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Die verlorene Prophezeiung

Kapitel 14 nach längerer Wartezeit fertig
von

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Die Entscheidung

Kapitel 14
 

Henry erwachte durch die Geräusche eines Gewitters. Er konnte die Blitze weder sehen noch erahnen, doch der tiefe, grollende Donner war nicht zu überhören. Die Regentropfen fielen mit einer hohen Geschwindigkeit auf den Erdboden nieder und erzeugten ebenfalls einen starken Geräuschpegel.

Benommen fasste sich der Junge an den Kopf, der ihm starke Schmerzen bereitete. Henry wusste nicht, wie lange er schon auf dem feuchten, modrigen Boden lag, doch ließ die Nässe seiner Sachen eine ungefähre Ahnung zu, dass er schon einige Zeit so da lag.

Er hasste Gewitter. Eines hatte ihm seine zweiten Eltern genommen, war unberechenbar und nicht aufzuhalten. Beim erneuten Klang des Donners zuckte der Junge zusammen, es war so laut, dass man es womöglich sogar für eine Explosion halten konnte, wenn man den Blitz dazu nicht sah. Ein ungutes Gefühl überkam ihn. Unwetter brachten nichts Gutes mit sich, sie richteten nur Schaden an und er fürchtete sich vor dem Unbekannten, wusste nicht, was ihn erwarten, was mit ihm geschehen würde. Ja, er hatte Angst davor, dass ihm erneut etwas genommen werden könnte. Wollte nicht wieder einen solchen Verlust, den er noch nicht einmal gänzlich verarbeitet und begriffen hatte, erleiden müssen.

Aber was war es, was er wirklich wollte?

Er war alleine, vollkommen durchnässt in einer Höhle, fürchtete sich vor dem lauten Donnern und wusste nichts, außer, dass er dort nicht bleiben konnte. Die Kälte umhüllte ihn, ließ ihn erschaudern und zittern. Henry wagte nicht sich zu bewegen, aus Furcht vor dem, was als nächstes geschehen würde. Er bot einen bemitleidenswerten Anblick. Zusammengekauert vor Angst und Gefühllosigkeit saß er im Dunkeln und sah in die Pfütze vor ihm, die sich aus den Tropfen, die durch einen Durchbruch in der Decke fielen, in einer Kuhle auf dem Boden gebildet hatte. In der Wasserlache betrachtete er sein Spiegelbild. Verängstigte hellblaue Augen schauten ihm entgegen, ihr Blick war stumpf und nichts von dem einstigen Funkeln, das sie sonst auszustrahlen pflegten, war mehr darin zu erkennen.

Zum ersten Mal, seit er aus seinem alltäglichen Leben in ein komplett anderes gerissen wurde, hatte er wirklich Zeit, sich alles durch den Kopf gehen zu lassen.

Vielleicht habe ich auch einfach nur einen Traum, der gut angefangen hat und katastrophal enden wird?! Noch nicht einmal ansatzweise habe ich begriffen, wie das alles sein kann. Warum gerade ich? Wie hat man mich überhaupt ausfindig gemacht? Weshalb konnte ich mich nicht an die Jahre vorher erinnern? Kann das alles überhaupt wahr sein?

Ich verstehe die Zusammenhänge überhaupt nicht; an Lidera kann ich mich erinnern und habe das Gefühl, sie sei für mich die wichtigste Person in meinem Leben, so eine enge Bindung zu seiner… Schwester… zu haben, ist doch recht seltsam. Wo besteht die Verbindung zwischen all dem, was passiert ist? Ich war heute, gestern, vorgestern…? Nicht einmal wie viel Zeit vergangen ist, weiß ich noch. Meine Tante wird sich fürchterliche Sorgen um mich machen, sie hat doch nur noch mich und Lynn. Wieso verdammt noch mal redete niemand mit mir? Ollicnos und Lidera, jeder von ihnen hätte mir etwas erzählen können, Cersia ebenso! Verheimlichen sie mir etwas?

Warum gibt es bestimmte Erinnerungen, die durch starke Reize hervorgerufen werden? Und wieso konnte ich mich bei Lynn und Tante Marianne nie an etwas erinnern? Ich verstehe es einfach nicht! Wahrscheinlich gibt es dafür eine Reihe logischer Erklärungen, doch weshalb verdammt noch mal, sagt sie mir dann niemand? Ich komm mir so unwissend vor- jeder weiß mehr über meine Vergangenheit, als ich selber. Davon habe ich genug. Ich will Antworten!

