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Angels fall first

von

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Gabriel

Fourth Chapter - Gabriel
 

Schweigend hörte Integra Alucards' Schilderungen zu. Nur ab und zu unterbrach sie ihn, wenn sie etwas genauer beschrieben haben wollte, was der Vampir dann auch leise knurrend tat. Ihm war seine Niederlage sichtlich unangenehm, aber noch unangenehmer schien ihm die Tatsache, das er nicht genau wusste, gegen wen oder was er eigentlich verloren hatte.

Seras ließ ihren Meister nicht aus den Augen. Er hatte nichts dagegen gesagt und so saß sie immer noch neben ihm auf dem Bett. Am liebsten hätte sie seine blassen Finger auch noch in ihren gehalten, doch das traute sie sich vor Sir Integra nicht.

Seine Haar-, Augen-, und Hautfarbe waren mittlerweile wieder normal, doch Alucard hing immer noch an einer Dialyse, die einzige Möglichkeit, wie die Ärzte gesagt hatten, dieses merkwürdige Zeug, dieses Serum aus ihm herauszuspülen. Geistesabwesend kratzte der Vampir über die langen Infusionsnadeln.

Seras sah ihm an der blassen Nasenspitze an, das er am liebsten sofort wieder losgestürmt wäre um sich an diesem mysteriösen Gabriel zu rächen. Aber erstens zweifelte sie stark am Erfolg so einer überstürzten Aktion und zweitens hätte sie höchstpersönlich ihren Meister an den Haaren wieder zurück ins Bett geschleift und bis zum Sankt Nimmerleinstag nicht mehr herausgelassen, wenn er in seinem jetzigen Zustand auch nur den Ansatz solch eines Selbstmordkommandos unternahm. Und zum Teufel mit den Konsequenzen.

Auch Sir Integra schien so zu denken. Mit zusammengekniffenen Augen sah sie Alucard an, der mit ausdruckslosem Gesicht die durchsichtigen Schläuche beobachtete, die sein Blut zur Maschine und wieder zurück transportierten.

Endlich sprach sie dann das aus, was Seras die ganze Zeit erhofft hatte:"Alucard, ich möchte nicht, das du heute nacht wieder alleine unterwegs bist."

Der große Vampir knirschte geringschätzig mit den Zähnen:"Das ist nicht euer Ernst?"

"Es ist mein voller Ernst, Alucard. Sehe ich aus, als würde ich scherzen?"

"Um ehrlich zu sein, ja. Ich werde gehen. Ihr haltet mich nicht davon ab. "

Sir Integra kniff die Augen zusammen, ein Blick, bei dem es Seras kalt den Rücken herablief.

"Du gehst nirgendwo hin, hast du mich verstanden?"fauchte die blonde Frau in einem Tonfall, der den Teufel höchstpersönlich dazu veranlaßt hätte, Sitz zu machen, die Zeitung zu holen und brav Pfötchen zu geben:"Oder muss ich einen klaren Befehl noch deutlicher werden lassen?"

Alucard starrte sie jedoch nur mit zusammengekniffenen Augen an, sein Grinsen schien er seit seinem Erwachen irgendwie verloren zu haben:"Und was soll das, wenn ich fragen darf?! Mir geht es wieder gut, ich finde diesen Freak!"

"Und was dann?!"Integras Tonfall war nur noch wenige Oktaven davon entfernt zu schreien:"Willst du dich dann nocheinmal von ihm in die Mangel nehmen lassen? Sollen wir dich nocheinmal vom Boden aufkratzen? Nein, mein Lieber, du wirst hierbleiben! Ich lasse nicht zu, das du in deinen sicheren Tod läufst!"

Alucards' Augen wurden noch schmaler. Seine Lippen zuckten, doch er hütete sich jetzt davor, in Integras' Gedanken für ihren Grund zu suchen, so auszurasten. Das hätte sie bestimmt gemerkt.

Also schüttelte er nur knapp den Kopf und knurrte:"Seid wann wird man hier eigentlich so bemuttert?... Und was soll ich statt dessen machen? Oder eher gesagt 'wir'? Gutmütig abwarten, bis dieser Freak London zu seinem persönlichen Schlachthaus umfunktioniert?"

"Hör auf, deine kleinen Rachegefühle hinter einer Maske aus Solidarität für uns arme Sterbliche zu verbergen, das kauft dir doch keiner ab..."murrte Sir Integra und an Alucards' knappem Seitenblick sah man, das sie ins Schwarze getroffen hatte.

