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Luciana Bradley und der Orden des Phönix

von

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Grenzüberschreitungen

Grenzüberschreitungen

 

Professor Snape und Luciana waren nicht die Ersten, die im Grimmauldplatz eintrafen. In der Küche, die eilig mit einer Handvoll Öllampen beleuchtet worden war (im Normalfall waren es mindestens ein Dutzend und zusätzlich eine Vielzahl Kerzen), unterhielt sich McGonagall angeregt mit Black, der mit löchriger Pyjamahose und verwaschenem Bademantel an der Küchenzeile gelehnt stand und für die beiden Neuankömmlinge lediglich einen kurzen, wenig begeisterten, Seitenblick übrig hatte.

     Remus saß am Tisch, seinen Kopf in beide Hände gestützt und starrte in die dampfende Tasse Tee vor sich – selbst er hatte nicht viel mehr, als eine genuschelte Begrüßung für Luciana übrig, nachdem sich diese auf dem Platz neben ihm niedergelassen hatte. Seine Augen waren blutunterlaufen, die Gesichtsfarbe eine Spur blasser als üblich und selbst sein hellbraunes Haar schien heute von noch mehr grauen Strähnen durchzogen zu sein. Dabei war es zur Vollmondnacht noch einige Tage hin. Luciana verkniff sich die aufkommenden Fragen, Remus sah nun wirklich nicht zu einem Frage-Antwort-Spielchen aufgelegt aus.

     Die nächste halbe Stunde verlief weitestgehend schweigend – Black und McGonagall hatten sich nach Beendigung ihrer Unterhaltung (die Black nach Eintreffen von Luciana und Snape im Flüsterton weitergeführt hatte) mit an den Tisch gesellt, die Gryffindor Hauslehrerin beschäftigte dabei ihre unruhigen Hände mit dem Hochglanzpolieren ihrer Gleitsichtbrille, Black vollführte mit missmutiger Miene wahre Kunststücke im Stuhl-ein-Bein-Balancieren, Remus schien der Antwort der größten aller Fragen nach dem Warum auch nach weiterem, unaufhörlichen Starren in seine Teetasse nicht fündig zu werden und Snape … ja, nur Snape saß da wie in Stein gemeißelt, scheinbar seelenruhig, weder starrend noch unruhig umher suchend. Nach monatelangem Snape-in-freier-Wildbahn-studierens kam Luciana allerdings zum Schluss, dass er gerade dabei sein musste, ein schieres Kunstwerk in Gedankenverarbeitung zu vollführen. Auf dem Weg zum Apparierpunkt, am Rande des Verbotenen Waldes, hatte er ihr nicht viele Fragen zum Ablauf der ganzen DA-Misere gestellt, selbst nachdem Luciana hatte durchblicken lassen, dass ein Klogeist für sie spionieren gegangen war.

     Allerdings war auch ihr sehr wohl bewusst, in welch prekärer Lage sich der Orden und vor allem die Schüler und Lehrer von Hogwarts befanden. Ohne Dumbledore als Schulleiter und, was noch viel schlimmer war, mit Umbridge als seine Nachfolgerin, blickten sie in eine … ungewisse Zukunft, die sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht weiter ausmalen wollte.

     Mr und Mrs Weasley betraten zuerst mit aufgeregtem Geschnatter die Küche, keine Minute später stürmte Tonks zusammen mit Shacklebolt den Raum, wobei sie Dädalus Diggel beinahe mit dem Zuschlagen der Tür die Nase zerdeppert hätte.

     „Dachte diese Umbridge lässt mich noch den gesamten See nach Dumbledore absuchen, hat fast angefangen zu heulen, so wütend war die!“, kommentierte Shacklebolt ungehalten und schob sich den Stuhl neben Remus zurecht – mh, da war er wohl schneller als Tonks gewesen, die offensichtlich denselben Gedanken gehabt hatte und nun enttäuscht zwischen Luciana und Shacklebolt Remus betrachtete (dieser hatte nicht einmal Kenntnis von ihrem Erscheinen genommen, denn er starrte weiterhin unaufhörlich seinen, mittlerweile sicher kalten, Tee an).

     Als Tonks nach einer Weile noch immer da stand und aussah, als würde sie mit alleiniger Willenskraft versuchen, die allgemeingeltende Physik auszuhebeln, um einen weiteren freien Platz neben Remus erscheinen zu lassen, stand Luciana seufzend auf, schlurfte grummelnd, unter dem Vorwand sich einen Tee zu genehmigen, Richtung Küchenzeile und ließ sich dann auf dem freien Stuhl neben Snape nieder. Na bravo, dafür kassierte sie sogleich eine hochgezogene Augenbraue von der Ex-Salzsäule … Dachte der Kerl jetzt wirklich, sie habe sich absichtlich neben ihn gesetzt, frei nach dem Motto, sie würde seine ach so unwiderstehliche Nähe suchen? Mit genervtem Blick deutete Luciana ein Kopfnicken Richtung Tonks an, die selbstverständlich nicht die Gelegenheit verpasst hatte, Lucianas Platz einzunehmen, um verzweifelt unaufhörlich Versuche zu starten, Remus Aufmerksamkeit von seiner Tasse auf sich zu lenken und dabei nicht einmal vor penetrantem Körperkontakt Halt machte. Selbst Snape konnte sich bei diesem Anblick ein leichtes Zucken seiner Mundwinkel nicht verkneifen und seine Körpersprache hielt ihr darauf auch keine weiteren Vorwürfe vor, die Unverschämtheit zu besitzen, als niederes Wesen in unmittelbarer Nähe an einer Tafel bei ihm Platz genommen zu haben.

     Mrs Weasley, die sich natürlich nicht damit abfinden konnte, einen Moment mit nichts beschäftigt zu sein, war gerade damit fertig geworden, jedem Anwesenden, der sich noch nicht selbstständig etwas zu trinken besorgt hatte, eine Tasse vor die Nase zu stellen und Getränke darin zu verteilen, als sich die Tür zu Küche ein weiteres Mal öffnete. In diesem Moment wurde es augenblicklich still im Raum – Dumbledore stand im Türrahmen, schaute mit seltsam zufriedener Miene in die Runde und setzte sich seelenruhig an seinen Stammplatz am Kopf des Tisches.

     Dann bat er, genauso ruhig, mit einem Lächeln auf den Lippen, Mrs Weasley um einen Earl Grey mit extra viel Milch und zwei Zitronenscheiben, kramte darauf, als die Tasse dampfend vor ihm stand, minutenlang in seinen Taschen herum (wovon er an seinen Gewändern eine Vielzahl zu haben schien). Nachdem er offenbar fündig geworden war, schmiss er eine Hand voll Klümpchen in seinen Tee (die verdächtig nach den Zitronenbrausebonbons aussahen) und schlürfte gekonnt den darauffolgenden Schaum aus seiner Tasse. Dass er die volle Aufmerksamkeit aller Leute auf sich hatte und jeder, ausnahmslos, gebannt in seine Richtung starrte, schien ihn dabei recht wenig zu kümmern. Erst als sich Mrs Weasley neben ihrem Mann niederließ und Snape im Gesicht schon lauter rote Flecken vor überstrapazierter Geduld bekam, fing Dumbledore an zu erzählen. Das hieß, die kurze und knappe Version der Ereignisse, die sich vor wenigen Stunden in seinem Büro zugetragen hatten und dabei ließ er all die ‚interessanten‘ Details aus, die Myrte in ihrer Erzählung so kunstvoll ausgeschmückt hatte.

     „Das wäre alles nicht passiert, wenn du den Kindern ehrlich gemeint diese Flausen mit diesem – diesem Verteidigungsclub ausgeredet hättest, Sirius!“, schnappte Mrs Weasley, nachdem Dumbledore seine Erzählung mit einem fröhlich klingenden „Und darauf habe ich meinen Posten als Schulleiter freigeräumt, aber keine Sorge, dies ist lediglich eine vorrübergehende Lösung“ geendet hatte. „Gar nicht auszudenken, was alles hätte passieren können, es ist alleine Dumbledore zu verdanken, dass Harry nicht gleich von der Schule verwiesen wurde! Und nur weil sie die Regeln gebrochen haben, hat Dumbledore seinen Posten als Schulleiter verloren – hast du dir mal überlegt, was das bedeutet? Nicht nur für Hogwarts, sondern für die ganze Zaubererwelt und, bei Merlin, ich wage es kaum auszusprechen“, Mrs Weasleys Schimpftirade wandelte sich, ihr wütendes Gesicht nahm Züge von Furcht an, als sie weiter sprach. „Früher oder später wird ihr-wisst-schon-wer herausfinden was passiert ist und … die Schule war für Harry immer nur solange sicher, wie Dumbledore auch dort war.“

     Black hatte diese Ansprache, die wohl nur teils an ihn persönlich gerichtet gewesen war, außergewöhnlich ruhig über sich ergehen lassen. Mrs Weasley und Sirius Black waren sich anscheinend noch nie wirklich grün gewesen. Das hatte Luciana nach kurzer Zeit im Orden durch Gespräche, Kommentare oder Blicke der beiden nebenher mitbekommen, allerdings hatte Mrs Weasley ihn niemals zuvor während einer Sitzung so offen kritisiert.