Ich will nicht an der Nase herumgeführt und immer wieder auf später vertröstet werden. Ich will wie die anderen behandelt werden und einfach nur wissen, wer ich bin!!! Warum, warum lässt niemand das zu? Ich fühl mich wie ein lebloses Ding, das benutzt wird wie es demjenigen, der es gerade besitzt, passt.

Noch immer plätscherten die Tropfen in einem bestimmten Rhythmus auf die Erde sowie in die Pfütze und rissen ihn somit aus seinem Gedankenetz. Die blauen Augen waren immer noch stumpf. Sie strahlten kaum Lebensenergie aus. Henry war ziemlich blass im Gesicht und zitterte noch mehr als vorher. Die Kälte kroch seine Glieder hinauf und erfasste seinen gesamten Körper.

Einsam saß er so da; das Gewitter war inzwischen vorbei, das fiel ihm erst jetzt auf- so sehr war er in seine Grübeleien vertieft gewesen.

Dass seine Sachen so komplett durchnässt waren ließ ihn auch an seinen vorherigen Ereignissen zweifeln. Er nahm an, dass es sich um Illusionen handelte. Doch wodurch diese hervorgerufen wurden, konnte der Junge sich nicht genau erklären. Das letzte Geschehen, dessen er sich tatsächlich sicher war, war der Weg vom Irconoal, den er zusammen mit 2 Wachen zurücklegte und die ihn anschließend dorthin gebracht hatten. Doch was genau war das dorthin?

Wo wurde ich hingebracht?

Diese Frage drängte ihm sich schon seit längerer Zeit auf und auf der Suche nach Hinweisen nahm er seine Umgebung zum ersten Mal bewusst wahr, die ihm Aufschluss über seinen jetzigen Standort geben könnten. Die Wände waren glatt und von schwarzer Farbe. Direkt über ihm befand sich das Loch, durch welches sich die Regentropfen ihren Weg bahnten. Der Boden war im Kontrast zu den feinen Steinwänden rau und eher von grünlich-grauer Färbung.

Vereinzelte kleine Brocken, die vielleicht zusammen mit seinem Sturz hinuntergefallen waren, lagen nicht unweit von ihm entfernt.

Durch seine Überlegungen hatte sich eine gewisse Wut in Henry entwickelt, die entweichen musste. Also hievte der Junge seinen durchnässten Körper hoch, ging auf die Steine zu, nahm sich einige und setzte sich wieder an seinen Platz.

Er starrte grimmig die andere Wand an, holte mit seinem rechten Arm weit aus und warf den Stein mit voller Kraft gegen den schwarzen Felsen. Dabei war etwas recht Seltsames zu beobachten: den Stein umzüngelten bläuliche Flammen und als der Stein das Hindernis berührte, gab es einen lauten Knall und ein Loch war in der Wand zu erkennen.

„Was ist geschehen? Wie…wie…“

Er schritt vorsichtig, darauf bedacht keinen weiteren Lärm zu machen, bis an das in die Wand eingesprengte Loch heran und tastete vorsichtig die Ränder ab.

„Soll ich das etwa gewesen sein?“, fragte er sich leise mit einem deutlich hörbaren zweifelnden Unterton in der Stimme.

„Ganz richtig, mein Junge, das warst du. Die nächste Sache, die man dir anscheinend verschwiegen hat. Es ist schon erbärmlich, dass du so ein großes Schicksal vor dir zu liegen hast, aber von rein gar nichts weißt. Du unwissender Junge! Kommst du dir nicht ein wenig blöd vor, jeder weiß mehr über dich als du selbst. Wahrscheinlich hast du keinerlei Erinnerung an die Zeit vor einigen Perioden, weißt nichts von deiner Kindheit, von deinen Eltern, deinen Freunden, deinen Feinden, deinen Kräften, deiner Bestimmung…Nicht einmal eine Namensumbenennung hast du erhalten. Mich wundert es, dass du überhaupt unsere Sprache sprechen kannst, Kind.“

Nicht schon wieder, dachte sich Henry nur. So langsam nervten ihn diese Gespräche, doch mit jedem weiterem Wort, lauschte er interessierter. Was erzählte man ihm da?

