötzlich und hob einen kleineren Zettel vom Boden auf. „Da ist noch was aus dem Umschlag gefallen... hmm?“ Er runzelte misstrauisch die Stirn und drehte das Blatt in seinen Händen auf den Kopf. „Was soll das denn heißen? Kannst du das lesen, Mattie?“

Stumm gab Matthew ihm Arthurs Brief zurück und nahm den Zettel entgegen. Seine Hände begannen zu zittern, als er Francis' gestochen scharfe, verschlungene Handschrift erkannte. Er hatte auf Französisch geschrieben und die letzten Buchstaben waren verwischt – eine Unachtsamkeit, die ihm sonst nie passierte. Der Brief war nicht lang, er bestand nur aus einem Satz.

Ich liebe dich, mein Mathieu.

Verwechselt

„Mein Beileid, Francis“, murmelte Antonio und legte ihm einen Arm um die Schultern.

„Ach was!“, sagte Gilbert laut und schlug Francis auf den Rücken, sodass dieser erschrocken nach Luft rang. „Mach dir einfach nichts draus. Der kleine... wie war noch gleich sein Name? Matthias?“

„Matteo“, warf Antonio hilfsbereit ein.

„Mathieu“, korrigierte Francis.

„Ja, wie auch immer. Der Kleine ist weg, ja, aber... hey, du wirst ja wohl einen anderen finden, wenn du willst, oder?“

„Wen denn?“, fragte Francis und lächelte abwesend. „Ich kann nicht noch einmal eine neue Welt entdecken. Die Welt ist restlos aufgeteilt, Gilbert, mon ami.“

„Ach was!“, winkte Gilbert ab. „Schau dir mich und West an! Irgendwo wirst du schon jemanden finden... zur Not klaust du ihn dir! Wie wär's mit Feliciano?“

„Oh ja!“, sagte Antonio fröhlich. „Feliciano ist ein lieber Junge, Francis...“

„Ich weiß“, seufzte Francis und vergrub das Gesicht in den Händen. „Aber ich will meinen Mathieu.“

„Das verstehe ich“, murmelte Antonio mitfühlend und strich über seine Schulter. „Wenn man sich einmal an einen Schützling gewöhnt hat...“

„Hey, Toni! Du hast doch noch einen ganzen Kindergarten mit Blagen in Übersee! Kann Francis sich nicht davon einen aussuchen?“

„Aber sie gehören mir!“, sagte Antonio empört. „Und sie sind nicht ganz pflegeleicht, musst du wissen.“

„Ich will Mathieu“, murmelte Francis.

Gilbert wollte etwas dazu sagen, doch in diesem Moment kam Ludwig auf den Baum zu, unter dem die drei Freunde im Schatten saßen. Sein Gesicht war mit Blut verschmiert.

„Himmel, West!“, rief Gilbert und riss die Augen auf. „Was hast du denn gemacht?“

Ludwig verzog keine Miene. „Romano hat mir auf die Nase geboxt“, antwortete er ruhig.

Gilbert schnalzte missbilligend mit der Zunge, zog ein Taschentuch aus seiner Tasche und winkte seinem kleinen Bruder, näher zu kommen. „Wieso hast du dich nicht gewehrt?“

„Ich prügle mich doch nicht mit Mädchen.“

„Bastard!“, zeterte eine Stimme aus dem Hintergrund und Romano kam auf Ludwig zugerast. „Ich bin kein...“

¡Oye!“ Reflexartig schlang Antonio die Arme um seinen Bauch, als er vorbei rannte, und zog Romano mit einem Schwung auf seinen Schoß. „Aber Romanito! Wieso hast du Ludwig geschlagen?“

„Weil er ein Bastard ist!“

„Romano!“, sagte Antonio enttäuscht und bemühte sich, den heftig zappelnden Jungen zu bändigen. „Wenn du dich nicht benehmen kannst, gehen wir sofort nach Hause!“

„Ist mir sowieso lieber, Bastard!“, keifte Romano ihn an und versetzte ihm einen Kinnhaken. „Bastard!“ Er deutete auf Ludwig. „Kartoffel-Bastard!“

„Aber Romano!“

„Großer Bruder vom Kartoffel-Bastard!“

Romano kam bei Francis an und verstummte unschlüssig.

„Also wirklich, Romano“, entrüstete sich Antonio. „Das ist doch...“

„Frosch-Bastard!“, schlug Gilbert gut gelaunt vor und steckte sein Taschentuch wieder ein. „Sprich mir nach, Kleiner. Frosch-Bastard!“

„Bastard!“, fauchte Romano mit hochrotem Kopf.

„Es ist nicht auszuhalten mit dir, Romanito!“, sagte Antonio kopfschüttelnd. „Ich wollte mich ein wenig mit Francis und Gilbert unterhalten, und stattdessen...“

„Mach dir keine Umstände“, sagte Francis leise. „Es ist schon in Ordnung. Wenn ihr euch lieber mit euren Kleinen beschäftigt...“

„Nein“, sagte Antonio entschieden und schob Romano von sich weg. „Geh wieder spielen, Romanito. Porfa.“

„Bastard!“, rief Romano gehässig und rannte davon.

„Du auch, West“, sagte Gilbert und klopfte Ludwig auf die Schulter.

„Ich will nicht spielen.“

„Dann geh und hau Romano ordentlich zusammen. Würdest du das tun?“

Ludwig zog die Schultern hoch, wandte sich ab und ging.

„Aber Gilbert!“, sagte Antonio und schüttelte den Kopf. „So etwas kannst du ihm doch nicht sagen! Du hast keine Ahnung davon, wie man ein Kind erzieht.“

„Aber du?“, fragte Gilbert und sah Romano grinsend nach. „Sieht aus, als würdest du da ein hübsches blaues Auge bekommen, wo er dich erwischt hat.“

Antonio tastete nach seinem Auge. „Wenn du Ludwig so aggressiv erziehst, wirst du euch beide ins Grab bringen, Gilbert. Denk an meine Worte.“

Gilbert schnaubte und schüttelte den Kopf.

„Also, Francis“, sagte Antonio und wandte sich wieder Francis zu. „Was gedenkst du zu tun?“

„Zu tun?“, fragte Francis und lachte hoffnungslos. „Nichts. Ich habe verloren.“

Kumpelhaft legte Antonio einen Arm um ihn. „Kopf hoch. Vielleicht... vielleicht geht es Mathieu ja gar nicht so schlecht, da, wo er jetzt ist...“

„Bei Arthur?“, fragte Francis. „Das glaubst du doch selbst nicht. Du müsstest doch am Besten wissen, wie er sein kann, wenn er Gefangene gemacht hat.“

Antonio verzog das Gesicht, als er an seine Demütigung dachte, nachdem Arthur seine Armada versenkt hatte. „Bei mir war es etwas ganz anderes“, sagte er dann beruhigend. „Ich war Arthur ein ebenbürtiger Gegner, ich hatte gegen ihn gekämpft und verloren. Mathieu ist doch nichts als ein Kind. Eine Art Geisel.“

„Eine Geisel“, wiederholte Francis und seufzte tief. „Auch das noch.“

„Hey, dem Kleinen wird es schon gut gehen“, mischte Gilbert sich ein.

„Habt ihr ihn je kennen gelernt?“

Gilbert schüttelte den Kopf. Antonio runzelte die Stirn. „Ich glaube, du hast ihn mir einmal kurz vorgestellt. Aber da war er fast noch ein Baby.“

„Er ist so... zart“, murmelte Francis und zeichnete mit dem Finger Linien in die Erde, auf der er saß. „So leise. Er wird nicht... er ist zu schüchtern, um neben jemandem wie Alfred aufzuwachsen.“

„Alfred?“, fragte Gilbert stirnrunzelnd.

„Arthurs Bruder“, sagte Antonio.

„Ach, der. Ich habe besseres zu tun, als mir von jedem Dahergelaufenen den Namen zu merken, wisst ihr?“

„Er ist ein Großmaul“, sagte Francis leise. „Alfred, meine ich. Mathieu wird gegen ihn völlig untergehen. Das kann einfach nicht gut gehen.“

„Dann geh hin!“, sagte Gilbert gelangweilt. „Geh und sah Arthur, dass du wiederhaben willst, was dir gehört.“

„Arthur wird ihn nicht so einfach wieder rausrücken“, gab Antonio zu bedenken und warf Gilbert einen leicht genervten Blick zu.

„Dann hau ihm eins drauf! So einfach ist das!“

„Wenn man dich reden hört, wird einem klar, wieso du ständig in Kriege verwickelt bist.“

„Was willst du denn damit sagen?“

„Hört auf“, sagte Francis müde und legte die Stirn auf die verschränkten Arme. „Bitte.“

Antonio und Gilbert sahen ihn an und verstummten. Nach einer Weile riss Gilbert einen Grashalm ab und kaute darauf herum, während Antonio einen Arm um Francis legte und schweigend über seinen Rücken strich.
 

Die Sonne schien nicht mehr so stark wie beim letzten Mal, als er hier gewesen war. Wie die Zeit verging, dachte Arthur und seufzte. Das Jahr neigte sich schon wieder seinem Ende zu. Einige der Bäume begannen rot und gelb zu werden und Blätter lagen auf dem Weg, über den er ritt. Sein Pferd hatte den Kopf gesenkt und trottete gemächlich vorwärts. Arthur trieb es nicht an. Sie hatten keine Eile.

Das Haus, in dem er Alfred untergebracht hatte, lag zwischen einigen Bäumen auf einer Wiese. Wobei es jetzt nicht mehr Alfreds Haus war, fiel ihm ein, sondern Alfreds und Matthews Haus. An diesen Gedanken würde er sich gewöhnen müssen. Die Frage, was er zu Matthew sagen sollte, machte ihn nervös, doch auf das Wiedersehen mit Alfred freute er sich wirklich.

Nichts regte sich in dem Gebäude, während er näher ritt. Wie seltsam, dachte Arthur und saß ab. Normalerweise herrschte in Alfreds Haus niemals Stille. Mit der Absicht, sich gleich wieder um es zu kümmern, band er sein Pferd an einem Pfosten des Zauns an. Sorge stieg in ihm auf. Natürlich war er schon öfter lange weg gewesen, aber nicht in so unruhigen Zeiten. Ach was, worum machte er sich Sorgen? Alfred hatte schon viel länger ohne ihn auskommen müssen, und diesmal war er nicht einmal allein gewesen. Da war ja noch Matthew.

Entschlossen trat Arthur an die Tür heran und klopfte. Er musste eine Weile warten, bis langsame Schritte im Inneren des Hauses erklangen und die Tür geöffnet wurde.

„Alfred!“, sagte Arthur glücklich und breitete die Arme aus. „Schau mal, wer wieder da ist!“

Der Junge blinzelte ihn an und versteckte sich hinter dem Türrahmen. „Ich bin Mathieu“, sagte er leise.

„Was...?“, begann Arthur und lachte. „Oh, Alfred, lass die Spielchen! Ich war nicht so lange weg, dass ich vergessen könnte, wie du aussiehst. Komm her!“

Erwartungsvoll blieb er stehen. Bisher hatte Alfred ihn noch immer zur Begrüßung umarmt, doch der Junge vor ihm machte keine Anstalten, dasselbe zu tun. Bevor Arthur fragen konnte, was denn los war, erklang ein Aufschrei aus dem Haus und jemand polterte die Treppe herunter.

„Arthur! Du bist wieder da!“

Alfred stürzte an dem anderen Jungen vorbei aus dem Haus und sprang Arthur an, der vor Überraschung das Übergewicht nach hinten bekam und auf dem Rücken landete. Lachend kletterte Alfred auf seinen Bauch und machte es sich dort gemütlich.

„Da bist du ja wieder! Ich habe früher mit dir gerechnet!“

„Ich wurde aufgehalten“, antwortete Arthur verwirrt und spähte an Alfreds strahlendem Gesicht vorbei zu dem Jungen hinüber, der sich noch immer halb hinter dem Türrahmen versteckte. „Was... ist das Matthew?“

„Ist das Matthew?“, äffte Alfred ihn nach und lachte, als habe Arthur einen großartigen Witz gemacht. „Oh, Arthur! Hast du das gehört, Mattie? Als ob Arthur uns verwechselt hätte! Und beide! Uns kann man doch gar nicht verwechseln!“

„Nun, ihr seht euch sehr ähnlich“, sagte Arthur und versuchte, seine Verlegenheit zu überspielen.

„Finde ich nicht. Ich verwechsle uns jedenfalls nie!“

„Ja, dass du das nicht tust, ist mir...“

„Und außerdem hat Mattie viel längere Haare als ich, Arthur! Wie ein Mädchen! Sehe ich etwa wie ein Mädchen aus?“

In Hintergrund zog Matthew sich noch weiter zurück und verschwand im Inneren des Hauses.

„Also gut, seine Haare sind länger“, gab Arthur zu. „Ich werde versuchen, in Zukunft darauf zu achten. Und jetzt geh jetzt bitte von mir runter, Alfred.“

Großzügig kletterte Alfred von seinem Bauch und kam wieder auf die Beine. „Ich bin froh, dass du wieder da bist“, verkündete er.

„Ich frage mich, ob Matthew ebenfalls froh darüber ist.“

„Ach, der!“ Zu Arthurs Bestürzung verzog Alfred abfällig das Gesicht. „Der ist doch überhaupt nie froh. Ich habe keine Ahnung, wieso er es sich so schwer macht. Er hat nie gute Laune.“

„Also seid ihr schlecht miteinander zurecht gekommen?“, fragte Arthur besorgt und stand auf.

„Hey, ich bin großartig mit ihm zurecht gekommen! Aber er hat was gegen mich. Das ist sein Problem, nicht meins.“

Arthur seufzte leise und griff nach seiner Hand. „Komm erst einmal“, sagte er. „Ich werde euch beiden etwas zum Abendessen kochen.“

„Echt? Awesome!
 

Zu seinem Bedauern stellte Arthur fest, dass kaum etwas im Haus war, um ein anständiges Abendessen auf die Beine zu stellen. Er beschloss kurzerhand, zu improvisieren. Während er in einem Topf auf dem Herd rührte, öffnete sich hinter ihm die Küchentür und er sah sich über die Schulter um.

„Oh, Alfred! Da bist du ja wieder. Wo warst du?“

„Ich bin Mathieu“, murmelte Matthew.

Vor Schreck ließ Arthur beinahe den Löffel in den Topf fallen. „Matthew? Oh... ja, natürlich, Matthew. Setz dich doch schon einmal.“

Matthew nickte stumm und kletterte auf einen der Stühle am Tisch.

„Wie geht es dir?“, fragte Arthur und war froh, den Jungen nicht ansehen zu müssen, weil er den Topf im Auge behalten musste. Die Sache war ihm äußerst peinlich.

„Hmm“, machte Matthew, was Arthur nichts sagte.

„Ich hoffe, du hast dich gut mit Alfred vertragen.“

„Hmm.“

„Magst du Eintopf?“

„Nicht sehr“, murmelte Matthew.

„Du wirst ihn trotzdem essen müssen.“ Arthur beschloss, dass das Essen fertig war, und zog den Topf vom Herd. „Alfred! Wo steckst du denn?“

Die Tür ging auf und Alfred kam herein. „Mattie? Da kommen so komische Flusen aus deinem Bär. Hat er vielleicht ein Loch irgendwo?“

„Mein Bär?“, wiederholte Matthew erschrocken und sah ihn mit großen Augen an.

„Ja. Ich habe ihn hochgehoben, und da...“

„Ich will nicht, dass du ihn nimmst!“

„Hey, ich habe ihn nicht genommen! Er war runtergefallen, und da habe ich ihn...“

„Ich habe gesagt, du sollst ihn nicht anfassen!“

„Ruhe!“, sagte Arthur laut und knallte den Topf auf den Tisch. Matthew zuckte zusammen. „Hört auf, euch zu streiten! Jetzt wird gegessen.“

„Aber es ist mein Bär“, flüsterte Matthew.

„Ich wollte ihn dir ja nicht wegnehmen“, erwiderte Alfred überheblich. „Mein Teddy ist sowieso schöner als deiner.“

„Stimmt ja gar nicht!“

„Was habe ich gerade gesagt?“, fragte Arthur streng und klatschte eine Kelle Eintopf auf Alfreds Teller. „Hört sofort auf, euch zu streiten, oder ihr geht ohne Abendessen ins Bett.“

Darauf folgte Stille. Arthur füllte seinen eigenen Teller zuletzt und setzte sich. Sie begannen, zu essen, ohne ein Wort zu wechseln.

„Schmeckt es euch?“, fragte Arthur nach einer Weile.

„Hmmhmm“, machte Alfred mit vollem Mund, ohne aufzusehen. Matthew pickte an einer Kartoffel und sah so unglücklich aus, dass Arthur ihn besorgt ansah.

„Matthew? Wie schmeckt es dir?“

Matthew zog die Schultern hoch. Francis war ein guter Koch, dachte Arthur mit einem Stich von Neid. Wahrscheinlich war seine Küche eine Umstellung für Matthew. Aber daran würde er sich nun einmal gewöhnen müssen.

„Was habt ihr so gemacht, während ich weg war?“

„Nicht viel“, antwortete Alfred undeutlich an einer zerkauten Möhre vorbei. „Mattie wollte ja nie irgendwas machen.“

„Ach nein? Wieso denn nicht?“

Matthew senkte den Kopf so tief wie möglich und sagte nichts dazu.

„Aber manchmal war es lustig“, gab Alfred zu und schob sich eine weitere Portion Essen in den Mund. „Einmal habe ich Mattie meine Holzpferde gezeigt. Und einmal...“ Er lachte auf und ein paar kleine Kartoffelstücke flogen auf den Tisch. „Einmal hat Mattie sich eine Schleife in die Haare gebunden, da sah er aus wie ein Mädchen. Das war lustig!“

„Ich habe nicht ausgesehen wie ein Mädchen!“, widersprach Matthew schrill. Arthur war kurz davor, zu lachen, doch dann fiel ihm Francis ein. Francis und sein Zopf, mit einer Schleife zusammen gebunden.

„Wieso guckst du so, Arthur?“, fragte Alfred.

„Darf ich aufstehen?“, murmelte Matthew.

Überrascht betrachtete Arthur seinen noch vollen Teller. „Bist du denn schon satt?“

Oui.

„Also gut“, sagte Arthur unschlüssig. Ohne ihn noch einmal anzusehen, rutschte Matthew von seinem Stuhl und verschwand aus der Küche.

„Er ist komisch“, sagte Alfred entschieden, sobald er weg war.

„Ach was. Ich habe dir doch schon gesagt, dass du...“

„Ich habe versucht, ihn zu verstehen!“, unterbrach Alfred ihn. „Aber er spricht manchmal so komisch durch die Nase, dass ich ihn gar nicht verstehe, und er zieht sich komisch an und sitzt die ganze Zeit nur mit seinem Bär herum, und er ist komisch!“ Die Worte sprudelten aus ihm heraus, und er schien noch lange nicht am Ende zu sein. Sein Gesicht war vor Aufregung gerötet. „Und er erzählt komische Sachen, dass er zu Francis zurück will, dabei ist Francis doch böse, und er weint oft und will sich nicht trösten lassen, und er passt auf diesen Bären auf, als wären es die Kronjuwelen. Ach, und er macht ins Bett.“

Arthur war völlig überfordert mit so vielen Aussagen auf einmal, doch die letzte ließ ihn aufhorchen. „Er macht was?“

„Er pinkelt ins Bett“, erklärte Alfred und nickte. „Jede Nacht. Fast. Und ich muss das Bett abziehen, weil er es nicht selbst macht!“

Verwirrt sah Arthur ihn an. „Bist du sicher?“

„Sicher bin ich sicher!“ Alfred rümpfte die Nase. „Wie ein Baby.“

„Ich hoffe, du ziehst ihn nicht damit auf.“

Alfred wich seinem Blick aus. „Naja... ein bisschen“, gab er zu.

„Alfred!“, sagte Arthur erschrocken. „Wie kannst du... ich dachte, du wärst ein vernünftiger Junge!“

„Aber er benimmt sich wie ein Baby!“, entgegnete Alfred. „Ich mache schon ewig nicht mehr ins Bett!“

Arthur schluckte. Er war sich sicher, dass auch Matthew längst trocken sein müsste. Vielleicht hatte dieser Dummkopf Francis versäumt, es ihm beizubringen. Aber wahrscheinlicher war Arthurs Meinung nach etwas anderes. Hieß es nicht, dass manche Kinder nach traumatischen Erlebnissen wieder zu Bettnässern wurden?

„Arthur?“, fragte Alfred und legte den Kopf schief. „Ich... ich habe ihn nicht sehr damit aufgezogen. Nur ein bisschen.“

„Du musst ab jetzt freundlicher zu ihm sein“, murmelte Arthur, ohne ihn anzusehen.

„Bin ich doch! Er ist es, der unfreundlich ist!“ Alfred schnaufte wütend. „Ich mag ihn nicht, Arthur. Er mich auch nicht.“

„Ach was“, sagte Arthur entschieden und stand auf. „Das sind Anfangsschwierigkeiten. Ihr werdet euch noch an einander gewöhnen, ganz sicher. Es wird sich legen.“

„Anfangsschwierigkeiten“, wiederholte Alfred düster. „Ein ganz schön langer Anfang.“

„Es wird sich alles regeln“, erwiderte Arthur und versuchte, überzeugt zu klingen. In Wahrheit begann er selbst, daran zu zweifeln, dass Alfred und Matthew sich an einander gewöhnen würden. Aber das mussten sie, dachte er. Sie mussten lernen, miteinander auszukommen.
 

Geschichte #8 – Arthur kann nicht kochen

Arthur ist wieder da. Er hat Abendessen für uns alle gekocht. Die Kartoffeln waren noch viel zu hart und die Möhren zu weich (wie auch immer er das geschafft hat), und Gewürze waren auch nicht dran. Nicht einmal Salz, wette ich. Es hat furchtbar geschmeckt, und ich habe kaum etwas gegessen. Jetzt habe ich Hunger. Wenn ich daran denke, dass ich sowas für den Rest meines Lebens werde essen müssen...

Ich will nach Hause. François soll mich abholen und nach Hause bringen, ganz schnell. Ich halte das hier nicht aus.

Zu allem Überfluss verwechselt Arthur mich ständig mit Alfred, aber wirklich ständig. Obwohl ich viel längere Haare habe als Alfred und wir auch sonst völlig verschieden sind. Wahrscheinlich ist Arthur einfach zu dumm, um uns auseinander zu halten.

Komm und hol mich ab, François. Bitte hol mich nach Hause.

Alfred says: Sheep are awesome!

„Können wir schwimmen gehen, Arthur?“, fragte Alfred und zappelte auf seinem Stuhl hin und her.

„Glaubst du nicht, dafür ist es schon ein bisschen spät im Jahr?“

„Deswegen will ich ja jetzt gehen, bevor es noch kälter wird!“

„Du kannst ja nicht einmal schwimmen.“

„Bringst du es mir bei? Bittebittebitte!“

„Iss zuerst deinen Teller leer, und dann werden wir sehen.“

„Was werden wir sehen? Bringst du es mir nun bei oder nicht, Arty?“

„Wenn du jetzt brav isst, stehen deine Chancen ganz gut.“

Alfred verstummte, was ungewöhnlich für ihn war, und tat, wie ihm geheißen. Offenbar gab er sein Bestes, um brav zu sein, dachte Arthur beeindruckt. Wenn er wirklich wollte, konnte er sogar das. Mit einem Lächeln wandte er sich wieder seinem Essen zu. Alfreds Teller war wie sein eigener schon fast leer, nur Matthew ließ den Kopf hängen und stocherte in seinem Gemüse herum. Er sah traurig aus, dachte Arthur.

„Kannst du schwimmen, Matthew?“, fragte er, erhielt aber keine Antwort.

„Wenn er es schon kann, warum kann ich es dann nicht?“, fragte Alfred empört.

„Ich weiß doch überhaupt nicht, ob er es kann, du Dummkopf! Er hat noch nicht geantwortet!“, erwiderte Arthur und versuchte es erneut. „Matthew?“

„Er kann dich nicht hören“, erklärte Alfred. „Er hat zu viele Haare vor den Ohren.“

„Ach was“, schnaubte Arthur. „Matthew! Träumst du?“

Matthew zuckte zusammen und hob den Kopf. „Pardon?“, fragte er leise.

„Ich habe dich gefragt, ob du schwimmen kannst“, sagte Arthur. „Hört du schlecht?“

„Nein... ich habe nur an etwas anderes gedacht.“

„Seine Haare sind zu lang, daran liegt es!“, plärrte Alfred dazwischen.

„Nun sei still und iss!“, fauchte Arthur, runzelte aber die Stirn und sah Matthew an. „Aber er hat Recht. Ist es nicht lästig, so lange Haare zu haben?“

„Nein“, antwortete Matthew schüchtern. „Es geht.“

„Jungen sollten kurze Haare haben“, sagte Arthur entschieden. „Das wäre praktischer. Du müsstest sie nicht so oft kämmen.“

„Ich will sie aber so lang haben“, flüsterte Matthew.

„Was hast du gesagt?“

Matthew kniff die Lippen zusammen und sagte nichts mehr.

„Darf ich ihm die Haare schneiden?“, fragte Alfred hilfsbereit.

„Auf gar keinen Fall! Du würdest ihn...“

„Ich hole die Schere!“, rief Alfred, rutschte von seinem Stuhl und rannte aus der Küche. Arthur hörte, wie er die Treppe hinauf polterte, und seufzte. „Setz dich hier hin“, sagte er zu Matthew und zog einen Stuhl in die Mitte des Raumes. „Ich werde eine Decke oder so etwas holen, damit die Haare nicht überall hinfallen. Und wenn Alfred kommt, sag ihm, wenn er dir die Haare schneidet, drehe ich ihm den Hals um.“

Matthew senkte den Kopf, trottete zu dem Stuhl hinüber und setzte sich. Er fühlte sich wie ein Schaf, das zur Schlachtbank geführt wird.
 

