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The Petboy Contract

von

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Aussprache

Selten in seinem Leben hatte Simon so tief und fest geschlafen wie in dieser Nacht. Am nächsten Morgen wachte er erfrischt und mit etwas besserer Stimmung auf. Er konnte sich nur vage an den Zwischenfall von gestern Abend erinnern und wusste nur, dass er durchgedreht war und eine Panikattacke erlitten hatte. Aber ansonsten fühlte es sich bloß wie eine Erinnerung an, die in weiter Ferne lag. Als er nach einer heißen Dusche erfrischt in den Speisesaal ging, fand er dort bereits Cypher und Hunter, die miteinander redeten. Vor allem Cypher wirkte sehr bedrückt und niedergeschlagen und rührte sein Essen gar nicht an, während Hunter mit verschlossener Miene da saß und schwieg. Simon fasste sich ein Herz und setzte sich direkt zu ihnen, doch beide reagierten sehr zurückhaltend. „Hey Bruderherz“, grüßte Cypher ihn, jedoch fehlte ihm jeglicher Enthusiasmus und er wirkte beschämt und von Schuldgefühlen zerfressen. „Geht es dir wieder besser? Hör mal, es tut uns leid wegen gestern. Das war ganz und gar nicht so gewollt gewesen.“

Doch Simon schüttelte nur den Kopf. Im Grunde genommen hatten die beiden ja gar nichts falsch gemacht und was sie im Bett trieben, war ja ihre Angelegenheit. Sie waren die Letzten, die irgendwelche Schuldgefühle haben sollten. „Nein, ist schon gut. Ich weiß ja, dass ihr auf etwas härtere Sachen steht und daran ist ja nichts falsch. Hätte ich genauer hingesehen und das Türschild bemerkt und vor allem gewartet anstatt einfach reinzuplatzen, wäre das ja gar nicht passiert. Ihr habt nichts falsch gemacht.“

„Trotzdem muss das für dich in dem Moment schlimm gewesen sein. So wie du ausgesehen hast, hätte man glauben können, du würdest vor Angst sterben.“

Das konnte Simon durchaus nicht abstreiten und er gestand „Ja, das hatte ich. In meiner Panik hatte ich Michael gesehen und dachte, er würde mich endgültig holen kommen. Dabei hätte ich doch eigentlich wissen müssen, dass er tot ist und mir nichts mehr anhaben kann. Melissandra hat mir gestern noch was zur Beruhigung gegeben und der Schlaf hat wirklich gut getan. Ich fühle mich schon wieder wesentlich besser. Aber sag mal… stehst du ernsthaft darauf, beim Sex gewürgt zu werden? Wie kann man so etwas denn mögen, wenn man kurz vorm Ersticken ist?“

Etwas unsicher zuckte Cypher mit den Achseln und begann mit der Gabel in seinem Rührei herumzustochern. Am Ende rührte er es aber nicht an, sondern trank stattdessen eine Tasse Früchtetee. Obwohl er sonst relativ offen über solche Dinge sprach, schien er nun deutlich Hemmungen zu haben und nur sehr ungern mit der Sprache herauszurücken. Ob es daran lag, weil er seinem Bruder keine weitere Panikattacke zumuten wollte? „Ist halt so ein Fetisch“, meinte er. „Man muss wirklich drauf stehen, ansonsten fühlt man sich dabei unwohl und kriegt im schlimmsten Fall Panik. Und ich bin halt ziemlich verkorkst was so was angeht. Ich stehe so auf manche Sachen, die für dich vielleicht nicht nachvollziehbar sind. Das Würgen fällt auch darunter. Ich würde es aber nie verlangen, wenn Hunter sich dabei unwohl fühlen würde. Und er ist eben ziemlich sadistisch veranlagt beim Sex. Unsere Beziehung ist in der Hinsicht etwas krasser als bei dir und Leron. Ich gebe zu, dass es vielleicht nicht angebracht war, es in fremden Betten zu treiben, aber ich konnte halt nicht anders.“

