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Tabula Rasa

A Doctor Who Miniseries
von

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Ermittlungen

Es hatte etwas gebraucht, bis der Master den Kutscher vollends davon überzeugen konnte, dass sie ihren Gefangenen ausgerechnet zur Wohnung von John bringen sollten. Doch schließlich war der hypnotisierte Kutscher friedlich von dannen gezogen und die drei konnten in Johns Wohnung der nächtlichen Kälte entfliehen. Sie befanden sich in einem gemütlichen kleinen Wohnzimmer, dessen Wände mit bereits älteren Theaterpostern geschmückt waren. Das rote Sofa hatte der Master hemmungslos in Beschlag genommen, während der Doctor unbeholfen daneben stand und John seine beiden Gäste skeptisch musterte.

„Sie sind also nicht von Scottland Yard, sondern ermitteln auf eigene Faust und wollen mir deshalb einfach so … helfen?“, wiederholte er mit einer Spur Unglauben.

„Ganz richtig, wir können das aber noch ein drittes Mal wiederholen, wenn es das für dich verständlicher macht“, bot der Master in spöttischer Aufrichtigkeit an.

„Wie wir bereits sagten; wir glauben, dass etwas nicht mit rechten Dingen vor sich geht“, mischte sich der Doctor mit einem mahnenden Seitenblick auf seinen Begleiter ein. „Und du scheinst bisher unsere beste Anlaufstelle zu sein.“

„Aber wie soll ich Ihnen weiterhelfen können?“, fragte John zweifelnd. Er wirkte angespannt, als würde er jede Sekunde damit rechnen, sich verteidigen zu müssen.

„Indem du uns alles, was du über die Anstalt von Mr Rutherford weißt, erzählst“, erklärte der Doctor.

„Ehrlich gesagt, weiß ich nicht allzu viel. Sie wissen bereits von Mr Rutherford, Sie haben die Abscheulichkeit der Ophelia-Ausstellung mit eigenen Augen gesehen und von der Wunderheilung werden Sie- …“

„Wunderheilung?“, unterbrach der Doctor ihn.

„Ja, Wunderheilung. Dafür ist die Anstalt für eigensinnige Mädchen doch in den letzten Monaten bekannt geworden.“

Ein Blick in das ratlose Gesicht des Doctors genügte John, um zu bestätigen, dass keiner seiner Gäste bisher davon gehört hatten. Misstrauisch beäugte er sie. „Verzeihen Sie, Sirs, aber Mr Rutherfords Durchbruch war das Gesprächsthema in London. Sicherlich müssen Sie davon irgendetwas mitbekommen haben.“

„Sicherlich. Wenn wir in London gewesen wären“, erwiderte der Master. „Da wir uns aber auf Reisen befunden haben, ist das Gesprächsthema, wie es scheint, an uns vorbeigegangen. Wie wäre es, wenn du uns aufklärst?“
 

John lächelte ein bitteres Lächeln. „Ja, auf Reisen bekommt man tatsächlich nicht viel mit. Also gut“, fuhr er fort, „Ihnen ist klar, aus welchen Gründen junge Mädchen und Frauen in dieser Anstalt landen? Sie sind von der Gesellschaft als verrückt erklärt worden. Oft entsprechen sie nicht der Norm, denken zu frei - was auch immer…“ Johns Blick verlor sich in den Flammen des Kaminfeuers, das leise knisterte. „Neuerdings rühmt sich Mr Rutherford damit, dass er einen Weg gefunden habe, den kranken Geist dieser armen Frauen zu heilen. Und das tut er. Mit genug Geld ist aus dem verrückten Weib ein Vorzeigemodell für die Gesellschaft geworden, wenn es wieder entlassen wird.“

„Das ist unmöglich“, murmelte der Doctor. „Nun zumindest kaum auf natürliche Art und Weise - und selten dauerhaft“, fügte er mit einem Seitenblick auf das Grinsen des Masters hinzu.

„Schließen wir also Hypnose und Gedankenkontrolle aus“, fasste der Master zusammen, dem Johns beinahe ungläubiger Gesichtsausdruck sehr zu vergnügen schien.

„Sie glauben mir?“, fragte John gefasst.

„Natürlich!“, rief der Doctor. „Warum sollte ich das nicht tun? Aber wir brauchen mehr Informationen. Das alleine reicht nicht. Wie sollten sie so etwas anstellen? Und mit wem und vor allem warum?“ Unruhig begann er durch den kleinen Raum auf und abzuschreiten während er sich nachdenklich durch das ohnehin schon zerzauste Haar fuhr.

