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shaping fate

von

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Die wahre Geschichte

Zog ein Mensch aus, mit Titanen zu ringen – welche Chancen sollte er sich ausmalen, heil aus dieser Sache herauszukommen? Wie sehr sollte er hoffen, dass alles nach Plan verliefe? Dass es überhaupt einen Plan gäbe? Mit wie vielen Abweichungen, wahrscheinlich und unwahrscheinlich, sollte er rechnen? Wie häufig einplanen, dass unmöglich Geglaubte wahr werden zu sehen und das Unschaffbare zu vollbringen?

Ithildalin war zufrieden.

Die Dinge könnten besser sein, wirklich. Aber ihm war mehr als nur bewusst, um wie viel schlechter sie auch hätten sein können.

Ja, es schmerzte. Sehr.

Jeder Atemzug brannte in seinen Lungen. Vielleicht, weil sein Verstand noch nicht ganz realisiert hatte, das Atmen wieder eine Notwendigkeit war. Weil sein Körper ringend und würgend und krampfend ihm die einzelnen Schritte aufzeigen, sie ihm neu lehren musste. Selbst, wenn es nur für diese letzten paar Stunden sei.

Seine Muskeln schmerzten. Vielleicht, weil er in all den Jahrhunderten seiner Existenz keinerlei Körpergefühl mehr gehabt hatte, das jenseits von Belastung lag. Keine Freude über die greifbareren Genüsse, kein Schmerz, keine Wohltaten bei dessen Linderung. Vielleicht mussten seine Muskeln einfach schmerzen. Um ihn daran zu erinnern, dass sie da waren.  Vielleicht aber lag ihr Aufbegehren auch in dem Umstand begründet, dass sie in den letzten Stunden, Tagen gar, so viel Arbeit hatten leisten müssen. Rennen, ducken, Streich auf Streich. Parade, Abwehr, Entwaffnen, Finale.

Seine Augen brannten vom Licht. Und sie tränten. Er spürte die Flüssigkeit in seinem Augenwinkel, wie sie sich sammelte, sein Sichtfeld am Randbereich schwammig machte, unscharf. Als würde man die versunkenen Schätze am Grund eines klaren Sees betrachten. Es machte die Barriere zwischen seinem Bewusstsein und dem Rest der Welt so deutlich, wie sie seit langer, langer Zeit nicht mehr gewesen.

Jedes Härchen konnte er spüren, glaubte es jedenfalls, als einzelne Tränen sich lösten. Über seine Schläfe wanderten. In den Haaransatz einsickerten. Irgendwann diesen genug durchtränkt hatten, damit neue Perlen salzigen Wassers sich unangenehm in sein Ohr vorarbeiten konnten.

Ein Tuch wischte darüber und erlöste ihn von dieser Lästigkeit.

Ein Teil der Tränen mochte aus den Schmerzen geboren worden sein. Ein Teil aus dem Bewusstsein, das es zu Ende ging und wie alles, das lebte oder je gelebt hatte, fürchtete auch er das Ende. Doch er entschied sich, etwas anderes zum Fokus seiner Gedanken zu machen. Zweierlei sogar – denn wenn er etwas in seiner Zeit hier in Arvum gelernt hatte, dann wie man sich adäquat auf zwei Dinge zugleich konzentrierte, ohne eines von beidem zu vernachlässigen.

Zum einen war da das warme Gefühl von Wachstum, irgendwo weit, weit weg. Beruhigend auf eine Weise, die er nicht in Worte zu fassen fähig gewesen wäre, selbst hätte er es gewünscht und versucht. Zum anderen war da jene vorsichtige, zögerliche Hand, die das Tuch über sein Gesicht geführt hatte. Ihm nun in den Nacken griff und ihn aufrichtete. Ihm den Tonkrug an die Lippen setzte und ihm half, ein paar Schlucke Wasser herunter zu würgen, ehe er vorsichtig wieder auf dem Kissen abgelegt wurde.

Und an der Hand hing eine Arien. Der jene Hand gehörte.

Was für ein Zufall.

„Ich… ich verstehe das einfach nicht“, flüsterte sie beklommen.

Er konnte ihr den Ton schlecht verübeln. Ebenso wie ihre eigenen Tränen – auch wenn er nicht für möglich gehalten hatte, das jemals wieder irgendwer ihm nachweinen würde. Nicht nach allem, was er getan hatte. Nicht nach allem, wozu er fähig geworden war. Nicht nach allem, was er sich angeeignet, wozu er geworden war.

Und dennoch saß sie dort. Weinte um ihn in ihrer Hilflosigkeit. Gebadet in ihrer Hoffnungslosigkeit. Ertrinkend im Gefühl der fehlenden Macht. Sie, die über die letzten Monate hinweg Sprünge hingelegt hatte, die für nichts Lebendiges möglich sein sollten. Sie, die wider aller Chancen und Wahrscheinlichkeiten Getreue gesammelt, Widerstände überwunden oder schlicht gebrochen hatte. Sie, die hier saß, obwohl sie dutzendfach unter der Erde von Würmern zerfressen hätte werden müssen.

Sie, die es in so kurzer Zeit in die Riege der Mächtigsten geschafft hatte, hatte trotz allem einfach nicht genug. Nicht genug Wissen, nicht genug Macht, nicht genug Hilfe, nicht genug Verständnis. Sie wusste ja nicht einmal, was ihr eigentlich fehlte.

Und Ithildalin wusste es. Er spürte, dass es Zeit war. Zeit für eine letzte Geschichte.

„Lass mich dir erzählen“, setzte er krächzend an. Er brach kurz ab, räusperte sich. Bemühte sich mit Ariens Hilfe nochmals, ein paar Schluck Wasser zu trinken. Dann, ein oder zwei Minuten später, fuhr er der Schmerzen ungerührt fort. Wie hätte er auch nicht gekonnt? Jahrhunderte der Ignoranz ließen sich nicht einfach abschalten. Und dankbar sollte er sein und war er auch, sich von den Leiden seines eigenen Leibes so wenig beeindrucken oder hindern zu lassen. „Lass mich dir erzählen“, wiederholte er bemüht, „wie ich vor langer, langer Zeit die Erste ihrer Art fand…“

 

Grüneburg hieß das Kaff. Du würdest es nicht kennen, wärst du selbst in Ceryddwin geboren worden. Es war so bekannt, so berühmt und berüchtigt, dass wir selbst Leuten aus den Nachbardörfern üblicherweise auf die Frage, woher wir kämen, mit dem Namen der nächstgrößeren Stadt antworteten. Das machte es für alle Beteiligten leichter, trug aber natürlich nicht gerade dazu bei, dass meine Heimat bekannter wurde.

In Grüneburg war das Leben, wie ich gerne behaupten würde, eigentlich ganz in Ordnung. Wir hatten die tiefe Ruhe ländlicher Gegenden, mit dem Blöken von Vieh und dem Fluchen der Leute, die in Kuhfladen getreten waren. Oh, und Hähne. Diese verdammten, mistigen Hähne.

Aber auch, wenn uns die Hektik der größeren Städte erspart blieb, wir sogar von vielen Neuigkeiten des Landes und manchem seltsamen Wandel verschont wurden, spürten wir doch selbst dort, was seinerzeit vor sich ging.

Ceryddwin lag im Krieg.

Um ehrlich zu sein… diese ganze Angelegenheit ist wirklich bei weitem zu lange her, als das ich noch sonderlich gut wüsste, gegen wen wir eigentlich kämpften. Oder für wen. Oder weshalb überhaupt.

Es war kein Kampf, der auf unserem Grund und Boden geführt wurde. Junge Männer – und weil Ceryddwin nunmal Ceryddwin war – auch allerhand hitzköpfige junge Frauen zogen scharenweise zu den größeren Städten, bekamen frisch geschmiedete Schwerter und Lanzen, frisch gebeizte Bögen und frisch beschlagene Lederrüstungen, ehe sie auf frisch zusammengeworfene Schiffe verladen worden, um irgendwo jenseits der Meere in den Kampf zu rennen. Und für die meisten hieß das auch, in den Tod zu rennen. Das hielt natürlich, wie immer schon, die Jugend nicht davon ab, nach Ruhm und Reichtum zu trachten, nach Glorie und danach, sich einen Namen in der Welt zu machen, der irgendwann groß genug wäre, selbst in Geschichtsbüchern und Statuen verewigt zu werden.

Ich? Ich war keiner von denen.

Ich war nicht nur damals schon zu alt, um als Jungspund zu gelten, nein. Ich war zudem bodenständig. Denn solche Leute brachte Grüneburg hervor. Trotzige, sture, ehrliche, aufrechte, bodenständige Knaben und Mädels. Wir hätten auch Zwerge sein können, wirklich.

Das hieß nur nicht, dass wirklich alle so waren. Selbst innerhalb jener gewissen, überschaubaren Konformität gab es natürlich Extreme. Und da wiederum gehörte ich sehr wohl dazu. Denn ich, ich war meines Zeichens Abenteurer. Jedenfalls befand ich das so. Üblicherweise hieß das, dass ich mir meine Flöte, eine Viola und eine Trommel schnappte und mit ein paar Freunden aus der Umgebung einen Abenteurertross formte. Alle paar Jahre zogen wir für ein paar Monate quer durch Ceryddwin und versuchten, uns nicht mit unserer eigenen Dummheit umzubringen.

