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Die Seele der Zeit

Yu-Gi-Oh! Part 6
von

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Am Anfang des Zenits

Am Anfang des Zenits
 

Als die Sonne soeben dabei war, ihren täglichen Lauf am Firmament auf sich zu nehmen, erreichten sie Gizeh. Kiarna hatte aufgrund des Umweges, den sie genommen hatten, um Men-nefer auszuweichen, länger gebraucht als anfangs angenommen.

Marlic hatte das nichts ausgemacht. Er hatte die Nacht damit verbracht, seine Gedanken spielen zu lassen, bis ihn der Schlaf übermannt hatte. Seine rothaarige Begleitung hatte ihn nicht mehr belästigt und schlief auch jetzt noch ihren Rausch aus. Er ging davon aus, dass sie verkatert sein und der Rückweg ebenso ruhig verlaufen würde, wie ihre Anreise.

Kiarna landete ein Stück weit von den Pyramiden entfernt und ließ Samira im Schatten eines Felsens vorsichtig von ihren Klauen gleiten. Ein Grollen entwich ihrer Kehle, während sie ihre Trägerin betrachtete.

„Dafür reiße ich dich irgendwann in Stücke“, knurrte sie an Marlic gewandt.

Der war in der Zwischenzeit ebenfalls abgestiegen und sah sich um. „Wie du meinst, Schätzchen. Jetzt solltest du aber erst einmal ihrem Beispiel folgen, immerhin wollen wir irgendwann auch wieder zurück nach Theben.“

Damit wandte er sich ab und marschierte der Nekropole entgegen. Der Phönix brummte auf seine Aussage hin noch, dann zog sie sich in die Seele der Schattentänzerin zurück. Marlic beschwor in der Zwischenzeit seine eigene Ka-Bestie.

„Behalte die Umgebung im Auge und gib Laut, wenn sich irgendetwas tut“, wies er sie an. „Hier sieht es zwar ziemlich tot aus, aber man kann nie wissen.“

Des Gardius ließ ein Kichern hören, das durch seine dunkle Stimme einen gruseligen Klang hatte. „Sieht tot aus … in einer Nekropole.“

„Ha, ha. Wortwitz. Los, lass uns anfangen, ich hab‘ keine Lust den ganzen Tag hier rumzuhängen.“

„Laut.“

„Was?“

„Laut! Da vorne kommt jemand.“

Marlic besah sich die Umgebung und tatsächlich. Von den Mastabas her, die die gewaltigen Pyramiden umgaben wie eine Totenstadt, eilte ihnen eine Person entgegen. Als sie näher gekommen war, bestand kein Zweifel mehr: Es musste sich um einen Priester handeln, der für die Durchführung des Totenkultes in der Nekropole verantwortlich war. Es war ein Mann mittleren Alters mit kahl geschorenem Kopf – ein typisches Zeichen für jemanden seines Standes. Die Haarlosigkeit war auf ein Reinheitsgebot zurückzuführen, das besonders von denen, die an heiligen Riten mitwirkten, beachtet werden musste. Er trug ein Schwert bei sich, nahm die Hand jedoch vom Knauf, als er Des Gardius erblickte. Gegen diese Bestie hätte er ohnehin keine Chance, wenn sie sich dazu entschied, ihn anzugreifen.

„Seid gegrüßt“, sagte er schließlich, als er in gebührendem Abstand innegehalten hatte. „Seid Ihr Ägypter?“

„Nein, Vulkanier“, erwiderte Marlic trocken, während er näher trat.

„Wie bitte?“

„Hier, ich hab‘ da was für dich“, fuhr der Andere jedoch schon fort, holte den Papyrus hervor, den Mana aufgesetzt hatte und drückte ihn dem überrumpelten Priester in die Hand. „Ich seh‘ mich mal ein bisschen um“, fügte er hinzu, während er an seinem Gegenüber vorbei ging und ihm die Schulter tätschelte.

