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Licht ohne Wärme

Ob unser Kampf jemals enden wird? ...
von

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Leben und Sterben - Das menschliche Dasein

Kommentar: Es freut mich, dass Setsuna so gut ankommt. Im Manga gefällt er mir ebenfalls nur, wenn er mal nicht auf Sarah Trip ist. Deren Rolle wird natürlich nicht einfach so unter den Tisch fallen gelassen, sondern ich versuche einen logischen Grund mit einzubauen, weshalb Setsuna ein wenig anders fühlt und denkt als in der Original Story.
 

Viel Spaß beim Lesen

mangacrack
 

xxx
 

::Kapitel 10 – Das menschliche Dasein::
 

Es schienen Wochen zu vergehen, aber bewusst war sich Setsuna dessen nicht. Zu Anfang verbrachte er noch viel Zeit im Bett, weil die Kopfschmerzen nicht enden wollten. Häufig fand er entweder Rosiel oder Katan in der Wohnung vor. Sehr selten beide, aber alleine war nie, zumindest nicht für lange. Rosiel verschwand in den Morgen und Abendstunden, tauchte aber immer noch wenigen Stunden wieder auf.
 

Nach einigen Tagen fühlte sich Setsuna wieder so fit, dass er freiwillig das Bett verließ und es sich auf dem Sofa bequem machte. Langweilig wurde es ihm nicht, Katan brachte ihm alles, was er haben wollte, doch die meiste Zeit saß er einfach nur da und dachte nach. Er ließ sich vieles durch den Kopf gehen.
 

Vorwiegend darüber, was jetzt mit seinem Leben geschehen sollte.
 

Denn er fand keine Antwort auf die Frage: was will ich? Es kam ihm vor als hätte die Rückkehr zur Erde ihn betäubt. In seinem Kopf drehte sich alles und er hatte keine Ahnung, wie er diesen Irrsinn stoppen sollte. Am liebsten würde er sich jetzt die Decke über den Kopf ziehen und bis zu seinem Tod durchschlafen, das wäre angenehmer als sich über Rosiel Gedanken machen zu müssen. Denn jedes Mal, wenn Rosiel in der Nähe war, wusste Setsuna nicht, was er mit sich anfangen sollte.
 

Aber es gab noch etwas anderes, dass ihn nicht in Ruhe ließ. Es war Sarah. Er fühlte sich schuldig, weil er sich hier in der Wohnung verkroch und seine Schwester sich vielleicht sorgen machte. Doch er wusste nicht, wie er ihr begegnen sollte. Ratlos vergrub Setsuna seinen Kopf in seinen Händen. Sarah hatte ihn so verständnislos angesehen, als er gefragt hatte, ob Rosiel sie zurück gebracht hatte.
 

Es war ein Schock gewesen zu hören, dass alles, woran sie sich erinnerte, war wie sie zusammen weggelaufen waren, um zusammen sein zu können. Sie hatte gemeint, sie fühle sich unwohl darüber ihre Mutter so zurück zu lassen. Setsuna hatte seine Schwester nur mit großen Augen ansehen können.
 

Sie erinnerte sich an gar nichts.

An überhaupt nichts, was im Himmel passiert war.
 

Nicht an Sevothtarte Entmachtung, an Raphael, Michael oder an den letzten Kampf.
 

/Unmöglich/, dachte Setsuna. /Unmöglich, dass sie das alles vergessen hat./
 

Was sollte er nur tun? Auf ewig in dieser Wohnung bleiben? Nein. Er würde gehen, sobald er sicher sein konnte, dass die Kopfschmerzen nicht zurückkommen würden. Zwar schien Rosiel wie ausgewechselt und verständnisvoll zu sein, aber Setsuna wusste nicht wie ihm begegnen sollte. All das Unbehagen, dass der Engel in ihm auslöste. Er hegte jedes Mal den Wunsch, umzudrehen und vor ihm davon zu Laufen. Es war auch weniger Furcht, als Schuld, die er fühlte. Schuld sich selbst gegenüber, dass er Rosiel nicht mehr hasste.
 

Er fühlte sich manchmal schlecht deswegen, aber er wusste, dass Rosiel nicht mehr derselbe war. Die Zeiten, in denen er hinter ihm her war und junge, unschuldige Mädchen dazu benutzte, um Alexiels Aufmerksamkeit zu bekommen, waren vorbei. Dennoch. Es fiel ihm schwer zu glauben, dass Rosiel sich tatsächlich um ihm kümmerte. Wahrscheinlich ertrug er Setsuna doch nur, weil er bei Alexiel sein wollte.
 