     „Voldemort wird es spätestens morgen erfahren, unter der Voraussetzung, er hat den Tagespropheten abonniert“, beantwortete Dumbledore die ungestellte Frage. Luciana hatte daraufhin ihre Probleme, sich den gefürchtetsten Schwarzmagier dieser Zeit am Frühstückstisch mit Kaffee und Marmeladentoast vorzustellen, wie dieser stinknormal die Zeitung von einer Tagespropheteneule entgegennahm und den Boten dann mit fünf Knuts wieder davon flattern ließ – da stellte sich doch gleich die Frage, wie sah dieser Schwarze Führer eigentlich aus? Groß, klein, dick, dünn, gutaussehend, oder eher unfallmäßig? Luciana konnte gerade eben noch dem Drang widerstehen, ihrem Sitznachbarn nach der Augenfarbe und Statur des Unsäglichen zu fragen, konnte sie sich doch sehr farbenfroh ausmalen, wie Snape auf solch eine Art von ‚unangebrachter‘ Neugierde reagieren würde.

     „… hat schon angekündigt, wie er den leeren Posten zu füllen gedenkt, die beiden hatten sich gerade über einen neuen Erlass besprochen, als ich dann endlich aufbrechen konnte.“

     Verdammt, Mist, so ein … Wieder einmal hatte sich Luciana so sehr von ihren eigenen Gedanken ablenken lassen, dass sie den weiteren Gesprächsverlauf nur halb mitbekommen hatte. Kaum hatte Shacklebolt seinen Satz geendet, sprach Remus das aus, was wohl alle am Tisch dachten – bis auf Luciana selbstverständlich.

     „Dolores Umbridge.“ Dabei hielt er seine Tasse so fest umschlossen, dass seine Handknöchel weiß hervortraten, ganz im Gegensatz zu seiner Stimme, die leise und resigniert klang.

     „Ja, ich fürchte Kingsley wird damit Recht behalten“, schnappte McGonagall empört auf. „Der Minister und – und diese Person haben doch nur auf solch eine Gelegenheit gewartet! Wenn die Angelegenheit mit der Verteidigungsgruppe nicht aufgeflogen wäre, dann hätten sie sich wer weiß was aus dem Spitzhut gezogen, um an den Schulleiterposten zu kommen!“

     Dumbledore nickte daraufhin, schien allerdings noch  immer wenig beunruhigt zu sein.

     „Ah, Minerva, da hast du einmal mehr deine Beobachtungsgabe unter Beweis gestellt – was nichts anderes bedeutet, als dass ich auf dieses Ereignis zugegebenermaßen nicht ganz unvorbereitet gewesen bin.“ Und wieder spannte er alle auf die Folter, indem er nach dieser Ansage erst einmal genüsslich seinen Tee weiter schlürfte. „Selbst wenn ich einige Zeit lang nicht persönlich in Hogwarts sein kann, Minerva ist weiterhin die stellvertretende Schulleiterin und auch Severus musste und wird seinen Posten nicht räumen.“

     Dieses Mal erntete Dumbledore einen nicht allzu freundlichen Seitenblick von Snape, was auch immer dies bedeuten sollte. „Harry und auch alle anderen Schüler werden hinter den Mauern der Schule so sicher sein, als sei ich noch immer anwesend – Voldemort hat sich in der Öffentlichkeit noch nicht zu erkennen gegeben und nun … es wäre kein besonders kluger Schachzug von ihm, plötzlich überstürzt zu handeln, daher mache ich mir in diesem Punkt keine großen Sorgen. Allerdings“, merkte Dumbledore an, hob dabei seine Stimme und blickte bedeutungsschwer in die Runde, „hat Molly in einer Angelegenheit etwas sehr Wichtiges erkannt – Voldemort wird nicht untätig bleiben, wenn auch verdeckt. Es wird nicht lange dauern und er wird versuchen Harry aus dem Schloss zu locken, um in den Besitz der Prophezeiung zu gelangen. Wir können dem nur etwas entgegensetzen, wenn die Mitglieder, die sich in seiner unmittelbaren Nähe befinden, ein, oder besser gleich zwei Augen auf ihn werfen.“

     Damit schaute er McGonagall und Snape über seine Halbmondbrille hinweg an und blieb letztendlich mit seinem Blick bei Luciana hängen. „Luciana, du hast die bessere Gelegenheit als Klassenkameradin auf Harry Acht zu geben. Und vergiss dabei bloß nicht, er darf keinen Verdacht schöpfen, ansonsten gibt es Sorge zur Annahme, er unternimmt wieder etwas … auf eigene Faust, wie die Muggel so treffend sagen.“

     Luciana schluckte bei der Vorstellung, Potter am Rockzipfel hängen zu müssen. Ihr Verhältnis hatte sich vielleicht im Gegensatz zum Anfang des Schuljahres minimal gebessert, aber dies schob sie eher auf Umbridge, frei nach dem Motto ‚Dein Feind ist mein Freund‘. Einmal ganz davon abgesehen, dass sie stark bezweifelte, sich, ohne großes Misstrauen zu erwecken, zwischen das eingeschworene Trio quetschen zu können. Nein, das war absolut unmöglich. Vielleicht sollte sie einfach Myrte um Mithilfe bitten? Die hätte bei ihrer Schwärmerei für Potter doch sicher nichts dagegen einzuwenden, ein wenig Stalker zu spielen. Moment, hatte sie da nicht etwas essenziell Wichtiges vergessen?

     „Ehm … Professor Dumbledore“, Luciana holte einmal ganz tief Luft, in dem Versuch ihre Gedanken zu ordnen. Wie sollte sie das jetzt am besten sagen? Angriff war doch manchmal die beste Verteidigung … „Ich glaube, das könnte etwas schwierig werden … also das mit dem zwei Augen drauf werfen, wenn ich gar nicht in Hogwarts bin …“

     „Wieso solltest du nicht da sein?“, kam es prompt von Dumbledore.

     „Nun ja … also … ES, eh, Umbridge … das heißt …“

     „Eine halbwegs vollständige Satzkonstruktion sollte hin und wieder selbst bei Ihnen möglich sein?“, zischte Snape ihr entgegen und zu ihrem eigenen großen Ärgernis lief sie puterrot an.

     „Als wir aus dem Übungsraum der DA liefen, hat Umbridge mich mit ein paar Slytherinschülern“, dabei ließ Luciana das Wort ‚Slytherinschülern‘ in Richtung Snape wie ein besonders schweres Kriminaldelikt klingen, „erwischt – und – eigentlich hatten die mich schon umstellt, und, na ja, ich bin nur entkommen, weil ich der Ollen ins Gesicht gespuckt hab und der Schrecken darauf schien ES, ehm sie, für ein Moment außer Gefecht gesetzt zu haben. Aber … ich denke, dafür kassier ich unter Garantie nen Rauswurf.“

     Professor McGonagall schien mit sich selbst zu ringen, hin und her gerissen, ob sie wegen dieser schweren Respektlosigkeit gegenüber einer offiziellen Autoritätsperson von einer ihrer Gryffindorschülerinnen nun empört sein sollte, oder sich freuen, weil dieser Unmensch wenigstens ein wenig Strafe bekommen hatte? Dumbledore nahm den Blick nicht von Luciana, schien dabei allerdings mehr in Gedanken, als sie wirklich anzusehen.

     „Mach dir da mal keine Sorgen“, Luciana wandte den Kopf zu Shacklebolt, der da saß und zufrieden mit seinen Händen knackste. „Umbridge hat den Vorfall erwähnt, freute sich aber schon feierlich darauf, Ihnen eine … wie sagte sie noch gleich? ‚Spezielle‘ Bestrafung zukommen zu lassen. Fudge meinte zwar auch, du solltest der Schule verwiesen werden, aber diese Umbridge war der festen Überzeugung, eine bessere Lösung parat zu haben.“

     Luciana starrte Shacklebolt weiterhin an, ihre Brauen zogen sich dabei zusammen.

