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Zum Teufel mit dem Leitmotiv

Sallust Inc. Teil Vier
von

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Vier

Vier

~für Miss Jazzman~
 

Nun denn, auch diese Fic ist vollendet.

Danke an zoeS fürs Beta und fürs Lesen.
 

~~
 

Seltsam, ja, so war ich schon immer. Eine Kuriosität in meinem Heimatdorf, ein Findelkind.

Meine Zieheltern waren nette und gütige Menschen. Ich weiß nicht, ob sie noch leben, denn nachdem ich in die Stadt gegangen bin, um dort zu arbeiten und ich zu dem geworden bin, was ich heute bin, habe ich nichts mehr von ihnen gehört. Wahrscheinlich fischt mein Vater immer noch das Wenige aus dem Meer, was die großen Tanker übrig lassen und lässt es meine Mutter zubereiten.

Und mein kleiner Bruder Shackles? Der spielt wahrscheinlich immer noch vor dem Haus mit dem alten Spielzeug, das er von mir geerbt hat.

Aber wenn ich so darüber nachdenke, dann sind sie wohl alle nicht mehr am Leben. Kein Mensch kann so lange existieren wie ich.

Hmmm... Essen wäre jetzt großartig. Oder Sex haben. Oder so etwas in der Art. Aber ich faules Wesen träume hier im Hinterhofgarten vor mich hin.

Ich gähne lange und ausgiebig, dann strecke ich meine steif gewordenen Glieder. Irgendwie bin ich in all den Wochen, Monaten, faul geworden. Na, zum Glück kann ich kein Fett ansetzen.

Ich habe absolut keine Ahnung, was ich jetzt tun soll.

Mansell ist nicht zu hören, wahrscheinlich arbeitet er im Kräutergarten. Es ist später Nachmittag und wie immer brütend heiß. Sogar die Fliegen, die mich sonst den ganzen Tag belästigen, scheinen so faul wie ich geworden zu sein.

Der Schatten der großen Eiche, unter der ich sitze, ist nicht wirklich eine Erleichterung, es ist und bleibt stickig.

Wie hält Mansell das nur Tag für Tag, Jahr für Jahr aus?

"C.?"

Ich schrecke aus meinen Tagträumen hoch. Wenn man vom Teufel spricht.

Als ich nach oben in Mansells Richtung blicke, werde ich vom Licht der Sonne geblendet.

Mit einem kleinen Laut presse ich die Augen zusammen.

"Hey, alles in Ordnung?"

Eine Hand legt sich auf meine Schulter. Ich reibe mir erstaunt die Augen und blicke direkt in ein von beinahe weißen Haaren umrahmtes bleiches Gesicht. Blutrote Augen sehen mich an. (1) Diese Iriden... Sie sind rot, ja. Aber sie haben auch diese kleinen, fast unsichtbaren Funken Orange und Braun in sich. Alles funkelt so wunderbar.

Fast beginne ich vor Glück zu weinen.

"C.? Willst du mir nicht endlich sagen, was los ist?", werde ich verwirrt gefragt.

In diesem Moment zucke ich zurück, realisiere erst jetzt, dass ich wieder sehen kann.

Kaum ist das geschehen, durchzuckt ein Fortissimo mein Hirn und lässt mich fast zu Boden gehen. Der Doktor ist wieder da.

Wütend presse ich die Hände auf die Schläfen, um das Hämmern in meinem Schädel zu stoppen, doch Mansells Zwilling will mir keine Ruhe lassen. Musik dröhnt in meinen Ohren und lässt mich leise aufstöhnen.

Lass mich in Ruhe, du bist tot!

Plötzlich hört es auf und schlagartig ist es so still, dass sogar mein eigenes ersticktes Keuchen wie schrecklicher Lärm klingt.

Ich habe nicht mitbekommen, wann Mansell mich in die Arme genommen hat. Fest steht, dass ich mein Gesicht in seiner Armbeuge vergraben habe und beruhigt diesen ganz speziellen Duft aus Medikamenten und Kräutern einatme.

Er streicht zart über meine Locken, bis ich mich etwas beruhigt habe. Anscheinend genießt er die intime Nähe, die sich zwischen uns ausbreitet. Ich würde mich ja auch gerne entspannen, doch ich habe so schreckliche Angst.

