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Spiel mit mir, Sibyl

von

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Befreiungsaktion

Fünf Fahrzeuge standen noch zu der späten Stunde auf dem Personalparkplatz der Psycho-Pass-Pflegeklinik in Adachi. In jedem der Fahrzeuge saß eine einzige Person, nur in einem der Wagen waren es zwei. Auf dem Beifahrersitz dieses Autos widmete sich ein breitschultriger Mann mit schwarzem, wirrem Haar einem kleinen Computer, über welchen er Zugriff auf das Überwachungssystem der Klinik erhielt. Er schickte eine Menge Daten aus der letzten Nacht an die Überwachungskameras sowie Psycho-Pass-Scanner im Gebäude, so dass für die nächste Stunde diese Bilder und Werte das wahre Geschehen verschleiern würden. Sorgen, dass diese Manipulation zu schnell entdeckt werden würde, machte er sich keine. Solange die Kameras liefen und nur autorisierte Personen Türen in der Anstalt öffneten, würde das Sicherheitssystem keinen Alarm schlagen. Und sollte der einzige menschliche Wachmann der Klinik, welcher ohnehin nur beauftragt war, die Überwachungsbilder im Blick zu haben, tatsächlich seiner Arbeit nachgehen, ihm sollte nichts Ungewöhnliches auffallen. Zudem sollte das Amt für Öffentliche Sicherheit im Moment alle Hände voll zu tun haben, so dass es unwahrscheinlich war, dass die Beamten bei der Meldung des Vorfalls schnell genug ausrücken konnten, um das Vorhaben zu verhindern.

Die letzten Daten waren erfolgreich übermittelt. Der Beifahrer verstaute den Computer im Handschuhfach und wandte sich an den Fahrer des Wagens.

"Es ist so weit, wir können loslegen."

Der Fahrer des Wagens, der niemand geringeres als Hanayori Heisuke war, gab das Startsignal an seine Kollegen in den anderen Wägen weiter.

Während Heisuke einen Helm über seinen Kopf zog, um sicherheitshalber seine Anwesenheit vor den Scannern zu verbergen, falls die Manipulation der Überwachungsdaten nicht vollständig geglückt sein sollte, setzte sein Partner die große Kapuze seines dunklen Mantels auf und zog diese tief ins Gesicht.

Kurz darauf öffneten sich die Türen der versammelten Fahrzeuge und die sechs Verbündeten stiegen aus. In einer geschlossenen Gruppe überquerten sie den Parkplatz hin zum Personaleingang der Klinik. Der Kapuzenträger zog den Personalausweis Tenba Shioris aus der Manteltasche und hob diesen vor das elektronische Schloss. Auf einem Display daneben wurde eine PIN-Eingabe erwartet und der Vermummte gab die entsprechende Nummer mit durch einen Handschuh geschützten Fingern ein. Daraufhin schwang die schwere Tür auf und ließ die Gruppe in das Innere des Gebäudes.

Die sechs Personen traten ein. Sie durchquerten die Anstalt zielstrebig bis zu den Zimmern der Patienten.

"Das sind die reinsten Zellen. Man wird hier gehalten wie Gefangene ohne überhaupt eine Straftat begangen zu haben. Das ist menschenunwürdig!", äußerte einer der Männer.

"Heutzutage ist es doch quasi eine Straftat, wenn der Kriminalkoeffizient zu hoch ist, aber sich ein Verbrechen vorzustellen und es tatsächlich auszuüben sind zwei ganz verschiedene Dinge", entgegnete Heisuke.

"Und genau deswegen sind wir hier. Wir werden unseren unglücklichen Mitmenschen ihr würdevolles Leben zurückgeben und der Gesellschaft zeigen, dass das Sibyl-System nicht nur Verbrechern die Freiheit entzieht", kam es von dem Kapuzenträger, welcher nun seine Verbündeten eingehend musterte.

"Ihr habt den Plan noch im Kopf? Wer welche Patienten anspricht?", fragte er daraufhin nach.

Die anderen nickten bestätigend.

"Gut", entgegnete er, worauf sich die Gruppe teilte. Der Kapuzenträger ging mit Heisuke, die Übrigen gingen jeder für sich zu verschiedenen Zellen.