Es fiel Simon schwer sich vorzustellen, dass manche Leute tatsächlich darauf standen, beim Sex gewürgt zu werden. Er selbst hatte dabei jedes Mal um sein Leben fürchten müssen. Vor allem weil es stets Michael gewesen war, der das bei ihm gemacht hatte und dabei war er jedes Mal vergewaltigt worden. Dann hatte wohl Michael so einen Fetisch gehabt, andere beim Sex zu würgen. Und Hunter stand auch auf so etwas… Irgendwie fühlte sich das ein wenig befremdlich an. Fragend schaute er zu dem schweigsamen Bildhauer, der nun damit begann, sein Frühstück zu essen. „Wie kann man eigentlich darauf stehen, andere zu würgen? Ich verstehe das nicht.“

„Denk nicht so viel darüber nach“, versuchte Cypher ihn zu beschwichtigen. „Dieses Thema ist vielleicht nicht das richtige für dich.“

„Ich bin eben so“, erklärte Hunter schließlich, der zwar Cyphers Versuch, das Thema diskret zu beenden, wertschätzte, aber trotzdem die Dinge ein für alle Male klarstellen wollte. Den Grund dafür aber konnten weder Cypher noch Simon sagen. „Ich kann es nicht abstellen, selbst wenn ich wollte. Egal was ich mache, ich tue Menschen weh.“

„Jetzt hör auf, dir Vorwürfe zu machen!“ warf der 25-jährige Künstler liebevoll, aber dennoch bestimmend ein und ergriff Hunters Hand. „Das mit gestern war nicht deine Schuld, okay?“

Er schämt sich dafür, was er gemacht hat, dachte sich Simon und realisierte so langsam, dass er mit seiner Frage Hunter in eine äußerst unangenehme Situation gebracht hatte. Zwar mochte der Bildhauer nicht danach wirken, aber offenbar ging ihm der gestrige Vorfall extrem nah und nun schämte er sich dafür, dass er so veranlagt war, weil Simon ihn im Affekt mit Michael verglichen hatte. Wahrscheinlich glaubte er nun selbst, dass er wie Michael war. Was bin ich doch für ein Vollidiot, dachte sich Simon und biss sich auf die Unterlippe. „Hey Hunter, tut mir echt leid. Ich wollte deine Gefühle nicht verletzen. Ich konnte gestern nicht klar denken, das war alles. Aber ich denke doch nicht, dass du wie Michael bist. Das stimmt doch gar nicht. Du hast mich doch damals vor ihm gerettet und du warst für mich da, wenn ich Hilfe gebraucht hatte. Ich denke doch nicht schlecht von dir, wenn du auf gewisse Sachen stehst. Du bist ein wichtiger Freund für mich!“

Doch Hunter sagte nichts darauf und sah Simon auch nicht an. Dieser fühlte sich irgendwie ratlos und wusste nicht, wie er ihn wieder aufmuntern konnte. Cypher seufzte und erklärte „Gib ihm etwas Zeit, Simon. Es ist nicht einfach für ihn, seine Veranlagung zu akzeptieren. Auf der einen Seite ist er sadistisch aber auf der anderen Seite hat er schreckliche Angst davor, Menschen wehzutun. Vor allem die, die ihm wichtig sind. Und deine Panikattacke ist uns beiden sehr nahe gegangen. Klar sind wir froh, dass es dir wieder besser geht, aber es war dennoch ein ziemlicher Schock für uns.“

Das konnte Simon ihnen nicht mal verübeln. Ihm wäre es in dieser Situation auch nicht anders ergangen. Im Grunde genommen waren sie alle mit einem schweren Schock davongekommen, obwohl keiner von ihnen wirklich einen großen Fehler begangen hatte. Es war einfach nur eine sehr unglückliche Situation gewesen, die leider vollkommen eskaliert war. Da das Thema nur für schwere Gemüter sorgte, versuchte Simon, sich ein neues auszudenken. Und da fiel ihm auch schon direkt eines ein. Er erzählte ihnen von Daniel und dass dieser als Pflegekind bei Rose lebte. Dies lockerte die Stimmung zumindest ein wenig auf und wie erwartet war Cypher ziemlich überrascht über diese Neuigkeit und konnte es kaum erwarten, ihn richtig kennen zu lernen.