"Ich will ersteinmal wissen, mit was wir es überhaupt zu tun haben, bevor wir uns in einen Kampf stürzen, den wir vielleicht nicht gewinnen können..."seufzte sie dann und strich sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. *Außerdem will ich nicht nocheinmal deinen völlig zerfetzten Anblick ertragen müssen, Alucard. Das würde ich nicht überstehen...*

Der Gedanke war so laut gewesen, das er ihn einfach nicht hatte überhören können. Alucard sah zu ihr herüber. Seine Herrin war undurchsichtig wie immer. Hatte sie etwa gewollt, das er das mitbekam? Hatte sie seinetwegen Schuldgefühle? Nun, das war mal etwas neues...

"Sir Integra?"

Alle sahen zur Türe. Walter stand dort und sah sie ernst an:"Ich glaube, sie sollten sich das ansehen... "
 

~oOo~
 

Sie alle starrten auf den Bildschirm, lauschten der Stimme des Kommentators.

Ein flackerndes Bild von einem Fernsehstudio leuchtete ihnen entgegen, ein älterer Mann mit grauen Haaren und ruhiger Stimme:"... ein bis jetzt unaufgeklärtes Verbrechen ereignet. Unter den Opfern befinden sich die drei Nachtwächter, sowie die sieben Mitarbeiter des Museums. Wie die Verantwortlichen auf der heutigen Pressekonferenz verlauten ließen, scheint es sich bei den Tätern um eine Gruppe zu handeln. Die brutale aber dennoch präzise Vorgehensweise bei den Morden, sowie bei dem Einbruch, der praktisch nicht nachzuweisen ist, legen die Vermutung von organisiertem Verbrechen nahe."

Jetzt wechselte das Bild, zeigte ein großes Gebäude, umzingelt von gelbem Absperrband, Polizisten und Einsatzfahrzeugen. Sir Integra kniff die Augen zusammen. Sie wusste, das diese Aufnahmen bereits über eine Woche alt waren. Insgeheim verfluchte sie die Britische Polizeibehörde für diesen vermaledeiten Geheimhaltekram. Letztendlich lief es immer darauf hinaus, das noch mehr Unschuldige sterben mussten, bloß weil die Verantwortlichen sie bei solchen Geschehnissen nicht informierten und immer erst viel später an die Öffentlichkeit traten. Schon jetzt wusste sie, das diese ganzen Vermutungen der Polizei von irgendwelchen Schmugglerbanden, die nachts in irgendein Museum im Süden Englands einstigen um Exponate zu stehlen und nebenbei die ganze Angestelltenschaft umbrachten, reiner Blödsinn waren. Ihre linke Hand hätte sie darauf verwettet, das dort ganz etwas anderes geschehen war.

Wieder wechselte das Bild, jetzt war das Innere des Museum zu sehen, diverse Ausstellungstücke wurden näher gefilmt:"Die Verantwortlichen stehen noch immer vor einem Rätsel. Auf der Pressekonferenz heute nachmittag wurde uns versichert, das nichts Wertvolles aus den Beständen des Museum gestohlen wurde, einzig eine konservierte Mumie, die bei Ausgrabungen in Yorkshire gefunden worden war, ist verschwunden. Diese Mumie war das Untersuchungsobjekt der ermordeten Wissenschaftler unter der Leitung von Dr. Withercomb. Aus sicherer Quelle wissen wir, das dieses Exponat aus dem Mittelalter bei Sammlern eine geschätzten Wert von über 1. Millionen Dollar hat."

Das Bild wechselte wieder, zeigte nun einen leeren Sarkophag aus grobem Stein, der auf einer Art Podest zur Ausstellung stand.

Integra zischte durch ihre Zähne und auch Walter kniff die Augen zusammen, obwohl er den Bericht schon zum zweiten Mal sah:"Sehen sie, was ich meine, Sir Integra?"

Seras starrte angestrengt auf den Bildschirm. Sie konnte nichts erkennen. In den steinernen Sarkophag waren ein paar lateinische Schriftzeichen eingraviert und über der Schrift ein großes Kreuz in einem Kreis, sonst nichts.

Jetzt wechselte das Bild wieder und der Kommentator sprach weiter. Sir Integra hatte jedoch schon genug gesehen. Sie stand auf, ihre Augen waren in undurchdringliches Eisblau getaucht.

"Ich muss in die Bibliothek..."sagte sie knapp und neigte den Kopf in Walters Richtung:"Sorg' dafür, das Alucard keinen Schritt in diesem Haus macht, ohne das ich davon erfahre. Er bleibt hier heute Nacht, sonst gnade ihm Gott!"