Verglichen mit allem, was wir hier in Arvum durchhaben, ist das damals wirklich harmloses Geplänkel gewesen. Auch wenn’s uns natürlich nicht so vorkam. Wir hatten ausgehungerte Wolfsrudel, die in Dorfnähe getrieben worden waren. Warum? Na weil die Riesen sie verdrängten. Und was hatten die im Vorgebirge so weit unten zu suchen? Na weil eine Lawine den Pass zu ihren Höhlen versperrt hatte. Also hieß es, die Wölfe von den Schafsherden fern zu halten, mit Riesen zu verhandeln und, der lästigste Teil überhaupt, mit Schaufeln in Schnee herumzubuddeln.

Wirklich, es war eine glorreiche Zeit. Wir haben viel Gutes geleistet, rede ich mir selbst heute noch gerne ein. Im großen Kontext gesehen immer noch nur Tropfen auf den heißen Stein, wirklich. Probleme sind wir Unkraut: Sie wachsen dort nach, wo du sie herausreißt. Aber wir waren ein klein wenig idealistisch und überzeugt, dass wir das Richtige taten. Das hieß allerdings nicht, dass wir Chorknaben gewesen wären.

Uralte zwergische Ruine, angeblich verlassen? Na suchen wir doch mal nach ein paar halb vermoderten Flinten, die man an irgendeinen Schmied oder Mechaniker verkaufen könnte!

Seltsame, angeblich verfluchte elbische Grabstätte? Verflucht heißt nur, dass da lange keiner mehr nachzusehen gewagt hat – also dürfte da sicherlich noch was zu holen sein!

Es gibt nicht immer nur Schwarz und Weiß. Aber wenigstens begnügten wir uns damit, die Vergangenheit und die Toten zu plündern, statt die Gegenwart mit ihren Lebenden.

Es war im Sommer, denke ich. Ich kehrte auf unseren Hof zurück, hatte frisch einen kleinen Teil meines kürzlich erworbenen Vermögens in einen stattlichen Vorrat an Antidot investiert. Man wird paranoid, wenn man nur oft genug von irgendwelchen giftigen Spinnen in uralten Grüften attackiert worden ist. Und das, das war nicht irgendeine alchemische Mixtur, wirksam gegen Kreuzspinnen-, Altweiberspinnen- und Blutmondspinnengift. Nein, das war die magische Version, potent und fähig, einfach alle Gifte zu kurieren. Ich war regelrecht stolz auf diese kluge und vorausschauende Investition in mein zukünftiges Überleben.

Jasmin war weniger begeistert.

Sie war… die schönste Frau, die mir je unter die Augen trat. Ich weiß, sowas sagt jeder dritte Kerl von seinem Weib. Und ich bin ehrlich genug mit mir selbst und ihr, um zu wissen, dass diese Schönheit nicht von ihrem Aussehen allein herrührte. Sie war klug. Gewitzt. Schnippisch, oftmals. Und vielleicht die wichtigste Qualität, die ich an ihr festzustellen vermochte und die mich letztlich dazu brachte, sie zu heiraten? Sie hielt es mit mir aus. Mir, einem Freizeit-Vagabunden. Dem der Hof und Grüneburg zu eng war und der ständig mit ein paar anderen Holzköpfen auszog, sich der Gefahr in den Rachen zu werfen, in der Hoffnung, auch verdreckt bis zur Unsäglichkeit, aber lebendig und in einem Stück am anderen Ende wieder herauszukommen.

Äußerlich war sie ein hübscher Fang, da will ich wirklich nicht meckern. Lange, braune Haare, die ihr in sanften Wellen bis zu ihrem hübschen, üppigen Hintern reichten. Eisblaue Augen. Schmale Lippen. Ein schlanker Hals und die schönsten Schultern, die mir je unterkamen. Ich wusste nie, wie attraktiv Hälse und Schultern sein können, bis ich sie das erste Mal tanzen sah. Im Gegenzug war ihre Brust nicht so üppig, wie ich es mir erhofft hätte und sie hatte wirklich lange Finger, es gereichte mir oft genug zu kleinen Neckereien. Beides.

Und ich liebte sie wie niemanden zuvor oder seither.

Jasmin schenkte mir im Laufe der Jahre zwei Töchter. Sie beschwerte sich scherzhaft, dass ich ihr einfach den Sohn verwehren würde, den sie sich gewünscht habe. Ich erwiderte üblicherweise, dass ich auf meine drei Töchter bestünde, ehe sie ihren Sohn haben dürfe. So viele Zicklein ertrüge sie aber nicht, konterte sie dann meist und- oh, nun, du kannst es dir sicherlich ausmalen.

Yennefer und Mila lagen drei Jahre auseinander. Yennefer war dreizehn. Und ständig musste ich die Jungs von ihr fern halten. Also… ständig, wenn ich denn dann mal da war.

In ihren Augen war ich ein Held. Eine makellose Ikone. Retter ganz Ceryddwins.

Mir war immer klar, dass der Tag kommen würde – einfach kommen musste -, an dem sie anfangen würden, das zu hinterfragen. Zu zweifeln. Die Augen zu öffnen und selbstständig zu denken. Aber ich schätze, ich habe mich dahingehend ein wenig schuldig gemacht. Ich liebte es. Ich liebte sie. Ich liebte, wie sie mich vergötterten. Wie ich jedes Mal, wenn ich zurückkehrte und am Abendbrottisch von meinem Ausflug erzählte, zum Dreh- und Angelpunkt ihrer ganzen Welt wurde.

Sie wurden der Geschichten nie müde. Maßlose kleine Monster. Also erzählte ich und erzählte ich und erzählte ich. Und wenn mir die tatsächlichen Geschichten ausgingen, dann erfand ich einfach welche dazu.

Ich denke, Yennefer war alt und klug genug, um begriffen zu haben, dass längst nicht alles, was ihr alter Herr ihr erzählte, den Tatsachen entsprach. Aber statt mich bloßzustellen, mir Lügen vorzuwerfen oder mich aus Trotz und Kränkung heraus zu sabotieren… stimmte sie mit ein. Warf mir den Ball zu, mit kleinen Fragen, Kommentaren am Rande. Wir machten die Erzählungen für Mila noch so viel spannender.

Ah, verzeih. Da sieht man die Schwäche des Lebendigen: Ich verfalle plötzlich in Nostalgie.

Dabei geht es hier gar nicht um Grüneburg oder meine Familie. Nun, Letzteres schon irgendwie. Also, wo waren wir? Ah ja, genau. Jasmin war nicht sonderlich begeistert, als ich diesmal zurückkehrte. Nun, von der Rückkehr selbst schon – von den Tränken weniger. Sie fragte mich eindringlich, wieviel die wohl gekostet haben mochten. Ob die schlecht werden würden wie Milch, die man zu lange stehen ließ. Woher ich wissen wolle, ob der verdammte Wandermagier mich nicht übers Ohr gehauen hätte. Vielleicht war das ja einfach nur blaue Pisse mit draufgezaubertem Licht.

Aber ich war Abenteurer. Und Barde. Und wusste und kannte manches. Viel meines arkanen Wissens entzog sich ihr völlig. Klug wie sie auch war, das war eine Welt, die ihr verschlossen blieb. Verglichen mit dem heutigen Stand erscheint mir mein damaliges Wissen lächerlich gering – und dennoch war ich in unserer Gruppe der angesehene Experte für arkane Dinge und Angelegenheiten. Ganz zu schweigen davon, dass ich die Moral hoch hielt – und die möglicher Gegner unten.

Ein paar Tage der üblichen, wundervollen Routine waren mir beschieden. Ich jagte Jasmin jede Nacht durch die Laken – irgendwann würde ich ja wohl sicherlich noch meine dritte Tochter bekommen! Am Tag ging ich ihr auf dem Hof zur Hand. Ich hatte zwei linke Pfoten, wie sie mich gerne und oft wissen ließ. Aber das hieß nicht, dass ich nicht immerhin fähig wäre, Dinge von A nach B zu tragen. Balken C einfach nur lange genug in Position zu halten, bis sie Handgriff D erledigt hatte. Ich verstand vom Vieh nichts und vom Acker noch viel weniger. Mein Beitrag dazu, uns in gutem Mittelstand zu halten, waren eben jene Ausflüge, die sie mir selten nur ernsthaft zum Vorwurf machte. Ich war vielleicht monatelang weg – aber ich brachte hübsche kleine Beutel mit, wenn ich zurückkehrte. Gefüllt nicht mit Kupfer oder Silber, sondern Goldmünzen. Stets genug, um ein paar Wochen oder Monate über die Runden zu kommen – und meist zog ich vorher schon wieder los.

Ein paar Tage der Rückkehr in den Himmel. Ich wusste sie zu nutzen und zu genießen. Und dennoch zweifle ich, bis heute, ob ich nicht vielleicht irgendwo etwas hätte anders machen können. Vielleicht mehr Zeit mit Yennefer und Mila verbringen. Vielleicht Jasmin einmal öfter sagen, dass ich sie liebe, als ich es tat. Vielleicht, vielleicht, vielleicht. Spielt keine Rolle mehr. Nicht jetzt.

Grüneburg sah selten Soldaten.

