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a devil in your heart

der teufel wartet auf dich!
von

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Alone in the Dark

Chapter 1: Alone in the Dark
 

Der U-Bahn-Wagon wackelte im Takt der unter ihm hergleitenden Schienen, an den zerkratzten Scheiben raste die Backsteinmauer des Tunnels nur zentimeterbreit vorbei. Ab und zu blitzte eine der Lampen auf, die in die Wand eingelassen waren. Das Abteil, in dem Deanne saß, war fast leer. Sie teilte es nur mit einem etwa 15-jährigen Jungen, der im Schlabberlook auf seinem Sitz fläzte und den Kopf im Rhythmus der Musik - die aus seinen Kopfhörern drang - wiegte und einem großen, hageren Mann im Anzug, der auf dem Gang stand, alle zwei Minuten auf seine Rolexuhr sah und den Aktenkoffer in seiner Hand unruhig hin und her schaukeln ließ.

Deanne hingegen saß gerade auf ihrem Sitz und hatte die Finger in die Umhängetasche, die auf ihrem Schoß lag, gekrallt. Sie hasste U-Bahn fahren. Sie traute technischen Fortbewegungsmitteln nicht, lieber ging sie zu Fuß, darauf konnte sie sich verlassen. Das war allerdings erst so, seit ihre Mutter und ihr Bruder bei einem mysteriösen Verkehrsunfall um Leben gekommen waren. Seit diesem Tag setzte sich Deanne in kein Auto mehr und fuhr nur sehr ungern mit Bus oder U-Bahn. Das war jedoch notwendig, denn sie musste schließlich irgendwie zur Arbeit und wieder nach Hause kommen.

Aber es war nicht nur die U-Bahn allein, die ihr Abends ein unbehagliches Gefühl bereitete: Jeden Abend nachdem die Sonne untergegangen war und vor allem bei Neumond, bekam sie ein Kribbeln im Bauch das erst nachließ, nachdem sie ihre Medizin genommen hatte. Deanne konnte sich nicht mehr daran erinnern, woher das Kribbeln kam, dass sich zuerst in der Magengegend bemerkbar machte und sich dann über den ganzen Körper ausbreitete. Die übelschmeckende Medizin - die Deanne schon nahm, seit sie denken konnte - linderte das. Sie hatte noch kein einziges Mal vergessen, einen Becher davon zu trinken und wusste daher nicht, was passierte wenn sie es nicht tat. Eigentlich wollte sie das auch garnicht wissen.
 

Die Räder der U-Bahn gaben ein hohes Quietschen von sich, als der Zug bremste und im Bahnhof zum stehen kam. Die Türen sprangen auf und Deanne verließ das verhasste Verkehrsmittel so schnell es ging. Auf dem Bahnsteig herrschte das übliche Gedrängel. Deanne hängte sich ihre Tasche über die Schulter und ging die Treppen hinauf, in die große Wartehalle. Dort kaufte sie sich wie jeden Abend eine Tageszeitung und verließ das Gebäude dann Richtung Altstadt.

Während sie den Gehsteig entlang eilte, überflog sie das Titelblatt der Zeitung. Die meisten Schlagzeilen handelten von politischen Ereignissen, aber ein kleinerer Bericht erregte Deannes Aufmerksamkeit: »Spuk oder Schwindel?«, hieß es da. Deanne hatte keine Zeit, den ganzen Artikel zu lesen, da sie eine belebte Kreuzung überqueren musste. Also klemmte sie sich die Zeitung unter den Arm und rannte, da die Ampel gerade grün zeigte, über die Straße. Auf der anderen Seite angekommen, kramte sie in der Tasche nach ihren Schlüsseln, sperrte die Haustür auf und verschwand im dunklen Gang.
 