Der entrollte nach einem kurzen, perplexen Moment das Schreiben und überflog die Zeilen. „Ihr seid im Auftrag seiner Majestät hier?“, rief er Marlic schließlich hinterher und schloss zu ihm auf. „Den Göttern sei Dank, das bedeutet, der Krieg ist noch nicht verloren! Sagt, wie steht es im Süden? Seit Ausbruch der Kämpfe ist hier kaum jemand vorbei gekommen und keiner der Soldaten, die von hier abgezogen wurden, hat bislang seinen Weg zurück gefunden. Wer gewinnt? Und stimmen die Gerüchte, die besagen, Pharao Atemu sei wie durch ein Wunder wieder aufgetaucht? Kämpft Ihr an seiner Seite? Ich habe die Ka-Bestie gesehen, auf der ihr hierher kamt. Es war eine Andere, als die Eure, das heißt, Ihr seid nicht alleine, richtig? Bei den Göttern, steht uns etwa ein Angriff bevor?“, sprudelte es nur so aus dem Priester heraus.

Der einstige Geist verdrehte die Augen. „Hör zu, ich hab‘ keine Zeit für eine Märchenstunde. Wenn dir langweilig ist, dann kannst du dich nützlich machen, indem du zu dem Stein da hinüber gehst und die Kleine, die dort ein Nickerchen hält, irgendwo hinbringst, wo es kühler ist.“

„Wieso, fehlt ihr irgendetwas?“

„Hat vermutlich eine Cephalgie.“

„Oh weh, ist das ansteckend?“

„Nein. Und jetzt verschwinde endlich, ich hab‘ zu tun! Ich komme sie holen, wenn ich fertig bin und bis dahin will ich dich weder sehen, noch hören, noch riechen – kapiert?“

Damit brachte Marlic den Priester endlich zum Schweigen und setzte seinen Weg alleine fort. Als sie außer Hörweite waren, warf Des Gardius seinem Träger einen fragenden Blick zu.

„Cephalgie?“

„So nennt man Kopfschmerzen mal, wenn die Medizin etwas weiter fortgeschritten ist.“

„Ah, verstehe … Wo fangen wir nun eigentlich an? Das Gelände dieser Nekropole ist bedeutend größer, als ich vermutet hatte.“

„Keine Ahnung. Verschaffen wir uns erstmal einen Überblick. Vielleicht fallen uns irgendwelche Stellen auf, die verdächtig erscheinen. Wenn du etwas sehen solltest, zögere nicht, deine Krallen einzusetzen.“

„Geht klar.“

Damit machten sie sich an die Arbeit.
 

Es hatte Atemu weniger Zeit gekostet, als angenommen, Bakura zu finden. Er hatte Slifer – in entsprechender Höhe, sodass er nicht entdeckt werden konnte – nach dem Grabräuber suchen lassen und war damit erfolgreich gewesen. Zunächst überraschte ihn die Tatsache, dass der Andere noch nicht weiter gekommen war. Er hatte damit gerechnet, deutlich länger zu brauchen, bis er ihn eingeholt hatte, immerhin war er bereits seit drei Umläufen unterwegs. Ja, Atemu hatte bis auf ein kurzes Nickerchen die ganze Nacht damit zugebracht, sein Pferd durch die Wüste zu treiben, aber dennoch hatte er nicht angenommen, dass er den Gesuchten so rasch finden würde.

Als er Bakura schließlich im Schatten eines Sandfelsens entdeckte, wurde er bereits erwartet. Diabound, der sich an der Seite seine Trägers niedergelassen hatte, musste ihn gewittert haben.

„Sieh mal einer an, seine Majestät“, wurde Atemu auch gleich mit diesem zynischen Unterton begrüßt, der ihn jedes Mal innerlich die Augen verdrehen ließ, während er von seinem Pferd stieg und zu dem Grabräuber hinüber ging. „Was willst du hier?“

„Schon irgendeine Spur von Risha?“

Sein Gegenüber zog eine Augenbraue nach oben. „Das ist alles? Deswegen bist du mir gefolgt?“

„Nein, der Grund ist ein anderer. Aber ich denke, die Antwort kannst du dir sparen, ich sehe sie nirgends. Ich bin zugegebenermaßen überrascht, dass du noch nicht weiter gekommen bist.“

„Liegt nicht an mir. Ich bin ihrer Spur gefolgt, aber die ist genauso wirr wie das, was in ihrem Kopf vor sich geht. Wenn Diabound Recht behält, dann rennt sie wohl die meiste Zeit im Zickzack herum. Scheint selbst nicht zu wissen, wohin sie will. Das überrascht mich aber nicht. Also, zurück zum Thema: Warum hast du mich verfolgt?“

„Du musst zurückkommen.“

„Oho, hör sich das mal einer an. Dass ich diese Worte je aus deinem Mund hören würde, hätte ich nicht gedacht.“