Der Doktor will Mansell, weil er so aussieht wie er. Mansell ist ein Albino, groß gewachsen, gut aussehend und Mediziner. Das perfekte Opfer für ihn.

Wie habe ich nur glauben können, dass der Doktor ihn verschonen würde, nur weil ich ihn mag?
 

Du böses Wesen. Ich weiß gar nicht, ob ich dich überhaupt noch bei mir haben will.

Du willst ihn töten.

Aber was wird mit Mansell, wenn du seinen Körper übernommen hast?
 

"Du kannst wieder sehen, oder?", spricht er mich vorsichtig an.

Ich nicke und versuche ein Lächeln, das mir jedoch kläglich misslingt. Was soll ich auch sagen?

"Hey, gib mir bitte deinen Körper, ich brauche ihn für einen toten Freund", oder was?

Aber was bleibt mir im Endeffekt auch anderes übrig? Irgendwann muss ich ihm doch die Wahrheit erzählen. Die andere Möglichkeit wäre natürlich, mich für den Rest meines voraussichtlich ewigen Lebens von einem Toten quälen zu lassen.

Welch absurde Situation.

Am liebsten würde ich weglaufen, ganz weit weg. Und dann würde ich mich irgendwo verkriechen, tief in der Erde oder hoch oben auf einem Baum oder auf einem Schiff, nur weg von hier und von diesen seltsamen Gefühlen, die langsam oder sicher zu einem einzigen Gedanken werden: Ich will ihm nicht wehtun. Aber wie ich das sehe, wird mir nichts anderes übrig bleiben.

Kurz mustere ich mein Gegenüber zum zweiten Mal.

Er sieht beinahe so aus wie mein Doktor, aber eben nur beinahe. Das Gesicht ist kantiger, die Haare sind anders geschnitten. Sein Körper ist muskulöser. Aber vielleicht hat er früher einen anderen gehabt und es ist gar nicht sein eigener. So genau kann man das bei Cyborgs nie sagen.

Alles in allem wirkt er auf mich wie ein ,Doktor Advanced', so dumm sich das auch anhört.

Ich hole tief Luft. Jetzt oder nie.

"Mansell, ich glaube, ich brauche deinen Körper."
 

Während meine Geschichte nur so aus mir heraussprudelt, muss ich mich zurückhalten, um nicht einfach los zu schreien, um den Lärm in meinem Kopf zu übertönen, der nur noch entfernt an Musik erinnert. Der Doktor ist in Rage, er will hinaus und in sein Ebenbild fahren. Er betäubt meine Gedanken, vergiftet sie langsam wie so oft... Ich kann es spüren. Ich muss mich beeilen.

Mansell sieht mich traurig an. Er sieht dem Doktor so ähnlich, dass es mir innerlich wehtut.

"Du weißt, dass ich das nicht tun kann?", fragt er mich leise.

Ich nicke langsam. Natürlich weiß ich es. Ich weiß auch, was jetzt passieren wird, was zwangsläufig passieren muss.

Ein Seufzen entkommt meinen Lippen.

"Du weißt, dass es sein muss."

"Ja." Er lächelt.

Kurz beuge ich mich vor. Für einen Augenblick, kaum spürbar, berühren sich unsere Lippen, dann bricht ein erbitterter Kampf los.
 

Natürlich sind Cyborgs verwundbar, warum auch nicht? Schließlich waren wir einmal richtige Menschen aus Fleisch und Blut. Vielleicht ist unser Schmerz deshalb noch viel größer als jeder andere, gerade weil wir nicht richtig leben und ihn auch nicht wirklich fühlen. Doch wir können uns körperlichen Schmerz besser vorstellen als jeder andere. Die Erinnerungen daran sind in jedem von uns präsent, egal, wie alt er ist.

Als Mansell mit tödlicher Genauigkeit nach mir schlägt, weiche ich ebenso flink zurück. Aber ich bin nicht schnell genug. Er trifft mich am Brustkorb und lässt mich erzittern. Beinahe gehe ich in die Knie, als die Luft aus meinen künstlichen Lungen gepresst wird.

Er ist stark, aber nicht so stark wie ich, dieser Gedanke flimmert durch meine Gedanken.