„Morgen ist es dann endlich soweit“, sagte der Künstler schließlich breit grinsend. „Dann werden wir Rose und ihre Familie endlich kennen lernen. Ich freue mich schon riesig darauf. Aber sag mal Simon, gibt es schon etwas Neues zu Leron? Hat er sich schon bei dir gemeldet, wann er nachkommen kann?“

Ach herrje, das hatte er ja fast vergessen. Sofort erzählte Simon ihnen von Lerons Nachricht, die er gestern hinterlassen hatte. „Also dann heißt es, dass er heute ankommen müsste“, schlussfolgerte Cypher und goss sich Tee nach. „Ist doch super. Dann habt ihr noch etwas Zeit für euch. Und ich kann mir bei ihm gut vorstellen, dass er hier auch gerne etwas über seine Mutter erfahren will. So ist diese Reise nach Annatown wortwörtlich eine Rückkehr zu den Wurzeln, hehe.“

Nach einem ausgiebigen Frühstück ging Simon zur Massagesitzung und im Anschluss zu Melissandra in die Sprechstunde, da sie schauen wollte, ob er sich nach dem gestrigen Schock wieder einigermaßen erholt hatte. Obwohl sie gestern sehr gefestigt und ernst gewirkt hatte, war sie wieder ganz die Alte und wirkte wieder wie eine völlig abgedrehte Hippie-Tante, die eventuell zu viel Räucherstäbchenqualm inhaliert hatte. Zwar zeigte sie sich zufrieden mit der leichten Besserung seines Gemütszustandes, war aber im Großen und Ganzen aber immer noch nicht glücklich mit ihren Untersuchungsergebnissen an und griff zu einer mehr als seltsamen Maßnahme, von der Simon nicht wirklich wusste, ob sie tatsächlich etwas bewirkte. „Mein Junge, du musst mehr Zeit unter Witherfields verbringen. Die Medizin reicht nicht aus um dich zu kurieren. Aber im Kreise deiner Familie sollte sich dein psychischer Zustand mehr stabilisieren.“

„Aber ich lerne meine Mutter erst morgen kennen und ich kenne sonst niemanden außer meinem Bruder. Außerdem kommt Leron heute, da wollte ich zuerst mit ihm etwas Zeit verbringen. Ich vermisse ihn sowieso schon genug.“

„Das glaube ich dir, das glaube ich dir!“ beschwörte die Hippie-Ärztin und nahm auf ihrem Bürostuhl Platz und wischte sich eine ihrer Locken aus dem Gesicht. „Es mag vielleicht herzlos von mir klingen, aber im Moment tut dir die Nähe deines Liebsten nicht gut.“

Simon konnte nicht glauben, was er da hörte und fast übermannte ihn die Wut über Melissandras Worte. Lerons Nähe tat ihm nicht gut? Was wusste sie denn überhaupt über ihn? Was bildete sie sich eigentlich ein? „Leron tut mir nicht gut? Was soll das denn bitte heißen? Erwarten Sie etwa von mir, dass ich mit ihm Schluss machen soll oder was?“

„Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte sie und zeigte sich völlig unbeeindruckt von seiner Reaktion. Sie kramte aus einer ihrer Kitteltaschen einen Kugelschreiber hervor und begann sich etwas aufs Klemmbrett zu schreiben. „Ich kann verstehen, dass du ihn liebst und er dir viel bedeutet. Aber genau das tut dir im Moment nicht gut. Du sollst die Zeit nutzen, dich auf dich selbst zu fokussieren und dich mit deinen Sorgen, Ängsten und Problemen auseinanderzusetzen, um sie zu verarbeiten. Kasra hat dich gestern beobachtet.“ Damit deutete sie auf den Hermelin, der es sich wie immer auf ihrer Schulter bequem gemacht hatte und Simon mit seinen schwarzen Knopfaugen anstarrte. „Du versuchst die ganze Zeit, in Gesellschaft zu bleiben, weil du Angst hast, dich den unangenehmen Dingen zu stellen. Du rennst vor dir selbst weg. Aber das sollst du nicht tun. Du musst dich auf dich selbst konzentrieren und dich selbst reflektieren, ansonsten wirst du keine Fortschritte machen. Da die Einsamkeit aber anscheinend ebenfalls zu Angstattacken bei dir zu führen scheint, habe ich mir eine Alternative überlegt. Deswegen möchte ich, dass du erst einmal etwas Zeit mit deiner Familie verbringst. Erstens ist die Nähe von Witherfields für dich im Moment wesentlich gesünder und außerdem sind positive Erfahrungen immer sehr wertvoll. Insbesondere bei Depressionen. Ich sage dir nicht, dass du keine Zeit mit Leron verbringen sollst. Aber wenn du willst, dass es dir wieder besser geht, musst du fürs Erste Abstand von ihm halten.“
 