/Warum sollte es anders sein?/, fragte Setsuna.
 

Es kam ihm so unwirklich vor. Wieder auf Assiah zu sein. Als Uriels Suchtrupp ihn schließlich in den Trümmern Etemenankis gefunden hatte, war er kaum bei sich gewesen. Weil Raphael noch im Kälteschlaf lag, hatte man ihn nur bedingt helfen könnte, aber darauf bestanden, dass er zumindest noch solange im Himmel verweilte, bis sich seine Wunden geschlossen hatten. Als Messias hatte man ihn freundlich behandelt, doch ihm war die Fürsorge zu viel geworden. Sie sahen in ihm doch nur den Engel, der zuerst den Himmel in Aufruhr gebracht hatte und dann sich als ihr aller Retter herausstellte.
 

Ob das bei allen so war oder einige ihn tatsächlich vermissten? Alle waren beschäftigt gewesen, als er Kurai ihn nach Assiah gebracht hatte.
 

Setsuna sah auf, als die Tür klickte und Rosiel herein trat.
 

„Setsuna“, begrüßte ihn der anorganische Engel und durchquerte den Raum, um Setsuna von hinten die Arme um den Körper zu legen.
 

Der Umarmte fand es hingegen ein wenig beängstigend, wie Rosiels Gesicht sich so schnell aufgehellt hatte, als er ihn erblickte.
 

„Wie geht es dir, Setsuna?“, fragte Rosiel und sah ihn besorgt an, während Setsuna nicht wusste, was er sagen sollte.
 

„Äh ... gut?“, meinte er unsicher, doch Rosiel schien ihm das nicht sonderlich abkaufen. Der skeptische Blick sprach Bände, was er davon hielt. Möglicherweise lag es an seinem schmächtigen Körper, der in den einfachen Klamotten nur noch dünner wirkte. Aber jetzt schien Rosiel das Thema um Setsunas Wohlbefinden nicht anschneiden zu wollen.
 

„Katan hat Essen gemacht“, sagte er stattdessen. „Möchtest du etwas?“
 

Setsuna starrte den anorganischen Engel an. Essen?

Sein Hungergefühl machte sich bei dieser Frage zwar bemerkbar, wurde aber von seiner Überraschung überschattet. Es war abstrakt, dass ausgerechnet Rosiel ihn in die Küche führte und ihm dampfendes Essen präsentierte. Mochte es sich nur um Eintopf handeln, so erschien es für Setsuna, als hätte er nichts köstlicheres gekostet seit ... seit Ewigkeiten. Zwischen den Kämpfen, den Abenteuern und der Suche nach Sarah war nie viel Zeit für etwas banales wie Essen gewesen.
 

Es waren Rationen verteilt worden, doch Essen? So wie jetzt, dass alle an einem Tischen saßen und gemeinsam aßen, hatte es nicht gegeben. Auch wenn es sich dabei um Katan und Rosiel handelte. Während Katan sein selbst gemachtes Essen probierte und hoffte, dass es seinem Herrn ebenfalls munden würde, beäugte Rosiel seinen Teller.
 

„Schmeckt es euch nicht Rosiel-sama?“
 

„Doch, doch“, zerstreute der Engel die Besorgnis seines Dieners. „Ich bin es nur nicht gewohnt so zu essen.“
 

Als Engel brauchte er nur selten feste Nahrung und diese Art von Luxus hatte er seit seiner Herrschaft über Atziluth nicht mehr gehabt, bevor seine Schwester in dem Himmel einfiel und er versiegelt wurde. Dadurch, dass er Assiah in deren Erde versiegelt worden war, hatte auch im Schlaf das Treiben unter den Menschen mitbekommen, aber es war doch etwas anderes es zu wissen, als es wirklich selbst zu tun.
 

Doch solange Setsuna sich wohl fühlte... Rosiel nahm dessen Teller und füllte ihn gleich noch einmal auf, als er sah, dass der Messias bereits aufgegessen hatte.
 

„Iss“, meinte er bestimmend. „Es tut dir gut. Es ist Gemüse und Früchte aus der Erde. Dazu als spendende Kraft, das sollte deine Abwehrkräfte aufbauen.“
 

Setsuna wusste nicht, was er antworten sollte. Er fühlte sich immer noch unbehaglich. Doch um eine Sache kam er wohl nicht herum.
 