„Na also“, sagte Arthur und wischte sich über die Stirn. „Das wäre es. Oder siehst du noch irgendetwas überstehen, Alfred?“

Alfred saß am Küchentisch und schmollte. „Du hast es gar nicht so geschnitten, wie ich es wollte.“

„Es sind ja auch Matthews Haare und nicht deine“, erwiderte Arthur kühl und legte die Schere beiseite.

„Ich habe gesagt, du sollst obendrauf einen Streifen lang lassen, dann könnte man sie mit Wachs hochstellen. Wie ein Irokese! Dann hätte ich mit Mattie Cowboy und Indianer spielen können!“

„Eine großartige Idee“, sagte Arthur sarkastisch.

„Oder du hättest sie auf der einen Seite lang lassen können und auf der anderen ganz kurz schneiden, das hätte sicher cool ausgesehen!“

„Vergiss es, Alfred“, sagte Arthur, schüttelte den Kopf und zog die Decke von Matthews Schultern. „So, Matthew. Das ist doch viel praktischer, oder?“

Matthew sah unglücklich zu ihm hinauf und betastete die Haare, die sich in seinem Nacken kräuselten.

„Lass mal sehen!“, sagte Alfred vergnügt, rutschte von seinem Stuhl und kam herüber. „Hey, Mattie! Du hast ja Locken!“

„Tatsächlich“, sagte Arthur und runzelte die Stirn. „Aber so stark sind sie nicht. Bei den langen Haaren sind sie kaum aufgefallen.“

„Darf ich sie anfassen?“, fragte Alfred begeistert und patschte Matthew auf den Kopf. „Du fühlst dich an wie ein Schaf, Mattie!“

„Ich will kein Schaf sein“, sagte Matthew leise.

„Määäh! Arthur, wieso kann ich keine Locken haben? Ich will auch ein Schaf sein!“

„Manchmal bist du auch ein Schafskopf, Alfred“, sagte Arthur trocken und faltete die Decke zusammen. „Hol einen Besen, damit wir die Haare auffegen können.“

„Määäh!“, machte Alfred laut und rannte aus der Küche. Kopfschüttelnd sah Arthur ihm nach und lachte leise. „Was der immer für Ideen hat.“

„Ich will kein Schaf sein“, flüsterte Matthew und seine Unterlippe bebte.

„Oh, Matthew“, sagte Arthur und klopfte ihm auf die Schulter. „Hör doch nicht auf Alfreds dummes Geschwätz. Mir gefallen deine Haare so, wie sie jetzt sind. Vorher sahst du doch aus wie ein Mädchen.“

„Aber...“, begann Matthew hilflos.

„Nichts aber“, erklärte Arthur streng. „Bei Francis mag es üblich sein, dass selbst die Jungen wie Mädchen herausgeputzt und erzogen werden, aber nicht bei mir. Also stell dich nicht so an, Matthew. Deine Haare sind hübsch so, wie sie sind.“

„Ich mag sie nicht“, murmelte Matthew elend und suchte nach den Strähnen, die vor kurzem noch neben seinem Kinn gehangen hatten. „Es ist so... fremd.“

Arthur sah ihn einen Moment lang an, seufzte dann leise und ging vor ihm in die Knie. „Hey, Matthew...“

„Ich heiße Mathieu.“

„Matthew“, beharrte Arthur und sah ihm in die Augen. „Ich verstehe, dass es sich ungewohnt anfühlt. Aber du willst doch nicht, dass man dich für ein Mädchen hält, oder?“

Matthew sah auf seine Füße, die unter ihm baumelten.

„Das hier ist alles neu für dich. Ich weiß, dass ich nicht Francis bin.“ Arthur grinste schief. „Aber du wirst dich daran gewöhnen müssen, Matthew. Ist es nicht schöner, mit deinem Bruder aufzuwachsen als ganz allein?“

„Ich war nicht allein mit François“, sagte Matthew leise.

„Nun... was ich meine, ist doch nur, dass du einfach versuchen solltest, dich wohl zu fühlen. Du bist jetzt hier zu Hause. Und ich...“ Arthur zögerte. „Ich habe dich...“

Er zuckte zusammen, als ihn ein lautes Blöken unterbrach.

„Mä-ä-äh!“, machte Alfred und kam auf allen Vieren herein gekrabbelt. Auf dem Kopf trug er eine Wintermütze aus Wolle. „Ich bin ein Schaf! Mä-ä-äh!“

„Was zum Teufel machst du denn da?!“, schrie Arthur, stürzte hinüber und zog ihn auf die Beine. „Der Boden ist doch noch dreckig!“

„Aber Schafe laufen auf vier Beinen“, erklärte Alfred gewichtig. „Du hast ja gar keine Ahnung, Arthur.“

„Du bist kein Schaf“, knurrte Arthur und ließ ihn los.

„Bin ich wohl! Schau, meine Mütze!“

„Wo hast du den Besen, den du holen solltest?“

„Welchen Besen?“, fragte Alfred unschuldig. Arthur fluchte und wandte sich zur Tür. „Ihr beide bleibt hier! Ich will nicht, dass ihr die Haare durch die ganze Wohnung tragt!“

Er ging hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.

„Er ist wütend“, sagte Matthew leise.

„Ach, er regt sich ständig auf“, winkte Alfred ab. „Darf ich dich nochmal streicheln, Mattie?“

„Lieber nicht...“

„Du fühlst dich wirklich an wie ein Schaf!“, stellte Alfred fest, tätschelte seinen Kopf und lachte. „Määäh! Mä-ä-äh!“

„Lass mich in Ruhe!“, sagte Matthew und schubste ihn vor die Brust. Alfred stolperte einen Schritt rückwärts und setzte sich auf den Hosenboden.

„Hey, was soll das denn?“

„Fass mich nicht an“, murmelte Matthew und stand auf. Seine Knie zitterten leicht.

„Aber es fühlt sich schön an!“, protestierte Alfred. „Ich will auch ein Schaf sein!“

„Ich bin kein Schaf!“, quietschte Matthew, öffnete die Küchentür und rannte.

„Hey, Mattie!“, schrie Alfred ihm hinterher. „Mattie!“

Doch Matthew senkte den Kopf, seinen hässlichen Kopf, mit dem er aussah wie ein Schaf, und rannte. Tränen brannten in seinen Augen. Beinahe wäre er auf der Treppe gestolpert, doch er schaffte es, den ersten Stock zu erreichen, ohne hinzufallen. Die Tür zu dem Zimmer, das er mit Alfred teilte, stand offen. Er schlug sie hinter sich zu und lehnte sich keuchend dagegen. Nichts war zu hören bis auf das hektische Klopfen seines Herzens. Alfred folgte ihm nicht.

Er spürte, wie die Tränen über seine Wangen liefen, und wischte sie mit dem Ärmel beiseite. Langsam schleppte er sich hinüber zu seinem Bett, rollte sich darauf zusammen und starrte an die Wand.
 

Schon bevor Arthur die Küche betrat, sah er die Bescherung. Eine Spur aus abgeschnittenem Haar zog sich von der Tür in Richtung Treppe. Er fluchte laut und stieß die Tür auf.

„Alfred! Was hast du jetzt schon wieder gemacht?“

Die Wollmütze lag unbeachtet auf einem Stuhl. Alfred saß am Tisch, hatte den Kopf in die Hände gestützt und schmollte. „Gar nichts“, sagte er trotzig. „Das war Matthew. Du musst mal mit ihm schimpfen.“

„Matthew?“, fragte Arthur fassungslos und sah Matthews leeren Stuhl an. „Was ist denn passiert?“

„Er hat mich geärgert“, erzählte Alfred. „Ich wollte nur seine Haare anfassen, und da hat er mich einfach weggeschubst und ist weggerannt. Und er hat mich angeschrien.“

„Angeschrien?“, wiederholte Arthur und runzelte ungläubig die Stirn.

„Wirklich! Glaubst du mir etwa nicht?“

„Na ja...“

„Er war gemein zu mir“, sagte Alfred missmutig. „Ich wollte nur seine Haare streicheln.“

Arthur seufzte ungeduldig. „Ist dir nicht aufgefallen, dass er von deinem Vergleich mit dem Schaf nicht begeistert war?“

„Wieso denn nicht? Schafe sind doch awesome!“

„Deiner Meinung nach vielleicht“, sagte Arthur und begann, den Boden zu fegen. „Ich denke, ihr solltet euch bei einander entschuldigen.“

„Ich habe aber nichts gemacht“, sagte Alfred eingeschnappt.

„Du wirst sicher irgendetwas gemacht haben. Wir werden ja sehen, was Matthew dazu zu sagen hat.“

„Glaubst du ihm vielleicht mehr als mir?“

„Nein, aber so wie ich Matthew kenne, ist er alles andere als aggressiv. Das, was du erzählt hast, passt überhaupt nicht zu ihm.“

„Du hast ihn lieber als mich“, schmollte Alfred und ließ den Kopf auf die verschränkten Arme sinken.

Arthur schüttelte den Kopf. „Das ist Unsinn, und das weißt du auch.“

„Also hast du mich lieber?“, fragte Alfred und blinzelte ihn an.

Einen Moment lang schwieg Arthur, dann legte er seufzend den Besen beiseite und setzte sich zu Alfred. „Ich versuche doch nur, gerecht zu sein“, sagte er leise. „Ich will niemanden von euch benachteiligen, verstehst du, Alfred?“

Alfred nickte widerwillig. Arthur lächelte und strich über seine Schulter. „Komm schon. Du sagst doch auch immer, alles müsse gerecht zugehen.“

„Aber du kannst doch gerecht sein und mir trotzdem sagen, wen du lieber hast, oder?“

„Es spielt keine Rolle, wen ich...“

„Aber sagen kannst du es doch.“

„Nun sei nicht so kindisch!“, sagte Arthur streng und stand auf. „Ich habe euch beide lieb. Und jetzt wirst du die Küche fegen, während ich Matthew holen gehe.“

„Wieso muss ich denn...?“

„Matthew wird die Treppe fegen.“

Damit gab Alfred sich zufrieden. Während er mit dem Besen herum balancierte, der um einiges größer war als er selbst, verließ Arthur den Raum und stieg die Treppe hinauf. Er war froh, um eine Antwort auf Alfreds Frage herum gekommen zu sein. Matthew war ein lieber, braver Junge, aber dennoch war Alfred der, den er sich als seinen Bruder gewünscht hatte. Um Alfred hatte er sich kümmern wollen. Matthew hatte er nur übernommen, weil dieser nach seiner Trennung von Francis irgendwo anders unterkommen musste. Und bei Francis hatte er ihn nicht lassen können. Natürlich nicht. Nicht bei Francis.
 

Die Tür zum Zimmer der Jungen war geschlossen. Arthur klopfte kurz und öffnete sie dann.

„Matthew? Ich...“

Er brach ab. Matthew lag auf dem Bett und hatte ihm den Rücken zu gedreht. Vorsichtig schlich Arthur näher und beugte sich über ihn. Er schlief, stellte er fest und lächelte. Gleich darauf verschwand sein Lächeln wieder. Matthews Augen waren gerötet, sein Gesicht war nass. Einige Tränen hingen noch in seinen Wimpern.

„Armer Junge“, flüsterte Arthur und strich über seine ungewohnt kurzen Haare. Nicht nur Matthew würde es schwer fallen, sich daran zu gewöhnen, dachte er. Vielleicht hätte er nachgeben sollen. Vielleicht war diese ganze Aktion mit dem Haare schneiden eine dumme Idee gewesen...

Nein, dachte er entschieden. Matthew hatte die Haare lang getragen, weil Francis sie lang trug. Francis sollte sich bloß keine Hoffnungen machen, er habe noch irgendeinen Einfluss auf den Jungen. Diese Zeit war für immer vorbei.

Arthur zog die Decke über Matthews Schulter und stellte fest, dass er etwas umklammert hielt. Es war ein Buch, dessen Seiten handbeschrieben waren. Auch ein Stift klemmte noch zwischen Matthews Fingern. Arthur zögerte kurz, dann hob er das Buch vorsichtig hoch und schloss es, ohne etwas gelesen zu haben. Zusammen mit dem Stift legte er es neben das Bett, stand auf und warf noch einen letzten Blick auf den Jungen.

„Du wirst dich daran gewöhnen, Matthew“, murmelte er und hoffte, dass er die Wahrheit sagte.
 

„Ist Mattie weggelaufen?“

„Wie kommst du darauf? Natürlich nicht.“

„Wie schade“, sagte Alfred ehrlich.

„Alfred!“

„Wieso hast du ihn dann nicht mitgebracht?“

Arthur nahm ihm den Besen ab. „Er liegt oben und schläft“, erklärte er. „Stör ihn lieber nicht.“

„Er schläft? Es ist doch mitten am Tag! So ein Baby.“

„Alfred! Nun sei doch etwas netter zu ihm. Du solltest ihm doch dabei helfen, sich einzuleben.“

„Was machst du mit dem Besen?“

„Die Treppe fegen.“

Alfred starrte ihn an. „Du hast ihn doch lieber als mich“, stellte er fest und wandte sich ab.

„Du weißt, dass das nicht stimmt“, erwiderte Arthur und seufzte.
 

Geschichte #9 – Der Mann mit den zwei Söhnen

Es war einmal ein Mann, der hatte zwei Söhne. Aber eigentlich hatte er nur einen Sohn, denn den anderen hatte er einem anderen Mann geklaut, den er nicht mochte. Dabei war der andere Mann sehr nett und ich weiß nicht, wieso sie sich nicht mochten. Jedenfalls hatte der Mann seinen eigenen Sohn viel lieber als den geklauten, und deswegen behandelte er ihn besser und war lieber zu ihm. Es war ein furchtbar ungerechter Mann, und der Sohn war ein aufgeblasener Angeber, der immer dachte, er wäre der Größte. Dabei war er sogar ein Stückchen kleiner als der andere Junge.

Jetzt war es aber so, dass die beiden Jungen sich ziemlich ähnlich sahen. Der aufgeblasene Junge hatte nur kürzere Haare als der andere, und trotzdem konnte der Mann sie kaum auseinander halten. Aber nach einer Weile bemerkte er immer an den Haaren, wer wer war. Aber eines Tages fand er, dass der fremde Junge zu lange Haare hätte und schon aussehe wie ein Mädchen, dabei stimmte das überhaupt nicht. Der Junge hatte nämlich sehr schöne lange Haare, ganz weich und rotblond. François hat sie immer schön gefunden. Aber der unfreundliche Mann beschloss, die Haare abzuschneiden. Es war ihm ganz egal, dass der Junge das nicht wollte.

Also musste der Junge sich die Haare schneiden lassen, und als er danach zum ersten Mal in den Spiegel sah, musste er weinen, weil er aussah wie ein Pudel. Weil die Haare lang sein müssen, weil sie sonst lockig überall hin abstehen. Wenn sie länger sind, hängen sie runter. Aber der Mann hatte sie ja unbedingt kurz schneiden wollen, und jetzt sah der Junge ein bisschen aus, als hätte er einen Busch auf dem Kopf.

Aber das Schlimmste war, dass die Haare ja das einzige gewesen waren, an dem der Mann die beiden Jungen hatte unterscheiden können. Jetzt wusste er nie mehr, welcher welcher war. Deswegen passierte es manchmal, dass er nett zu dem Jungen war, den er nicht mochte, weil er glaubte, es sei der andere. Das ärgerte ihn sehr, und nach einer Weile war er immer schlechter Laune und war einfach zu beiden Jungen gleich unfreundlich. Sein Sohn war noch immer unfreundlich zu dem anderen Jungen und ärgerte ihn und nannte ihn ein Schaf.

Eines Tages war der Mann böse, als er nach Hause kam, und er hatte Hunger. Deswegen nahm er einen der Jungen und dachte, es wäre der Fremde, und steckte ihn in den Ofen und aß ihn. Der Junge war aber sein Sohn und er war plötzlich gar nicht mehr so aufgeblasen und angeberisch. Aber das nütze ihm dann auch nichts mehr, denn er wurde gebacken und gegessen. Erst danach merkte der böse Mann, was er getan hatte, und er wurde sehr traurig. Dann wurde er stattdessen böse auf den anderen Jungen, obwohl der ja gar nichts dafür konnte. Er stürzte sich auf ihn und wollte ihn auch essen, aber der Junge entwischte ihm. Der Mann fiel hin und brach sich den Hals. Da war er tot.

Der Junge lief wieder zu dem anderen Mann zurück, der ihn schon vermisst hatte, und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Der blöde Junge und der andere Mann waren tot, was gut war. Und wenn sie nicht gestorben sind, was sie aber nicht sind, dann leben sie noch heute.
 

Die Sonne fiel durch einen Spalt zwischen den Vorhängen direkt in Francis' Gesicht. Er stöhnte und drehte sich auf die andere Seite. Sein Kopf pochte. Vielleicht hatte er gestern zu viel Wein getrunken, dachte er.

„Marie, ma chérie? Würdest du bitte die Vorhänge schließen?“

Das Mädchen neben ihm seufzte leise, setzte sich auf und fuhr sich durch die langen Haare, die in wirren, dichten Strähnen über seinen Rücken hingen. „Ich heiße nicht Marie.“

„Nicht?“, brummte Francis und zog sich ein Kissen über den Kopf. „Stimmt. Das war gestern.“

Das Mädchen stand auf und schloss die Vorhänge. Das Licht, das nun den Raum erhellte, war gedämpft und schwer. Dennoch vergrub Francis weiter den Kopf in dem Kissen.

„Wollen wir bald frühstücken?“, fragte das Mädchen und kroch wieder neben ihm unter die Decke. Francis spürte nackte Füße an seinen Beinen.

„Wieso die Eile, mon amour? Wir haben den ganzen Tag Zeit.“

Sie kicherte. „Willst du sagen, du hast heute nichts anderes vor?“

„Ich habe nie irgendetwas vor“, sagte Francis bitter.

Très bien“, erwiderte das Mädchen verträumt, schlang die Arme um ihn und legte den Kopf an seine Brust. „Wir können den ganzen Tag zusammen verbringen.“

„Ich weiß nicht, Louise.“

„Das ist nicht mein Name.“

„Stimmt“, murmelte Francis. „Das war letzte Woche.“

Das Mädchen seufzte. „Du musst doch glücklich sein. Seine Majestät der König weiß ein luxuriöses Leben zu führen, und du bist ein selbstverständlicher Teil seines Hofes. Dir mangelt es an nichts.“

„Doch“, sagte Francis. „Etwas fehlt mir. Oder besser... jemand.“

„Jemand?“ Das Mädchen zog einen Schmollmund. „Bin ich dir etwa nicht genug?“

„Jemand, der wie ein Sohn für mich war.“

„Du hast einen Sohn?“

„Ich sagte, er war wie ein Sohn. Hör mir doch zu.“

Sie lachte nur, rückte ihren Kopf an seiner Brust zurecht und schloss die Augen. Natürlich hörte sie nicht richtig zu, dachte Francis verbittert. Das tat keine von ihnen. Selbst seine Majestät war eher auf Zerstreuung bedacht als darauf, irgendetwas zu unternehmen.

„Aber ich werde etwas unternehmen“, sagte Francis laut. „Ich gebe Mathieu nicht auf. Ich hole ihn mir zurück.“

„Mathieu?“, murmelte das Mädchen. „War das sein Name?“

„Das ist immer noch sein Name. Angleterre mag ihn anders nennen, aber was interessiert mich seine Meinung? Ich werde es nicht auf mir sitzen lassen, was er mir angetan hat. Niemals.“

„Du bist ein Mann der Tat“, sagte sie mit einem spöttisch-amüsierten Unterton. „Das gefällt mir.“

„Und wie ich das bin, mon amour“, erwiderte Francis, griff nach ihrem Kinn und drückte ihr einen Kuss auf den Mund.

Er wird dich nicht vermissen

„Matthew!“, schrie Alfred durch das ganze Haus. „Wo bist du? Wir wollen spielen!“

Er polterte die Treppe hinauf und hielt vor der Tür zu ihrem Zimmer inne. Noch immer hingen die Buchstaben daran, die er aus Papier geschnitten und aufgeklebt hatte. Hier wohnt Alfred, der Große Held. Arthur hatte ihm erklärt, dass man „Große“ in diesem Zusammenhang klein schreiben musste, doch Alfred hatte das nicht nachvollziehen können. Erstens musste man groß ja wohl groß schreiben, und zweitens war er ein Held. Wenn er ein großes G ausschneiden wollte, tat er das auch.

Die Buchstaben begannen schon, sich vom Holz der Tür zu lösen. Vielleicht sollte er neue basteln, dachte er. Vielleicht wollte Matthew ja auch welche machen. Mit neuem Enthusiasmus öffnete er die Tür, ohne anzuklopfen.

„Hey, Mattie!“

Matthew zuckte heftig zusammen und sah von dem Buch auf, das auf seinem Kopfkissen lag. Er selbst hockte davor, einen Stift in der Hand. Neugierig trat Alfred näher.

„Was machst du denn da?“

Er versuchte, einen Blick auf die Seiten zu erhaschen, doch Matthew schlug ihm das Buch vor der Nase zu. „Was willst du?“, fragte er leise.

„Ich will sehen, was du geschrieben hast“, antwortete Alfred ehrlich und grinste ihn an. „Darf ich?“

„Nein“, flüsterte Matthew und wandte sich ab, das Buch an seine Brust gedrückt.

„Och, Mattie! Ich kann mittlerweile wirklich gut lesen, weißt du?“, versuchte Alfred, ihn zu überreden. „Oder willst du es mir lieber vorlesen?“

„Nein“, murmelte Matthew. „Geh weg.“

„Komm schon! Nur ganz kurz!“, bettelte Alfred und streckte die Hand nach dem Buch aus. Matthew zuckte zurück und drückte es fester an sich. „Geh weg!“, verlangte er noch einmal und seine Stimme wurde schrill. Sie klang ängstlich.

„Was hast du denn, Mattie? Es ist doch nur ein dummes Buch!“

„Es ist nicht dumm. Lass mich in Ruhe.“

„Wenn es nicht dumm ist, lass es mich lesen!“, rief Alfred, warf sich spielerisch auf ihn und schlang die Arme um seinen Bauch. „Haha! HAB ich dich!“

„Lass mich los!“, quietschte Matthew und versuchte panisch, sich zu befreien.

„Wieso willst du es mir nicht zeigen? Hast du was Versautes da drin geschrieben, Mattie? Ich will es doch nur lesen. Komm schon...“

In Matthews Augen stand Panik, doch Alfred bemerkte es nicht. Als Matthew versuchte, nach ihm zu treten, setzte er sich auf seine Beine. Wenn es darum ging, sich zu raufen, war er seinem sanften Bruder definitiv überlegen. Triumphierend versuchte er, das Buch zu fassen zu bekommen, doch Matthew vergrub es unter seinem Bauch.

„Komm schon, Mattie! Ich mache es auch nicht kaputt, versprochen!“ Alfred lachte sorglos. „Vergiss nicht, ich bin ein Held! Mir kannst du es anvertrauen!“

„Lass mich in Ruhe“, schniefte Matthew. „Ich geb es dir nicht. Es ist meins.“

Alfred blinzelte zu ihm hinunter und überlegte. „Also gut, Mattie, du hast es so gewollt! ATTACKE!“

„Was...“, begann Matthew erschrocken und quietschte im nächsten Moment auf. „N-nicht kitzeln, Alfred, das darfst du nicht! Arthur hat gesagt... A-alfred!“

„Du lässt mir keine Wahl!“, verkündete Alfred fröhlich und wühlte mit einer Hand nach dem Buch, während seine andere an Matthews Seite herum krabbelte. Er wusste, wo die kitzligen Stellen seines Bruders lagen, er hatte es oft genug ausprobiert. Vielleicht würde ihm dieses Wissen eines Tages nützen, hatte er damals gedacht – und dieser Fall war nun eingetreten.

„Lass das!“, kreischte Matthew und versuchte, das Buch weiter an sich zu drücken, doch seine Hände zitterten. „I-ich will nicht! Arthur! Arthur!“

„Was ist denn hier los?“, donnerte eine Stimme von der Tür her. Langsam hielt Alfred inne und drehte den Kopf. Arthur stand im Türrahmen und starrte ihn wütend an.

„Oh, Arthur... Mattie und ich habe nur ein wenig gespielt!“, erklärte Alfred.

„Ach ja?“, fragte Arthur und eine Ader an seiner Schläfe pochte. „Es klang nicht, als würde Matthew das Spiel sehr gefallen.“

„Doch, doch! Nicht wahr, Mattie?“

„Er wollte mir mein Buch wegnehmen“, sagte Matthew so leise, dass es kaum zu hören war.

„Was hast du gesagt?“, fragte Arthur.

„Egal, es wird schon nicht so wichtig gewesen sein... oder, Mattie?“

Arthur betrat das Zimmer, griff grob nach Alfreds Kragen und zog ihn von Matthews Rücken weg und auf die Füße.

„Autsch, Arthur! Ich kann allein aufstehen!“

„Was ist hier passiert?“, fragte Arthur, ohne ihm zuzuhören, und beugte sich zu Matthew hinunter. Matthew schniefte leise, als er sich aufsetzte. Tränen standen in seinen Augen. Was für eine Heulsuse, dachte Alfred geringschätzig. Matthew war kein Held wie er.

„Alfred wollte mir mein Buch wegnehmen...“

„Ich wollte es nur lesen!“, unterbrach Alfred ihn.

„Du bist jetzt erst einmal still!“, fauchte Arthur ihn an.

„Aber ich war auch beteiligt! Soll man nicht immer beide Seiten anhören? Es ist nur gerecht, wenn...“

Oh bloody hell, shut the fuck up, Alfred!