Ziemlich frustriert hatte Simon das Behandlungszimmer verlassen und war auf sein Zimmer gegangen. Das war überhaupt nicht das, was er sich erhofft hatte und er konnte nicht verstehen, wie Melissandra auf den Trichter kam, dass er sich von Leron fernhalten sollte. Lag es etwa daran, weil er ein Cohan war? Was sagte das denn schon über ihn aus? Das war doch alles vollkommener Mist. Erstens konnte Leron nichts dafür und zweitens war es nicht Lerons Schuld, dass es ihm momentan so schlecht ging. Und es war nicht fair, es nun an ihm auszulassen. Simon seufzte entnervt und ließ sich aufs Bett fallen. Er versuchte sich zu beruhigen, jedoch ohne Erfolg und so beschloss er, ein wenig nach draußen zu gehen und sich abzureagieren. „Diese Hippie-Tante hat doch keine Ahnung“, murmelte er leise und zog seine Straßenschuhe an. Schließlich verließ er sein Zimmer und ging zur Empfangshalle und wäre, so tief wie er in Gedanken versunken gewesen war, einfach nach draußen gegangen. Doch als er dann eine vertraute Stimme seinen Namen rufen hörte, Abrupt blieb er stehen und wandte sich zur Rezeption um. Zuerst glaubte er zu träumen und glaubte kaum, dass es wirklich wahr sein konnte. Doch es war tatsächlich Leron. Er wirkte etwas erschöpft und übernächtigt, aber dennoch glücklich. Neben ihm war Lotta, die ihn vermutlich abgeholt und zur Pension gebracht hatte.

Schlagartig waren all seine Gedanken verworfen und er stürmte direkt auf Leron zu und umarmte ihn überglücklich. „Leron! Ich habe dich so sehr vermisst!“

Sofort erwiderte der Milliardär die Umarmung und drückte Simon fest an sich, als wollte er ihn nie wieder loslassen. Es fühlte sich an, als wären es Wochen oder sogar Monate her gewesen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten. Und umso glücklicher waren sie nun, sich endlich wiederzusehen. Nach einem liebevollen Kuss lösten sie sich wieder voneinander und obwohl Simon deutlich die Augenringe bei Leron sehen konnte, so sah er auch wie glücklich und erleichtert er war. „Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat“, entschuldigte sich Leron sofort. „Ich musste mich noch um ein paar Dinge kümmern, bevor ich abreisen konnte.“

„Ist doch nicht schlimm“, erwiderte Simon mit einer abwinkenden Geste. „Aber du siehst total müde aus. Willst du dich gleich erst mal ausruhen?“

„Nein, schon in Ordnung. Schlafen kann ich immer noch nachts. Mach dir mal keine Gedanken um mich. Ich würde nur gleich erst mal gerne einchecken und mich ein wenig frisch machen.“

Hier räusperte sich Lotta, die sich diskret im Hintergrund gehalten hatte. „Ich könnte ein Zimmer im Westflügel anbieten. Wenn Simon es aber wünscht, dann kann könnte ich es arrangieren, dass ihr ein gemeinsames Zimmer bewohnt.“

„Das geht echt?“ fragte der 21-jährige überrascht und mit einem Nicken erklärte die schwarzhaarige Schönheit „Mir gehört diese Pension. Und wenn du der Meinung bist, dass du dich mit Leron zusammen am wohlsten fühlst, dann sehe ich keinen Grund, warum ihr während eures Aufenthaltes nicht zusammenwohnen dürft.“

