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Luciana Bradley und der Orden des Phönix

von

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Eigeninitiative

Eigeninitiative

 

     „Uuh, erzähl noch mal ganz genau, daran kann ich mich gar nicht satt hören!“

     „Ich bin rein, hab alle Fragen beantworten können und selbst vorhin beim Brauen war es überhaupt kein Problem, Professor Snape hatte ja so was von dreizehn, statt zwölf Lenkpflaumen erzählt und das hab ich au-„

     „Nein, nein Kindchen, ich meinte das mit der herzzerreißenden Umarmung und diesem stürmischen, aber bestimmten Kuss.“

     Luciana atmete ein paar Mal tief durch, biss die Zähne fest zusammen und ärgerte sich wieder einmal darüber, dass ein Spiegel weder Gesicht noch etwas Augen-ähnliches hatte, was man böse fixieren und anstarren konnte. So blickte sie lediglich ihrem eigenen, äußerst genervten Spiegelbild entgegen.

     „Ich hab nie was von herzzerreißend oder stürmisch gesagt, Roger …“

     „Ja, ja, vielleicht nicht, aber wenn ich eins kann, dann ist das beobachten, was soll man auch anderes machen, wenn man aus einem Haufen Glas und Zinnamalgam besteht und dabei derart blitzgescheit ist – wo war ich? Ah ja, dein Lächeln, Kindchen, du kannst mir doch nicht weiß machen, diese Art von Lächeln wäre Ursache einer passabel gelaufenen Prüfung, nein, nein, nein, dieses Lächeln vermag allein die herzzerreißende und stürmische Liiie-„

     „UNTERSTEH DICH!“, fuhr Luciana dazwischen. „Bei dir tickt’s ja nicht richtig, hast zu lang in der Sonne gestanden, oder hat dich nen Hauself mit zu viel Alk poliert?!“

     Luciana sprang von ihrem Stuhl auf, kramte in ihrer Umhängetasche nach ihren Zigaretten und dem Feuerzeug und versuchte dabei bewusst das Geplapper dieses nervtötenden Gebrauchsgegenstandes zu ignorieren.

     „Das nehme ich dir nicht übel, Kleines, Verdrängung ist doch der erste Schritt in einer so unglaublich romantischen und aufregenden Schüler-Lehrer – Luciana? Wart doch mal, du hast mir noch gar nicht erzählt, wie der Professor geroch-„

     WUUUMS

 

     Mit laut stampfenden Schritten trampelte Luciana die Wendeltreppe von den Mädchenschlafräumen hinunter in den Gemeinschaftsraum, der sich zu dieser späten Stunde fast gänzlich geleert hatte. Ein paar Fünft- und Siebtklässler saßen über ihren Unterrichtsaufzeichnungen oder Schulbüchern gebeugt, Dean Thomas war sogar mit tropfender Feder in der Hand eingeschlafen (eine große Lache Tinte hatte sich auf seinen Unterlagen ausgebreitet).

     Luciana ging zielstrebig auf das Portraitloch zu und hätte dabei fast das weiße Fellknäuel zertreten, welches quietschend über den Boden huschte.

     „Mh, scheint sich ja richtig gut eingelebt zu haben“, sagte sie und beobachtete amüsiert Neville, wie er verzweifelt versuchte das fliehende Frettchen zu packen. Nach drei weiteren Runden quer durch den Gemeinschaftsraum, bekam er es dann doch zu packen.

     „Hey, Luciana …“, schnappte er um Atem ringend. „Alihotsi ist ein bisschen unausgelastet, denke ich.“

     Nein, dieses Mistvieh war einfach so auf die Welt gekommen, da war sich Luciana sicher … Moment mal, Ali-was bitte?

     „Ali-hä?“

     „Alihotsi. Das ist eine sehr seltene Pflanze aus dem Orient mit unglaublich interess-„

     Jetzt fing das schon wieder an … Longbottom war ein durchschnittlicher Schüler, dabei nicht gerade mit Grazie und Geschicklichkeit gesegnet, nur in einem Fach ließ er den Über-Nerd raushängen und das war Kräuterkunde. Sobald das Gesprächsthema in irgendeiner Form zu Pflanzenarten überschwingen konnte, nutzte er die Gelegenheit und war in seinen folgenden Redeschwallen kaum noch zu halten. Da Luciana oft das zweifelhafte Vergnügen hatte, Longbottom als Sitznachbarn zu haben, hatte sie schnell gelernt abzuschalten und ihn einfach zu … überhören.

     „(…) und wenn man doch so dumm sein sollte die Blätter zu essen, wird man hysterisch, weißt du, so richtig hysterisch – und sie hier“, damit deutete Longbottom auf das Frettchen, welches gerade dabei war, ein beachtliches Loch in seinen Pyjama zu nagen, „erinnerte mich an Alihotsi. Passend, nicht wahr? Danke nochmal … Seitdem Trevor nicht mehr ist, hat mir schon was gefehlt und Omi wollte mir kein neues Haustier kaufen, meinte ich würde es eh wieder verlieren.“

     Eigentlich hatte Luciana zu danken, denn wenn Neville das kleine Biest nicht zu sich genommen hätte, wäre sie schier wahnsinnig geworden. Nachdem sie es irgendwie bewerkstelligt hatte, das Prüfungs-Verwandlungs-Frettchen unbemerkt (von Snape ausgenommen) von der Eingangshalle auf ihr Zimmer zu schmuggeln, hatte sie es einfach nicht mehr loswerden können. Mehrfaches Aussetzen im Verbotenen Wald war aussichtslos gewesen, dazu hatte das Vieh eine viel zu gute Nase gehabt und war immer wieder aufgetaucht und das Tier selbst behalten … selbst wenn es nicht penetrant nervend, unglaublich stinkend und vor allem kratzig und bissig gewesen wäre, Azrael war nun mal ein verwöhntes ‚Einzelkind‘. Noch eine Nacht, in der sich Frettchen und Falke um die freie Kopfkissenkuhle in Lucianas Bett bekriegen würden, nein, das hätte sie nicht ausgehalten.

