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Luciana Bradley und der Orden des Phönix

von

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Legilimentik

Legilimentik

 

MASSENFLUCHT AUS ASKABAN

MINISTERIUM BEFÜRCHTET, BLACK KÖNNTE

„MAGNET“ FÜR VORMALIGE TODESSER SEIN

 

Das Zaubereiministerium gab gestern am späten Abend bekannt, dass es zu einer Massenflucht aus Askaban gekommen ist.

     Zaubereiminister Cornelius Fudge bestätigte, im Gespräch mit Reportern in seinem Privatbüro, dass zehn Hochsicherheitsgefangene gestern in den frühen Abendstunden ausgebrochen sind und er bereits den Premierminister der Muggel von der Gefährlichkeit dieser Personen unterrichtet habe.

     „Wir befinden uns leider in der gleichen Lage wie vor zweieinhalb Jahren, als der Mörder Sirius Black gefl-

 

     „Miss Bradley?“ Die Tagesprophetenschlagzeile war plötzlich verschwunden. Stattdessen starrte Luciana nun in die zu Schlitzen verengten Augen von Professor Snape. Eigentlich hatte sie sich nur ihre allmorgendliche Tasse Kaffee am Lehrertisch abholen wollen, aber als sie die Kanne am äußersten Rand des Tisches ergriffen hatte (die nur dann nicht genau vor Snape stand, wenn dieser entweder überhaupt nicht gut auf sie zu sprechen war, oder aber, wenn er in Ruhe seine Zeitung lesen wollte – heute schien es eine Mischung aus beidem zu sein), war ihr Blick an der Titelseite in den Händen ihres Tränkeprofessors hängen geblieben. Und so lag sie nun, mit ihrem kompletten Oberkörper, auf dem Lehrertisch, ihren Kopf auf den Händen abgestützt und fischte mit Daumen und Zeigefinger nach dem Tagesblatt und versuchte es so wieder in ihr Blickfeld zu ziehen.

     „Ich war noch nicht fertig mit Lesen!“, kommentierte sie ihr Tun – jedoch hielt Snape die Zeitung so fest umklammert, dass sie keine Chance hatte, wieder an den Artikel zu kommen, ohne die komplette Seite zu zerreißen.

     „Sie“, setzte er mit bedrohlich leiser Stimme an, „werden jetzt sofort an Ihren Platz gehen.“ Selbstverständlich bekam seine Gesichtsfarbe dabei einen ungesunden Farbton.

     „Aber Sie beschweren sich doch immer, ich sei nicht ausreichend informiert!“, protestierte Luciana. „Und dann mach ich das mal und es ist dem Herrn schon wieder nicht genehm …“

     „V-e-r-s-c-h-w-i-n-d-e-n  S-i-e!“, zischte Snape und beugte sich dabei über den Tisch – Luciana wich ganz automatisch ein Stück zurück.

     „Dann geben Sie mir doch wenigstens die Titelseite, da sind Sie doch eh mit fertig.“

     Seine Nasenflügel bebten und sie machte sich schon auf ein Donnerwetter gefasst – stattdessen sagte er nur schlicht und ergreifend: „Nein!“

     Luciana hob eine Augenbraue, stellte sich wieder gerade hin und ließ ein verächtliches Pffh hören, dann: „Garantiert Einzelkind!“

     Die Zeitung, hinter der Snape wieder verschwunden war, knallte mit einem Scheppern auf den Tisch. „Sehen wir mal …“, meinte er und machte dabei ein extra nachdenkliches Gesicht, „das sind zehn Punkte Abzug“, Luciana rollte mit den Augen, „und DAS ist eine Strafarbeit bei Mr Filch, morgen Abend, Punkt sechs Uhr. Und“, sie war gerade dabei gewesen, auf dem Absatz kehrt zu machen, blieb stehen und wartete ungeduldig, „ich werde ihm natürlich ausrichten, dass Sie dieses Mal eine Arbeit verrichten, bei der keine allergieauslösenden Mittel eingesetzt werden müssen – zum Beispiel Froschgedärme ausspülen?“ Snapes Lippen umspielten ein schadenfrohes Grinsen.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Das Ärgerlichste an der ganzen Sache war, dass den ganzen Tag, selbst innerhalb der Unterrichtsstunden, über kaum ein anderes Thema, als den Ausbruch der Todesser aus der vermeintlichen Hochsicherheitsfestung Askaban geredet wurde. Sie hätte den Artikel überhaupt nicht lesen brauchen, da er in den schillerndsten Farben und unterschiedlichsten Versionen dutzendfach von den anderen Schülern auf den Gängen, in der Bibliothek, im Gemeinschaftsraum oder in den Klassenräumen wiedergegeben wurde.