     „Und weswegen grinsen Sie jetzt so?“, platzte es aus ihr heraus – dies ließ wenigstens das Grinsen auf Shacklebolts Gesicht verschwinden.

     „Ich dachte das sei gut, immerhin hast du keinen Rauswurf kassiert.“

     Okay, der Kerl konnte es vielleicht gar nicht besser wissen. Dumbledore schien nun auch wieder zufrieden, nur Snape musterte Luciana mit einem seiner undefinierbaren Blicke – sie hätte Enttäuschung erwartet, da zum wiederholten Mal die Gelegenheit vertan war, sie von der Schule fliegen zu sehen, aber er sah sie an als … war da wirklich eine Spürleinchen von Sorge in seinen Augen? Ein paar Sekunden hielten sich ihre Blicke, dann schauten beide zeitgleich in eine andere Richtung, in ihrem Fall die Tischplatte, der sie auch gleich unheilvoll ein „Spezielle Strafe“ entgegenmurmelte.

 

Die Anschläge hingen schon, als Professor McGonagall Luciana nach der Sitzung zurück  zum Gryffindorturm geleitet hatte. Es waren so viele an der Anzahl, dass Luciana während des Vorbeilaufens immer wieder genug lesen konnte, um sich den gesamten Text zusammenreimen zu können, der wie folgt lautete:

 

PER ANORDNUNG DES ZAUBEREIMINISTERIUMS

 

Dolores Jane Umbridge (Großinquisitorin) hat die

Nachfolge von Albus Dumbledore als Leiterin der

Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei angetreten.

 

Obige Anordnung entspricht dem Ausbildungserlass

Nummer achtundzwanzig.

 

Unterzeichnet:

Cornelius Oswald Fudge, Zaubereiminister

 

Oh ja, wenn das mal keine Megaschlagzeile für die morgige Tagesprophetenausgabe sein sollte – nein, korrigierte sie sich selbst, bis zum Aufstehen waren es nur noch knappe drei Stunden, die heutige Ausgabe war unter Garantie schon in Druck – gab es in der Zaubererwelt eigentlich so etwas wie eine Zeitungsdruckerei, oder gab es einen großen Raum mit Reihen voller Zauberer, die die Seiten per Zauberstab mit den Artikeln versahen? Vielleicht sollte sie sich wirklich erkundigen, ob es eine Ausgabe von ‚Zauberwelt für Dummies‘ oder Ähnliches auf dem Markt gab.

     McGonagall hatte sich recht wortkarg und in Gedanken versunken von Luciana verabschiedet und sie vor dem Portrait der Fetten Dame stehen lassen, die vor lauter Schwatzens mit einer Bildnachbarin, die sie gerade zum Besuch auf ein Gläschen gemalten Ölfarbencognac hatte, eine ganze Weile überhaupt keine Kenntnis von Luciana zu nehmen schien.

     Im Gemeinschaftsraum angekommen, machte sie sich erst gar keine Mühe für die nicht einmal drei verbleibenden Stunden Schlaf zu finden. Die Ereignisse des letzten Tages und dieser Nacht schwirrten ihr noch nicht ganz verarbeitet im Kopf herum und so saß sie bis zu den ersten kläglichen Sonnenstrahlen des Morgens auf ihrem Stammsessel (ganz links vom Kamin, wenn dieser nicht, wie so oft, von penetranten Zweitklässlern belagert wurde) und bereitete das Protokoll der Ordenssitzung für ihren Paten vor.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

     

Die prophezeite Riesenschlagzeile blieb aus. Ersatzweise hatte Luciana beim Betreten der Großen Halle zum Frühstück fast der Schlag getroffen, als sie an ihrem Platz eine bereits aufgeschlagene, aktuelle Ausgabe der Tageszeitung vorfand, auf der zu allem Überfluss eine dampfende Tasse Kaffee bereitstand – und weit und breit keine Spur des Wohltäters. Lediglich ein paar Frühaufsteher aus dem Hause Ravenclaw und Hufflepuff bedienten sich an den beladenen Platten mit Speck, Toast, Rührei und was sonst noch fettreiches auf dem standard-britischen Morgenbuffet anzufinden war.

     Ansonsten war hier keine Menschenseele (von den ein zwei Hausgeistern einmal abgesehen, aber die mussten so oder so niemals schlafen) – aber dort am Lehrertisch stand eine einsame Tasse, dort, wo Professor Snape zu sitzen pflegte. Luciana ging kurz der Gedanke durch den Kopf, dass er derjenige hätte sein können, der ihren Platz mit Zeitung und Kaffee präpariert haben könnte, aber selbst in dieser kurzen Vorstellung klang alleine die Annahme furchtbar lächerlich. Eher konnte sie sich vorstellen, Dumbledore wäre, rein aus Gewohnheit, wie in den letzten was-wusste-sie für etlichen Jahren, zum Frühstück spaziert, hatte sich sein Marmeladen-Tomaten-Toast mit einer Tasse Zitronenbrausebonbonmilchearlgreytee genehmigt und wäre dann wieder verschwunden, als sei er nicht auf der Flucht vor dem Ministerium.

     Auf der vierten Seite, neben Kleinanzeigen und Nachrufen, war eine kurze und knappe Mitteilung des Ministeriumssprechers (Percy Weasley) verfasst worden, in dem bekannt gemacht wurde, dass Albus Dumbledore seinen Posten als Schulleiter in die Hände des Zaubereiministeriums gegeben habe. Dann eine kleine Auskunft darüber, wer als Nachfolger den Posten belegen würde, und zwar ES und das war es. Kein warum, kein wie oder was und vor allem keine ausführliche Schilderung der actionreichen Show, wie Dumbledore einer Verhaftung entgangen war. Nun, irgendwie schien dies auch naheliegend – der Minister würde sich sicher nicht freiwillig die Blöße geben und zugeben, dass er und seine Angestellten nicht in der Lage waren, den Schulleiter der britischen Zauberschule in Gewahrsam zu nehmen.

     Und wieder wurde Luciana aus ihren Überlegungen gerissen, dieses Mal, weil etwas auffällig Pinkes in ihrem rechten Augenwinkel aufblitzte – dabei zog sich ihr Magen ganz automatisch zusammen, denn ihre unterbewusste Warnleuchte hatte zurecht Alarm geschlagen. ES trippelte, mit höchst zufriedenem Gesichtsausdruck, in die Große Halle, schnurstracks auf dem Weg zum Lehrertisch. Ihre innere Stimme, Miss Vernünftig, schrie ihr entgegen endlich den Blick zu senken, um bloß keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch dafür war es schon zu spät. Und darauf reagierte ES mit etwas, was nicht hätte fruchteinflößender sein können … ES schenkte Luciana ihr zuckersüßestes Lächeln, nickte ihr freundlich zu und tat nichts. Rein gar nichts, platzierte ihr unförmiges Hinterteil lediglich auf Dumbledores Stuhl, der im Gegensatz zu denen der restlichen Lehrer weitaus prunkvoller und größer war. Dieser Schulleiterstuhl in Kombination mit Dumbledore hatte immer ein sehr anmutendes Bild abgegeben, der pinke Sado-Plüsch wirkte darauf hingegen … grotesk.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

An diesem Tag ein Auge, pardon, zwei Augen auf Potter zu werfen, gestaltete sich als ein beinahe unmögliches Unterfangen. Dieser hatte sich nach dem Frühstück vor Zauberkunst zwar auf ein fünfminütiges Gespräch über die gestrigen Ereignisse mit ihr eingelassen, aber nachdem Luciana seine Fragen nach Dumbledores Verbleib und der Ordenssitzung nur mit Ausflüchten und Halbwahrheiten beantworten konnte, war er ihr, wie sie fand dickköpfig, beleidigt und eingeschnappt, aus dem Weg gegangen. Außerdem wurde Potter in jeder unterrichtsfreien Minute von allen möglichen Schülern belagert, die, sensationsgeil, wie sie nun mal allesamt waren, ihn auszuquetschen versuchten, da er der einzig erreichbare Augenzeuge der Dumbledore-Flucht-Aktion gewesen war (das Mädchen, welches sie bei ES angeschwärzt hatte und auch anwesend gewesen war, lag auf der Krankenstation – auch wenn die Leichenhalle sicher ein besserer Aufbewahrungsort für sie gewesen wäre).