Natürlich willigte Simon sofort ein und so war es beschlossen, dass Leron in Simons Zimmer untergebracht werden würde. Nachdem sie sich von Lotta verabschiedet hatten, gingen sie in Richtung Ostflügel und natürlich konnte sich Simon nicht lange zurückhalten und überfiel Leron gleich mit Fragen, wie denn der Verkauf des Konzerns verlaufen war und ob das überhaupt ein guter Deal war, den er gemacht hatte. Auch wollte er natürlich wissen, ob sich Lionel noch mal in irgendeiner Form bei ihm gemeldet hatte oder ob er vielleicht noch gar nichts über den Verkauf wusste. Leron kam kaum zum Reden und musste warten, bis Simon mit seiner letzten Frage fertig war. Er erzählte, dass der Verkauf relativ entspannt verlaufen war, wobei er beim Preis einige Einstriche hatte machen müssen, weil alles so schnell von statten gegangen war. Aber hauptsächlich war er heilfroh, dass er sich endlich von dieser Last befreit hatte und neu anfangen konnte. Und als das Thema auf seinen Vater zu sprechen kam, da seufzte er nur gedehnt und erzählte „Er hat mehrfach versucht mich anzurufen und hat mir immer wieder auf den Anrufbeantworter gesprochen um mich zu überreden, doch nicht zu verkaufen. Ich habe seine Nummer schließlich blockiert. Ungefähr ein dutzend Sprachnachrichten hat er mir hinterlassen und in keiner einzigen hat er sich entschuldigt“, erzählte Leron und seine Miene verdüsterte sich voller Bitterkeit gegenüber seinem Vater. „Nicht ein einziges Wort der Entschuldigung. Ihm ging es immer noch nur um den Konzern und nichts anderes. Ich bin froh, dass ich damit jetzt durch bin.“

Ungläubig, dass Lionel selbst jetzt noch nur an sein Energieimperium dachte aber nicht an seinen eigenen Sohn, schüttelte Simon den Kopf. Er verstand es einfach nicht, wie jemand so verbohrt sein konnte wie dieser Mensch. Na zumindest musste sich Leron damit jetzt nicht mehr herumärgern. Und wenn sich die Lage wieder einigermaßen beruhigt hatte, würde er auch nicht mehr an seinen Vater denken müssen.

Als sie das Zimmer erreicht hatten, drückte Leron dem Gepäckträger ein stattliches Trinkgeld in die Hand und ging direkt ins Bad um sich eine ausgiebige heiße Dusche zu gönnen. Diese schien regelrechte Wunder zu bewirken, denn Leron wirkte danach wesentlich erfrischter und weniger übermüdet und erschöpft. Da sie etwas Zeit für sich haben wollten, um ungestört miteinander reden zu können, ließen sie sich das Mittagessen aufs Zimmer bringen. Sie machten es sich auf der Ledercouch bequem und nachdem Leron die ersten Bisse gegessen hatte, fragte er seinen Petboy „Und wie ist es hier so bis jetzt? Merkst du schon, dass dir der Aufenthalt hier etwas bringt?“

„Es geht mir schon besser“, antwortete Simon, auch wenn das ein klein wenig übertrieben war. „Ich bekomme medizinische Betreuung und die Therapiespaziergänge, Kräuterbäder und Massagen helfen auch ganz gut. Ich habe auch nachgedacht.“

„Nachgedacht? Worüber denn?“ fragte Leron ein klein wenig zögerlich, denn er begann bereits zu ahnen, dass es um ihn oder besser gesagt um ihre Beziehung gehen würde. Und so falsch sollte er auch nicht liegen. Simon brauchte einen Moment, um sich ein Herz zu fassen und erklärte schließlich „Ich liebe dich wirklich und ich möchte auch, dass wir zusammenbleiben. Aber… es sind einfach so viele Sachen passiert. Und ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass ich so schnell darüber hinwegkommen kann. Erst gestern hatte ich eine Panikattacke weil ich dachte, ich würde Michael sehen. Ich weiß zwar dass er tot ist, aber er spukt immer noch in meinem Kopf herum. Und deshalb kann ich so schnell nicht nach New York zurück… Ich glaube auch nicht, dass ich mich jemals wieder in der Villa sicher fühlen werde.“