„Danke“, brachte er noch der Höflichkeit halber hervor. „Rosiel, ich ... glaubst du ich könnte die Wohnung bald wieder verlassen?“
 

Ein schmerzvoller Ausdruck zog über Rosiels Gesicht. Ähnlich hatte Rosiel ihn angesehen, wenn Setsuna ablehnt hatte Alexiel zu sein. Einen Standpunkt, den er immer noch verteidigte. Niemals würde an Alexiel heran reichen können.
 

„Wieso?“, fragte nun Rosiel misstrauisch.
 

Setsuna zögerte kurz. Es würde Rosiel sicherlich nicht gefallen.
 

„Ich möchte ... müsste ein paar Dinge erledigen. Der Welt zeigen, dass ich noch am Leben bin und so.“
 

Rosiel sah Setsuna an. Er konnte den Jungen nicht einsperren.

Überhaupt konnte er nicht viel tun. Also blieb ihm nur eines.
 

„Es ist vielleicht noch etwas zu früh“, begann er und sah Setsunas frustrierten Blick. Er fuhr fort: „Jedoch könnte ein bisschen frische Luft dir gut tun.“
 

Setsuna war erleichtert, als Rosiel ihm die Erlaubnis erteilte nach draußen zu gehen. Es wäre schwierig geworden, wenn er dagegen gewesen wäre. Schließlich hätte Setsuna sich in diesem Zustand nur Rosiels Wort beugen können, war er ja nicht in der Lage sich gegen den anorganischen Engel durchzusetzen. Mal abgesehen davon, dass Setsuna nicht mit Rosiel kämpfen wollte. Auch dann nicht, wenn es weiterhin seine Gefangenschaft in dieser Wohnung bedeutet hätte.
 

„Allerdings“, warf Rosiel ein und Setsuna seufzte, er hätte doch ahnen müssen, dass da noch etwas kommen würde, „darfst du nur unter einer Bedingung wieder dort hinaus.“
 

„Welche wäre?“, wollte Setsuna wissen.
 

„Du nimmst mich mit.“
 

-
 

Es später Abend als sie aufbrachen. Zum Teil hatte Setsuna befürchtet, dass die Kopfschmerzen sofort wieder zurückkehren würden, wenn er vor die Tür trat, jedoch war da nichts anderes, als die kühle Nachtluft, die seine Sinne aufweckte. Rosiel lief neben ihm und Katan ein paar Schritte hinter ihnen.
 

Setsuna wusste, dass sie auch hätten fliegen können, doch Rosiel wollte auf jegliche Anstrengungen für Setsuna verzichten. Das ergab nun die seltsame Situation, dass sie Seite an Seite durch die dunklen Straßen von Tokyo liefen bis sie die naheliegenste Bahnhofsstation erreichten. Das Lösen von drei Fahrkarten kam Setsuna lächerlich vor. Nur Rosiel schien sich darüber zu amüsieren, der freudig das kleine Papier beäugte, als sie nebeneinander in der Bahn saßen.
 

Einige Leute tuschelten über Rosiels lange Haare, die er um weniger aufzufallen, blond erscheinen ließ. Helfen tat es dennoch nicht fiel. Rosiel sah einfach zu überirdisch aus. Eine Frau, die ihnen gegenüber saß, errötete heftigste als Rosiel ihre Blicke bemerkte und ihr zuwinkte. Lachen tat er dann allerdings als der Schutzengel eines kleinen Jungen Rosiel erblickte und beinahe in Ohnmacht fiel. Katan beruhigte Setsuna, dass der Schutzengel keinen von ihnen erkannt, sondern nur ihre Astralkraft gespürt hatte.
 

Es offensichtlich, dass Rosiel sich an den Eigenheiten der Menschen erfreut. Nur das sie ihm auf einmal banal und lästig vorkamen. Dabei hatte er er für diese Welt gekämpft. Sollte er dann nicht mehr dafür empfinden, dass ein zerschlagener Geschäftsmann, der scheinbar gerade seinen Job verloren hatte, ständig vor sich hin murmelte sich umzubringen? Doch eigentlich ließ es ihn kalt, wenn er ehrlich zu sich selbst war. Der Mann tat ihm zwar leid, doch was brachte es ihm, wenn er jetzt herüber gehen würde, um zu sagen, dass alles gut werden würde?
 

Nichts.
 

Insgesamt fuhren sie über zwei Stunden. Rosiel hatte sich eine größere Wohnung in einer ruhigen Gegend ausgesucht, doch dort wo Setsuna jetzt hin wollte, mussten sie eine Weile fahren und in die Gegend zurückkehren, wo es mit Rosiels Auferstehung angefangen hatte. Oder schon davor. Als ihn Kurai und Arakune das erste Mal überfallen hatten, kurz nachdem der riesige Kirchenfenster zerbrochen war.
 