     Auf dem Weg zurück von Kräuterkunde war es Ernie Macmillan, ein Hufflepuff in Lucianas Jahrgang, der sich die Geschichte von Potter (selbstverständlich plus Granger und Ronald Gefolge) höchstpersönlich vortragen ließ. Luciana beobachtete dieses Gespräch bis zu dem Punkt, an dem Granger eine kleine Hasstirade über ES zum Besten gab, in einer Wortwahl, die sie ihr niemals im Leben zugetraut hätte – denn genau in diesem Moment erschien Malfoy im nächstgelegenen Türrahmen, neben ihm seine Bodyguards, doch da war es schon zu spät für Warnungen:

     „Wie steht’s, Granger, willst du diesen Satz tatsächlich zu Ende bringen?“ Dabei strahlte er schadenfroh. „Fürchte, ich muss Gryffindor und Hufflepuff ein paar Punkte abziehen.“

     Ah ja, Vertrauensschüler, die hatten ja ernsthaft das Recht Hauspunkte abzuziehen. Na das konnte ja lustig werden.

     „Du kannst anderen Vertrauensschülern keine Punkte abziehen, Malfoy“, erwiderte Macmillan. Mh, das war ihr bislang unbekannt gewesen. Wieder dazu gelernt.

     „Ich weiß, dass Vertrauensschüler sich gegenseitig keine Punkte abziehen können, Wieselkönig“, hä? Sprach der jetzt mit Macmillan oder Weasley? „Aber Mitglieder des Inquisitionskommandos-„

     Wie bitte was??

     „Des was?“

     Danke, Granger.

     „Des Inquisitionskommandos, Granger“, antwortete Malfoy und wies dabei auf ein kleines, silbernes ‚I‘ auf seinem Umhang, auf dem auch schon sein Vertrauensschülerabzeichen prangte. „Eine ausgewählte Gruppe von Schülern, die das Zaubereiministerium unterstützen, handverlesen von Professor Umbridge. Jedenfalls haben Mitglieder des Inquisitionskommandos die Befugnis, Punkte abzuziehen … also, Granger, das macht fünf Punkte für dich, weil du dich frech über unsere neue Schulleiterin ausgelassen hast. Macmillan, fünf weg, weil du mir widersprochen hast. Fünf, weil ich dich nicht leiden kann, Potter. Weasley, dein Hemd hängt raus, also noch mal fünf dafür. Ach ja, hab ich ganz vergessen, du bist ja `ne Schlammblüterin, Granger, zehn Abzug dafür.“

     „Sportlich, Malfoy, alle Achtung“, sagte Luciana und kam aus ihrem Beobachtungsposten, gleich neben einer Rüstung zum Vorschein. „Dieses … wie war das noch gleich? Ah, Inquisitionskommando …mh, hört sich das nur in meinen Ohren ein wenig affig an? – spar dir den Punkteabzug für gleich, dann brauchst du mich nicht ständig unterbrechen – also, gehe ich Recht der Annahme, dass dieses Kommando ausschließlich aus Schülern aus Slytherin besteht?“

     Malfoy wechselte auf diese Frage hin ein paar Blicke mit Crabbe und Goyle, dann erschien ein schiefes Grinsen auf seinem Gesicht. Nun, das war Antwort genug.

     „Super, weißt du, ich denke ich spreche im Namen aller Nicht-Slytherins, wenn in diesem Schuljahr der Verleihung des Hauspokals nicht ganz so viel … Gewichtung beigemessen wird, wie üblich – immerhin ist das doch ein Wettkampf und wenn dabei so offen Korruption betrieben wird und dann noch das viele Cheaten … ich weiß nicht, das ist ja wie Doom zocken im Gott Modus, wenn du verstehst was ich meine?“

     Nein, natürlich verstand der Bengel da vor ihr nicht mal die Hälfte von dem sie sprach.

     „Ich will damit nur sagen, dass wir auf deinen Punkteabzug ehm … wie sag ich das am besten? Ah ja, scheißen. Kompensier dein verkrüppeltes Ego ruhig weiterhin mit bedeutungslosem Punkteabzug, wenn du meinst, es würde dein armseliges Dasein ein wenig aufwerten.“

     Für einen kleinen Moment war das Grinsen bei Malfoy verschwunden, aber dieser plumpe Angriff hätte doch ohne Schwierigkeiten bei ihm für eine komplette Verstimmung sorgen müssen? Also wieso grinste der Schleimbeutel weiter vor sich hin?

     „Bradley, was für ein Zufall, dass wir dich hier treffen“, sagte Malfoy nach einer ‚Kunstpause‘ und kam einen Schritt auf sie zu (was ihm seine Bodyguards gleichtaten). „Du sollst uns begleiten, Anweisung der Schulleiterin, will dich wohl dringend sprechen.“

     Schlecht. ‚Spezielle‘ Bestrafung. Sehr schlecht.

     Luciana schluckte. Konnte man den kalten Schweiß schon sehen, der sich auf ihrer Stirn ausbreitete? Wieso musste sie auch immer die größte Klappe raushängen lassen, wenn sie einen Moment später sowieso im schlimmsten Schlammassel steckte? Potter, Granger, Ronald und Macmillan sahen sie mitleidig an, dabei wussten die vier nicht einmal von ihrer gestrigen Spuckaktion, ansonsten würden sie sicherlich ganz andere Gesichter machen – zum Beispiel panikhaft kreischend?

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

   

Aus irgendeinem Grund hatte ES nicht das ehemalige Büro von Dumbledore bezogen – das Inquisitionskommando lieferte Luciana vor ihrem alten ab, welches genauso scheußlich und brechreizerregend wie eh und je zu sein schien. Mit dem einzigen Unterschied, dass sich nun ein übergroßes Holzschild auf dem Schreibtisch von ES befand, auf dem mit goldenen Lettern das Wort SCHULLEITERIN geschrieben stand. Ja, und hinter dem Tisch, an der Wand, waren drei Flugbesen befestigt, mit Ketten. Ernsthaft. Davon durfte sie niemals George und Fred erzählen.

     „Vielen Dank, Mr Malfoy“, säuselte ES und schien die beiden anderen Slytherins dabei erst gar nicht zu bemerken. „Das ging ja schneller, als erwartet. Zehn Punkte für Slytherin, Sie können gehen.“

     Die Tür hinter Luciana wurde geschlossen, was nichts anderes bedeuten konnte, als dass sie nun allein war, mit ES, in ihrem Territorium. Nicht, dass Malfoy ihr eine Hilfe gewesen wäre, aber trotzdem war das Gefühl jetzt, ganz ohne Aufsicht und vor allem ohne Augenzeugen mit ES in einem Zimmer eingesperrt zu sein, beängstigend.

     „Setzen“, sagte ES knapp, sah von ihrem rosa Pergament auf, das sie gerade bekritzelt hatte und deutete auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. Luciana setzte sich zögerlich, ließ dabei keine Bewegung von ES außer Augen. „Ich denke wir müssen den kleinen Vorfall von gestern besprechen, meinen Sie nicht auch, Miss Bradley?“ ES lächelte sie an, doch ihre Augen sprachen eine vollkommen andere Sprache.

     „Sie meinen?“ Luciana hatte sich spontan dazu entschlossen, den Bluff-Weg einzuschlagen. Nicht die beste Idee, denn ES Gesicht verzog sich augenblicklich zu einer wutverzerrten Grimasse.

     „Ich werde diese respektlose Unverschämtheit nicht noch einmal wiederholen, Sie wissen sehr genau wovon ich rede!“ Nachdem ES somit ein Fünkchen ihres wahren Ichs hervorgeholt hatte, setzte sie nun wieder ihr ewig zufriedenes Grinsen auf. „Was meinen Sie, welch eine Bestrafung wäre für Sie angemessen?“ Rhetorische Fragen brauchte man nicht beantworten und so saß Luciana der neuen Schulleiterin schweigend gegenüber und war schon genug damit beschäftigt, ihrem schwammigen Blick nicht auszuweichen.

     „Wissen Sie was das hier ist?“, fragte ES dann und deutete auf eine gelbe Akte, die aufgeschlagen neben ihren rosa Pergamenten lag.