„Na ja, sie scheinen ja ein hübsches Sümmchen damit zu machen“, warf der Master ein, während er gelangweilt den Lauf der Pistole betrachtete.

„Das kann nicht alles sein! Da steckt mehr hinter. Sie müssen irgendeinen Plan verfolgen, irgendein Ziel haben!“

„Vielleicht macht es ihnen Spaß“, entgegnete der Master mit einem Grinsen und verzog sein Gesicht in gespieltem Ernst beim ermahnenden Blick des Doctors. „Vielleicht erhoffen Sie sich dadurch Kontrolle.“
„Kontrolle! Aber wofür? Und viel wichtiger: Wer ist sie?“

„Das könnte tatsächlich wichtiger sein als das warum.“

„Also hast du es doch gespürt! Da war etwas!“

„Natürlich, aber glaubst, du mich kümmert das? Diese Primaten sind es selbst schuld, wenn sie zu dumm sind sich zu wehren - oder noch dümmer, wenn sie sich auf etwas Fremdes einlassen.“

„Wollen Sie etwa sagen, dass gar eine Erscheinung aus dem Jenseits hier am Werk sein kann?“, fragte John, der der Unterhaltung zwischen dem Doctor und dem Master vergeblich versucht hatte, zu folgen.

Augenblicklich hielten die beiden Time Lords in ihren Überlegungen inne und sahen den etwas fassungslosen Menschen an. Der Master brach in Gelächter aus, während der Doctor die Situation zu erklären versuchte. „Vielleicht keine Geister“, wandte er ein, „eher fremde Lebewesen - vielleicht von außerhalb … von den Sternen.“
Johns Augen wurden groß. Dann besann er sich jedoch eines Besseren. „Sie führen mich hier gerade an der Nase herum.“

„Nein, nicht wirklich…“, sagte der Doctor und verstummte. Alles zu seiner Zeit. Es sollte für den Abend reichen, wenn er Johns Vertrauen gewonnen hatte. Der Rest würde sich schon von selbst zeigen.
 

„Hören Sie mal, ich bin Ihnen zweifellos dankbar, dass Sie anscheinend gewillt sind, mir zu glauben. Wenn Sie nicht gewesen wären, dann würde ich mich nun im Knast befinden“, sagte John. Er schien ungehaltener zu werden. „Aber mit irgendwelchen Spekulationen, die einem Groschenroman entsprungen sein könnten, kann ich niemandem helfen.“

„Wenn ich mich recht entsinne, warst du derjenige, der etwas von einer Wunderheilung gesagt hat“, warf der Master gleichmütig ein.

„Die Wunderheilung ist schließlich bewiesen … was Sie da aber von irgendwelchen Geistern und … und fremden Lebewesen erzählen, ist absurd!“

„Wir sind absurd“, sagte der Master mit einem bedeutungsvollen Blick zum Doctor. Er schien sich bestens unterhalten zu fühlen.

Der Doctor jedoch war sich den Ernst der Lage bewusst. „Lass es!“, brummte er unwirsch und fuhr sich nachdenklich durchs Haar. „Wir gehen also nur von einer Wunderheilung aus. Warum glaubst du, dass das kein Märchen ist, das man sich erzählt, John?“

„Wegen meiner Tante. Sie ist vor einigen Monaten komplett geheilt entlassen worden.“

„Deine Tante … können wir ihr einen Besuch abstatten?“

„Nun … ich denke schon … aber-“

„Also gut!“, rief der Doctor, während er sich seinen Mantel überzog. „Dann wollen wir doch mal sehen, was es mit dieser Wunderheilung auf sich hat.“

Weder der Master noch John rührten sich auch nur einen Zentimeter von der Stelle.

„Ähm Sir?“, sagte John vorsichtig. „Ich glaube nicht, dass meine Tante um diese Zeit noch Besucher empfangen wird. Ich werde ihr eine Nachricht senden können und fragen, ob wir morgen zur Teezeit bei ihr vorbeischauen dürfen.“

„Ja, das ist vielleicht eine bessere Idee“, stimmte der Doctor zu, während er sich wieder seinen Mantel auszog. In seiner Eile hatte er ganz vergessen, dass es bereits Abend war und es Konventionen zu beachten galt.