Niemand kann mich besiegen, solange ich es nicht selbst will!

Plötzlich wird irgendein Schalter in mir umgelegt.
 

Gift, leise, schmeichelnde Musik in meinem Kopf...
 

Jetzt gibt es für unseren Gegner kein Entkommen mehr...

Mansell kämpft gut und wehrt sich verbissen gegen die Schläge, die jetzt wie Hagel auf ihn herabprasseln. Wozu er wohl gebaut wurde? Als wir ihn brutal vor uns her treiben, versuchen wir, dies zu ergründen. Wir haben ihn nie danach gefragt, er hat es auch nie erwähnt. Diese Frage ist zu intim, um sie einfach so zu stellen. Sein Körper scheint uns nicht für den Kampf gebaut zu sein, auch wenn er sich nach unserer Art überdurchschnittlich geschmeidig bewegt.

Vielleicht war er einfach einer der vielen vergeblichen Versuche, den perfekten Menschen zu erschaffen?

Oh, wir sollten besser aufpassen. Mansell zielt auf unseren Hauptnerv. Ist er so dumm? Glaubt er wirklich, er könnte uns besiegen, indem er uns nur betäubt?

Nein, Liebling. Wir werden es so bei dir machen. Wir wollen dich nicht töten, nur betäuben, bewegungsunfähig machen.

Dann werde ich in dich fahren.

"Hör auf", bettelt Mansell, weicht zurück und spürt doch, dass er keine Chance gegen uns hat.

Wir grinsen, lassen den rechten Arm nach vorne schnellen und treffen ihn mit der Handkante am Hals. Er fällt stöhnend in sich zusammen. Elegant springen wir auf seine Brust und hocken uns darauf nieder. Unter unserer Last beginnt er zu keuchen. Tränen steigen ihm in die schönen Augen, aber Mitleid sucht er bei uns vergeblich.

Er zittert vor Angst.
 

Und was zum Teufel tue ich hier eigentlich? Mansell ist doch mein Freund, warum tue ich ihm dann weh?

Mein Versuch, mich von ihm zu erheben, schlägt fehl. Ich bin wie durch eine unsichtbare Macht dazu verdammt, weiter wie ein Inkubus auf seiner Brust zu hocken.

Was... Mit zusammengebissenen Zähnen versuche ich nochmals zu fliehen, doch der Doktor hält mich zurück.

Rien ne va plus, nichts geht mehr.

"Was wird jetzt passieren?", flüstert Mansell. "Ich kann mich nicht mehr bewegen!"

Ich kann ihm nicht antworten, in meinen Ohren summt es. Wie gerne würde ich die Hände gegen meinen Kopf pressen, der unter dem lauten Klang des Leitmotivs beinahe zu zerbersten droht.

Ich gehe.

Und mit einem Mal werde ich von Mansell geworfen. Hilflos muss ich mit ansehen, wie er um seinen Körper kämpft, obwohl er doch verlieren wird. Beim Anblick des Wesens, das da auf dem Boden liegt, sich krümmt und vor Schmerzen schreit, wird mir schlecht.

Leise beginne ich zu weinen und vergrabe den Kopf zwischen den Knien.

Ich will nichts hören, nichts sehen, nichts fühlen.

Plötzlich ist es still. Kein Stöhnen und Schreien mehr. Jemand berührt mich sachte am Arm.

"C.?"

Mansells Stimme ist nicht mehr Mansells Stimme. Sie hat diesen Unterton bekommen, den der Doktor darin hatte, dieses leise schnarrende Geräusch, dessen Ursprung ich nie ergründen konnte. Als ich aufsehe, blicke ich in ein schönes, bleiches Gesicht. Es gehört Mansell und doch ist sein Geist daraus verschwunden.

Der Doktor sieht mich ausdruckslos an und umarmt mich kurz. Dann hilft er mir auf. Seine Bewegungen sind abgehackt. Er wirkt wie jemand, dem der Körper aus irgendeinem Grunde nicht zu passen scheint. Ich starre ihn an, kann es kaum fassen. Er ist wieder da.

"Was ist?", murmelt er.

Ich antworte nicht. Habe ich das Richtige getan, als ich Mansell verraten habe?