     „Sieht nach einer Akte aus.“

     „Ihre Akte, Ihre. Als Schulleiterin habe ich nämlich endlich das Recht in alle Unterlagen der Schule und deren Schüler Einblick zu haben.“ Damit blätterte ES demonstrativ ein paar Seiten darin um und drückte dann mit ihrem Wurstzeigefinger auf eine ganz bestimmte Passage, „Sechshundertundzweiundvierzig Mal den Erlass zur Vernunftgemäßen Beschränkung der Zauberei Minderjähriger, 1875, Abschnitt C und Abschnitt 13 des Geheimhaltungsabkommens der Internationalen Zauberervereinigung gebrochen. Hätte das Zaubereiministerium zum Anfang dieses Schuljahres Bestimmungsrecht in Schulangelegenheiten gehabt, wären Sie selbstverständlich gar nicht erst aufgenommen worden. Aber so …“, ES seufzte theatralisch auf. „Wissen Sie, ich hatte bislang nicht das Gefühl, dass Punkteabzug oder Strafarbeiten wirklich wirksam bei Ihnen sind. Kinder wie Sie eines sind, kommen glücklicherweise nicht allzu häufig vor, aber ich denke selbst Sie kann man mit den richtigen Mitteln wieder zurechtrücken. Sie wollen doch sicher ein brauchbares Mitglied der Zauberergesellschaft werden, nicht wahr?“

     Dieses Gespräch nahm eine Wendung an, die Luciana überhaupt nicht mehr zu deuten vermochte. Nur das Gefühl, dass sie sich in unmittelbarer Gefahr befand, wollte einfach nicht von ihr abrücken. Was auch immer ES vorhatte, es hatte unter Garantie nicht ansatzweise mit regulären, pädagogischen Maßnahmen zu tun. Umbridge war jetzt in der Position sie von der Schule zu schmeißen, also wieso tat sie es nicht? Für einen kurzen Moment war Luciana selbst versucht ES den Vorschlag zu unterbreiten, nur um endlich aus diesem Raum zu kommen. Aber sie tat es nicht – ob aus dem Grund, weil ihr die Schule mittlerweile ein wenig ans Herz gewachsen war, sie ohne ihre ZAG’s vermutlich eine Haftstrafe absitzen musste, oder aber, (und diesen Gedanken schoss sie mit einem gepfefferten Arschtritt sofort wieder in die dreckigen Katakomben ihres Bewusstsein, wo er hergekommen war) weil sie einen gewissen Zaubertrankprofessor vermutlich nie mehr im Leben zu Gesicht bekommen würde, da mit einem Rauswurf wahrscheinlich auch die Beendigung ihrer Mitgliedschaft im Orden besiegelt sein würde –

     „Vielleicht möchte ich das, ja.“

     „Dann sollten wir bei Ihrem Problem anfangen, Anordnungen richtig zu verstehen.“ Und damit zog ES eine Schublade von ihrem Schreibtisch auf und legte einen gusseisernen, vielleicht dreißig Zentimeter langen Gegenstand auf den Tisch. Luciana hatte gerade ausmachen können, worum es sich bei diesem Ding handelte, da hatte sich ES auch schon in Bewegung gesetzt und war gerade dabei aufzustehen.

     „D-das ist ne Kneifzange!“, schnappte Luciana panisch und rutschte samt Stuhl ein Stück zurück. „Was haben Sie damit vor?“

     „Sie haben mir doch gerade eben zugestimmt, Miss Bradley und wie ich sagte“, ES nahm die Zange vom Tisch und schritt, noch immer ein Lächeln auf den Lippen, wenn auch ein wenig irre wirkend, weiter auf sie zu, „wir sollten bei Ihrem schlechten Gehör anfangen.“

     „A-aber was ist denn mit meinem … meinem Gehör?“

     Wieder rückte sie ein Stück weiter weg, doch ES stand schon beinahe direkt vor ihr.

     „Na na, Sie werden doch zugeben müssen, dass Sie sich an keine meiner direkten Bitten an Sie gehalten haben. Oder wollen Sie mir weiß machen, Ihre Ohren haben dafür nicht ein wenig Strafe verdient?“

     War dieses Weibsstück vollkommen übergeschnappt? Was hatten ihre Regelverstöße und Unverschämtheiten mit ihren Ohren in Kombination mit einer Kneifzange zu t- Scheiße … scheiße, scheiße, scheiße … Lucianas Blick glitt zur Tür, dann wieder zu ES.

     „Ich hab kein Problem mit meinem Gehör, ich habe Sie wirklich gut verstanden und - hey!!“ ES schien unbeeindruckt von Lucianas Erklärungsversuchen und hatte die Zange schon geöffnet, das Grinsen wurde immer breiter. „Noch nen Schritt und dann hol ich mal mein Werkzeug raus und selbst das wird nix dagegen sein, wenn mein Pate erfährt, was Sie hier treiben!“, sagte Luciana mit erhobenen Finger, für einen kurzen Moment hielt ES inne – nur um noch ein Stückchen breiter zu grinsen.

     „Das hört sich ja beinahe nach einer Drohung an, tss!“, quiekte ES vergnügt. „Ihr Pate verkehrt mit Halbmenschen wie Vampiren und Werwölfen, bin ich da richtig informiert?“ Jaja, Queen der Rhetorik, worauf wollte die Alte hinaus? „Sehen Sie, ich habe schon einmal ein Gesetz in Kraft treten lassen, welches den Werwölfen die Einstellung an einem Arbeitsplatz, ja, unmöglich macht – wollen Sie wirklich daran schuld sein, wenn ich mich für ein weiteres einsetzen würde … wie zum Beispiel der Legalisierung von Vampirpfählungen?“

     Luciana ließ ihren Finger sinken, starrte ES aus ungläubigen Augen an, konnte jedoch nirgends ein Zeichen erkennen, dass diese es nicht ernst meinte. Und ihr eigener Stolz sollte nicht der Auslöser für noch mehr Diskriminierung dieser so genannten ‚Halbmenschen‘ führen.

     „Braves Mädchen“, kommentierte ES und drückte Luciana die Zange in die Hand. Und während diese in den nächsten Minuten vor einem Spiegel unter ES Anweisungen die Oberseite ihrer Hörmuschel ‚angemessen bestrafte‘ und bis auf die Hälfte herunter ‚knipste‘, hielt nur der eine Wunschgedanke sie davon ab, einfach davon zu laufen – vielleicht würde sich die Tür öffnen und Snape würde hereinplatzen. Dieser Gedanke war weder logisch, noch konnte sie genau sagen, wieso gerade dieses Bild sie durchhalten ließ, immerhin war es vollkommen egal wer genau ES einen Strich durch ihre krankhaften Bestrafungsmethoden machte. Aber vor ihrem Auge war es genau er. Und er kam nicht.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Nach der zweiten ruhelosen Nacht machte sich der Schlafmangel der letzten achtundvierzig Stunden selbst bei Luciana bemerkbar – in ihrem Alter, so wie Johnny es immer formulierte, sollte dies eigentlich kein großes Problem darstellen. Allerdings handelte es sich dieses Mal nicht um eine wochenendübergreifende Party, bei der reichlich Alkohol geflossen war.

     In der vorletzten Nacht waren es endlose Adrenalinschübe und ausführliche Ordensgespräche gewesen, in der letzten hatte sie sich vor unterdrückter Wut und Schmerzen nicht zum Einschlafen bringen können. Sie war ein Seitenschläfer, aber wie sollte man sich auf die Seite legen, ohne dabei mit einem Ohr das Kissen zu berühren? Als ES sie am gestrigen Abend nach gefühlten etlichen Stunden aus ihrem Büro entlassen hatte, war Lucianas erster Weg das Klo der Maulenden Myrte gewesen – und selbst dieser sonst so schadenfrohe Geist, dessen Ableben aus nichts weiterem als Jammern und Lästern bestand, hatte geschlagene zwei Stunden auf sie eingeredet, um sie dazu zu bewegen, den Krankenflügel aufzusuchen. Und um ehrlich zu sein, Luciana hätte nichts lieber getan – wäre da nicht dieser seltsame Kommentar von ES gewesen, die zum Abschied etwas davon gesagt hatte, sie solle sich erst gar nicht die Mühe machen, Linderung bei der Schulheilerin zu suchen, da es ihr als Schulleiterin möglich war, jede Art von Personal zu entlassen. Und selbst wenn sie Madam Pomfrey aufgesucht hätte, Luciana hatte ihren Zweifel, was den Nutzenfaktor anbelangte. Eine der stärksten Heilungstinkturen, von der sie immer ein Fläschchen dabei hatte und die ihr auch beim ersten ‚Nachsitzen‘ bei ES schon gute Dienste geleistet hatte, half rein gar nichts – nein, das war nicht ganz korrekt, wenn man genau sein wollte, hatte das Auftragen genau dieser Tinktur die Sache noch schlimmer gemacht. Eine normale Kneifzange war das auf jeden Fall nicht gewesen, eher modifiziertes Werkzeug, an dem sich ein besonders talentiert sadistischer Zauberlehrling ausgelassen hatte.