Nun gewann der Drang, die Augen zu verdrehen, die Überhand. „Du brauchst dir darauf nichts einzubilden. Der Grund dafür ist nämlich relativ pragmatisch.“

„Ach ja?“

„Allerdings. Wir brauchen dich, um herauszufinden, wo sich das nächste Relikt befindet.“

Der Grabräuber ließ sich die Antwort einen Moment lang durch den Kopf gehen. „Marlic hat das andere allen Ernstes gefunden?“

„Das wissen wir nicht. Noch nicht. Doch wir haben uns dazu entschieden, auch gleich nach dem letzten zu suchen, ehe Caesian vor Thebens Toren steht und uns die Zeit davonläuft“, entgegnete Atemu.

„Ah, verstehe. Gar nicht mal dumm, das muss man dir lassen. Na schön, und welche Rolle spiele ich dabei?“

„Niemand von uns war in der Lage, die Seele der Zeit dazu zu bringen, den Fundort des letzten Artefakts preiszugeben …“

„… und nun bin ich eure letzte Hoffnung? Amüsant.“

Der Pharao fuhr sich genervt durch die Haare. „Wie wäre es, wenn du mich zumindest dieses eine Mal ausreden lassen würdest?“

Ein süffisantes Grinsen erschien auf den Zügen des Grabräubers, während er sich gegen den warmen Sandstein zurücklehnte und die Hände hinter dem Kopf verschränkte. „Deine Bitte sei dir gewährt.“

Atemu überging den Kommentar mit Mühe. „Wir denken, dass nur drei von uns überhaupt in der Lage sind, der Seele der Zeit etwas zu entlocken – und, dass jeder von uns es nur ein einziges Mal vermag.“

Bakura legte den Kopf schief. „Und du meinst, dass diese Personen ich, Marlic und du wären? Wieso?“

„Ich denke, dass dies der Grund ist, weswegen euch die Götter gemeinsam mit mir wieder in diese Sphäre zurückschickten.“

Die Miene des Grabräubers wurde säuerlich. „Ist das so? Du behauptest also unser einziger Zweck bestünde darin, dir zu verraten, wo ein göttliches Relikt verbuddelt ist? Du hingegen bist aber natürlich alleine deshalb wieder da, weil du ja der Retter aller Welten bist und diese hier dem Untergang geweiht wäre, wenn du nicht wärst? Tse, ich lach‘ mich tot.“

„Das habe ich so nicht gemeint“, widersprach Atemu bestimmt. „Ich denke nur, dass eure Wiedergeburt einen tieferen Sinn hatte als den, eine Bedingung an die meine zu knüpfen. Dass wir drei die Einzigen sind, die vermögen, etwas mit der Seele der Zeit anzufangen. Lass es uns einfach überprüfen“, schlug er schließlich vor. „Wenn ich Recht behalte, dann wirst du in der Lage sein, der Schriftrolle den Fundort des letzten Artefakts zu entlocken.“

„Woraufhin mein Schicksal damit erfüllt ist und ich wieder in die Unterwelt verschwinden kann oder was?“

„Nein, bei den Göttern! Bakura, hör auf mir jedes Wort im Mund herum zu drehen! Wer weiß schon, was genau das zu bedeuten hat! Ich habe auch keine Ahnung, ich weiß nur, dass es wahrscheinlich du bist, der herausfinden muss, wo wir als nächstes suchen sollen. Vielleicht hat es eine tiefere Bedeutung, wenn du es schaffst, vielleicht auch nicht. Alles, was ich weiß, ist, dass es entscheidend für diesen Krieg sein könnte, ob wir das Relikt vor Caesian finden oder nicht – und dafür brauchen wir deine Hilfe.“

Der Grabräuber taxierte ihn noch einige Augenblicke lang, dann nahm er die Hände vom Hinterkopf und erhob sich. „Wenn der große Pharao von Ägypten schon die Hilfe von meinesgleichen braucht, dann ist wohl wahrlich Not am Mann. Wie du willst, lass uns gehen. Diese ganze Sucherei hier führt sowie so zu nichts.“

Damit trottete er zu seinem Pferd hinüber. Atemu rieb sich noch einen Moment lang die Schläfen. Diese selbstverliebten, zynischen Sprüche …

Er würde sie den ganzen Rückweg lang ertragen müssen.
 