Was soll eine Namensumbenennung sein, welche Kräfte besitze ich und vor allem: wie lautet meine Bestimmung?

Die Antwort folgte prompt.

„Das sind recht viele Fragen auf einmal, doch beantworten werde ich dir vorerst nur eine. Stell mir eine wichtige Frage und du wirst deine Antwort erhalten, so gut ich in der Lage bin dir Informationen zu geben. Dafür musst du dich jedoch bereit erklären, mir bei einer Aufgabe zu helfen. Einverstanden, Junge?“

Der Prinz zögerte und war schon kurz davor nachzuhaken, was das für eine Aufgabe wäre. Doch besann er sich noch im rechten Moment sie nicht zu stellen.

Er hatte nur die Berechtigung für eine Frage und die wäre somit erloschen.

„Ja, ich bin einverstanden mit der Bedingung!“, murmelte der Junge im Schlaf.
 

Das waren genau die Worte, die Jierde von ihm hören wollte. Er befand sich mit dem Jungen in einem Raum. Seine Laune hatte sich nun wieder deutlich gebessert. Er war seinem Ziel ein ganzes Stück näher gekommen. Er hatte den Jungen genau da, wo er ihn haben wollte. Es war nun Zeit, ihn aus seinem „Schönheitsschlaf“ zu wecken und die Illusionen, die er ihn die ganze Zeit durchleben ließ, aufzuheben. Was ein paar Pflanzen und Kräuter für eine unglaubliche Wirkung hatten…

Seitdem das Kind aus dem Irconoal verschleppt worden war, befand es sich in den Täuschungen, die Jierde herbeiführen ließ, um ihn für seine Zwecke zu manipulieren. Henry würde kaum einen Unterschied merken zwischen Realität und Scheinwahrheit, dafür würde schon gesorgt werden…
 

Zur besseren Konzentration hatte er die Augen geschlossen, merkte aber dennoch, dass es plötzlich deutlich heller und wärmer um ihn wurde.

„Komm her, Junge! Komm her zu mir!“, rief ihm eine sanfte Stimme zu.

Verwundert schlug er die Augen auf und staunte: die schwarzen Höhlenwände waren verschwunden und er befand sich in einem hellen, liebevoll eingerichteten Raum wieder.

Ein freundliches Gesicht hatte sich leicht über ihn gebeugt.

„Geht es dir wieder gut, Junge?“, fragte es mit einem sanften Unterton

Neugierig musterte der Jüngere den blonden großen Mann.

Er war von hoher Gestalt, wohl gebaut und hatte einen sehr aufmerksamen Blick. Die blonden Locken waren leicht verwuschelt und gingen ihm sicherlich bis zu den Schulterblättern. Da er sein Haar jedoch zu einem Zopf geflochten trug, der ihm auf der muskulösen linken Schulter lag, konnte Henry dies nicht genau sagen. Der Mann hatte ein hübsches ovalförmiges Gesicht. Die blau-grauen Augen strahlten ihn regelrecht an und die Grübchen in den Wangen ließen ihn noch recht jung wirken. Die hohe Stirn des Gegenübers zeigte keinerlei Spuren von Falten und die weiße Haut schimmerte im Sonnenlicht silbern.

Das Wort, welches diese Person in einem einzigen am besten beschreiben würde, wäre rein.

Henry war sichtlich eingeschüchtert von der Schönheit des Mannes.

Vorsichtig wurde er von ihm an der Stirn berührt, da er schon einige Zeit den Blick des Jüngeren auf sich spürte, aber dennoch keine Antwort auf seine Frage erhielt

„Hey, ist mit dir alles okay?“, wurde er in zweites Mal gefragt, dieses Mal nicht mehr ganz so sanft und mit dem Hauch von Ungeduld in der Stimme.

Ganz so freundlich wie sein Gegenüber sich gab war er also doch nicht.

„Ja, eigentlich schon…“, murmelte Henry nur und nahm endlich den Blick vom Gesicht des Anderen.

„Wie heißt du, Junge?“ Nun war die Stimme wieder so sanft wie vorher; irgendwie kam sie ihm auch bekannt vor, doch noch konnte der Angesprochene nicht sagen woher.