Das brachte Alfred tatsächlich zum verstummen. Es war erstaunlich, wie viele Schimpfwörter Arthur in einem Satz unterbringen konnte, wenn er wütend war. Das müsste man auch können, dachte Alfred beeindruckt.

„Also, Matthew“, sagte Arthur leise und strich über seine Schulter. „Was ist passiert?“

Matthew drückte weiter sein Buch an sich und betrachtete den Boden. „Alfred wollte mein Buch lesen“, erklärte er zitternd. „Und weil ich es ihm nicht geben wollte, wollte er es mir wegnehmen. Er hat mich gekitzelt.“

Arthur schloss kurz die Augen und wandte sich Alfred zu. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich nicht mit ihm prügeln.“

„Das nennst du prügeln? Ich habe ihn gekitzelt, Arthur!“

„Es tut nichts zur Sache, was du getan hast! Tatsache ist, dass...“

„Du solltest dich ein bisschen klarer ausdrücken“, sagte Alfred entschieden und verschränkte die Arme vor der Brust. Er sah sich noch immer im Recht.

Arthur seufzte tief und versuchte, sich zu beruhigen. „Entschuldige dich“, sagte er dann.

„Wer? Ich?“

„Natürlich du! Du warst es doch, der Matthew das Buch wegnehmen wollte und nicht umgekehrt!“

„Aber...!“, sagte Alfred wütend.

„Nichts aber! Ich meine es ernst, Alfred!“

Matthew saß reglos da und beobachtete die Vorgänge mit großen Augen.

„Ich bin ein Held!“, rief Alfred wütend. „Ich bin nicht der Böse!“

„Du regst mich auf mit deinem ewigen Heldentum, Alfred!“, fuhr Arthur ihn an. „Du entschuldigst dich sofort!“

Alfred starrte ihn an. Arthurs Gesicht war wütend, er schien es wirklich ernst zu meinen. Eine Hand hatte er noch immer auf Matthews Schulter gelegt, der Alfred unsicher ansah.

„Wusste ich es doch!“, schrie Alfred und spürte, wie Tränen in seine Augen stiegen. „Wusste ich es doch, dass du ihn lieber hast als mich!“

„Alfred!“, rief Arthur ihm nach, doch Alfred hatte sich auf dem Absatz umgedreht und war aus dem Zimmer gerannt. Er sprang die Treppenstufen hinunter, stieß die Tür auf und rannte. Rannte.
 

Alles war besser gewesen, bevor Matthew aufgetaucht war, dachte Alfred verbittert. Vorher war er Arthurs einziger Bruder gewesen, weshalb Arthur keine andere Wahl gehabt hatte, als ihn lieb zu haben. Aber jetzt war da Matthew, sein angeblicher Zwillingsbruder. Als ob so einer Alfreds Bruder sein könnte, noch dazu sein Zwilling! Er war viel zu langweilig und ängstlich und traute sich nichts. Er war kein Held wie Alfred.

Aber Erwachsene mochten langweilige, ängstliche Kinder, dachte Alfred wütend. Sogar Arthur. Er hatte darauf vertraut, dass Arthur ihn als seinen kleinen Bruder lieber mochte, aber selbst er hatte Matthew lieber. Weil er ruhig war und pflegeleicht und niemals etwas anstellte. Es war so unfair. Dabei hatte Arthur gesagt, er wolle gerecht zu ihnen sein – von wegen! Alfred hasste Ungerechtigkeit mehr als alles andere.

Er erreichte einen kleinen Fluss und rannte am Ufer entlang. Das Wasser sprang über die Steine und trieb Blätter den Flusslauf hinunter. Der Boden war uneben und von Felsen übersät. Schon nach kurzer Zeit war Alfred völlig außer Atem vom vielen Ausweichen. Er setzte sich auf einen großen Stein, ließ die Beine baumeln und starrte düster vor sich hin.

Vielleicht sollte er abhauen, dachte er. Dann würde Arthur ja sehen, was er davon hatte. Ja, abhauen müsste man. Immerhin war er kein Baby mehr. So schwierig konnte das doch nicht sein...

Bonjour.“

Er zuckte zusammen und drehte sich um. Hinter ihm stand ein Mann, den er noch nie gesehen hatte.

„Wer sind Sie?“, fragte Alfred.

Der Mann lachte leise und kam etwas näher. „Tut das etwas zur Sache?“

„Arthur sagt, das hier ist unser Land. Hier darf niemand hin, der nicht zu uns gehört.“

„Ich verstehe“, sagte der Mann und sah ihn nachdenklich an. „Du scheinst diesen Arthur ja sehr gern zu haben.“

Alfred runzelte die Stirn. „Nein“, sagte er dann und wandte sich wieder dem Fluss zu. „Ich mag ihn nicht.“

Leise kam der Mann näher und ließ sich in einiger Entfernung auf einem Felsen nieder. „Was hat er dir denn getan?“, fragte er mitfühlend.

„Er ist mein Bruder“, antwortete Alfred verbittert. „Aber jetzt ist da so ein anderer Junge, und jetzt mag er mich nicht mehr. Weil er den anderen lieber mag.“

„Bist du dir sicher?“, fragte der Mann und blinzelte überrascht.

„Natürlich! Es ist so ungerecht.“

Eine Weile lang war nichts zu hören bis auf das Plätschern des Flusses. Dann begann der Mann wieder zu sprechen.

„Wenn du es so ungerecht findest, wieso bleibst du dann bei ihm?“

Alfred hob den Kopf. „Wie?“

„Na, du bist doch schon groß. Du bist doch nicht mehr auf jemanden angewiesen, der auf dich aufpasst. Wenn Arthur jemand anderen lieber hat als dich, wieso verlässt du ihn dann nicht einfach? Er wird dich ja nicht vermissen.“

Langsam ließ Alfred den Kopf sinken. Der letzte Satz hallte in seinen Gedanken wider. Er wird dich ja nicht vermissen.

„Ich weiß nicht“, flüsterte er. „Ich weiß nicht, ob ich gehen kann.“

Der Mann musterte ihn und seufzte mitfühlend. „Es ist eine schwere Entscheidung, mon ami“, gab er zu. „Entscheide klug. Und wenn du in irgendeiner Form Hilfe brauchen solltest...“

„Was für Hilfe?“, fragte Alfred verwirrt.

„Egal welcher Art“, erwiderte der Mann und lächelte. „Du kannst jederzeit auf mich zählen. Ich werde dich unterstützen.“

„Wirklich?“, fragte Alfred mit großen Augen. „Wieso?“

Der Mann lächelte. „Weil du etwas Besonderes bist“, sagte er leise. „Au revoir.“

Dann stand er auf, klopfte Dreck aus seinen Kleidern und ging. Alfred starrte ihm nach und wusste nicht, was er denken sollte.

Er wird dich ja nicht vermissen.
 

Matthew lag längst im Bett, doch Arthur konnte noch nicht schlafen. Das Feuer im Kamin glühte nur noch schwach. Er trat etwas näher, um es zu schüren, richtete sich dann wieder auf und ging zum Fenster, um hinaus zu sehen. Die Dunkelheit war so vollkommen, dass er nichts erkennen konnte.

„Wo bleibst du denn?“, murmelte er und spürte ein schlechtes Gewissen in sich aufsteigen. „Komm nach Hause, Alfred. Ich habe es nicht so gemeint.“

Nichts rührte sich draußen. Arthur seufzte besorgt und wollte sich gerade wieder vor den Kamin setzen, als er von der Hintertür her ein lautes Poltern hörte. Sein Herz schlug schnell, als er hastig in den Flur lief, um nachzusehen.

„Alfred!“

Die kleine Gestalt schloss die Tür hinter sich und drehte sich dann um. Alfred blinzelte, doch bevor er etwas sagen konnte, war Arthur auf ihn zu gestürzt und hatte ihn an sich gedrückt.

„Alfred... wo warst du nur so lange?“

„Hast du mich lieb?“, fragte Alfred.

„W-was?“

„Ob du mich lieb hast“, beharrte Alfred. „Denn sonst hätte ich ja gar nicht zurückkommen müssen.“

„Oh, Alfred!“ Arthur drückte ihn an sich. „Natürlich habe ich dich lieb. Wie konntest du nur so lange wegbleiben? Weißt du, welche Sorgen ich mir gemacht habe?“

„Du hast dir Sorgen gemacht?“, wiederholte Alfred. „Hast du mich vermisst?“

„Natürlich habe ich das! Versprich mir, dass du nie wieder so lange wegbleibst, in Ordnung? Schon gar nicht, wenn es dunkel ist!“

„Okay“, sagte Alfred und grinste. „Indianer-Ehrenwort.“

Arthur ließ ihn los. „Du bist ja völlig verdreckt“, stellte er kritisch fest.

„Ich war am Fluss.“

Oh my God... zieh das aus und geh ins Bett. Baden kannst du morgen noch.“

„Och, Arthur!“, sagte Alfred und zupfte an seinem Ärmel. „Ich bin noch überhaupt nicht müde!“

„Es ist mitten in der Nacht! Du gehst jetzt ins Bett.“

Alfred murrte. „Kriege ich wenigstens noch einen Kakao?“

„Also gut“, sagte Arthur und seufzte. „Geh schon einmal hoch – aber leise, damit du Matthew nicht aufweckst, hörst du? Ich bringe dir gleich deinen Kakao.“

„Juhuu!“, rief Alfred und rannte auf die Treppe zu.

„Ich sagte, sei leise!“

„Ups“, sagte Alfred, grinste Arthur zu und schlich die Treppe hinauf. Arthur schüttelte den Kopf und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
 

Geschichte #10

Heute wollte Alfred mein Buch lesen. Ich hasse ihn. Jetzt sind die ersten Seiten ganz zerknickt, und die oberste ist fast rausgerissen. Zum Glück habe ich auf die erste Seite nichts geschrieben, weil François gesagt hat, dass man das so macht. François durfte meine Geschichten lesen, jedenfalls die ersten. Die, die ich geschrieben habe, solange ich bei ihm war. Die neueren werde ich ihm auch zeigen, irgendwie. Er wird der Erste sein, der sie außer mir lesen darf. Sonst darf sie niemand sehen. Alfred schon gar nicht.

Arthur hat mir angeboten, die oberste Seite wieder einzukleben, aber ich habe ihn nicht gelassen. Er wollte doch nur unauffällig lesen, was ich geschrieben habe. Das lasse ich nicht mit mir machen. So dumm bin ich nicht.

Jetzt liege ich im Bett und schreibe. Die Kerze ist schon fast runtergebrannt. Alfred ist weggelaufen, weil Arthur mit ihm geschimpft hat, weil er mir mein Buch wegnehmen wollte. Vielleicht ist Arthur ja doch ganz in Ordnung.

Ich frage mich, ob Alfred wiederkommt. Es wäre gar nicht schlecht, wenn er weg bleiben würde, denn dann könnte vielleicht-
 

Beinahe hätte Alfred mich erwischt, aber ich konnte die Kerze gerade noch auspusten. Er hat gar nicht so viel Krach wie sonst gemacht, als er die Treppe hoch gestiegen ist. Er hat sich einigermaßen still ins Bett gelegt, und dann ist Arthur gekommen und hat ihm einen Kakao gebracht. Er war überhaupt nicht mehr böse auf Alfred, obwohl er mich geärgert hat und danach weggelaufen ist und sich noch immer nicht bei mir entschuldigt hat, wie Arthur das verlangt hat. Und mir hat Arthur noch nie Kakao ans Bett gebracht. Er hat an Alfreds Bett gesessen und sie haben leise geredet und gelacht, bis Alfred seinen Kakao ausgetrunken hatte. Danach hat Arthur die Tasse genommen und Alfred zugedeckt und ihm eine gute Nacht gewünscht, und Alfred hat ihn umarmt und so zufrieden ausgesehen. So glücklich.

Ich will, dass er tot ist. Ich will ihn schlagen und treten und ich will, dass dieses dumme Grinsen aus seinem Gesicht verschwindet. Ich kann das, ich bin größer als Alfred. Ich will ihn tot sehen.

Natürlich hat Arthur ihn mehr lieb als mich, natürlich. Wie konnte ich je denken, es wäre anders. Wie konnte ich.

Ich will nicht, dass Arthur lieb zu ihm ist. Ich will, dass er mir Kakao bringt und mich zudeckt und mir eine gute Nacht wünscht. Vielleicht wünsche ich mir eher, dass François das tut. Aber die Hauptsache ist, jemand tut es.

We wish you a merry Christmas

„Ich will ein Pferd, Arthur!“, rief Alfred und hüpfte auf und ab.

„Nun halt doch endlich still!“, fauchte Arthur wütend, griff nach seinen Schultern und drückte ihn auf einen Stuhl. „Sonst werde ich ja nie fertig!“

„Ich will ein Pferd!“, verkündete Alfred und baumelte mit den Beinen. Seine Augen glänzten vor Vorfreude. „Kriege ich eins, Arty? Dann kann ich Cowboy spielen! Ich brauche auch ein Lasso, aber einen Hut habe ich schon, und einen Stern auch! Wie ein Sheriff!“

Matthew stand im Hintergrund und drückte seinen Teddy an sich. Den Sheriffsstern, von dem Alfred so stolz redete, hatte er sich selbst aus Papier gebastelt. Er war hässlich, aber Matthew traute sich nicht, es ihm zu sagen. Er streichelte den Teddy und ließ den Blick aus dem Fenster schweifen. Draußen schwebten weiße Flocken durch die Dunkelheit.

„Na endlich“, knurrte Arthur und gab Alfred einen Klaps auf den Hinterkopf. „Und ab mit dir. Wieso wäschst du dir eigentlich nicht selbst die Ohren?“

„Alles klar, Arty! Wenn ich das nächste Mal sehe, dass meine Ohren dreckig sind, wasche ich sie!“

„Du kannst sowieso nicht in deine eigenen Ohren sehen, Dummkopf!“

„Wenn du weißt, dass ich das nicht kann, wieso sagst du dann...“

„Matthew!“, sagte Arthur laut und Matthew zuckte zusammen. Schüchtern ging er hinüber zu dem Stuhl, auf dem Alfred gesessen hatte, und setzte sich. Arthur schien wütend zu sein, und Matthew fühlte sich nie wohl, wenn er wütend war.

„Wieso müssen wir uns eigentlich die Ohren waschen?“, fragte Alfred.

Ihr müsst das gar nicht, weil ich es tue“, erwiderte Arthur, griff nach einem Waschlappen und tauchte ihn in die Waschschüssel.

„Aber warum müssen wir so sauber sein?“

„Weil Santa Claus darauf achtet, natürlich.“

„Hat der nichts Besseres zu tun, als in unsere Ohren zu gucken?“

„Er sieht in alle Ohren von allen Kindern auf der Welt“, erklärte Arthur und fuhr mit dem Lappen durch Matthews Gesicht. Matthew kniff Mund und Augen zu.

„Er hat sonst keine Hobbys, oder?“

„Und er sieht zum Beispiel auch, dass Matthew hier viel braver still hält als du.“

„Kriegt er deswegen mehr Geschenke als ich?“, fragte Alfred besorgt.

„Ja, wahrscheinlich.“

Das gab Alfred eine Weile lang zu denken, aber bald hellte sein Gesicht sich wieder auf. „Naja, egal! Helden bekommen sicher einen Bonus, und ich bin ein Held!“

Arthur verdrehte die Augen und rieb etwas kräftiger an Matthews Nacken herum, als es nötig gewesen wäre. Erschrocken drückte Matthew den Teddy an sich.

„Was wünschst du dir eigentlich, Mattie?“, fragte Alfred gespannt und kam etwas näher. Unschlüssig zog Matthew die Schultern hoch.

„Wie? Du wünschst dir gar nichts?“

Matthew hätte sagen können, dass er sich viele Dinge wünschte – aber das, was er sich am meisten wünschte, würde ohnehin nicht passieren. Dass er zu Francis zurück kam nämlich. Nein, daran durfte er jetzt nicht denken, sonst würde er wieder weinen müssen. Natürlich wünschte er sich noch andere Dinge (einen langen, weichen Schal, am liebsten in Rot, und ein flauschiges Kaninchen und einen großen Haufen Pfannkuchen mit Ahornsirup), aber er wusste nicht, ob Santa Claus überhaupt wusste, wo er jetzt wohnte. Wahrscheinlich würde er die Geschenke in Matthews altes Haus bringen. Dann konnte er sich die Mühe ja gleich sparen.

„Matthew wird sich schon irgendetwas wünschen“, sagte Arthur und wrang den Waschlappen aus. „Und Santa Claus weiß genau, was das ist.“

„Wie wäre es mit einem neuen Bär?“, fragte Alfred und stupste Matthews Teddy in den Bauch. „Der hier ist ja schon ganz schlaff.“

„Ist er das?“, fragte Arthur überrascht. „Hat er vielleicht ein Loch, Matthew?“

Erschrocken schüttelte Matthew den Kopf und drückte den Teddy fest an sich. Er spürte, wie die Kanten des Buches sich durch den Stoff drückten.

„Wir können ihn nähen, wenn er kaputt ist“, erklärte Arthur beruhigend und lächelte.

„Nein“, flüsterte Matthew. „Es ist schon in Ordnung.“

„Also gut.“ Arthur entschied sich offenbar dafür, ihn nicht länger zu bedrängen. Er richtete sich auf und fuhr sich durch die Haare. „Dann ist es jetzt Zeit für euch beide, ins Bett zu gehen.“

„Och, Arty!“, beschwerte sich Alfred. „Können wir nicht noch...“

„Santa Claus wird erst kommen, wenn ihr beide schlaft. Also seid brav und geht jetzt ins Bett.“

Matthew rutschte vom Stuhl, den Bär schützend an seine Brust gedrückt. Er fühlte sich müde und so sauber, dass es ungemütlich war.

„Wird Santa Claus mir viele Geschenke bringen, wenn ich jetzt ins Bett gehe?“, fragte Alfred eifrig.

„Jedenfalls wird er dir nichts als Kohlen bringen, wenn du jetzt nicht ins Bett gehst.“

Alfred legte den Kopf schief und überlegte kurz. „Das Risiko gehe ich nicht ein“, erklärte er dann und lief zur Tür. „Komm, Mattie! Gehen wir!“
 

Geschichte #11 – Weihnachten

Es ist jetzt Heiligabend. Morgen ist Weihnachten. Alfred sagt, Santa Claus wird kommen und ihm Geschenke bringen. Arthur sagt, dass er nichts als Kohlen bringen wird, weil Alfred nicht brav war. Wenn das wirklich passiert, geschieht es Alfred recht. Vielleicht lache ich dann. Nein, wahrscheinlich eher nicht. Es wäre wirklich traurig, nur Kohlen zu bekommen. Ich würde weinen, wenn mir das passieren würde. Aber ich bin braver als Alfred.

Ich wünsche mir nicht viel. Es hat geschneit, was ich sehr schön finde. Das hatte ich mir gewünscht, dass es schneit. Und ich wünsche mir, dass Arthur mal irgendetwas wirklich Gutes kocht. Es wäre gut, wenn es hier wenigstens Ahornsirup gäbe. Dann würde ich über alles, was ich esse, so viel Ahornsirup schütten, dass ich nichts mehr schmecke. Arthur lässt jedes Mal irgendetwas anbrennen. Na gut, nicht ganz jedes Mal. Aber so gut wie François wird er niemals kochen.

François...

Lieber Gott, oder Santa Claus oder wer immer hierfür zuständig ist. Ich wünsche mir, dass ich François wiedersehen darf und dass ich für immer bei ihm bleiben darf. Ich wünsche mir, dass wir beide zusammen sein dürfen, weil ich nur dann glücklich sein kann. Ich glaube, es war eine Sünde, dass ich mir Alfred tot gewünscht habe. Von mir aus soll er auch glücklich sein, und Arthur auch. Ein bisschen. Aber die Hauptsache ist, dass ich François wiedersehe. Sonst wünsche ich mir nichts, gar nichts zu Weihnachten. Nur dieses eine. Ist das zu erfüllen? Nur diesen einen Wunsch.
 

„Mattie?“, zischte Alfred im lauten Flüsterton durch die Dunkelheit. „Schläfst du?“

Matthew hatte sein Buch schon vor einiger Zeit weggelegt und die Augen geschlossen. Er antwortete nicht auf Alfreds Frage, doch das kümmerte Alfred ohnehin nicht.

„Es ist so aufregend, findest du nicht? Wenn wir morgen aufwachen, war Santa Claus da! Aber wir haben alles verschlafen und nichts mitbekommen. Was glaubst du, wieso das so ist? Vielleicht ist Santa Claus sehr schüchtern? Oder sehr bescheiden, was meinst du? Oder vielleicht ist er total hässlich und will deshalb nicht, dass ihn jemand sieht...“ Er verstummte eine Weile lang. „Hey, hoffentlich hat er das gerade nicht gehört. Nein, ich glaube eigentlich nicht, dass er hässlich ist. Sicher nicht. Oder was meinst du?“

„Hmm“, machte Matthew, drehte sich auf die andere Seite und vergrub das Gesicht in seinem Kissen.

„Ich frage mich, ob ich wirklich ein Pferd bekomme. Ich meine, Arthur hat eins, wieso sollte ich keins haben? Ich komme sogar auf sein Pferd drauf, wenn er mich hochhebt. Und wenn ich ein Pferd habe, will ich Cowboy spielen. Du darfst mitspielen, wenn du willst. Du kannst ein Indianer sein, oder ein flüchtiger Verbrecher. Oder ein Schaf.“

Matthew zog sich die Decke über den Kopf.

„Wieso wünschst du dir eigentlich nichts, Mattie? Du hast doch nur diesen uralten Teddy, der ist bestimmt schon... was, zehn Jahre alt oder so? Wieso wünschst du dir keinen neuen? Oder anständige pajamas. Wieso hast du eigentlich nur dieses alte Nachthemd? Ich meine, Arthur trägt auch Nachthemden, aber da sind wenigstens keine Rüschen dran. Und Lilien... sind das Lilien, diese Blumen? Du könntest dir wirklich etwas wünschen, Mattie. Komm, sag schon, irgendetwas muss da doch sein. Wieso sagst du es mir nicht, nur so, jetzt gleich? Was wünschst du dir?“

„Soll ich es dir sagen?“, fragte Matthew schüchtern.

„Na klar! Immer raus mit der Sprache!“

„Ich wünsche mir, dass du jetzt aufhörst zu reden. Ich bin ziemlich müde.“

Ein paar Sekunden lang schwieg Alfred überrascht. „Aber wir können doch jetzt nicht schlafen!“, sagte er dann empört.

„Nicht? Aber Santa Claus...“

„Er kommt nur einmal im Jahr, Mattie! Wir haben nur einmal in einem ganzen Jahr die Chance, ihn zu sehen! Das dürfen wir uns doch nicht entgehen lassen!“

„Aber wir dürfen nicht aufstehen“, murmelte Matthew und fühlte sich plötzlich sehr unwohl im Dunkeln in seinem Bett. „Wir müssen schlafen. Erst morgen früh dürfen wir...“

„Dann wird er schon weg sein, und wir haben ihn wieder nicht gesehen!“, sagte Alfred. „Nein, Mattie. Ich werde jedenfalls sehen, ob ich ihn erwische.“

Ein Rascheln wie von Bettzeug erklang. Matthew blinzelte und erkannte Alfreds Silhouette, die die Decke beiseite schob und sich aufsetzte.

„Ich gehe jetzt. Arthur dürfte mittlerweile auch schlafen.“

„Aber...“, begann Matthew hilflos.

„Du brauchst ja nicht mitzukommen, Mattie“, sagte Alfred und tapste zur Tür. „Ich erzähle dir dann, wie es war. Wenn du dich nicht traust...“

Matthew spürte, wie er zitterte, doch er biss entschlossen die Zähne zusammen. „I-ich traue mich“, erklärte er und schlüpfte ebenfalls aus seinem Bett.

Alfreds breites Grinsen war selbst im Dunkeln zu erkennen. „Gut!“, sagte er und griff nach der Türklinke. „Aber leise. Er darf uns nicht hören.“

„Wer? Santa Claus oder Arthur?“

„Beide nicht“, antwortete Alfred und legte den Finger auf die Lippen. „Und jetzt pssst.“

Langsam öffnete er die Tür und schlich hinaus auf den Flur.

„Wohin willst du denn noch so spät, wenn ich fragen darf?“, fragte Arthur und baute sich vor ihm auf dem Flur auf. Alfred zuckte zusammen und wich wieder zurück. „Himmel, Arthur! Hast du mich erschreckt!“

Arthur runzelte die Stirn. „Habe ich dir nicht gesagt, dass du schlafen sollst, Alfred?“

„Aber ich will doch...!“, begann Alfred, doch Arthur ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Es ist jedes Jahr dasselbe mit dir. Santa Claus kommt erst, wenn du schläfst. Er wird nicht gern beobachtet, verstehst du? Also geh jetzt wieder ab ins Bett.“

Alfred verschränkte die Arme vor der Brust und schob die Unterlippe vor. „Nie darf ich machen, was Spaß macht.“

„Ach, Alfred“, seufzte Arthur, strich über seinen Kopf und lächelte aufmunternd. „Schlaf jetzt. Morgen wird ein wunderbarer Tag.“

„Versprochen?“, fragte Alfred.

„Versprochen.“ Arthur griff nach seiner Schulter und schob ihn sanft in Richtung des Zimmers. „Du gehst auch ins Bett, Matthew“, sagte er, als er ihn in der Tür stehen sah. Matthew zuckte zusammen, doch auch ihm lächelte Arthur zu. „Morgen früh dürft ihr mich wecken, und dann sehen wir nach, was Santa Claus euch gebracht hat. Okay?“

„Okay“, gab Alfred nach und versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken. Er kletterte wieder in sein Bett und Arthur deckte ihn zu. „Gute Nacht“, sagte er und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

„Bäh“, machte Alfred und wischte sein Gesicht sorgfältig ab.