Wenn der Steuereintreiber kam, dann in der Regel mit zwei Mann, die oft genug nicht mal ihre Rüstungen trugen. Auf das Pferd geschnallt, sicherlich. Aber das war eine gute, ruhige Gegend. Sie hatten die Schwerter in den Satteltaschen, sie hatten die Rüstungen in den Satteltaschen. Manchmal trugen sie die Armbrüste und gelegentlich auch den Helm. Das sah wirklich absurd aus, so ganz ohne den Rest – aber es genügte, deutlich zu machen, dass man pöbeln und anmaulen könne, wen immer man wolle… aber bei denen sollte man’s vielleicht nicht gerade übertreiben.

Der Rekrutierer kam natürlich auch gelegentlich durch. Unregelmäßig, je nach Bedarf. Zwei Jahre zuvor hatte er uns besucht und ein paar der jungen Leute mitgenommen. Wir erwarteten also bis zum Herbst niemanden mehr. Und sie kamen dennoch. Ein Bote mit einer Eskorte von sechs Mann. Schwer gerüstete Soldaten, leichtfüßige, belastbare Pferde. Der Bote kaum an die zwanzig Jahre alt, aber die Miene so ernst und vom Wetter gezeichnet, dass man ihn gut für dreißig hätte halten können.

Dass sie ins Dorf einritten wie Eroberer sorgte schon für genug Furore und Gerede. Dass sie sich dann auch noch bis zu mir durchfragten, nun… für ein paar wenige Stunden galt ich bei manchem als Schwerverbrecher, möcht‘ ich meinen. Ich lud ihn natürlich ein, ich bin nicht lebensmüde. Wenn die Eskorte des Steuereintreibers schon bemüht war, ernst drein zu schauen – diese Kerle waren es. Sie sicherten den Eingang, die Hintertür. Zwei Mann blieben immer im gleichen Raum wie wir.

Er verlangte, dass ich Jasmin rausschicken würde. Sie war natürlich besorgt. Sehr. Ich hatte bis dahin nur teilweise erzählt, was auf meiner letzten Reise geschehen war. Zugegeben wirklich nichts, das Aufsehen erregt hätte. Schon gar nichts in einer Preisklasse, dass so etwas rechtfertigen würde. Aber woher hätte sie das wissen sollen? In ihren Augen war deutlich, dass ich in Schwierigkeiten steckte. Und weil ich so ein charmantes Großmaul bin – damals schon war -, konnte ich ihr den Gedankensprung schlecht vorwerfen.

Sie wollte bleiben. Wollte es erfahren, hören, selbst sehen. Sie ging soweit, sich mit einem Boten anzulegen, der eine ziemlich offizielle Tasche trug, auf einem ziemlich wappenträchtigen Pferd daher kam und mit einigen gut gerüsteten und grimmig drein schauenden Männern unser Haus umstellt hatte.

Ihr Haus sei das, meinte sie. Sie würde sich nicht darin herumkommandieren lassen. Er sei lediglich Gast und lasse es in jener Rolle gerade gehörig an Manieren mangeln.

Ich liebe ceryddwin’sche Frauen. Ein Teufel könnte sich vor ihnen aus dem Boden heben und sie würden ihn beim Ohrläppchen packen und für die Dreistigkeit, ihren Rasen anzuzünden, durch die Gegend ziehen – bis er eingestand, den Schaden zu reparieren.

Der Bote schien dennoch überrascht, wie wenig Bedeutung sein Stand und Status in unserem Haus zu haben schien. Und wie wenig Einspruch ich erhob. Erst als er betonte, wirklich nachdrücklich betonte, dass es nicht gut sei, diese Sache aufzuschieben oder sich ihm zu widersetzen, schritt ich ein.

Irgendwas an dem Kerl gefiel mir einfach nicht. Ich wollte ihn aus dem Haus haben, schnellstmöglich. Und wenn dazu Jasmins Abwesenheit nötig war – dann musste sie eben kurz nach den Kindern schauen gehen.

Das wiederum gefiel ihr natürlich nicht, aber sie vertraute mir. So wie ich ihr.

Unter acht Augen erzählte er mir dann, weshalb er da sei. Offenbar hatte ich mir ein klein wenig einen Ruf außerhalb unserer Gegend gemacht. Wie gesagt – wir zogen quer durchs Land. Mein Name musste oft genug irgendwo hängen geblieben sein.

Er hätte einen Auftrag für mich. Einen Auftrag für Ceryddwin selbst. Er verzog natürlich reichlich das Gesicht, als ich fragte, ob das bedeuten würde, dass es zwar jede Menge Nationalstolz, aber ganz sicher keine einzige Münze zum Lohn gäbe. Leute wie er hoffen immer auf ein gutes Geschäft. Und ein gutes Geschäft ist nur eines, das nicht bezahlt werden muss und widerstandslos einseitig funktioniert. Aber ich war kein Dummkopf. Ich hatte eine Familie zu ernähren.

Abseits dessen… ich war gerade erst zurückgekehrt. Mir war klar, dass ich seinen Auftrag nicht ablehnen können würde. Er würde versuchen, mich zu kaufen. Er würde im Dorf bleiben, um weitere Überzeugungsversuche starten zu können. Wir hatten kein Gasthaus. Also würde er seine Männer bei anderen Leuten einquartieren, die sicherlich begeistert gewesen wären – oder hätte sie auf unserem Land lagern lassen, wovon Jasmin sicherlich begeistert gewesen wäre. Über kurz oder lang hätte es Unruhe geben können. Ganz zu schweigen von der Aussicht, dass er mich einfach von einem seiner Männer packen lassen, über den Pferderücken werfen lassen und mich verschleppen würde.

Dem Land zu dienen ist nicht immer ein Privileg – wenn die Tiere, die hoch genug waren, es für nötig befanden, dann wurde daraus gelegentlich eine Bürgerpflicht.

Zu meinem Glück war er auf eine gierige Seele besser vorbereitet als auf eine Störrische. Jeder andere in Grüneburg hätte ihm den Marsch geblasen und sich mit ihm angelegt. So waren wir eben.

Er bot mir ein Ledersäckchen an. Ich nahm es, öffnete es und hätte lachen wollen. Ein Haufen Silbermünzen. Ob er mich für einen Grünschnabel halte, verlangte ich amüsiert zu wissen. Völlig humorlos forderte er mich auf, die Münzen genauer zu inspizieren. Und siehe einer da: Das war kein Silber. Das war Platin.

Ich hatte bis zu diesem Tag nicht mal eine Platinmünze gesehen, ganz zu schweigen davon, eine zu besitzen.

Das sei die Vorkasse, meinte er. Zur Vorbereitung auf die Reise. Es gäbe nochmal dreimal so viel, wenn ich erfolgreich zurückkehren würde. Bei dieser Formulierung schwante mir schon Übles, aber ich beließ es erstmal dabei. Das war… eine Menge Geld. Ich würde für Jahre das Reisen bleiben lassen können. Ich würde endlich mal ein ganzes Jahr bei meinem wundervoll vorlauten Weib und meinen zwei angemessen verzogenen Engeln bleiben können. Es war verlockend – und viel Wahl hatte ich eh nicht.

Ich fragte, ob ich andere mitnehmen dürfe. Immerhin hatte ich da schon ein paar Kandidaten im Hinterkopf – meine Truppe eben. Er teilte mir unumwunden mit, dass ich das vergessen könne… offenbar hatten sie die alle vor mir schon gefragt. Allesamt wollten sie lieber bei ihren Familien bleiben.

Einen Moment fragte ich mich, ob das hieße, dass ich auch einfach ablehnen könne. Aber ich dachte nach und besann mich. Haggard war zwar unser Mann fürs Grobe, aber seit diesem Pfeil im Knie hatte er Schwierigkeiten, ordentlich zu laufen. Treppensteigen war eine Hürde und bei kaltem Wetter schmerzte sein Bein. Brunhilde verstand sich zwar prächtig auf Fallen, aber als wir sie in Andergast abgeliefert hatten, sah sie wie eine wandelnde Leiche aus. Lungenentzündung, wahrscheinlich. Bertram war unehrenhaft entlassener Offizier – dem Braten traute man also nicht über den Weg. Und Maximilian kam nach allem, was wir wussten, gerade rechtzeitig zurück, um die Geburt seines dritten Kindes mitzuverfolgen. Nur ein herzloser Bastard hätte ihn da weggerissen.

Ich dagegen? Jasmin kam prima zurecht, das bewies sie mühelos. Yennefer und Mila waren in keinem kritischen Alter. Und dann sagte mir da auch das Bauchgefühl, dass dieser Kerl es leid war, vertröstet, abgelehnt und weitergeschickt zu werden. Also hakte ich erstmal nach, was ich nun für Ceryddwin machen solle.

In eine Krypta einbrechen. Wirklich kein großes Ding – hatten wir dutzendfach getan. Für den Preis allerdings… musste da was seltsam sein. Also bohrte ich.

Offenbar befand sich darin irgendein unglaublich mächtiges magisches Dingsda. Meine Worte, nicht seine. Er wusste nicht, was es war. Wirklich und aufrichtig. Er hatte keinen Schimmer. Man hatte ihn ausgesandt, jemanden zu finden, der was-auch-immer barg. Und man erhoffte sich von was-auch-immer, dass es den Krieg zu Ceryddwins Gunsten entscheiden würde. Oder unseren Sieg beschleunigen würde. Oder irgendwie sowas.