     Das Ministerium behauptete demnach, die Todesser seien Mithilfe von dem angeblichen Todesser Sirius Black geflohen und dieser sei nun eine Art Führer dieser ungemein gefährlichen Truppe. Dazu schienen einige ihrer Mitschüler, die von Kindesbeinen an die Geschichte um Voldemort und seine Gefolgsleute zu hören bekommen hatten, genauso viel Angst vor diesen entkommenen Todessern zu haben, wie vor dem Schwarzen Führer selbst. Immer wieder fiel der Name Bellatrix Lestrange, die irgendwelche Verwandte von Longbottom so schwer gefoltert haben musste, dass diese bleibende Gesundheitsschäden davon getragen hatten (um welche Art von Folgeschäden es sich dabei handelte, konnte sie sich nach dem letzten Auftritt von Longbottom im Kerker denken). Diese Lestrange schien zudem auch noch Blacks Cousine zu sein. Augustus Rookwood hatte Insiderinfos aus dem Zaubereiministerium an Voldemort weitergetratscht, Antonin Dolohow war wegen Mordes verurteilt worden – mehr Namen hatte sie nicht herausfinden können. Gerüchte gingen umher, die Geflohenen seien in Hogsmeade gesichtet worden und würden planen, wie Black einst in die Schule einzubrechen (obwohl Luciana sich einfach nicht zusammenreimen konnte, was Todesser in Hogwarts zu suchen hatten – nach jahrelanger Gefangenschaft wäre ein Einbruch in eine Bank doch sicherlich wesentlich naheliegender?). Zumindest nahm sie sich vor, Black bei der nächsten Gelegenheit zu fragen, was er nach seiner Flucht im Schloss zu suchen hatte.

     Das Interessante an diesem Tag waren jedoch nicht die Gespräche über die Nachricht an sich, sondern die Mutmaßungen ihrer Mitschüler, dass die Geschichte mit Sirius Black hinten und vorne nicht zu passen schien. Die Stimmen wurden immer lauter, dass ‚der-dessen-Name-nicht-genannt-werden-darf‘ oder auch ‚du-weißt-schon-wer‘ in diese Aktion verstrickt sein musste und einige fragten sich sogar, ob die Behauptung Potters, der Schwarze Führer sei im letzten Sommer zurückgekehrt, nicht doch der Wahrheit entsprach.

     Warum allerdings die Lehrer auf den Korridoren miteinander tuschelten und sofort verstummten, wenn sie einen Schüler erblickten, konnte sich Luciana zunächst nicht wirklich zusammenreimen. Diese Frage wurde ihr jedoch am nächsten Morgen beantwortet, als sie einen neuen Anschlag an dem schwarzen Brett des Gemeinschaftsraumes vorfand:

 

PER ANORDNUNG DER GROSSINQUISITORIN

VON HOGWARTS

 

Hiermit wird es den Lehrern verboten, den Schülern

irgendwelche Informationen zu geben, die nicht eindeutig

mit den Fächern zu tun haben, für deren Lehre sie

bezahlt werden.

 

Obige Anordnung entspricht dem Ausbildungserlass

Nummer sechsundzwanzig.

 

Unterzeichnet:

Dolores Jane Umbridge, Großinquisitorin

 

Zugegebenermaßen, Luciana war über diese Dreistigkeit und offenkundiges Mundtot machen empört. ES war ein Monster, keine Frage, sadistisch noch dazu – aber dass ein solches Gesetz überhaupt möglich und nicht verfassungswidrig war, einfach unglaublich und ungeheuer … rückständig. Und selbst die Lehrer schienen sich dem fügen zu müssen. Zwei von ihnen, dieser riesenhafte Hagrid und Trelawney, Lehrerin für Wahrsagen, waren jetzt schon auf Bewährung … was das im Klartext hieß? ES inspizierte jede, also wirklich jede Unterrichtsstunde bei diesen Lehrern. Wie auch immer ES das mit ihrem eigenen Lehrplan in Einklang bringen konnte – Luciana hatte zeitweise den Verdacht, diese Ausgeburt der Hölle gab es in mehrfacher Ausführung … oder sie brachte es irgendwie fertig, an zwei Orten zur selben Zeit zu sein.