/Es ist so ewig her. Auch wenn es auf Assiah nur ein paar Tage waren, für mich sind mehrere Monate vergangen./
 

„Scheiße“, meinte Setsuna laut und blickte zu Boden.
 

Wie sollte er das unter einen Hut kriegen? Einfach so tun, als wäre nichts gewesen und sein altes Leben fortsetzen? Das konnte er nicht. Dinge wie Schule waren so unnötig geworden. Warum sollte er das tun? Die Menschen auf dieser Welt kümmerten sich doch sowieso nur um ihre eigenen Belange. Es hatte bestimmt niemanden gekümmert, dass er die letzte Zeit nicht dort gewesen war.
 

Setsuna bewegte sich zwischen Rosiel und Katan, als sie an ihrem Zielort ankamen. Er hielt den Kopf gesenkt, denn er wollte nicht erkannt werden. Es würde schwierig werden keinem Bekannten zu begegnen, weil er an der Schule und in der Umgebung leicht zu erkennen war. Die Dunkelheit würde helfen ihn zu verstecken. Das Schlimmste, was er sich jetzt vorstellen könnte, wäre jemanden aus Kiras Gang zu treffen.
 

Vorsichtig warf Setsuna einen Blick hinter sich. Die Straßen waren leer.

Gut so.
 

Ihn schauderte es, wenn er daran dachte, was er würde sagen müssen, wenn man ihn nach Kira-sempai fragte. Er konnte schlecht sagen, dass Kira jetzt als Luzifer herum rannte und die Hölle unsicher machte. Er konnte doch Kiras Kumpels nicht sagen, dass er tot war. Schon allein, weil niemand etwas von ihm gehört hatte, seit Kira sich der Polizei gestellt hatte. Vielleicht war das eine Lösung. Den anderen in der Schule zu sagen, dass Kira auf der Flucht vor der Polizei war und sich verstecken musste.
 

Ja, das klang gut.
 

Dennoch ... Schule ohne Kira-sempai. Setsuna schluckte.

Es würde niemals mehr so wie früher werden.
 

Niemals.
 

Das wurde ihm schmerzlich bewusst, als er vor dem Eingang des Friedhofs stand. Jetzt am Abend war er eigentlich geschlossen aber das würde ihn jetzt nicht aufhalten. Er sah Rosiel bittend an. Weil seine Kräfte gesunken waren, konnte er das Tor nicht selbst öffnen.
 

/Ich hasse es so schwach zu sein. Kurai hatte recht. Es ist schwerer, als ich mit das vorgestellt hatte./
 

„Rosiel könntest du ...“, deutete Setsuna und wies auf das Tor.
 

Der schwenkte nur kurz den Arm und das Tor zum Friedhof öffnete sich. Er folgte Setsuna, als er den düsteren Friedhof betrat. Setsunas Zustand machte ihm Sorgen. Das Herumlaufen schwächte ihn und er war nicht einmal stark genug, um ein einfaches Tor zu öffnen. Würde Setsuna jetzt angegriffen, wäre er schutzlos.
 

/Sein Leben neigt sich dem Ende zu/, dachte Rosiel. Er konnte es fühlen. /Doch wie soll ich ihm das bei bringen? Ich habe ihm diesen Ausgang nur gewährt, weil es sein Letzter sein könnte./
 

/Sein letzter Tag auf Erden./
 

Setsuna irrte eine Weile auf dem dunklen Friedhof herum, ehe er das Grab gefunden hatte, das er suchte. Als er davor stand und den Namen las, brachen ihm die Knie weg.
 

Kato.
 

Er schluchzte auf. Katos Tod fühlte sich so real an. Auch wenn hier nur sein Körper begraben lag, so wusste er nicht, wo er hätte sonst gehen können. Von dem Totengeist und Uriels Körper war nichts mehr übrig geblieben.
 

„Wenn ich dich nur hätte retten können.“
 

Setsuna bohrte seine Finger in den Dreck. Auf dem Grab hatten Freunde und Bekannte von Kato einige Gaben hingestellt. Es waren nur einmal Blumen dabei und er vermutete, dass sie von Katos Schwester stammten. Ansonsten waren da CD Hüllen, ein Packen brauner Tüten, in denen Kato stets seine Drogen verborgen hatte und andere kleine Dinge.
 

/Sie vermissen dich, Kato. Man hat an dich gedacht./
 

Es war Katos größte Angst gewesen. Vergessen zu werden.