     „Kein Problem, Neville. Aber vergiss bitte nicht, solang das Prüfungskomitee im Schloss ist, darf es den Turm auf keinen Fall verlassen, ja?“

     Longbottom nickte aufrichtig. Na wenn das mal gut ging.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Bei der letzten Gute-Nacht-Zigarette auf dem Klo im zweiten Stock hörte sich Luciana die neusten Berichte über ES Unfähigkeit an, die Schule zu leiten. Laut Myrte war selbst dem Prüfungskomitee (die allesamt, nicht nur Professor Tofty, eher einer Kaffeefahrt-Gruppe eines Altersheims glichen – gab es in der Zauberwelt keinen Ruhestand? Oder Rente?) der mehr als mangelhafte Zustand von Hogwarts aufgefallen, seitdem Dumbledore verschwunden war. Zudem schien das gesamte Lehrpersonal die Zusammenarbeit auf die eine oder andere Weise mit ES zu boykottieren …

     „Sag mal, Myrte“, Luciana schlug den höchstmöglich belanglosesten Tonfall an, den sie zu Stande brachte, „wenn Flitwick Umbridge nicht geholfen hat den Sumpf zu entfernen und McGonagall Peeves Tipps gibt, Schulinventar zu beschädigen, hat Snape auch schon was gegen sie unternommen?“

     Für einen kurzen Moment hatte sie die Befürchtung, Myrte würde ganz genau wissen wollen, wieso sie sich gerade nach Snape erkundigte, konnte dann aber wieder aufatmen.

     „Nein – nein, er hat ihr sogar geholfen.“

     „Wie, geholfen?“, fragte Luciana und gab sich dieses Mal nicht die Mühe, persönliche Betroffenheit aus ihrer Stimme zu nehmen.

     „Umbridge hat sich von ihm Veritaserum geben lassen, dieses Wahrheitselixier, verboten, weißt du – zur Befragung der Schüler“, sagte Myrte aufgeregt.

     Da erzählte ihr der Geist nichts Neues. Snape hatte dies in einer Ordenssitzung erwähnt und Dumbledore hatte ihm geraten ihr kein Placebo zu geben.

     „Er sitzt übrigens auf seinem Sessel und triiinkt, hat er zumindest vorhin noch gemacht … und am Nachmittag, kann sein, dass er auch seit Stunden trinkt und gar keine Pause-„

     „Myrte, ich dachte wir waren uns einig gewesen, dass du ihn nicht mehr bespannst?“, fuhr ihr Luciana ins Wort.

     „Ich spanne nicht, ich habe bloß ein wenig geschaut“, sagte Myrte beleidigt.

     „Macht er das öfter? Ich meine Trinken – du hast doch Alkohol gemeint?“, fragte Luciana.

     „Wenn du ihn wegen einer Alkoholsucht anschwärzen willst, leider nein … trinkt sonst immer ein Glas Wein, kam in den letzten Jahren fast nie vor, dass er zu dem Zeugs da, Feuerwhisky, du weißt ja, ich hatte ja niemals die Gelegenheit so was zu probieren, wenn einem nicht die Chance gegeben wurde erw-„, Luciana bedachte Myrte mit einem scharfen Blick, dieses Thema hatten sie wahrhaftig oft genug durchgekaut. „Nein, er trinkt nicht, nicht so.“

     Eine Zeit lang herrschte Stille zwischen den beiden, in der Luciana darüber nachdachte, wieso Professor Snape den heutigen Tag damit verbracht hatte, sich die Kante zu geben – nun ja, das war vielleicht etwas überspitzt dargestellt, aber trotzdem … sie konnte nur hoffen, dass er es nicht übertreiben würde, aus vielerlei Hinsicht. Wenn jetzt eine Ordenssitzung einberufen werden würde, oder, was noch wesentlich schlimmer wäre – der Schwarze Führer ihn zu sich rief …

     Nachdem Myrte die Korridore ES-Lehrer- und Inquisitionskommando-los freigegeben hatte, begab sich Luciana zurück zum Gryffindorturm, allerdings nicht ohne einen Moment darüber nachgedacht zu haben, einem gewissen Kerkerbewohner einen Besuch abzustatten.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Die erste Prüfung, von der Luciana mit hundertprozentiger Sicherheit sagen konnte, sie dermaßen und total vollständig verhauen zu haben, fand am nächsten Tag statt.

     Dienstagnachmittag hatte sie sich zusammen mit ihren Mitschülern am Rande des Verbotenen Waldes eingefunden, an dem ein wahrlicher Parcours aufgebaut worden war, bestehend aus gemeingefährlichen magischen Tierwesen und deren Behausungen. Dass sie in den Unterrichtsstunden zu Pflege magischer Geschöpfe die meiste Zeit hinter irgendeinem Baum, Felsen oder dichten Busch gestanden und geraucht hatte, machte sich nun mit aller Macht bemerkbar.