     Im Allgemeinen hatte sie in den letzten Wochen das starke Gefühl, vor den Weihnachtsferien und jetzt, kurz danach, noch mehr Lebensqualität, als ohnehin schon in dieser vermaledeiten Schule eingebüßt zu haben – seitdem Snape sie vor dem Myrte-Klo nach dem Rauchen erwischt hatte, war sie nicht mehr dort gewesen (einmal noch hatte sie es versucht und hatte sofort auf dem Absatz kehrt gemacht, als sie einen Berg schwarzer Stoffmassen über den Boden hatte schleifen sehen) und war so gezwungen zum Rauchen entweder durch das halbe Gebäude zu rennen (wie schon erwähnt, es war groß), um einen verwaisten Klassenraum oder eine unbeobachtete Ecke ausmachen zu können, oder sie musste auf die Ländereien um Hogwarts ausweichen – wenn die Schneemassen dies zuließen.

     Dazu kamen die vielen Hausaufgaben – nach dem Unterricht führte Lucianas Weg meist in die Bibliothek, die um diese Zeit und vor allem mit dem Aufsatzwahn von ES eh schon aus allen Nähten platzte, um diese zu erledigen. In ihrem speziellen Fall kamen die Wiederholungen der letzten Schuljahre noch hinzu, dann die Arbeit für den Orden (mittlerweile hatte Gabriel fast jeden Tag genug Neuigkeiten und Informationen, um sehr regelmäßig Post zu schicken).

     Und an diesem Abend sollte sie um Punkt sechs Uhr zur Strafarbeit bei Filch antreten. Wunderbare Aussichten. Luciana schaffte es gerade eben ein halbes Brot vom Abendessen auf dem Weg zum Büro des Hausmeisters zu verschlingen, um noch pünktlich vor seiner Tür zu stehen und zu klopfen. Nichts rührte sich. Sie versuchte es noch einmal. Wieder nichts. Selbst die energische Bearbeitung der Holztür mit ihren Stiefeln zeugte nicht von Erfolg.

     Eine Viertelstunde später (der Zeitraum, der auf ihrer alten, Nicht-magischen Schule dafür angesetzt war, auf einen Lehrer im Klassenraum zu warten und erst dann nachzufragen, wo dieser denn bleibe), nachdem sie es sich schon vor Filchs Büro auf dem Boden, mehr oder weniger, bequem gemacht hatte, erhob sie sich wieder.

     Mittlerweile war sie ziemlich angefressen. In dieser sinnlos verstrichenen Zeit hätte sie schon die Hälfte der Planeten des Orion-Gürtels nachschlagen oder den Verschwindezauber (mittlerweile waren sie bei Tieren von der Größe eines Ferkels angelangt) üben können. Ja, oder das nächste Kapitel der Theorie magischer Verteidigung für ES abschreiben … sie hätte bis jetzt so vieles machen können, anstatt auf das Handreinigen von Amphibiengedärmen zu warten. Und langsam schlich sich der Gedanke ein, dass Snape Filch gar nicht Bescheid gegeben hatte … Was, wenn er sich einen Spaß daraus machte, sie sinnlos durch das Schloss laufen zu lassen, auf der vergeblichen Suche nach Filch, nur um ihr im Nachhinein noch mehr Strafarbeiten aufbrummen zu können, weil sie diese hier nicht erledigt hatte? Ja, das hörte sich sehr nach der Logik ihres Tränkeprofessors an. Und das machte sie wütend. Sogar so wütend, dass sie sofort mit stampfenden Schritten Richtung Snapes Büro dahinraste und sich ihre Wut (die vielleicht nicht hundertprozentig mit dieser speziellen Situation zu tun hatte, aber sei’s drum, es gab kein besseres Ventil, als Professor Snape) von Meter zu Meter ins unermessliche steigerte.

     Diese Kopflosigkeit brachte sie dazu, die Türklinge zu Snapes Büro mit brutalem Griff herunterzudrücken, nicht einmal an ein Klopfen zu denken und die Tür dann sehr schwungvoll aufzustoßen – diese traf auf ein Hindernis, mit einem lauten Dumpf schob sie was auch immer zur Seite und dann, keine vier Schritte von ihr entfernt, nahm Luciana flüchtig Snape war, wie er mit hocherhobenen Zauberstab vor seinem Schreibtisch stand und just in diesem Moment dabei war, einen Zauber in genau ihre Richtung abzuschießen –

     „Legilimens!“

     Schwärze.

 

*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*

 

Der Grund unter ihrem Körper war hart und kalt – dies war das Erste, was sie registrierte. Dann drangen Stimmen an ihr Gehör … erst klangen sie dumpf, als sei ihr Kopf unter Wasser getaucht. Nach und nach wurden sie klarer, bis sie wieder ganze Wörter und Sätze hören und diese auch verarbeiten konnte.