Gefunden worden und möglicher Fallen wegen nur oberflächlich untersucht worden sei das Ding wohl kürzlich erst von einem Wandermagier und irgendwie musste ich an Ludolf denken. Der alte Drecksack hatte mir die Antidot-Tränke verkauft. Er hätte sicherlich auch für zwei, drei Kupfer mehr seine Großmutter verschachert. Aber so zwielichtig er auch war, er hatte Expertise. Wenn er also meinte, dass da was hochgradig Magisches war, dann war es wahrscheinlich dort. Wenn er sagte, dass da keine Wächter wären – keine Lebendigen, jedenfalls -, dann waren da keine.

Ich ließ meinen Verdacht kurz von einer Beschreibung des Magiers bestätigen und konnte mich des Gedankens nicht erwehren: Ceryddwin war ein verdammtes Dorf.

Das hieß, dass ich Haggard nicht bräuchte, nicht unbedingt. Ein wuchtiger Hammer in einer labilen Ruine – unglückliche Kombination. Brunhildes Bogen war auch nicht nötig. Ihre Gebete hätten vielleicht was ausrichten können, aber da würde ich wohl ohne auskommen. Und Maximilian, naja. Nichts gegen den guten Maximilian, aber bei vielen Fallen kann man den Bastler gut und gerne mit einem Stock ersetzen, solange der nur lang genug ist.

Und um magischen Schnickschnack konnte ich mich ja durchaus selbst kümmern.

Das letzte Detail, der letzte Nagel im Sarg, war die Gegend. Kaum eine halbe Woche zu Pferd entfernt. Das war quasi ein Katzensprung.

Die ganze Sache – einschließlich meiner Beschlüsse – Jasmin zu verkaufen, das war der knifflige Teil. Dieser Bote, der nahm nach meiner Zusage einfach meine Unterschrift auf das Dokument auf und zog mit seinen Männern ab. Drei Wochen hätte ich Zeit, so meinte er, um das Ding in Andergast abzuliefern. Halbe Woche hin, eine Woche nach Andergast – wenn alles gut lief, würde ich nicht mal die Hälfte der Zeit brauchen.

Also verabschiedete ich mich von Jasmin am Tag darauf. Yennefer und Mila waren traurig, klar – aber ich konnte sie leicht damit aufheitern, dass es nur ein kurzer Ausflug wäre. Ich wäre schnell wieder da und dann… dann würde ich ganz lange bleiben. Und hätte wieder ein paar neue, spannende Geschichten.

Jasmin ließ sich leider nicht so leicht mit Geschichten ködern. Sie war unzufrieden. Und besorgt. Ihr gefiel die ganze Sache nicht. Nicht zuletzt, weil wir so wenig wussten. Was für eine Krypta war das? Woher wussten sie, dass es eine Krypta war? Wer lag da begraben? Gab es Fallen? Was für Fallen? Warum hatte Ludolf sich das nicht vollständig angeschaut oder das Ding gleich selbst geborgen? Warum gab es so viel Geld, wenn so wenig zu tun war? Und natürlich, nicht zuletzt: Was war es eigentlich genau, was ich von dort unten holten sollte?

Ich tat, was jedes Arschloch an der Stelle tun würde. Ich bitte um Verzeihung – was jeder gute, aufrechte Ehemann täte.

Ich bat sie, mir zu vertrauen.

Eine Fangfrage, wie dir sicherlich klar ist. Entweder kündigst du das Vertrauen auf – dann ist alles scheiße. Oder du vertraust und musst den Mund halten – was auch scheiße ist, aber wenigstens nur für einen von beiden. Und wie das nun zu erwarten war… entschied sie sich, den Mund zu halten.

Zugegeben, das lag mir auf der Reise auch ziemlich im Magen. Ich trieb sie ungern so in die Ecke. Aber gerade, wenn es um Vernunft ging, war ich ihr argumentativ üblicherweise schlicht unterlegen und ausgeliefert. Meist ließ sie mich einfach davon kommen. Wie ein Löwe, der die Gazelle eher aus Langeweile gefangen hatte und sie wieder frei ließ, weil er keinen wirklichen Hunger hatte. Aber an diesem Punkt, das wusste ich, spürte es einfach, da hätte sie mir die Hölle heiß gemacht, hätte ich sie gelassen. Sie hätte meine Idiotie zerpflückt und in der Luft zerrissen.

Dabei gab es doch überhaupt keine Wahl. Ich wusste es. Sie wusste es. Und sie hätte mich ebenso in die Ecke gedrängt. Ich war letztlich einfach nur schneller gewesen.

Die Reise dorthin war bemerkenswert unbemerkenswert. Keine merkwürdigen Begegnungen mit Fremden, keine randalierenden Söldner, keine Räuber und Taschendiebe, keine wilden Wölfe, nichts. Wirklich gar nichts. Ich weiß nicht ganz, was ich erwartet hatte. Vielleicht, dass das Land selbst irgendwas verlauten ließe. Dünneres, strohiges Gras. Abgestorbene Bäume. Rissige Erde trotz des guten, feuchten Klimas. Aber nein, da war einfach… nichts. Grünes Land, satt und saftig, so weit das Auge reichte.

Ich kam schlicht und ergreifend an.

Der Eingang war ebenfalls ziemlich unscheinbar. Ein Erdrutsch, schätzte ich, musste den ungleichmäßigen Steilhang freigelegt haben. Ein Seil am nächsten Baum befestigt und runter ging es. Es waren nur ein paar Meter bis zum Eingang der Anlage. Kruder, ausgespülter Tunnel, bis es in behauenen Fels überging.

Und über dem Torbogen waren Zeichen eingraviert. Keine magische Signatur, wie ich sicherstellte. Ich musste für die verdammten Krakeleien tief in meinem Hirn wühlen. Dass ich drakonisch gelernt hatte, war gefühlte Ewigkeiten her und das damals auch eher aus Jux und Dollerei. Es dauerte eine Weile, bis ich es übersetzt hatte.

Wer eintritt, versagt seinem Leben ein Licht.

Ich werde diesen Satz nie vergessen. Damals klang das alles sehr hochtrabend philosophisch. Als würde mir einer seine Pseudoweisheiten füttern wollen. Denk positiv und Gutes soll dir widerfahren! Oder wie wäre es mit ‚Nutze den Tag!‘?

Es war nicht magisch und selbst, nachdem ich die Gravuren aus der Nähe – Leiter sei Dank – genau untersucht hatte, fand ich keine Spuren einer Mechanik. Keine Falle also.

Wie also erklärt man sich dann die Toten direkt darunter?

Das waren nicht die ersten Leichen, die ich gesehen hatte, wirklich nicht. Man kommt als Abenteurer nicht darum herum, immer mal wieder Tote zu sehen. In unterschiedlichen Stadien des Zerfalls. Und selbst ein paar Leute in diese ersten Zerfallsstadien zu befördern.

Die Leichen dort waren auch querbeet. Knochen, dünnste Staubschichten ehemaliger Knochen und Leichen, die so unheimlich frisch wirkten, das ich schätzte, sie konnten nur wenige Tage dort liegen. Ich war also nicht der erste arme Tropf, den sie da runter geschickt hatten. Wenig überraschend.

Wie ging ich also vor? Nun, ich tat, was ein kluger Mann mit Erfahrung in solch einer Lage tun würde… ich zog ein paar der Leichen mit einem gut gezielten Seilwurf raus und baute mir aus dem einen Rundschild und diversen Rüstungsteilen einen kleinen Kokon. Den Schild nahm ich als Unterlage. Ich positionierte ihn am Boden auf den ersten Steinen, räumte den Weg frei, hielt meine Konstruktion fest und nahm Anlauf. Auf den umgekehrt gelegten Schild gesprungen und mit dem Ding funkenschlagend durch den Torbogen geschlittert, während geflickte Rüstungsteile mich nach links, rechts, vorne und oben absicherten. Es sah zweifellos völlig und absolut lächerlich aus.

Ich hatte zwar bei den Leichen keine Projektile gefunden, aber wer weiß, nicht?

Tatsächlich wurde ich auch nicht beschossen. Keine Pfeile oder Bolzen. Keine Blitze zuckten im Gang, keine Feuerbälle kamen fauchend angerauscht. Nichts. Es geschah einfach schlicht und ergreifend… nichts. War wirklich seltsam.

In den nächsten Stunden erkundete ich die Krypta. Hallen mit großen Särgen, bis zur Unlesbarkeit zerstörte Reliefs und Gravuren, von der Zeit zerfressene Statuen. Alles in ziemlich üblem Zustand. Aber zumindest wurde gut deutlich, dass das irgendeine alte, drakonische Anlage sein musste. Ich meine… die langen Schnauzen und Schwänze waren ein ziemlich gutes Indiz. Von den übergroßen Särgen und den Fetzen drakonischer Schrift ganz zu schweigen.

Ich hatte bis zu dem Tag nicht gehört, dass es in Ceryddwin je Drakoiden gegeben hätte. Aber gut, dann wiederum – Ceryddwin war als Gefangenenlager gegründet worden. Vielleicht hatte es Drakoiden vor unserer Ankunft gegeben, vielleicht hatten wir sie in der Anfangszeit einfach ausradiert. Mir war’s ziemlich einerlei. Wichtig war für mich nur: Ich hatte so gut wie keinen Widerstand.