Es herrschte reges Treiben in der Stadt. Soldaten kamen auf der großen Straße zusammen, die aus Men-nefer herausführte und ritten durch das große Tor des Ortes hinaus. Offiziere brüllten Befehle, Waffen klirrten, Pferde wieherten. Überall wurden Reittiere beladen, an manche auch Wagen gespannt, um große Lasten transportieren zu können. Selbst ein Rammbock war darunter. Sand wurde durch die zahllosen Menschen und Tiere aufgewirbelt und verschmutzte die Luft mit einem körnigen Schleier, den selbst der Wind nicht davonzutreiben vermochte.

Caesian stand im Schatten des großen Portals, das in den Palast von Men-nefer führte. Gemeinsam mit Taisan beobachtete er die Vorbereitungen, bis sich auch der letzte Teil des Trosses, der ihn nach Theben begleiten sollte, in Bewegung setzte.

„Nun, ich fürchte, es wird Zeit für mich allmählich aufzubrechen, Bruder“, sprach Ersterer schließlich.

„Es hat den Anschein. Sei unbesorgt, ich werde die Stadt in deiner Abwesenheit nach bestem Wissen verwalten“, erwiderte Taisan unter der Maske hervor, die wie immer auf seinem Gesicht saß.

„Dessen bin ich mir sicher. Du wirst deine Sache gut machen. Denke daran, ich habe dir einige meiner fähigsten Berater zur Seite gestellt. Sie werden dich unterstützen, so gut sie nur können. Vorerst sollte jedoch nicht allzu viel zu tun sein. Noch sind nicht viele Ägypter hierher zurückgekehrt und ich denke, dass das auch erst nach einem endgültigen Ende dieser Konflikte der Fall sein wird“, entgegnete Caesian und legte seinem Gegenüber eine Hand auf die Schulter.

Der Andere nickte. „Ich werde mich vorerst darauf konzentrieren, den Wiederaufbau dieser schönen Stadt voranzutreiben, auch wenn es mit der begrenzten Zahl an Männern wohl nicht allzu schnell gehen wird. Aber es ist ein Anfang.“

„Ganz richtig“, beteuerte der Tyrann. „Nun denn – es wird Zeit. Gehabe dich wohl, Bruder. Ich werde schon bald zurück sein und dann werden wir diesem Land mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zum Glanz seiner alten Tage verhelfen.“

„Darauf hoffe ich. Gib auf dich Acht.“

Die Brüder schlossen sich kurz, jedoch freundlich in die Arme, dann wandte sich Caesian ab und schritt zu dem schwarzen Hengst hinüber, der in einiger Entfernung auf ihn wartete. Taisan sah ihm noch eine Weile lang hinterher, ehe ein Seufzen seine Kehle verließ. Hoffentlich behielt er Recht. Hoffentlich hatte all das Leid bald ein Ende.
 

Die Mittagshitze ließ einen flackernden Schleier am Horizont über die Wüste tanzen. Unerbittlich stach sie auf das Land und alles, was darin lebte, hernieder.

Marlic lehnte sich gegen eine Mauer, die ihm Schatten spendete, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Prächtig. Absolut prächtig. Seit dem Morgen suchten er und Des Gardius nun schon die Umgebung ab, doch bislang hatten sie nichts gefunden. Allmählich begann er zu verstehen, weshalb Bakura diesen Ort als Versteck für ein göttliches Relikt ausgeschlossen hatte. Weit und breit nichts als Sand, und da, wo kein Sand war, standen irgendwelche Pyramiden oder Mastabas – die sie hätten einreißen müssen, um sich das, was sich darunter befand, näher ansehen zu können. Wovon Marlic sich allerdings auch nichts versprochen hätte. Wie gehabt hätte man auf ein Relikt stoßen müssen, während die Gräber angelegt worden waren, es sei denn, die Arbeiter wären blind gewesen – oder sie hatten es mitgehen lassen. Dann waren Hopfen und Malz ohnehin verloren, denn sie konnten ja nicht jeden Ägypter danach befragen. Und selbst wenn sie alte Listen von den besagten Steinmetzen gefunden hätten, wäre es dennoch schwer gewesen, sie in all dem Chaos aufzuspüren – sofern sie überhaupt noch am Leben waren. Es war zum Haare raufen.