     Zunächst wurde von ihr verlangt, einen Knarl aus einer Gruppe Igeln ausfindig zu machen (was ihr vollkommen unmöglich erschien, Knarl musste einfach ein Synonym für Igel sein, die Viecher unterschieden sich in keiner Weise!) – bei dieser Aufgabe versuchte sie es mit Logik, drehte und wendete die Igel von rechts nach links, oben und unten und verursachte damit eine Massenpanik unter den Knarlen, die anscheinend doch keine Igel waren. Hinterher wurde ihr mitgeteilt, dass diese Wesen höchst misstrauisch waren und man sie ausschließlich mit einer Schale Milch bestechen konnte, sich zu offenbaren.

     Als nächstes wurde Luciana von einer Horde Bowtruckles verprügelt und zerbissen (wer konnte auch ahnen, dass man sich auf keinen Fall an deren Baumbehausung zu schaffen machen durfte?), bei den Feuerkrabben schaffte sie es nicht mal bis zu deren Nestern (die sie eigentlich hatte reinigen sollen), ja und bei der Nahrungsauswahl für ein magenkrankes Einhorn fiel ihre Wahl auf eine Flasche Kräuterschnaps (also ein Verdauungspinnchen hatte doch noch niemandem geschadet …).

     Dementsprechend war Luciana erleichtert, am nächsten Morgen in der schriftlichen Astronomieprüfung ihre Wasserflaschen-Lösung nutzen zu können.

     Wahrsagen am Nachmittag strich sie aus ihrem Gedächtnis – restlos.

     Um elf Uhr abends liefen Professor Tofty und Marchbanks (weiblich, alt, schwerhörig und deshalb selbst furchtbar laut) prüfend zwischen den Schülern umher. Es war eine sternenklare Nacht, auf dem Astronomieturm wehte ein kalte Brise und das erste, was Luciana auffiel, war der Mond – in ein paar Tagen würde, wie jeden Monat, die große Werwolfsause in Deutschland stattfinden.

     Die Sternenbilder ließen sich mit den Schulteleskopen schnell ausmachen, von dem Großen Wagen aus orientierte sie sich zu den restlichen Himmelsgestirnen und so war Luciana derart in ihre Arbeit vertieft (sie hatten die Aufgabe bekommen, eine nicht vollständige Sternenkarte zu beschriften), dass sie den Anfang der totalen Katastrophe beinahe verpasst hätte.

     Der Knall war allerdings nicht zu überhören. Um sie herum waren mehrere Leute erschrocken aufgesprungen, oder hatten sich, wie Luciana, das Guckloch ihres Teleskops schmerzhaft ins Auge gestoßen – es dauerte einige Zeit, bis sie ihr Teleskop neu ausgerichtet und den Ursprung des Knalls gefunden hatte. Dort unten, auf dem Schlossgelände bei der Hütte des Hagrid-Manns-mit-schweren-Knochen, hatte sich ein Grüppchen von Menschen versammelt die … ja, was machten die da eigentlich? Oh, schaute nach kämpfen aus. Luciana zählte sechs Personen, die Hagrid umzingelten, der Drohgebärden mit seinen riesenhaften Fäusten in ihre Richtung abgab. Und plötzlich flogen die Funken, oder viel mehr die Zauber – rote Strahlen prasselten auf den Pflege magischer Geschöpfe Lehrer ein, Granger schrie und im Allgemeinen kümmerte sich niemand mehr um seine Sternenkarte. Oha, jetzt hatten die Gestalten auch noch den Hund von Hagrid abgeschossen – wer zum Teufel war das überhaupt? Luciana versuchte vergeblich ihr Teleskop noch schärfer einzustellen, aber alle Schärfe konnte bei dem dämmrigen Licht wenig helfen.

     „SEHT MAL!“, kreischte jemand schräg rechts hinter Luciana – uh, das Schlossportal hatte sich geöffnet. War das etwa …? Ja, es war McGonagall – und eine der sechs Personen machte einen bekannt zwergenartigen, plüschigen Eindruck. ES? Das versprach ja unterhaltsamer als jede Seifenoper zu werden!

     Professor Tofty laberte im Hintergrund irgendwas von verbleibenden paar Minuten der Prüfung, jeder auf dem Turm schien ihn zu ignorieren, als Professor McGonagall über die Wiese lief und „Wie können Sie es wagen?“ rief. Noch einmal, „Wie können Sie es wagen!“.

     Mittlerweile war sie angekommen, Luciana musste sich sehr anstrengen, um die Schemen auseinander halten zu können.

     „Lassen Sie ihn in Ruhe! In Ruhe, sage ich!“, schrie McG weiter. „Mit welchem Recht greifen Sie ihn an? Er hat nichts getan, nichts, was rechtfertigen würde-„

     Ein Schrei, selbst Luciana rutschte bei dem folgenden Anblick das Herz in die Hose. Vier oder fünf Zauber hatten Professor McGonagall getroffen, gleichzeitig – ihr ganzer Körper wurde von einem eigenartigen Licht erfasst, bevor es sie nach hinten schleuderte und sie auf dem Boden liegen blieb, bewegungslos.