„Haben Sie eine Bleibe?“, fragte John unvermittelt. „Denn wenn nicht, es ist spät. Ich könnte Ihnen meine Wohnung anbieten. Platz auf dem Sofa wäre für einen von Ihnen und ich könnte mit dem Boden Vorlieb nehmen, wenn einer gerne in einem Bett schlafen möchte …“

„Klingt gut, ich nehme das Bett.“ Der Master sah zum Doctor und wartete auf einen Protest von dessen Seite. Doch der andere Time Lord fügte sich mit einem resignierten Nicken. Gut so! Er war froh, von der Seite des Doctors loszukommen und wenn das nur bedeutete, in einem anderen Raum zu sein. Außerdem brauchte er Ruhe. Eine Idee nahm in seinem Kopf Gestalt an, die er ausarbeiten wollte, ohne dabei irgendwelche Störungen von Seiten des Doctors ertragen zu müssen. Auf überflüssige Moralpredigten konnte der Master gut verzichten.
 

Die ersten Strahlen der Morgendämmerung fielen in das kleine gemütliche Schlafzimmer, als der Master erwachte. Schlaftrunken blinzelte er. Es war befremdlich, an so einem ruhigen und friedvollen Ort aufzuwachen. Er konnte sich nicht erinnern, zuletzt … doch konnte er. Verdrossen schlug der Master die warme Decke beiseite und erhob sich. Zu seiner Zeit als Harold Saxon war er in dem ein oder anderen Zimmer untergekommen. Zimmer, die gemütlich und voller Erinnerungen waren mit Bildern und Pflanzen und einem Geruch von Zuhause. Nostalgischer Firlefanz! Was er brauchte, war ein großer Raum, in dem er arbeiten konnte. Ein Bett war natürlich nicht schlecht, aber was kümmerten ihn Dekorationen? Nachdenklich ließ er seinen Blick über die beiden Landschaftsbilder wandern, die an der hellgemusterten Tapete hingen. Eigentlich brauchte ihn das Ganze auch nicht zu kümmern. Der Doctor schien unermüdlich in seiner Suche nach dem Abenteuer, weshalb er kaum die Möglichkeit hatte, Zeit im gigantischen Inneren der TARDIS zu verbringen.
 

Leise Stimmen drangen durch die Wohnung. Mit gespitzten Ohren folgte der Master deren Ursprung. Etwas an dem Gedanken, dass der Doctor und John bereits auf waren und sich miteinander unterhielten, gefiel ihm nicht. Wenn sie Vorbereitungen für diesen Tag trafen, wollte er dabei sein. Nur um sicher gehen zu können, dass sein eigener Plan funktionieren würde.

„… sowie wir Antwort kriegen, kann ich mehr sagen.“

„Und wenn wir trotzdem hinfahren?“

„Mein Vater …“

„Morgen!“, brummte der Master.

John hielt in seinem Satz inne. „Guten Morgen“, sagte er. „Der Tee ist bereits fertig. Zum Frühstück kann ich Ei und Brot mit Marmelade anbieten.“

„Klingt gut“, meinte der Master und ließ sich in einen Stuhl fallen, während John ihm Tee einschenkte. „Und?“, fragte er mit einem Grinsen in die kleine Runde hinein. „Was habe ich verpasst?“

Der Doctor und John sahen sich flüchtig an. „Nicht viel“, meinte John. „Ich habe soeben die Nachricht an meine Tante geschickt, in der ich meinen Besuch für heute Nachmittag ankündige.“

„Und wann wäre das?“, fragte der Master, während er sich eine Scheibe Brot mit Marmelade bestrich.

„Um drei Uhr. Auf Drängen Ihres Freundes werde ich versuchen eher zu erscheinen, auch wenn meine Tante ungern Besucher empfängt und wir mit einer Einladung zum Tee auf einer viel sicheren Seite wären.“

Schweigend nippte der Master an seinem heißen Darjeeling Tee. Er sah, wie der Doctor nicht allzu glücklich über diesen Beschluss dreinschaute. Und er konnte sich denken warum. „Ich glaube, dann haben wir ein kleines Problem mit der Zeit, kann das sein?“

Der Doctor nickte zustimmend. „Wir sollten dringend der Einladung von Mr Gibbs nachkommen und Ermittlungen anstellen.“

„Nur bis zur Anstalt, dauert die Fahrt mit der Kutsche bestimmt eine Stunde, wenn nicht länger“, ergänzte der Master. Er bemerkte, wie der Gesichtsausdruck des Doctors sich unmerklich in Misstrauen wandelte.