Keine Wächter, keine Konstrukte, keine Untoten, keine beschworenen Monster aus alter Zeit, nein. Ein paar Fallen, zugegeben. Aber wie ich schon sagte: Stock.

Ich schwor mir damals, es Maximilian nie zu erzählen. Also, dass ich ihn mittels eines Stocks ersetzt hatte. Ich mochte den Kerl. Klein und knubbelig, kahlköpfig und irgendwie immer schwer am schnaufen. Aber ein wunderbarer Koch und mit verdammt scharfem Blick fürs Detail. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, ihn zu ersetzen, hätte die Situation es mir nicht abverlangt.

Der Stock dagegen? Der war der Grünschnabel der etwas geschrumpften Gruppe, nicht sehr gesprächig und generell recht unflexibel. Aber was er leisten sollte, das konnte er auch leisten. Wie ein Blinder tippte und tappte ich durch die Gegend. Ein paar schwingende Äxte, ein paar Sensen in den Wänden. Die Äxte fehlten teilweise. Die Sensen waren verrostet und setzten sich zwar in Bewegung, klemmten dann aber auf halber Strecke fest. Hier und da waren die Knochen und Leichen gute Indikatoren, wo man etwas aufpassen sollte.

Die Grube mit der Säure hätte mich als Einziges fast erwischt. War eine gewitzte Kombination. Der falsche Boden darüber war mit irgendeiner Steinmechanik verbunden, sodass das Ding bei Belastung nicht direkt aufklappt. Nein, man geht erstmal ein paar Schritte weiter und läuft auf die Druckplatte. Da kommt einem dann von vorne eine Statue entgegen, mit einem wuchtigen steinernen Schild vor sich. Sie macht nicht wirklich was. Schiebt nur – einen in die Grube, die sich dann hinter einem geöffnet hat, bevor man bemerkt, dass die Statue sich bewegt.

Gerettet hat mich, dass die Schienen voller Dreck waren. Dadurch bewegte sich das Gewicht langsamer. Außerdem hatte der Zahn der Zeit dem Ding kräftig zugesetzt und ich konnte mich an die linke Seite stellen, in der Hoffnung, mich dann vorbeiquetschen zu können. Der Plan ging so weit auch ganz gut auf – bis ich den Fehler machte, mich an der Statue vorbeibewegen zu wollen, indem ich mich an ihr festhielt und durchzog.

Festhalten. An zerfressenem, porösen Stein. Blöde Idee.

Ich ruderte gehörig mit den Armen und fand mein Gleichgewicht wieder, bevor ich rücklings in die Grube stürzte. Aber das Zischen des reingefallenen Steins ließ mich nur zu genau wissen, was mir da gerade entgangen war – die beste Reinigungskur für meinen Teint, seit es Häutungen gab.

Nach ein paar Stunden fand ich dann auch die Hauptkammer. Und wieder dieser seltsame Spruch über dem Torbogen.

Wer eintritt, versagt seinem Leben ein Licht.

Diesmal gab ich mir Mühe. Wirklich viel. Nicht nur, weil da wieder ein ansehnlicher Berg Toter lag. Ich hörte jemanden dort drinnen. Vielleicht hatte es irgendwer rein geschafft, fein, gut genug. Ich war nicht wirklich gierig. Dann hatte ich eben eine Woche verschwendet und würde nicht demnächst im Geld schwimmen, auch gut. Aber konnte ich wirklich darauf vertrauen, dass derjenige mich nicht als Bedrohung für seinen Reichtum sehen würde? Und was, wenn die Person da drinnen Hilfe brauchte? Oder… war es doch ein Wächter und Ludolf hatte nur nicht so tief reinschauen können? Magie war schließlich eine komische Sache, nicht immer sonderlich zuverlässig. Vielleicht handelte es sich aber auch um eine Falle, eine Illusion, einen… Untoten. Hey, es war immerhin eine Krypta, oder nicht?

Ich untersuchte den Torbogen also vorsichtig, leise. Schlich durch die Gegend, ich mit meiner Leiter und meinem Lehrling, dem Stock. Wieder keine erkennbare Falle. Aber als ich da so auf der Leiter stand, sah ich ein paar der Leichen aus einer anderen Perspektive und die, die hatten Spuren. Kampfspuren. Klar, nicht alle. Aber ein paar. Hauptsächlich von Klingen oder Krallen oder sowas.

Und was ich von drinnen hörte, klang wie Schluchzen.

Ich ließ mich davon aber nicht beirren. Es gibt Geister, die sowas als Köder abziehen. Also werfe ich kopfüber halb auf dem Torbogen klemmend einen Blick in den Raum und sehe da diese wirklich beeindruckende Rothaarige – mit einem verdammt blutigen Schwert. Außerdem noch mehr Leichen mit sicherlich passgenauen Stichwunden. Sie torkelt durch die Gegend wie Haggard nach einem Fingerhut Zwergenschnaps und lallt und mault irgendwas vor sich hin. Außerdem sucht sie immer wieder nach irgendwas und flucht aufbrausend, dass sie es nicht finden könne.

Wer lange genug in einer Taverne saß, der weiß ganz gut, was Betrunkene suchen: Noch mehr zu trinken.

Und anders als sie, deren Verstand sichtlich umnebelt war, konnte ich ihren Trinkschlauch ganz gut da liegen sehen. In einer Lache frischen Blutes.

Sie schleuderte das Schwert von sich, packte einen unangenehm spitzen und wuchtigen Morgenstern und fluchte abermals herum, weil sie den verdammten Schlauch nicht fand. Und zertrümmerte einem der Toten den Schädel. Spätestens jetzt war er wirklich tot. Ich hatte nur nicht vor, seinem Beispiel zu folgen. Leiter und Stock pflichteten mir da bei – schlechte Idee.

Also packte ich per Magie ihren Trinkschlauch und holte den vorsichtig und erfolgreich unbemerkt zu mir. Nun kann man über mich sagen, was immer man will, aber ich hätte niemals von mir selbst behauptet, dass ich ein netter Kerl sei. Jasmin auch nicht. Yennefer und Mila sicherlich, aber wie gesagt – die wussten’s auch einfach noch nicht besser.

Ich hatte keine Rückendeckung. Haggard war nicht dabei, der hätte mit ihr sicherlich klarkommen können. Ich hatte aber auch nicht vor, da noch Stunden zu warten. Wer wusste schon, wie betrunken sie tatsächlich war und wieviel davon möglicherweise nur Bühnenspiel, um irgendwen – mich beispielsweise – reinzulegen? Dazu kam, das Betrunkene unberechenbar sind.

Als Maximilian mich nach dem letzten Ausflug zum Heiler geschleppt hatte, des verdammten Spinnengiftes wegen, hatte er sich extra die Mühe gemacht, eines der Biester umzubringen und sein Gift in eine Ampulle zu zapfen. Damit der Heiler wusste, wogegen er vorzugehen hatte. Erwies sich zwar als unnötig, war aber ein wirklicher, wahrer Liebesbeweis – und bedeutete für mich, dass ich eine Dosis wirklich fiesen Spinnengiftes dabei hatte.

Und ihren heiß ersehnten Trinkschlauch in der Hand.

Also denke ich mir so: Das tut mir wirklich leid für dich, hübsche Rothaarige, aber du bist mir eindeutig zu gruselig und ich habe eindeutig zu wenig Mumm, um mich jetzt offen mit dir zu befassen.

Mir war natürlich klar, was ich da tat. Der Heiler hatte mir gesagt, dass das Gift mich in kürzester Zeit getötet hätte. Dass ich überlebte, verdankte ich Brunhilde. Sie konnte die verdammte Schriftrolle zwar nicht lesen, hatte aber für Notfälle eine dabei – und ich, ich konnte sie sehr wohl lesen. Ich hatte uns unter Krämpfen zurück teleportiert. Und ich hatte nur einen Biss abbekommen. Die Ampulle fasste das Doppelte oder Dreifache. Ich tötete sie gerade. Das wusste ich und ich akzeptierte es – nicht zum ersten Mal.

Danach ließ ich den Schlauch auf den großen, zentralen Sarg sinken. Sie bemerkte es nicht, fand ihn aber nach ein paar weiteren Minuten, binnen derer sie mit dem Morgenstern ein gutes Stück aus einer der Säulen herausschlug, die meines Erachtens die Decke trugen. Was mich wirklich nur darin bestärkte, mir gerade einen Gefallen erwiesen zu haben.

Sie trank, des Blutes am Schlauch ungeachtet. Sie bemerkte offenbar das Gift auch nicht. Und keine halbe Stunde später lag sie am Boden. Ich wartete trotzdem noch ein wenig, nur zur Sicherheit, und schlich mich dann hinein. Ich bin nicht wahnsinnig – und nicht dumm. Klar, ich hätte ihr vielleicht einen Bolzen in den Kopf setzen sollen. Nur zur Sicherheit. Aber sie hatte Steinbrocken mit einem Morgenstern aus einer massiven Granitsäule geschlagen. Wollte ich wirklich riskieren, dass sie das Gift einfach weggesteckt hatte, lediglich vom Alkohol eingeschlafen war und den Bolzen möglicherweise irgendwie, auf wundersame Weise, auch noch überlebte, um dann aufzustehen und auszutesten, ob dieses ‚Stückchen aus etwas herausdreschen‘ nur bei Säulen klappt?

