Oh Captain, mein Captain
Robert nahm an der Stirnseite des langen Konferenztisches platz und goss sich eine Tasse heißen schwarzen Kaffee ein.
Präsident Schneider betrat den Raum.
"Noch keiner da?", fragte er überrascht.
Robert schüttelte den Kopf. Er wollte keine Klischees auspacken, aber fünf Minuten vor der Zeit war in diesem Fall tatsächlich des Deutschen Pünktlichkeit.
"Der Termin ist erst um zehn", erinnerte Robert ihn mit einem kurzen Blick auf die Uhr und trank einen Schluck. Sie hatten noch ein paar Minuten.
"Nun gut", murmelte Schneider und griff ebenfalls nach einer Tasse. Routiniert schenkte er sich zuerst Milch ein, dann Kaffee. Zum Schluss rührte er einen Löffel Zucker unter und nahm einen großen Schluck.
Gerade als er fertig war, öffnete sich die Tür und ein blonder junger Mann betrat den Raum. Er sah sich enttäuscht um.
"Keine Frauen, eh", seufzte er und ließ sich auf einen der Stühle fallen. Oliver setzte sich wortlos neben ihn. Präsident Argent nahm gegenüber am Tisch Platz. Der Letzte, der sich zu ihnen gesellte, war Johnny. Robert grüßte ihn kurz mit einem höflichen Kopfnicken.
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde begrüßte Präsident Schneider seine Gäste noch einmal freundlich.
"Guten Morgen, meine Herrn", begann er, "bitte bedienen Sie sich." Er machte eine ausladende Geste Richtung Getränke und Verpflegung, die in der Mitte des Tisches schön hergerichtet wurden.
"Präsidentin Giacometti und Präsident Mey lassen sich entschuldigen, sie müssen anderweitige Verpflichtungen wahrnehmen."
Oliver griff nach einem Croissant, während Johnnys Hand sich in Richtung Kaffeekanne bewegte.
"Sie wissen alle, warum sie hier sind, nehme ich an?", fragte Schneider in die Runde – rein obligatorisch.
"Ehrlich gesagt nicht, eh", gestand Enrico, vermittelte aber gleichzeitig auch den Eindruck, dass es ihn nicht wirklich interessierte.
"Hat Giacometti Ihnen das nicht erklärt?", fragte Argent argwöhnisch.
"Sie hat etwas von, eh, einem europäischen Beybladeteam gesagt", antwortete Enrico. Johnny widerstand dem Drang, sich die Hand gegen die Stirn zu schlagen. Er fragte sich, ob er wirklich Teil dieses Teams werden wollte.
"Warum haben sie dich überhaupt eingeladen?", wollte Oliver wissen. "Du scheinst ja ohnehin nicht viel drauf zu haben. Ich dachte, das hier wären die Besten."
"Vorsicht", warnte Enrico ihn und verengte die Augen zu Schlitzen, "es gibt in Italien niemanden, der mich je geschlagen hat, eh!"
"Wahscheinlich weil die noch schlechter sind als du", warf Johnny ein.
Robert befand es für klüger, sich aus der Sache rauszuhalten und nahm einen weiteren Schluck Kaffee.
"Aber, aber meine Herren", meinte Schneider gutmütig und versuchte die drei wieder zu beruhigen. "Wir sind hier um aus Ihnen ein Team zu machen, keine Rivalen."
"Der hat angefangen, eh", beschwerte Enrico sich.
"Du hast doch dumme Fragen gestellt", erinnerte Johnny ihn.
"Aufhören!", brüllte Argent und schlug auf den Tisch. Ihm schien der Geduldsfaden gerissen zu sein. "Sie reisen sich jetzt zusammen. Sie alle! Wir sind hier nicht im Kindergarten."
Schweigen.
"Na also", sagte Argent selbstgefällig und verschränkte die Arme vor der Brust.
"Wir würden als erstes gerne einen Teamcaptain bestimmen", erklärte Schneider, als wieder Ruhe eingekehrt war.
"Das sollte der Stärkste von uns sein", schlug Johnny vor, "also ich."
"Wenn ich mich so umsehe, sollte das wohl lieber ich übernehmen", meinte Oliver, der es noch nicht einmal für nötig hielt, dies zu begründen. Stattdessen warf er seinen Konkurrenten missbilligenden Blicke zu.
"Ich denke", meldete sich nun auch Robert zu Wort, "das sollte jemand machen, der auch tatsächlich ein Team führen will."
"Also du, oder wie soll ich das verstehen?", kam es bissig von Johnny.
"Wir bestimmen das durch Wahlen. Und wie alle Wahlen in Deutschland wird auch diese frei und geheim sein", ging Präsident Schneider dazwischen, ehe es erneut eskalieren konnte.
Er teilte an die vier jeweils Zettel und Stift aus.
Die Wahl war alles andere als geheim, dachte Robert, sagte aber nichts.
"Das bringt überhaupt nichts", brummte Johnny, als er einige Buchstaben auf den Zettel kritzelte. Er konnte sich an fünf Fingern abzählen, wie die Wahl ausgehen würde: unentschieden. Jeder bekam eine Stimme, weil jeder für sich stimmen würde.
Der Präsident lies sich von diesem Einwand jedoch nicht beirren und sammelte die Zettel wieder ein.
"Johnny und Robert haben jeweils eine Stimme", meinte er und legte die Zettel weg, bevor er den nächsten in die Hand nahm. Wie Johnny erwartet hatte. Oliver war der Nächste, der eine Stimme bekam.
"Das hat doch keinen Sinn", wandte nun auch Oliver ein, während Präsident Schneider den letzten Zettel entfaltete.
"... und Robert."
"Den Zettel haben Sie schon vorgelesen", verbesserte Oliver ihn.
Schneider lächelte amüsiert, als er sagte: "Nein, auf Robert entfallen zwei Stimmen. Er hat die Wahl somit gewonnen."
Eine Mischung aus Entsetzen und Überraschung zeichnete sich auf den Gesichtern der Anwesenden ab.
Sämtliche Augenpaare im Raum richteten sich auf Enrico.
"Was denn, eh?", fragte dieser und bedachte insbesondere Oliver mit einem überlegenen Blick.
"Warum?", fragte dieser giftig.
"Ganz einfach, eh: ich habe keine Lust Teamcaptain zu sein und euch beide mag ich nicht", konstatierte er schulterzuckend.
Robert schüttelte den Kopf.
Er wurde soeben zum Leiter eines Teams gewählt, von dem der eine keinen Bock hatte und die anderen beiden nur auf ihren Vorteil bedacht waren.
Stellte sich die Frage, welches Team er leiten sollte?
Die Majestics waren es jedenfalls nicht.