     Im Astronomieturm und unten an der Hütte brach ein Tumult los, zu diesem Zeitpunkt war Luciana schon halb auf dem Treppenabsatz angelangt. Prüfung hin oder her, da unten lag ein Mitglied des Phönixordens, alle Viere von sich gestreckt und mit altersschwacher Pumpe. Allerdings erwies es sich als ein klein wenig kompliziert, während des Treppe Hinablaufens nach der Schnalle ihres Gürtels zu greifen – letztendlich hüpfte Luciana auf ihrem linken Bein Stufe für Stufe hinab, hielt sich währenddessen am Geländer fest und verfehlte beim nächsten Sprung ihr Ziel. Endergebnis dieser Aktion war eine zerbeulte und abgerissene Gürtelschnalle, die an einer eisernen Verzierung des Treppengeländers hängen geblieben war und eine schmerzende, rechte Pobacke.

     „FUCK!“

     Luciana rappelte sich auf, hielt die Einzelteile ihres Gürtels vor ihre Nase und war leicht überfordert weiter zu laufen und gleichzeitig dem Gürtelbausatz Herr zu werden.

     Die nächste halbe Stunde bestand aus Umherirren – Professor McGonagall war wie vom Erdboden verschluckt, von den fünf Gestalten, exklusive ES, war ebenfalls nichts mehr zu sehen (bei der Letzteren war dies sicherlich von Vorteil), Hagrid nicht mehr da und Professor Snape schien sich weder in seinem Büro, noch in seinen Privaträumen aufzuhalten. Nicht einmal Myrte hockte auf ihrem Stammplatz, eine Kloschüssel in der hintersten Kabine auf der linken Seite.

     Es war kurz nach Mitternacht, als Luciana die Suche nach Professor Snape und Antworten auf den Verbleib von McGonagall, aufgab. Erst der wehende Saum eines schwarzen Umhangs, der um eine Ecke im dritten Stock verschwand, trieb sie ein weiteres Mal zur Eile an.

     „Professor?“

     Tatsächlich – Luciana war in den nächsten Gang eingebogen und beinahe mit Snape zusammengestoßen, der stehen geblieben war und sie nun mit missmutigem Blick musterte.

     „Miss Bradley“, begann er mit tiefem Durchatmen und Augenrollen. „Es ist weit nach Sperrstunde und –„

     „Professor McGonagall ist angegriffen worden“, unterbrach sie ihn hastig, „müssen an die vier Schockzauber gewesen sein, unten bei der Hütte des Tierzeugs-Lehrers, Umbridge war auch dabei und dann ist mein Gürtel kaputt gegangen“, demonstrativ hielt sie Snape die Gürtelteile unter die Nase, „war grad Astronomieprüfung und deswegen konnt ich gar nichts machen, war ja oben auf den Turm und Sie waren nicht im Kerker und-„

     „Miss Bradley“, beendete Snape ihren Redeschwall. „Professor McGonagall befindet sich auf der Krankenstation“, seine Stimme wurde leiser, „der Orden ist bereits informiert“, wieder Normalton, „und Sie werden augenblicklich Ihren Schlafsaal aufsuchen.“

     Das konnte doch nicht sein Ernst sein – Luciana ließ die Hand mit dem Gürtel sinken und betrachtete Professor Snape genauer. Das Bild, welches sich dabei ergab, war nicht außergewöhnlich. Er war eine Spur blasser, als zu Anfang des Schuljahres, auch seine Augenringe schienen dunkler und seine Wangenknochen stachen weiter hervor. Allerdings hatten seine Augen nicht den gewohnten Härtegrad, obwohl er sich anscheinend bemühte, sie besonders angsteinflößend anzuschauen.

     „A-aber was ist denn mit Professor McGonagall und wies-„

     „Sie sollen Ihren Schlafsaal aufsuchen“, fuhr Snape sie darauf an, dieses Mal eine Spur schärfer. Luciana blieb für einen Moment an Ort und Stelle stehen, jedoch machte er nicht den Eindruck nachzugeben und sich die Zeit für eine ausführliche Auskunft zu nehmen. Mit einem bösen Blick verabschiedete sie Snape, stapfte wütend Richtung Gryffindorturm und hörte bei ihrem gemurmelten Gezeter nicht die Schritte, die ihr gefolgt waren. Somit bekam sie einen Mords-Schrecken, als sie am Oberarm gepackt und herumgerissen wurde – mit weit aufgerissen Augen und ersticktem Schrei auf den Lippen starrte sie in das Gesicht von Snape, der sich bis auf vielleicht drei ‚Anstands-Millimeter‘ zu ihr hinunter gebeugt hatte.

     „Und vergessen sie eins nicht“, zischte er ihr entgegen, Luciana versuchte sich nach hinten weg zu beugen, doch sein Griff war äußerst klammerartig. „Sie haben einen Vermittlungsposten inne, nichts weiter – Wagen Sie es nicht im Traum daran zu denken, sich in Kampfhandlungen einzumischen, haben wir uns verstanden?“

     Durch seine Hand ging ein starkes Zittern, Luciana konnte sehen, wie Snapes Kiefermuskeln arbeiteten, ganz, als ob er sich sehr stark unter Kontrolle halten müsste.

     „Ja, Sir“, flüsterte sie.

     Genau das schien Snape hören zu wollen – ruckartig ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. Sie war gerade im Begriff weiter zu gehen, aber die Frage brannte ihr zu sehr auf der Zunge.

     „Sind Sie okay?“

     Snape schien zunächst verwirrt, vielleicht war er sich auch nicht sicher, das Richtige gehört zu haben – dann setzte er zum Sprechen an, schloss seinen Mund und betrachtete sie. War das … Wehmut in seinem Blick? Was zur Hölle war los mit diesem Kerl? Und wieso beschlich sie jeden Tag mehr dieses nagende Gefühl, dass irgendetwas zwischen ihnen nicht stimmte?