„Mein Name ist Henry“, nuschelte dieser verlegen. Die Schüchternheit ließ nicht nach, er fühlte sich dem Älteren geradezu ausgeliefert und unterlegen. Dieses Gefühl ließ ihn sich ein wenig unwohl fühlen. Immer noch brannten ihm mal wieder so viele Fragen auf der Zunge, eine bedeutsamer als die andere für ihn. Doch er konnte sich nicht entscheiden, welche er zuerst stellen sollte.

„Okay, Henry, weißt du, wo du dich befindest?“

„Nein, ich habe keine Ahnung. Ich weiß so vieles nicht…“

„Woher kommst du und wer bist du genau?“

Er wollte schon wieder antworten, als ihm eine Sache einfiel.

Bevor er im Irconoal ankam, hatte seine Schwester ihm scharf eingebläut niemals über seine Herkunft zu sprechen und schon gar nicht seinen Namen zu erwähnen. Er hatte anscheinend großen Mist gebaut.

„Mhm, wenn ich das wüsste, wäre ich froh… Ich kann an nichts mehr erinnern, ich habe keine Ahnung wer ich bin, mir wurde nur dieser Name gegeben, als Kurzform von Hendrik schätze ich, aber da mich niemanden kannte und ich den Namen nur vorübergehend trage gehe ich davon aus, dass er nicht mein richtiger ist.“ Der Junge log dem Blonden frech ins Gesicht, spielte seine Rolle jedoch überzeugend genug, sodass dieser ihm ohne jeden Zweifel Glauben schenkte. Es klang ja auch recht logisch; der Junge tauchte einfach so auf, vielleicht hatte er sein Gedächtnis verloren oder es wurde ihm gelöscht. Der Ältere ging jedenfalls von so etwas in der Art aus und schöpfte daher keinen Verdacht.

Die Informationen des Kindes brachten jedoch die Pläne vollkommen durcheinander.

„Wo bin ich hier eigentlich?“, fragte Henry nun ein wenig zutraulicher.

„Du befindest dich zurzeit im Pitolan. Du musst sicherlich einen großen Schock davon getragen haben. Ich habe dich vor dem Hinterhalt im Irconoal gerettet, kurz bevor es zu spät war. Zum Glück haben wir dich gerade noch rechtzeitig holen können. Der Angriff des Schlosses galt nur dir, irgendjemand scheint hinter dir her zu sein und er stellt sich sehr geschickt an. Wir haben dich hier erst einmal versorgt, du trugst einige leichte Verletzungen davon und scheinst mit dem Kopf ganz schön hart aufgeschlagen zu sein, wahrscheinlich kannst du dich nicht einmal mehr daran erinnern. Aber nun ist alles gut mein Junge, mach dir keine Sorgen, du bist hier in Sicherheit! Wir werden dich vor deinen unbekannten Angreifern schützen, doch dazu muss ich unbedingt wissen, wer du bist, Junge.“

„Was soll das heißen? Ich wurde also in eine Falle gelockt? Man hat mich verraten?“

Henry war allein bei dieser Vorstellung schon sehr bestürzt. Er konnte und wollte es einfach nicht glauben, das konnte Jierde ihm auch deutlich von seinem Gesicht ablesen.

Vielleicht erwies sich die Sache ja doch einfacher als zunächst angenommen, so wie der Junge ihm bereits aus der Hand fraß gab es auf jeden Fall Grund genug, optimistisch zu sein. Innerlich freute sich Jierde sehr über seinen offensichtlichen Erfolg, in dem Jungen quälende Fragen und Zweifel zu säen. Wenn er sich doch nur an seinen richtigen Namen erinnern könnte! Doch dieses kleine Hindernis würde er auch noch aus der Welt schaffen- da war er sich ziemlich sicher.

„Es tut mir leid, dir das so direkt sagen zu müssen, doch die Zeit drängt. Es gehen hier viele Dinge vor sich, gegen die wir so schnell wie möglich etwas ausrichten müssen…

„Was soll denn ‚wir’ heißen? Ich kann doch gar nichts. Ich bin nur ein Junge, der sich hier, in dieser Welt, nicht zu Recht findet. Ich habe nichts Besonderes an mir, ich bin zu nichts zu gebrauchen. Was kann ich denn schon ausrichten?“

Die Verzweiflung und der Schmerz in seiner Stimme waren deutlich herauszuhören. Doch der Blonde ging nicht weiter darauf ein, im Gegenteil, für einen Moment schien er sich über etwas fürchterlich zu ärgern, bevor die Wutfalte von seiner Stirn verschwand und sein Gesicht deutlich sanftere Züge annahm. Henry jedoch entging dies, da er vor lauter Unbehagen einen Punkt auf dem Boden fixierte.

