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Die Diener der Dunkelheit

von

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Hinter den Grenzen

Etwas später hatte es zu schneien begonnen und Xellos und Filia hatten sich auf den unversehrten Teil der Tribünen zurückgezogen um sich nach den letzten Geschehnissen zu sammeln und diverse Wunden zu kurieren. Ein dichter Reigen aus weißen Flocken setzte sich in ihr Haar und ihre Kleider und verdeckte die Spuren der Verwüstung, die sie hervorgerufen hatten.

Filia war gerade dabei eine letzte Schramme von sich mit einem Healing-Zauber zu bearbeiten, als Xellos, der mit einer Tasse Tee in der Hand neben ihr saß, den Kopf wandte.

„Wir bekommen Besuch“, sagte er.

Überrascht und ein wenig ängstlich sah Filia auf. Würde man sie schon wieder angreifen? Aber Xellos verhielt sich nicht, als würde er Gefahr erwarten, also musste es etwas anderes sein.

Dermaßen versichert machte sie sich dann auch gar nicht erst die Mühe in der Astral Plane nach den Neuankömmlingen zu suchen, sondern sah nur angestrengt in das wirbelnde Weiß um sie hinaus. Eine Weile veränderte sich nichts, nur das Heulen des Windes wurde stärker.

Aber halt. War das wirklich der Wind? Oder vielmehr ein Jaulen, das melodisch auf und abschwang oder ein raues Gebell.

Filia sprang aufgeregt auf.

Zwei furchterregende Wölfe sprangen durch den Schnee auf sie zu und einen davon erkannte sie gleich. Kesharo stürmte sofort auf sie zu und ehe sich Filia versah hatte er sie umgeschmissen und leckte ihr das Gesicht ab. Sein Schwanz wedelte wie verrückt und schlug ihr gegen die Beine.

Der zweite, größere Wolf schritt geradewegs auf Xellos zu. Sein riesiger Kopf war würdevoll erhoben und seine breiten Narben sahen im Höhenwind, der sein Fell teilte, schrecklicher denn je aus.

Xellos goss gemächlich eine weitere Tasse mit Filias rosa Teekanne voll und hielt sie dem Wolf dann hin.

„Tee?“

Er erntete einen missbilligenden Blick.

Inzwischen hatte es Filia geschafft sich einigermaßen zu befreien und setzte sich lachend auf.

Kesharos Fell war zerzaus und stellenweise verbrannt und blutige Kratzer zogen sich über seine Schnauze. Die Pfoten, mit denen er sie umgeworfen hatte, waren völlig zerschrammt und die Sohlen wund gelaufen. Doch er lebte und die Verwüstung, die sein Äußeres erfahren hatte, schien von seinem Gemüt abzugleiten, wie ein unbeachteter Schatten.

„Du hast es geschafft!“ rief sie aus. „Ich freue mich wirklich dich wieder zu sehen.“

‚Ich freue mich auch dich zu sehen‘, antwortete Kesharo.

Filia erstarrte.

Xellos, der ihre Verblüffung bemerkte, hob überrascht eine Braue. Nun, nun, jetzt schien es doch wirklich noch interessant zu werden.

„Du kannst ja reden“, sagte Filia endlich ein wenig kleinlaut.

‚Aber sicher‘, antwortete Kesharo völlig ungerührt. ‚Ich rede schon mit dir seit wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Und jetzt hörst du mich auch‘

Filia hatte diese Tatsache immer noch nicht so ganz verdaut. Ihr Blick wanderte zu Xellos, der sich inzwischen entschieden hatte dem ganzen seine lustige Seite abzugewinnen. Er grinste neckend.

„Was wunderst du dich denn so?“ fragte er sie spöttisch. „Als Ceelia mich noch gefangen hielt, hast du doch auch nach mir gerufen, oder nicht? Das war Telepathie, wie wir Mazoku sie nutzen. Kesharo redet auf dieselbe Weise.“

„Aber“, murmelte Filia „wieso kann ich… und so plötzlich…“

„Ich kann mich irren, aber das wird wohl an den diversen Extremsituationen liegen, die wir heute schon durchlaufen haben“ vermutete Xellos. „Du wirst wohl eine latente Fähigkeit, die dir das Shouki in deinem Körper verleiht, freigesetzt haben. Oder vielleicht gewöhnst du dich auch einfach an die Mazoku-Magie in dir“, zog er sie dann auf.

Filia streckte ihm die Zunge raus.