     Und so saß Luciana am Mittwochmorgen, abgesehen von den üblichen Frühaufsteherverdächtigen, alleine in der Großen Halle, mit zerzaustem, offenem Haar (üblicherweise trug sie einen Zopf, alleine schon aus praktischen Gründen, aber mit dem Trümmerfeld, was mal ihre Ohren dargestellt hatte, konnte sie sich nicht unter ihre Mitschüler und Lehrer wagen, ohne dabei ein Heiden Aufsehen zu erregen) und schlürfte ihren Kaffee, der schon den zweiten Tag in Folge wie von Zauberhand an ihrem Platz auf sie gewartet hatte.

     Der Vormittagsunterricht zog sich dahin, wie allerfrischstes, mundwarmes Hubba-Bubba-Kaugummi, Wahrsagen hatte Luciana wieder einmal für ein kleines Nickerchen auf bettweichem Moosklassenbelag genutzt (dieses Mal sogar mit geschlossenen Augen und ohne fremde Stimmen zu hören, welch eine willkommene Abwechslung), auf dem Weg zum nächsten Unterricht waren ihr George und Fred über den Weg gelaufen, die äußerst guter Laune schienen.

     „Morgen Luciana, siehst ja aus wie der frische Frühling!“

     „Danke, Fred.“

     „Kannst uns sogar mit halb geschlossenen Augen auseinander halten, ich zeige mich schwer beeindruckt, Madame!“

     „Das is nich schwer, ihr habt doch völlig verschiedene Stimmen.“

     Daraufhin sahen sich die Zwillinge mit verstörtem Blick gegenseitig an und begangen irgendein Zaubererschlaflied zu singen, um ihre Stimmen miteinander abzugleichen (dass es sich hierbei um ein spezielles Schlaflied für Zauberer handeln musste, konnte sie selbst mit ihrer Aufmerksamkeit auf äußerster Sparflamme erkennen, zumindest bezweifelte Luciana, dass Muggel in Britannien ihre Zöglinge mit ‚Sauberwisch flieg, der Vater ihn bestieg, die Mutter hat ihn abgebrannt‘ und so weiter in den Schlaf zu singen pflegten).

     „Nein, haben wir nicht“, befanden beide gleichzeitig, als sie auf dem Treppenabsatz zum zweiten Stockwerk angelangt waren.

     „Hattest nicht mal die Zeit dir die Haare zu machen, oder hast deine Bürste nicht gefunden? Aufrufezauber sollen da sehr hilfreich sein, habe ich gehört.“

     Daraufhin bekam George lediglich ihren besten ‚Halt den Mund, sonst setzt es was‘ Blick ab.

     „Ich habe mir die Haare gekämmt, heute Morgen, direkt nach dem Aufstehen, damit du’s weißt! Aber wenn’s euch nicht passt, ich werd mir gleich nach dem Unterricht die nächstbeste Kneifzange besorgen und auch meine Haare bis auf die Kopfhaut trimmen, dann steht auch keins mehr davon außer Reih und Glied, ZUFRIEDEN?!“, keifte Luciana los und stampfte dabei wutschäumend die nächsten Treppenstufen nach oben. Die Zwillinge waren derweil stehen geblieben und starrten sie mit großen Augen an – und auch wenn Freds darauffolgender Kommentar sicher nicht für ihre, sondern Georges Ohren bestimmt gewesen war, das geflüsterte „Da hat jemand seine Tage“ hätte sie beinahe dazu gebracht, den Rückwärtsgang einzulegen und ihm mit bloßen Händen den Hals umzudrehen.

     „Ach Luciana?“ Fred.

     Diese drehte sich langsam, sehr langsam wieder zu den Jungs um, mit einem seligen, breiten und eingefrorenen Lächeln auf den Lippen.

     „Ja bitte?“

     „Jetzt wird sie langsam echt gruselig“, flüsterte George seinem Bruder zu.

     Tiiief einatmen, das hast du nicht gehört …

     „Sie zu, dass du zum Mittagessen in der Großen Halle bist“, sagte Fred.

     Luciana hob eine Augenbraue.

     „Vielleicht ist sie von Snape besessen?“

     „George, ich kann dich hören …“, sagte Luciana. „Wieso sollte ich in der Großen Halle sein?“

     „Du weißt doch, unser Plan vom eigenen Laden“, riss Fred die ellenlangen Gespräche über den Zauberscherzartikelladen an. Luciana nickte. „George und ich haben beschlossen, diesen Weg ein wenig früher als geplant einzuschlagen – jetzt, wo Dumbledore nicht mehr an der Schule ist, werden wir der neuen Schulleiterin … ein bisschen einheizen.“

     Aus irgendeinem Grund ließ diese Ankündigung bei Luciana alle Alarmglocken aufheulen.

     „Jungs, ihr wisst, dass mit der Ollen nicht zu scherzen ist?“

     „Haben wir miteinbezogen“, kam es gleichzeitig.

     „Gut, dann nehmt bitte folgenden Rat ernst: Macht mit dieser verkrüppelten Fotze, was ihr wollt und denkt nicht mal dran, euch dabei Samthandschuhe anzuziehn – aber wenn sie euch erwischt, dann solltet ihr Plan Z in der Tasche haben … und zwar wie ihr in Schallgeschwindigkeit Minimum eine Staatsgrenze zwischen euch und den Sado-Plüsch bringt, das würd ich an eurer Stelle ernsthaft beherzigen, vor allem, wenn ihr ne Familienplanung für eure Zukunft in Betracht zieht.“

     Mit diesen Worten machte Luciana auf dem Absatz kehrt, nur um in der nächsten Doppelstunde Verwandlung die vermutlich schlechteste Arbeitsleistung der Geschichte Hogwarts abzulegen. Selbstverständlich blieb dies bei ihrer Hauslehrerin nicht unbemerkt und so musste sie sich nach dem Unterricht auf ein Vier-Augen-Gespräch mit Professor McGonagall (einer äußerst meckernden mit Ratschlägen-um-sich-schmeißenden McG) einlassen.

     Es kostete sehr viel Wortgewandtheit und Überredungskunst diese davon zu überzeugen, dass diese Unterrichtsstunde lediglich ein Einzelfall sei und Luciana sich in der nächsten unter Garantie viel mehr anstrengen würde und das dies rein gar nichts mit der zusätzlichen Ordensarbeit zu tun habe. So kam es allerdings, dass sich der Grund, wieso sie sich um die Mittagszeit in der Großen Halle befinden sollte, gleich hier im Verwandlungsklassenraum offenbarte. Das hieß, Luciana und McGonagall hörten die Knalle und Schüsse, als sie ihr Gespräch schon fast zum Ende gebracht hatten und erst, als sie aufgrund der ungewöhnlichen Geräuschkulisse Richtung Treppenhaus eilten, breitete sich das gesamte Ausmaß dieses Lärms vor ihnen aus. George und Fred hatten offenbar ihr ‚ES einheizen‘ mit einem kleinen Feuerwerk eingeleitet, das sie mitten im Schloss losgelassen hatten. Ein riesenhaftes, pinkes Feuerrad schoss gerade zwischen Luciana und McGonagall in dem Gang vorbei, als diese im ersten Stockwerk angelangt waren.