Um einen freundlichen Ton bemüht, richtete er erneut das Wort an den dunkelhaarigen Jungen.

„Was soll das heißen, dass du keine Kräfte hast?! Weißt du nicht, was für ein Aufruhr in Egorthanà nur deiner Person wegen herrscht? Welche Hoffnungen auf dir ruhen und wie sehnsuchtsvoll man deine Rückkehr erwartete?“ Als er den Ausdruck, der auf dem Gesicht des Jungen lag, sah, begriff Jierde.

„Du hast wirklich keine Ahnung, wer du bist, oder?“, fragte er ihn mit ungläubigen Blick.

„Anscheinend bin ich nicht der, für den ich mich halte. Was ist denn an mir so Besonderes? Und ich besitze keine besonderen Kräfte, ich habe nicht die geringste Ahnung, auf was du hinaus willst!

Ich meine, ich lande hier in dieser Welt- wie genau weiß ich nicht einmal- jeder weiß über meine Herkunft Bescheid, weiß, wer ich bin, doch NIEMAND, absolut niemand, macht sich die Mühe, mir solch wichtige Informationen mitzuteilen. Das ist frustrierend, das macht mich wahnsinnig! Ich halte das einfach nicht mehr aus. VERDAMMT NOCH MAL ICH BIN KEIN KLEINES KIND UND MÖCHTE SO AUCH NICHT BEHANDELT WERDEN. ICH HABE ES EINFACH SOWAS VON SATT.“

Während dieses Gefühlsausbruches des Jungen begann Jierde zu grinsen und je weiter sich Henry in Rage redete, desto breiter wurde das Grinsen. Denn auch wenn Henry nicht bemerkte, dass ihn eine bläulich flackernde Aura umgab, so tat es doch Jierde und dieses Phänomen versetzte ihn in absolute Hochstimmung. Es bestätigte ihn in seiner Vermutung, dass der Junge, den er vor sich hatte, tatsächlich das Wesen war, von dem in der Prophezeiung die Rede war. So viele Perioden verbrachte er damit, den Jungen ausfindig zu machen und als er endlich zurückkehrte lief er ausgerechnet seiner Schwester Lidera und seinem treuen Untergebenen Ollicnos in die Arme. Was für eine glückliche Fügung des Schicksals! Natürlich ahnte die in seinen Augen törichte Priesterin nicht, dass der alte Familienfreund seit dem „großen Feuer“ für ihn arbeitete. Wie sollte sie auch, wo seine Kräfte doch deutlich ausgeprägter und machtvoller waren als die ihrigen. In seinen Augen war es eine Verschwendung seine Kräfte ausschließlich dem Guten zu widmen und sich an die Regeln eines hirnrissigen, alten, senilen Schwachkopfs zu halten, welcher ihrer beider Lehrer war. Ja, Jierde und Lidera kennen sich sehr gut, haben zusammen gelernt und wissen jeweils über die Stärken und Schwächen des Anderen Bescheid. Für Jierdes Pläne mit ihrem kleineren Bruder war diese Bekanntschaft ein Segen, für Lidera war es eher ein Fluch, dessen sie sich jedoch durchaus bewusst war.

Doch zurück zum eigentlichen Geschehen.

Henry hatte sich von seinem Gefühlsausbruch noch immer nicht beruhigt und die Aura wuchs stetig weiter an. Der ganze Raum fing unter dem Druck von Henrys konzentrierter Energie an zu vibrieren.

Dieses Geräusch blieb auch ihm nicht verborgen und so blickte er um sich, um die Quelle für diese Veränderung ausfindig zu machen. Jierde fing den verwirrten Blick Henrys auf und breites Lächeln stahl sich auf seine Lippen.

„Glaubst du mir nun, dass du etwas Außergewöhnliches an dir hast? Kein Kind, das ‚nichts Besonderes an sich hat’ könnte so etwas zu Stande bringen!“

Henry bedachte sein Gegenüber mit einem ungläubigen Blick, gepaart mit Erstaunen und Neugierde. Immer wieder wanderten seine Augen vom Gesicht des Blonden zu seiner eigenen Hand, die immer noch von einer bläulichen Aura umgeben war.