     „… ist passiert? Sie haben geschrien, Sir!“

     „Und schon wieder mischen Sie sich in Angelegenheiten, die nicht Ihre sind – gehen Sie da weg, ich mach das!“

     Irgendwie kam ihr die zweite Stimme unglaublich bekannt vor. Als sei dies die Einzige aus einem Pulk, schon immer da gewesen. Lucianas Bewusstsein kämpfte sich Stück für Stück in die Realität zurück, in ihre starren Glieder kam wieder Bewegung. Ihre Augen öffneten sich und der Ursprung dieser ‚einzig wahren Stimme‘ schaute mit verbissener Miene durch den Vorhang fettiger, schwarzer Haare auf sie hinab, vielleicht eine halbe Armlänge von ihrem Gesicht entfernt.

     „Sie verfolgen mich …“, murmelte Luciana und stützte sich zum Aufstehen mit beiden Armen vom Boden ab.

     „Miss Bradley, Sie sind in mein Büro geplatzt. Da drängt sich doch die Frage auf, wer hier wen verfolgt“, erwiderte Snape mit erhobener Augenbraue, begab sich von seiner knienden in eine stehende Position und reichte ihr dann seine ausgestreckte Hand (Luciana wären bei diesem Anblick beinahe ihre Augäpfel flöten gegangen). „Haben Sie Ihr Serum dabei, oder muss ich mit dem Vorrat aus dem Tränkeklassenraum aushelfen?“, fragte er und half ihr tatsächlich auf die Beine (sie hatte für einen kurzen Augenblick angenommen, das sei reiner Sarkasmus gewesen, oder er hätte sie zumindest auf halben Wege ‚aus Versehen‘ fallen lassen). Für dieses plötzliche Herzrasen, welches bei ihr auftauchte, sobald er ihre Hand ergriffen hatte, fand sich eine schnelle und rationale Erklärung: Probeliegen auf dem kalten Fußboden in Verbindung mit zu schnellem Erheben, garantiert.

     Nun stand sie etwas desorientiert in Snapes Büro (dessen Besitzer ihre Hand in Schallgeschwindigkeit wieder losgelassen hatte, sobald sie wieder sicher mit beiden Beinen auf dem Boden gestanden hatte) und versuchte krampfhaft herauszubekommen, was eigentlich in den letzten paar Minuten geschehen war.

     Wie war das noch gleich? Sie hatte an diesem Abend eine Strafarbeit machen sollen, wegen Snape, aber doch nicht bei ihm? Ah, Filch war nicht aufgetaucht und sie hatte Snape deswegen zur Rede stellen wollen – sie hatte die Tür aufgestoßen … und dann?

     „Sollten wir sie nicht lieber zu Madam Pomfrey bringen? Sie sieht verwirrt aus … Sir.“

     Luciana wandte sich um und bemerkte erst jetzt, dass sie nicht mit Snape allein war. Potter stand direkt an der Tür und musterte sie eingehend.

     „Miss Bradley“, schnarrte Snape ungeduldig, „Serum?“

     Endlich schienen auch die restlichen ihrer Gehirnwindungen den Betrieb wieder aufgenommen zu haben.

     „Brauch ich nicht, Sir, mit mir ist alles okay!“

     Snape versuchte daraufhin scheinbar den Röntgenblick bei ihr anzuwenden.

     „Potter“, zischte er dann, was Luciana unwillkürlich ein Zucken entlockte, da er den Blick noch immer nicht von ihr genommen hatte, „die Stunde ist hiermit beendet. Montag, selbe Zeit. Und ich empfehle Ihnen, die Übungen vor dem Schlaf ernst zu nehmen, Ihre Leistungen sind nach wie vor erbärmlich.“ Erst bei seinen letzten Worten hatte Snape sich von ihr zu Potter abgewandt. Dieser blieb noch einen Moment an Ort und Stelle stehen, wohl unsicher darüber, ob er seine Hauskameradin in der Höhle der Schlange allein zurücklassen sollte – sein Blick huschte zwischen ihr und Snape hin und her. Letztendlich, als sie ihm mit einem angedeuteten Nicken zu verstehen gab, dass alles in Ordnung sei, drehte er sich um und beeilte sich, das Weite zu suchen.

     „Und was hat Sie dazu gebracht, unangemeldet und ohne um Einlass zu Bitten mein Büro zu betreten?“, fragte Snape und unterbrach so die eingetretene Stille, die zwischen ihnen entstanden war. Seltsamerweise hörte sich diese Frage nicht nach einer Einleitung für Punkteabzug, Strafarbeit oder einer Standpauke an, sondern lediglich … nach Interesse.