     Ohrenbetäubende Raketen in allen Farben, Formen und vor allem Größen, flogen durch die Luft, verbreiteten sich mit schimpfwörterschreibenden Wunderkerzen in jedem Winkel des Schlosses und auch wenn Luciana bei dieser unbeschreiblichen Dezibel Zahl beinahe der Kopf explodierte, war das Bild, welches eine verzweifelte Schulleiterin in Begleitung von dem Hausmeister abgab, wie die beiden durch die Gegend liefen und mit allen Mitteln versuchten, dieses Inferno einzudämmen (mit Zaubersprüchen gegen die Leuchtkörper anzugehen machte es allerdings nur noch schlimmer), einfach Balsam auf der Seele.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Irgendwann, nach einer schier endlosen Ewigkeit, hatte Luciana den Unterricht für diesen Tag hinter sich gebracht, ihre Tasche mit all den Unterlagen (und vor allem nicht gemachten Hausaufgaben) in eine Ecke ihres kleinen Zimmers gepfeffert und lag nun seit einer geschlagenen Stunde auf ihrem Bett, mit dröhnenden Kopfschmerzen und pochenden Ohren. Seit heute Morgen hatte sie sich die offenen Wunden nicht mehr angeschaut und auch eben war sie schnurstracks an ihrem Spiegel vorbeigelaufen, ganz nach dem Motto, wenn sie dem Problem keine Beachtung schenkte, wäre es auch gar nicht da. Natürlich klappte es nicht. Und so setzte sich Luciana seufzend in ihrem Bett auf, ignorierte den aufkommenden Schwindel (der sicher nicht nur von den Kopfschmerzen oder Schlafmangel herrührte, immerhin hatte sie schon wieder das Mittagsessen verpasst – sie sollte sich wirklich endlich mal erkundigen, wo genau die Schulküche lag) und stellte sich dann zögernd vor die kleine, dunkelbraune Kommode, in der ein Spiegel eingelassen war.

     „Ich will keinen Ton hören!“, warnte sie diesen mit erhobenem Finger und ließ sich auf den Stuhl vor dem Möbelstück nieder.

     „Ich habe dir schon heute Morgen was dazu gesagt“, kam prompt von dem Spiegel, mit einer Stimme, die einer Drag-Queen auf der Reeperbahn gleich kam.

     Vorsichtig schob sie ihre Haare zurück und ließ dann mit einem Wink ihres Zauberstabs zwei Öllampen an der Wand an.

     „Heiler.“

     „Sagte ich grad nicht was von kein Ton?“

     „Trotzdem Heiler.“

     „Ich reiß dich gleich von der Kommode und tausch dich mit nem Handelsüblichen aus!“, knurrte Luciana – es hatte eine Weile gedauert, bis sie sich an das sprechende, oder viel mehr kommentierende Spiegelbild gewöhnt hatte, allerdings musste sie zugeben, das Roger, wie er sich ihr vorgestellt hatte, manchmal recht amüsant sein konnte und in manchen Fällen sogar hilfreich. Und auch wenn sie es gerade nicht hören wollte, der Spiegel hatte nicht ganz Unrecht.

     „Sieht nicht so toll aus, mh?“, seufzte sie und ließ ihr Haar wieder über die nässenden Wunden gleiten.

     „Heiler.“

     „Ich hab’s schon beim ersten Mal verstanden, die sehen vielleicht nicht mehr so brauchbar aus, aber ich kann immer noch hören!“

     „Ja, jetzt vielleicht. Das wird in ein paar Tagen anders aussehen.“

     „Ich hab dir heut Morgen schon gesagt, dass ich nicht zu Pomfrey kann – was meinst du, kann ich da nicht selbst was dran machen?“

     „Kindchen, ich bin ein Spiegel und nicht die Beratungsstelle des St. Mungo!“

     „Haben die in Hogsmeade so was wie nen Heiler?“

     „Und auch nicht das MGS.“

     „Das was??“

     „Magische Gelbe Seiten, Kindchen, einfach nicht zu fassen, so einen ahnungslosen Schüler hatte ich seit mindestens hundertfünfzig Jahren nicht.“

     Luciana überhörte diesen Kommentar geflissentlich und grübelte weiter. Wenn es für sie keine Option war in den Krankenflügel zu gehen, oder sich an ihren Paten zu wenden, wen konnte sie noch –

     „Snape …“

     „Kindchen, sag mal, ist dir mal aufgefallen, dass du in letzter Zeit häufig von ihm sprichst – damit meine ich häufig häufig, wenn du verstehst was ich-„

     „Nein, ich meine Snape kann mir helfen! Er ist Zaubertranklehrer und wenn einer weiß, wie man ‚Kriegswunden‘ behandelt, dann sicher er!“

     „Ich bitte dich, Kleines, solch ein ungehobelter Bube ist mir in meiner gesamten Stehzeit in Hogwarts nicht untergekommen – erst letztes Jahr, als ich oben auf dem Dachboden stand, hat mir Bathilda – ganz armes Ding, wird langsam blind, dabei ist sie aus so perfektem Eichenholz geschnitzt – wo war ich? Ah genau, Bathilda hat fast ein ganzes Jahrzehnt bei dem Professor verbringen müssen, was da für Geschichten bei heraus gekommen sind, allein beim Gedanken kratzt mir das Glas!“

     Luciana hatte dem Geschwätz von Roger keine weitere Beachtung geschenkt, sie war schon dabei ihre Schuluniform mit Jeans und Pullover zu tauschen, sich zur Sicherheit eine Schachtel Zigaretten in die Hinterntasche zu stecken und ihren Zauberstab im Hosenbund zu verstauen.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Doch in den Kerkern fand sie nicht das Bild vor, welches sie erwartet hatte. Ganz und gar nicht. Die Tür zu Snapes Büro stand einen Spalt offen, dahinter war kein noch so kleinstes Geräusch zu vernehmen, nur das Licht, welches in dem Raum zu brennen schien, ließ vermuten, dass sich der Zaubertranklehrer in seinen Räumen befinden musste.

     Zögerlich klopfte Luciana gegen die Holztür, welche bei den Erschütterungen nachgab und in das Büro hineinschwenkte. Mit ihrer Vermutung hatte sie richtig gelegen, jemand befand sich in dem Raum – allerdings handelte es sich bei diesem Jemand nicht um Professor Snape. Erst als Luciana ein paar Schritte in das Büro gegangen war, konnte sie die Person ausmachen, die über dem Schreibtisch gebeugt, mit dem Kopf in einer Denkariumsschale, dastand und sich keinen Millimeter bewegte.

     Sie schaute sich rechts und links um, noch immer keine Spur von Snape – auch die Tür zu seinen Privaträumen war verschlossen und am Rahmen zeichnete sich auch kein Lichtstreifen ab. Was also machte Potter in Snapes Büro, mit dem Kopf in Snapes Denkarium getaucht, ohne Professor Snape? Mit einem Mal kam Luciana in den Sinn, dass heute der Tag war, an dem Potter Unterrichtsstunden in diesem Okklu-Dings bekam. War dies Teil des Unterrichts? Erinnerungen in einem Denkarium anschauen? Sollte dieses Okklu-was-auch-immer nicht den Geist verschließen und vorm Eindringen schützen? Und war Luciana nicht gerade eben auf dem Weg in die Kerker einer Gruppe Slytherins begegnet, die sich lautstark darüber unterhalten hatten, dass ein gewisser Montague von einem Verschwindekabinett verschluckt worden sei, nun in einem Klo steckte und ES ihn ohne Snapes Hilfe wohl nie herausbekommen würde?

     Nun ja, bei ihrem übermüdeten Geist machte sie sich nicht die allergrößten Vorwürfe erst so spät eins und eins zusammen gezählt zu haben: Offensichtlich hatte Potter jetzt gerade eine seiner Privatstunden bei Snape, dieser schien sich dann um einen seiner Hausschüler kümmern zu müssen und – ja was machte Potter dann hier?

     Luciana trat noch ein wenig näher, umrundete den Schreibtisch und blieb unmittelbar neben dem kopflosen Harry stehen. Das Denkarium bestand aus einer flachen, steinernen Schale, an dessen Rand Runen und Symbole eingraviert waren. Luciana kannte diese magischen Gegenstände aus Deutschland, Gabriel besaß ein solches Exemplar, allerdings bestand sein Denkarium aus Messing und nicht aus Stein. Sie dienten zur Aufbewahrung von Gedanken und Erinnerungen, die man Mithilfe eines Zauberstabs aus seinem Kopf in die Schale abgeben konnte – Luciana hatte diese Dinger schnell schätzen gelernt, denn sie konnten sehr hilfreich sein, wenn man zum Beispiel einer wichtigen Unterrichtsstunde nicht wirklich aufmerksam gefolgt war – dann legte man die Erinnerung an diese einfach in die Schale und schaute sich das Gelaber des Lehrers noch einmal an.

     Wie genau man eine Erinnerung so detailgenau abrufen konnte, der man selbst lediglich im Halbschlaf gefolgt war, wusste sie nicht – aber darauf kam es auch nicht an, solange es funktionierte. Und gerade in diesem Augenblick wühlte sich Potter durch Snapes abgelegte Erinnerungen, bei denen Luciana sich kaum vorstellen konnte, dass sie für seine Augen bestimmt gewesen waren.