„Was -…Das ist… “, setzte Henry an, doch ihm fehlten die richtigen Worte. Die Ungläubigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben, mit jeder Faser seines Körpers wehrte er sich gegen die Erkenntnis, dass er selbst dafür verantwortlich war. Er schüttelte vehement den Kopf, er wollte es nicht akzeptieren.

Jierde bemerkte sehr wohl, wie sich der Junge gegen die Erkenntnis sträubte, doch fehlte ihm das nötige zwischenmenschliche Verständnis, um die Beharrlichkeit zu verstehen, mit der der Jüngere von sich behauptete, nichts Besonderes an sich zu haben.

„Warum sollte es unmöglich sein?“, fragte Jierde mit sanfter Stimme und bedachte ihn mit einem gütigen Blick, der zweifelsfrei über seine Ungeduld, dass der Junge sich so anstellte, hinwegtäuschen sollte. Doch natürlich merkte das naive Kind davon nichts und ließ sich darüber hinwegtäuschen. Jierdes Täuschungsmanöver erzielte den gewünschten Effekt und der dumme Junge fing an, Vertrauen zu ihm zu fassen. Bald würde er ihn genau da haben, wo er ihn wollte, da war sich der Blondschopf sicher.

„Ich bin doch nur…“ Aber von Neuem versagte dem Jüngeren die Stimme.

Langsam aber sicher verließ Jierde die Geduld, er war es nicht gewöhnt, sich so zurückhalten zu müssen und normalerweise ließ er sich so etwas nicht gefallen, doch er brauchte das Kind nun einmal!

„Was bist du?“, fiel Jierde ihm in schneidenden Tonfall ins Wort, der Henry kurz erschaudern ließ.

„Du einfältiger Junge, was wehrst du dich so gegen deine Bestimmung? So viele Menschen setzten auf dich, gaben nie die Hoffnung auf und was machst du? Du nimmst es nicht ernst?! Das kann nicht dein Ernst sein, denn auf so einen Feigling können wir nicht so viele Perioden gewartet haben. Wir warteten auf einen mutigen Jungen, der uns von dem Joch unserer Herrscherin befreit, aber stattdessen kriegen wir ein verängstigtes Kind.“

Der scharfe Tonfall sowie der verachtende Blick verletzen Henry aufs Tiefste, allerdings war es durchaus beabsichtigt den Jungen zu provozieren und ihm dabei weh zu tun, denn mittlerweile riss dem Blonden auch der letzte Geduldsfaden. Er hatte schließlich noch Besseres zu tun, als einen Jungen zu bekehren!

Sobald er merkte, dass sein Gegenüber derart getroffen war, fuhr in einem etwas gemäßigteren Tonfall fort.

„Verstehst du endlich, was für eine wichtige Rolle du spielst für unser Land? Streite dein Schicksal nicht mehr ab und lass mich dir alles lehren, was dir vorenthalten wurde und was man dir schon bei deiner Ankunft hätte erzählen müssen! Aber dazu musst du Vertrauen zu mir fassen, sonst kann dir niemand helfen. Bist du bereit, mir zuzuhören und endlich die Wahrheit zu erfahren? Dann begleite mich in einen anderen Raum, der angemessener für deine Geschichte ist.“

Henry wusste nicht, was er antworten sollte, er befand sich in einem seelischen Zwiespalt, er brannte darauf zu erfahren, was anscheinend jeder andere wusste und ihm vorenthalten wurde, aber auf der anderen Seite erinnerte er sich an die Worte seiner Schwester, die ihn ermahnte, niemandem zu vertrauen. Doch andererseits, hatte sie ihm je Grund gegeben, ihr Vertrauen zu schenken? Der junge Mann hatte Recht und alles Gesagte erschien ihm realistisch. Er hatte ein Recht zu erfahren, wer er war und jene Fragen würde ihm beantwortet werden. Er müsste einfach nur mitgehen, aber war das die richtige Entscheidung? Vielleicht beschwor er damit auch ein Unglück herauf, vor dem ihn Lidera versuchte zu warnen.

Jierde beobachtete gespannt die Miene seines Gegenübers, wandte sich dann um und schickte sich an zu gehen.

In dem Moment traf Henry seine Entscheidung.



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