Sie musste zugeben, sie hatte nichts dagegen, wenn ihr dieses Malheur von Zeras auch mal ein paar Vorteile anstatt immer nur Nachteile verschaffte, aber etwas unheimlich war es ihr schon.

„Nun, wo die Dinge nun sind wie sie sind“, fuhr Xellos redselig fort und machte eine Geste zu dem großen Wolf hin „darf ich dir wohl Askura vorstellen. Er ist eines von Greater Beasts ältesten Geschöpfen. Viel älter als ich. Er gebietet über die Wölfe Wolf Pack Islands.“

Askura schnaubte.

‚Irgendwann, Xellos‘, knurrte er ‚wirst du deine Zunge verschlucken, wenn dir sie vorher niemand zusammenknotet. Ich kenne Filia schon und sie kennt mich. Wenn du ein Theater veranstalten willst, dann halte mich dort gefälligst heraus. Wir sind schließlich nicht zum Spaß hier.‘

Er fing an Filia sympathisch zu werden.

„Weswegen seid ihr denn hier?“ fragte sie Kesharo neugierig.

‚Ich bin hier um Filia verdammt noch mal von Shabranigdos Festung wegzuholen‘, sagte Kesharo fröhlich. Es war nicht schwer Zeras wörtliches Zitat aus seinen Worten herauszuhören und Xellos und Filia zuckten gleichermaßen zusammen. ‚Wir reisen zusammen nach Wolf Pack Island ab‘, verkündete ihr der Wolf und legte ihr den Kopf in den Schoß, damit sie ihn besser kraulen konnte.

‚Und ich werde Xellos eskortieren‘, verkündete Askura ruhig. ‚An einen anderen Ort.‘

Xellos runzelte die Stirn.

„Wir sind aber noch nicht hier fertig“, sagte er Askura besorgt. „Wir haben Ergebnisse. Na gut“, korrigierte er, als er Filias ungläubige Miene bemerkte. „Vielleicht keine Ergebnisse direkt, aber wir haben etwas rausgefunden.“

„Ich würde ja sagen, das etwas hat uns gefunden“, meinte Filia trocken. „Aber Xellos hat recht. Wir wollten eigentlich wieder zur Festung zurück, sobald ich mich geheilt habe, und doch noch einmal nach Ceelia suchen.“

Sie verzog das Gesicht. Es waren nicht grade verlockende Aussichten, weder für Xellos noch für sie, aber wie so oft hatten sie eigentlich keine Wahl.

‚Wer auch immer diese Ceelia ist, sie spielt jetzt keine Rolle mehr für dich‘ sagte Askura ihr. ‚Die große Wölfin war sehr wütend, als sie erfahren hat, dass Xellos dich hierher gebracht hat, und sie will, dass du gehst. Dieser Ort mag den Shinzoku bekannt sein, aber Ryuzoku kennen ihn nicht. Du hast hier nichts zu suchen. Und was Xellos angeht‘ fuhr er fort und schenkte dem Mazoku einen zurechtweisenden Blick ‚so duldet unser Reiseziel keinen Aufschub. Solange du deine Nachforschungen hier auch aufschieben kannst, sind sie fürs erste aufs Eis gelegt.“

„Verstehe.“ Xellos neigte den Kopf. „Befehl bleibt Befehl.“

Filia nickte resigniert.

Es gefiel ihr zwar nicht, Ceelia hier oben unbewacht zurückzulassen, aber es sah ganz so aus, als hätten sie mal wieder keine Wahl. Sie fragte sich, ob Xellos Aufträge wohl immer so für ihn abliefen und ihn in so einen engen Handlungsraum zwängten. Es hatte nie danach ausgesehen.

„Wie soll ich den Rückweg schaffen?“ fragte sie. „Wir müssen über den Ozean…“

‚Wir gehen durch die Astral Plane‘, erklärte ihr Kesharo. ‚Ich kann dich dort nicht so tragen wie Xellos, aber ich kann dir den Weg erleichtern und dich führen. Den Rest musst du selbst schaffen. Aber dafür bist du ja jetzt auch ein bisschen Mazoku geworden.‘

Filia verzog das Gesicht.

„Ich bin sicher, dass du einen Heidenspaß haben wirst“, sagte Xellos feixend und dachte an die Male, da Filia schon so mit ihm gereist war. „Wie gut, dass du nichts gegessen hast, nicht wahr?“

Filia schenkte ihm einen bitterbösen Blick und er grinste noch breiter.