Das Duo erreichte schnell ihr erstes Ziel. Hinter einer gläsernen Tür lag ein älterer Mann, der fast 60 Jahre alt war, auf dem Bett und schlief. Mithilfe von Shioris Ausweis wurde die Tür entriegelt. Während Heisuke das kleine, unpersönlich wirkende Zimmer betrat, kümmerte sich sein Partner darum, zu einer anderen Zelle zu gehen, um den dortigen Insassen zu befreien.

Heisuke trat an das Bett heran und rüttelte an den Schultern des Mannes. Es dauerte einen Augenblick, dann schreckte dieser aus dem Schlaf.

"Ganz ruhig. Mein Name ist Hanayori Heisuke, ich bin hier, um Sie hier rauszuholen", erklärte der Hochzeitsplaner, worauf sein Gegenüber immer noch verwirrt schaute.

"Ich weiß, dass Sie, Mido Jusaku, seit bereits 23 Jahren in dieser Anstalt sitzen und das nur, weil Sie den Ärzten die Schuld für den Tod Ihrer Frau gaben, die viel zu früh an Krebs gestorben ist. Wer von uns hätte denn sofort eingesehen, dass trotz dem hohen medizinischen Standard unserer Zeit, man Ihre Frau nicht mehr retten konnte, obwohl Sie sie früh genug ins Krankenhaus gebracht haben? Ihre Reaktion war menschlich, mehr nicht, und selbst wenn Sie den Ärzten gedroht haben, Sie hätten doch nicht gleich unbedacht gehandelt, sondern erst einmal getrauert und das Ganze verarbeitet. Sie wären nie wirklich zu einem Verbrecher geworden, richtig?", fuhr Heisuke langsam und ruhig vor.

Der Mann, der langsam etwas wacher wurde, nickte zögernd.

"Sie sind kein Pfleger der Anstalt, richtig, Hanayori-san?", fragte er mit noch müder Stimme nach.

Heisuke antwortete mit einem Nicken.

"Richtig, ich arbeite nicht hier. Deswegen trage ich den Helm, damit kein Alarm ausgelöst wird, wenn ich Sie befreie. Ich gehöre zu einer Gruppe, die nicht akzeptieren will, dass unschuldige Bürger wie Sie, die nur einen tragischen Schicksalsschlag erleben mussten, deswegen für den Rest ihres Lebens weggesperrt werden, ohne Aussichten auf ein richtiges Leben. Kommen Sie mit mir, dann werden Sie frei sein."

Der Mann schien zu zögern, denn würde er Heisuke folgen, er würde sich dem Urteil des Systems entgegenstellen und damit wirklich zu einem Verbrecher werden. Würde man ihn fassen, wahrscheinlich würde er eine weitere Kriminalkoeffizient-Kontrolle nicht überleben. Andererseits konnte man es schwer als Leben bezeichnen, Tag für Tag in dieser Zelle dahin zu vegetieren.

So nickte er schließlich und erhob sich vom Bett. Heisuke lächelte dem Mann entgegen und verließ mit ihm die Zelle.
 

Unterdessen sprintete Inspektorin Tsunemori durch die Straßen des Bezirks Nakano. In sichtbarer Nähe durchkämmten Teppei und Sho weitere Straßen. Wie erwartet war Hanayori nicht zu finden.

Als Akane einen eingehenden Anruf registrierte, hoffte sie inständig, ein Kollege würde den Kriminellen gefunden haben, denn noch war es nicht vollkommen aussichtslos. Es war immer noch kurz nach 20:30 Uhr.

"Akane-chan, ich bin es schon wieder. Soeben ist eine Meldung eingegangen, dass vor 15 bis 20 Minuten Tenba-san ihren Arbeitsplatz betreten haben soll. Sie wurde auf keinen Scanner erfasst, aber ihr Personalausweis wurde zum Öffnen einer Tür zur Psycho-Pass-Pflegeklinik benutzt", schilderte Shion, worauf Akane stehen blieb.

Wieso erfuhr sie das erst jetzt? Andererseits hatten sie damit auch nicht gerechnet, ihr Fokus war auf anderem gelegen und gerade Shion viel mehr Arbeit als eine einzige Person in kurzer Zeit effizient erledigen konnte. Es war einfach unmöglich, dass sie alle eingehenden Informationen schnell genug überprüfen konnte. Dennoch war diese Zeitverzögerung ein großer Nachteil für die Ermittlungen.

"War das Hanayori?", fragte sie nach, doch fiel Shions Antwort nicht anders als erwartet aus.