War er am Ende doch auf seine Art gegangen, so konnte Setsuna Kato nicht loslassen. Er bereute, dass er nur so kurze Zeit mit Kato hatte zusammen sein können. Im Leben hatten sie sich nur gestritten, geprügelt und gehasst. Hauptsächlich wegen Kira, den jeder wollte Kiras Aufmerksamkeit für sich.
 

/Wenn ich doch nur.../
 

„Du hättest es nicht ändern können“, mischte sich nun Rosiel an, der Setsunas Anblick nicht ertrug. „Er hat nach seinem Tod besser gelebt als davor.“
 

Setsuna sah Rosiel mit großen Augen an, der seine Hände in die Taschen gesteckt hatte und den Messias mit einem strengen Blick tadelte.
 

„Wie...?“
 

Setsuna merkte erst jetzt, dass er weinte, so wie er es getan hatte, als die Himmelstore sich schlossen und Kato auf der anderen Seite dem Tod preisgaben. Die Tränen brannten durch die Kälte des Abends auf seiner Haut.
 

„Ich habe durch meinen Zustand nicht alles mitbekommen, aber...“, setzte Rosiel an. „Du solltest stolz auf seinen Gefährten sein. Nicht viele bringen so etwas fertig. Ich weiß, dass er Luzifer die Stirn geboten hat.“
 

/Auch wenn es nur ein letzter verzweifelter Versuch war seinem alten Freund zu folgen/, fügte Rosiel in Gedanken hinzu. Doch das konnte er Setsuna nicht sagen.
 

Er hatte nach seinem Erwachen auch die Gedanken und Geschichte des Menschen Kato gesehen, als er ihn übernommen hatte. Der Junge hatte erstaunliche Willensstärke bewiesen, dafür, dass ihm das Leben so übel mitgespielt hatte.
 

/Unerwünschte Kinder ... ungeliebt und hilflos dieser Welt ausgesetzt. Da war der Pakt mit dem Teufel besser als das, was ihn im Paradies erwartet hätte./
 

Er war damals erstaunt gewesen, wie tief die Beziehung zwischen dem Menschen und Nanatsusaya ging. Ein derartiges Level von ... Verständnis war ihm so noch nie begegnet. Auch wenn ihm weiterhin schleierhaft blieb, was Luzifer sich davon erhofft hatte. Aber dieser Mann war sowieso ein einziges Rätsel.
 

„Du solltest deinem Freund nicht hinterher trauern, sondern ihn in Erinnerung behalten“, meinte Rosiel und strich Setsuna tröstend über das Haar. „Außerdem wird dein Freund nicht verloren gehen. Sicher wird er den Weg in den Hades zurück finden und wiedergeboren werden.“
 

„Ja?“, fragte Setsuna hoffnungsvoll. „Passiert das mit Totengeistern?“
 

„Es müsste so sein. Etwas, dass tot ist, kann nicht noch einmal sterben. Lediglich der Körper, den Uriel geschaffen hat, ist zu Bruch gegangen.“
 

Setsuna seufzte erleichtert auf. Irgendwo war Kato noch, in dem unzähligen Meer von Sternen oben am Himmel. Sich ein wenig besser fühlend, sog er die kühle Luft ein. Er würde Kato nicht vergessen und der Schmerz um seinen Verlust war noch groß, doch Rosiels Worte hatten bewirkt, das er sich mutig genug fühlte, um auch noch den letzten Schritt zu wagen.
 

„Rosiel, ich möchte noch ... ich möchte noch meine Schwester besuchen.“
 

-
 

Rosiel und Setsuna fühlten sich gleichermaßen unbehaglich, als sie die Wohnung erreicht hatten, in der Sarah und ihre gemeinsame Mutter lebten. Katan kam gerade herunter geschwebt und deutete dem Messias an, dass seine Schwester zu Hause war.
 

„Soll ich dich begleiten?“, fragte Rosiel, auch wenn ihm gewiss nicht sehr wohl dabei war. Er wollte diesem Mädchen nicht ins Gesicht blicken, wo sie doch der Grund gewesen war, dass Alexiel nicht hatte erwachen wollen. Auch würde er es nicht ertragen können, wenn Setsuna und sie erneut Zärtlichkeiten austauschen würden.
 

Aber Setsuna schüttelte den Kopf.
 

„Nein, besser ich gehe alleine. Sonst lässt meine Mutter mich überhaupt nicht hinein“, sagte er und betrat den Hauseingang. Er sah nicht, wie Rosiel die Nase rümpfte, bei der Bezeichnung wie Setsuna die Frau nannte, die ihn geboren hatte. Sie war nur eine von vielen und wusste nicht einmal, welche Ehre ihr zu Teil geworden war, seine Schwester gebären zu dürfen.
 