     Dann deutete er ein Nicken an, bevor er mit wehendem Umhang verschwand.

 

Der Gemeinschaftsraum hatte sich um drei Uhr in der Früh noch nicht ganz geleert, so schockiert waren die Gryffindor-Schüler über den Angriff auf ihre Hauslehrerin. Auf diese Weise konnte Luciana sich zwar wenig Gedanken über die seltsame Begegnung mit Professor Snape machen, aber ein Gespräch mit Lee Jordan brachte Aufklärung, wie es überhaupt zu der ganzen Misere am Abend an Hagrids Hütte kommen konnte.

     Jordan hatte von den Weasley Zwillingen als eine Art ‚Abschiedsgeschenk‘ einige Niffler bekommen. Diese possierlichen, sehr flaumigen Wühltiere mit schwarzem Fell, wurden von Hexen und Zauberern zur Schatzsuche eingesetzt, eigneten sich allerdings überhaupt nicht zur Haustierhaltung. Durch ihre Besessenheit alles funkelnde, goldene oder schlicht und ergreifend wertvoll Ausschauende an sich zu bringen (und dies meist, indem sie mit ihren schaufelartigen Pfoten jeden noch so massiven Boden mit Tunneln versahen), richteten sie überall wo sie auftauchten ein unglaubliches Chaos an – ja, und Jordan hatte es offenbar für eine besonders gute Idee gehalten, ein paar dieser Exemplare in das Büro der Schulleiterin zu schmuggeln – für diese war es selbstverständlich die Gelegenheit gewesen, den ungeliebten Wildhüter und Lehrer für Pflege magischer Geschöpfe zu unterstellen, er wäre dafür verantwortlich gewesen. Und somit bekam Luciana auch endlich heraus, wieso dieser Hagrid derart groß gewachsen war – er war ein Halb-Riese.

     Als Jordan ihr dies offenbarte, hatte Luciana zunächst gedacht er würde sie veräppeln wollen. Rein anatomisch, wie sollte das bitte funktionieren, ein Mensch mit einem Riesen? Nachdem sie die eine oder andere Möglichkeit in ihren Gedanken durchgespielt hatte und ihr bei jedem Szenario fast die Galle hochgekommen war, hatte sie es aufgegeben und nahm den Halb-Riesen-Status ungefragt hin. Tja, und da ES ja nicht unbedingt für ihre Toleranz gegenüber Halb-Menschen, oder irgendeinem weiteren Wesen, welches nicht ihrer eigenen Gattung entsprach, bekannt war, hatte sie ihn des Schlossgrundes verweisen wollen – nein, noch schlimmer, unter den Schülern wurde gemunkelt, sie habe ihn gleich nach Askaban verfrachten wollen.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

     Die allerletzte ZAG Prüfung fand glücklicherweise erst am Nachmittag des nächsten Tages statt, sodass Luciana und ihre Mitschüler wenigstens noch ein paar Stunden Schlaf finden konnten (obwohl Luciana sich am Mittag, nach dem Aufstehen, noch miserabler als beim Zubettgehen fühlte).

     Mit den letzten drei Spick-Wasserflaschen bewaffnet (Geschichte der Zauberei war wesentlich umfangreicher, als die anderen Fächer, daher hatte nicht alles auf zwei Etiketten gepasst), nahm sie ihren Stammplatz in der hintersten Reihe in der Großen Halle ein, drapierte ihre Spicker vor sich und bewaffnete sich mit einem Kugelschreiber.

     „Drehen Sie Ihre Blätter um“, sagte Professor Marchbanks und drehte dabei die riesen Sanduhr um. „Fangen Sie an.“

     Wie erwartet wurde die gesamte Geschichte der nicht enden-wollenden Koboldaufstände abgefragt, dann die standartmäßigen Fragen zu den wichtigsten politischen Ereignissen und hier und da konnte Luciana sogar ihre eigene Meinung miteinfließen lassen.

     Nach einer Stunde unaufhörlichen Flaschen-Lesens und Abschreibens, schmerzte ihr Handgelenk – sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück, streckte ihren Arm aus und massierte sich die pochende Hand. Dabei fiel ihr Blick ein paar Plätze weiter nach vorne auf ihre Mitschüler, die allesamt über ihre Tische gebeugt massenhaft Tinte auf ihre Pergamente brachten, alle bis auf – schlief Potter etwa?? Machte beinahe den Eindruckt, wie er zwei Reihen vor ihr auf seiner linken Hand gestützt bewegungslos da saß und – au weia, jetzt murmelte der auch noch im Schlaf, na wenn das keinen Ärger gab.

     Professor Marchbanks war mittlerweile ebenfalls auf Potter aufmerksam geworden. Gerade als sie ein paar Schritte getan hatte, wohl in der Absicht ihn zu wecken, zusammen zu stauchen, oder sonst was, ging ein markerschütternder Schrei los, der von der hohen Decke der Großen Halle vielfach verstärkt zurückgeworfen wurde. Potter hatte offensichtlich ein paar Mal zu oft die Freddie Krueger Reihe geschaut, oder eher gesagt, die Traumbilder hatten ihm anscheinend einen derartigen Schrecken eingejagt, dass er kreischend seitlich von seinem Stuhl gekippt war. Nun ja, jetzt war Luciana jedenfalls nicht mehr die Einzige, die nicht mehr mit ihrem Geschichtsaufsatz beschäftigt war.