"Das kann ich nicht sagen. Ich habe den Wachmann der Klinik kontaktiert. Er meint, auf den Überwachungskameras sei alles so ruhig wie immer. Er kann nicht einmal eine Person ausmachen, geschweige denn einen Helmträger oder Hanayori an sich."

"Das klingt danach, als hätte man sich in das Sicherheitssystem gehackt. Kannst du das überprüfen, Karanomori-san?", fragte Akane, ehe sie die beiden Vollstrecker zu sich rief.

Kurz darauf antwortete ihr Shion: "Das wollte ich dich fragen. Soll ich mich um das Überwachungssystem kümmern oder an dem Algorithmus zur Findung eines Helmes arbeiten? Ich kann nicht beides gleichzeitig tun."

Einen Augenblick lang überlegte Akane, bevor sie sich entschied und ihre Antwort der Analytikerin mitteilte: "Arbeite an dem Algorithmus, ich werde zu der Klinik fahren. Was auch immer die Einbrecher dort wollen, wir sollten sie noch erwischen. Teil bitte Shimotsuki-san mit, dass sie und Kunizuka-san ebenfalls dorthin fahren sollen und richte auch dem Wachmann aus, er soll das Gebäude abriegeln und Tenba-sans Ausweis sperren. Ach und kontaktiere doch Sasayama-san. Sie meinte ohnehin, sie wolle alles tun, um uns zu unterstützen, Hanayori zu schnappen. Wir können jede helfende Hand gebrauchen und sie kann dir sicher eine Hilfe sein."

"Wird erledigt. Viel Erfolg."

"Danke", quittierte Akane.

Zusammen mit Teppei und Sho rannte sie zurück zu den beiden Wägen, um nun nach Adachi zu fahren. Der Bezirk lag ein gutes Stück von Nakano entfernt, was bedeutete, dass Heisuke zu der angekündigten Tatzeit wirklich an keinem der Tatorte gewesen sein konnte, falls dieser für den Einbruch in die Pflegeklink verantwortlich war. Es hieß ebenso, dass wenn dieser Einbruch von ihm geplant war, Heisuke gar nicht vorgehabt hatte, zu dieser Zeit direkt einen Mord zu verüben. Damit stand fest, dass er wirklich wie angenommen die Beamten als Vollstrecker seiner Tat eingeplant hatte und/oder die ganzen Inszenierungen nur der Ablenkung dienen sollten.
 

Mit Blaulicht und Sirene rasten die beiden Polizeiwägen über die Schnellstraßen hin in den nordnordöstlichen Bezirk Tokyos. Wie die meisten Psycho-Pass-Pflegekliniken lag auch die von Adachi etwas abgelegen von den Wohngegenden am Stadtrand, da die meisten Bürger nicht direkt bei einer solchen Einrichtung wohnen wollten. Sie hatten das Gefühl, die Nähe zu latenten Verbrechern würde ihren Psycho-Pass trüben. Dieser Umstand erschwerte es leider auch, sehr schnell zu der Klinik zu kommen. Allein 20 Minuten waren die Beamten auf der Hauptstraße unterwegs, bevor sie auf die lange Seitenstraße abfuhren, an deren Ende die Einrichtung lag.

Als Akane auf dieser einen Blick auf die Zeitanzeige warf, die auf die Frontscheibe des Wagens projiziert wurde, zeigte diese 22:03 Uhr an. Eine Dreiviertelstunde hatten die Einbrecher bereits im Gebäude verbracht. Sollte der Wachmann alle Ein- und Ausgänge problemlos abgesperrt haben, sollten die Eindringlinge dennoch im Gebäude festsitzen. Tatsächlich aber schien dies nicht der Fall zu sein, denn als das Zielgelände in Sicht kam, schoss ein Wagen aus der Ausfahrt des Parkplatzes auf die Straße und fuhr sogleich an der Inspektorin vorbei. Auf dem Fahrersitz des Wagens erkannte sie einen Helm, der dem kurzen Blick nach den Helmen von vor vier Jahren sehr zu ähneln schien. Das musste Heisuke sein.

Akanes erste Reaktion darauf war, das Tempo zu drosseln, während sie nun eine Taste am Armaturenbrett drückte, um Mika anzufunken.

"Wo bist du gerade?", rief Akane, unmittelbar nachdem ein leises Klacken verkündete, dass sie erfolgreich durchgestellt worden war, in das Mikrophon.

"Ich bin gerade von der Hauptstraße herunter gefahren, auf dem Weg zur Klinik", antwortete Mika.