‚Kesharo, Filia‘ bellte Askura. ‚Ihr habt euch genug ausgeruht. Geht.‘

Kesharo sprang sofort auf und Filia folgte ihm aufgeschreckt.

‚Kesharo bringt dich in die Astral Side‘, befahl Askura Filia. ‚Wenn ihr da seid, schau nur seinen Astralkörper an, folge ihm und lass ihn nicht aus den Augen. Lass ihn nicht los. Er würde dich zwar wiederfinden, solltest du ihn verlieren, aber die Erfahrung wäre nicht angenehm für dich.‘

Filia nickte und schluckte.

Kesharo stakste schwanzwedelnd um sie herum und bellte dabei aufgeregt. Er leckte ihre verkrampfte Hand. Mit der anderen packte sie Kesharos Nackenfell.

Der Wolf bellte laut und Filia spürte, wie sich die Muskeln in seinem schlanken Körper anspannten, dann sprang er los. Filia hatte noch nicht mal Zeit sich nach Xellos umzusehen, sie musste all ihre Konzentration darauf verwenden mit Kesharo Schritt zu halten, während er sie mit sich riss.

Sie wurden immer schneller, der Schnee stieb um sie in Kaskaden auf und dann bellte Kesharo ‚Jetzt!‘ und sie sprangen beide und waren plötzlich in einer Welt, in der es kein oben und kein unten mehr gab.
 

***
 

‚Diese jungen Dinger.‘ Askura schüttelte sich missbilligend. ‚Sie meinen, sie hätten alle Zeit der Welt und vergessen, wie ungeduldig unsere Meisterin sein kann.‘

„Was wird jetzt mit Filia geschehen?“ fragte ihn Xellos.

Askura schwieg und sah ihn abschätzend an.

„Sie ist meine Investition“, verteidigte Xellos sich fast trotzig. „Ich habe sie in Meisterin Zeras Dienste gebracht, da habe ich natürlich ein Interesse daran, was…“

‚Ich weiß‘, unterbrach ihn Askura. ‚Du bist zu redselig heute, Xellos. Aber ich kann dir die Antwort auf deine Frage nicht geben.

Nur so viel, vor kurzem war ein Spion von uns am Dragon’s Peak und jetzt wissen wir, dass bei den Ryuzoku ein großer Krach herrscht…‘

„Ach ja?“, fragte Xellos überrascht.

‚… wegen einer gewissen Ryuzoku, die einen Mazoku nahe eines Tempels herbei gerufen haben soll. Du kannst dir sicher am besten denken, worum es hier geht.‘

Xellos legte den Kopf in die Hände. „Auch das noch.“

‚Die Ryuzoku werden wohl kaum einen Krieg mit uns wegen einem einzelnen Drachen anfangen, geschweige denn der Shinzoku. Aber trotzdem werden sie sich fragen, was unsere Meisterin und du mit ihr vorhaben.‘ Askura ließ ihn jetzt nicht aus den Augen. ‚Was hast du vor, Xellos?‘

„Das“, sagte er ruhig „ist ein Geheimnis.“

Ein Grollen drang aus Askuras Kehle.

„Und dabei bleibt es“, sagte Xellos nun ganz nüchtern. „Sag Askura, wohin schickt mich unsere Meisterin?“
 

***
 

Als sie den Rand des Ozeans erreichten, legten sie eine Rast ein.

Filia stand auf den Klippen, die hier zur Meerküste unter ihr abbrachen und sah auf das Wasser hinaus. Der Wind schlug ihr das Haar ums Gesicht und die Gerüche von Salz und Tang stiegen ihr in die Nase und vertrieben ihr die Übelkeit.

Ein Stück hinter ihr lag Kesharo im Gras und döste vor sich hin.

Wie leicht es jetzt doch wäre zu verschwinden und Xellos und Zeras und alles hinter sich zu lassen. Hinab zu steigen in die Welt und sich für immer vor den Mazoku zu verbergen. Sie wusste jedoch, zum Schluss würde Xellos sie finden.

Doch welch ein schöner Traum die Freiheit doch war und träumte sie ihn auch nur für einen Augenblick.

Entlang der Klippen befand sich ein Pfad und sie hatte vor einer Weile einen Wanderer bemerkt, der in einiger Entfernung über diesen Weg auf sie zukam. Nun hatte er sie erreicht, verließ den Pfad und trat neben sie.

„Eine schöne Aussicht“, stellte er kurz darauf fest.