„Was schlägst du vor?“

„Ganz einfach, wir teilen uns auf.“

„Das-“

„Oh nein“, unterbrach der Master ihn, „bevor du was sagst, Doctor, denk drüber nach! Das ist die Gelegenheit für dich, zusammen mit John der Sache mit seinem Liebchen und der Tante nachzugehen. Da wäre ich nur im Weg. Ich dagegen könnte mich viel besser schon einmal mit diesem Gibbs und Rutherford gutstellen. Zu meiner Zeit als Saxon hatte ich oft mit Leuten ihres Kalibers zu tun und das hat wunderbar funktioniert.“

Skeptisch sah der Doctor ihn an. Nein, nicht skeptisch. Eher unsicher. Der Master konnte ihm anmerken, dass der Doctor diesem Vorschlag zustimmen wollte. Das hier konnte eine Probe werden, ein Vertrauensbeweis.

Mit einem Seufzen machte er eine unmerkliche Geste zu dem Amulett, das um seinen Hals hing. „Ich bin auf dich angewiesen. Da wird schon nichts schiefgehen. Vertrau mir. Außerdem möchtest du mich bestimmt mal für ein paar Stunden los sein nach dem ganzen Herumgereise.“
 

Noch immer sagte der Doctor nichts, sondern sah den Master nur lange schweigend an. Sein Vorschlag war plausibel und schien für jeden von ihnen das beste zu sein. Doch genau das beunruhigte den Doctor. Welchen Nutzen zog der Master daraus? Zog er einen daraus? Vielleicht wollte er tatsächlich nur einmal seine Ruhe haben. Seine Finger tasteten nach dem Psychic Paper. Vielleicht war es an der Zeit, seinem Begleiter zu vertrauen. Irgendwann würde er das müssen und jetzt war ein genauso guter Zeitpunkt wie jeder andere auch. Oder?

„Vielleicht ist es gar nicht schlecht, wenn ich nur mit einem Fremden bei meiner Tante erscheine“, mischte sich John plötzlich ein. „Zumindest halte ich das für eine sehr gute Idee, sich aufzuteilen. Nach dem, was gestern geschehen ist, wird uns ohnehin nicht viel Zeit bleiben. Man wird anfangen, nach mir zu suchen und nach Ihnen, denke ich, auch, wenn rauskommt, dass sie gar nicht von Scottland Yard sind.“

„Der Junge hat recht“, rief der Master überrascht darüber, auf einmal Verstärkung von einem minderbemittelten Primaten zu bekommen. „Hör auf John. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

Einen kurzen Moment zögerte der Doctor noch, dann ließ er dem Master das Psychic Paper zukommen. „Das wirst du eher brauchen als ich. Sowie ich mit John fertig bin, komme ich nach.“

Mit einem triumphierenden Grinsen nahm der Master das Papier.

„Und mach keine Dummheiten“, warnte der Doctor einem Impuls folgend.

„Aber Doctor, was denkst du von mir?“, fragte der Master scheinheilig. „Das wird eine ordentliche und gründliche Ermittlung werden mehr nicht. Danach können wir gerne den Ergebnissen ein bisschen auf den Grund gehen.“

Der Doctor erwiderte das Grinsen nicht. „Ich vertraue dir“, sagte er schlicht und suchte den Blick des Masters.
 

~*~
 

Mein liebster John,
 

alle sagen sie mir, dass ich aufhören soll, auf Dich zu warten. Sie haben Dich für tot erklärt, doch ich will ihren giftigen Worten keinen Glauben schenken. Du hast mir versprochen zurückzukehren und das wirst Du auch. Wenn ich bloß wüsste wann!

Die Zeit rennt mir davon. In nur wenigen Wochen werde ich mit Mr Warren vermählt sein. Ich kann immer noch nicht glauben, dass Mutter das zulässt. Es sei solch eine gute Partie, betont sie und dabei weiß sie um meine Liebe für Dich.

John, was auch passieren mag, bitte sei Dir gewiss, dass mein Herz ganz allein Dir gehört. Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie man unser Glück zu zerstören versucht.
 

Deine,

Veronica
 

Der Doctor sah nachdenklich von dem Brief auf, den er in der Hand hielt. Er war etwas ratlos, was er mit den eben gelesenen Informationen anfangen sollte, da sie nichts von einer außerirdische Bedrohung zu berichten schienen.