"Gut. Errichte vor der Auffahrt auf die Hauptstraße eine Straßensperre. Hanayori hat die Anstalt bereits in einem dunkelblauen Wagen verlassen. Er sollte in wenigen Minuten vor Ort sein."

Bevor Mika dem antworten konnte, beendete Akane bereits das Gespräch, sogar etwas eher, als diese es selbst vorgehabt hatte, da ein weiterer Wagen an ihr vorbei fuhr und so ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Auch dieser war vom Personalparkplatz der Psycho-Pass-Pflegeklinik gekommen, weswegen Akane einen Komplizen im Fahrzeug vermutete. Zu ihrem Erstaunen blieb es nicht bei einem weiteren Wagen, noch einer verließ den Parkplatz. Heisuke schien wirklich eine ganze Gruppe von Verbündeten zu haben.

Akane versuchte, den Streifenwagen dem anderen in den Weg zu lenken, während sie auch an die Gruppe von Drohnen, die ihr folgte, über eine Taste im Wagen den Befehl gab, die Straße zu Seiten ihres Fahrzeuges zu sperren. Der Fahrer des anderen Wagens schaffte es dennoch, an ihr und den Drohnen vorbei zu kommen.

Seufzend wollte Akane das Auto wenden, um nicht alles Mika überlassen zu müssen, als ein viertes Fahrzeug vom Parkplatz kam. Für dieses und auch das schon sichtbar Fünfte war eine Flucht unmöglich. Die Drohnen sperrten die Straße bereits komplett ab und einen anderen Weg gab es nicht, der vom Grundstück der Anstalt führte.

"Hier spricht das Amt für Öffentliche Sicherheit. Halten Sie Ihre Fahrzeuge an und kommen Sie raus!", rief Akane den Verdächtigen über eine Lautsprecheranlage im Polizeiwagen zu.

Das nähere Auto reagierte darauf nicht, im Gegenteil, es beschleunigte und rammte kurz darauf mit hoher Geschwindigkeit die Reihe von Drohnen. Ein paar von diesen kippten um, blieben allerdings weiter dem Einbrecher im Weg liegen und hatten seine Geschwindigkeit auf das Minimum abgebremst. Um über die nun liegenden Drohnen zu kommen, musste er erneut ein höheres Tempo aufbauen, wozu er erst einmal wieder ein Stück zurück fuhr. Diesen Umstand nutzten Akane und die Vollstrecker. Schnell stiegen sie mit ihren Dominatoren aus und brachten sich vor und hinter den Drohnen in Position.

"Ich wiederhole: halten Sie Ihre Fahrzeuge an und kommen Sie raus!", rief Akane erneut.

Ihr Blick musterte ernst den Fahrer des näheren Wagens, welcher inzwischen zum Stillstand gekommen war.

Aufgrund der nächtlichen Stunde erkannte sie nur grobe Züge und auch ihr Dominator, den sie auf den Mann richtete, konnte ihn nicht anvisieren, jedoch war der Zorn in seiner Mimik nicht zu übersehen.

Im Hintergrund hielt unterdessen das zweite Fahrzeug an, mit erhobenen Händen stieg ein Mann Anfang 50 aus dem Wagen. Sho lief diesem entgegen, bis er den Mann in der Schusslinie seines Dominators hatte.

"Bitte, nicht schießen. Ich -", haspelte der Mann, ehe ihn der betäubende Schuss des Non-Lethal-Paralyzers zu Boden sinken ließ.

Der Fahrer des vorderen Autos schien das nicht mitzubekommen. Er startete einen weiteren Fluchtversuch, gab Gas und beschleunigte frontal auf Akane und die Drohnen zu. Ihr Dominator wechselte automatisch in den Modus Destroy Decomposer, was der Inspektorin keine Freude bereitete.

"Halten Sie an!", versuchte sie erneut, den Fahrer zur Besinnung zu bringen, welcher mit dem Auto nur noch wenige Meter von Akane entfernt war.

Er reagierte nicht, doch selbst wenn er gebremst hätte, sollte sich Tsunemori nicht in Bewegung setzen, er würde sie auch dann erwischen. Deswegen wollte Akane zur Seite springen, zuvor jedoch traf ein Schuss den Wagen und riss ein großes Loch in dessen Inneres. Einzelteile des Autos flogen umher und landeten auf dem Boden. Zu Akanes Glück wurde sie von keinem der Teile getroffen, nur ein loser Reifen rollte knapp an ihr vorbei.