Damit verschwand sie, Seras blickte ihr verwundert nach und konnte ihre Fragen nicht mehr bezähmen:"Ich versteh' gar nichts mehr... Was war denn da so besonderes? Wieso ist Sir Integra so seltsam?"

"Ich entnehme ihren Worten, das sie kein Latein sprechen, Miss Viktoria."antwortete Walter und sein Gesichtsausdruck trug nicht dazu bei, Seras zu beruhigen. Sie schüttelte den Kopf:"Nein. Was stand denn auf dem Sarkophag?"

Walter stand auf und ließ die Vampirin auf glühenden Kohlen sitzen:"Kommen sie. Wir sollten zuerst zurück zu unserem Patienten gehen. Er ist bestimmt schon so unruhig wie ein Nest voller Hummeln. Dort erkläre ich ihnen alles, jedenfalls das, was ich weiß."
 

~oOo~
 

Alexander wusste hinterher nicht mehr, wie er es geschafft hatte, ins Badezimmer zu gelangen und sich unter die Dusche zu stellen. Alles drang nur noch wie durch dichten Nebel zu ihm durch, jede seiner Bewegung, alles was er sah, hörte oder berührte erschien ihm so irreal, als bestünde sein Körper und alles um ihn herum bloß noch aus einem flüssigen, gar nicht mehr wahrnehmbaren Äther.

Das Wasser lief jetzt bestimmt schon über eine halbe Stunde, war so heiß, das es seine Haut verbrannte, aber er spürte die Schmerzen gar nicht, merkte nicht, das sein Körper kaum noch mit der Regeneration nachkam. Die Augen krampfhaft geschlossen, war das einzige was er in dieser selbst aufgezwungenen Dunkelheit noch spürte diese tiefe, zerstörerische und alles verbrennende Abscheu seinem Körper gegenüber, dem widerlichen Schmutz, den er daran kleben fühlte, den er niemals wieder abwaschen konnte.

"Danke, kleiner Priester. Danke für dieses hübsche Abenteuer..." Dieses, das Klappern der sich öffnenden Handschellen und ein amüsiertes, boshaftes Lächeln waren das letzte gewesen, was er von Gabriel gesehen und gehört hatte. Er hatte ihn einfach so liegen lassen, wie einen verprügelten Hund, entblößt, zusammengekrümmt und zerfressen von Scham und Schuldgefühlen. Er hatte ihn nichteinmal getötet, obwohl Alexander sich erinnern konnte, ihn währenddessen darum angefleht zu haben, ihn nicht weiter mit dieser Sünde leben zu lassen... Doch dieser Teufel hatte ihn nur ausgelacht. Die ganze Zeit.

Der blonde Mann fühlte, wie er zu zittern begann. Dieser ekelerregende Schmutz ... Es würde nie mehr von ihm abgehen, er würde es für immer mit sich tragen. Er war kein Priester mehr, er war ein Sünder, nicht besser als die, die er sein ganzes Leben lang getötet hatte. Er begann, über seine Schultern, Brust und Oberarme zu kratzen.

"Heilige Mutter Gottes..."

Langsam ging er auf die Knie, lehnte sich an die weißen Kacheln, merkte nicht, das er seine geschundene Haut aufkratze. Er wollte nur diesen widerlichen Schmutz, diese ekelhafte Sünde von sich herunterbekommen, sich irgendwie davon befreien. Sein Blut floß in das reine, klare Wasser wie rote Schleier.

Dieses Monster hatte ihn benutzt, sich an ihm, mit ihm befriedigt. Dieser Gedanke, diese Sünde war so unerträglich. Niemals würde Alexander es vergessen können.

Und niemals würde er sich selbst vergeben können.

Das Zittern wurde übermächtig, er fasste sich um den Kopf und schrie laut auf. Seine Stimme hallte von den glatten Wänden wieder und obwohl ihm immer noch heißes Wasser ins Gesicht fiel, spürte er, wie heiße Tränen über seine Wangen strömten.

Dann faltete er die bebenden Hände.

Und betete darum, das sein Gott ihm vergab.
 

~oOo~
 

Alucard starrte die Dialyse böse an. Die surrende Maschine starrte böse zurück.

"Blödes Ding!"knurrte er und sah auf.

"Endlich, ich dachte schon, ihr wärt in den Urlaub gefahren..."murrte er Seras und Walter an, als die das Krankenzimmer betraten:"Was habt ihr euch angesehen? Wo ist Integra?"

"Für dich immernoch Sir Integra."antwortete Walter ungehalten und ließ sich auf dem leeren Stuhl neben dem Bett nieder, die Dialyse und Alucards' Infusionen untersuchend.