„Der letzte Absatz“, meinte John. „Ich befürchte fast, dass Veronica in irgendetwas hineingeraten ist. Sie ist hitzköpfig, müssen Sie wissen. Wahrscheinlich hat sie irgendeine Dummheit angestellt, um dieser Hochzeit zu entgehen und auf mich zu warten.“

„Aber was?“, fragte der Doctor und lief ungeduldig in dem kleinen Wohnzimmer umher. „Warum sollte sie einfach verschwinden? Und wie ist sie überhaupt in die Anstalt gelangt?“

John schwieg. Sein Blick war auf eine große Weltkarte an der Wand gerichtet, auf der er seine Reise markiert hatte. Diese verfluchte Reise, die ihn von Veronica getrennt hatte.

„Ich weiß es nicht“, seufzte er. „Niemand möchte sich dazu äußern. Ihre Familie meidet mich und wenn es einen Skandal gegeben hat, so wurde dieser gut vertuscht.“

„Gibt es niemanden, den man fragen kann?“

„Nein“, entgegnete John ruppig, „gibt es nicht. Ich habe in den letzten Tagen ausnahmslos jeden kontaktiert und alles, was ich herausbekommen habe, war, dass sie in die Anstalt gesteckt worden ist.“

„Kam es denn zu der Hochzeit?“, hakte der Doctor weiter nach. Er war enttäuscht, dass er sich plötzlich in irgendwelchen menschlichen Intrigen zu befinden schien und die erhoffte Bedrohung fürs Erste ausblieb. Irgendwo jedoch musste ein Zusammenhang bestehen.

„Selbstverständlich nicht. Niemand möchte eine Verrückte zur Frau. Wahrscheinlich hat man auf Veronicas ‚Heilung‘ gehofft, um dann wie geplant die Vermählung stattfinden zu lassen.“

„Was ist mit diesem Mr Warren?“, fragte der Doctor. „Vielleicht weiß der mehr.“

Ein bitteres Lächeln erschien in Johns Gesicht, während er unwillkürlich die Fäuste ballte. „Mr Warren lässt mich nicht einmal in seine Nähe kommen. Ist viel zu beschäftigt mit der Leitung seiner Fabrik, zumal er wahrlich nicht erpicht darauf ist, dem ehemaligen Verlobten seiner versprochenen Frau gegenüberzustehen.“

„Dann werden wir Mr Warren einen Besuch abstatten, bevor wir zu deiner Tante gehen“, entschied der Doctor. Ein breites Grinsen war in seinem Gesicht erschienen, während er bereits zur Garderobe lief und nach seinem Mantel griff.

Etwas unsicher blieb John an Ort und Stelle stehen. „Sir“, rief er in den Flur hinein, „ist es nicht etwas unklug? Man könnte uns erkennen und Mr Warren wird zweifellos dafür sorgen, dass man mich ins Gefängnis steckt.“

Der Doctor winkte ab. „Wir haben nur diese eine Chance. Und je mehr wir herausfinden, desto besser können wir deiner Freundin helfen.“
 

~*~
 

„Ich kann nur noch einmal betonen, wie bedauerlich der gestrige Vorfall war“, erklärte Mr Gibbs, während er hinter dem Master die schwere Holztür schloss, die ins Innere der Anstalt führte. „Umso mehr freut es mich natürlich, Ihnen zeigen zu können, welch außerordentlichen Erfolg Mr Rutherford verzeichnen kann.“

Der Master lauschte den Worten Mr Gibbs mit mäßigem Interesse. Seine Aufmerksamkeit galt vielmehr dem Foyer, das sich vor ihm auftat und ihn in eine nahezu perfekt scheinende Welt einlud. Ein kleiner, zu dieser Zeit unbesetzter Empfangstresen befand sich in der rechten Ecke des Raums, auf dessen dunklem Holz eine Vase mit frischem Lavender stand.

„Wie Sie bereits sehen können, Mr Saxon, ist es uns außerordentlich wichtig, dass sich die Neuankömmlinge in einer einladenden Umgebung befinden.“

Der Master wandte den Blick von der doppelflügligen Tür ab, hinter der er die eigentliche Irrenanstalt vermutete, und sah zu den Gemälden an den hell tapezierten Wänden. Sie alle zeigten Ausschnitte eines perfekten Lebens im viktorianischen Zeitalter.

„Wir legen großen Wert auf ihr Wohlbefinden…“

Unwillkürlich zog der Master die Augenbrauen hoch und wandte sich wieder dem Administrator der Anstalt zu.