Nein. Entschiedenes nein.

Als ich mich hier dann nach Magie umsah, hätte es mich um Haaresbreite umgehauen. Glücklicherweise sah ich zum Ausgang der Krypta und bemerkte so nur die überragende, schier unglaubliche Aura in meinem Rücken. Wo, natürlich, der verdammte Sarg stand. Denn warum sollte das seltsame Dingsda, das ich bergen sollte, auch irgendwo sonst sein. Es hätte natürlich nicht einfach in der Besenkammer nebenan rumliegen können oder das Gemälde im Korridor am Eingang sein können, nein. Es musste in der letzten, hintersten, zentralsten Kammer sein. Im Sarg.

Und auch am Sarg wieder:

Wer eintritt, versagt seinem Leben ein Licht.

Ich öffnete mit einigem Ächzen, Hebeln und Mühen den Sarg ein Stück weit. Kein mieser Geruch, keine gruselig-matschige Leiche, die aufspringt und mich zu erwürgen versucht, nein. Auch keine Falle mit tödlichem Gas oder Giftnebel. Einfach nur ein toter Drakoide, längst auf Knochen und Staub reduziert. Und mittendrin eine Violine.

Da schaute ich zugegeben erstmal nicht schlecht. Ich meine… ein Barde erkennt eine Violine, wenn er sie sieht. Aber jeder andere an meiner Stelle müsste sich kaputt gelacht haben. Ich, ich war einfach nur verdutzt. Das wundersame Dingsda, das mächtige Relikt alter Tage, die Waffe, die Ceryddwin zum Sieg führen würde… war eine verdammte Violine.

Naja. Meinetwegen. Warum auch nicht, was?

Also nehme ich das Ding. Ich besitze sogar genug Anstand, den Sargdeckel wieder ein Stück weit zuzuschieben. Man soll den Ruhenden ja auch ihre Ruhe gönnen. Außerdem: Sollte er sich doch noch entscheiden, aufzuspringen und mir untot nachjagen zu wollen, dann hätte ich mehr Vorsprung.

Und während ich an der Platte so rumschiebe, fällt mein Blick auf die namenlose Rothaarige und mir bleibt fast das Herz stehen.

Sie starrt mich an.

Sie liegt da und starrt mich an.

Ich rutsche natürlich sofort ab, taste auf dem Boden nach der erstbesten Waffe, die mir zufällt und gedenke mich womit zu verteidigen? Einem Rippenknochen. Warum auch nicht.

Aber sie regt sich nicht. Und ich merke schnell, warum. Sie kann sich bewegen, aber es kostet sie unglaublich viel Kraft und Mühe und es geschieht extrem langsam. Mit einer Dosis, die einen verdammten, gestandenen Ochsen binnen weniger Herzschläge hätte töten müssen, hatte ich sie gerade mal paralysiert. Und nicht mal das wirklich vollständig.

Für mich war dass das deutlichste Zeichen, da zu verschwinden. Ich entschuldigte mich sogar bei ihr. Ich überlegte natürlich kurz, ob ich die Vergiftung aufheben sollte. Ich hätte es gekonnt, so ist’s ja nicht. Aber… was hätte sie dann wohl mit meinem strohdürren Hälschen getan, hm?

Nein. Es hatte sich nichts geändert. Wenn es hieß: Sie oder ich… dann wählte ich immer noch mich.

Mit meiner frisch erbeuteten Violine kehrte ich also nach oben zurück, ins Tageslicht und zu meinem Rastplatz. Um ein paar Dinge vorweg zu nehmen: Ja, das war die Erste. Ja, ich hatte auch so einen lustigen Wissensschub. Aber nein – zu dem Zeitpunkt… war mir das schlicht nicht klar gewesen. Ich hatte sie und ich verstand und ich ignorierte. Der Verstand ist ein wundersames, konfuses Ding.

Aus irgendeinem Grund, ich weiß nicht mehr recht welcher, entschied ich, zunächst nach Grüneburg zurück zu reiten. Das Ding abgeben konnte ich dann später immer noch, so war’s ja nicht. Drei Wochen hatten sie mir immerhin gegeben.

Eine Woche nach meiner Abreise kehrte ich heim.

Nur um festzustellen, dass es kein Heim mehr gab.

Sie waren tot. Jasmin, Yennefer, Mila. Alle drei. Ich… erspare dir an der Stelle die detaillierten Beschreibungen, wie ich zusammenbrach. Ich tat es. Mehrfach.

Ich ließ mir beschreiben, sehr detailliert, was geschehen war. Ich denke, das war ebenso mein Wunsch, es zu verstehen, wie auch das Bedürfnis, mich zu bestrafen. Als es geschehen war, war ich nicht da. Ich hätte da sein müssen.

Jasmin war bei der Feldarbeit zusammengebrochen. Yennefer und Mila hatten fürchterliche Angst bekommen und waren schreiend losgerannt, um Hilfe zu holen. Frederick vom Nachbarhof kam zuerst an, aber Jasmin war tot. Keine Wunden, keine Krämpfe, nichts. Einfach  tot.

Er nahm meine Töchter erstmal mit zu sich. Lydia, seine Frau, kümmerte sich ein wenig um sie. Ein paar Stunden, nachdem Jasmin zusammengebrochen war, geschah es wieder. Yennefer saß am Tisch, weinte und… brach zusammen. Lydia bekam den Schreck ihres Lebens und egal, was sie versuchte – Yennefer war fort. Tot, wie ihre Mutter.

Mila hatte fürchterliche Angst. Sie war völlig aufgelöst und… und flehte. Sie rief. Nach mir.

Keine halbe Stunde, dann brach Mila zusammen.

Und, hast du das Rätsel schon gelüftet?

Wer eintritt, versagt seinem Leben ein Licht.

Es ist keine Pseudophilosophie. Kein Verkaufsgespräch. Kein Typ, der wirklich klug klingen wollte, während er nichts Relevantes von sich gab. Es war eine Warnung. Sie bezieht sich – wie ich viele Jahre später erfuhr – auf ein uraltes drakonisches Sprichwort. Eines, das heute nur noch die Drachen kennen. Sinngemäß geht es darum, dass du mehr geben solltest, als du nimmst. Das geht wiederum auf die Überzeugung zurück, dass man vieles geben kann, das über materielle Güter hinausgeht. Bestimmung. Dankbarkeit. Freundschaft. Güte. Liebe.

Dieser Satz ist ein Fluch. Oder vielmehr, beinhaltete einen. Für alle, die die Warnung ignorierten oder nicht verstanden. Ihn zu umgehen ist… grausam simpel. Zünde eine gottverdammte Kerze an. Und dein Leben enthält ein Licht. Gehe durch und die Kerze erlischt. Es ist fast schon etwas Rituelles. Ein Teil der drakonischen Kultur.

Es ist nicht immer was Gutes, in den Gebeinen alter, längst vergessener Zivilisationen herumzustochern.

Ich hatte keine Kerze. Also wurde meinem Leben ein anderes Licht genommen. Drei Mal. Und danach? Danach war es tatsächlich ziemlich finster. Weißt du jetzt, warum da so viele Tote herumlagen? Die Rothaarige hat die nicht erwischt. Ein paar in der Hauptkammer, klar. Aber der große Rest? Die hat sie nicht mal zu Gesicht bekommen.

Das Abenteurerleben ist schwierig. Vor allem für den eigenen, persönlichen Hintergrund. Nicht viele sind so nachsichtig, geduldig, haben so viel Liebe übrig und so viel Vertrauen wie Jasmin. Tatsächlich sind das die Wenigsten. Früher oder später werden die meisten, die an ihrem Dasein als Abenteurer zu lange festhalten, einfach verlassen. Ihre Weiber und Männer wenden sich ab. Ihre Kinder werden zu Fremden. Ihre Freunde verblassen – oder sterben an ihrer Seite auf Abenteuern.

Man kann es drehen und wenden, wie man will. Viele Abenteurer sind allein. Sie haben keine Lichter in ihren Leben, die sie verlieren könnten. Keines außer dem Letzten: Ihrem eigenen Leben.

Wer sich diesen Fluch ausgedacht hat, diese ganze Ritualnummer… war ein cleverer kleiner, herzloser Bastard.

Ich war sturzbetrunken. Ich weiß nicht, für wie viele Tage. Oder Wochen. Ich versetzte den Hof. Ich versetzte meine Ausrüstung. Ich versetzte einen Großteil meiner Tränke. Alle bis auf einen. Die beschissene Violine hatte ich noch. Aus irgendeinem Grund konnte ich sie einfach nicht weggeben. Meine ganze Welt lag in Trümmern, wegen diesem Ding. Aber ich brachte es nicht über mich, sie zu zerstören. Oder zumindest, es zu versuchen.

Stattdessen… weil ich zu feige war, es selbst zu tun… wollte ich jemand anderem meine Drecksarbeit zukommen lassen. Ich behielt den einen Trank, den ich noch hatte und lief los. Stumpf tagein, tagaus. Ich schlief, wenn die Erschöpfung mich irgendwo zusammenbrechen ließ. Und stand auf und lief weiter, sobald ich wieder wach wurde. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich irgendwann was gegessen oder getrunken habe. Ich denke, ich schreibe mein diesbezügliches Überleben der Ersten zu. Irgendwie.