     Marchbanks und Tofty liefen so schnell sie ihre mürben Knochen tragen konnten zu Potters Platz, Granger und Ronald waren ebenso von ihren Stühlen aufgesprungen, während dieser sich mit Händen und Füßen gegen eine Zwangseinweisung in den Krankenflügel wehrte. Es brauchte noch geschlagene zehn Minuten, bis Tofty Potter aus der Halle geschleift hatte und der Geräuschpegel ihrer Mitschüler auf einen man-kann-sich-wieder-konzentrieren-Pegel abgesunken war. Diese Aktion hatte sie insgesamt eine Viertelstunde der Prüfungszeit gekostet und Luciana musste aus ihrem, von den letzten beiden Wochen verdammt überstrapazierten Handgelenk herausholen, was nur irgend möglich war.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Das Wetter war einfach herrlich. Selbst in der späten Nachmittagssonne wehte noch eine warme Brise um den See und somit ließ sich Luciana nicht die Gelegenheit nehmen, das Ende der Prüfungshölle mit ihrer, noch vom letzten Jahr stammenden, halben Flasche Ossenkämper am Seeufer zu feiern.

     Sie konnte es kaum fassen, dass sie ohne auch nur einmal erwischt zu werden, beinahe reibungslos durch alle Prüfungen gekommen war. Nicht mehr lange und die Sommerferien würden beginnen – allerdings kam bei diesem Gedanken weniger Vorfreude in ihr auf, als erwartet. Beinahe acht Wochen unterrichtsfreie Zeit würden gleichzeitig auch weniger Begegnungen mit Professor Snape beinhalten. Eigentlich sollte dies doch ein Anlass zur Freude sein … niemand, der sie permanent unterschwellig oder offensichtlich als unterbelichtet bezeichnete, keiner, der ihren Oberarm malträtierte, keine Strafarbeiten, oder Apparieren ohne Vorwarnung. Kein Herzklopfen, wenn sie vor seinem Büro stand und wartete, dass er die Tür öffnen würde, keine Zankereien, die weniger nervend, als aufregend waren – kein männlich herber Geruch mehr, den man nur vernehmen konnte, wenn er, meist in der Absicht ihr zu drohen, näher an sie herantrat.

     Ja, zwischen ihnen beiden war wirklich etwas nicht richtig. Und Luciana konnte, so viel sie sich auch den Kopf darüber zerbrach, nicht herausfinden was genau das sein sollte. Tief in Gedanken versunken blickte sie auf die leichten Wellen, die ans Ufer des Sees schwappten, nahm einen weiteren Schluck aus der Likörflasche (die sie wegen ihrer ungewöhnlichen Größe mit gleich zwei Händen halten musste) und wäre darauf beinahe an dem Alkohol erstickt, als plötzlich und ohne Vorwarnung ein beinahe durchsichtiges Gesicht vor ihrer Nase erschien.

     „DAS passt dir so“, wetterte Myrte mit kreischender Stimme. „MIR die ganze Arbeit überlassen und selbst faul am See rumsitzen! Ich habe dich ÜBERALL gesucht!“

     Luciana röchelte, versuchte wieder normal Luft zu bekommen und dabei den Schmerz zu ignorieren, den der brennende Ossenkämper in ihrer Luftröhre hinterlassen hat – das Myrte sie dabei mit heller Begeisterung nachäffte, war nicht weiter verwunderlich.

     „Wes-„ hust, „weswegen hast du mich gesucht?“

     „Du hast doch gesagt ich solle ein Auge auf Potter halten“, begann Myrte und aalte sich dabei in Lucianas Aufmerksamkeit.

     „Jaaa … und?“, hakte Luciana nach.

     „Ich bin ihm gefolgt, ihm und den anderen.“

     Meine Fresse, lässt das Miststück sich heut mal wieder alles durch ihre unmaterielle Nase ziehen …

     „Myrte … erzähl bitte alles, ohne die Kunstpausen, ja? Und wenn du von anderen sprichst, sag wer, ich hab keinen Bock immer nachfragen zu müssen …Und schau nicht so beleidigt.“

     „Harry ist in Umbridges Büro eingebrochen, wollte wohl ihren Kamin benutzen“, Luciana setzte sich in Alarmbereitschaft auf, „und natürlich ist er erwischt worden – er und die anderen“, Myrte erntete einen drohenden Blick. „Diese Hermine, Ron, Ginny, Neville und Loony. Hatten Schmiere gestanden, glaub ich, aber kann ich nicht sagen, sollte ja ein Auge auf Harry werfen… ja, und Umbridge, das war seeehr interessant, hat Snape kommen lassen und hat von ihm Veritaserum verlangt, wollte wohl was von Harry wissen, der, also Snape, hatte aber keines mehr, meinte sie habe alles verbraucht und da war doch noch was …“ Myrte legte ihren Kopf schief. „Ah ja, Umbridge hat Snape auf Bewährung gesetzt, was war die wütend, wollte Potter sogar einen Cruciatus anhexen, hat Hermine aber verhindert und die beiden haben Umbridge dann in den Verbotenen Wald geführt, war aber nur eine Finte von Hermine, die Zentauren haben Umbridge angegriffen und da ist ein Riese aufgetaucht“, Lucianas Augen wurden von Wort zu Wort immer größer – sie war zwar nicht betrunken, allerdings ein wenig angeschwippst und in diesem Zustand all diese Informationen zu verarbeiten war … anstrengend, „und dann kamen diese seltsamen, knochigen Pferde, weißt du, die, die die Kutschen vom Bahnhof hoch zum Schloss ziehen und damit sind sie weggeflogen … ganz vergessen, Ginny, Neville, Ron und Loony sind ja auch noch dazu gekommen, also die sind dann alle zusammen weggeflogen.“

     Hä? Das ergab keinen Sinn … dieser ganze Bericht ergab keinen Sinn.