Er wurde aus den Gedanken gerissen, als er Schritte hörte, die sich langsam näherten. Kurz darauf kam Samira um die Ecke geschlurft. Ihr Gesicht war blass und ihre Augen rot, sowie von breiten Ringen untermalt. Eine Hand massierte die rechte Schläfe.

„Na, Kleines? Wieder wach?“, fragte Marlic, wobei er sie schon nicht mehr ansah, sondern den Blick wieder über die Umgebung schweifen ließ. Zudem fehlte seiner Stimme der so übliche Spott. Er musste dieses Relikt finden, verdammt!

„Ich hasse dich“, erklang es hinter ihm.

Mit hochgezogener Augenbraue wandte er sich um und wartete auf eine Erklärung – die auch kam.

„Mir platzt der Kopf und mir ist speiübel. Und das ist alles deine Schuld“, erwiderte die Schattentänzerin matt.

Marlic schnaubte. „Wo wir neulich schon bei Lektionen für’s Leben waren, Schätzchen, hier eine weitere: Ich habe dich nicht dazu gezwungen, zu saufen, du hast das Spiel freiwillig mitgespielt. Also schieb die Schuld nicht auf mich. Dass es dir heute scheiße geht, liegt in deiner eigenen Verantwortung, nicht in meiner.“

Es folgte eine kurze Stille, die jedoch bald wieder von Samira unterbrochen wurde, nachdem sie sich im Schatten hingesetzt hatte. „Schon irgendetwas gefunden?“

„Nein. Und ich hab‘ den Verdacht, dass sich das auch nicht mehr ändern wird.“

„Du meinst, das Relikt ist auch hier nicht? Aber wenn das so ist, wo sollen wir denn dann suchen? Es gibt noch dutzende Nekropolen, die über ganz Ägypten verstreut sind.“

Marlic biss sich auf die Unterlippe. Es fiel nicht leicht, das einzugestehen, aber es war nun einmal so. „Ich weiß es nicht“, sprach er es schließlich aus. „Hätte nicht gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber ich bin mit meinem Latein definitiv am Ende.“

Die Schattentänzerin wusste zwar nicht, was Latein war, verstand jedoch trotzdem, was er meinte. „Aber wir müssen es doch finden. Irgendwie …“

„Hör mal, Kleines, ich weiß, wann ein Spiel verloren ist – und das hier ist es mit Sicherheit. Immerhin können wir uns damit trösten, dass es Caesian ebenso schwer fallen dürfte, das Teil aufzuspüren und er hat keinen Hinweis von einer ollen Schriftrolle bekommen. Lass uns gehen, wir nutzen die Zeit, die deine Ka-Bestie noch brauchen wird, um sich zu erholen, und hauen uns nochmal auf’s Ohr.“

Samira stemmte sich mühsam auf die Beine. „Sollten wir nicht lieber gleich zurückkehren? Vielleicht haben die Anderen ja noch eine Idee, wo es sein könnte.“

„Jetzt ist nicht die richtige Zeit. Dein Monster muss sich, wie gesagt, erholen können. Außerdem steht die Sonne gerade im Zenit und es ist verdammt heiß. Nun komm endlich. Ich will irgendwo hin, wo es kühler ist.“

„Pft, als ob in diesem Krieg jemals die richtige Zeit für irgendetwas wäre“, schnaubte Samira, während sie zum Himmel hinauf sah und gegen die Sonne blinzelte.

Mit einem Mal war es, als habe sie der Schlag getroffen. Ihre Gesichtszüge entgleisten, ihre Augen weiteten sich. Das … bei den Göttern, wie hatten sie nur so dermaßen dumm sein können?

„Marlic!“, rief sie aus und eilte ihm hinterher.

Der Alarm in ihrer Stimme ließ ihn augenblicklich stehen bleiben. „Was ist? Feinde?“

„Nein! Ich … wir haben uns total vertan! Das Relikt ist im Tal der Könige!“

„Was soll das heißen? Wie kommst jetzt darauf?“

„Pass auf … »Erlischt bei Nacht, erglimmt am Tag, zur rechten Zeit«. Wir sind davon ausgegangen, dass diese Zeilen eine Anspielung auf eine Nekropole sind – was auch stimmt. Aber wir haben sie nicht weit genug interpretiert! Sie bedeuten noch mehr als das!“

Ihr Gegenüber zog beide Augenbrauen in die Höhe. „Erklär dich bitte, ich versteh‘ nämlich kein Wort.“