„Wie dem auch sei, ich würde vorschlagen, dass Sie sich selbst ein Bild von unserer Situation machen“, fuhr Mr Gibbs fort und schritt auf die Doppeltür zu. „Im Namen Mr Rutherfords möchte ich mich entschuldigen, dass er nicht selbst bei Ihrer Führung anwesend sein kann, aber es gibt wichtige Dinge zu regeln.“

Der Master lächelte ein wohlwollendes Lächeln. „Dafür müssen Sie sich nicht entschuldigen, Sir. Ich werde zweifellos auch durch Ihre überaus informativen Auskünfte einen guten Eindruck dieser Anstalt gewinnen und“, der Master senkte verschwörerisch die Stimme, „ganz unter uns gesagt ist das hier eine reine Formsache.“
 

Mr Gibbs verzog die Lippen zu etwas, das nach seinen Maßstäben wohl einem Lächeln gleichkam, und führte den Master in einen langen Korridor hinein. Er folgte dem roten Teppich tiefer in die Anstalt, während er mit seinen Erklärungen fortfuhr: „In diesem äußeren Bereich kommen unsere Patientinnen unter, die vielversprechende Fortschritte machen. Sie können sich selbstverständlich gerne selbst ein Bild machen“, einladend deutete Mr Gibbs auf ein kleines rechteckiges Fenster, das im oberen Abschnitt jeder Tür eingebracht war.

Neugierig trat der Master vor und spähte in einen der Räume hinein. Ein helles, ordentliches Zimmer offenbarte sich ihm, das einem Bilderbuch hätte entsprungen sein können. Die dunklen Möbel waren allesamt mit sauberen Spitzendeckchen versehen, das Bett war sorgfältig gemacht und in der Mitte des Raums in einem Sessel saß ein Mädchen. Es war schlicht gekleidet und wirkte geradezu langweilig und blass im Vergleich zu denen, die der Master am vorherigen Tag als Ophelia in den Käfigen gesehen hatte. Aber das war ja nicht Zweck ihres Aufenthalts, erinnerte er sich. Nein, tatsächlich schien er auf ein Vorzeigemodel viktorianischer Ideale zu sehen.

Auch hinter den anderen Türen erwarteten ihn ähnliche Anblicke. Egal ob alt oder jung, alle Insassinnen zeigten perfektes Benehmen und gingen akzeptablen Tätigkeiten nach. Sie nähten, stickten, lasen oder saßen lieblich auf ihrem Platz, ohne die Geringste Spur von Missfallen zu zeigen.

„Das ist überaus beeindruckend“, bemerkte der Master schließlich. „Sie scheinen diese armen Seelen tatsächlich wieder zu einem tadellosen Platz in der Gesellschaft zu verhelfen.“

Mr Gibbs gab sich geschmeichelt. Hinter den Brillengläsern blitzten seine dunklen Augen jedoch berechnend auf. „Nun, für nichts anderes sind wir schließlich hier.“
 

~*~
 

Der Doctor und John liefen die dreckigen und überfüllten Straßen Londons entlang. Eigentlich hatte John darauf bestanden, eine Kutsche zum Anwesen Mr Warrens zu nehmen, doch da ihnen immer noch einiges an Zeit blieb, hatte der Doctor kurzerhand beschlossen zu laufen.

„In Indien sagtest du?“, wiederholte der Doctor, während er der Tornüre einer feingekleideten Dame auswich.

„Ja,“ erwiderte John knapp und kämpfte sich durch das Gewusel. „Indien. Ich sollte meinen Vater auf seiner Geschäftsreise begleiten …“ Sein abwertender Tonfall entging dem Doctor vollends. Stattdessen entsann dieser sich seiner vergangenen Reisen zurück. „Aufregendes Land, nicht wahr?“, fragte er mit leuchtenden Augen.

„Ansichtssache“, brummte John und zog sich mit finsterem Gesicht seinen Mantel zurecht, nachdem ihm ein Passant im Vorbeigehen angerempelt hatte.

Der Doctor merkte schließlich, dass aus seinem Begleiter nicht viel herauszuholen war und verfiel in Schweigen.
 

Völlig durchgefroren und von dem langen Marsch erschöpft erreichten sie die Villa Mr Warrens. Auf Johns Wunsch hin lief der Doctor voraus und ließ den goldenen Türklopfer mehrere Male auf die metallene Platte schlagen. Binnen weniger Sekunden öffnete ihnen ein Bediensteter.

„Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Sir?“, fragte er steif.

„Ich würde gerne mit Mr Warren sprechen“, erklärte der Doctor.

„Ich bedauere, aber dieser ist im Moment nicht zugegen. Wenn es dringend ist, könnte ich eine Nachricht ausrichten.“

Nachdenklich wandte sich der Doctor an John. „Was meinst du?“

John machte nur eine abwägende Kopfbewegung und zog sich noch etwas weiter an den Rand des Türrahmens, darauf bedacht, so wenig Aufmerksamkeit auf sich zu lenken wie möglich. Doch zu spät. Der Bedienstete hatte sich neugierig dem zweiten Besucher zugewandt und ihn trotz des Zylinders, den er tief ins Gesicht gezogen hatte, erkannt.

„Sie!“, rief er auf einmal aus. „Das ist die Höhe, was erdreisten Sie sich noch einmal einen Fuß auf das Grundstück Mr Warrens zu setzen! Ich werde…“

Eilig trat der Doctor zwischen die beiden und hob beschwichtigend die Hände. „Beruhigen Sie sich ich bin mir sicher…“

„… gedroht hat er meinem Herrn!“, rief der Butler erbost. „Mord hat er ihm vorgeworfen! Wenn ich dich in die Finger…“

„…ich glaube…“, wandte der Doctor ein, doch da war John hinter ihm hervorgetreten.

„Weil es verdammt noch einmal wahr ist! Ihr verfluchter Mr Warren ist an allem Schuld. Er hat Veronica in die Anstalt stecken lassen, er hat sie zum Tode verurteilt!“

„John!“ Mit einiger Mühe packte der Doctor den jungen Mann bei den Schultern und hielt in davon ab, handgreiflich zu werden. „John, hör mir zu“, sagte er eindringlich. „Mache jetzt keine Dummheiten, wir haben nur diese eine Chance.“

„Er hätte sich um sie kümmern sollen, er hätte dafür sorgen müssen, dass es ihr gut geht. Er war mit ihr verlobt!“

„Mein Herr hat nur das Beste für dieses verrückte Weibsbild getan“, sagte der Butler kühl. „Sie hätte ihm dankbar sein müssen, dass er den Anstand besaß, sie nicht einfach fallen zu lassen. Es ist wirklich eine Schande!“ Abfällig sah er zu John. „Sie beiden Wahnsinnige hätten ein gutes Paar gemacht. Bedauerlich dass mein Herr am Ende entschied, sich dem Mädchen anzunehmen, weil Sie nicht mehr wiederkamen.“

Der Doctor merkte, wie John vor Zorn zu beben anfing. „Nun, das ist alles wirklich schade“, sagte er kalt, „aber egal was bereits vorgefallen ist, ich muss mit Mr Warren sprechen. Wo finde ich ihn?“

Da erst schien der Butler sich wieder der Anwesenheit des Doctors bewusst zu werden. Misstrauisch beäugte er die lange Gestalt in dem braunen Mantel und dem blauen Nadelstreifenanzug. „Und wer sind Sie?“

„John Smith, Scottland Yard“, erwiderte der Doctor und griff instinktiv in seine Tasche, um seinen Ausweis zu zeigen. Doch er griff ins Leere. Das Psychic Paper hatte der Master.

Abwartend sah der Bedienstete ihn an. Als er nichts zu Gesicht bekam, zog er skeptisch die Augenbraue in die Höhe. „Ich glaube nicht, dass ich Ihnen Auskunft geben kann, wenn Sie sich nicht ausweisen können, Mr Smith. Und nun verschwinden Sie, bevor ich tatsächlich dafür Sorge, dass die Polizei sie kriegt.“

Mit diesen Worten knallte er die Tür zu.

„Bastard!“, schrie John und trat wütend gegen das schwere Holz.