„Gute Nacht, Matthew“, sagte Arthur und drehte sich zu ihm um. Matthew hatte sich bereits fest unter seiner Decke zusammengerollt. Er wusste nicht, ob Arthur ihn sonst ebenfalls zugedeckt hätte.

Vielleicht hätte er es getan, vielleicht nicht. Beide Varianten hätten ihm nicht gefallen. So war es besser.

„Gute Nacht“, murmelte er in sein Kissen und hörte, wie Arthur das Zimmer verließ und leise die Tür schloss.
 

Eine Weile lang hatte Alfred noch im Dunkeln mit ihm geredet. „So ein Mist. Jetzt warten wir, bis Arthur wirklich schläft, und dann versuchen wir es noch einmal. Okay, Mattie? Dieses Jahr muss das klappen! Ich will Santa Claus schon seit Jahren sehen, und nie funktioniert es. Aber wir beide zusammen, wir schaffen das, oder? Wir können ihn sehen! Sobald Arthur schläft, gehen wir wieder.“

Mit der Zeit war seine Stimme leiser und träger geworden, immer wieder von seinem Gähnen unterbrochen. Irgendwann hörte Matthew nur noch sein ruhiges Atmen aus dem anderen Bett. Er drückte seinen Teddy an sich, schloss die Augen und drehte sich auf die andere Seite. Endlich war es still, sodass er schlafen konnte.

Es war dunkel um ihn herum. Bis auf Alfreds Atmen im anderen Bett hörte er nichts. Doch – etwas war da, fiel ihm plötzlich auf. Unten, im Erdgeschoss des Hauses, erklangen leise Geräusche. Als würde jemand sich alle Mühe machen, leise zu sein, es aber nicht ganz schaffen. Vielleicht war es Santa Claus, dachte Matthew und sein Herz schlug etwas schneller. Vielleicht war er schon da, obwohl er noch nicht schlief. Aber vielleicht, fiel ihm ein, hatte Santa Claus nur gewartet, bis Alfred schlief. Womöglich wusste er nicht, dass mittlerweile zwei Jungen in diesem Haus wohnten. Auf seiner Liste stand nur Alfred. Wenn es so war, dachte Matthew, würde er dann gar keine Geschenke bekommen?

Plötzlich kam ihm ein anderer Gedanken. Santa Claus wusste sicher, dass hier nicht Matthews zu Hause war. Vielleicht war er deswegen jetzt gekommen, solange Matthew noch wach war? Vielleicht hatte er dessen größten Wunsch ja doch erhört und war hier, um ihn mitzunehmen... Santa Claus musste doch wissen, wo Francis wohnte, oder? Und dorthin würde er Matthews Geschenke bringen. Denn Matthew wohnte ja eigentlich dort, egal, was Arthur tat.

Vor Aufregung begann er zu zittern. Noch immer erklangen gedämpfte Geräusche von unten. So leise wie möglich schob Matthew seine Decke beiseite und stand auf, den Teddy an sich gedrückt. Seine nackten Füße froren auf dem Boden, doch er war fest entschlossen, keinen Rückzieher zu machen. So leise er konnte schlich er zur Tür und öffnete sie. Die Treppe lag im Dunkeln, doch von unten drang ein leichter Lichtschein herauf.

Die Geräusche wurden lauter, als Matthew die Treppe hinunter stieg und vor der Tür zum Wohnzimmer stehen blieb. Einen Moment lang zögerte er noch. Würde er Santa Claus gleich begegnen? Wie sah er aus? Würde er ihn zu Francis mitnehmen, oder würde er womöglich zornig sein, weil Matthew nicht im Bett lag? Ach was, er würde es verstehen. Er wusste ja, was Matthew sich wünschte. Er würde es verstehen. Und außerdem, dachte Matthew und drückte die Klinke herunter, würde er jetzt Santa Claus treffen und Alfred nicht. Vorsichtig schob er die Tür auf und wagte einen Blick in den Raum.

Die Wände waren mit Tannenzweigen und rot-grünen Girlanden geschmückt, auch auf dem Kaminsims lagen Zweige. Vor dem Kamin hingen zwei große Socken. Und davor kniete Arthur auf dem Boden und war gerade damit beschäftigt, etwas in einem Socken zu verstauen.

Matthew blieb stehen, wo er war, und wagte es nicht, sich zu rühren. Was machte Arthur hier? Wollte er die Geschenke stehlen? Hatte er Santa Claus verscheucht?

Arthur bemerkte nichts. Er klopfte seelenruhig an den Socken herum, damit sie gerade hingen, und rückte zwei längliche Pakete zurecht, die neben dem Kaminvorleger lagen. Danach nickte er, rieb sich müde die Augen und stand auf. Er gähnte, doch das Gähnen blieb ihm im Hals stecken, als er sich umdrehte und Matthew sah.

Sicher würde er wütend sein, dachte Matthew und drückte sich ängstlich gegen den Türrahmen. Immerhin hatte er Arthur dabei erwischt, wie er die Geschenke stehlen wollte... oder was auch immer er getan hatte. Es hatte ausgesehen, als habe er überprüft, ob alles da war. Aber wieso glaubte er, Santa Claus auf die Finger sehen zu müssen?

„Alfred?“, fragte Arthur und runzelte die Stirn. „Was...?“

„Ich bin's“, erwiderte Matthew leise. „Matthew.“

Arthur starrte ihn an und schüttelte den Kopf. „Matthew“, sagte er leise, kam auf ihn zu und versuchte, ihm den Blick in das Zimmer zu versperren. „Was machst du denn hier?“

„Ich wollte Santa Claus treffen“, flüsterte Matthew und drückte den Teddy an sich.

Arthur sah ihn unsicher an und überlegte offenbar fieberhaft, was er tun sollte. „Du... du solltest jetzt wieder ins Bett gehen.“

„War er hier?“, fragte Matthew. „Hast du ihn gesehen?“

„Nein, ich habe ihn nicht gesehen“, sagte Arthur und griff nach Matthews Schultern. „Du muss jetzt wieder schlafen. Es ist noch viel zu früh, um...“

In diesem Moment hörten sie ein Poltern, gefolgt von einem lauten Aufprall. Danach war es wieder still.

What the...?“, fragte Arthur erschrocken, schob sich an Matthew vorbei und stürzte in den Flur. „Um Himmels Willen, Alfred! Was ist passiert?“

Alfred lag am Fuß der Treppe, halb auf der untersten Stufe, halb auf dem Boden. Als Arthur zu ihm lief und ihn aufrichtete, erkannte Matthew eine Schürfwunde an seinem Knie, die leicht blutete.

„Ich bin irgendwie daneben getreten“, erklärte Alfred schläfrig. Seine Augen fielen fast zu, was den Sturz erklärte.

„Du hast um diese Uhrzeit gar nicht auf den Beinen zu sein!“, sagte Arthur streng, aber erleichtert. „Ihr geht jetzt beide wieder ins Bett, aber sofort!“

„Aber ich bin aufgewacht und Matthew war schon weg! Ich lasse doch nicht zu, dass er ganz allein Geschenke kriegt.“

„Es ist noch nicht Morgen“, stellte Arthur klar. „Es ist mitten in der Nacht.“

„Also war Santa Claus noch nicht da?“

„Doch“, sagte Matthew.

„Und ich habe ihn wieder nicht gesehen!“, sagte Alfred enttäuscht. „Wieso hast du mich nicht geweckt, Mattie? Hast du ihn wenigstens gesehen?“

„Ich weiß nicht“, erwiderte Matthew leise. „Ich glaube nicht.“

„Naja, wie auch immer!“, sagte Alfred und sein Gesicht hellte sich auf. „Hat er Geschenke gebracht?“

„Alfred...“, begann Arthur warnend, doch Alfred hatte seine Müdigkeit erstaunlich schnell abgeschüttelt. Er wand sich aus Arthurs Griff und rannte ins Wohnzimmer, wo er staunend stehen blieb und die Socken über dem Kamin betrachtete.

„Wow... schau mal, Mattie! Die sind für uns!“

Ohne noch auf Arthurs Proteste zu achten, stellte er sich auf Zehenspitzen und nahm die beiden Socken ab. „Für dich, Mattie!“, sagte er und drückte Matthew eine davon in die Hand. „Es steht zwar nicht dein Name drauf, aber auf der hier steht meiner, also muss das meine sein und die andere deine... das ist doch logisch, oder, Arty?“

Unsicher sah Matthew von seinem Geschenk zu Arthur. Dieser seufzte tief, kam ebenfalls ins Zimmer und ließ sich schwerfällig auf dem Sofa nieder. „Also gut“, sagte er und schlug die Beine übereinander. „Dann bescheren wir eben schon jetzt. Was kann es schaden?“

„Juhuu!“, rief Alfred. „Merry Christmas!

Bevor Arthur oder Matthew dasselbe sagen konnten, hatte er seinen Socken umgedreht und geschüttelt. Heraus fiel ein zusammengefaltetes Stoffbündel. Alfred stupste es einige Male mit dem Fuß an. „Na so was, schon wieder pajamas!“

„Sei doch etwas vorsichtiger!“, sagte Arthur. „Was, wenn es etwas Zerbrechliches gewesen wäre? Und außerdem heißt es pyjamas.“

„Ach was“, winkte Alfred ab. „Santa Claus schenkt mir jedes Jahr pajamas“, erklärte er Matthew beiläufig. „Oder Pullover oder Unterwäsche. In den Socken sind nie so gute Sachen. Die richtig guten liegen daneben.“

Unsicher betrachtete Matthew seinen eigenen Socken. Er fühlte sich weich an, nicht besonders schwer, aber auch nicht leicht.

„Willst du nicht nachsehen, was es ist?“, fragte Arthur lächelnd und beugte sich ein wenig vor. Matthew senkte den Kopf. Er wusste nicht, ob er überhaupt ein Geschenk bekommen wollte. Nicht, wenn Santa Claus der Auffassung war, dass sein zu Hause jetzt bei Arthur war. Und nach dem, was er zuvor im Wohnzimmer gesehen hatte, wusste er ohnehin nicht mehr, was er glauben sollte. Vielleicht hatte Arthur sich um seine Geschenke gekümmert, um dann zu behaupten, Santa Claus habe sie gebracht?

Trotz seiner Zweifel siegte seine Neugier, nachdem er eine Weile lang an dem Socken herum gedrückt hatte. Er schob die Hand hinein und zog vorsichtig ein Stoffbündel heraus, genau so eines wie das, das Alfred bekommen hatte. Pajamas, wie Alfred prophezeit hatte. Hose und Hemd waren rot, mit einem eingestickten Eisbär auf der Brust.

„Na?“, fragte Arthur und lächelte. Er wirkte aufgeregt, fast nervös. „Gefällt er dir?“

Bevor Matthew antworten konnte, wurde er von einem lauten Jubelschrei unterbrochen. „Arty! Schau mal, schau doch! Ich habe ein Pferd bekommen!“

Alfred hatte eines der länglichen Pakete geöffnet, die neben dem Kamin lagen, und sein Geschenk zum Vorschein gebracht. Es war ein langer Holzstab mit einem Pferdekopf aus Stoff am oberen Ende. Ein Steckenpferd.

„Ich habe ein Pferd!“, rief Alfred und hielt es über seinen Kopf. „Arty, guck doch!“

„Ich habe es gesehen“, sagte Arthur müde, aber glücklich.

„Wow! Mattie, hast du es auch gesehen? Guck mal, Mattie! Ich habe ein Pferd! Ein echtes Pferd!“

Matthew hätte ihm sagen können, dass man ein Steckenpferd nicht als echtes Pferd bezeichnen konnte, doch er schwieg und versuchte, zu lächeln. Alfred strahlte, während er sein Geschenk in Augenschein nahm. Das Pferd hatte einen braunen Kopf und eine schwarze Mähne, die beinahe echt aussah.

„Jetzt kann ich ein echter Cowboy sein, Arthur! Ein ganz echter!“

„Wie schön“, sagte Arthur und gähnte.

„Mattie! Mach du doch auch dein Geschenk auf, komm! Ich will wissen, was drin ist!“

„Ich habe es doch aufgemacht“, erwiderte Matthew schüchtern und hielt ihm den Schlafanzug hin. „Es waren pajamas drin.“

„Es heißt pyjamas“, korrigierte Arthur geduldig.

„Doch nicht das!“, sagte Alfred und winkte ab. „Das andere, Mattie! Das hier drüben!“

Er griff nach Matthews Ärmel und zog ihn quer durch das Zimmer, wobei er sein Steckenpferd unter den Arm geklemmt hatte. Beinahe stach er Matthew mit dem Stab ein Auge aus, doch dieser bemerkte es kaum. Neben dem Kamin lag ein weiteres, längliches Paket, das in ein Tuch gewickelt war.

„Mach es auf!“, sagte Alfred und hüpfte aufgeregt von einem Bein aufs andere. „Komm schon, Mattie, es steht dein Name dran! Willst du nicht wissen, was es ist?“

Langsam ging Matthew in die Knie und betastete das Paket. Er ahnte schon, was darin war, aber dennoch spürte er, wie Vorfreude in ihm aufstieg. Es war schwierig, ungerührt zu bleiben, während Alfred neben ihm auf und ab hüpfte und über beide Ohren grinste.

„Du hast auch eins gekriegt!“, schrie Alfred triumphierend, sobald das Paket geöffnet war. „Schau mal, Arthur, schau! Matthew hat auch ein Steckenpferd bekommen!“

„Wie schön“, murmelte Arthur und gähnte.

Andächtig strich Matthew seinem Pferd über den Kopf. Es war heller als das von Alfred und hatte eine hellbraune Mähne, die leicht gelockt war. Ein kleines bisschen wie seine eigenen Haare, bevor Arthur sie abgeschnitten hatte. Oder wie die von Francis.

„Jetzt können wir zusammen Cowboys sein!“, rief Alfred und schlug ihm auf die Schulter. „Wir können entflohene Verbrecher fangen und so! Du darfst der Verbrecher sein, Arty!“

„Vielen Dank“, sagte Arthur und rieb sich die Augen. „So... wollt ihr jetzt nicht langsam ins Bett gehen? Es ist so spät... eigentlich ist es eher früh...“

„Ich bin noch gar nicht müde!“, verkündete Alfred mit leuchtenden Augen. „Hey, Mattie! Wie nennst du dein Pferd?“

Verwirrt sah Matthew ihn an. „Na ja... wie nennst du deins?“

„Ich nenne meins Blackie! Das ist ein guter Name für ein Pferd, oder?“

„Es ist doch gar nicht schwarz.“

„Nein“, gab Alfred zu und runzelte die Stirn. „Na, dann weiß ich es auch nicht.“

„Meins heißt Maple“, sagte Matthew und lächelte schüchtern.

„Maple?“, wiederholte Alfred und lachte. „Wie lustig! Hey, hast du das gehört, Arty? Matties Pferd heißt Maple! Vielleicht nenne ich meins...“

Er brach ab und betrachtete das Sofa. Überrascht von seinem Schweigen sah Matthew ebenfalls auf. Arthur hatte die Augen geschlossen und war auf dem Sofa zusammen gesunken. Sein Mund stand einen Spalt weit offen.

„Na so etwas!“, flüsterte Alfred und lachte leise. „Da sagt er uns, wir sollen ins Bett gehen, und am Ende schläft er selbst ein! So etwas.“

„Vielleicht sollten wir auch schlafen gehen?“

„Ach was! Ich bin noch überhaupt nicht müde. Du etwa?“

Matthew schüttelte den Kopf und betrachtete Arthur. Er sah sehr ruhig und friedlich aus, wie er da lag. Als könne er kein Wässerchen trüben, wie Francis es vielleicht ausgedrückt hätte. Als er Arthur zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er eine Uniform getragen und ein Gewehr auf Francis und ihn gerichtet. Aber jetzt, als er da lag, in seinem Schlafanzug und barfuß, ließ sich dieses Bild nicht mit dem ersten in Matthews Kopf vereinen. Als wäre das hier ein anderer Arthur als der, der ihn von Francis getrennt hatte. Ein besserer Arthur.

Er wandte sich wieder seinem Steckenpferd zu. Der Kopf aus Stoff lag in seinem Schoß. Vielleicht hatte Santa Claus es gebracht, dachte er. Oder Arthur hatte es hingelegt, als er ihn im Wohnzimmer erwischt hatte. Vielleicht war das hier ein Geschenk von Arthur. Und wenn es so war? Hatte Arthur auch gleich an Matthews Haare denken müssen, als er die Mähne gesehen hatte?

Nachdenklich drehte Matthew sich um und stutzte. Alfred hatte sich neben Arthur auf dem Sofa zusammengerollt und den Kopf an seine Schulter gelehnt. Noch hatte er beide Arme fest um sein Pferd geschlungen, doch seine Augen waren geschlossen und sein Gesicht entspannt. Und da behauptete er, er wäre nicht müde, dachte Matthew. Leise stand er auf und überlegte, was er tun sollte. Wieder in sein Bett zu gehen und dort ganz allein zu liegen, schien ihm nicht das Richtige zu sein. Aber sich dazu legen? Wieso sollte er das tun?

Sein Teddy saß neben seinen neuen pajamas auf dem Boden. Matthew ging hinüber und streichelte dem alten Stofftier über den Kopf. Wenn Francis doch hier wäre, dachte er. Dann könnte der ihm sagen, was er zu tun hatte. Was würde Francis tun?

Plötzlich fröstelte er in seinem Nachthemd. Es war ein seltsames Gefühl, in einem Raum zu stehen, in dem alle anderen Anwesenden schon schliefen. Unsicher hob er seinen Teddy auf, als sein Blick auf eine zusammengefaltete Wolldecke fiel, die in einer hinteren Ecke auf einem kleinen Schrank lag. Matthew zögerte nur noch kurz, bevor er hinüber ging, um sie zu holen. Behutsam breitete er sie über Alfred und Arthur aus, die nicht aufwachten. Nur Alfred schüttelte leicht den Kopf und murmelte etwas, bevor er weiter schlief. Matthew zog die Decke über die beiden, so weit es ging, und trat dann stumm zurück.

Er hatte getan, was er konnte, dachte er. Leise schlich er zu den Kerzen, die auf dem Tisch standen, und blies sie aus. Es wurde so dunkel, dass er den Weg zum Sofa kaum wieder fand. Als er sich an der Kante das Knie stieß, war er erleichtert. Den Teddy sicher unter den Arm geklemmt kletterte er auf das Sofa und rollte sich in einer Ecke zusammen, direkt neben der Armlehne. Er zog einen Zipfel der Decke über sich und drückte den Bär an sich.

„Gute Nacht“, flüsterte er in die Stille. „Und fröhliche Weihnachten.“

Er bekam keine Antwort außer den ruhigen Atemzügen von Arthur und Alfred neben ihm. Er wusste nicht, ob es ihm gefiel, ihnen zuzuhören. Ohne, dass er es bemerkte, fielen seine Augen zu.

Ein Traum und ein Albtraum

Geschichte #12 – immer noch Weihnachten

Der Weihnachtsmorgen hat in diesem Jahr um zwei Uhr Nachts begonnen. Ich habe ein Steckenpferd bekommen, das Maple heißt. Später am Tag habe ich draußen mit Alfred gespielt. Wir waren Cowboys und haben Verbrecher gejagt, aber nicht viele gefangen. Alfred hat mir seinen Hut geliehen, und er steht mir gut. Es war schon längst dunkel, als wir wieder nach Haus gekommen sind. Arthur hatte Essen gemacht. Es war akzeptabel, dafür, dass er es gekocht hatte.

Es wirkt vielleicht, als gäbe es über dieses Weihnachtsfest nicht viel zu sagen, aber das gibt es. Es gibt so viel zu sagen, und ich weiß nicht einmal, ob es gute oder schlechte Dinge sind. Sowohl als auch, würde ich sagen, und manche auch beides. Ich bin gegen drei Uhr eingeschlafen, mitten in der Nacht, auf dem Sofa. Gegen Mittag bin ich in Arthurs Arm aufgewacht. Alfred lag gleich daneben.

Das war noch nicht das Schlimme (oder Gute, was es nun auch ist). Ich habe geträumt, davor. Ich habe geträumt, ich wäre bei François und er würde mich im Arm halten. Ich habe gedacht, Arthur wäre François. Im Schlaf natürlich nur. Ich glaube nicht wirklich, dass Arthur François ist. Ich glaube nicht, dass er jemals so gut sein kann wie François.

Aber wenn ich nun nicht mehr zu François zurück kann, niemals mehr? Ist es dann nicht eigentlich gut, dass Arthur wie er sein kann? Dass Arthur auch so nett sein kann wie er? Sehr böse ist er jedenfalls nicht. Immerhin war er nett zu mir und hat auch fast gar nicht geschimpft, weder mit mir noch mit Alfred, obwohl wir so spät nach Hause gekommen sind. Er sah aus, als habe er sich Sorgen gemacht. Um uns beide. Er hat mich genauso lange umarmt wie Alfred.

Das ist alles sehr rätselhaft. Ich muss darüber nachdenken, sobald ich mehr Zeit habe. Oh, noch etwas, wieso Arthur nicht so ganz böse sein kann:

Ich habe den Verdacht, dass Arthur Santa Claus ist.
 

Sie saßen neben einander auf einem umgestürzten Baumstamm, den sie notdürftig vom Schnee befreit hatten. Die Bäume um sie herum waren kahl und stumm, ihre Äste hingen schwer herunter. Es begann schon, dunkel zu werden, doch der Schnee warf das verbleibende Licht blass und geisterhaft zurück.

„Vielleicht sollten wir langsam nach Hause gehen“, sagte Matthew. Er schwitzte in seinem dicken Mantel, nur seine Füße waren eiskalt. Die Nässe war durch seine Stiefel gedrungen.

„Wieso?“, fragte Alfred überrascht. „Bist du müde?“

„Nein, das nicht. Ich friere nur ein wenig.“

Ohne nachzudenken, rutschte Alfred dichter an ihn heran und schlang die Arme um ihn. „So besser?“

Matthew antwortete nicht und wagte es nicht, sich zu bewegen. Den ganzen Tag hatte er mit Alfred draußen im Schnee verbracht und festgestellt, dass er auch nett sein konnte. Er war ein guter Spielgefährte, mit ihm wurde es nie langweilig. Trotzdem war er sich nicht sicher, ob er von ihm umarmt werden wollte. Brüder hin oder her.

„Alles klar, Mattie?“

„Ja, natürlich. Was soll schon sein?“

„Ich weiß nicht“, erwiderte Alfred leichthin und legte den Kopf auf seine Schulter. „Bei dir weiß man ja nie.“

Noch immer antwortete Matthew nicht. Er betrachtete die Steckenpferde, die neben einander an dem Baumstamm lehnten. Etwas Schnee hing in der langen Mähne seines eigenen.

„Bist du glücklich, Mattie?“

„Was?“, fragte Matthew überrascht.

Alfred grinste und ließ ihn los. „Ich meine ja nur. Arthur sagt immer, ich soll dankbar sein und alles. Ich soll mir mal von Zeit zu Zeit bewusst werden, wie gut ich es habe. Und weißt du... jetzt gerade bin ich glücklich.“

„Wieso?“, fragte Matthew.

„Naja... einfach so!“ Alfred seufzte, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah hinauf in den blassblauen Himmel. „Das war ein großartiger Tag, oder, Mattie? Wir haben Weihnachten gefeiert und Geschenke gekriegt, dann sind wir rausgegangen und haben den ganzen Tag Spaß gehabt, und gleich können wir reingehen und uns aufwärmen und schlafen. Schlafen macht überhaupt nur Spaß, wenn man sich den ganzen Tag lang angestrengt hat, glaubst du nicht?“

Matthew nickte. „Ja“, murmelte er und versuchte ein Lächeln. „Es war ein guter Tag.“

„Eben!“ Alfred grinste ihn breit an. „Und deswegen bin ich glücklich, Mattie. Du nicht auch?“

„Ich weiß nicht. Ich glaube nicht.“

„Nicht?“, wiederholte Alfred mit großen Augen. „Wieso denn nicht?“

Unsicher baumelte Matthew mit den Beinen und zog die Schultern hoch. „Ich weiß nicht“, murmelte er.

„Kannst du nicht glücklich sein? Niemals?“

„Doch. Glaube ich.“

„Was brauchst du denn dann? Was brauchst du noch, um glücklich zu sein, Mattie? Sag es mir!“

„Vielleicht“, flüsterte Matthew und betrachtete seine Stiefel. „Vielleicht brauche ich ein bisschen Glück, um glücklich zu sein.“

Alfred blinzelte und überlegte einen Moment lang, doch dann hellte sein Gesicht sich auf. „Glück? Was ist Glück für dich?“

„Ich bin mir nicht sicher. Ich denke, es kann verschiedene Dinge sein.“

„Also, für mich ist Glück eine schöne Tasse Kakao vor dem Kamin!“, erklärte Alfred eifrig und sprang auf. „Komm, Mattie! Das wird dir doch sicher auch gefallen!“

Matthew stand auf, griff nach seinem Steckenpferd und lächelte Alfred schüchtern an. „Ich weiß nicht, ob das für mich Glück ist.“

„Versuchen kannst du es ja!“, erklärte Alfred überzeugend. „Und wenn das nichts hilft... dann ist das auch nicht schlimm. Dann werde ich weiter versuchen, dein Glück zu finden. Irgendwann werde ich schon drauf kommen, was das ist!“

„Glaubst du?“, fragte Matthew zweifelnd.

„Klar! Ich bin dein Bruder, Mattie, und ich bin ein Held! Ich helfe dir, dein Glück zu finden!“

Unsicher lächelte Matthew ihn an. „Danke“, murmelte er.
 