Seras knetete ungeduldig ihre Finger. Walter machte es mal wieder spannend.

Ihr Meister schien jedoch kurz vorm Explodieren und knurrte nach ein paar Schweigesekunden böse:"Wenn du jetzt nicht sofort den Mund aufmachst, dann-"

"Ich kann euch nur soviel sagen..."unterbrach ihn Walter, bevor Alucard richtig in Fahrt kommen konnte:"Wenn meine Vermutungen stimmen, dann haben wie es mit einem sehr gefährlichen und mächtigen Feind zu tun..."

Er blickte kurz zu Seras, dann neigte er den Kopf und lehnte sich nachdenklich vor:"Auch wenn ich das alles immernoch nicht ganz glauben kann... Es ist eine Legende, eine alte Geschichte, mehr nicht."

"Was denn?!"fauchte Alucard ungeduldig, mittlerweile hatte er in Seras Gedanken ihre Erinnerungen an den Fernsehbericht gesehen und war einigermaßen im Bilde, wovon Walter eigentlich sprach.

"Ich verstehe auch nichts..."ließ sich Seras vernehmen:"War diese Schrift denn so wichtig? Was bedeut sie denn?"

Walter blickte die junge Vampirin an:"Seras, die Worte auf dem Sarkophag waren eine uralte Inschrift. Dieses Kreuz, welches du darüber gesehen hast, gibt uns Aufschluß über die Verfasser der Schrift."

Alucards' rote Augen flackerten trübe, er war kurzerhand in Walters' Gedanken eingedrungen. Was er in den Erinnerungen des Mannes sah, ließ ihn leise aufkeuchen:"... Templer... Das Kreuz der Tempelritter...."

Walter nickte, als Seras verwirrt auf ihren Meister sah:"Ja, das Kreuz auf dem Sarkophag. Du hast Recht. Es ist das Zeichen des Templerordens. Und die Schrift -"

"Der, der gefangen und gebannt,

Der Teufel der Nacht,

Engel des Blutes, einst Gabriel genannt,

Dieses Siegel über ihn wacht."ließ sich wieder Alucard vernehmen, seine Augen weiteten sich mit jedem Wort vor Verblüffung und er starrte schließlich mit flackernden Augen ins Leere, schien die übersetzten Worte auf sich wirken zu lassen.

Walter atmete tief ein:"Hör' gefälligst auf, meine Gedanken zu lesen... Engel des Blutes. Du kennst diese Legende, nicht wahr, Alucard?"

"Es ist nur eine Geschichte..."

Seras sah von einem zum anderen:"Könnte mich jetzt endlich mal jemand aufklären?!"

"Die Legende vom Blutengel ist eine uralte vampirische Erzählung."antwortete ihr Walter:"Angeblich soll sich auch im Vatikan ein verschollenes Evangelium des Johannes befinden, das diese Legende untermauert. Nur die höchsten Würdenträger der katholischen und protestantischen Kirche wissen außer dem Vampirvolk von dieser Legende. Ihr zufolge soll es einen Engel gegeben haben, der vor Urzeiten von Gott als Strafe für seinen Neid auf das Leben der Sterblichen zur Erde geschickt wurde. Der Name dieses Engels war Gabriel. Ob es der Erzengel selbst war, ist unbekannt, aber sehr unwahrscheinlich, da dieser Engel auch in der Bibel erwähnt wird, deren Ereignisse erst viel später stattfanden. Jedenfalls war dieses Wesen dazu verdammt, für immer auf der Erde zu bleiben und wie ein Vampir das Blut der Sterblichen zu trinken, für immer gezwungen, das zu vernichten, was er selbst so begehrte. Das wahre Leben der Menschen."

„Nein… Mehr als das, viel mehr…“

Walter und Seras blickten zu Alucard hinüber. Der Vampir sah zu Boden, seine roten Augen funkelten merkwürdig.

„Was soll das heißen?“fragte Walter verwirrt und Alucard blickte immernoch nicht auf, seine Stimme hatte einen merkwürdig belegten Unterton:“Dieses … Wesen. Ihr Menschen macht euch keine Vorstellung… Die Legende, ihr kennt sie nur bruchstückhaft, keiner von euch, auch die Kirche nicht, weiß, was diese Kreatur wirklich will…“

"Und du weißt es?"unterbrach ihn eine schneidende Stimme.

Integra stand in der Tür, sah den Vampir unverwandt an.