„Na gut. Was, wenn das Artefakt sehr wohl direkt vor unserer Nase war, wir es aber nur nicht sehen konnten, weil wir nicht zum richtigen Zeitpunkt da waren? Was, wenn wir es hier mit einem Relikt zu tun haben, das in der Nacht verborgen ist, am Tag erglimmt und sich dabei ausschließlich zur richtigen Zeit zeigt?“

Marlic begriff sofort, was sie meinte. „Wir waren nur in der Dunkelheit und im Morgengrauen im Tal der Könige … die Sonnenscheibe des Ra, des Sonnengottes …“ Auch sein Blick wanderte nun zum Firmament. Dann verstand er. „Verdammter Mist, du hast mehr Grips, als ich dachte, Kleine. Das Artefakt zeigt sich nur dann, wenn sich das Element des ihr angehörenden Gottes voll entfaltet. Mit der rechten Zeit ist der Mittag gemeint!“

„Genau!“

Ein zufriedenes Grinsen schlich sich auf Marlics Züge, als er sie ansah. „Sehr schön. Lauf zurück zu dem Priester-Futzi und füll unsere Schläuche auf, dann brauchen wir auf dem Rückweg nicht nochmal am Nil zu landen. So schaffen wir es eventuell, vor der morgigen Mittagszeit das Tal der Könige zu erreichen“, wies er sie an, jeder Gedanke an einen Mittagsschlaf vergessen. Samiras riesiges Federvieh würde sich eben zusammenreißen müssen.

„Wird gemacht! Aber was ist mit dir?“

„Ich muss nochmal eben wohin.“

„Oh, gut. Komm einfach nach, wenn du fertig bist.“

Damit eilte Samira davon. Marlic hingegen stieg eine Düne empor und wanderte gemütlich hinüber zu der Stelle, die ihm schon bei ihrer Ankunft ins Auge gefallen war. Schließlich stand er vor dem Sphinx von Gizeh. Er legte den Kopf leicht schief, während er die Statue musterte. Etwas störte ihn daran – und er wusste auch genau, was das war.

„Kein Wunder, dass du Grabräuber abhalten sollst – und, dass man dir das Ding da nicht wieder drangemacht hat, nachdem es abgefallen ist. Was für ein riesiger Zinken.“

Einen Augenblick später war das Klirren scharfer Krallen und das Bröckeln und Krachen von Sandstein zu hören, der zu Boden fiel. Dann verschwand Marlics Ka-Bestie auch schon wieder.

„So, viel besser. Mein Werk hier ist getan.“

Damit trottete er zu der Stelle, an der Samira auf ihn warten würde.
 

Unruhig wälzte sie sich umher. Doch gleich wie sie sich hinlegte und wie viel Zeit auch vergehen mochte, es schien, als wolle sie der Schlaf heute einfach nicht überkommen. Risha schnaubte. Weit nach Einbruch der Nacht hatte sie in einem verlassenen Hof Schutz gesucht. Die Ansiedlung hatte gerade einmal vier kleinere Hütten und ein größeres Gebäude gemessen und war scheinbar schon vor mehreren Sommern aufgegeben worden. Dementsprechend war der Zustand der Behausungen, doch Risha hatte sich dennoch entschieden, die Nacht hier zu verbringen. Es war in jedem Fall angenehmer, als dem kühlen Wüstenwind ausgesetzt zu sein.

Sie war vollkommen erschöpft und dennoch fand sie nicht zur Ruhe. Seit Tagen ging es nun schon so. Sie trug eine unbändige Wut in sich, die sie einfach nicht schlafen ließ – und diese galt größtenteils ihr selbst.