     „Wie, weggeflogen? Wieso und … und vor allem, wohin?“, fragte Luciana und sprang auf.

     „Ach, hatte ich das gar nicht erzählt? Harry hat nen riiiiiesen Aufstand gemacht, irgendwas von Sirius und dass der, dessen Name nicht genannt werden darf ihn foltern würde und das er etwas dagegen unternehmen müsse, deshalb waren sie ja auch in Umbridges Büro, um-„

     „WO sind sie hingeflogen?“, rief Luciana, jetzt in äußerster Alarmbereitschaft.

     „Ministerium, London, wenn ich das richtig verstanden hab, war kurz wegen Peeves abgelenkt gewesen, der war wieder so gemein zu mir un-„

     „MITKOMMEN!“

     Im Eiltempo liefen sie (nun ja, Luciana lief, Myrte schwebte um sie herum, vollführte dabei ihre standartmäßigen Langeweile-Loopings) auf das Schlossportal zu. Ihre Optionen waren dürftig, Dumbledore befand sich wer-weiß-wo, Lucianas Gürtel hatte sich auch mit keinem noch so kunstvoll ausgeführten Reparo-Zauber reparieren lassen und ihr Handy … ja, damit versuchte sie beim Durchqueren der Eingangshalle ihren Paten zu erreichen. Nach dem gefühlt hundertsten Piepton ertönte seine Stimme – allerdings war diese von der Art Tonbandaufnahme:

     „Sehr geehrter Anrufer – Sie haben die Ehre mit einer automatischen Mailbox-Funktion zu sprechen, die sich mein Telefonanbieter als neuste Errungenschaft aus dem Arsch gezogen hat, die einzig und alleine den Zweck verfolgt, Ihnen und mir noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen. Ich werde die Nachricht, die Sie nach dieser Ansage hinterlassen können, niemals abhören, da mich dieser Service das doppelte an den normalen Gesprächsminuten kosten würde – wenn Sie sich jetzt fragen, wieso ich meine Mailbox nicht abschalte, nun, das würde mich weitere fünfzig Mark kosten und-„

     Am liebsten hätte sie ihr Handy gegen eine der Kerkerwände geworfen.

     Nach fünf Minuten ständigen an Snapes-Bürotür Hämmern und Klopfen, versuchte Luciana ihr Glück bei seinen Privaträumen. Kein Licht drang unter dem Schlitz der Eingangstür hervor und auch Myrte konnte den Professor nach gründlicher durch-jede-Wand-der-Wohnung-fliegen-Inspektion nicht ausfindig machen.

     Vollkommen außer Atem versuchte Luciana ein paar Stockwerke höher mit Händen und Füßen Madame Pomfrey ihr Anliegen zu vermitteln.

     „Finde – keinen –„, Hechel, lächz, „Lehrer, wo – ist – McGonagall – dringend – sprechen“

     „Haben Sie es noch nicht gehört?“, fragte die Heilerin und schraubte einen Deckel auf eine Keramikflasche. „Sie ist nicht hier, Miss Bradley. Sie wurde heute Morgen verlegt, ins St. Mungo. Vier Schockzauber, direkt in die Brust, sie ist nicht mehr die Jüngste, ein Glück, dass sie überhaupt noch lebt.“

     „Haben – Sie –„ Hechel, „Snape gesehn?“

     „Nein, Kindchen, tut mir wirklich leid.“

     Luciana machte auf dem Absatz kehrt und lief wieder in die Richtung, aus der sie gekommen war.

     „Was hast du vor?“, fragte Myrte, die weiterhin neben ihr her schwebte.

     „Snape nen Zettel hinterlassen, dann Ministerium.“

     Automatisch übersprang sie eine Trickstufe, kramte mit der rechten Hand in ihrer Tasche herum und riss ein Stück Pergament von einer Rolle.

     „Wie willst du denn ins Ministerium kommen? Soll ich eben nachschauen, ob noch welche von den Flug-Dingsen da sind?“

     Luciana schüttelte ihren Kopf und legte, im Kerker angekommen, das Pergamentstück an die nächstbeste Wand, holte dann einen Kugelschreiber hervor und notierte eilig:

 

Schwarzer Führer hat Potter ins Ministerium gelockt.

Weitere Schüler sind dabei. Konnte Sie nicht finden,

nehme jetzt Kamin von Umbridge.

L.B.

 

Den Stift hatte sie abgesetzt und den Zettel beinahe gefaltet, als sie doch noch einmal zum Schreiben ansetzte:

 

PS.:

Versuch mich von Kampfhandlungen fern zu halten.

Versprochen.

 

 

     „Du willst den Kamin von der Schulleiterin benutzen?“, kreischte Myrte spitz auf. „Du kommst da niemals rein… es sei denn, du springst vom Astronomieturm, dann kannst du als Geist durch die Wand fliegen und dir mit mir eine Kabine tei-„

     „Myrte, welche Tür benutzt Snape am häufigsten? Büro oder Privaträume?“

     „Privat“, sagte Myrte beleidigt.

