Geld regiert die Welt
Oliver hatte ein Auge auf Jacques Argent geworfen, der sich gerade mit einem jüngeren Mann in Anzug und geschmackloser blau-grüner Krawatte unterhielt.
Infantini.
Die beiden standen eng zusammen auf einem der Gänge in den Katakomben und sprachen in gedämpfter Tonlage miteinander. Argent warf gelegentlich kurze Blicke zur Seite, während Oliver um die Ecke stand und lauschte – immer darauf bedacht, sich nicht zu verraten.
Wenn er etwas verstehen wollte, musste er näher an die beiden herankommen, was angesichts der langen schmalen Gänge unmöglich war, ohne dass sie ihn bemerken würden. Zudem war Oliver sich sicher, dass Argent ihm nicht traute.
Seufzend lehnte er sich gegen die kalte Steinmauer. Es würde nicht die letzte Gelegenheit sein, die er nutzen konnte, um zu beweisen, wie viel Dreck der Präsident der L'Association des Beyblades am Stecken hatte.
Jedenfalls hoffte Oliver dies.
"Was machst du hier?", fragte Robert skeptisch und trat wie aus dem Nichts auf ihn zu. Oliver hatte ihn überhaupt nicht kommen hören. "Wir sind gleich dran. Enrico und Johnny warten in der Umkleide", ergänzte er.
"Leise", zischte Oliver und hob den Zeigefinger an die Lippen. Er deutete mit einem Kopfnicken Richtung Gang und Robert warf neugierig einen Blick um die Ecke.
"Da ist Argent", sagte er leise – und eine Person, die er nicht kannte.
"Der Jüngere ist Infantini", klärte Oliver ihn auf, als hätte er seine Gedanken erraten. "Er ist einer der WBBA-Funktionäre. Und er ist dafür verantwortlich, dass die Majestics ins Leben gerufen wurden."
Robert war nicht leicht zu beeindrucken, aber das Oliver so viel Hintergrundwissen hatte, rang ihm einen anerkennenden Blick ab.
"Du weißt da mehr als ich, wie mir scheint", bemerkte er.
Oliver zuckte mit den Schultern.
"Das Schlimme an der französischen Liga ist, dass alle sich schmieren lassen", erklärte er. "Das Gute an der Liga ist aber auch, dass alle sich schmieren lassen", grinste Oliver überheblich und machte eine kurze Pause, ehe er hinzufügte: "Und ich habe Geld."
Geld, mit dem er ein paar Informationen erkaufte, gleich nachdem Argent ihn im Louvre aufgesucht hatte. Oliver wusste gern, mit wem er es zu tun hatte und da Argent ihn künftig nicht mehr nur von der Titelseite der Le Bey-Monde anlächeln würde, empfand er es als notwendig, ein wenig tiefergehende Recherche zu betreiben.
"Lass uns zu den anderen gehen", sagte Oliver und setzte sich in Bewegung. Robert folgte ihm still.
Oliver hatte außerdem erfahren, dass Infantini derjenige war, der dafür gesorgt hatte, dass das Euro-Tournament, an dem sie gerade teilnahmen, in Frankreich stattfand. Er und Argent wollten Sponsorengelder einkassieren, die darauf setzten, dass der Sport populärer wurde und sie dadurch Umsatz generieren konnten.
Es ergab also durchaus Sinn, dass sie den europäischen Raum als Markt erschließen wollten. Wenn es klappte, würden sie innerhalb kürzester Zeit in Geld schwimmen.
Oliver hoffte, dass sie an ihrer Habgier ersticken würden. Auch, wenn er selbst Geld wie Heu hatte und sich seine Arroganz nicht nur finanziell leisten konnte, war er zumindest darauf bedacht, es nicht ausschließlich für sich und seinen eigenen Vorteil auszugeben, im Gegensatz zu einigen Beyblade-Funktionären. Deswegen hatte Oliver vor drei Jahren eines der Beybladezentren in einem der äußeren Arrondissements in Paris finanziell unterstützen lassen. Er liebte das Bladen, genau wie die Aufmerksamkeit – und die Zeitungen liebten es, über ihn als Wohltäter zu berichten. Eine Win-Win Situation.
Für alle.
Seine Liebe zum Bladen war vermutlich das einzige, was ihn mit den drei Topspielern der anderen europäischen Ligen verband.
Beybladen stellte für ihn eine Form der Kunst dar, die man mit Fleiß und Leidenschaft meistern konnte, um der Beste zu werden.
Oliver und Robert liefen schweigend nebeneinander her bis zur Umkleidekabine. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
Johnny und Enrico erwarteten sie bereits.
"Was genau soll dieses Turnier noch mal bringen?", maulte Johnny gelangweilt.
Bisher war es wie erwartet keine Herausforderung für die Majestics. Zwar war der Zulauf unerwartet groß, doch registrierten sich viele Neulinge, die kaum wussten, wie man einen Shooter halten musste.
"Es soll den Sport populärer machen", antwortete Robert und hob skeptisch eine Augenbraue.
"Das war eine rhetorische Frage", meinte Johnny kopfschüttelnd.
"Wer weiß das schon, eh", sagte Enrico und fing sich einen bösen Blick ein.
"Du bist doch derjenige, der für die dummen Fragen zuständig ist", giftete Johnny zurück.
Enrico verschränkte die Arme vor der Brust. "Sagt der Richtige, eh."
"Ich bin gleich dafür zuständig, dir auf die Schnauze zu hauen", fuhr Johnny ihn an.
"Halt mal die Luft an, Johnny", rief Oliver genervt dazwischen, "kein Wunder, dass sie dich ursprünglich nicht für die Majestics haben wollten."
"Wie meinst du das?", zischte Johnny und verengte die Augen zu Schlitzen.
Doch statt auf Johnnys Frage einzugehen, lief Oliver an ihm vorbei und ging nach draußen.
"Es sind echt v iele Leute da, eh", stellte Enrico fest, der direkt nach ihm die Arena betrat.
Die Tribüne war nach den Vorrundenkämpfen bis auf den letzten Platz gefüllt.
Sah so aus, als würde Argent sein Ziel erreichen, dachte Oliver.
Das musste er verhindern.
"Ich setze die Runde aus", legte Oliver fest und machte eine plötzliche Kehrtwende, zurück in Richtung Katakomben.
Robert hatte eine Ahnung, wohin er wollte.
"Du erwischt ihn heute sowieso nicht mehr", sagte Robert und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Oliver riss sich los.
"Werden wir ja sehen", antwortete er trotzig.
"Was ist los, eh?", wollte Enrico wissen und sah zwischen Oliver und Robert hin und her.
"Und was meint er mit sie wollten mich ursprünglich nicht für die Majestics?"
Robert reagierte nicht.
"Nichts", meinte er nach einigen Momenten kopfschüttelnd und sah Oliver nach, der in den Katakomben verschwand.