Nachdem sie Abstand von der Gruppe gewonnen hatte, war ihr relativ schnell klar geworden, dass ihre Anschuldigungen gegenüber Atemu auf nichts anderem basierten, als ihrem Zorn darüber, dass Kipino gestorben war. Ja, sie glaubte, dass die Versprechungen des Pharao, mit dem Clan Frieden schließen zu wollen, allein diplomatische Köder waren und er – selbst, wenn er es wirklich gewollt hätte – niemals die Möglichkeit haben würde, sie umzusetzen. Sie waren leer, denn auch, wenn er den Schattentänzern gegenüber nun positiver eingestellt war, sein Hofstaat würde es zu verhindern wissen. Was sie allerdings nicht glaubte, war, dass Attribute wie etwa Verschlagenheit zu ihm passten. Und dennoch hatte sie sie ihm unterstellt. Weil der, der Kipino ermordet hatte, nicht da gewesen war, um ihren Hass zu spüren. Weil Atemu der Einzige Mensch sonst war, dem sie derartig die Pest an den Hals wünschte. Und obgleich ihr klar war, dass sie Unrecht hatte, brachte sie es nicht über sich, zum Rest des Widerstandes zurückzukehren. Zumal sie zumindest auf Riell tatsächlich eine ziemliche Wut hegte. Er war ihr wie ein Bruder, auch, wenn sie nur adoptiert war – er hätte zu ihr halten müssen, anstatt den Pharao ihr vorzuziehen! Denn wenn Risha irgendetwas wichtig war, dann war es Loyalität, aber die konnte sie heutzutage scheinbar noch nicht einmal mehr von ihrer eigenen Familie erwarten.

Sie seufzte. Ungeachtet dessen, ob sie nun Recht gehabt hatte oder nicht, würde seine Majestät sterben müssen. Irgendjemand musste einfach für die Gräueltaten des Königshauses büßen, ansonsten würde es niemals Gerechtigkeit geben.

Ein Geräusch riss sie aus den Gedanken. Einen Moment horchte sie angespannt, dann setzte sie sich auf. Sie spürte augenblicklich, wie sich ihre Zwillingsseele regte.

Brauchst du mich?

Nein. Ist wahrscheinlich nur ein Schakal. Ich werde das Biest eben verscheuchen, bevor es noch an unsere Vorräte geht. Ruh dich aus.

Wie du wünscht.

Sie legte sich ihren Umhang gegen die Kälte um die Schultern, ebenso wie ein Tuch, das ihr als Schal diente, und trat aus der Hütte. Sie sah sich um, konnte jedoch nichts entdecken.

Dann hörte sie es wieder. Ein scharrender Laut, der hinter den Resten einer alten Mauer, nur wenige Schritte entfernt, hervordrang. Auf leisen Sohlen eilte sie hinüber und umrundete die Überbleibsel fein geschichteten Sandsteins, während sie einen Dolch zückte – doch da war nichts.

Im nächsten Augenblick spürte sie einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf. Ihre Beine gaben nach und sie stürzte zu Boden. Sofort versuchte sie, sich wieder aufzurichten, doch da fühlte sie bereits, wie sie jemand an den Haaren packte und ihren Kopf zurückzog. Plötzlich erschien das Gesicht ihres Angreifers in ihrem Blickfeld. Ihr Blut gefror zu Eis.

„Hallo Risha. Lange nicht gesehen“, säuselte Keiro.

Er holte aus und schlug ihr ins Gesicht. Die Welt wurde schwarz.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Da bin ich mal wieder. Leider hat es doch (mal wieder, die Zweite) länger gedauert, bis ich das hier hochladen konnte, als geplant, aber na ja ... Die Uni geht eben vor. Vier Wochen noch, dann sind Ferien. Bis dahin gilt es aber noch Prüfungen zu schreiben, Thesenpapiere anzufertigen etc. ... von drei Blockseminaren am Wochenende mal abgesehen. Aber was will man machen? Ein Jahr noch, dann bin ich durch mit dem Studium und darf mich endlich Master of Arts schimpfen. Yay.

Ehe ich nun etwas zum Kapitel sage, möchte ich denen, die hier noch mitlesen, erst einmal ein frohes Neues wünschen. Ich hoffe ihr seid gut reingekommen und hattet ein entspanntes Weihnachtsfest!

Was die FF angeht: Die letzten Steine kommen nun ins Rollen. Bakura wird einen Blick in die Seele der Zeit werfen, Caesian zieht nach Theben, während Taisan in Men-nefer bleibt, Marlic und Samira wissen endlich, wo sie das Relikt finden könnten und Keiro hat Risha aufgetrieben. Außerdem wissen wir jetzt alle, warum der Sphinx keine Nase mehr hat. Ich bin zufrieden.
Dass die Gruppe um Atemu derzeit etwas kurz kommt, ist mir bewusst - allerdings erlebt man eben auf einer Wüstenwanderung nicht allzu viel. Es kommen wieder spannendere Zeiten, was das angeht. Versprochen.

Damit over and out, die Uniarbeit ruft mich wieder. Bis - hoffentlich ... - bald!

LG, Sech Komplett anzeigen

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