     Luciana nickte und hechtete um die nächste Ecke, klopfte zur Vorsicht noch ein paar Mal gegen die Tür, doch wieder nichts. Den Zettel schob sie unter den Türschlitz hindurch, in der Hoffnung, Snape würde ihn rechtzeitig finden und dem Orden Bescheid geben.

     Wie konnte Potter nur so töricht sein, im Alleingang ins Ministerium zu fliegen? Während der letzten Sitzungen, bei denen Dumbledore immer wieder darauf beharrt hatte, sie und die Lehrer sollten am besten beide Augen auf ihn werfen, damit er keine Dummheiten machen würde, hatte Luciana diese Übervorsicht als viel zu übertrieben gewertet. Sie hatte Potter unterschätzt, oder eher überschätzt, was seinen gesunden Menschenverstand betraf.

     Im Gryffindorturm angelangt, war Luciana derart außer Atmen, dass sie auf ihrem Bett eine halbe Minute Zwangspause einlegen musste. Vom See bis hierher war keine halbe Stunde vergangen und in dieser Zeit hatte sie das Schloss beinahe vier Mal durchquert. Stöhnend rappelte sie sich wieder auf, kramte ihre Walther PPK aus dem Nachtschränkchen, prüfte das Magazin und steckte sich die Waffe unter ihren Rockbund.

     „Kleines, wieso nagt sich gerade das Gefühl in mein Glas, dass du gleich eine Dummheit begehen wirst?“

     Sie ignorierte Roger und auch die nervigen Fragen von Myrte, schmiss die Tür zu ihrem Schlafzimmer geräuschvoll ins Schloss und rannte die Treppe hinunter, durch das Portraitloch und weiter durch die Gänge. Zwei Abbiegungen vor ihrem Ziel stieß sie mit einer Gruppe Gryffindors zusammen, bestehen aus Lavender Brown, Seamus Finnigan und Dean Thomas.

     „Luciana?“, rief Thomas ihr nach und brachte Luciana zur Vollbremsung.

     „Hab keine Zeit, muss-„

     „Granger hat dich gesucht, ich soll dir ausrichten du sollst… klingt ein bisschen seltsam, aber du sollst Alarm schlagen. Du wüsstest schon, was gemeint sei.“

     „Wann hat sie das gesagt?“, fragte Luciana.

     „Keine Ahnung“, sagte Thomas Schulter zuckend, „wird so vor ein zwei Stunden gewesen sein. Sag mal, was hast du bei Frage fünf geschrieben, hat-„

     „Muss weg, dank dir!“

     Ja, selbstverständlich konnte sie sich vorstellen, was Granger gemeint hatte. Und wenn das Mädel schon intelligent genug war, sich an sie als Ordensmitglied zu wenden, wieso hatte sie Potter dann nicht den Unsinn mit dem Ministerium ausgeredet?

     Na endlich, da war die Tür zu dem Büro von ES.

     „Die ist verzaubeeeheert, ich habe dir schon gesagt du kommst da nicht rein“, flötete Myrte neben ihr. Demonstrativ schwebte der Geist darauf durch die Tür und wieder zurück, ganze dreimal, wohl um ihr zu zeigen, wie toll das Ableben sein konnte.

     „Myrte, dir macht Krach doch nicht viel aus, oder?“

     „Nein, spür ich gar nichts von“, sagte diese stolz.

     „Na dann …“

     Luciana zog die Handfeuerwaffe aus ihrem Rockbund hervor, nahm so viel Sicherheitsabstand, wie es der schmale Gang zu ließ, legte den Hebel zum Entsichern um und nahm dann das massive Eisenschloss ins Visier.

     BAMM BAMM BAMM BAMM

     So, das sollte reichen – und das komplette Schloss in helle Aufruhr versetzt haben.

     Ein paar Schritte auf die Tür zu offenbarten ihr drei große Löcher, die die Patronen um das Schloss herum in die Holztür gerissen hatten. Überall im Gang rieselten Splitter umher und das Eisenschloss dampfte. Mit einem kräftigen Tritt legte Luciana den Raum hinter der Tür frei, der leer und verlassen dalag. Nur ein kleines Feuer prasselte im Kamin.

     „Uuwooow“, vernahm sie schräg hinter sich und schon war Myrte in das Büro hineingeflogen. „So eine hatte mein Großvater auch gehabt“, rief sie begeistert und nahm die PPK genauer unter die Lupe. „Durfte sie aber nie anfassen, hab mich schon immer gefragt, wozu die Dinger gut sind. Er hat sie im Krieg mitgenommen und immer davon erzählt wie-„

     „Myrte, können wir das bitte auf nachher verschieben? Zeitdruck und so.“

     Der Topf mit dem Flohpulver stand auf dem Kaminsims, selbstverständlich auf einem ekelerregenden, alt-rosa Strickdeckchen. An den Wänden beobachteten die Samtbändchen-strangulierten-Katzenviech-Teller jede einzelne Handbewegung von Luciana, wie sie das Pulver in den Kamin streute und sich dann selbst hineinbegab. Und just in diesem Moment, als sie „Zaubereiministerium, London“ ausgesprochen hatte, kam in ihren, noch immer von Alkohol umnebelten Sinn, dass sie gerade dabei sein könnte, ‚etwas‘ unbedacht gehandelt zu haben. Doch für diesen Gedanken war es zu spät, als sie ein paar Sekunden später in das maskierte Gesicht einer hochgewachsenen Gestalt blickte.

    

 

 

 

 



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