„Verstehe“, murmelte Leron ruhig und nickte. „Also willst du erst mal hier in Annatown bleiben?“

„Ich glaube schon. Ich wüsste sonst nicht, wo ich sonst hin soll. Solange Michael für mich noch nicht tot ist, kann ich nicht nach New York zurückkehren.“

Eine Weile herrschte Schweigen und Leron hatte nachdenklich die Stirn in Falten gelegt. Er begann genau zu überlegen, was er nun tun konnte und was nötig war, um Simon zu helfen. Es verging eine Weile, in der er nichts sagte, bis er schließlich eine Idee hatte. „Ich könnte uns hier ein Haus kaufen. Wir können so lange hier leben, wie du möchtest. Und ich könnte uns auch ein neues Zuhause in New York suchen. Ich denke, ein Tapetenwechsel würde auch ein perfekter Neustart sein.“

„Und das geht in Ordnung für dich?“ fragte Simon und war überrascht von Lerons Initiative. Er hätte nicht damit gerechnet, dass dieser so schnell bereit war, das Haus zu verkaufen, in welchem er aufgewachsen war und in welchem er seit über 25 Jahren gelebt hatte. „Ich dachte, es würde dir schwerer fallen. Ich meine… du hast seit deiner Kindheit dort gelebt.“

„Ich bin ganz alleine in diesem Haus aufgewachsen“, erklärte Leron und schien mit seinem Entschluss bereits festzustehen. „Und der Ort, an dem ich mit meiner Familie gelebt hatte, war in der Villa meines Vaters. Ich verbinde mit meinem Zuhause nicht viel außer der Isolation und Einsamkeit. Dank dir hat es sich schließlich mehr wie ein richtiges Zuhause angefühlt weil ich jemanden hatte, der mit mir zusammengelebt hat und der sich freut, wenn ich zurückkomme. Aber ich bin in der Hinsicht auch pragmatisch. Es ist in erster Linie nur ein Haus. Und ich kann jederzeit ein neues kaufen. Und mir ist auch nicht entgangen, dass du dich in der Villa nicht mehr wohl fühlst. Ich dachte erst, es wäre bloß posttraumatischer Stress, aber ich glaube, dass dieser Ort einfach mit zu vielen negativen Erinnerungen behaftet ist. Da ist ein Neuanfang gar nicht mal so verkehrt. Und wenn ich ehrlich bin, brauche ich genauso Abstand von New York wie du. Ich werde mich umhorchen, ob es hier noch Möglichkeiten gibt, ein Haus zu kaufen. Dann können wir hier so lange bleiben, bis wir beide wieder bereit sind, nach New York zurückzukehren. Und dann könnten wir dieses Haus dann als eine Art Ferienhaus nutzen. Was hältst du von der Idee?“

Simon war begeistert von dieser Idee und stimmte natürlich zu. Schließlich, als sie mit dem Essen fertig waren, schalteten sie den Fernseher ein und sahen sich einen Film an, während sie sich auf der Couch gemütlich zusammenkuschelten. Es tat so gut, wieder in Lerons Armen zu liegen und sich einfach fallen zu lassen. Wie sehr hatte er das vermisst. Und nie wieder wollte er so lange von ihm getrennt bleiben. „Morgen wollen Cypher und ich unsere Mutter besuchen gehen. Willst du dann auch mitkommen?“

Zuerst rechnete er mit einem ja, doch ganz überraschend und unerwartet lehnte Leron ab. Verwirrt und ein wenig enttäuscht sah Simon ihn an und verstand erst nicht. „Wieso nicht?“ fragte er deshalb. Der Milliardär, den die Müdigkeit langsam wieder einholte, gähnte kurz und rieb sich die Augen. „Das ist eine reine Familienangelegenheit und es geht um dich, Cypher und eure Mutter, nicht um mich. Ich kann sie beizeiten immer noch kennen lernen, aber du solltest sie zuerst kennen lernen. Es ist deine Mutter und deine ganz besondere Erfahrung, nicht meine. Deswegen halte ich mich da erst mal raus, damit ihr euch besser kennen lernen könnt, ohne dabei von anderen gestört zu werden. Außerdem habe ich da auch etwas, das ich erledigen will.“