Als ich an der Anlage ankam, machte ich mir nicht die Mühe mit dem Seil meinen Abstieg zu sichern. Wozu auch. Ich hatte ja sowieso nicht mal mehr ein Seil. Und ich kehrte in die Krypta zurück, ohne selbst zu sterben. Ich weiß bis heute nicht, wie genau das funktioniert. Ob jeder nur einmal von einem Fluch getroffen werden kann. Oder ob eine bestimmte Zeit vergehen muss, ehe man vom gleichen Fluch nochmal angerührt werden kann. Kein Schimmer.

Aber siehe da: Meine neue beste Freundin, die namenlose Rothaarige, war noch immer da. In der ganzen Zeit hatte sie es wirklich weit geschafft. Sie hatte sich mit dem Rücken an eine Säule gehievt und saß dort. Als ich reinkam, starrte sie mich finster an. Da brannte solch eine Wut in ihren Augen, es war fast schon ein Grund für mich, vor Freude zu jauchzen. Ich warf das verdammte Instrument neben ihr auf den Boden und trat nochmal demonstrativ dagegen.

Das solle ich lieber lassen, meinte sie dann. Die Paralyse hatte sich ein wenig gelockert, aber nicht genug, um ihre Bewegungsabläufe zu vereinfachen. Ich zog den Trank und trat an sie heran, aber sie wehrte mich ab. Nein, ernsthaft – sie, fast vollständig paralysiert, schaffte es, mich abzulehnen. Der Grund war simpel. Ich war unkonzentriert und deutlich geschwächt. Wir waren gleichauf, irgendwie.

Also brülle ich sie an, dass sie das verdammte Zeug schlucken soll, damit sie mir endlich den Schädel einschlagen kann. Das wiederum gibt ihr irgendwie zu denken. Und plötzlich will sie wissen, warum ich das wolle. Die Frage wirft mich aus der Bahn. Darüber nachzudenken… alle Dämme brechen. Ich falle auf meinen Arsch, heule wie ein Mädchen und erzähle. Erzähle ihr alles. Vom Urschleim bis zu meiner Rückkehr. Erzähle, welche Löcher in meinen Erinnerungen sind, warum und wie groß. Was ich vorhabe. Was ich von ihr erwarte.

Und sie, sie erzählt mir von ihrem Kind. Sie hatte ein Licht dabei. Eines. Sie dachte, dass sie nur eines bräuchte, war doch jeder Torbogen identisch. Sie stand in telepathischem Kontakt mit ihrem Kind. Sie spürte, wie es starb. Als es starb.

Und nichts hätte mich in dem Moment weniger interessieren können.

Anders als ich, wünschte sie nicht zu sterben. Sie war hier, um das verflixte Ding zu bergen. Und an einen neuen, sichereren Ort zu bringen. Also meinte ich, sie könne es meinetwegen ruhig zurückhaben. Sie verweigert, es anzunehmen. Und erklärt mir, was es damit auf sich hat. Sie erzählt mir dabei nichts Neues – ich habe diese Sachen noch nie zuvor gehört, aber trotzdem sind sie in meinem Kopf. Ich habe mich dem Wissen verweigert. Der Erkenntnis.

Denn mal ehrlich – eine Geschichte wie die der Ersten? Das ist nichts für schwache Geister. Und solch einen hatte ich damals.

Aber aus der bitteren Erkenntnis wurde Zorn geboren. Es würde Jahrzehnte dauern, bis dieser Zorn tatsächliche Form annahm und Ziele fand. Aber in diesem Moment genügte es für einen einzigen Entschluss. Ich hatte ein Artefakt gefunden. Ein mächtiges Werkzeug, gesegnet und beachtet von den Göttern selbst. Und ich wusste aus Legenden – Barde und all das -, dass Wiedergeburten und Wiederauferstehungen nicht unmöglich waren. Selten, sicherlich. Aber nicht unmöglich.

Sie war von meiner neuen, plötzlichen Entschlossenheit ziemlich amüsiert. Was ich nun zu tun gedachte, verlangte sie zu wissen. Also sagte ich es ihr. Spie voller Verachtung das Erstbeste hinaus, was mir auf diese dämliche Frage einfiel. Ich, Ithildalin, Barde und Abenteurer, Nichtsnutz aus einem Kaff, das nicht mal die Nachbardörfer namentlich kannten… würde die Götter herausfordern. Ihnen und ihrem Willen trotzen. Ich würde sie zwingen, Jasmin, Yennefer und Mila zurückzuholen. Ich würde sie zwingen, auch ihr Kind zurückzuholen.

Sie waren nicht allmächtig. Sie waren nicht allwissend. Durch all die Geschichten war ich bestens mit ihren Charakterschwächen vertraut, mit ihrer Willkür, ihrer Arroganz. Ich war ihrer überdrüssig. Kleine Leute, die sich gegen großes Übel durchsetzten… vielleicht obsiegten sie nicht immer, aber sie trugen Erfolge davon schon dadurch, dass sie es überhaupt versuchten. Das waren meine Geschichten. Das waren die Geschichten, die alle Welt hören und sehen wollte. Die Hoffnung, dass doch, irgendwie, jeder einzelne etwas Großes zu leisten fähig wäre. Etwas von Bedeutung.

Und wie hätte ich den Göttern mein Elend auch nicht anlasten sollen?

Alles, was war, war Schöpfung ihrer Hand. So zumindest mein damaliger Wissensstand. Sie hatten auch die Drakoiden geformt. Sie hatten sie Flüche entwickeln und Torbögen damit bekritzeln lassen. Sie hatten nicht hinter ihrer Schöpfung aufgeräumt, als deren Kultur zugrunde ging und ihre Fallen und Gefahren unbewacht zurückließ. Eltern sind für die Taten ihrer Kinder verantwortlich, bis diese selbst Verantwortung übernehmen können. Und selbst dann, bis zu ihrem Ende, stehen Eltern noch immer ein Stück weit in der Verantwortung. Das ist ihr Recht, ihr Privileg, ihre Pflicht.

Sie war natürlich erstmal verdutzt. Sichtlich amüsiert, auf boshafte Weise, von meiner leicht derangierten Rede. Aber wortlos angesichts des Umstandes, dass ich auch ihr Kind zurückzuholen geschworen hatte. Sie verlangte zu wissen, wie ich dazu käme, so etwas zu wollen. Und einmal mehr plapperte ich das Erstbeste daher: Weil sie mir, selbstverständlich, dabei helfen würde.

Sie entschied dort unten an jenem Tag, dass sie mir niemals helfen würde. Zumindest… nicht direkt. Und nicht direkt dabei, den Göttern die Stirn zu bieten. Sie wolle, sie könne das einfach nicht. Außerdem hatte sie zugegeben überaus verständliche Zweifel daran, dass ich – der ich damals war – überhaupt fähig wäre, auch nur ansatzweise in die Nähe des Ziels zu kommen, das ich mir da gesteckt hatte.

Aber ich liebte meine Frau. Und ich liebte meine Töchter.

Ich liebte sie wie nie etwas zuvor und nie etwas seither. Und ich hätte alles für sie getan. Und ich würde alles für sie tun. Bedingungslos.

Etwas an diesem Eifer muss sie umgestimmt haben, rede ich mir gern ein. Etwas in meinem Blick, in meiner Stimme, meinem Gesicht. Irgendetwas an mir. Ich will nicht, dass es einfach nur eine Laune war. Der Gedanke: Ja, warum eigentlich nicht? Warum ihn nicht machen, es ihn nicht zumindest einfach mal probieren lassen?

Ich verabreichte ihr das Antidot und sie erholte sich binnen weniger Stunden von der Paralyse. Ich begann dagegen nahezu augenblicklich fieberhaft nach Plänen zu suchen. Ich hatte ein Götterartefakt. Ich hatte ein verdammtes Stück Holz, das göttliche Beachtung gefunden hatte! Das musste doch zu irgendwas gut sein! Mehr als Platinmünzen, allemal.

Als ihre Paralyse nachließ, hätte sie mich angreifen und töten können. Sie hatte ihr Kind verloren, um so weit zu kommen. Und ich hatte es für sie aus dem Sarg gehoben. Sie hätte es nehmen, mich töten und gehen können. Aber das tat sie nicht. Und ich glaube zu wissen, warum. Denn wir teilten den gleichen Schmerz. Und er war unerträglich. Unerträglich und frisch. In unser beider Herzen. Unser beider Welten waren zerstört worden. Was sie aufrecht und zusammen hielt, war ihr bodenloses Pflichtbewusstsein ihrer ominösen Aufgabe gegenüber. Was mich aufrecht und zusammen hielt, war die absurde Hoffnung, das Unmögliche möglich zu machen.

Ich war der Barde aus Grüneburg, der ein Götterartefakt fand und auszog, die Götter zu bezwingen.