Angleterre“, sagte Francis leise. Tränen standen in seinen Augen und drohten, über seine Wangen zu laufen. „Bitte tu das nicht.“

„Wieso nicht?“, fragte Arthur und legte den Kopf schief. Francis kauerte vor ihm auf dem Boden und zitterte leicht. Seine Kleider waren an den unmöglichsten Stellen zerrissen und Blut lief träge aus zahllosen Wunden. Arthur wusste, dass er es gewesen war, der Francis so verletzt hatte, aber er konnte sich nicht mehr erinnern, wie er das angestellt hatte.

„Du kannst mir Mathieu nicht wegnehmen.“

Arthur lachte, denn es war lächerlich. Francis war am Boden, während er noch stand. „Ich kann dir alles nehmen, was du hast, Francis. Auch Matthew. Und ich werde dir Matthew nehmen.“

„Das kannst du nicht tun“, brachte Francis hervor. „Er kann ohne mich nicht sein, Angleterre. Wenn du ihn von mir trennst, wird er sterben.“

„So ein Unsinn“, sagte Arthur verächtlich. „Natürlich kann er ohne dich sein. Wieso denn nicht?“

„Glaube mir... wenn du ihn mir wegnimmst, wird er nicht überleben.“

Einen Moment lang dachte Arthur nach. Dann beugte er sich hinunter, bis sein Gesicht nur noch Zentimeter von dem von Francis entfernt war. Er konnte das Blut auf seiner Haut förmlich riechen.

„Dann soll es so sein“, flüsterte er.

Francis' Augen weiteten sich. „Das kann nicht dein Ernst sein, Angleterre! Du kannst Mathieu nicht mitnehmen. Wenn du ihn nicht mir lässt, dann wird niemand von uns ihn haben.“

„Dann soll es so sein“, wiederholte Arthur leise.

Angleterre... du kannst doch nicht...“

„Ich kann und ich werde“, stellte Arthur klar. „Bevor du Matthew hast und ich nicht, soll keiner von uns ihn haben.“

„Aber... das kannst du...“, begann Francis und hustete. Blut lief über sein Kinn. „Das kannst du Mathieu nicht antun, Arthur. Denk doch an den Jungen. Um seinetwillen... du kannst doch nicht...“

„Nun tu nicht so, als läge dir irgendetwas an Matthew“, sagte Arthur verächtlich und richtete sich wieder auf. „Er ist doch nichts als ein Machtobjekt für dich. Uns ist es beiden egal, was mit ihm passiert. Es ist mir egal, ob ich ihn habe oder nicht... wichtig ist nur, dass du ihn nicht hast. Genau das denkst du doch auch, oder?“

Francis antwortete nicht. Er hustete erneut und presste die Hand vor den Mund. Seine breiten Schultern zuckten hilflos, als der Husten ihn schüttelte. Arthur sah ihm dabei zu, ohne eine Miene zu verziehen. Das hier war sein Erzrivale. Er war es gewohnt, ihn am Boden zu sehen. Es war besser, als selbst der Verlierer zu sein.

Und plötzlich kippte das Bild um. Plötzlich war es nicht mehr Francis, der am Boden kauerte und hustete. Es war Matthew, dessen Kleider zerrissen waren und der blutete. Matthew, dessen Haar vom Blut zu einzelnen Strähnen verklebt war und dem Tränen in den Augen standen. Matthew, dessen kraftloser Körper vom Husten geschüttelt wurde.

Arthur rang nach Luft und fiel vor ihm auf die Knie. „Matthew? Was hat das zu bedeuten? Was ist denn los? Matthew!“

Er griff nach den Schultern des Jungen, doch dieser zuckte mit einem gequälten Aufschrei zurück und verlor das Gleichgewicht. Er fiel auf den Rücken, die Beine unter dem Körper verdreht, die Arme um seinen Bauch geschlungen. Noch immer zitterte er so stark, dass Arthur kaum wusste, wie er sich ihm nähern sollte. Er streckte eine Hand aus und strich Matthew beruhigend über die Stirn, doch Matthew kreischte auf und wich erneut aus, als habe die sanfte Berührung ihm Schmerzen zugefügt. Tatsächlich sah Arthur zu seinem Entsetzen, dass eine neue Wunde auf Matthews Stirn aufplatzte und Blut heraus lief.

„Matthew... um Himmels Willen, Matthew! Beruhige dich doch! Was... was ist denn los? Ich will dir nicht wehtun, Matthew, ich will doch nur... halt still! Halt still!“, schrie Arthur und riss die Augen auf.

Um ihn herum war nichts als Dunkelheit. Sein Schlafzimmer war still, kühl und beunruhigend normal. Es gab keine Spur von Blut. Arthur bemerkte, dass sein Herz raste und sein Hals schmerzte, als habe er zu laut geschrien. Vielleicht hatte er ja wirklich geschrien. Es war ein sehr packender Albtraum gewesen. Hoffentlich waren die Jungen nicht aufgewacht.

Die Jungen... Arthur schluckte und schüttelte heftig den Kopf, doch er wurde das Bild von Matthew nicht mehr los, der sich vor ihm auf dem Boden wand. Wenn es nun eine Art Sinnbild gewesen war? Vielleicht hatte er Matthew verletzt. Vielleicht tat er es weiter, jeden Tag, mit jeder Berührung. Selbst wenn er es nicht wollte. Wie sollte er genau wissen, was in dem verschlossenen Jungen vorging?

Zitternd schlug er die Decke beiseite und setzte die Füße auf den Boden. Noch immer hörte er Matthews Schreie in seinem Kopf widerhallen. Er würde nur kurz nachsehen, ob die Jungen gut schliefen. Er würde in ihr Zimmer schleichen, ohne jemanden zu wecken, und sehen, dass Matthew wohlbehalten in seinem Bett lag und schlief. Er würde vorsichtig nach seiner Hand greifen, die lebendig warm war, und hören, wie er atmete. Dann würde er so leise hinaus gehen, wie er gekommen war, und wieder schlafen gehen.

Im Flur war es so dunkel, dass er beinahe an der Tür zum Zimmer der Jungen vorbei lief. Im letzten Moment blieb er stehen, griff nach der Klinke und drückte sie herunter. Lautlos schob er die Tür einen Spalt weit auf und trat ein. Drinnen war es ein wenig heller, weil der Mond durch das Fenster schien.

Alfred lag auf dem Rücken, die Arme zu beiden Seiten hin ausgestreckt. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht. Die Decke war bis zu seiner Brust hinunter gerutscht. Arthur hielt kurz neben seinem Bett inne und deckte ihn sorgfältig zu. Alfred schlief reglos weiter, aber vielleicht wurde sein Lächeln ein wenig breiter. Arthur musste selbst lächeln, doch er wurde gleich wieder ernst.

Matthew hatte sich auf die Seite gedreht und die Decke bis über seinen Kopf gezogen. Nur ein paar lockige Haarsträhnen ragten oben heraus. Er hatte Arthur den Rücken zugewandt und regte sich nicht. Zögernd trat Arthur näher und streckte die Hand nach seiner Schulter aus, hielt aber im letzten Moment inne. Er wollte Matthew nicht wecken.

Vorsichtig ließ er sich auf der Bettkante nieder und versuchte, sich weit genug vorzubeugen, um Matthews Gesicht sehen zu können. Es war hoffnungslos, die Decke versteckte es. Aber wenigstens müsste man doch sehen können, dass er atmete, dachte Arthur und betrachtete Matthews Schulter ganz genau. Sie bewegte sich nicht das kleinste Stück.

„Matthew?“, flüsterte Arthur, und plötzlich packte ihn die blinde Panik. Er griff nach der Decke und zerrte sie beiseite. „Matthew! Was ist denn los?“

Matthew zuckte zusammen und riss die Augen auf. Bevor er etwas sagen konnte, packte Arthur seine Schultern, zog ihn hoch und drückte ihn an sich. „Du lebst“, wisperte er, weniger an Matthew gerichtet als an sich selbst. „Du lebst... du lebst...“

„Was ist denn los?“, erklang Alfreds verschlafene Stimme hinter ihm, doch Arthur achtete nicht darauf. Er drückte Matthew an sich, fuhr mit den Fingern durch seine Haare und spürte, dass er zitterte.

„Arthur?“, fragte Matthew schüchtern. „Was ist denn los?“

Arthur holte tief Luft und lockerte seinen Griff. „Es tut mir Leid“, sagte er noch immer zitternd und lächelte verlegen. „Ich wollte dich nicht wecken, aber...“

Matthew sah ihn fragend an. Arthur seufzte leise und lächelte ihm zu. „Ich hatte da... einen Albtraum. Ich habe geträumt, dir wäre etwas passiert.“

„Was ist denn?“, fragte Alfred aus dem Hintergrund.

„Nichts, Alfred. Schlaf weiter.“

„Irgendwas wird ja wohl sein.“

„Ich sagte, schlaf weiter!“

Noch immer sah Matthew Arthur ratlos an. Das Weiße in seinen Augen schimmerte durch die Dunkelheit. „Mir ist nichts passiert“, murmelte er.

„Doch.“ Arthur biss sich auf die Lippe. „Matthew... dir ist etwas passiert, als... ich... ich weiß nicht, wie ich es sagen soll.“

Matthew blinzelte, doch dann senkte er den Blick. Vielleicht verstand er, dachte Arthur. Das war der Moment, in dem er sich entschuldigen sollte. Aber wofür? Tat es ihm Leid, was er getan hatte? Nein. Es machte ihn traurig, aber er konnte nicht behaupten, es zu bereuen, Matthew zu sich genommen zu haben. Und wenn er es nicht bereute, konnte er auch nicht dafür um Entschuldigung bitten.

„Albträume sind etwas Schlimmes“, sagte Matthew plötzlich. „Ich weiß das.“

Er zögerte noch einen kleinen Moment, bevor er schüchtern den Kopf an Arthurs Schulter lehnte. Es war eine winzige Geste, ein zögerndes Zeichen von... wovon, dachte Arthur? Mitleid? Zuneigung? Vergebung?

Er wusste nicht, was es bedeutete. Er wusste nur, dass es ihn gleichzeitig verzweifelt und glücklich machte.
 

Geschichte #13 - Heute Nacht

Heute Nacht ist etwas Komisches passiert. Ich habe geschlafen, aber dann kam Arthur und hat mich geweckt. Ich habe fast gedacht, etwas Wichtiges wäre passiert, so wie, dass ich zu François zurück darf oder so. Aber François war nicht da. Arthur hat mich in den Arm genommen und wirkte irgendwie besorgt und ganz aufgeregt. Ich weiß auch nicht, was passiert ist, aber ein bisschen komisch ist Arthur ja immer gewesen. Jedenfalls hat er sich Sorgen um mich gemacht, und das wollte ich nicht. Also, doch, eigentlich schon. Er soll sich keine Sorgen um mich machen, deswegen habe ich ihn getröstet und ihm gesagt, dass es mir gut geht. Aber gleichzeitig soll er sich doch Sorgen machen, weil ich das mag, wenn er sich Sorgen macht. Weil das ja heißen muss, dass er mich nicht hasst. Vielleicht sogar, dass er mich mag.

Arthur hat übrigens mich in den Arm genommen und zugedeckt und Alfred nicht. Das hat Alfred nicht gefallen, glaube ich, aber es ist ja nur gerecht. Arthur hat ihn schon viel öfter umarmt als mich. Ganz bestimmt.
 

Auf seinem Bett saß Alfred im Dunkeln und runzelte misstrauisch die Stirn.

„Arthur? Nimmst du mich auch in den Arm?“

Aus seinen Gedanken gerissen ließ Arthur Matthew los und richtete sich auf. „Schlaft jetzt weiter“, sagte er, ohne auf Alfred einzugehen. „Es ist schon so spät. Entschuldigt, dass ich euch aufgeweckt habe. Bis morgen früh.“

Er deckte Matthew zu, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich. Alfred saß noch immer da und wusste nicht, was hier vorging.

„Wieso hat er dich zugedeckt und mich nicht?“, fragte er herausfordernd.

„Ich weiß nicht“, antwortete Matthew leise. „Gute Nacht.“

Missmutig verkroch Alfred sich unter seiner Decke. Da weckte Arthur ihn mitten in der Nacht, und dann deckte er ihn nicht einmal zu. Aber Matthew. Jaja. Braver, langweiliger Matthew.

Aber vielleicht, dachte Alfred, hatte Arthur sie ja einfach verwechselt. Vielleicht hatte er geglaubt, Matthew wäre Alfred. Das dachte er ja manchmal aus unerfindlichen Gründen. Ja, so musste es gewesen sein. Arthur würde Matthew niemals ihm vorziehen. Mit diesem beruhigenden Gedanken schlief Alfred ein.

And sure 'tis quite proper the daughter should pay

Als Arthur den jungen Mann in Hemd, Weste und Reiterhose neben dem Tor zum Anwesen lehnen sah, dachte er von Weitem, er wäre ein Reitlehrer, ein Angestellter oder ein Besucher, den er nicht kennen musste. Erst, als er näher kam, erkannte er das Gesicht und stutzte. Er war zwei Jahre lang fort gewesen und hatte Alfred und Matthew lediglich Briefe geschrieben. Konnte es denn sein, dass die beiden in der Zwischenzeit so schnell groß geworden waren?

„Alfred?“, fragte er ungläubig, rutschte von seinem Pferd und trat auf den jungen Mann zu. „Bist du das?“

„Nein“, erwiderte der andere und senkte den Blick. „Ich bin Matthew.“

„Tatsächlich? Das ist ja unglaublich!“, überspielte Arthur sein schlechtes Gewissen, da er die beiden schon wieder verwechselt hatte. Allerdings hatte er beide ja seit zwei Jahren nicht gesehen, erinnerte er sich selbst. Es war zu entschuldigen, dass er sie verwechselte.

„Wie geht es euch? Ist alles in Ordnung?“

„Wir hatten eine gute Ernte“, berichtete Matthew auf seine leise, zurückhaltende Art. „Wir wollten gerade ausreiten, Alfred und ich. Wir hatten noch nicht so schnell mit dir gerechnet.“

„Der Wind stand sehr günstig. Wir sind ein paar Tage früher als geplant an Land gegangen, und ich bin sofort hierher geritten“, sagte Arthur. Irgendetwas fehlte ihm an ihrer Begrüßung, doch er wusste nicht genau, was es war. „Wo ist Alfred?“

„Er dürfte bald kommen. Er...“

„Arty!“

Die Stimme ließ Arthur den Kopf heben und unwillkürlich lächeln. Der schon fast erwachsene Mann, der über die Wiese auf ihn zukam, war ihm fremd, aber die Begeisterung in seiner Stimme war unverwechselbar Alfred. Und die scheinbar endlose Energie, mit der er auf Arthur zu rannte und kurz vor ihm stehen blieb.

„Du bist wieder da! Endlich! Ich habe mir beinahe gedacht, dass du früher kommst, weißt du? Ich wusste es ja!“

Er schlang die Arme um Arthurs Hals – tatsächlich um den Hals, nicht mehr um die Beine oder den Bauch – und drückte ihn fest. Vielleicht war es das gewesen, was er an der Begrüßung mit Matthew vermisst hatte, dachte Arthur und drückte Alfred ebenfalls an sich. Noch war sein kleiner Bruder ein Stück kleiner als er, wie es sich gehörte, aber der Unterschied war längst nicht mehr so klar wie früher.

„Ihr seid unglaublich groß geworden.“

„Ja, nicht?“ Alfred grinste ihn breit an. „Komm rein, Arthur, komm rein! Wir wollten gerade ausreiten, aber das können wir später noch machen, nicht wahr, Mattie? Komm erst einmal! Hast du Hunger? Bist du müde? Wie war die Reise?“

„Ich bin nicht müde“, antwortete Arthur, während Alfred ihn am Arm hinter sich her zog. Er warf einen letzten Blick über die Schulter zurück, um zu sehen, dass Matthew nach den Zügeln von Arthurs Pferd gegriffen hatte, das noch immer auf dem Weg stand. Er drehte die ledernen Zügel in seinen Fingern und sah Alfred und ihm stumm nach. Sein Blick war nicht zu deuten.

Alfred zog Arthur die hölzerne Treppe der Veranda hinauf und durch die Tür. „Hast du Hunger?“, fragte er noch einmal.

„Nein, nicht sehr.“

„Ich mache dir trotzdem was! Du musst doch eine anstrengende Reise hinter dir haben, oder? Komm, setz dich!“

Er zog einen Stuhl vom Esstisch weg und Arthur setzte sich zögernd. „Danke, Alfred, aber ich bin wirklich nicht hungrig.“

„Nicht? Also gut“, gab Alfred nach, ließ sich ihm gegenüber auf einen Stuhl fallen und stützte das Kinn in die Hände. Seine Augen leuchteten wie eh und je, aber trotzdem hatte sich irgendetwas an ihm verändert, dachte Arthur. Der Gedanke machte ihm Angst. Er wollte nicht, dass Alfred sich veränderte. Sicher lag es nur daran, dass er älter geworden war, versuchte er sich einzureden.

„Dann erzähl!“, verlangte Alfred. „Wie war die Reise? Und warum bist du überhaupt hier? Du hast in deinem Brief nur ein paar komische Andeutungen dazu gemacht.“

„Warum ich hier bin, erkläre ich besser, wenn Matthew auch da ist“, sagte Arthur und streckte die Beine unter dem Tisch aus. Plötzlich war er doch müde, angesichts von Alfreds unerschöpflicher Energie. „Euch beiden geht es gut?“

„Jep! Das Wetter ist gut, die Ernte ist bisher ganz in Ordnung und wird sicher noch großartig! Wir können nicht klagen, denke ich.“

Arthur nickte leicht. „Wie verstehst du dich mit Matthew?“

„Ach“, sagte Alfred und zuckte die Achseln.

„Was, ach?“

„Es geht. Er ist ganz in Ordnung. An manchen Tagen ist es wirklich lustig mit ihm, da machen wir irgendetwas zusammen... wie heute. Und an schlechteren Tagen... naja, da geht er mir aus dem Weg. Wir kommen eben irgendwie miteinander aus.“

Arthur runzelte leicht die Stirn. „Wie geht es Matthew?“

„Was weiß ich? Ganz gut, denke ich.“ Alfred lachte auf. „Wenn du wissen willst, wie es ihm geht, frag ihn und nicht mich!“

„Und wie geht es dir?“

„Ausgezeichnet“, sagte Alfred munter. „Ich bin gut klargekommen ohne dich. Ich bin jetzt schon mehr als ein großer Junge, Arthur, ich bin fast erwachsen. Bald kann ich mich ganz allein versorgen!“

Arthur fragte sich, ob Alfred ihm ansah, wie wenig ihm dieser Gedanke und seine Folgen gefielen. Bevor er noch etwas dazu sagen konnte, öffnete sich die Tür und Matthew kam herein.

„Da bist du ja, Mattie!“, rief Alfred und rückte einen weiteren Stuhl vom Tisch weg. „Komm und setz dich! Arthur will uns irgendetwas sagen.“

Matthew setzte sich und sah Arthur an. „Was denn?“, fragte er.

Arthurs Blick wanderte zwischen den beiden hin und her. Plötzlich fühlte er sich äußerst unwohl. Er hatte erwartet, hierher zu kommen und zwei kleine Jungen zu treffen. Stattdessen sah er sich zwei Teenagern gegenüber, beinahe schon Erwachsenen, die ihm jeder für sich genommen sicher noch unterlegen waren, aber gemeinsam... Beinahe hätte er über sich selbst den Kopf geschüttelt. Selbst wenn sie beide fast so groß waren wie er, selbst wenn sie jetzt nebeneinander saßen wie ein Herz und eine Seele und einander wie aus dem Gesicht geschnitten waren – das bedeutete weder, dass sie sich gegen ihn verbünden würden, noch, dass sie jeder für sich überhaupt irgendetwas gegen ihn unternehmen würden. Wieso denn auch? Er war der große Bruder. Er hatte nichts als eine Nachricht zu überbringen.

„Es geht um die Steuern“, sagte er.

Alfred zog die Augenbrauen hoch. „Welche Steuern?“

„Zuerst einmal um die für den Zucker“, sagte Arthur und zwang sich, ihn anzusehen.

„Zuerst einmal“, wiederholte Alfred gedehnt und lachte. „Das klingt, als hättest du noch viel vor.“

„Es ist nicht so, dass ihr mich nichts kosten würdet“, sagte Arthur scharf. „Ihr beide verursacht bei mir Ausgaben, und die könnt ihr selbst decken.“

„Eigentlich denke ich, dass Mattie und ich jetzt schon genug zahlen...“

„Du kennst die Zahlen nicht, Alfred. Es liegt nicht in deinem Ermessen, was...“

„...aber grundsätzlich bin ich einverstanden“, fuhr Alfred einfach fort, verschränkte die Arme und grinste Arthur an. „Selbstverständlich bezahlen wir dir Steuern, Arthur. Unter Brüdern.“

Verwirrt sah Arthur ihn an. „Ach... ja. Selbstverständlich.“

„Allerdings“, fuhr Alfred fort, „habe ich in letzter Zeit ein wenig nachgedacht. Es gibt da ein paar Dinge, die mir nicht mehr gefallen – jetzt, da ich fast erwachsen bin, meine ich.“

„Du wirst immer mein kleiner Bruder bleiben, egal, wie alt du wirst.“

„Natürlich, Arty“, winkte Alfred ab. „Natürlich werde ich das. Aber ich denke mir nur, wenn ich dein Bruder bin, Steuern an dich bezahle und auch sonst jederzeit auf deiner Seite stehe, egal, was kommt...“

„Was?“, fragte Arthur ein wenig zu scharf. „Was ist der Haken an der Sache?“

„Kein Haken, Arthur! Nun reg dich doch nicht gleich so auf. Ich dachte nur, ich hätte gern ein wenig mehr Recht auf Mitbestimmung. Verstehst du? Immerhin geht es mich auch an, was deine Regierung so alles tut.“

Arthur legte die Stirn in Falten. „Ich tue das, was am Besten für dich ist. Ich frage dich meistens um dein Einverständnis, bevor ich etwas für dich entscheide.“

„Und falls du dieses Einverständnis einmal nicht bekommen solltest, würdest du einfach über meinen Kopf hinweg entscheiden.“

„Das ist eine gemeine Unterstellung!“, fauchte Arthur.

Alfred zog die Augenbrauen hoch. „Und?“, fragte er. „Stimmt sie denn?“

„Halt sofort den Mund!“, schrie Arthur und stand auf. Sein Herz raste und er hatte das schreckliche Gefühl, ihm würde die Kontrolle entgleiten.

„Schrei mich nicht an“, erwiderte Alfred unschuldig. „Ich habe doch nur gesagt...“

„Und ich habe gesagt, dass du den Mund halten sollst!“, rief Arthur. „Du zahlst mir Steuern, Alfred, du tust, was ich sage! Ich weiß, was das Beste für dich ist, und genau so entscheide ich auch! Du bist zu jung, du verstehst nichts von der Welt!“

„Ich bin kein kleiner Junge mehr, Arty! Und ich...“

„Du wirst tun, was ich dir sage, und sonst nichts! Hast du das verstanden?“

Alfred sah ihn an und sagte nichts. Neben ihm saß Matthew, der den Wortwechsel mit großen Augen verfolgt hatte. Sein Blick wanderte zwischen Arthur und Alfred hin und her, doch er sagte kein Wort. Arthur fragte sich, auf wessen Seite er sich stellen würde, falls... Moment. Seit wann standen Alfred und er auf entgegengesetzten Seiten? Er wollte Alfred nicht als seinen Gegner sehen, dachte er. Er wollte, dass er der brave, kleine Bruder blieb, den er einmal gehabt hatte.

„Du wirst tun, was ich sage, und keine Bedingungen stellen“, sagte er und bemerkte, dass seine Stimme zitterte. „Alles andere würde dir schnell Leid tun, Alfred. Glaub mir.“

Damit drehte er sich um, verließ die Küche und stieg die Treppe hinauf zu seinem Schlafzimmer. Immerhin hatte er ein eigenes. Dieses Haus gehörte noch immer ihm, und solange Alfred hier wohnte, hatte er sich zu fügen. So einfach war das.
 

Alfred betrachtete die geschlossene Tür, nachdem Arthur gegangen war, und pfiff leise durch die Zähne. „Mensch. Dass er sich so aufregen würde...“

„Er schien nervös zu sein“, sagte Matthew.

„Wirklich? Mir kam er wie immer vor.“

„Er ist hergekommen, um uns selbst die Nachricht von den Steuererhöhungen zu bringen. Das hätte er genauso gut in einem Brief schreiben können. Die Sache muss ihm sehr am Herzen liegen.“

Alfred schnaubte. „Irgendwie ist er geldgieriger geworden, oder? Er hatte zu viele Ausgaben in letzter Zeit.“

„Wenn er in Geldnöten ist, ist es nur logisch, dass er unsere Steuern erhöht.“

„Logisch, ja. Aber ist es deswegen gerecht?“

Matthew zuckte die Achseln und betrachtete seine Hände auf dem Tisch.

„Ich meine, ich habe doch Recht mit dem, was ich gesagt habe!“, fuhr Alfred fort, stand auf und sah aus dem Küchenfenster. „Er kann nicht verlangen, dass wir immer zahlen und zahlen und ihn über uns bestimmen lassen. Wenigstens ein bisschen Recht auf Selbstbestimmung werden wir ja wohl haben.“

„Wir haben ihm viel zu verdanken. Es wäre nicht richtig, ihm nichts mehr zu zahlen.“

„Er ist selbst Schuld, wenn er Schulden macht.“

„Er sagt, er braucht das Geld für uns.“

„Für uns!“ Alfred schnaubte. „Ja, unter anderem. Natürlich auch, um die Löcher zu stopfen, die er noch in seinen Kassen hat, weil er ständig mal hier und da einen Krieg führt.“

„Das ist doch Unsinn“, murmelte Matthew und schüttelte leicht den Kopf. „Als ob er uns ausbeuten würde, um Kriege zu finanzieren. Du übertreibst, Alfred. Welcher war denn der letzte Krieg, den Arthur geführt hat?“

Langsam drehte Alfred sich zu ihm um und runzelte die Stirn. „Das müsstest du doch am besten wissen, Mattie“, sagte er. „Welcher war der letzte Krieg, den er geführt hat?“

„Was...“, begann Matthew und verstummte dann. Seine Augen wurden groß.