     „Ich sollte zu einer Strafarbeit zu Mr Filch gehen, sechs Uhr und – und naja, ich konnte ihn nicht finden, in seinem Büro war er auf jeden Fall nicht und da dachte ich, Sie machen sich einen Spaß daraus, mich eine Endlosrunde Such-den-verschollenen-Hausmeister spielen zu lassen und Sie …“, Luciana unterbrach ihren sinnfreien Redeschwall. „Nun ja, ich bin dann hierher gekommen um Ihnen … ehm, Bescheid zu sagen.“

     Ein Unwohlsein machte sich in ihr breit – Snape starrte sie, seitdem sie aus ihrer kurzen Bewusstlosigkeit erwacht war, fast unentwegt an und zu allem Überfluss mit einem Blick, den sie an ihm noch nie gesehen hatte. Zudem machte er dabei den Eindruck, ohne Unterbrechung in schwindelerregendem Tempo zu denken und zu denken. Dabei tasteten seine Augen ihr Gesicht derart intensiv und genau ab, dass sich langsam die Frage aufdrängte, ob es aus einem Barcode bestand.

     „Das ist also Okklumentik?“, fing Luciana nach noch mehr Gesichtsscanning und immer unangenehmer werdender Stille an, drauf los zu plappern. „Sie lassen einen Zauber ab und Potter muss versuchen dabei nicht aus den Latschen zu kippen?“

     Diese Frage schien endlich wieder Leben in den Körper des Professors zu bringen.

     „Sie haben nichts gesehen?“, fragte er mit zusammengekniffenen Augen und schien sehr verblüfft. „Keine Erinnerungen, Bilder oder etwas in dieser Art?“

     Hä?

     „Ehm – ich bin hier rein – Sie dann so Zauber Zauber – ich Schwarz – Bums – Boden. Den sollten Sie übrigens mal dringend wischen.“

     Snapes Augenbrauen zogen sich zusammen – allerdings schien er nicht ärgerlich zu sein (und dabei war sie gerade ohne jeden Zweifel über die Stränge geschlagen), er machte einen eher … nachdenklichen Eindruck. Und dann folgte wieder dieses Starren. Sie würde ihn gleich wüst und äußerst unschicklich beschimpfen, wenn er nicht auf der Stelle sein gewohntes Verhalten rauskramen würde! Und daraufhin, als Luciana ein besonders passendes Schimpfwort gefunden hatte, änderte sich der Ausdruck in seiner Mimik, ganz als sei ihm ein besonders helles Licht aufgegangen. Snape lief hinter seinen Schreibtisch, öffnete die dahinterliegende Tür und drehte sich zu ihr um.

     „Mitkommen!“, war seine knappe Anweisung – Luciana fiel so ziemlich alles aus dem Gesicht.

     „D-da rein?“, hauchte sie nur und starrte aus großen, kugelrunden Augen auf die geöffnete Tür, die, wie sie durch die Ordensreisen wusste, in seine Privatwohnung führte.

     Was zum Henker hatte Snape vor? Dieses Mal konnte es nicht um die Nutzung des Kamins gehen, außerdem war gar kein Treffen des Ordens für diesen Abend angedacht gewesen und dann dieses seltsame, untypische Verhalten von ihm … Dieser Kerl war einfach unberechenbar, zudem cholerisch, nachtragend, brutal, schadenfroh, herrschsüchtig und es gab einige Leute, die noch immer anzweifelten, ob er sich wirklich von dem Schwarzen Führer abgewandt hatte und – Moment mal! In diesem Raum gab es einen Aschenbecher! Luciana beeilte sich an Snape vorbei zu kommen, um das Wohnzimmer zu betreten – so viel zum Thema fremde Männer, Süßigkeiten und ominöse Mitfahrgelegenheiten.

 

     Snape schloss die Tür hinter ihr und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, sich zu setzen.

     „Tee?“

     Luciana, die unsicher und mit angespannter Körperhaltung auf der äußersten Kante der Sitzfläche des dunkelgrünen Samtsofas (abgesessener Samt) Platz genommen hatte, entkam nur ein gepresstes „Was?“

     „Ob Sie einen Tee möchten. Das ist ein heißes Aufgussgetränk, das aus unterschiedlichen Pflanzenteilen der Teepflanze zubereitet wird“, erwiderte Snape, der neben dem Sofa stand und auf sie hinabblickte, mit vollkommen neutralem Gesichtsausdruck. Sie war zu geschockt, um sich über diesen bissigen Kommentar aufzuregen und nickte nur langsam.

     „Schwarz?“

     Wieder ein Nicken. Snape verschwand darauf in einer der vier Türen, die von dem Wohnzimmer aus in die weiteren Räume führten.