Sekundenlang schwieg Alucard, dann neigte er den Kopf, schwarze Haarsträhnen fielen in seine Stirn:“Die Legende um Gabriel ist komplex, schwer zu verstehen, selbst für uns… Aber in der Version der Vampire ist es nicht das Blut, das Leben der Menschen, das Gabriel begehrt. Auch nicht das meines Volkes, den die Unsterblichkeit besitzt er bereits. Er ist auf der Suche, ein dunkler Wanderer, ihn treibt ein unstillbarer Durst, nach dem einen, das er nie bekommen darf. Deshalb tötet er wahllos, versucht seine Gier an Menschen und Vampiren gleichermaßen zu befriedigen, wohl wissend, das es niemals ausreichen wird.“

Integras eisblaue Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen:“Und was genau … ist es, was er sucht?“

Alucard sah auf und Seras stockte unweigerlich ihr untoter Atem. Selten… so selten hatte sie ihren Meister derart gesehen, diesen Ausdruck in seinen Augen, ein undefinierbares Feuer, das von ewigen Nächten erzählte, von vergangenen Jahrhunderten und unzähligen Monden wisperte, die schon so lange zurücklagen, das sie bereits selbst zur Legende geworden waren.

In Momenten wie diesen … offenbarte ihr Meister der Welt, wie alt er wirklich war und es erfüllte Seras jedesmal aufs Neue mit einer Art morbider Faszination.

„Ich weiß es nicht.“antwortete Alucard schließlich mit dunkler Stimme:“Der Mythos um Gabriel drückt sich hier nicht klar aus. Ich weiß nur, wenn er es wirklich ist… wird er weiter töten, Menschen oder Vampire, er wird sich einen Dreck darum scheren.“

Augenblicke schienen sich wie eine Ewigkeit hinzuziehen. Niemand konnte oder wollte auf Alucards Aussage eingehen.

Irgendwann sah Integra langsam auf, in ihrer Hand plötzlich eine Zigarre, die sie bedächtig anzündete, den Rauch tief inhalierte und zu niemandem direkt sprach:“Wenn er es ist… und sicher sind wir uns nicht… Noch nicht.“

"Haben sie etwas herausgefunden, Mylady?"fragte Walter geradeheraus mit einer Stimme, die sehr müde klang und Integra neigte bloß den Kopf:"In den Büchern ist nicht viel zu finden. Wenn die Templer wirklich im 13. Jahrhundert den Blutengel überwältigt und eingekerkert haben, dann muss es darüber allerdings Schriften geben... Es gibt jedoch nur einen Ort, wo sich solche Niederschriften heutzutage befinden könnten."

„Ich habe eine dunkle Ahnung, wo das sein könnte…“murmelte Alucard und Integra nickte kaum merklich:“Ich muss telefonieren. Ein Ferngespräch nach Italien. Es könnte etwas dauern…“
 

~oOo~
 

Die Sonne schien durch eines der mit buntem Glas versehenen Fenster. Eines von ihnen war geöffnet und die übliche Geräuschkulisse des Petersplatzes und die Wärme eines typischen, römischen Sommertages erfüllte das großzügige Zimmer.

Enrico Maxwell, Leiter der 13. Abteilung des Vatikans, stand vor diesem Fenster und sah herab. Heute war Samstag und ganz Rom schien voller Touristen zu sein. Überall auf dem großen Platz tummelten sie sich in bunten Scharen, scheuchten die grauen Tauben wie dunkle Wolken in die Luft. Unmerklich kniff er die Augen zusammen, trat vom Fenster weg und schritt zu dem großen, eichenen Schreibtisch. Gedankenverloren nahm er einen der gläsernen Briefbeschwerer und wog diesen in der Hand.

Es war jetzt über 7 Stunden her, das er das letzte Mal etwas von Alexander ... Paladin Andersen gehört hatte. Nun, das war nichts ungewöhnliches. Manchmal hörte er tagelang nichts von ihm. Und doch ... hatte er das nagende Gefühl, das irgend etwas dieses Mal nicht stimmte.

Unmerklich schüttelte er den Kopf, versuchte die dunklen Wolken zu vertreiben, die über ihm aufzuziehen drohten und legte den Briefbeschwerer mit einem leisen:"Unsinn..." wieder weg.

*... Was mache ich mir eigentlich so viele Gedanken um ihn? Ich habe, weiß Gott, genug zu tun... *

Er ging um den Schreibtisch herum, ließ sich auf dem Ledersessel nieder und wollte gerade nach einigen wichtigen Dokumenten greifen um sie durchzusehen, als das rote Leuchten an seinem Telefon ihn aufsehen ließ.