Doch er würde Setsuna dort nicht ganz alleine hinein gehen lassen. Um besser sehen zu können, flog Rosiel hinauf und landete auf einem Laternenpfahl, der dieselbe Höhe wie die Wohnung hatte. Wenn die Frau Hand an Setsuna legen würde, würde er es sehen und schneller in die Hölle schicken, als sie um Vergebung bitten konnte.
 

/Fass ihn an und du bist tot, Erdenfrau!/, dachte Rosiel wütend.
 

-
 

„Mutter“, begrüßte Setsuna die Frau in der Tür, „dürfte ich hereinkommen?“
 

Seine Mutter sah ihn unsicher an und wollte wohl nichts lieber tun, als die Tür sofort wieder zu schlagen. Konnte sie ihrem Sohn wirklich trauen? Zuerst wollte er Sarah verführen und lief schließlich noch mit ihr weg. Wenigstens hatte er sie wieder sicher nach Hause gebracht, vor wenigen Tagen. Seit dem hatte sie ihn nicht mehr gesehen und aus ihrer Sicht hätte das auch weiterhin so bleiben können, doch Sarah hockte seit Tagen nur in ihrem Zimmer. Anscheinend hatte es Diskrepanzen zwischen den beiden Geschwistern gegeben, welcher Art auch immer.
 

Doch sollte sie ihn herein lassen?

Wollte er wirklich nur mit Sarah reden?
 

„Mutter, ich verspreche dir, dass ich Sarah nicht anrühren werde. Du ... kannst auch gerne ... daneben sitzen, wenn es dir recht ist. Aber ich möchte Sarah es lieber selber sagen, dass ...“
 

„Dass du was?“, forderte Setsunas Mutter.
 

„Dass ich sie nicht mehr sehen werde.“
 

Nur die Aussicht auf dieses Versprechen brachte sie dazu, die Tür zu öffnen. Dies und die Tatsache, dass ihr Sohn wirklich schlecht aussah. Auch wenn sie ihn hasste und Angst vor ihm hatte, so war sie nicht blind. Ringe unter den Augen, blasse Haut und der abgekämpfte Anblick. Litt ihr Sohn an einer Krankheit?
 

Was würde ihn sonst dazu bringen Sarah aufzugeben?
 

Dieser traurige Gesichtsausdruck...
 

„Na gut“, meinte sie zögerlich. „Aber wenn du Sarah zu nahe kommst, dann ... bringe ich dich um. Das Mädchen verdient dich nicht, verstanden?“
 

Setsuna nickte und trat ein.
 

Als er durch den Flur zu Sarahs Zimmer lief, stellte er fest, dass sein Unbehagen ins Unermessliche wuchs. Sein Magen krampfte sich zusammen und seine Hand war nass von dem kalten Schweiß. Zitternd drückte er die Klinke herunter. Von der Entschlossenheit mit der er Sarah aus den Fängen Raphaels, Sandalphons und schließlich sogar des Schöpfers befreit hatte, war nichts mehr übrig, sondern nur noch reine kranke Angst.
 

Er wusste nicht wieso oder warum. Jahre hatte er damit zugebracht seine Liebe für dieses Mädchen zu verstecken, zusammen mit seinen abnormen Kräften, die ihn ständig verfolgten. Kira-sempai war seine einzige Stütze gewesen. Seine Mutter hielt ihn für ein Monster, seit klein auf und sein Vater war mit seiner Firma beschäftigt und schien seinen Sohn aus seinem Leben, aus seinem Gedächtnis gestrichen zu haben.
 

So gesehen war Rosiels Auferstehung und alles was danach folgte, das Beste gewesen, was ihm je passiert war. In diesen Monaten hatte er mehr Zuwendung erfahren, als in den ganzen Jahren davor. Nur Kira ... nur sein Sempai hatte den anderen Weg gewählt. Willentlich.
 

Doch das war jetzt unwichtig.
 

Jetzt musste er mit Sarah reden. Nur, dass er keine Ahnung hatte, was er sagen sollte.
 

„Sarah?“, fragte Setsuna vorsichtig, als er die Tür zu ihrem Schlafzimmer öffnete. „Sarah, bist du da?“
 

Es herrschte Stille im Raum, nichts regte sich. Die Vorhänge waren zugezogen – schlief seine Schwester schon?
 

„Sarah, ich bin Setsuna.“
 

Immer noch keine Antwort. Seine Mutter nahm das als Gelegenheit ihn bei der Schulter zu packen und nach hinten zu ziehen.
 