„Jetzt komm“, sagte der Doctor und packte John beim Arm. Es hatte keinen Sinn, länger als nötig zu bleiben, zumal sich John dringend beruhigen musste. So würden sie sonst nicht weiterkommen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Tabula Rasa hat leider den Nachteil, dass es sich im Vergleich zu meinen anderen Sachen, um einen eher längeren und zum Teil komplexeren Plot handelt, für den ich mir in der Regel Zeit nehmen muss :( Dann sind da die ganzen nervenaufreibenden Uni Abgaben und plötzlich geht es hier nur noch im Schneckentempo voran. Ich entschuldige mich dafür noch einmal ganz doll!
 Die gute Nachricht ist, dass das folgende Kapitel beinahe schon fertig ist, weil ich es aufgrund der Länge das zweite Kapitel in zwei splitten musste. Da wird die Wartezeit verhältnismäßig kurz ausfallen :DD
Grund für die ungeplante Länge ist vermutlich, dass ich beschlossen habe, etwas mehr Detail hier miteinzubringen und auch die Nebencharaktere etwas besser auszuarbeiten, als bei den vorherigen beiden Abenteuern. Ich hoffe, das ist gelungen. Mir zum Beispiel ist John irgendwie ans Herz gewachsen xD
Okay, genug gelabert. An dieser Stelle danke ich einfach noch einmal für das Interesse, das diese Fanfic bekommt (und ja damit meine ich Dich). Das macht mich sehr glücklich <3 Bis zum nächsten Mal vielleicht :D

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  DavidB
2015-05-17T16:39:33+00:00 17.05.2015 18:39
"Man nannte es die glänzende Welt der sieben Systeme. Und auf dem Kontinent des wilden Unterfangens, in den Bergen von Trost und Einsamkeit stand die Zitadelle der Timelords. Die älteste und mächtigste Rasse des Universums. Sie sah auf die Galaxien unter sich und schwor, niemals einzugreifen, nur zu beobachten. Die Kinder von Gallifrey, mit acht wurden sie den Familien weg genommen und gingen zur Akademie. Manche sagen, damit fing es an. Schon als Kind. Und zwar als der Master die Ewigkeit sah."
"Ja, auf Reisen bekommt man tatsächlich nicht viel mit." Ui, Foreshadowing!
Ob John wohl die Hypnose des Kutschers mitbekommen hat?
"Natürlich! [...] Warum sollte ich das nicht tun?" Manchmal rufen bei mir im Callcenter Leute von ihrem rauschenden Anschluss aus an, um zu zeigen, dass dieser rauscht. Was natürlich fatal ist, denn dann verstehe ich die Person dahinter ja gar nicht. Also frage ich nach einer Handynummer und rufe zurück: "Warum haben Sie nicht direkt vom Handy aus angerufen?" - "Ich wollte Ihnen zeigen, wie es ist, mit meinem Anschluss zu telefonieren. Später glauben Sie mir nicht." - "Natürlich würde ich Ihnen das glauben, warum sollten Sie mich anlügen?" ...und dann ist der Disput auch meistens schon zu Ende.
"[...] warf der Master ein, während er gelangweilt den Lauf der Pistole betrachtete." Oho! Der Master hat dank Waffe die Chance, abzuhauen, aber nutzt diese nicht!
Geister sind in Ordnung. Aber Aliens? Machen Sie sich nicht lächerlich, Doctor!
Die Ausstellung geht drei Tage. Ein Tag ist schon verschwendet. Ob das wohl noch wichtig werden wird?
"Er war etwas ratlos, was er mit den eben gelesenen Informationen anfangen sollte, da sie nichts von einer außerirdische Bedrohung zu berichten schienen." Zwischenmenschliche Beziehungen und Gefühle? Überfordere bitte nicht den Doctor! Hoffentlich taucht bald ein Alien auf!
"Sie ist hitzköpfig, müssen Sie wissen." Also John! Das heißt "eigensinnig" mit "unkontrollierbaren Stimmungsschwankungen" und gehört behandelt!
Ist es also gesellschaftlich betrachtet möglich, die Verlobte eines Anderen selbst zu ehelichen, wenn die Eltern einstimmen? Oder wird sowas totgeschwiegen?
Nun, Doctor, das war ja eine Pleite.
"Tabula Rasa hat leider den Nachteil, dass es sich im Vergleich zu meinen anderen Sachen, um einen eher längeren und zum Teil komplexeren Plot handelt, für den ich mir in der Regel Zeit nehmen muss." Ich hoffe, du genierst dich gründlich. Warum nimmst du deine Hobbys nicht so ernst wie deine berufliche Zukunft, hm? Du bist eine Enttäuschung! Deine Prioritäten sind komplett verkehrt gesetzt! Wirf meinetwegen dein Leben weg, aber beende vorher diese Geschichte!
(...ich bin beeindruckt, wie viel Arbeit du dir selbst machst - und dann auch noch schaffst! Wer unter diesen Verhältnissen sich erlaubt, dich zu kritisieren, scheint wohl nur einen Aspekt deiner Arbeiten zu kennen.)


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