*Alexander!*

Beinahe etwas zu hastig wollte er den Hörer hochreißen, doch dann warf er einen Blick auf das kleine Display, welches die Nummer des Anrufenden anzeigte. Er stockte in der Bewegung, kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.

"Auch das noch..."

Er ließ es noch etwas leuchten, dann hob er den Hörer mit einer bedächtig anmutenden Bewegung an sein Ohr und sagte leise:"Hallo, Integra. Lange nichts gehört von dir..."

"Ich muss die Stelle verpaßt haben, an der wir zum 'Du' übergegangen sind, Maxwell."Die akzentfreie Stimme am anderen Ende klang genervt, aber nicht so streitsüchtig wie sonst.

"Wahrscheinlich, Verehrteste..."

"Kommen wir gleich zur Sache, ich habe keine Zeit für Smalltalk."sagte Integra:"Sie sollten sich den Tag rot im Kalender anstreichen. Ich rufe an, weil ich ihre Hilfe brauche ... Grinsen sie nicht so blöd!"

*Herrgott, woher weiß dieses Mannsweib immer, was ich tue?*

Sein böses Lächeln verschwand:"Ich wusste, das sie eines Tages angekrochen kommen, Integra..."

"Hüten sie ihr Schandmaul, Enrico!"fauchte es durch den Hörer und Maxwell fauchte nicht gerade freundlicher zurück:"Wieso sollte ich? Sie brauchen doch meine Hilfe, oder nicht?"

Kurz herrschte Stille, er war sich sicher, das die Leiterin von Hellsing sich gerade wütend durch die blonden Haare fuhr.

Dann hörte er wieder ihre Stimme, wieder nüchtern und ruhig:"Da haben sie recht. Ich gebe es zwar nicht gerne zu, aber sie sind der Einzige an den ich mich wenden kann... "

"Nur zu, reden sie sich ihre Sorgen vom Hals."sagte Enrico böse amüsiert. Die Sache begann, ihn neugierig zu machen:"Worum geht es denn?"

"... Sind ihnen die gnostischen Schriften bekannt? Eher gesagt, die Apokryphen, das verschollene Evangelium des Johannes? ... Ach, was frage ich überhaupt, natürlich werden sie sie kennen..."

Enrico runzelte die Stirn und spürte, wie er sich in seinem Stuhl versteifte. Was wollte diese Frau denn von ihm? War sie jetzt endgültig übergeschnappt?

"Ich verstehe nicht so ganz, worauf sie hinaus wollen..."

Er hörte ein Seufzen am anderen Ende.

"Auf die Geschichte über den Blutengel Gabriel, niedergeschrieben im Evangelium des Johannes."

Enrico musste sich zusammenreißen, um nicht loszuprusten:"Was?! ... Hören sie, Sir Hellsing, ich habe keine Zeit für irgendwelche Scherze! Nehmen sie dafür ihren Schoßhund Alucard, oder-"

"Es ist kein Scherz, Maxwell!"unterbrach ihn Integra mehr als ungehalten:"Glauben sie mir, ich wünschte, das wäre es. Aber ich habe Grund zu der Annahme, das der Blutengel keine reine Erfindung ist."

Er widerstand dem Drang, den Telefonhörer fassungslos anzustarren:"Und was wollen sie jetzt von mir?"

"Ich weiß, das sich in den Beständen des Vatikans alte Niederschriften der Tempelritter befinden. Es geht um einen Templer namens Franceso de'Lyonell, ein gebürtiger Franzose, der im dreizehnten Jahrhundert nach England kam. Ich habe nicht viel über ihn gefunden, nur einen Kirchenbucheintrag aus dieser Zeit. Nach diesem Eintrag starb Lyonell in einem Kampf gegen einen Teufel mit schwarzen Schwingen, den er und seine Gefolgsleute durch ganz Britannien verfolgt hatten."

Maxwell hatte das Gefühl, über seinem Kopf würden zehn Meter große, leuchtende Fragezeichen schweben:"Und ... ?"

Wieder ein Seufzen:"Maxwell, dieser Teufel war niemand anderes als der Blutengel aus dem Johannesevangelium ... Hören sie zu, hier ist die Kurzfassung. Ich vermute, die Templer unter Lyonell haben Gabriel damals besiegt und in einen Steinsarg eingesperrt, wo er für alle Zeiten gebannt liegen sollte. Er wurde jedoch bei Ausgrabungen gefunden. Vor einer Woche sind in einem Museum im Süden Englands' sieben Wissenschaftler getötet worden, als sie diesen Steinsarkopag untersucht haben. Auf ihm prangte das Kreuz des Templerordens und der passende Bannspruch mit dem Namen Gabriel. Ich habe es gesehen und die Ereignisse der letzten Tage machen mich mehr als unruhig."