Ich weiß, er muss irgendwo sein. Man kann Seelen nicht ganz aus ihren Körpern vertreiben, ein Teil von ihnen ist fest mit dem Fleisch verankert und weigert sich stets, es zu verlassen.

Dieses Wissen hat sich der Doktor schon früher zu Nutze gemacht, damals als er noch gelebt und die Seelen von Ermordeten gerufen hat, um sie nach ihren Mördern zu fragen.

Ob er sich wohl jemals gewünscht hat, ein Cyborg zu werden?

Wie ein kleines Kind, das eben Laufen gelernt hat, tapst er durch den Raum. Ich sehe ihm dabei zu und hoffe, dass er nicht über seine langen Beine stolpert.

Er bemerkt meinen Blick und sieht mich durchdringend an. "Starr nicht. Das macht mich verrückt", erklärt er einsilbig.

Die Andeutung eines Lächelns umspielt seine Mundwinkel. Wie glücklich mich das macht, weiß er wahrscheinlich gar nicht. Das war nicht er, der mich da angelächelt hat, das war Mansell. Ich bin mir ganz sicher, dass es so sein muss.

"Lass uns gehen", schiebe ich meine Gedanken beiseite und nehme den Doktor bei der Hand, der sich hingehockt hat und gerade Mansells Garten betrachtet.

Hier können wir nicht bleiben. Mein Gefährte sieht zwar aus wie Mansell, aber mit dem herzensguten, allerorts beliebten Arzt hat er nicht viel gemeinsam. Er hat sich zu sehr verändert. Die Menschen werden bemerken, dass etwas nicht stimmt. Deshalb müssen wir gehen.
 

In einer Nacht- und Nebelaktion verlassen wir Rovereto. Der Doktor und ich huschen so lange über die Dünen, bis wir einen Ort gefunden haben, an dem wir uns verstecken können und sicher sind.

Eine kleine Oase wird unsere Zuflucht.

Ich führe den Doktor zu dem höchsten und mächtigsten Baum, den ich finden kann, einer alten Eiche. Wir legen uns auf die breiten Äste, eng aneinandergeschmiegt.

Es ist so still hier... Fast vermisse ich die Melodie in meinen Ohren.

Stattdessen höre ich jetzt das gleichmäßig ruhige Atmen des neuen Cyborgs neben mir. Leicht streiche ich ihm über den eiskalten Arm und muss lächeln.

Dann versuche ich zu schlafen.
 

Wir werden sehen, was die Zukunft bringt...
 

~~
 

Danke fürs Lesen.
 

(1)

Albinos haben nicht wirklich rote Augen. Eigentlich sind sie grau oder blau, erscheinen aber rot, da die Blutgefäße durchschimmern. Das größte Problem eines Albinos ist seine angeborene Sehschwäche, nicht die helle Haut und die ,roten' Augen.

Ich aber finde die Vorstellung von weißen Haaren und blutroten Augen sehr reizvoll und habe mir den Albino deshalb ein bisschen ,umgebaut'. Auch die Sehschwäche habe ich weggelassen, da sie nicht zum Image des Doktors bzw. Mansells passt.
 

Man verzeihe mir die künstlerische Freiheit XD
 

Für mehr Information zum Thema:

www.albinismus.de
 

Für das Wort 'Iriden' ist broetchen verantwortlich. Das hat mir nämlich so gut gefallen, dass ich es flugs... übernommen habe *_*
 

Also, ich hoffe, es hat euch gefallen.

Schreibt mir doch, wie ihr die Geschichte gefunden habt, ich würde mich sehr freuen.
 

winterspross



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Selma
2012-11-11T16:38:50+00:00 11.11.2012 17:38
So, jetzt habe ich mal durch Zufall die beiden Geschichten gefunden. Vielleicht sollten beide das gleiche Schlagwort bekommen. Die eine läuft unter 'Cyborg' und die andere unter 'Cyborgs'.

Vom Stil haben sie mir beide sehr gut gefallen, auch wenn ich jetzt zum Schluss das Handeln des Doc's etwas sehr rabiat fand. Vielleicht hätte sich da auch eine andere Möglichkeit gefunden.
Er hat ja auch ein wenig sich selbst dabei verraten.


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