Der Fahrer des Wagens hatte nicht im Ansatz ein vergleichbares Glück. Von diesem war nicht einmal ein Knochen oder eine Blutspur übrig geblieben.

Mit einem Gefühl der Enttäuschung ließ die Inspektorin ihren Dominator sinken. Sie hatte gewusst, dass ein Mensch keine Überlebenschancen hatte, wenn seine nahe Umgebung von dem Destroy Decomposer getroffen wurde. Da war es egal, ob sein Kriminalkoeffizient bei über 300 oder sogar unter 100 lag, ob der Mensch in Sibyls Augen den Tod verdient hatte oder nicht. Genau aus diesem Grund hatte sie den Schuss nicht abgegeben.

Mit einem wütenden Blick drehte sie sich zu dem Schützen hinter sich um, zu Sugo Teppei.

"Was sollte das? Hast du nicht gemerkt, dass ich nicht wollte, dass auf ihn geschossen wird?!", fuhr sie ihn ihre Höflichkeit vergessend an.

"Hätte ich nicht geschossen, der Wagen hätte Sie überfahren, Inspektorin", rechtfertigte sich Teppei ruhig.

Der Vollstrecker senkte die Waffe und schritt nun näher auf sie zu.

"Ich hätte mich schon rechtzeitig in Sicherheit bringen können", konterte sie.

"Das bezweifle ich", seufzte Teppei, wobei auch Akane in ihrem Inneren wusste, dass er Recht hatte.

Die Inspektorin registrierte einen Anruf, doch im Moment konnte sie diesen nicht weiter beachten.

Stattdessen verkrampften sich ihre Finger um den Griff ihres Dominators, welcher zurück in den Non-Lethal-Paralyzer-Modus wechselte. Teppei hatte richtig gehandelt, sie konnte ihm keinen Vorwurf machen und dennoch wollte sie diese Situation nicht akzeptieren. Ein weiterer Mensch hatte an diesem Abend sein Leben unnötiger Weise gelassen. Für einen Moment schloss sie die Augen, atmete tief durch, um sich zu beruhigen.

Als sie die Augen wieder aufschlug, stand Sho vor ihr, den bewusstlosen Mann über einer Schulter stützend.

"Inspektor Tsunemori?", sprach er sie unsicher an, ehe er nach dem Nicken Akanes fortfuhr. "Das ist der Wachmann der Klinik. Es scheint, er habe mit den Einbrechern zusammengearbeitet."

Die Brünette musterte den Bewusstlosen kurz. Wenigstens dieser hatte überlebt.

"Nimmt ihn mit in euren Transporter. Wir bringen ihn zur Zentrale und befragen ihn, sobald er aufwacht. Sonst war niemand bei ihm im Wagen?", hakte Akane nach.

Sho bestätigte dies mit einem Nicken.

"Gut. Also bring ihn in den Wagen, Sugo-san und ich werden den Parkplatz unter die Lupe nehmen sowie die Klinik an sich, falls dort noch jemand ist. Komm dann nach, Hinakawa-san", befehlte sie, worauf sie sich umdrehte und auf den Parkplatz schritt.

Teppei folgte ihr schweigend, während Tsunemori das holographische Display über ihrer Smartwatch erscheinen ließ, um zu überprüfen, wer sie vorhin angerufen hatte. Es war Mika gewesen. Umgehend startete Akane einen Rückruf.

"Na endlich", kam es vom anderen Ende der Leitung.

"Wir hatten hier noch weitere Verdächtige festzunehmen", erklärte Tsunemori knapp, ehe sie darauf wartete, dass ihre Kollegin auf den Grund ihres vorigen Anrufes zu sprechen kommen würde.

"Ach so. Wie viele Leute arbeiten denn mit Hanayori zusammen?", überlegte Mika laut, wobei sie, als ein Kommentar Akanes ausblieb, fortfuhr. "Also wir haben die Fahrer festnehmen können. Auch denjenigen mit dem Helm, aber das war nicht Hanayori. Es war ein Mädchen."

"Das heißt, Hanayori war nicht unter ihnen?", fragte Akane überrascht nach.

"Nein", bestätigte Mika. "Jedenfalls haben wir die drei Einbrecher mit dem Paralyzer außer Gefecht gesetzt. Ich würde mit ihnen gleich zurück fahren und den Einsatz beenden."