     Okay, was ging hier vor sich? Was hatte er vor? Was machte sie hier – war das eine neue Art der Bestrafungsmaßnahmen? Hatte er sich in wochenlanger Kleinstarbeit Rache für das Keksdisaster ausgedacht? Oder hatte er ihr nur Tee angeboten um sie zu vergiften? Vielleicht mischte er dem Getränk auch Veritaserum bei? Luciana versuchte einen Blick in den Raum zu erhaschen, in dem er verschwunden war – aber egal wie sehr sie sich auf ihrem Platz auch verbog, mehr als eine angelehnte, fast schwarze Holztür konnte sie nicht sehen. Hier und da hörte sie ein Klappern, dann, es waren vielleicht fünf Minuten vergangen, kam Snape wieder in das Wohnzimmer, stellte eine Tasse auf den niedrigen, rechteckigen Tisch, der vor der Couch stand und setzte sich selbst in einen Sessel, ihr gegenüber. Mit einem Wink seines Zauberstabs entfachte er ein prasselndes Feuer im Kamin.

     Okay, das ging zu weit. Definitiv. Der Tee blieb vorerst unangerührt – und Snape hatte wieder mit dem Starren begonnen. Luciana faltete ihre Hände in ihrem Schoß zusammen und versuchte sich auf etwas Anderes zu konzentrieren – so unterzog sie den Raum einer genauen Inspizierung. Die Wand vor ihr, hinter Snape, in der die Tür eingelassen war, die in sein Büro führte, war über und über mit Regalen voller Bücher gestellt worden. Es waren derart viele darin, dass sie in jede erdenkliche Ecke gestopft worden waren und auch oben auf dem Regal stapelte es sich weiter. Zu ihrer Rechten befanden sich vier riesenhafte Fenster, die, oben abgerundet, bis ganz hinunter auf den Fußboden reichten – dies war ihr das letzte Mal, als sie durch dieses Wohnzimmer gelaufen war, gar nicht aufgefallen. Wahrscheinlich, weil an jenem Tag die dunkelgrünen Vorhänge zugezogen waren. Heute lagen die Scheiben offen dar und –

     „W-war das eine Meerjungfrau?“, schnappte Luciana geschockt und deutete auf eines der mittleren Fenster.

     „Möglich“, antwortete Snape und machte sich nicht einmal die Mühe, ihrem Blick zu folgen.

     „Die Kerker liegen im See?“, hakte sie dann weiter nach und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Snape.

     „Ja.“ Er atmete einmal tief ein. „Es wundert mich nicht, dass Sie dies nicht wissen, wo Sie doch keine Gelegenheit hatten, im ersten Schuljahr das Schloss über den Seeweg zu betreten. Dieser führt nämlich direkt in die Kerker.“

     Wo war die bissige Bemerkung? Wo blieb der Hohn und Spott über ihre Unwissenheit?

     „Ihrer Akte konnte ich entnehmen, dass Sie seit zwölf Jahren bei Ihrem Paten leben?“, fragte er darauf und dies klang … zu neutral. Und er hatte ihre Akte gelesen? Okay, das wunderte sie nicht – allerdings, dass er dies ganz offen zu gab.

     „Ehm, ja.“

     „Dort konnte ich jedoch keinerlei Verweis darauf finden, wo Sie vorher gelebt haben“, sagte er und es schien, als habe er diese Worte für seine Verhältnisse recht zögerlich ausgesprochen.

     „Sir, ich verstehe nicht ganz, was hat das mit –„

     „Beantworten“, zischte Snape gefährlich, „Sie mir die Frage.“ Ah, mit diesem Tonfall konnte sie doch wesentlich mehr anfangen. „Ihr Tee wird kalt.“ Damit weniger.

     Luciana griff zögerlich nach der Tasse und schnupperte, so unauffällig wie möglich daran.

     „Ich kann Ihnen versichern, dass ich nicht gedenke Sie zu vergiften.“ Snape hob amüsiert einen Mundwinkel an. „Allerdings ist Veritaserum geruchsneutral, somit müssten Sie diese Wahrscheinlichkeit miteinbeziehen.“

     „Ist denn Veritaserum drin?“ Lucianas Blick bohrte sich in seinen und so starrten sie sich eine Weile an.

     „Nein“, antwortete er dann schlicht und brach den Blickkontakt ab.

     „Okay, wer sind Sie und was haben Sie mit Snape gemacht?“ Dies meinte sie todernst.

     „Für Sie immer noch Professor - Sie haben meine Frage nicht beantwortet, Miss Bradley.“

     Und wieder war er die Neutralität in Person.