„Lass, wenn sie schläft ...“, versuchte sie ihn umzustimmen.
 

Aber Setsuna wusste, dass er jetzt mit Sarah reden musste. Noch einmal würde ihn Rosiel nicht fortlassen oder seine Mutter nicht hinein. Es war, als wäre dies die letzte Chance mit Sarah zu reden.
 

„Setsuna?“, kam es nun vom Bett her und plötzlich tauchte Sarah im Licht des Flures auf, das in ihr Zimmer fiel. „Mein Bruder, bist du das?“
 

Sie trat hervor und stand nun im Türrahmen. Setsuna sah, dass sie schon geschlafen hatte, denn sie trug nichts weiter als ein dünnes Nachthemd, das ihr gerade mal bis zur Mitte ihrer Oberschenkeln reichte. Setsuna konnte den Körper erahnen, den er kurz vor seinem letzten Tag auf Assiah, kurz vor Sarahs Tod ... gespürt hatte.
 

Setsuna wünschte sich, dass diese Nacht noch irgendwelche Gefühle in ihm auslösen wurde, doch das Feuer, das einst in seinem Herzen gebrannt hatte, war erloschen. Dies war nicht die Frau, die sich mutig Sevothtarte und dem Himmelsgericht gestellt hatte. Das hier war nur das kleine Mädchen, dass seine Schwester war.
 

„Setsuna!“, rief Sarah freudig und warf sich ihm an den Hals. „Ich hatte mir solche Sorgen gemacht.“
 

Setsuna versteifte sich, als Sarah ihn umarmte. Er hatte seltsamerweise Angst sie zu berühren, auch wenn er nicht verstand warum. War es einfach, dass er jetzt – laut Rosiel – ein richtiger Engel war? Oder waren es seine Gefühle? Die Gewissheit, dass er Sarah nur als seine Schwester und nicht als seine Geliebte sehen konnte? Schuld überkam ihn. Er hätte Sarah es nie sagen dürfen.
 

Er würde sie zerstören, so wie er es schon einmal getan hatte. In einer ähnlichen Situation. Vor allzu langer Zeit.
 

„Sarah, ich...“, begann Setsuna und drückte Sarah ein wenig von sich, „...ich bin gekommen, um...“
 

Verdammt, was sollte er sagen?

Etwas zurecht gelegt hatte er sich nicht. Also sagte er das, was ihm gerade einfiel.
 

„Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden.“
 

Setsunas Blick wurde fest. Das war gut. Sarah würde wahrscheinlich sowieso noch auf dieses Internat in England gehen. Dann konnte sie dort über ihren grausamen Bruder hinweg kommen, der mit ihr gespielt und sie verführt hatte.
 

„Was? Setsuna, nein“, stammelte Sarah aufgebracht. „Ich will doch bei dir bleiben! Jetzt wo wir endlich zueinander gefunden haben...“
 

Setsuna hörte seine Mutter hinter ihm aufkeuchen. Dann hörte er, wie sie weglief. Vermutlich, um etwas so holen, dass Sarah bedecken würde, sodass sie nicht mehr den lüsternen Blicken ihres dämonischen Bruders ausgeliefert war.
 

„Nein, Sarah. Es geht nicht“, meinte Setsuna. Er musste ihr diese Liebe ausreden. „Ich muss fort, ich werde gehen.“
 

Das war das Beste, was er ihr sagen konnte. Der wer wusste schon, was Rosiel plante. Schließlich hatte er gesagt, dass Setsuna nicht für immer aus Assiah bleiben konnte.
 

„Aber Setsuna...“, wollte Sarah einwenden. „Ich liebe dich doch.“
 

Setsuna fasste Sarah bei den Schultern und schüttelte den Kopf.
 

„Das bildest du dir ein.“
 

Tränen füllten nun Sarahs Augen und sie presste ihre Hände an die Brust.

Aufgelöst sah sie ihn an.
 

„Das hießt ... ich bedeute dir nichts? Ich habe dir mein Herz geschenkt und du wirfst das einfach so weg? Was ist geschehen? Du hast beteuert, dass du mich lieben würdest, als ich in deinen Armen lagst. Und du hast gesagt, dass wir für immer zusammen sein werden, als ich mich für dich auszog.“
 

Er konnte sie verstehen, aber es gab keinen anderen Ausweg. Zwar tat es ihm weh, Sarah so zu verletzen, doch sie würde endlich von ihm loskommen, wenn sie glaubte, dass er sie nur benutzen wollte.
 