Wäre ihre Situation damals eine andere gewesen, Ira hätte sich zweifellos prächtig amüsiert. So jedoch? So zeigte ich entweder grenzenlose Dummheit, oder tiefstes Vertrauen in ihre Loyalität, als ich ihr die Erste gab. Nicht in die Hand natürlich, das hätte sie potenziell töten können. Aber in ihre Obhut. Zur Verwahrung, bis mir klar werden würde, was ich mir ihr anzustellen gedachte. Im Gegenzug pflanzte sie mir irgendeinen seltsamen Zauber in den Verstand, der uns erlaubte, auch in Zukunft miteinander verbunden zu sein, in Kontakt zu bleiben. Es war etwas kompliziert, dauerte Stunden und setzte tiefe Meditation voraus, diese Verbindung zu nutzen, darauf zuzugreifen. Aber es war besser als nichts. Auch wenn ich dazu nicht nur lernen musste, wie man meditierte, sondern auch… nun ja. Die Umstände waren nicht unbedingt ideal für Balance und Ausgeglichenheit.

Wir verließen die Krypta Seite an Seite. Sie nahm die Erste mit, um sie zu verwahren. Und ich, ich zog los. Ziellos und doch getrieben. Jahre zogen vorbei. Selten sprach ich mit ihr. Ceryddwin bot mir nicht, was ich suchte. Ulthwe war meine nächste Station. Vielversprechender. Ich lernte neue Zauber, lernte neue Techniken, erweiterte meinen Horizont. Ich streifte die Haut des Barden ein gutes Stück weit ab. Was nützte es mir noch? Wie willst du andere erheitern und zum Lachen bringen, wenn du dich im Inneren leer, kalt und tot fühlst? Aus nichts kann nichts entstehen.

Doch auch Ulthwe bot mir nicht das Richtige. Wohl aber gab es mir eine Richtung vor. Einen Vorgeschmack dessen, was es benötigen würde. Die reichhaltige Folklore des Landes machte eines überdeutlich: Jeder Versuch in der Vergangenheit, die Götter irgendwie zu irgendetwas zu zwingen, endete für den, der es wagte, nicht gut. Jeder.

So ungern ich es zugab: Meine Chancen, Artefakt hin oder her, standen noch viel lausiger, als ich es mir dachte.

Aber es gab auch einen Lichtblick. Denn die gleiche Folklore legte nahe, dass es möglich war, mit den Göttern zu verhandeln. Dazu… brauchte man nur dummerweise etwas, das sie wollten. Thesiates der Dritte hatte mit Mermerus handeln können, weil der Gott der Sonne ums Verrecken bei dessen Volk keinen Fuß in die Tür bekam und Thesiates ihm anbot, das für ihn zu erledigen. Etwas zu leisten, dass der Gott allein nicht zu leisten fähig war. Hekate bot Pales etwas so Schlichtes wie ein Portrait an. Die bis dahin formlose Göttin der Kunst, der endlich Form und Abbild verschafft werden würde – etwas, das Pales aufgrund ihrer kritischen Natur nie selbst für sich hatte bewerkstelligen können. Die Märchenbücher sind voll solcher Beispiele.

Ich brauchte also etwas Großes.

Etwas, das alle Götter wollten, oder zumindest viele.

Die Antwort fiel mir auf, als ich in Zivah Elmas war und die Stadt von einer neuen Belagerungswelle erfasst wurde. Nur ging diesmal etwas schief. Ein mächtiger Schwarznekromant hatte die unzähligen Toten der leeren Zone gehoben, um sie gegen die Stadt marschieren zu lassen. Nur waren sie dazu nicht willens. Denn Xarak hatte andere Pläne mit ihnen. Und als der Magier seine frisch gehobene Armee zu zerstören drohte, da zerfetzten die Untoten ihn.

Wie bringt man einen König zu Fall, dessen Macht der eines Gottes nahe kommt? Die Frage beschäftigte mich die nächsten Jahre und mir wurde zweierlei klar. Zum einen: Ich brauchte mehr Zeit. Und zum anderen: Indem man dafür Sorge trägt, dass er sich selbst zu Fall bringt.

Keine Macht ist der eines Gottes gewachsen – außer die Macht eines Gottes selbst. Xarak wäre bestens in der Lage, Xarak auszuradieren. Man müsste ihn nur entsprechend motivieren. Irreführen, besser gesagt. Der Plan war… verwegen. Und ich brauchte die Hilfe meiner rothaarigen Verbündeten. Deren Namen ich in all den Jahren tatsächlich nie erfragt hatte. Sie kapselte mich ab. Versiegelte meinen Verstand in meinem Verstand. Irgendwie.

Der kleinste Funke freier Wille. Genug, um entscheiden zu können. Aber nicht genug, um aufzufallen.

Dann galt es nur noch, für meine Rekrutierung zu sorgen. Und das war wiederum ein Kinderspiel. Ich hatte schließlich die Erste ihrer Art. Ich hätte mich vermutlich darauf verlassen können, Aufsehen zu erregen, weil sich so ein fantastischer Spieler war. Aber ich war mir nicht mehr sicher, ob ich das noch wäre. Ob gutes Musizieren dafür gut genug gewesen wäre.

Nein. Entweder ich tat das ganz, oder ich ließ es besser gleich bleiben.

Ich werde nicht ins Detail gehen. Du weißt selbst, wozu die Erste fähig ist. Ich nutzte sie. Jedes Stück davon. Jeden Fetzen Macht. Und ich tat alles, was ich für nötig hielt, um die Aufmerksamkeit eines Königs auf mich zu ziehen. Ich bescherte ihm Leichenberge jenseits seiner Vorstellungskraft, verwüstete Landstriche, rottete Dörfer aus, verführte Magier zur Schöpfung neuer Wiedergänger und Kadaver-Armeen.

Sie kam und holte die Erste zur Verwahrung ab, Stunden bevor ich aufgegriffen wurde. Ich leistete gehörigen Widerstand. Etwas, das man einem Barden nicht zutrauen mochte, aber ich war ja nicht länger ein Barde. Nicht mehr, nicht nur.

Man räderte mich und ich überlebte.

Man ertränkte mich und ich überlebte. Ehrlich – wie sie zu blöd waren, mich zu ertränken, ist mir bis heute ein Rätsel.

Schließlich verbrannte man mich. Das… funktionierte. Das funktioniert immer.

Und beging dann den erhofften Fehler. Ich war ein Monster geworden. Nicht nur machte ich mir selbst keine Illusionen darüber – es tat auch niemand sonst. Sie wollten mich nicht auf ihren ordentlichen, aufgeräumten Friedhöfen. Sie wollten mich nicht in ihrer feinen, geweihten Erde, direkt neben all den anständigen Leuten.

Sie wollten, dass ich wie ein Monster zugrunde ging. Kadaverteile, verscharrt in einer Grube, namenlos, grabsteinlos.

Perfekt, um dort gefunden zu werden.

 

„Ich kann sie spüren“, erklärte Ithildalin mit einem schwachen Lächeln.

Mehrere Minuten hatte er nach seiner Erzählung schweigen müssen. Kräfte sammeln, die letzten Reserven zusammenkratzen müssen. Glücklicherweise ging sein Dahinscheiden nicht mit Hustenkrämpfen einher – das hätte der Geschichte doch gehörig den Rhythmus geraubt. Nein, er schwand. Schwand dahin und wurde schwächer und schwächer und damit unweigerlich auch immer leiser. Arien hatte zweifellos schon gefürchtet, er sei bereits hinüber geglitten.

„Wen?“, fragte sie nach, obwohl sie die Antwort kannte.

„Sie sind dort draußen. Irgendwo in Ceryddwin geschieht gerade ein Wunder. Oder vier, vielmehr. Arien, versprich mir etwas. Finde sie. Finde sie und lass sie entscheiden, wieviel sie wissen will. Erzähl ihr, was immer sie wissen will. Und kümmere dich um sie. Es ist lange her und vieles hat sich verändert. Sie wird Schwierigkeiten haben.“ Es war fast vollbracht. Ein merkwürdiger Gedanke und ein noch merkwürdigeres Empfinden. Er hatte den Prozess ihrer Wiedergeburt gespürt, ihn verfolgen können. Horchte er in sich hinein, glaubte er Bilder zu sehen, vage Eindrücke eines weit entfernten Ortes, Schnipsel eines Gesamtbildes, doch erkennbare Details darin. Braunes, langes Haar in sanften Wellen. Eisblaue Augen, noch geschlossen.

„Ich… i-ich verspreche es…“, hauchte Arien leise und ergriff seine Hand, als er nach der Ihren tastete.

„Du bist ein gutes Mädchen“, ließ er sie wissen, rang sich ein Lächeln ab, „Ich bin stolz, an deiner Seite gekämpft zu haben. Stolz auf das, was wir erreicht haben. Stolz, zu wem du geworden bist. Aber diese eine Sache musst du verstehen…“

Sie schluckte schwer, drängte mit aller Willenskraft – eine nicht unerhebliche Macht – die Tränen zurück und nickte, jenen Kampf doch langsam verlierend. „Was…?“, flüsterte sie mit halb erstickter Stimme.

Ein letztes Lächeln schlich sich auf Ithildalins Züge. Der Druck seiner Hand um die Ihre wurde von Sekunde zu Sekunde schwächer. Er konnte, weit entfernt, ihren Herzschlag einsetzen spüren. Es war Zeit.

„In dem Handel, den ich schloss, ging es nie darum, alle zu retten. Ich bin ein Monster geworden. Was noch zu retten da war, das hast du gerettet… es… es ging immer nur um sie…“



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