     „Ich habe bei meinem ursprünglichen Paten gewohnt, Gabriels Vater. Als er starb war ich sozusagen … mit in der Erbschaft inbegriffen … Professor.“

     Snape nickte.

     „Und dieser war wohnhaft in Deutschland?“, hakte er weiter nach, lehnte sich dabei sogar ein Stück weit nach vorne.

     „Ehrlich gesagt … hab ich keine Ahnung“, antwortete Luciana nach einer Weile wahrheitsgemäß und nahm nervös einen Schluck von ihrem Tee. Eine Wirkung, welche auch immer es gewesen sein könnte, blieb aus.

     Snape schien mit dieser Antwort weniger zufrieden, sah aber nicht unbedingt überrascht aus.

     „Geboren wurden Sie jedoch in England?“ Noch mehr Fragen – sie wollte in diesem Augenblick nichts lieber, als seine Gedanken lesen, herausfinden, woher dieses plötzliche Interesse an ihr kam, wo er doch selbst so gerne betonte, dass sie sich von ihm fernzuhalten hatte und ihre eigene Hauslehrerin mit außerunterrichtlichen Fragen nerven sollte. Auf der anderen Seite wusste sie sehr genau, Snape würde ihr nicht verraten, warum er dies alles wissen wollte – jedoch hatte er sicher seine Gründe, ansonsten würde er sich nicht so … unsnapeisch benehmen.

     Luciana seufzte … diese Frage-Antwort Runde könnte sich noch Stunden hinziehen und da waren immer noch die Berge an Hausarbeiten, die in ihrem Zimmer auf sie warteten.

     „31.10.1978 in London geboren, Eltern Henry und Evelyn Bradley, Vater Magier und Handelsvertreter, Mutter nicht-magisch und Hausfrau, beide in einem Hausbrand einundachtzig gestorben – ich kann Ihnen nicht mehr sagen, weil ich zu diesem Zeitpunkt zu jung war, um mich an irgendetwas zu erinnern. Und mein Pate kann mir nicht mehr sagen, als er weiß und das waren genau diese Informationen. Er hatte schon lange vor dem Tod seines Vaters keinen Kontakt mehr mit ihm.“

     Daraufhin schürzte Snape seinen Mund, rieb sich mit der Hand über sein Kinn und nickte dann. Ja, und seine Miene glich der Schweiz.

     „Nun gut Miss Bradley, Sie können jetzt in Ihren Turm zurückkehren“, sagte er dann und riss ihr, das weiß-nicht-wievielte-mal am heutigen Abend, den Boden unter den Füßen weg.

     „Aber Sir“, setzte sie an und erntete dafür einen scharfen Blick – worauf sie in diesem Moment herzlich wenig gab, „weswegen …“, nein, das war der falsche Ansatz. „Ich habe meinen Tee noch nicht ausgetrunken.“ Snape starrte sie einen Augenblick fassungslos an – dann sah sie ein leichtes Schmunzeln seine Lippen umspielen. Er forderte sie kein zweites Mal auf zu Gehen und Luciana begann sich zu fragen, ob sie seiner Aufforderung nicht doch lieber nachgekommen wäre.

     „Ausbildungserlass Nummer Sechsundzwanzig also“, sie hatte gerade die Teetasse vom Tisch genommen, als ihr dies in den Sinn kam und es auch gleich ausgesprochen hatte – Snape schnaubte darauf nur kurz. „Ist die Stimmung im Lehrerzimmer so mies, dass Sie und Ihre Kollegen schon auf die Flure ausweichen müssen, um ein ehrliches Wort miteinander sprechen zu können, Sir?“

     „Diese Frage haben Sie sich soeben selbst beantwortet“, meinte Snape darauf trocken. Unglaublich – sie hatte diese Frage mehr zu Testzwecken gestellt und tatsächlich, er war nicht in die Luft gegangen und saß noch immer sehr entspannt in seinem Sessel. Na dann, auf in die nächste Runde … Luciana kramte in Tasche, holte ein Päckchen Zigaretten zum Vorschein, steckte sich eine davon in den Mund, schielte dabei zu Snape hinüber und als sie keinen gezückten Zauberstab oder eine Gesichtsfarbe jenseits vom Blutdruck Hundertzwanzig zu Achtzig sehen konnte, zündete sie diese mit einem leichten Handwink an. Snape hob eine Augenbraue.

     „Sie beherrschen wortlose Handzauber?“, fragte er, dabei hatte sie den Eindruck, er sei ein klein wenig beeindruckt.