„Und was genau?“

„Ich will versuchen, mehr über meine Mutter zu erfahren. Sie ist hier aufgewachsen, also sollte es hier auch Verwandte oder Bekannte von ihr geben. Vielleicht werde ich auch nichts Neues in Erfahrung bringen, aber… ich will einfach mehr wissen. Seitdem ich die ganze Wahrheit kenne, will ich einfach wissen, wie ihr Leben hier gewesen ist und was für ein Mensch sie gewesen war, bevor sie verrückt geworden ist.“

Das konnte Simon ihm schlecht verdenken. Inzwischen wusste er ja, wie sehr Leron seine Mutter geliebt hat und wie nah ihm die Enthüllung über sie und ihre kaputte Psyche gegangen war. Ihm waren die ganze Zeit entweder nur Lügen oder Halbwahrheiten aufgetischt worden und wäre er an seiner Stelle gewesen, dann hätte er auch die Chance genutzt, um in ihrem Heimatort mehr über sie zu erfahren. „Na dann haben wir ja beide ein wichtiges Ziel für morgen. Und ich hoffe ehrlich, dass du was über sie in Erfahrung bringen kannst.“
 

Zuerst hatte Lotta mit dem Gedanken gespielt, wieder zu gehen und in ihrer Bibliothek nach dem Rechten zu sehen. Immerhin war jetzt alles Wichtige erledigt und es gab hier eigentlich nichts mehr für sie zu tun. Aber wo sie schon mal hier war, konnte sie doch zumindest einen ihrer Schützlinge besuchen gehen. Also ging sie zum Ostflügel und schritt die Flure entlang, bis sie das Behandlungszimmer erreichte. Sie klopfte kurz an und trat schließlich ein. Unbeeindruckt von dieser intensiven Geruchswolke trat sie näher und sah Melissandra wie immer an ihrem Arbeitsplatz sitzend und irgendwelche getrockneten Kräuter mit einem Mörser zerstoßen, bevor sie diese dann in ein separates Schälchen gab. Als die Tür zufiel, legte die Hippie-Ärztin den Stößel beiseite und drehte sich um. Ihre Augenbrauen hoben sich, als sie ihre Besucherin sah. „Lotta, was führt dich denn her? Hast du wieder einen Spezialauftrag für mich?“

„Dieses Mal nicht“, winkte die schwarzhaarige Schönheit ab und trat näher, wobei sie sich aufmerksam im Raum umsah. Dabei war sie schon so oft hier gewesen und kannte bereits jedes Regal in und auswendig. Aber aus irgendeinem Grund schien sie immer eine fast andächtige Faszination für dieses Zimmer zu hegen. „Ich habe nur jemanden hierher gebracht und wollte die Gelegenheit nutzen, um bei dir vorbeizuschauen. Und wie ich sehe, bist du wie immer sehr beschäftigt. Fleißig wie eh und je.“

„Die Arbeit einer Heilerin hört eben nie auf“, gab die Ärztin schmunzelnd zurück und begann nun aus den unzähligen Schälchen kleine Mengen zu nehmen, gab sie in ein mit Wasser gefülltes Reagenzglas und vermischte diese. „Und ohne dich wäre ich jetzt nicht auf diesem Level.“

„Ich habe dir nur die Hilfsmittel zur Hand gegeben. Alles andere hast du dir selbst erarbeitet“, erwiderte Lotta und lächelte. Doch Melissandra blieb dabei und erklärte „Du bist bescheiden wie immer. Dabei hast du mich doch damals aufgenommen, als ich nach meiner Geburt verstoßen wurde. Und jetzt tu mal nicht so, als wäre das nicht dein Plan gewesen, dass ich jetzt hier bin und Medizin für meine Patienten herstelle. Ich kenne dich schon mein ganzes Leben lang, da weiß ich so langsam, wie du tickst. Übrigens habe ich deinen anderen Schützling heute in meiner Sprechstunde gehabt. Ich glaube wir beide wissen, dass du hergekommen bist, weil es dich interessiert, wie es ihm inzwischen geht.“

„Du kennst mich tatsächlich gut“, gab die Frau mit den roten Augen ohne weiteres zu. „Wie macht er sich denn so? Was ist deine persönliche Einschätzung?“