     Dies hinderte sie jedoch nicht daran, selbst einen Blick auf die Oberfläche, oder was neben Potters Kopf noch davon übrig war, zu werfen und gerade am Rand konnte sie einen jüngeren Snape mit nicht ganz so mürrischem Gesicht erkennen, wie er neben einer schwarzhaarigen Hexe in einem Wohnzimmer saß, den Kopf zwischen seinen Schultern hängend, sehr betrübt dreinblickend – dann ruckten die Köpfe von dem Erinnerungssnape und der Hexe (die Luciana aus irgendeinem Grund bekannt vorkam) in eine bestimmte Richtung des Raumes, Snape sprang von der Couch auf, auf der er Platz genommen hatte und redete auf einen, für Luciana nicht ersichtlichen Punkt ein. Sie hatte genug gesehen, um sagen zu können, dass es sich um eine sehr private Erinnerung ihres Professors handeln musste und auch wenn sie selbst fast vor Neugierde umkam, machte sich ein nagend schlechtes Gewissen in ihr breit. Potter hatte nicht das Recht in Snapes Geist einzudringen, schlimm genug, dass die Gedanken in der Zaubererwelt unter Umständen alles andere als frei waren. Und so gab sie sich einen innerlichen Ruck, packte ihren Klassenkameraden an der Schulter und zog ihn mit einer Bewegung aus dem Denkarium heraus. Potter stand verwirrt vor ihr, brauchte einen Moment, bis er sich seiner momentanen Umgebung bewusst wurde, erkannte dann anscheinend wen er da neben sich stehen hatte und öffnete seinen Mund, wohl um zum Sprechen anzusetzen. Was er hatte sagen wollen, würde Luciana wohl nie erfahren – just in diesem Moment peitschte eine Stimme durch den Raum, die markerschütternder nicht hätte ausfallen können:

     „Macht’s Spaß?“

     Im Türrahmen stand Snape, der allerdings in dieser Position und mit diesem Gesichtsausdruck wie der Sensenmann höchstpersönlich aussah – Luciana Herz setzte temporär aus, bevor es wie wild in ihrer Brust anfing zu schlagen. Selbst das Pochen ihrer Ohren war für einen Augenblick verschwunden, in dem Snape Schritt für Schritt näher an Potter und sie herantrat. Sie konnte sich sehr gut ausmalen, was Snape gerade dachte, beziehungsweise, wie die Situation für ihn aussehen mochte. Zwei nervtötende Gryffindorsschüler, die sich in seiner Unbeliebtheitsskala seit Monaten um die höchste Platzierung rangelten, standen ohne Aufsicht oder Berechtigung in seinem Büro, unmittelbar vor dem Gefäß, in dem sich die vermutlich privatesten Erinnerungen seiner Selbst befanden. Schlecht. Sehr schlecht. Luciana war beinahe so weit, sich in das Büro der Schulleiterin zu wünschen.

     „Nun …“, setzte Snape an, seine Lippen bebten, das Blut war scheinbar völlig aus seinem Gesicht gewichen, seine rechte Augenbraue zuckte unmerklich – und war das da tatsächlich eine Ader auf seiner Stirn, die hervortrat? Okay, das war neu – und gefiel ihr überhaupt nicht. „Nun … gut amüsiert?“

     Luciana und Potter schüttelten beinahe zeitgleich den Kopf, keiner von beiden wagte es auch nur einen Ton heraus zu bringen.

     „Reichte wohl nicht die Show alleine zu genießen, Potter, haben sich gleich ein wenig Gesellschaft geholt?“

     Wieder schüttelte Luciana den Kopf, dieses Mal energischer.

     „Sir, ich wollte nur-„

     „Sie halten Ihren Mund!“, zischte Snape zwischen zusammengebissenen Zähnen und kam direkt neben Potter zum Stehen. Es sah ganz so aus, als müsse er sich sehr beherrschen nicht rohe Gewalt anzuwenden.

     „Sie werden niemanden erzählen, was Sie gesehen haben!“, schrie Snape Potter und ihr entgegen.

     „Nein, nein, natürlich n-„, stotterte Potter vor sich hin und wich dabei Schritt für Schritt von Snape ab – Luciana blieb an Ort und Stelle stehen.

     „Raus hier, raus, ich möchte Sie nie mehr in diesem Büro sehen!“

     Ob diese Aussage nur für Potter galt, oder auch für sie, konnte Luciana nicht ganz bestimmen. Während Harry seine Beine in die Hand nahm und in Null Komma Nichts das Büro verließ, bewegte sie sich weiterhin keinen Millimeter – ganz zu Snapes Missfallen.

     „Sir, ich hab doch gar ni-„,

     „DAS gilt auch für Sie, Miss Bradley, RAUS!“

     Luciana hatte Professor Snape in den letzten Monaten mehr als nur einmal wütend gesehen, sehr und verdammt wütend, aber das war nichts im Vergleich zu dem Zustand, in dem er sich jetzt befand. Allerdings war es ihr sehr wichtig, dass er nicht in dem falschen Bewusstsein sterben musste und sie ewig im Gedächtnis als kleines, neugieriges und hinterlistiges Etwas behielt. Immerhin hatte sie die Contenance bewiesen und sich bewusst dagegen entschieden unerlaubt in seinen Erinnerungen spazieren zu gehen und dies sollte er verflucht nochmal erfahren!

     „Ich wollte Sie nur um Hilfe bitten und bin zuf-„

     Diese Widerworte waren dann wohl doch etwas zu viel gewesen. Snapes zu Schlitzen verengten Augen weiteten sich, dabei packte er blitzschnell ihren Oberarm und zerquetschte diesen mit einer Kraft, die man seiner Statur niemals zugetraut hätte.

     „Ver-schwinden-Sie!“

     Sein Gesicht war nur noch eine Handbreite von ihrem entfernt.

     „Aber Sir, ich-„

     Dieses Mal wurde Luciana weniger verbal von Snape unterbrochen – nein, er hatte sie vielmehr mit aller Wut von sich gestoßen, so dass sie sich ein gutes Stück von ihm entfernt auf dem Kerkerboden wiederfand.

     Okay. Beleidigungen, Punkteabzug, Strafarbeiten, höhnische Bemerkungen und abfällige Blicke, damit konnte sie leben. Aber das ging zu weit. Definitiv zu weit.

     Mit einer Bewegung rappelte sich Luciana vom Boden auf, lief, zu Snapes Erstaunen, wie sie seinem Blick entnehmen konnte, nicht in die entgegengesetzte Richtung zur Tür hinaus, sondern direkt auf ihn zu und dann PATSCH – landete ihre flache Hand schwungvoll und überaus präzise platziert auf Snapes linker Wange.

     „Sie wagen es!“, platzte es aus ihr heraus, die Zornesröte war ihr schon auf dem Fußboden ins Gesicht gestiegen, nun hatten sich ihre Brauen zusammengezogen, ihr Zeigefinger fuchtelte wild vor Snapes Nase herum und ihre gesamte Körperhaltung strahlte ‚sehr angepisstes Weibsstück‘ aus - am liebsten hätte sie ihm einen gehörigen Tritt in seine Weichteile verpasst – nun, das musste sie jetzt wohl verbal kompensieren: „Ich bin nur runter gekommen, weil ich Ihre Fachkompetenz zu Rate ziehen wollte und find dann ne offene Tür samt Potter in IHREM Denkarium vor, dann bin ich noch so freundlich und zieh den Herrn aus ihrem Gedankenwust raus, um IHRETWILLEN UND SIE LASSEN MICH NICHT MAL ZU WORT KOMMEN UND WENDEN DANN NOCH GEWALT AN?! Echt, DAS muss ich mir nicht geben!“ Mit diesen Worten stakste Luciana erhobenen Hauptes von dannen, ließ Snape, der seit der Ohrfeige perplex und mit halb offenem Mund da stand, an Ort und Stelle stehen und knallte beim Verlassen seines Büros scheppernd die Tür, nicht ohne vorher ein lautes „Wichser“ vernehmen zu lassen. Eher würde sie es in Kauf nehmen Taub durch ihr restliches Leben zu laufen oder an einer Blutvergiftung abzunippeln, als diesen Bastard noch einmal um Hilfe zu bitten!

  

 



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