"Ist in Ordnung. Hinakawa-san, Sugo-san und ich werden die Klinik noch untersuchen. Vielleicht finden wir Hanayori noch vor Ort", entgegnete Akane und beendete das Gespräch.

Gleich darauf funkte sie Shion an.

"Tsunemori-san, was kann ich für Sie tun?", meldete sich die Stimme Mizues, was Akane für einen kurzen Augenblick aus der Bahn warf. Das war einfach ungewohnt, selbst wenn sie Shion vorgeschlagen hatte, die Psychologin um Mithilfe zu bitten.

"Sasayama-san, ich wollte Karanomori-san darum bitten, nun doch einmal auf die Überwachungsdaten der Klinik zuzugreifen, den Wachmann selbst haben wir paralysieren müssen. Ich bin mir sicher, dass Hanayori hier vor Ort ist", erklärte die Brünette.

"Ah ... warten Sie bitte kurz."

Kaum verständlich hörte Akane ein folgendes Gespräch zwischen Shion und Mizue mit an. Einzelne Wörter schnappte die Inspektorin auf, so dass sie erkennen konnte, dass die Psychologin erklärt bekam, wie sie überprüfen konnte, an welchen Orten Shioris Personalausweis eingesetzt wurde.

Während es mit einer Antwort aus der Analyseabteilung noch etwas dauerte, betrat Akane mit Teppei das Gebäude über den noch offen stehenden Personaleingang. Die nahegelegenen Räume waren ausschließlich für das Personal und bis auf die Toilettenräume allesamt abgeschlossen. Die Ermittlerin überprüfte die Toiletten, während Teppei im Gang zurück blieb, damit ein aus dem Gebäude Flüchtender an ihnen nicht ungesehen vorbei kommen konnte.

"Wenn wir wenigstens wüssten, was sie hier gesucht haben", wandte der Vollstrecker ein, als Akane zurück auf den Gang trat.

Zustimmend nickte sie und setzte ihren Weg ins Innere der Klinik fort. Der Zugang zum Treppenhaus war abgeriegelt, über welches man ohnehin nur in den Keller, in welchem Medikamente gelagert wurden, sich Heizungen und sonstige Vorrichtungen zur Lebenserhaltung in der Anstalt befanden, und aufs Dach kam.

"Tsunemori-san, Shiori-chans Personalausweis war zuletzt aktiv, als die Tür zum Personalausgang von innen geöffnet wurde. Zuvor wurden ein paar Durchgänge zu den Patientenzimmern geöffnet und dort die Türen von zehn Zimmern", meldete sich Mizue zurück. "Das heißt, falls sich Hanayori oder sonst noch jemand im Gebäude versteckt, dann nur in dem Bereich zwischen dem Eingang und den Patientenzimmern. Der Bereich der Zimmer selbst ist gut videoüberwacht. Mit Shion-sans Hilfe konnte ich darauf zugreifen und sicherstellen, dass die Videoaufzeichnungen aktuell und echt sind. Dort ist niemand und die zehn geöffneten Zellen sind leer. Auch von den entsprechenden Patienten fehlt jede Spur."

"Danke, Sasayama-san", entgegnete Akane gefolgt von einem Seufzer.

Da sie bereits den Bereich durchsucht hatten, in dem Hanayori sein konnte, war sicher, dass er nicht mehr im Gebäude war. Noch dazu waren ihn eingeschlossen mindestens sieben Personen auf der Flucht.

Akane winkte Teppei und Sho, welcher inzwischen zu ihnen gestoßen war.

"Im Gebäude ist er nicht mehr ", teilte Akane mit, worauf das Trio wieder aus der Klinik eilte.

Weit konnten die Flüchtigen noch nicht sein. Im Vergleich zu der Umgebung der Karaokebar Virgo, konnten die Ermittler hier die Fluchtrouten einschränken. Die Hauptstraße und der Weg dorthin fielen weg, denn dann hätten die Beamten sie bemerkt. Hohe Gebäudemauern hinaufzuklettern schien auch auszuscheiden. Es blieben damit zwei mögliche Fluchtwege: einer zur angrenzenden U-Bahn-Station und der andere weiter nach Norden in die Präfektur Saitama. Akane vermutete, dass die Fluchtroute über Ersteres lief. Sie hatten schon gestern auf den Scannern und Überwachungsvideos die Spur von Shiori verloren, als diese die U-Bahn-Station betreten hatte. Bestimmt nutzte Heisuke denselben Weg, um seine neusten Anhänger in Sicherheit zu bringen, über welchen er gestern auch die Psychologin hatte verschwinden lassen. Dass diesmal der Weg zu der Wohnung Heisukes führen würde, bezweifelte die Inspektorin jedoch sehr stark. Der Verdächtige schien ihr nicht so dumm, als würde er nicht wissen, dass das Amt für Öffentliche Sicherheit sein Wohngebäude immer noch im Blick behielt.