„Ja“, sagte Filia. „Wunderschön.“

„Ich weiß nicht wie es Euch geht, aber mich lässt sie an die Freiheit denken“, sagte er ganz unvermittelt.

Filia erschrak etwas, weil er ihre Gedanken erraten zu haben schien und wandte den Kopf um den Fremden zu studieren. Der Mann trug einen Reisemantel und einen weiten, zerrissenen Hut unter den er sein langes Haar gesteckt hatte. Der Ansatz in seinem Nacken trug einen dunklen Blondton, fast braun, aber nicht ganz. Auf eine seltsam unbestimmte Art und Weise kam er ihr fast bekannt vor. Doch gleichzeitig war sie sich sicher, ihn nie zuvor gesehen zu haben.

Sie versuchte seine Aura zu erfassen, aber an der Oberfläche war er ein ganz gewöhnlicher Mensch. Doch irgendetwas in seiner Haltung oder der Spannung in der Luft sagte ihr, dass es ganz sicher nur die Oberfläche war.

Vorsichtshalber suchte Filia nach Kesharos Aura, aber er schien eingeschlafen. Sie traute sich nicht, ihn telepathisch zu rufen.

Der Fremde sah sie bedauernd an.

„Aber wer ist schon wirklich frei?“ fragte er, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. „Du und ich, wir sind es jedenfalls beide nicht, wenn auch auf verschiedene Weisen.“

Filia starrte ihn an. Sie hatte keine Ahnung wovon er redete, aber langsam bekam sie ein ungutes Gefühl bei dieser ganzen Sache. Kesharo schlief viel zu fest.

„Wer seid ihr?“ fragte sie ihn.

Ihr Gegenüber antwortete nicht. Stattdessen fasste er sie bei den Schultern und küsste ihre Stirn. Seine Lippen schienen zu brennen und für einen Moment hatte sie das Gefühl in Flammen zu stehen und schloss vor Schreck die Augen. So schnell wie die Empfindung aufgekommen war, versiegte sie auch wieder und als Filia die Augen aufschlug, war der Mann weg.

Kesharo hockte vor ihr und betrachtete sie aufmerksam mit zur Seite gelegtem Kopf und heraushängender Zunge.

‚Was ist los?‘ fragte er sie.

Filia seufzte. „Ich habe keine Ahnung“, gestand sie ihm. „Wie immer. Aber ich bin froh, dass es vorbei ist.“

Kesharo drehte verwirrt seine Ohren mal in die eine und dann in die andere Richtung. Schließlich rappelte er sich auf und rieb seine Flanke tröstlich an ihr Bein. Durch ihren dünnen Rock hindurch spürte sie seine Körperhitze.

„Lass uns gehen“, seufzte Filia. „Ich fühle mich nicht sicher hier. Vielleicht vergeht das ja, wenn wir Wolf Pack Island erreichen.“

Kesharo jaulte auf und sie machten sich auf den Weg.
 

***
 

Erneut erhob sich die Kuppel aus Licht, aus dunklem Licht, über der Stadt, so hoch, als wolle sie den Himmel berühren. Und zerreißen.

Doch wichtig war nicht die Kuppel, wusste Xellos, wichtig war, was darunter lag. Die Kuppel tief in der Erde, die sich wie ein fein gesponnenes Netz um alles gelegt hatte. Um alles, was in der Tiefe verborgen lag, an einem Ort so weit unter ihnen, dass es heiß war dort. Heiß wie in der Hölle.

Der Boden brach auf. Alles, was auf ihm gestanden hatte, versank in seiner Tiefe. Rauch zog durch die Straßen und dämpfte die Schreie in ihren Gassen.

Xellos befand sich inmitten des Untergangs und genoss das Schauspiel, das sich ihm bot. Er wachte über den Wolf mit weit geöffneten Augen, in denen die Erwartung flackerte. Lange hatten sie warten müssen und die Neugierde hatte ihn zuweilen fast um den Verstand gebracht.

Denn das, was er nun sehen würde, war vor seiner Zeit versunken und nur Meisterin Zeras Erzählungen hatten ihm ein Bild gemalt. Doch nun spürte er in der heraufsteigenden Hitze die alte Kraft dieser Zeit und er wünschte sich, er wäre schon damals dabei gewesen. Wie lange war es nun schon her?

Xellos sah in das schöne Gesicht seiner Meisterin. Das Gesicht, in dem ein Auge vernarbt war, immer schon, in dem messerscharfe Zähne blitzten und graues Fell rauschte. Es war grausam und wild und ohne Menschlichkeit und vertraut und stark und Xellos fand es wunderschön.