„Natürlich der gegen diesen Francis. Die Gelder, die dieser Krieg verschlungen hat, kommen nicht einfach so wieder zurück, obwohl Arthur sogar gewonnen hat.“

„Das meinst du nicht ernst“, flüsterte Matthew. „Du meinst doch nicht, dass wir...“

„Dass wir den Krieg gegen deinen Francis finanzieren? Genau das.“ Alfred schüttelte den Kopf. „Ich habe keine Lust mehr, Mattie. Alles wird teurer, weil auf alles immer mehr Steuern erhoben werden. Bald kann ich mir meine Zeitung nicht mehr leisten, weil die Steuern für Papier steigen... und wenn ich sie mir leisten kann, lese ich doch wieder nur, was Arthurs Parlament schon wieder beschlossen hat, ohne mich zu fragen!“

„Das ist doch Unsinn!“, sagte Matthew etwas schrill. „Es kann nicht stimmen, dass wir nur Arthurs Kriege finanzieren! Er will doch nur unser Bestes, Alfred!“

„Unser Bestes, nämlich unser Geld“, sagte Alfred und grinste. „Genau das will er. Sieh es ein, Mattie. Er ist unser großer Bruder, aber er nutzt uns aus.“

„Wie kannst du so über ihn reden?“, schrie Matthew ihn an. „Hast du eine Ahnung, wie wichtig du ihm bist? Er liebt dich! Weißt du eigentlich, was für ein Geschenk es ist, jemanden zu haben, der dich so liebt wie Arthur es tut? Und du weißt es überhaupt nicht zu schätzen! Du brichst ihm das Herz, wenn du dich jetzt gegen ihn stellst!“

„Wer hat denn behauptet, ich würde mich gegen ihn stellen?“, fragte Alfred und runzelte die Stirn. „Komm mal wieder runter, Mattie. Ich habe doch nur um ein wenig Mitbestimmung gebeten. Wenn Arthur mich wirklich liebt, ist das nicht zu viel verlangt, oder?“

Matthew atmete schwer. „Du verstehst nicht, worum es geht“, flüsterte er.

„Nein, Mattie. Du verstehst nicht, worum es geht. Wir bezahlen den Krieg gegen deinen Francis, gibt dir das überhaupt nicht zu denken? Ich dachte, er wäre...“

„Halt den Mund!“, schrie Matthew. „Hör auf, solche Dinge zu erzählen! Hör gefälligst auf, mich... mich...“

„Dir die Wahrheit zu sagen?“, fragte Alfred trocken.

„Hör auf, mich zu verwirren!“, rief Matthew, fuhr herum und rannte hinaus.
 

Arthur saß an seinem Schreibtisch und sah durch das Fenster hinaus in die Dunkelheit. Die heutige Entwicklung machte ihm Angst. Er hatte sich darauf gefreut, seinen lieben kleinen Bruder Alfred wiederzusehen, ein wenig verrückt, aber im Großen und Ganzen ein liebes Kind – und nun kam es ihm vor, als sei sein lieber Alfred verschwunden und durch einen unbeugsamen Wildfang ersetzt worden, mit dem er nicht länger umgehen konnte.

Matthew hatte sich zu nichts von dem geäußert, das Alfred gesagt hatte, fiel ihm plötzlich ein. Was sagte Matthew zu der ganzen Sache? Er hatte sich immer gewünscht, die Brüder würden zusammenhalten, aber jetzt... wenn Alfred auch Matthew mit seinen fixen Ideen ansteckte, wie sollte Arthur es dann noch schaffen, sie beide im Zaum zu halten?

Ein Klopfen an der Tür schreckte ihn auf. „Ja?“, fragte er und drehte sich auf seinem Stuhl herum. „Herein.“

Die Tür öffnete sich und jemand trat ein.

„Alfred?“, fragte Arthur und spürte aus irgendeinem Grund Angst in sich aufsteigen. Was wollte er? Ging es wieder um die lächerliche Idee mit der Mitbestimmung? Was für eine dumme Idee eines dummen Jungen, der sich für einen Erwachsenen hielt, obwohl er nicht mehr als ein Kind war...

„Ich bin Matthew“, korrigierte Matthew leise.

„Oh. Du... oh.“

Matthew nickte nur und schloss die Tür hinter sich. „Ich habe eine Bitte, Arthur“, sagte er zögernd und sah ihn an. „Ich hoffe, sie ist nicht... nicht zu viel verlangt.“

„Was für eine Bitte?“, fragte Arthur und seine Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten. Wollte Matthew jetzt auch noch mit Alfreds Spinnereien anfangen?

„Nun... ich habe mir überlegt, dass ich mittlerweile groß genug bin, um auf mich selbst aufzupassen. Und deswegen dachte ich, ich könnte...“

„Was?“, fragte Arthur, der kaum noch still sitzen konnte. Matthew sah ihn an.

„Ich dachte, ich könnte vielleicht wegziehen. Ein Stück weiter in den Norden vielleicht, das würde mir gefallen. In ein anderes Haus ziehen... ohne Alfred.“

Die letzten Worte hatte er mit noch mehr Zögern ausgesprochen als die davor. Einen Moment lang saß Arthur nur da und versuchte, diese Entwicklung zu verarbeiten. Dann zog ein Lächeln über sein Gesicht und er stand auf.

„Du willst wegziehen?“

„Ich komme mit Alfred aus“, sagte Matthew, und es kam Arthur kurz so vor, als lüge er. „Aber ich dachte trotzdem, wir könnten beide versuchen, für uns selbst zu leben. Jeder in seinem eigenen Haus.“

„Das halte ich für keine schlechte Idee“, sagte Arthur, trat auf Matthew zu und griff nach seinen Schultern. Er fühlte sich ungemein erleichtert, obwohl er sich nicht eingestehen wollte, wieso. „Ich werde mich nach einem hübschen Haus für dich umsehen. Wie findest du das?“

Matthew lächelte ihn schüchtern an. „Ich wäre dir sehr dankbar dafür, Arthur. Danke.“

„Kein Problem. Vielleicht hast du Recht, ihr seid keine kleinen Jungen mehr. Alfred wird auch nichts dagegen haben, sich ab sofort allein um das Haus zu kümmern.“

„Arthur?“

„Ja?“

Kurz kam es Arthur so vor, als habe Matthew etwas anderes sagen oder fragen wollen, doch der Moment ging vorüber.

„Was glaubst du, wie lange es dauern wird, bis du ein Haus gefunden hast?“

„Hast du es so eilig mit dem Ausziehen?“

Matthew errötete leicht. „Ich habe mich nur gefragt, ob es vor dem Winter noch klappt. Im Winter könnte es ein wenig schwierig werden, je nachdem, wie weit im Norden es liegt...“

„Lass das meine Sorge sein“, erwiderte Arthur beruhigend. „Ich kümmere mich um alles.“

„Danke“, sagte Matthew noch einmal und lächelte, und Arthur durchzuckte der Gedanke, wie schön es war, dass Matthew ihm dafür dankbar war, sich um alles zu kümmern. Anders als jemand anderes es sicher wäre.
 

(Hoffentlich war der Zeitsprung nicht zu verwirrend? Ich habe mit dem Gedanken gespielt, das Kapitel "Bonheur Shippuuden" zu nennen, aber...

Titel aus einem amerikanischen Gedicht oder Lied: „Revolutionary Tea“. Es geht um die Boston Tea Party zu Beginn des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Das Gedicht erzählt die Geschichte der „Mutter“ (Großbritannien), die von ihrer „Tochter“ (Amerika) Steuern auf ihren Tee verlangt.

Ich glaube fast, die Vorgeschichte zum Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg kennen wir alle zur Genüge. Ganz kurz gefasst: England will mehr Steuern auf Zeitungen, Tee u.v.m., die Amerikaner fordern „no taxation without representation“ und der Rest ist Geschichte. Aber ich greife schon zu weit vor, Verzeihung.)

Das Streben nach Glück

Es klopfte an der Tür und Matthew öffnete sie. Beinahe hätte er sie gleich wieder geschlossen, als er sah, wer davor stand.

„Hey, Mattie“, sagte Alfred und grinste ihn an. Er trug einen makellosen blauen Mantel, doch seine Haare waren so wirr wie eh und je.

„Was willst du?“, murmelte Matthew.

„Was denn? Wir haben uns seit Ewigkeiten nicht gesehen, und du begrüßt mich nicht einmal?“

Matthew wollte die Tür schon wieder schließen, doch Alfred hob die Hände. „Hey, warte doch, Mattie! Ich möchte mit dir über etwas reden.“ Er räusperte sich und versuchte offenbar, wichtig zu klingen. „Über etwas, das große Auswirkungen auf die Zukunft haben wird.“

Unsicher trat Matthew von einem Bein aufs andere. „Auf wessen Zukunft?“

„Auf unsere.“

Unsere Zukunft gibt es nicht“, murmelte Matthew.

„Vielleicht doch“, erwiderte Alfred und legte den Kopf schief. „Genau darum geht es.“

„Mir gefällt es hier sehr, Alfred. Ich werde nicht wieder in dein Haus ziehen. Wir sind keine kleinen Jungen mehr.“

„Lass mich doch erst einmal herein... oder wollen wir das hier zwischen Tür und Angel diskutieren?“

„Ich schon“, sagte Matthew leise, aber entschieden, und blieb in der nur einen Spalt weit geöffneten Tür stehen.

Alfred seufzte tief. „Also gut, Mattie. Es geht darum, dass...“ Er brach ab, senkte den Blick und malte mit der Schuhspitze in den Sand zu seinen Füßen. Matthew erkannte, dass er zögerte, und es überraschte ihn sehr. Alfred zögerte niemals.

„Es ist so... dass Arthur mir in letzter Zeit viel zu aufdringlich wird. Viel zu besitzergreifend, verstehst du? Ich bin nicht sein Besitz, und mittlerweile bin ich schon erwachsen.“

Matthew blinzelte. „Ich habe gehört, dass ihr beide schon wieder Streit hattet. Arthur hat erzählt, du wärst undankbar, Alfred.“

„Ja, wir hatten... ich bin nicht undankbar!“, erwiderte Alfred aufgebracht. „Ich bin Arthur sehr dankbar für alles, was er für mich getan hat. Aber mittlerweile bin ich groß und brauche seine Hilfe nicht mehr. Das ist alles.“

„Und was willst du deswegen tun?“, fragte Matthew leise. „Ihn angreifen? Ihm in den Rücken fallen?“

„Ach was!“ Alfred schüttelte den Kopf. „Wo denkst du hin? Ich würde Arthur niemals angreifen. Ich werde ganz normal zu ihm gehen und ihn darum bitten, mir ein wenig mehr Freiheit zuzugestehen. Das ist alles. Mehr will ich ja gar nicht.“

„Ein wenig Freiheit?“, wiederholte Matthew. „Hast du die nicht schon?“

„Machst du Witze? Ich muss noch immer so viele Steuern an Arthur zahlen, auf Papier, auf Zucker, auf die blödesten Dinge... das geht mir mittlerweile auf die Nerven. Es erdrückt mich, verstehst du, Mattie?“

Matthew schwieg und betrachtete seine Füße. „Wieso erzählst du mir das alles?“, fragte er.

„Nun... um ehrlich zu sein, wollte ich dich fragen, ob du mitkommst.“

„Zu Arthur?“

„Genau. Wenn wir zusammen hingehen und ihn bitten...“

„Ich dachte eigentlich, du würdest dich das allein trauen.“

„Es geht nicht darum, dass ich mich nicht traue!“, stellte Alfred klar, und Matthew glaubte ihm. Alfred hatte keine Angst. „Ich würde dich mitnehmen, um dir einen Gefallen zu tun, Mattie. Wir könnten beide etwas davon haben, dass Arthur uns nicht mehr so bevormundet, oder?“

„Wonach genau willst du ihn fragen? Nur nach ein wenig Freiheit?“

„Nicht nur“, erklärte Alfred eifrig und schob eine Hand in seine Tasche. „Da ist noch... wo habe ich denn... ach, da.“ Er zog einen zerknitterten Zettel hervor, glättete ihn und räusperte sich. „Freiheit, ja. Mehr Selbstbestimmung und einige grundsätzliche Dinge. Dass alle Menschen gleich sind, zum Beispiel.“

„Gleich?“

„Schau dir Arthur an, mit seinen Königen und Adligen. Ist es nicht dumm, zu behaupten, einige Menschen wären besser als andere, von Geburt an? Das ist doch lächerlich!“

Matthew sagte nichts dazu. „Was steht da noch?“, fragte er.

„Moment, lass mich sehen... Gleichheit... Gerechtigkeit... oh, ja!“ Alfred hob den Kopf und schenkte Matthew ein Lächeln. „Bei dem Punkt habe ich an dich gedacht.“

„Bei welchem Punkt?“

„Hör gut zu, Mattie. Jeder hat ein Recht auf das Streben nach Glück.“

Matthew senkte den Blick und schwieg. Alfred sah von dem Zettel auf und lächelte hoffnungsvoll.

„Mattie? Wir können das durchziehen, zusammen. Wir können Arthur davon überzeugen, dass diese Forderungen hier, Gleichheit und Gerechtigkeit, dass das alles gut und richtig ist. Wir können es schaffen, Mattie!“

„Das Streben nach Glück?“, murmelte Matthew.

„Ja. Gefällt dir die Formulierung etwa nicht? Ich fand sie so hübsch, so...“

„Poetisch.“

„Ja!“ Alfred grinste breit.

„Wenn du es mir in mein Poesiealbum geschrieben hättest, hätte ich es vielleicht auch hübsch gefunden.“

„Was meinst du denn damit?“

Matthew hob den Kopf. Ein schwaches Lächeln lag auf seinen Lippen, aber seine Augen blieben davon unberührt und melancholisch. „Niemand hat mir je verboten, nach meinem Glück zu streben, Alfred“, sagte er leise. „Ich habe es nur nie erreicht.“

Alfred runzelte die Stirn. „Wie... soll ich es anders formulieren? Schlag du etwas vor, Mattie, ich bin für alles offen! Wie würdest du es ausdrücken?“

Nachdenklich wiegte Matthew den Kopf hin und her. „Lass es so stehen“, antwortete er dann. „Das Streben nach Glück... mehr kannst du niemandem garantieren. Ob man sein Glück erreicht oder nicht, hat letztendlich nichts mit dem Streben zu tun.“

„Doch!“, widersprach Alfred überzeugt. „Du musst dafür arbeiten, Mattie, und daran glauben! Dann schaffst du es auch!“

„Wenn du nicht daran glaubst und nicht dafür arbeitest, wirst du dein Glück nicht erreichen. Aber ob der Umkehrschluss so funktioniert... ich denke nicht, Alfred.“ Matthew schüttelte langsam den Kopf. „Ich denke nicht.“

„Aber...“, begann Alfred und brach dann ab. „Also gut, Mattie, wie auch immer. Was hältst du von den anderen Dingen? Freiheit? Gerechtigkeit? Gefällt dir das wenigstens?“

Matthew betrachtete den mitgenommenen Zettel in Alfreds Händen. „Du wirst einfach zu Arthur gehen und ihn bitten, diesen Forderungen nachzukommen? Auch der nach Selbstbestimmung? Einfach so?“

„Ja. Wieso nicht?“

„Ihr hattet schon eine Auseinandersetzung. Ich habe davon gehört.“

Alfreds Gesicht verdüsterte sich. „Es sind sechs Leute gestorben. Meine Leute.“

„Arthur hat gesagt, du hättest zuerst mit Steinen geworfen.“

„Aber er hat zuerst geschossen.“

Matthew senkte den Blick. „Ich kann das nicht beurteilen. Ich war nicht da.“

Alfred schüttelte den Kopf und setzte wieder sein altes Grinsen auf. Es wackelte nur leicht. „Das ist schon ein paar Jahre her, Mattie. Ich bin darüber hinweg. Und ich bin mir immer noch sicher, wenn wir uns ganz vernünftig zusammen setzen, Arthur und ich, wird es auch ohne einen Kampf gehen. Das kann man doch mit Worten regeln, wirklich!“

Traurig sah Matthew ihn an. „Ich kann mir denken, was herauskommt, wenn du versuchst, etwas mit Worten zu regeln“, murmelte er und drehte sich um.

„Mattie? Du kannst doch nicht einfach so gehen!“

„Nein. Aber du kannst jetzt gehen.“

„Wieso willst du nicht mitkommen?“, rief Alfred. „Wieso schließt du dich nicht mir an, Mattie? Was ich tue, ist gut für uns beide!“

Matthew schwieg und griff nach der Türklinke.

„Ich habe dir versprochen, dass ich dir helfen würde, dein Glück zu finden, Mattie! Weißt du nicht mehr, damals, an Weihnachten, mit den Steckenpferden im Wald? Weißt du nicht mehr? Ich habe es dir versprochen!“

„Ich habe gesagt, ich möchte nicht mitkommen“, sagte Matthew leise. Alfred umklammerte den Zettel in seinen Händen und rang nach Luft.

„Du willst doch nur nicht, weil du mich immer noch nicht leiden kannst!“

Die Tür war schon fast geschlossen. Durch den letzten kleinen Spalt drang Matthews gedämpfte Stimme nach draußen.

„Und wenn es so wäre, Alfred? Welchen Unterschied würde das machen?“

Dann fiel die Tür ins Schloss.
 

Alfred überlegte, ob er Angst hatte, aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er keine. Es war keine Angst, mit der er an die Zukunft dachte. Es war eine nervöse Aufregung, vermischt mit Neugier und einer Freude, die er sich selbst kaum erklären konnte. Er hatte das Gefühl, endlich das zu tun, wozu er von Anfang an bestimmt gewesen war. Als hätte sein Leben niemals einen anderen Verlauf nehmen können als den, den es gerade nahm. Es würde alles gut gehen, dachte Alfred. Er würde seine Freiheit bekommen, egal, was Arthur dazu sagte. Auch, wenn Matthew nicht mitmachen wollte.

Matthews Absage störte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte, und war das einzige, was seine Freude trübte. Was Alfred tat, war gut und richtig, und wenn Matthew nicht mitmachen wollte, war das ganz allein sein Problem. Außerdem: Sobald Alfred geschafft hatte, was er sich vorgenommen hatte, sobald er seine Freiheit und Eigenständigkeit hatte, würde Matthew vielleicht auf den Geschmack kommen. Vielleicht würde er sehen, was er haben könnte, wenn er wollte, und würde sich dazu entschließen, hinzugehen und es sich zu holen. Das war schließlich alles, worum es im Leben ging, dachte Alfred: hingehen und sich nehmen, was einem zustand.

Das Pferd unter ihm schien müde zu sein und ließ den Kopf hängen. Alfred trieb es nicht an, sondern klopfte ihm gutmütig auf den Hals. „Wir sind bald da, mein Guter. Da vorne ist es schon.“

Die Sonne stand bereits tief und tauchte sein Haus in ein warmes Licht. Alfred seufzte leise, als er daran dachte, wie lange er schon hier wohnte. Sein ganzes Leben hatte er in diesem Haus verbracht, und er hatte auch jetzt nicht vor, auszuziehen. Aber trotzdem würde sich einiges am Haus verändern, dachte er. Matthew wohnte schon seit einer ganzen Weile nicht mehr hier, und erst jetzt bemerkte Alfred, dass er ihm manchmal fehlte. Seine stumme, kaum wahrnehmbare Anwesenheit, abends in seinem Lieblingssessel vor dem Kamin. Matthew war jemand, den man eher dann bemerkte, wenn er weg war, als dann, wenn er tatsächlich da war.

Und Arthur, dachte Alfred. Arthur, der völlig unverhofft in der Tür stand, der wieder einmal früher ankam als geplant. Der in der Küche das Abendessen richtete, der auf der Bank hinter dem Haus saß und Alfred Holzpferde zum spielen schnitzte. Vielleicht würde er es vermissen, dachte Alfred, schüttelte aber im nächsten Moment den Kopf. Er war kein Kind mehr, das mit Holzpferden spielte. Diesen nostalgischen Zug kannte er gar nicht an sich.

Das Pferd hielt vor dem verschlossenen Tor an und begann, am Wegrand zu grasen. Alfred stieg ab, öffnete das Tor und schnalzte ihm zu, doch das Pferd hörte nicht.

„Willst du noch eine Weile hier bleiben? Also gut. Ich hole dich später rein, in Ordnung?“

Das Pferd schnaubte, ohne aufzusehen. Alfred grinste und machte sich auf den Weg zum Haus hinüber. Ein paar Blätter lagen auf dem Weg. Vielleicht sollte er den Garten rechen, dachte er.

Den Besucher bemerkte er erst, als er die Veranda beinahe erreicht hatte. Er setzte schon den Fuß auf die unterste Stufe der hölzernen Treppe, als er ein diskretes Räuspern hörte. Der Mann stand halb im Schatten und war gegen die untergehende Sonne kaum zu erkennen.

„Guten Abend“, sagte Alfred überrascht. „Kann ich Ihnen helfen?“

Der Mann trat einen Schritt vor und lächelte. „Das weiß ich nicht“, sagte er. „Aber ich kann dir helfen.“

„Wer sind Sie?“

„Nenn mich Francis.“

Alfred machte große Augen, als ihm das durch den Kopf ging, was Arthur immer erzählt hatte, als er klein gewesen war. Francis?

„Aber du bist böse!“, platzte er heraus.

Francis zog die Augenbrauen hoch und lachte auf eine selbstsichere Art, die Alfred erröten ließ. „Das hat Arthur früher immer gesagt“, erklärte er.

„Ach ja? Und, hat er es in letzter Zeit nicht mehr gesagt?“

„Nein“, gab Alfred zu, hatte aber nicht vor, Francis den Grund dafür zu nennen. In den letzten Jahren hatte er selten mit Arthur gesprochen, und wenn, dann hatten sie meistens gestritten.

Francis legte den Kopf schief und lächelte. „Ich bin gekommen, um dir meine Hilfe anzubieten“, sagte er.

„Wobei?“

„Nun... ich habe von dem Konflikt gehört, der sich in letzter Zeit zwischen dir und Arthur anbahnt.“

„Ach ja?“, fragte Alfred verdutzt. „Ich wusste nicht, dass jemand außer uns davon weiß.“

„Ich weiß viel“, erwiderte Francis und zuckte die Achseln. „Ich habe gehört, dass du vorhast, zu Arthur zu gehen und deine Rechte einzufordern.“

„Ja“, sagte Alfred.

„Und ich habe auch gehört, dass du offenbar viel zu gutgläubig an die Sache heran gehst.“

„Gutgläubig?“, wiederholte Alfred, der nicht sicher war, ob es ihm gefiel, in welche Richtung dieses Gespräch sich entwickelte.

„Ich kenne Angleterre schon lange, musst du wissen“, erklärte Francis. „Und...“

„Wer ist das, Uncle Terr?“

„Ich spreche von Arthur.“

„Ich kenne ihn auch schon lange“, sagte Alfred und zuckte gleichgültig die Schultern. „Mein ganzes Leben lang.“

„Aber du hast bisher nur seine, wie soll ich sagen... seine Schokoladenseite kennengelernt.“

„Schokoladenseite?“

„Du kennst Arthur nur als deinen Freund und großen Bruder“, sagte Francis und musterte Alfred von Kopf bis Fuß. „Aber du weißt nicht, was sonst noch in ihm steckt. Ich kenne Arthur schon länger, sowohl als Freund wie auch als Gegner.“

„Moment“, sagte Alfred misstrauisch und trat einen Schritt von ihm weg. „Arthur ist nicht mein Gegner, und er wird es nie sein. Nur, damit das klar ist. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass deine Ratschläge mir nützen können.“

„Das glaubst du“, erwiderte Francis sanft. „Deswegen sage ich dir ja, dass du zu gutgläubig an die Sache herangehst.“

„Und ich glaube, dass ich dich nicht eingeladen habe“, sagte Alfred entschieden, „und obwohl ich eigentlich ziemlich gastfreundlich bin, denke ich nicht, dass ich dich hier aufnehmen möchte. Es wäre mir lieb, wenn du jetzt gehen würdest.“

Francis seufzte leise. „Ich meine es gut mit dir, mon ami.“

„Das sagt Arthur auch. Ich bin gerade dabei, mich davon zu befreien.“

„Arthur wird dich nicht gehen lassen. Notfalls wird er Gewalt anwenden, um dich zurückzuhalten. Alles, was du in Bezug auf kriegerische Taktiken kannst, hat Arthur selbst dir beigebracht. Es wird ihm ein leichtes sein, dich zu durchschauen und zu schlagen. Ohne einen erfahrenen Unterstützer wirst du untergehen, Alfred. Dein schöner Traum von Freiheit und Gleichheit wird zerplatzen und für immer vernichtet werden.“

Francis hatte so schnell gesprochen, dass Alfred ihn nicht einmal hatte unterbrechen können. Mit offenem Mund stand er da und starrte ihn an.

„Das würde Arthur nicht tun“, brachte er nach einigen Schrecksekunden hervor.