„Er hat noch einen weiten Weg vor sich“, seufzte Melissandra und begann nun das Reagenzglas über einem Bunsenbrenner zu erhitzen. „Aber die Dinge brauchen immer ihre Zeit. Was mir Sorgen bereitet, ist seine Verbindung zu diesem Leron. Es ist nicht gut, dass er bei ihm bleibt, solange er nicht gefestigt ist. Ich befürchte, die Nähe dieses Mannes wird seinen Zustand entweder verschlimmern, oder einfach daran hindern, sich zu bessern. Ich habe ihm deshalb geraten, Abstand von diesem Mann zu halten. Vor allem weil dessen Familie eines der Kernprobleme ist. Aber ich fürchte, ich bin da nur auf taube Ohren gestoßen.“

„Du kannst nicht trennen, was unzertrennlich ist“, erklärte Lotta und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sie lieben sich und werden einander nicht aufgeben. Und ich glaube, dass sie daran auch wachsen werden. Der Junge ist nicht so schwach wie du glaubst. Er wird kämpfen, aber er wird es nicht ohne den Mann tun, den er liebt.“

„Und genau das macht mir Sorge…“

Als die Flüssigkeit in dem Reagenzglas zu kochen begann, füllte Melissandra es in einen Erlenmeyerkolben, in welchem bereits eine gelbliche Essenz schwamm und vermischte beides, danach ließ sie es abkühlen. Sie schwieg eine Weile bevor sie ihre Bedenken näher erläuterte. „Ich halte es für nicht gesund, wenn die Bindung zwischen solchen zwei Menschen so stark ist. Vor allem nicht, wenn es sich um Witherfields und Cohans handeln. Es mag sein, dass sie sehr gut miteinander harmonieren, wenn beide Seiten positive Gefühle füreinander hegen. Aber es ist, als würde man Chlor und Säure mischen. Zwar kriegt man mit dieser Mischung alle Flecken weg, aber der giftige Dampf, der dabei entsteht, kann lebensgefährlich sein. So sehe ich das mit der Verbindung zwischen diesen beiden Familien. Du weißt genauso gut wie ich, wie schrecklich es enden kann, nur weil ein Cohan psychisch labil ist. Immerhin hat es deiner Schwester das Leben gekostet.“

„Aber nur weil ein Unglück passiert ist, bedeutet dies nicht, dass es für alle Paare dieser Art genauso gilt“, erklärte Lotta fest überzeugt von ihren Ansichten. „Und an meinem Glauben an die Unschuld meines Schwagers hat sich bis zum heutigen Tag nichts geändert. Natürlich hast du deine Zweifel weil du die Dinge aus der Sicht einer Medizinerin und Therapeutin siehst. Aber ich sehe die Dinge anders, weil ich auf meine Erfahrungen vertraue. Vielleicht wird es nicht einfach für die beiden werden. Es mag ja sein, dass sie durch ihre Entscheidung, zusammenzubleiben, noch einige Herausforderungen vor sich haben. Aber ich bin überzeugt, dass sie es schaffen werden. Das sagt mir sowohl meine Erfahrung als auch meine persönliche Menschenkenntnis. Du kannst Simon gerne anraten, sich von Leron fernzuhalten, wenn du es als das Beste für seine Gesundheit erachtest. Aber ich persönlich glaube, dass es für sie beide besser sein wird, wenn sie zusammen bleiben. Es heißt nicht umsonst, dass man nur an den Herausforderungen wächst.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Arya-Gendry
2018-07-22T21:37:34+00:00 22.07.2018 23:37
Hi
Entlich ist Leron da. Auch wenn es Melissandra für besser hält das Simone und Leron sich erst mal nicht sehen wird das nichts werden die Beiden gehören einfach zusammen. Ich vertraue Lotta da das alles gut wird auch wenn es schwer werden wird.
Gut das Simone nochmal mit Hunter und seinen Brüder darüber geredet hat was passiert ist.
Das Lotta Melissandra groß gezogen hat hätte ich nicht gedacht.
Freu mich schon auf das nächste Kapitel. ;)
LG.


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