Er spürte Greater Beasts Macht, als sie den Bogen zusammenführte, und ein Puls schlug in seinem Körper, als die Pentagramme erglühten und zum Leben erwachten

Das Netz zog sich zusammen. Wie ein Fischer, der seinen Fang einbringt, zog der Wolf daran. Xellos hielt den Atem an. Die Fische, die langsam nach oben wuchsen, waren Gemäuer aus uraltem Stein, unschmelzbar und unverwüstlich, so als hätten sie nur darauf gewartet, wieder zu erstehen.
 

***
 

Nach Wolf Pack Island zurückzukehren war wie einen lange vergessenen Traum wieder zu finden. Kein besonders schöner Traum, dachte Filia, aber sie musste zugeben, dass es doch auch kein Albtraum war.

Dafür waren Wiesen und Wälder zu schön, die Sonne zu heiß und das Meer zu blau. Der Duft nach Kiefern füllte ihren Körper bis in die Zehenspitzen.

„Ich kann Zeras nicht spüren“, sagte sie schließlich „und überhaupt nur wenige Mazoku. Verstehst du das, Kesharo?“

‚Nein.’ Kesharos Ohren drehten sich verwirrt in verschiedene Richtungen. ‚Etwas war los. Sie haben die Insel verlassen.’

Nach kurzem Zögern teleportierten sie schließlich direkt in Zeras Audienzsaal mit den Licht einlassenden Spalten in der Decke und den zerschlissenen Wandbehängen. Die Luft war ein wenig muffig und der Geruch nach Wolf allgegenwärtig.

Ein paar wenige Wölfe lungerten hier noch in den schattigen Ecken. Ihre Emotionen echoten in Filia ein Bild der Langeweile und Frustration.

Kesharo trottete auf sie zu und jaulte laut zur Begrüßung, woraufhin auch der Rest zu einem Konzert ansetzte. Filia sah dem Geheul und Balgen aus sicherer Entfernung zu, bis sich Kesharo wieder zu ihr umdrehte. Erst dann kam sie näher und setzte sich zu dem kleinen Teil des Rudels. Während ein paar Wölfe sie zur Begrüßung höflich beschnüffelten, ließ sich Kesharo neben ihr nieder und kratzte sich ausgiebig hinter einem Ohr.

‚Zeras ist verreist‘, bemerkte er dabei. ‚Es ist unklar, wann sie zurückkommt. Und niemand‘, fügte er düster hinzu ‚will mir verraten, wo sie ist.‘

‚Natürlich nicht‘, neckte ein beiges Weibchen, das Filia gerade umrundete und dabei fachmännisch inspizierte. ‚Wieso sollte man das auch einem Wolf erzählen, der seine Zeit damit vertut einem Drachen hinterher zu scharwenzeln?‘

Kesharo seufzte. ‚Ich bin verdammt und degradiert.‘

„Was soll ich jetzt tun?“ fragte Filia ihn und streckte vorsichtig eine Hand nach dem Weibchen aus, das sich seiner Bemerkung zum Trotz genüsslich kraulen ließ.

‚Warten‘ schnurrte sie. ‚So wie alle Unglücklichen hier. Irgendwann sind Zeras oder ein neuer Auftrag da. Bis dahin kannst du mich etwas weiter rechts kraulen… ja, genau da.‘

Sie schloss wohlig die Augen.

Während Filia ihre Finger durch ihr Fell gleiten ließ und ihr zusah, wie sie langsam einschlief, glitten ihr die Gedanken davon.

Etwas Schlimmes war passiert, sie spürte es, oder etwas Großes. Wann sonst ging Zeras schon weg und nahm so viele ihres Gefolges mit? Filia wollte die Antwort eigentlich gar nicht wissen, denn sie fürchtete sich vor der Zukunft und fühlte sich allein gelassen. Wie sollte sie es nur mit all diesen Mazoku aufnehmen, wenn die Zeit gekommen war? Würde ihr niemand zur Seite stehen?

Irgendetwas kam ins Rollen und blieb dann immer wieder stehen. Doch die Mazoku gaben nicht nach und Filia fürchtete um den Rest. Sie wünschte, sie könnte die Zusammenhänge verstehen, anstatt nur bis zur nächsten Ecke zu blicken.