„Du sagst doch selbst, dass er besitzergreifend ist“, erwiderte Francis und hob gespielt gleichgültig die Hände. „Aber gut, wenn du nicht willst... dann kann ich dir nicht helfen. Ich will dir meine Hilfe nicht aufzwingen.“

Ohne ein weiteres Wort ging er an Alfred vorbei und stieg die Treppe der Veranda herunter. Alfred starrte ihm nach und konnte sich nicht rühren. Das Blut rauschte in seinen Ohren. Woher war dieser Francis plötzlich aufgetaucht? Konnte Alfred ihm trauen? Arthur hätte ihm sicher davon abgeraten. Andererseits hatte Francis Recht, wenn er sagte, dass Alfred Arthur nur als seinen Freund kannte. Wer konnte wissen, wie er reagierte, wenn er...

Was dachte er hier für einen Unsinn? Arthur würde Verständnis für Alfreds Träume haben, ganz sicher. Wenn sie ganz vernünftig miteinander redeten, würde er es verstehen. Vernünftiger als bei ihren dummen Streitereien in letzter Zeit. Arthur musste sich eben langsam an den Gedanken gewöhnen, dass Alfred kein kleiner Junge mehr war. Er wollte doch, dass Alfred glücklich war, oder? Und Alfred wollte seine Freiheit. Er wollte sie mehr als alles andere in der Welt. Wollte er sie mehr als eine freundschaftliche Beziehung zu Arthur? Bisher hatte Alfred nicht geglaubt, sich für eines von beidem entscheiden zu müssen. Aber nachdem er das gehört hatte, was Francis gesagt hatte... wenn es nun so wäre? Wenn er sich entscheiden müsste zwischen Arthur und seiner Freiheit? Was würde er wählen?

Dein schöner Traum von Freiheit und Gleichheit wird zerplatzen und für immer vernichtet werden.

„Hey!“, rief Alfred.

Francis hatte bereits das Gatter erreicht, neben dem noch immer das Pferd graste. Er schnalzte ihm zu und öffnete das Tor lautlos.

„Hey!“, brüllte Alfred ihm nach. „Francis! Warte mal kurz!“

Langsam blieb Francis stehen und sah sich um. „Mon ami?“, fragte er überrascht.

Alfreds Herz raste in seiner Brust. Er konnte ja auf Nummer sicher gehen, dachte er. Vorsorgen. Er wusste noch nicht, wie Arthur reagieren würde. Sicher würde er Francis' Hilfe am Ende doch nicht brauchen. Aber falls doch...

„Wie kann ich dich erreichen? Bleibst du in der Gegend?“

Einen Moment lang sah Francis ihn prüfend an. Das Lächeln, das über seine Lippen zog, warf in der untergehenden Sonne scharfe Schatten über sein Gesicht.

„Ich werde in der Gegend bleiben.“
 

„...verdammter Dummkopf“, murmelte Arthur und stützte den Kopf schwer in seine Hände. „Dummkopf.“

Matthew saß ihm gegenüber am Tisch und hörte unsicher zu. Seine Hände waren um den Becher vor ihm gelegt, doch er hatte noch nichts getrunken.

„Wie kann er denn einfach... einfach hingehen und sagen, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben will? Weißt du, was er gesagt hat, Matthew? Ich brauche deine Hilfe nicht mehr, Arthur. Ich möchte meine Freiheit haben.“ Er lachte auf. „Freiheit! Als ob er die bei mir nicht haben könnte! Aber er hat mir nicht einmal zugehört. Er will... scheint zu glauben, ich würde ihn einsperren. Tue ich das etwa, Matthew?“

Stumm schüttelte Matthew den Kopf. Arthur nickte und nahm noch einen Schluck Rum.

„Sag selbst, Matthew... bin ich nicht immer gut zu euch gewesen? Habt ihr nicht immer von unserer Beziehung profitiert?“

„Ja“, sagte Matthew leise. „Er noch mehr als ich.“

„Siehst du!“ Arthur gestikulierte in seine Richtung. „Siehst du! Ich habe doch immer das getan, was am Besten für Alfred war, und wie dankt er es mir? Was tut er?“

Matthew schwieg.

„Er verlässt mich, das ist es! Aber das werde ich nicht zulassen.“ Arthurs Augen glänzten entschlossen. „Ich werde ihn davor bewahren, einen furchtbaren Fehler zu machen. Auf sich allein gestellt ist er hilflos. Er ist doch noch immer ein Kind, und mein kleiner Bruder. Ich werde ihn beschützen.“

„Wie willst du das tun?“, fragte Matthew leise.

„Ich werde ihm sagen, dass er das nicht machen kann. Ich werde ihn aufhalten. Ich werde... ich werde...“

„Wirst du gegen ihn kämpfen?“

Mühsam hob Arthur den Kopf, als sei er wesentlich schwerer als sonst. Sein Blick war müde. „Wenn es nötig ist, Matthew“, sagte er leise. „Wenn es nötig ist.“

„Und wird es nötig sein?“

„Wenn Alfred vernünftig ist, nicht. Wenn er vernünftig ist, lässt er es nicht auf einen Krieg gegen mich ankommen. Denn...“ Er holte tief Luft, hob sein Glas und rezitierte in einem Ton, der nur entfernt an Singen erinnerte:

„We don't want to fight, but by jingo if we do,

We've got the ships, we've got the men, we've got the money too!“

Er ließ das Glas sinken und sackte wieder auf seinem Platz zusammen.

„Wer oder was ist jingo?“, fragte Matthew vorsichtig.

„Eine gute Frage, Matthew. Eine sehr gute Frage.“

„Und wer sind wir?“

„Wie meinst du das?“, fragte Arthur und runzelte die Stirn.

Matthew senkte den Blick und betrachtete eine Weile lang den Becher in seinen Händen. „Es gefällt mir nicht, dass du gegen Alfred kämpfen möchtest.“

„Mir auch nicht, Matthew. Aber...“

„Ich habe einen jungen Eisbären gefunden“, unterbrach Matthew ihn.

„Einen was?“, fragte Arthur, verwirrt von dem plötzlichen Themenwechsel.

„Ein Eisbärjunges. Es kann nicht älter sein als ein paar Wochen. Ich habe es allein bei einer Wanderung gefunden. Es war in eine Spalte im Boden gefallen... ich habe es gerettet und mit nach Hause genommen. Es schläft jetzt in einem Korb in der Küche.“

„Ah“, machte Arthur und sah Matthew fragend an.

„Ich weiß noch nicht, wie ich ihn nennen soll“, murmelte Matthew. „Es ist ein er, weißt du. Er braucht sehr viel Pflege, muss ständig gefüttert werden... und sauber gehalten, natürlich. Ich hoffe nur, ich kann ihn durchbringen.“

Arthur nahm noch einen Schluck aus seinem Becher und seufzte leise. „Ich habe verstanden“, sagte er.

„Ich werde dich nicht im Stich lassen, Arthur“, sagte Matthew hastig. „Aber...“

„Aber es tut weh, gegen einen Bruder zu kämpfen“, führte Arthur den Satz zu Ende. „Ich verstehe. Mir wäre es auch am liebsten, wenn dir das erspart bliebe, Matthew.“

Matthew seufzte leise, und Arthur wusste nicht, ob es Erleichterung oder Sorge ausdrückte. „Ich werde beobachten, was passiert, Arthur. Wenn es kritisch wird, werde ich vielleicht...“

„Nein, du hältst dich da heraus. Das ist eine Sache, die Alfred und ich unter uns klären müssen.“

Unsicher sah Matthew ihn an.

„Und jetzt geh schon“, sagte Arthur und lächelte. „Du musst doch nach deinem Eisbären sehen, oder? Er vermisst dich sicher schon.“

Matthew nickte und stand auf. „Ja, ich sollte ihn wohl füttern... ich bin sofort wieder da.“

„Nimm dir Zeit“, erwiderte Arthur, ohne ihn anzusehen. Sobald Matthew den Raum verlassen und die Tür hinter sich geschlossen hatte, erlaubte er es sich, sich über die Augen zu wischen.

„Verdammt“, murmelte er. „Es liegt am Alkohol, dass du melancholisch wirst, Arthur. Nur am Alkohol. Das wird es sein.“
 

(Wir befinden uns 1776, die Unabhängigkeitserklärung wird verabschiedet. Der Krieg läuft offiziell schon seit 1775, aber anscheinend hat Alfred noch Hoffnung auf eine friedliche Lösung. Die sechs Toten, von denen er spricht, sind die vom Boston Massacre 1770.

Warum haben die kanadischen Kolonien eigentlich nicht zusammen mit den amerikanischen ihre Unabhängigkeit erklärt? Nun, die französischstämmigen Kanadier waren katholisch, die Amerikaner zu einem nicht unbedeutenden Teil Puritaner, also Protestanten. Die Briten hatten den Quebec Act erlassen und den Katholiken damit Religionsfreiheit und sogar ein wenig Eigenständigkeit gewährt, was in Amerika weniger gut aufgenommen wurde. Trotzdem ging ein Angebot an die Kanadier raus, die Vereinigten Staaten von Amerika gemeinsam auf die Beine zu stellen. Die Anfrage wurde abgelehnt. Ich denke mal, Nachbarn können sich selten gut riechen. Lange Rede, kurzer Sinn, Kanada wollte nicht mitspielen und Punkt.

Arthurs Trinklied... ich kann beim besten Willen nicht in Erfahrung bringen, ob es ein Anachronismus ist. „Jingoism“ wird übersetzt mit „Hurrapatriotismus.“ Ich habe zwei neue Wörter gelernt.

Dass Matthew Arthur nicht unterstützt, hat keine historische Bewandtnis, sondern hängt nur mit Matthews Charakter zusammen. Dass Francis Alfred unterstützt, ist dagegen zu belegen, denn die Amerikaner (die „Patrioten“) wurden von französischen Soldaten und Generälen unterstützt, und zwar nicht zu knapp. (In „1000 Years of Annoying the French“ von Stephen Clarks, das ich mangels Internet gerade zur Rate ziehe, heißt es ganz salopp, die Franzosen hätten die amerikanische Unabhängigkeit gewonnen, aber das Buch darf man nicht wörtlich nehmen.) Um ehrlich zu sein: Diese Fußnote über die französische Beteiligung in einem Geschichtsbuch war der Grundgedanke der ganzen Geschichte. Das und die Sache mit Quebec. Da soll noch einer sagen, Fußnoten wären nutzlos.)

Ende des langen Wartens

Immer, wenn seine Gedanken für einen Moment abschweiften von dem, was geschehen war, landeten sie bei einem Drama. Es war eine Aufführung, die er vor langer Zeit gesehen hatte, die Inszenierung eines Stücks des Barden. Der Schauspieler auf der Bühne, ein Bote, hatte sich in die Brust geworfen. Seine Bewegungen waren ein wenig aufgesetzt gewesen, ein wenig lächerlich. Immerhin war das Stück eine Komödie und keine Tragödie.

He hath borne himself beyond the promise of his age, doing in the figure of a lamb the feats of a lion.

Immer wieder hallten die Worte des Schauspielers in seinem Kopf wieder, nichts als Worte, auswendig gelernt aus einem vorgeschriebenen Skript. Doing in the figure of a lamb the feats of a lion. In der Stimme des Boten lagen Stolz und Ehrfurcht, denn es war eine gute Nachricht. Ein junger Mann war über sein Alter, über sich selbst hinausgewachsen. Es war eine gute Nachricht, und das Stück war eine Komödie. Keine Tragödie.

Arthur wusste nicht, ob Alfred ihn überhaupt noch hörte. Er wusste nicht, ob sein kleiner Bruder noch da war oder ob er ihn schon verlassen hatte. Aber es spielte keine Rolle, ob Alfred noch da war. So oder so hatte er Arthur verlassen, für immer und ewig. Und dennoch konnte Arthur nicht aufhören, auf ihn einzureden.

„Alfred, bitte, du bist mein Bruder... du kannst mich nicht so im Stich lassen, nicht so... du kannst mich doch nicht... nicht... ich wollte doch nie, dass es so weit kommt, ich wollte dich nie verletzen, ich wollte... wollte doch immer nur das Beste für dich, glaub mir... glaub mir doch, Alfred... glaub mir...“

Der Regen prasselte auf seinen Kopf und seine Schultern. Er war kalt, aber die Tränen auf seinem Gesicht waren warm, heiß. Sie liefen über seine Wangen und tropften von seinem Kinn nach unten. Ihm fehlte die Kraft, aufzustehen, die Kraft zu allem. Sein Gewehr lag nutzlos irgendwo neben ihm. Er konnte nichts weiter tun, als im Schlamm hocken zu bleiben und zu beten. Beten.

„Was habe ich falsch gemacht, Alfred? Was habe ich falsch gemacht? Bin ich nicht immer gut zu dir gewesen? Habe ich nicht immer... immer alles getan, damit... damit du...“

Er hörte leise Schritte auf dem durchweichten Boden vor ihm. Sein Herz setzte einen Schlag aus. War Alfred zurück gekommen? Wenn ja, konnte er alles regeln, er konnte dieses dumme Missverständnis aufklären, er konnte... Hoffnungsvoll hob er den Kopf.

Angleterre“, sagte Francis mit einem Lächeln. „So sieht man sich wieder.“

Arthur rang nach Luft und tastete mit einer Hand nach seinem Gewehr, doch Francis vor ihm war ebenfalls bewaffnet. Die Spitze seines Bajonetts stieß trügerisch sanft gegen Arthurs Brust.

„Lass es. Du hast keine Chance. Nicht in deinem Zustand.“

Langsam ließ Arthur den Kopf wieder sinken. „Lass mich in Frieden, Francis“, flüsterte er. „Wenn du noch einen Funken Ehre im Leib hast, geh. Du kannst mir jederzeit auf die Nerven gehen, aber nicht gerade jetzt.“

„Gerade jetzt, da dein geliebter kleiner Bruder, dein Ein und Alles dich verlassen hat? Von nun an könnte er sowohl dein Freund als auch dein Feind sein.“

„Lass mich.“

„Sein Kind der Liebe zu verlieren... das erinnert mich doch an jemanden, der das ganz ähnlich erlebt hat.“

Stumm warf Arthur einen Blick nach oben. Auf Francis' Lippen lag noch immer ein Lächeln, doch es wirkte angespannt, als lächle er nur, um nicht weinen zu müssen. Seine Hände umklammerten das Gewehr so fest, dass seine Finger zitterten. Der Regen hatte nasse Spuren auf seinen Wangen hinterlassen. Sie sahen aus wie Tränen, obwohl es keine waren.

„Meinst du...“, begann Arthur und verstummte dann wieder. Sein Herz begann zu rasen. Er erinnerte sich an die Nacht, in der er die uneinnehmbare Festung eingenommen hatte. An Matthew, der auf seinem Arm geweint hatte, und an Francis' Blick. Wie er ihm hinterher gesehen hatte, während Arthur mit Matthew gegangen war. Einfach gegangen.

„Du...“, brachte Arthur hervor und begann zu zittern. Seine Gedanken drehten sich im Kreis.

Oui, Angleterre?“, fragte Francis. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden.

Arthur rang nach Luft. Er wusste nicht, was er glauben sollte oder glauben wollte. Alfred hatte ihn verlassen. Für immer? War es alles Francis' Schuld? Hatte er ihm Alfred weggenommen? Hatte Arthur es womöglich nicht anders verdient?

„Wenn du schießen willst“, flüsterte Arthur, „tu dir keinen Zwang an.“

„Wieso sollte ich das tun?“, fragte Francis und strich sich eine durchnässte Locke aus der Stirn. „Es wäre überflüssig. Kein Schmerz ist schlimmer als der, wenn man den verloren hat, den man am meisten liebt.“

Das Bild des durchweichten Erdbodens verschwamm vor Arthurs Augen. Er bemerkte nicht mehr, wie er in den Schlamm fiel und dort liegen blieb, die Lider noch einen Spalt weit geöffnet. Er sah nichts mehr und spürte nichts mehr. Es war kein schlechter Zustand.
 

Francis hob den Kopf, als er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Alarmiert fuhr er herum und umklammerte sein Gewehr. „Wer da?“, rief er durch das Prasseln des Regens.

Der Reiter auf seinem Pferd antwortete nicht. Er trug einen roten Mantel und weiße Handschuhe. Die Kleider sahen aus wie die Arthurs, abgesehen von dem Hut, den der Fremde tief ins Gesicht gezogen hatte. Seine Augen lagen im Schatten.

„Gehörst du zu Angleterre hier?“, fragte Francis, das Bajonett noch immer erhoben.

Der Fremde schwieg kurz. Als er antwortete, war seine Stimme weich und so leise, dass sie über den Regen kaum zu hören war. „Das ist eine gute Frage, François. Wenn man bedenkt, dass du gerade ein Gewehr auf mich richtest, gehöre ich vielleicht eher zu ihm als zu dir.“

Francis zuckte zusammen und starrte den Reiter an. „Mathieu?“, brachte er hervor.

Matthew antwortete nicht sofort. Er senkte den Kopf, stieg von seinem Pferd ab und klopfte ihm beruhigend auf den Hals. Danach wandte er sich um und betrachtete Arthur, der auf dem durchweichten Boden lag.

„Er ist nicht tot, oder?“

„Natürlich nicht“, erwiderte Francis und schüttelte den Kopf. „Aber was spielt das denn überhaupt für eine Rolle, Mathieu? Du bist hier! Du... du hast... dich verändert.“

„Mich verändert“, erwiderte Matthew leise. „So kann man es vielleicht nennen.“

„Du bist groß geworden, Mathieu“, sagte Francis. Plötzlich lachte er laut auf, ließ das Gewehr achtlos fallen und packte Matthews Schultern. „Du bist ja ein richtiger junger Mann geworden, mon petit! Wie schnell du gewachsen bist!“

Er schob eine Haarsträhne aus Matthews Stirn und hob sein Kinn an, um ihm ins Gesicht zu sehen. Matthew wich seinen Händen aus und wandte den Blick ab.

„Was ist denn, Mathieu?“, fragte Francis, doch er war zu glücklich, um sich Sorgen um ihn zu machen. „Jetzt ist alles gut, nicht wahr? Schau dir Angleterre an! Wenn du jetzt mit mir kommst, wird er dich jedenfalls nicht daran hindern. Komm mit mir, Mathieu, so wie früher! Angleterre wird nichts dagegen tun... schau ihn dir doch an!“

Matthew sah an seiner Schulter vorbei auf Arthur hinunter. Langsam befreite er sich aus Francis' Griff und trat näher heran. Er betrachtete Arthurs blasses Gesicht, den Schlamm, der auf seine Wangen gespritzt war und seine Kleider durchweicht hatte, und seine geschlossenen, aber geröteten Augen.

„Wieso hast du das getan?“, murmelte er und drehte sich zu Francis um. Seine Stimme begann zu zittern. „Wieso hast du ihm das angetan?“

Francis runzelte irritiert die Stirn. „Was meinst du, Mathieu?“

„Na, das!“, rief Matthew schrill und deutete auf Arthur hinter sich.

„Ich habe ihm nur das zurückgezahlt, was er uns angetan hat, Mathieu. Er sollte wissen, wie es ist, den zu verlieren, den er am meisten liebt.“

Matthew starrte ihn an. „Den... den er...?“

„Ich habe Alfred dazu angestachelt, ihn zu verlassen“, sagte Francis mit einem Lächeln. „Ich habe ihn unterstützt, damit er Angleterre allein lässt. Oui, das habe ich. Aber letztendlich war ich noch immer nicht so grausam, wie er damals war, als er mir dich weggenommen hat. Ich habe Alfred nicht nachts aus seinem Bett geholt und ihn an einen völlig fremden Ort verschleppt. Ich habe nicht versucht, ihn umzuerziehen oder ihm einen anderen Namen zu geben. Ich bin noch immer um so vieles besser als er.“

Er warf einen hasserfüllten Blick auf Arthur hinunter. Matthew sah ihn an und schien nicht glauben zu können, was er hörte.

„Du bist nicht besser als er“, flüsterte er.

„Was hast du gesagt, Mathieu?“

„Was er getan hat, hat er getan, um an Macht zu kommen“, murmelte Matthew. „Kein sehr edler Grund, das gebe ich zu. Aber du hast dasselbe getan, nur um ihn zu verletzen. Findest du das nicht viel grausamer, François?“

Einen Moment lang sah Francis ihn verständnislos an. Vorsichtig trat er näher und legte eine Hand auf Matthews Wange. „Aber Mathieu... ich habe es doch für dich getan.“

„Für mich?“

„Ich habe es getan, um dich zu rächen“, flüsterte Francis und streichelte mit den Fingern Matthews Wange, als sei dieser wieder ein kleines Kind. „Hast du nicht unter dem gelitten, was er getan hat, Mathieu? Warst du nicht einsam? Ich wollte, dass er für das bezahlt, was er dir angetan hat. Wieso... wieso bist du plötzlich so kühl? Du solltest dich doch freuen, Mathieu! Freu dich!“

„Worüber soll ich mich freuen?“, flüsterte Matthew. „Dass Alfred Arthur verlassen hat, macht nichts ungeschehen.“

„Aber wenigstens weiß Arthur jetzt, was er dir angetan hat!“

„Nicht mir“, korrigierte Matthew ihn leise, aber entschieden. „Er weiß jetzt, was er dir angetan hat.“

Francis legte den Kopf schief. „Na, wie auch immer! Jedenfalls hat er dafür bezahlt. Komm jetzt mit mir, Mathieu. Ich werde dich mit zu mir nehmen und...“

„Das alles hier hast du nicht für mich getan“, sagte Matthew und wich einen Schritt vor ihm zurück. In seinen Augen lag etwas wie Furcht. „Du hast es nur für dich getan, François, und gegen Arthur. Du wolltest dich an ihm rächen, um deinen verletzten Stolz zu befriedigen. Du hast bei deiner Rache nicht einmal an mich gedacht. Nicht einmal. Du... du machst mir Angst, François“

„Das kannst du doch nicht glauben!“, schrie Francis ihn an. „Wie kannst du sagen, ich hätte nicht an dich gedacht? Ich habe immer an dich gedacht, Mathieu, immer! Du hast mir gefehlt! Ich habe... ich habe es für dich getan!“

Traurig schüttelte Matthew den Kopf. „Wenn es um mich gegangen wäre“, murmelte er und beugte sich hinunter zu Arthur, „dann hättest du mich dabei unterstützt, Arthur zu verlassen, und nicht Alfred.“

„Aber... das ist doch...“ Francis lachte verzweifelt und hob die Arme. „Mathieu, petit prince. Sei doch nicht neidisch auf Alfred, das ist er nicht wert. Wenn du doch nur bei mir hättest bleiben können, dann hättest du nicht neben ihm aufwachsen müssen...“

„Es geht nicht um Alfred“, erklärte Matthew leise. „Es ging nie um ihn, genau, wie es nie um mich ging. Es ging immer um dich und Arthur und deine Rache an ihm. Mehr war da nicht.“

Francis starrte seinen Rücken an, da Matthew sich nicht umdrehte. „Was hat er mit dir gemacht?“, flüsterte er und versuchte, den Kloß in seinem Hals herunter zu schlucken. „Was hat Angleterre mit dir gemacht?“

„Gar nichts“, antwortete Matthew leise. „Ich bin erwachsen geworden, François. Das ist alles.“

Traurig beugte er sich über Arthur und tastete an dessen Hals nach dem Puls. Er war noch da, hektisch, aber relativ gleichmäßig vorhanden.

„Mathieu“, sagte Francis hinter ihm leise. „Kommst du nun mit mir oder...?“

Er wagte es nicht, das oder nicht auszusprechen. Matthew wandte sich zu ihm um. Er sah müde aus.

„Als Kind habe ich so lange auf dich gewartet, François“, sagte er. „Sicher kannst du jetzt auch noch eine Weile auf mich warten.“

Mühsam griff er nach Arthurs Kragen, richtete ihn halb auf, schlang die Arme um seine Brust und zog ihn zu seinem Pferd hinüber, das stoisch dem Regen trotzte. Noch immer war Matthew nicht ganz ausgewachsen und so schmächtig, wie er als Kind schon gewesen war. Es bereitete ihm einige Mühe, Arthurs schweren Körper auf das Pferd zu hieven. Francis sah ihm reglos dabei zu und fühlte sich, als träume er. Weniger, weil die Situation ihm so unwirklich vorkam, als weil die Dinge einfach geschahen und er auf nichts einen Einfluss hatte.

„Warte doch, Mathieu“, murmelte er, doch er sprach so leise, dass Matthew ihn unmöglich hören konnte. Ohne Francis anzusehen, griff er nach den Zügeln des Pferdes und führte es davon. Seine rechte Hand lag auf Arthurs Arm, damit dieser nicht herunter fiel. Er drehte sich nicht mehr um.
 

Als Arthur erwachte, war es fast dunkel. Nur gedämpftes Licht schimmerte durch die Vorhänge vor dem Fenster. Er lag in einem Bett, das er kannte, aber es war nicht sein eigenes. Er wusste nicht, wo er war, doch er spürte, dass er hier willkommen war. Wieso sonst sollte er in einem Bett liegen?

Irgendetwas störte ihn. Da war eine dunkle Erinnerung, die er in den hintersten Winkel seines Gedächtnisses verbannt hatte und die nun von dort aus versuchte, sich in sein Bewusstsein zu drängen. Er wusste, dass er Schmerzen haben müsste, doch er wusste nicht, was ihn verletzt haben sollte oder warum ihm trotz allem nichts wehtat. Es war wie in einem Traum, dachte er. Wissen, das von irgendwo her kam und einfach da war. Dinge verschoben sich in Träumen, die Welt löste sich auf, die Zeit war nicht mehr vorhanden. Das Gute an Träumen war, dass sie nicht real waren.

Wie gut, dass er nur ein Traum war.

Die Tür öffnete sich einen Spalt weit und jemand warf einen vorsichtigen Blick ins Zimmer. Eine Stimme erklang, doch Arthur verstand nicht, was sie sagte. Jemand kam herein, trat näher an sein Bett und strich die Decke über seiner Brust ordentlich glatt. Arthur konnte sein Gesicht über sich sehen. Dieses Gesicht.