"Welche Ereignisse?"

Eine kurze Pause, Maxwell glaubte fast, Integra denken zu hören. Dann sagte sie:"Alucard ist angegriffen worden. Von einem ... Wesen, das sich Gabriel genannt hat. Es hat ihn arg zugerichtet-"

Maxwell hörte plötzlich ein wütendes Zischen am anderen Ende, das er als die Stimme des Hausvampirs Hellsings' identifizierte und er musste erneut grinsen. Alucard schien es also gar nicht recht zu sein, das er, als Anführer von Iskariot von seiner Niederlage Wind bekam. Das der selbstsichere Vampir einmal einem Feind unterlegen gewesen war.

"Du weißt, wenn das wahr ist, was du glaubst, dann ..."Er knirschte mit den Zähnen. Er kannte die Niederschriften des Johannes, die einzigen, die nicht in der Bibel veröffentlicht worden waren und luftdicht verschlossen in den Kellergewölben des Vatikans aufbewahrt wurden. Bestandteile der gnostischen Schriften, die er in seiner Position natürlich lesen durfte.

Sie waren ziemlich unmißverständlich. Gabriel, der Blutengel, Wesen aus Dunkelheit und Hass. Schrecklicher, blutgieriger und mächtiger als jeder Vampir, und mit menschlichen Mitteln nicht zu töten. Mit anderen Worten: Ein ziemlich großes Problem.

"Müssen wir handeln."vollendete Integra den Satz, als könne sie Gedanken lesen:"Maxwell, der Grund, aus dem ich anrufe ist nun folgender. Ich bin mir ziemlich sicher mit meiner Vermutung über die Templer um Lyonell. Und auch mit der Vermutung, das es im Vatikan Niederschriften aus jener Zeit, wohlmöglich von Lyonell selbst gibt. Wenn sie es geschafft haben, Gabriel zu bannen und einzusperren ... vielleicht läßt sich in den Schriften ein Hinweis darauf finden, wie sie das angestellt haben."

Maxwell schwieg. Das war grotesk, absurd. Eine völlig wahnwitzige Geschichte ... und doch schien es ihm nicht so, als würde Integra ihn anlügen. Warum sollte sie ihm so einen Unsinn auf die Nase binden? Welchen Grund dafür sollte sie haben? Es gab keinen. Sie konnte ihn nicht leiden, noch viel weniger seine Organisation und deren Methoden, aber wozu sollte sie sich solch eine Story ausdenken? Das machte keinen Sinn, es gab nur eine Möglichkeit. Sie sagte die Wahrheit. Aber Enrico wäre nicht er selbst gewesen, wenn er das jemals zugegeben hätte.

"Ich werde mir dieses Gespräch durch den Kopf gehen lassen."meinte er dann:"Vielleicht gibt es derlei Schriften im Vatikansbestand. Und vielleicht werde ich sie mir ansehen. Und wenn das stimmt, was sie sagen ... vielleicht werde ich sie dann auch nocheinmal anrufen und an meinen Erkenntnissen teilhaben lassen. Vielleicht aber auch nicht. Auf Wiederhören, Sir Integra."

Maxwell legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten. Er war sich sicher, irgendwo in London warf gerade eine sehr wütende, blonde Frau ein Telefon gegen die Wand und verfluchte sich selbst dafür, ihn überhaupt angerufen zu haben.

Er lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück in den Sessel. Das, was er da erfahren hatte trug nicht dazu bei, seine ohnehin schon angeschlagene Laune zu verbessern. Aber jetzt hatte er wenigstens etwas, womit er sich ablenken konnte. So ganz glauben wollte er seiner alten Erzfeindin doch nicht, er konnte es einfach nicht.

Maxwell stand auf, ließ die Papiere auf seinem Schreibtisch unbeachtet und ging in Richtung der großen Eichentür. Er würde sich heute mit etwas Recherche beschäftigen...
 

~oOo~
 

Ganz unrecht hatte der Leiter von Iskariot nicht. Nur das daß Telefon beinahe Alucard am Kopf getroffen hätte.

"Hey!"beschwerte sich dieser böse, als er sich wieder hochbeugte, das Telefon hinter ihm am Boden war nicht mehr als solches zu erkennen.

"Dieser dämliche, arrogante, widerliche Schweinehund!"fluchte Integra wütend und ignorierte den Vampir, dessen Blutreinigung endlich abgeschlossen war, geflissentlich. Statt dessen lief sie wie ein gefangener Tiger in ihrem Zimmer auf und ab und fuhr sich mit den Händen durch ihre langen Haare. Alucard, Seras und Walter gaben keinen Ton von sich. Es schien ja nicht sonderlich gut gelaufen zu sein.