Sie wünschte sie könnte sie sehen… die Grenze. Die Grenze, die sie erkennen musste, bevor sie ganz und gar eingewickelt war. Bevor sie taub war für das Gefühl von Gut und Böse und Mitleid. Und irgendwann in einem Albtraum erwachte, in dem sie den Ausgang verpasst hatte, wie auch immer dieser geformt sein mochte.

Wo war diese Grenze? Xellos versteckte und verwischte sie und Zeras zerrte sie darüber. Und Filia fürchtete sich davor.

Ihre Augen wurden ihr so schwer wie ihre Gedanken. Den Kopf im Fell des Wolfes vergraben, schlief sie ein.

Als sie wieder erwachte, waren die Wölfe fort. Der ganze Thronsaal war verlassen und wirkte geisterhaft im Mondlicht, das durch die Decke vom Himmel herab fiel. Es war so still, dass man das Fallen einer Stecknadel auf den zerkratzten Steinen hätte hören können.

Für einen Moment hatte Filia das Gefühl, ganz allein auf der Welt zu sein.

Doch dann wurde sie der dunklen Aura gewahr, die die dämmrige Halle ausfüllte. Sie drückte so schwer auf Filias Sinne, als wolle sie sie ersticken.

Sie wandte den Kopf und sah auf.

Kaum zwei Meter von ihr entfernt lehnte eine Gestalt an einem Pfeiler und betrachtete sie träge.

„Xellos“, Filia gähnte. „Du bist zurück.“

„Natürlich“, er lachte. „Meisterin Zeras hat mich mit Freuden weiter gescheucht.“

Von seinen Worten aufgeschreckt setzte Filia sich gerader auf. „Hast du etwa Ärger gekriegt?“

„Nein.“ Er stieß sich von dem Pfeiler ab und schlenderte durch die vom Mondlicht durchbrochene Dunkelheit auf sie zu. „Dafür war sie viel zu gut gelaunt gewesen.“

Er hatte Filia erreicht und streckte ihr eine Hand entgegen.

„Ich soll dich abholen“, sagte er.

Filia gähnte noch einmal. „Es ist mitten in der Nacht, Xellos“, beschwerte sie sich, ergriff seine Hand aber trotzdem.

Sie wurde mit so viel Schwung hochgezogen, dass sie gegen ihn stieß. Sie schwankten beide einen Moment, bis sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatten.

Xellos packte Filias Schultern um sich zu stützen. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Stirn.

Er lachte wieder.

„Verzeih, ich bin wohl betrunken.“

„Betrunken?“ rief Filia. „Von was?“ Fragend sah sie auf und da fühlte sie das Leid, das er getrunken hatte. Es füllte ihr eigenes Shouki und gemeinsam mit dem Brennen, das sie seit dem Stirnkuss erfüllte, machte es ihren Kopf schwer.

„Au.“ Sie schlug eine Hand vor die Stirn. „Hör auf damit, ich bin doch kein Mazoku. Halt dein Shouki gefälligst in deinem Körper.“

Doch seine Aura blieb so drückend wie zuvor. Stattdessen schob sich eine Hand unter die ihre und berührte ihre Stirn. Sie war angenehm kühl. Filia hob überrascht den Kopf um Xellos anzusehen. Seine Hand wanderte entlang einer Seite, streifte ihre Schläfe und hielt schließlich ihre Wange umschlossen.

Fasziniert sah Filia ihn an. Sie war sich gar nicht mehr sicher, ob sie wach war oder ob sie träumte. Jedenfalls verstand sie nicht, was hier gerade geschah. Gleichzeitig hatte sie das Gefühl, dass die Antwort hierauf viel wichtiger war, als alle anderen Fragen, die sich heute gestellt hatte.

Lange sah Xellos sie an mit einem Blick, den sie nicht deuten konnte.

Erst als sie seine Stimme hörte, konnte sie deutlich das Bedauern darin hören und vielleicht noch etwas anderes, aber sicher war sie sich da nicht.

„Komm“, sagte Xellos müde und ließ den Arm sinken um nach Filias Hand zu fassen. „Lass uns aufbrechen.“
 


 

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Hm, ich kann nicht gerade sagen, dass ich mit dem Ende dieses Kapitels besonders zufrieden bin. Aber ich glaube auch nicht, dass ich was Besseres hinbekommen hätte, wenn ich noch länger gewartet hätte.

Endlich sprechen die Wölfe! Das ist eine der wenigen Sachen, die ich von Anfang an so geplant hatte und an der sich nicht viel geändert hat. Ich mag meine zwei Wölfe immer noch :)



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