„Setsuna...“, flehte Sarah ihren Bruder an, damit dieser ihr sagen würde, dass es anders wäre. Nur ein schrecklicher Alptraum.
 

Doch anstatt auf die Rufe seiner Schwester zu reagieren, drehte sich Setsuna mit gesenktem Kopf um. Er würde nicht mehr hierher zurückkehren. Nie wieder. Er würde Sarah vergessen und sich vielleicht ein neues Leben aufbauen. Oder bei Rosiel bleiben. Etwas in ihm, das er inzwischen als Alexiel identifizieren konnte, trieb ihn dazu. Sie hatte ihn vermisst und fürchtete sie könnte ihren Bruder verlieren, wenn sie nicht an seiner Seite blieb.
 

„Du MONSTER!“, rief plötzlich jemand und Setsuna sah auf.
 

Er war so gedankenverloren gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, wie seine Mutter in die Küche gegangen war und sich ein Küchenmesser gegriffen hatte.
 

„Was?“
 

Setsuna stand wie angewurzelt da. Er konnte sich nicht rühren. Einerseits weil ihm die Situation absurd vorkam. Seine eigne Mutter bedrohte ihn mit einem Messer? Sie schrie ihn an.
 

„Du Monster, du elendes Monster! Ich hätte dich gebären dürfen. Deine eigene Schwester zu verführen! Ich hätte dich schon viel früher töten sollen!“
 

Setsuna begriff erst jetzt, was sie vorhatte und hob die Arme, aber zu spät. Wäre er in besserer Verfassung gewesen, wäre dieser Angriff nichts gewesen. Doch weder seine Reflexe noch seine Kräfte reagierten. Ja, nicht einmal Alexiel schien ihn beschützen zu wollen.
 

So bohrte sich das Messer direkt in seine Brust und er fiel nach hinten auf den Boden. Er sah das rote Blut spritzen und aus der Ferne hörte er jemandem seinen Namen rufen.
 

xxx
 

Muahaha.

Ich habe Setsuna getötet. Kaum zu glauben oder? Ich hatte von Anfang an vor ihn sterben zu lassen (Erklärung: siehe nächstes Kapitel), doch der Einfall, das seine eigene Mutter ihn umbringen würde, kam mir erst während des Schreibens. Es tut mir Leid, dass ich es nicht mehr vor Weihnachten geschafft habe, doch das Abitur geht vor.

Grässlich.
 

Über das nächste Kapitel möchte ich eigentlich noch nichts verraten, aber es wird uns wieder auf die himmlischen Weichen führen.
 

Vielen Dank für die Kommentare und die Anfeuerungen.

Bis dann. Ich versuche mich zu beeilen.

mangacrack



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  VonArrcross
2011-04-26T17:59:22+00:00 26.04.2011 19:59
*kommi les*
Jetzt bin ich verwirrt...

*kopf schüttel*
Ich finde die Idee sehr interessant, wenn auch vorhersehbar, Setsuna durch die Hand seiner eigenen Mutter sterben zu lassen. Ich war schon die ganze Zeit neugierig auf die Art seines Todes.
Und wie schon die Kapitel davor sehr schön undfließend geschrieben. ^^
Von: abgemeldet
2010-08-24T09:48:55+00:00 24.08.2010 11:48
Die Geschichte als ganzes ist sprachlich, struckturel und inhaltlich sehr gelungen. Ein paar Zusammenhänge zwischen Kapitel 2 und 10 sind mir jedoch etwas unklar. Deshalb zitiere ich aus Kapitel 2, was ich im Zusammenhang mit Kapitel 10 nicht verstehe:
"Rosiel dachte daran zurück, wie er nach dem Kampf gegen Gott in Setsunas Seele aufgewacht war seine Schwester neben sich."
"...Sarah sich sehr bald aus dem Staub gemacht und einen anderen Typen angelacht hatte.[...]Der Messias war darauf hin ein wenig aus getickt und es hatte ihn und Alexiels gesammelte Kraft gekostet, um zu verhindern, dass Setsuna die halbe Stadt in die Luft sprengte."

"Seit diesem Tag waren die beiden Geschwister sich nicht wieder begegnet. Setsuna hatte seiner kleinen Schwester Geld gegeben und diese dann hinaus geschmissen."
"Rosiel gab zu, dass Setsuna ihm ans Herz gewachsen war, auch wenn das eine Weile gedauert hatte und er wusste das Setsuna dasselbe über ihn dachte."
"Das Leben danach war eigentlich nicht weiter erwähnenswert gewesen. Er hatte sein Leben mit den beiden Engeln verbracht und war dann gestorben. Jung und nicht besonders schön..."



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