"Wie konnte ich nur so blöd sein, diesen katholischen Lackaffen anzurufen und auch noch Hilfe erwarten?!"Sie blieb stehen und fasste sich an die Stirn. Tief atmete sie ein, um sich zu beruhigen.

"Ich möchte dich ja wirklich nicht in deinem Selbstmitleid stören ..."sagte Alucard und kniff die Augen ungerührt zusammen, als Integras' eisblaue Augen ihn durchbohrten:"Aber was hat er gesagt?"

"Willst du die kurze Version?"

"Ja... Auch wenn die längere bestimmt amüsanter ist."

"Er sagte soviel wie: Danke für ihren Anruf, fahren sie zur Hölle."Integra ließ sich leise seufzend auf einen Stuhl fallen:"Dieser Mistkerl..."

"Ich will ja nichts sagen..."

"Alucard, halt den Mund!"

"Aber ich habe es vorher gesagt."

"Argh!"
 

~oOo~
 

Er ließ die silbern funkelnde Klinge des Schwertes sanft über seinen Unterarm gleiten. Dort, wo die scharfe Schneide die weiche Haut berührte, zeigte sich ein dünner, rötlicher Strich, aber er war noch nicht tief genug, um gefährlich zu werden.

Seine Hand zitterte leicht, aber der Sekundenbruchteil war nicht lang genug um zu einem Moment zu werden. Mit einer fast resignierenden Bewegung zog Alexander die Klinge von seinem Handgelenk und verstaute sie unter seinem Umhang. Dann zog er sich die weißen Handschuhe an, das letzte Kleidungsstück, das noch gefehlt hatte um seine Erscheinung zu vervollständigen.

Und doch würde er nie wieder Derselbe sein.

Der Paladin sah auf, seine samaragdgrünen Augen schimmerten unwirklich im Licht der Dämmerung, des letzten schwachen Tageslichtes, das am, immer noch bewölkten Horizont verblaßte. Ebenso wie die Erinnerungen an das, was vor ein paar Stunden mit ihm geschehen war, was man mit ihm getan hatte. Er verdrängte sie, wollte das nicht mehr sehen, sich selbst nicht mehr so sehen, hilflos einer Sünde ausgeliefert, der er sich schon vor so langer Zeit freiwillig entsagt hatte.

Alexander drehte sich um, ohne noch einen Blick aus dem Fenster zu werfen.

Die abstoßenden Bilder konnte er verdrängen. Aber nicht das Gefühl, das an seinem Körper klebte. Niemals mehr würde es von ihm abfallen. Dieses schmutzige Gefühl, benutzt worden zu sein. Gegen seinen Willen.

Sein Gesicht war zu einer starren Maske gefroren, als er das Hotel verließ und auf den Treppenstufen des Einganges stehen blieb. Ein starker Wind war aufgekommen und es nieselte leicht, die dünnen Tropfen benetzten seine Haut. Kurz schloß er die Augen und öffnete sie sofort wieder um in den Himmel zu sehen. Graue Wolken wirbelten dort ineinander, während das dunkle Blau der Nacht sich mit ihnen vermischte.

Er würde wieder in diese Nacht hinausgehen.

Er würde ihn finden, koste es, was es wolle.

Und dann würde er kämpfen.
 

~oOo~
 

Wie ein düsterer Schatten stand er vor den Eisentoren des Anwesens und sah zu den erleuchteten Fenstern empor.

Der Wind zerrte an seinem langen Mantel und zerzauste seine schwarzen Haare.

Ein Lächeln umspielte die dünnen Lippen und schwarze Augen leuchteten fast wie kleine Sterne in der Dunkelheit.

"Komm zu mir..."flüsterte er in den Wind und der riß ihm die leisen Worte von den Lippen, trug sie in die trägen Schatten:"Komm zu mir, mein kleiner Vampir..."

Und er wusste, das seinem Befehl folge geleistet wurde.

Das wurde ihm immer.
 

~oOo~



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2005-07-08T14:31:12+00:00 08.07.2005 16:31
Aha, aha, aha..... Immer diese Templer.... ^o^
Mach bitte schnell weiter, ich find die FF voll geil!!!!

Ryo-chan
Von:  das-schrecken
2005-07-03T20:32:02+00:00 03.07.2005 22:32
Cool! Echt spannend und nun weiß man auch mehr über Gabriel.
Schnell weiterschreiben!
Mfg


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