     „Nur den einen“, Luciana zog an ihrer Zigarette und achtete beim Auspusten darauf, nicht in seine Richtung zu zielen (man sollte den Bogen ja nicht überspannen), „und den hab ich auch nur hinbekommen, weil ich … ehm – ein wenig verzweifelt war.“ Und wieder zog er eine Augenbraue hoch, was auf snapeisch übersetzt heißen sollte: Erzählen sie weiter … ja, mittlerweile hatte sie seine Gesichtsmimik ganz gut verinnerlicht (nein, dies lag sicher nicht daran, dass sie ihn öfter als notwendig oder man es als ‚schicklich‘ bezeichnen konnte, ansah und fast schon akribisch begutachtete, sicher nicht). „Naja, vier Uhr morgens nach einer Party am Bahnhof, keinen Zauberstab dabei gehabt und keine Menschenseele weit und breit, Feuerzeug leer, aber eine volle Zigarettenschachtel dabei – und das mit dem Steine aneinander hauen hat’s irgendwie nicht gebracht und irgendwann … hat es einfach geklappt.“

     „Interessant“, dieses Wort betonte Snape besonders, „welch Kräfte der Geist freisetzen kann, wenn man seinem Körper den Suchtstoff entzieht“, spottete er und stellte den Aschenbecher, der auf dem kleinen Rundtisch neben seinem Sessel unter einem Buch vergraben war, vor Luciana auf den Tisch.

     „Interessant das von jemandem zu hören, der offensichtlich selbst zu dieser Sorte Mensch gehört … Sir.“

     „Sucht und Genuss sind zwei grundlegend verschiedene Dinge, Miss Bradley.“

     „Sagt der Mann, dessen Finger und Zähne ein nettes Nikotingelb angenommen haben – kommt ganz bestimmt vom bewussten Genießen …“

     Snapes Gesicht bekam Flecken, seine Hände ballten sich zu Fäusten -

     „Sie unverschämtes, pene-„

     „Na, jetzt aber bloß kein Punkteabzug, Miss Piggy könnte Wind davon bekommen, dass wir außerunterrichtliche Themen besprochen haben“, sie drückte die halb aufgerauchte Zigarette im Aschenbecher aus, „dann ist bald Lehrer Nummer Drei auf Bewährung und mal ehrlich, niemand kocht, eh, braut so schön Tränke wie Sie.“

     „Wollen Sie mir etwa drohen?“, zischte Snape gefährlich und war dabei von seinem Platz aufgesprungen.

     „Nein, ich wollte doch nur – HEY!“ Ah ja, Snape war wieder im Begriff ihren Arm zu packen und er zielte genau an die Stelle, die er immer zu zerquetschen pflegte – und so sprang auch sie von ihrem Platz auf. „Nicht immer DIESELBE Stelle, verdammt!“ Und mit diesen Worten lockerte sie ihren Krawattenknoten, zog die Krawatte über den Kragen, öffnete die ersten drei Knöpfe ihrer Bluse (Snape war in seiner Bewegung erstarrt, seine Augen wurden größer und größer) und zog dann, als er gerade seinen Mund öffnete, um etwas zu sagen, das Kleidungsstück soweit hinunter, dass auf ihrem Oberarm der fast perfekte Abdruck von der Hand ihres Tränkeprofessors erschien, in einem, mittlerweile dunklen Blauton.

     „Das“, und damit deutete sie auf den blauen Fleck, „ist vom Sonntag und verheilt nur, wenn Sie ihre Greiferchen bei sich behalten!“, sagte sie scharf, erhob einen Finger in seine Richtung und ordnete wieder ihre Kleidung. „Das nächste Mal beiß ich Sie, ich schwör’s!“

     Snape richtete seinen Blick darauf Richtung Boden, ob aus Reue, Scham oder weil er etwas besonders Interessantes dort gefunden hatte, konnte sie nicht ausmachen.

     „Gehen Sie jetzt, Miss Bradley … bitte.“ Das letzte Wort hatte er sehr leise ausgesprochen – im nächsten Moment war sie nicht einmal mehr sicher, ob er dies wirklich gesagt hatte. Trotzdem kam sie dem nach, durchschritt den Raum, öffnete die Tür und dann –

     „Miss Bradley?“ Luciana drehte sich noch einmal zu Snape um, der noch immer an der Couch stand und sie nun wieder direkt ansah. „Statten Sie auf Ihrem Weg der Maulenden Myrte einen Besuch ab und – versichern ihr, dass Sie in Zukunft wieder ein regelmäßiger Besucher sein werden. Eine weitere Nacht mit diesem vermaledeitem Geist in meinem Schlafgemach und ich vergesse mich!“

     Luciana nickte nur und schloss mit einem breiten Grinsen die Tür hinter sich.



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