„Alfred“, murmelte er und fragte sich, wieso Reue und Trauer in ihm aufstiegen, als er den Namen aussprach. Er beschloss, dass es keine Rolle spielte, schloss die Augen und seufzte leise. Er war zu Hause.
 

„Arthur?“, fragte Matthew leise und strich über die Decke. „Bist du wach?“

Arthurs hellgrüne Augen waren einen Spalt weit geöffnet, doch Matthew konnte nicht erkennen, ob er ihn ansah oder durch ihn hindurch. Seine Lippen zuckten leicht. Vielleicht sollte es ein Lächeln sein.

„Alfred“, flüsterte er, so leise, dass es kaum zu verstehen war. Danach verdrehten seine Augen sich nach oben, sodass nur noch das Weiße zu sehen war. Er holte rasselnd Luft und seine Lider fielen zu.

Matthew blieb neben ihm sitzen und fragte sich, wann Arthur lernen würde, Alfred und ihn auseinander zu halten. Ab jetzt dürfte es ihm eigentlich nicht weiter schwer fallen, nachdem Alfred ihn verlassen hatte. Matthew war nicht traurig darüber, dass er weg war, oder gab zumindest sein Bestes, um Alfred bloß nicht zu vermissen. Anfangs hatte er gezweifelt, ob es eine verpasste Gelegenheit gewesen war, sich Alfred nicht anzuschließen. Freiheit und das Streben nach Glück, klang das denn so schlecht? Aber nun, da er sah, wozu Alfreds Träumereien von Freiheit geführt hatten, war er froh, nicht mit ihm gegangen zu sein. Dass Arthur verletzt worden war, machte ihn wütend. Es war eine seltsame Art von Wut.

Irgendwo tief drinnen, dachte Matthew, würde er immer der kleine Junge mit dem Teddy bleiben, der so leise war, dass er übersehen wurde. Der sich nichts so sehr wünschte wie jemanden, der ihn liebte, und das so sehr, dass er sich an denjenigen hielt, den er zu Anfang hatte hassen wollen. Er sah Arthur an und versuchte, den Arthur wieder in sein Gedächtnis zu rufen, der ihn vor Jahren von Francis getrennt hatte. Gedankenverloren betrachtete er Arthurs rote Uniform, die an dem Schrank in der Ecke hing, frisch gewaschen und beinahe wieder trocken. Sein Gewehr lehnte darunter an der Wand, das Bajonett noch immer an der Spitze. Dennoch wurde der böse Arthur in seinem Kopf nicht wieder lebendig. Es gab keinen bösen Arthur mehr, dachte Matthew. Entweder das, oder er weigerte sich einfach, ihn zu sehen.

Mit einem leisen Seufzen stand er auf. Er sollte Tee kochen, das wäre sicher das Beste. Passte Ahornsirup zu Tee? Francis würde es wissen. Wenn er Francis doch nur fragen könnte... aber Francis war zu lange nicht für ihn da gewesen. Er hatte viele Fragen gehabt, sein ganzes Leben hindurch, und Francis hatte keine davon beantworten können. Er war ja nie da gewesen. Genau wie der böse Arthur für immer verschwunden zu sein schien, verhielt es sich mit dem lieben Francis. Der, der seinen Teddy mit Pflastern versorgt hatte, der ihm die Ahornblätter gezeigt und ihn abends ins Bett gebracht hatte. All das war so lange her, dachte Matthew und betrachtete den Teddy, der halb vergessen auf der Fensterbank saß. Mittlerweile hatte er nur noch einen winzigen Rest Wolle in seinem schlaffen Bauch und saß traurig da, den zu schweren Kopf nach vorn gesunken. Er sah aus, als habe er resigniert, dachte Matthew. Wann war es passiert, dass auch er resigniert hatte? Dass er die Idee mit dem bösen Arthur und dem lieben Francis verworfen und noch einmal bei Null angefangen hatte? Francis wusste es vielleicht nicht, aber er stand wieder bei Null. Er hatte anscheinend keine Ahnung davon, dass die Zeiten sich geändert hatten.

Er würde es erfahren müssen, dachte Matthew und machte sich auf den Weg in die Küche. Er würde es sehen müssen.
 

„Wer?“

Das war alles gewesen, was seine Majestät zu sagen gehabt hatte. Francis hatte so viel zu erzählen gehabt, so viele Enttäuschungen und Hoffnungen und Informationen, dass alles gleichzeitig und viel zu schnell aus ihm heraus geplatzt war. Als er eine kurze Atempause eingelegt hatte, um den König darüber nachdenken zu lassen, hatte dieser ihn nur leicht verwirrt angesehen.

„Von wem sprichst du?“

Natürlich sprach er von Mathieu. Mathieu, der nicht mit ihm hatte kommen wollen. Mathieu, der womöglich für immer verloren war, wenn man nicht schnell etwas unternahm. Irgendetwas. Aber der König hatte sich nicht von Francis' Alarmbereitschaft anstecken lassen.

„Du solltest dich erst einmal entspannen. Iss, trink, fühl dich wie zu Hause.“

Die Teller auf dem langen Tisch waren halb geleert. Das Essen darauf sah aus wie massakriert, dachte Francis. Er streckte die Hand aus, tauchte die Finger in die dicke Bratensoße und zog sie über das weiße Tischtuch.

„Was machst du da?“, fragte das Mädchen träge, das neben ihm saß.

„Ich denke“, erwiderte Francis ernst und zeichnete einen weiteren bräunlichen Strich auf den Stoff.

Das Mädchen kicherte und angelte sich eine Handvoll Weintrauben aus einer Schale. „Möchtest du auch welche haben?“

„Nein, danke“, sagte Francis. Seine Finger waren trocken. Er tauchte sie wieder in die Soße.

„Woran denkst du?“, fragte sie spielerisch.

„An Mathieu.“

„Wer ist das? Und warum musst du seinetwegen das Tischtuch dreckig machen?“

Francis antwortete nicht. Sie legte einen Finger an sein Kinn, drehte sein Gesicht zu sich und schob ihm eine Traube in den Mund. Er kaute lustlos darauf herum und schluckte. Sie kicherte und schob zwei weitere hinterher.

„Ich denke an Mathieu“, erklärte Francis ihr mit vollem Mund.

Sie verzog die Lippen. „Wieso? Denk doch lieber an mich.“

„Sei nicht so albern. Ich weiß nicht einmal, wie du heißt. Und ich habe gesagt, ich will keine Trauben.“

Das Mädchen seufzte theatralisch und steckte sich selbst eine der Früchte in den Mund. „So eine Schande. Sie sind ausgezeichnet. Seine Majestät will nur das Beste für seine Tafel.“

„Seine Majestät“, murmelte Francis und fragte sich, wieso plötzlich diese Wut in ihm aufstieg.

„Was hast du?“, fragte sie, lehnte sich zurück und ließ die letzte Traube in ihren Mund fallen. Francis' Blick hing an ihren roten Lippen, die sich um die Frucht schlossen. An dem pompösen Kleid, das über und über mit weißer und beigefarbener Spitze besetzt war. An den Flecken von Soße auf ihrem Gesicht, dem zerknitterten Tüllstoff des Kleides und einem kleinen Stück Kartoffel, das in ihrem Dekolleté hängen geblieben war.

„Diese Dekadenz“, murmelte er.

„Wie bitte?“, fragte sie träge und zupfte an ihren aufgetürmten Locken.

Francis sah an sich herunter. Die goldenen Stickereien an seinen Ärmelumschlägen, das weiße Spitzentuch um seinen Hals, die teuren Stiefel. Langsam schob er sich die Finger in den Mund und schmeckte die Bratensoße daran. Brauchte er das alles?, fragte er sich. Machte es ihn glücklich? Nichts machte ihn glücklich, wenn Mathieu nicht da war. Zuvor hatte er die etwas bedenkliche Staatsführung seines Königs hingenommen, aber seine Gleichgültigkeit in Bezug auf Mathieu drohte, das Fass zum überlaufen zu bringen. Wieso also sollte er weiter in diesem Luxus leben und sich mit Köstlichkeiten vollstopfen, um nur nicht daran zu denken, dass auf dem Land seine Kinder verhungerten?

„Es ist nicht richtig“, sagte er leise.

„Was?“, fragte das Mädchen überrascht.

„Es ist nicht richtig“, wiederholte Francis und spürte erneut diese Wut in sich aufsteigen. Diesmal war sie noch stärker als beim ersten Mal. „Das alles hier! Es... es ist...“

Er konnte es nicht in Worte fassen, aber tun konnte er etwas. Er trat an den großen Tisch und zog mit einem Ruck die besudelte Tischdecke herunter. Silbernes und gläsernes Geschirr, Becher und Teller stürzten zu Boden und zersprangen klirrend auf den Steinen. Porzellanscherben vermischten sich mit Gemüse und ein Karpfen schlängelte sich aus seiner silbernen Terrine, um mit weit geöffnetem Mund und stierenden Augen auf dem steinernen Boden liegen zu bleiben. Die Gräten standen aus seinem schon halb verzehrten Rücken.

Francis hatte bemerkt, dass das Mädchen sich erschreckt hatte, dass es spitz aufgeschrien hatte, aber es war ihm egal. Er beugte sich hinunter, strich mit den Fingern durch eine Lache von Soße und betrachtete sie gedankenverloren.

„Das muss ein Ende haben“, sagte er leise, an niemand anderen als an sich selbst gerichtet. „Etwas muss sich verändern. Vielleicht ist es an der Zeit für eine... eine Revolution.“

Hinter ihm rappelte das Mädchen sich von seinem Stuhl auf, raffte seinen ausladenden Rock hoch und floh aus dem Speisesaal. Francis achtete nicht darauf. Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und blieb dort. Es war das erste ehrliche Lächeln seit langer Zeit.
 

(Nein, ich habe über den Krieg an sich (1775 - 1781) nichts geschrieben. Lest dazu Hetalia, okay?

Im Oktober 1781 belagern Franzosen und Amerikaner gemeinsam die Briten in Yorktown, Virginia. Mit der Kapitulation der Briten ist praktisch der letzte Widerstand gegen die Amerikanische Unabhängigkeit aufgegeben. Seht ihr, Francis war durchaus vor Ort. Und 1789 findet drüben in Europa der Sturm auf die Bastille statt, der die Französische Revolution einleitet. Narks, die Geschichte werde ich hier nicht erklären, das würde zu weit gehen. Jedenfalls liegen dazwischen nur acht Jahre, ein Wimpernschlag für eine Nation. Vielleicht kein direkter Kausalzusammenhang, aber ein sehr schöner zeitlicher, wie ich finde.

Das Zitat zu Beginn kommt aus einem Stück von Shakespeare, the Bard: Much Ado About Nothing, Act 1, Scene 1. Es ist eine Komödie, keine Tragödie. Falls jemand nichts für altmodisches Englisch übrig hat, ich würde das Zitat frei übersetzen mit „Er ist über sein Alter hinausgewachsen und hat in der Gestalt eines Lamms die Taten eines Löwen vollbracht“. Ach, Alfred, der Löwe im Schafspelz...)

Ein kleiner Prinz

Mein lieber Mathieu.
 

Heute habe ich geweint. Ich habe ein Buch gelesen, musst du wissen. Erinnerst du dich, wie du als Kind in der Bibel geblättert hast und ausgerechnet auf das Kapitel über Sodom und Gomorrha gestoßen bist? Von allen Kapiteln über Liebe und Hoffnung, die du dir hättest aussuchen können, war es ausgerechnet dieses, das von Strafe und Zerstörung handelt. Als wärst du nicht dafür geschaffen, Glück zu haben. In dieser Hinsicht hätte ich dir nicht mehr beibringen können, als Arthur es getan hat. Ich bin selbst jemand, der eher das Unglück anzieht, Mathieu. Aber manchmal, ganz selten, zeigt mir dieses Unglück die Schönheit des Lebens. Glück ist etwas Wunderbares, und ich hoffe, dass du es irgendwann erfährst.

Ich habe ein Buch eines Mannes gelesen, der 1900 geboren wurde. Stell dir das vor, Mathieu. Er gehörte zu der unseligen Generation von Sterblichen, die beide Weltkriege miterleben mussten – wie du und ich, nur dass wir eben keine Sterblichen sind. 1944, kaum ein Jahr vor Kriegsende, wurde er in seinem Flugzeug über dem Meer abgeschossen. Er war nur einer der zahllosen Verluste, die wir alle zu beklagen haben, aber er ist etwas Besonderes. Ich habe sein Buch gelesen.

An solchen Tagen muss ich weinen, Mathieu. Über die Grausamkeit und die Schönheit dieser Welt, und wie hinterlistig sie es schafft, beides zu vermischen. Wie vergänglich, wie trügerisch das Glück sein kann und wie man sich in seinem Unglück verrennen kann, sich daran festklammern, bis man es aus eigener Kraft nicht mehr schafft, sich daraus zu befreien. Wenn wir uns einig gewesen wären, Mathieu, wenn wir uns doch nur einig gewesen wären... dann hätte so vieles anders sein können. Aber wir können uns niemals einig sein. Vielleicht ist es unser aller Schicksal, das Unglück anzuziehen.

Ich schicke dir ein Exemplar des Buches, das ich meine. Genau genommen ist es mein einziges Exemplar. Ich brauche es nicht länger, denn ich werde es nie wieder lesen können. Es würde mich zu traurig machen. Du bist jünger als ich, Mathieu, und doch hast du kaum weniger Unglück erfahren als ich. Dennoch will ich, dass du das Buch behältst. Es könnte dir gefallen. Du wirst nie erraten, wie es heißt:

Le Petit Prince.
 

(Francis spricht von Antoine de Saint-Exupéry, der „Der kleine Prinz“ geschrieben hat. Da ich kein Französisch kann, habe ich es nur auf Deutsch gelesen... jedenfalls habe ich geweint.

Dieser Brief war einer der ersten Texte, die ich für diese Geschichte überhaupt geschrieben habe, und jetzt ist sie mit über 40000 Wörtern abgeschlossen... ich muss das gerade mal hinschreiben, um es zu glauben. Nein, ich glaube es trotzdem nicht. Ach, übrigens, habe ich das eigentlich je erwähnt? Bonheur éphémère bedeutet soviel wie „vergängliches Glück“. Hoffe ich zumindest, denn ich kann noch immer kein Französisch.

Danke für die vielen Favoriteneinträge, Kommentare und die Fragen, wann es denn weitergeht. Ohne diese Unterstützung wäre die Geschichte nicht über das zweite Kapitel hinausgekommen, jedenfalls nicht in sauberer, hochgeladener Form.

Ich verbeuge mich vor dem Publikum. Vorhang, bitte.)


Nachwort zu diesem Kapitel:
Dass Alfred der Große bisher der einzige "große" englische König ist, ist eine Tatsache. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Der Textauszug in der Mitte ist tatsächlich aus der Bibel, die Geschichte von Sodom und Gomorrha (...wenn ihr was gegen Splatter habt, lest das besser nicht). Verse schreibe ich euch vielleicht ein andermal raus. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich sage es noch einmal, ich kann kein Französisch. Bitte korrigiert mich bei Bedarf.
Also gut, historischer Hintergrund: Wir befinden uns im Siebenjährigen Krieg (1756-1763). Der Krieg hat zwar in Europa (Preußen gegen Österreich) begonnen, verbreitet sich aber über britische und französische Kolonien (Indien, Nordamerika) um die ganze Welt. Großbritannien und Frankreich nutzen den Kriegszustand, um ihren schon lange schwelenden Konflikt um die Vorherrschaft in Nordamerika auszufechten. Mehr dazu nach der nächsten Maus. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Bien sûr: Ich wollte „naturellement“ schreiben, war mir aber nicht sicher, ob das geht... tja.
Was den historischen Hintergrund dieses Kapitels angeht, bin ich nach einigem Recherchieren völlig verwirrt. Ich glaube, es lief ungefähr so ab:
1759. Die Kämpfe zwischen Franzosen und Briten in Nordamerika sind in vollem Gange. Die Stadt (?) Quebec (das liegt in Kanada und ist heute noch französisch-sprachig, wisst ihr?) wird schon seit drei Monaten belagert. Der Eroberungsplan des britischen Heerführers James Wolfe sieht folgendermaßen aus: Die Briten sollen den St. Lorenz-Strom hinauf an der Stadt vorbei segeln und einige Soldaten sollen über einen schmalen Weg die Klippen hinauf klettern und die Wachen überwältigen. Danach sollen die anderen folgen und die Schlacht auf der Abraham-Ebene entscheiden. Ein sehr gewagter Plan, der aber anscheinend funktionierte – wenn auch nicht so, wie ich es beschrieben habe. Ich habe die Schlacht an sich ausgelassen und es bei dem Eindringen der Briten in die Festung belassen, weil ich nicht wusste, wie ich Klein-Mathieu (ab sofort also Klein-Matthew) auf einem Schlachtfeld unterbringen sollte. Deuten wir es als Freiheit in der Darstellung.
Meine erste Quelle sagt übrigens, Quebec sei der stärkste Stützpunkt der Franzosen gewesen, die zweite, die Stadt sei eher schlecht befestigt gewesen... wie gesagt, ich bin völlig verwirrt. Am Besten hört ihr überhaupt nicht auf mich, sondern seht selbst.
Verdammt, wie oft sagt Francis in diesem Kapitel Angleterre, und wie oft musste ich das kursivieren? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Nach der Eroberung Quebecs kontrollieren die Briten zwar ganz Kanada, aber der Krieg ist damit noch nicht beendet. Nur ein Jahr später belagern die Franzosen wieder Quebec. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Nach dem Siebenjährigen Krieg verlangt England Entschädigung von Frankreich und hat die Wahl zwischen den französischen Kolonien Guadeloupe (eine winzigkleine amerikanische Insel, auf der Zucker produziert wird) und Kanada (zweitgrößtes Land der Erde, zur Erinnerung). Ja, die Briten haben ernsthaft überlegt, ob sie nicht doch Guadeloupe nehmen sollten, da gab es immerhin Zucker. Aber letztendlich ist es auf Kanada hinausgelaufen.
Alfreds Teddy heißt Washington, nicht nach der Stadt, sondern nach George Washington (...nach dem die Stadt benannt ist, duh). George Washington hat einerseits im hier behandelten Krieg gegen die Franzosen gekämpft, andererseits aber auch später im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, nach dem er erster Präsident der USA wurde. Matthews Teddy heißt übrigens einfach Jean-Claude wegen weil. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
...das Auftauchen von Klein-Ludwig wandert aber mal direkt auf die Anachronismen-Liste. Verdammt. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Kennt ihr das Gefühl, nachts aufzuwachen und "nur mal kurz gucken" zu müssen, ob XY noch lebt? Schrecklich, sowas. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (26)
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Von:  Xulina
2012-07-22T15:00:38+00:00 22.07.2012 17:00
Was für eine rührende Geschichte. Q.Q
*öerst jetzt dazu gekommen bin sie zu lesen*
Ich konnte garnicht aufhören zu lesen, aber ab und an muss man ja auch noch andere Dinge erledigen.
Zumindes war es sowas von schön geschrieben!
Dein Schreibstil gefällt mir. Es lässt sich gut lesen und die Art, wie die Story aufgebaut ist, war auch spitze. Dass du dich an den Historischen Fakten so orietiert hat war wirklich unglaublich ! (das machen ja nicht grade SO viele)
Es war mal etwas anderes im vergleich zum restlichen Zeug, was es hier so zu lesen gibt. Zwar habe ich mich öfters gefragt, was Francis in der zwischenzeit so macht und ob Amerika klar wurde, dass er ihm als Kind begegnet war, aber so leicht ist das wohl nicht zu begreifen...
Die Sache in Quebec ging mir nur leider etwas zu schnell von statten. Erst war Iggy noch bei Alfed und dann stand er schon vor der Festung. Mit einer Pause dazwischen hätte ich das vermutlich anders gelesen, aber so war das etwas schnell. Der Zeitsprung, wo die beiden Jungs erwachsen wurden war da angenehmer gestaltet, weil es da auch ziemlich klar war. Es war sozusagen in den Verlauf der Geschichte besser eingeschlossen und nicht so plötzlich.
Gegen Ende habe ich mich dann nur gefragt, was den aus Matis Buch geworden ist.

Dem Buchtip von Francis wollte ich schon länger mal nachkommen. Ich hab als Kind viel zu viele andere Sachen zu lesen gehabt... XD
Vielleicht schaffe ich es ja mal.
Von:  Stubsii
2012-06-30T19:02:33+00:00 30.06.2012 21:02
Das Ende QAQ Ich kanns ganich glauben.
Ich war so oft zu Tränen gerührt ...
Am Anfang hab ich sogar noch meine Meinung Francis gegenüber geändert O.O
Jetz mag ich ihn sogar ein bisschen...
Ich fands toll dass Matthew Arthur geholfen hat nur ... Francis QAQ
Aber insgesamt so eine geile Fanfic die is wahnsinniger wahnsinns wahnsinn *-*
Von:  NukeUke
2011-12-17T22:21:08+00:00 17.12.2011 23:21
xD Ha, ich wusste von wem du redest und Ha! Ich habe es auf Französisch gelesen und nochmal HA! ich weiß was Bonheur éphémère heißt xD *sich toll fühlt*

Aber Ende?
Q_Q
Dass kannst du mir doch nicht antun!
*schnief*
*dich durchschüttelt*
Wie kannst du nur?
Q_Q Du hasst mich!!!!!!!!!

Aber wirklich eine sehr schöne Geschichte <33

Von:  ludglud
2011-12-12T17:45:55+00:00 12.12.2011 18:45
Hi!^^
Wie es aussieht bin ich nach langer Zeit von den Toten auferstaden. In der Zeit warst du sehr fleißig gewesen. An dieser Stelle ein fettes Danke Schön an dich!:)
Nun neigt sich die Geschichte zu ihrem Ende. Bin ein wenig traurig, denn es hat wirklich Spaß gemacht sie zu lesen. Aber alees hat sein Ende. Ich mochte den Ausgang dieser Story: Letztedlich bekommen Arthur und Francis nicht mehr Nutzen als den, den sie am Anfang hatten, dafür aber einen tiefen Schnnitt in ihr Herz, den sie sich gegenseitig zuverdanken haben... (philosophisches Rumgeschwafel meinerseits ^^')

Hach ja was soll ich noch sagen: Eine tolle FF!
PS:Hast du noch vor Kontakt weiter zu schreiben?
Von:  NukeUke
2011-12-10T10:21:56+00:00 10.12.2011 11:21
Nieder mit Francis xDD
*knuffel*
Das ist wirklich toll das Kapitel <33

Mir hat es voll gefallen dass Matthew Arthur geholfen hat <33
Und dennoch kann sich der Depp nicht seinen Namen merken!
*aufreg*
*knuffel*
Von:  NukeUke
2011-12-02T22:13:27+00:00 02.12.2011 23:13
Matthew war jemand, den man eher dann bemerkte, wenn er weg war, als dann, wenn er tatsächlich da war.

Das ist eine wirklich schöne Stelle in der FF <33 x33
*die mag*

Denk dran!

1812 war der Krieg zwischen Kanada und USA, wo Kanada dann doch für England kämpfte und gewann xDD
Von:  NukeUke
2011-11-29T21:24:32+00:00 29.11.2011 22:24
Ich fand es nicht verwirrend!
<33
Ich fand es toll auch wenn mich Shippuuden jetzt im ersten Moment voll an Naruto erinnert hat *kuller*

Aber schön geschrieben x33
Von:  NukeUke
2011-11-27T20:07:56+00:00 27.11.2011 21:07
Ooooh wie toll!
Dramatik, wenn auch nur in Arthurs Traum, aber dass hat mir richtig gut gefallen, dass Alfred mal links liegen gelassen wurde und Matthew dafür mal kurz Arthur´s "Liebling" war <33

Jetzt muss der Traum nur real werden und ich werde dir dafür die Füße küssen xD *knuffel*

Schön weiterschreiben!
*gespannt aufs Nächste Kapitel ist*
Von:  NukeUke
2011-11-25T21:36:57+00:00 25.11.2011 22:36
Q_Q Wo ist die Dramatik?
*schnief*
*dich durchschüttel*

Mattie hätte doch nichts bekommen können,
weil Arthur ihn vergessen hat!
Oder jetzt kommt Francis und entführt Matthew!
*freusel*
<3

Na wie auch immer xD
Schönes kapitel <3
Von:  ludglud
2011-10-26T19:47:58+00:00 26.10.2011 21:47
Hallo,
Seit langer Zeit nicht mehr kommentiert :/
Dafür aber jetzt ^^
Ich habe mich schon gefragt, wie du denn "Streit" oder das "Familienproblem" (ich weiß nicht was das richtige Wort dafür wäre, es geht auf jeden Fall um die "Independence", ne)darstellen wolltest. Gefällt mir bisher :D
Der arme Arthur! Wenn er dem einem es recht machen möchte, sieht der andere sich im Unrecht :( Aber so ist das ja bei kleinen Kindern.

Bei der Stelle wo Alfred am Flussufer sitzt und über Arthur schmollt und wo François auf getaucht war, hatte ich so ein "Star-Wars-Komm-zu-Dunklen-Seite-Anakin"-Feeling (Ja, meine Fantasie ist komisch xD). Gruselig, aber ziemlich war was das geschichtliche angeht, ja...

Ganz am Ende jedoch finde ich das ein weinig übertrieben (also, dass Matthew Alfred tot sehen möchte). Sorry! :/

Ansonsten, super Kapitel! Mir hat's Spaß gemacht es zu lesen :) Freue mich, dass du das bis Dezember schreiben willst. Du wirst es schon irgendwie schaffen *bestechungskekse reich*

LG,
ludglud

Übrigens, die randome Information über Romano hat mich gekillt xDDDDDD
Welche Folge war das?


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