"Zur U-Bahn. Wir müssen dort alles absuchen und den Fluchtweg finden!", befahl die Inspektorin, kaum dass sie mit ihren Kollegen die Klinik verlassen hatte.

Zu der Station waren es nur wenige große Schritte. Um die Uhrzeit war die U-Bahn-Station wie ausgestorben. Außer Besuchern und dem Klinikpersonal fuhr kaum jemand bis zu dieser Endstation und für heute waren die Besuchszeiten ebenso wie die meisten Arbeitsschichten bereits vorbei.

Die Ermittler betraten die Station und während die beiden Vollstrecker gleich voran preschten, sah Akane sich etwas gründlicher im Eingangsbereich um.

Ein Psycho-Pass-Scanner befand sich direkt beim Eingang. Eigentlich hätte dieser die Flüchtigen erkennen müssen, aber das galt ebenso für die Scanner in der Klinik. Allerdings wusste Akane nicht, ob ein Scanner auf dem Grundstück der Pflegeanstalt nur dem dortigen Wachmann Bescheid gab, welcher ein potentieller Mittäter war, oder auch direkt an das Amt für Öffentliche Sicherheit weitergeleitet wurde. Bei dem Scanner hier sollte eigentlich Letzteres der Fall sein.

"Inspektorin Tsunemori, ich hab etwas gefunden", kam es von Sho.

Akane ging daraufhin näher auf diesen zu und schob die Sache mit dem Scanner erst einmal in den Hintergrund ihrer Gedanken.

"Hier", fuhr Sho fort, als die Inspektorin bei ihm war, "ist der Zugang zur Kanalisation offen."

Tsunemori blickte auf die offene Tür vor dem Rothaarigen.

Seufzend hob sie eine Hand vor den Mund und schüttelte den Kopf. Das war viel zu einfach. Die Gänge der Kanalisation wurden nicht bewacht, da außer ein paar Arbeitern dort nie jemand runter kam und die Ausgänge eigentlich stets verschlossen sein sollten. Noch dazu verliefen die Abflussleitungen mit den kleinen Gängen, die es einem Menschen ermöglichten, sich unter der Erde fortzubewegen, in einer komplizierteren Struktur als das Straßensystem der Stadt. Darüber konnte man eigentlich überall hin gelangen.

"Das sind noch alte Türen, die nur eine Codeeingabe verlangen und sich immer von Innen öffnen lassen, richtig?", mutmaßte Akane.

Teppei, der inzwischen wieder zu ihnen getreten war, nickte bestätigend. "Jeder kann sie öffnen, der den Code dazu hat und der Code ist für jede Tür in der Stadt identisch."

"Und sie sind nicht mit dem System verbunden, was bedeutet, dass Karanomori-san uns auch nicht sagen kann, wie lange die Tür schon offen steht oder wo die nächste offene Tür ist", ergänzte Akane. "Das heißt, wir können unsere Suche abbrechen. In diesem Labyrinth aus Gassen finden wir sie nicht."

Unzufrieden über diese Erkenntnis wandte sich die Inspektorin ab.

"Kannst du die Tür wieder abriegeln?", fragte sie dabei noch Sho, welcher nickend die Tür schloss und mit einer Eingabe, die sich auf das Drücken einer Taste mit der Aufschrift 'Lock' beschränkte, den Eingang zur Kanalisation abschloss.

Akane rief derweil wieder im Analyselabor an.

"Habt ihr die Verbrecher wieder eingefangen?", kam es gleich von Mizue.

"Nicht alle. Sie konnten über die Kanalisation flüchten. Überprüfen Sie bitte einmal den Scanner beim Zugang zur U-Bahn-Station 'Adachi Pflegeklinik' und geben Sie an die zuständigen Behörden durch, dass der Sicherungscode für die Türen zur Kanalisation geändert werden muss", beauftragte Akane die Ältere.



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