Drinnen nahm Deanne nicht den Aufzug sondern die Treppe, obwohl sie im sechsten Stock wohnte. Das unangenehme Prickeln im Bauch ließ sie zwei Stufen auf einmal nehmen, vor ihrer Tür suchte sie fieberhaft nach ihrem Wohnungsschlüssel und ließ den Schlüsselbund zweimal fallen. Als sie endlich aufgeschlossen hatte ließ sie die Tür einfach offen, stürzte sofort ins Badezimmer und riss den Schrank auf - das Kribbeln hatte sich inzwischen auf ihre Arme und Hände ausgebreitet. Bebend schraubte sie das braune Glasfläschchen auf, das ihre Medizin enthielt und schüttete den Inhalt in den kleinen Becher, der auf dem Waschbeckenrand stand. Ihre Hand zitterte dermaßen, dass die Hälfte daneben ging. Als endlich genug im Becher war, stellte sie das Fläschchen beiseite und stürzte die klare Flüssigkeit hinunter. Schwer atmend sank sie zu Boden, als sich das Prickeln aus ihren Armen und Beinen zurückzog und dann allmählich ganz verschwand. "Puh... Das war knapp.", murmelte sie, stand auf, spülte den Becher aus und räumte das Fläschchen weg. Dann ging sie in den Flur, schloss die Wohnungstür, legte ihre Tasche auf die Kommode und zog ihre Jacke aus.

Daraufhin schlenderte sie in die Küche, die ans Wohnzimmer angrenzte, machte das Licht an und öffnete den Kühlschrank. Der enthielt außer einem Salatkopf, ein paar Joghurts und einer Flasche Cola nicht viel. Seufzend nahm sie sich einen Kirschjoghurt und einen Löffel aus der Schublade, warf sich aufs Sofa und machte den Fernseher an. Da es inzwischen acht Uhr war, kamen auf fast jedem Sender Nachrichten. Bei ihrem Lieblingssender blieb Deanne hängen und folgte nur halbwegs interessiert den Geschehnissen des Tages. Während die Nachrichtensprecherin über eine Debatte zwischen zwei Senatoren berichtete, fielen Deanne die Augen zu, den Joghurt hatte sie ganz vergessen. Gerade als sie eingedöst war, wechselte die Sprecherin das Thema, was Deanne wieder aufschrecken ließ. "...wieder ein schwerer Autounfall ereignet, der einen Toten forderte. Die Ursache ist bislang ungeklärt, Augenzeugen berichten aber, einen auffällig großen Mann mit Umhang am Unfallort gesehen zu haben. Jetzt fragt die Nation: Wer ist der große Unbekannte? Und vor allem, warum taucht er immer an Unglücksorten auf? Die Polizei von...", den Rest hörte Deanne nicht mehr, sie war schon aufgesprungen und in den Flur gerannt. Dort wühlte sie in der Tasche nach der Zeitung, die sie sich heute in der U-Bahn-Station gekauft hatte. Endlich gefunden, schlug sie die Titelseite auf und suchte mit den Augen den Artikel, der ihr vorhin schon aufgefallen war. Als sie ihn entdeckte, las sie ihn so schnell es ging, durch:

»Spuk oder Schwindel?

Geheimnisvolle Erscheinungen an diversen Unfallstellen.

Wie vor einigen Tagen schon berichtet, reißt die Serie der Sichtungen des 'Großen Unbekannten' nicht ab. Gestern wurde er an drei verschiedenen Unfallorten gesehen. Die Polizei konnte ihn sogar verfolgen, verlor seine Spur aber in der Innenstadt. Bislang konnte der 'Große Unbekannte' nicht identifiziert werden, noch wurde herausgefunden warum er immer in Gegenden auftritt, wo es Tote gibt. "Wir vermuten, dass das alles nur ein großer Spaß ist, den sich ein paar durchgedrehte Irre erlauben.", sagte Sergeant Tenner gestern in einem Interview...«

Deanne knallte die Zeitung auf den Küchentisch. Der 'Große Unbekannte'. Er war in den Nachrichten und in der Zeitung. Man hatte ihn gesehen. Deanne ließ sich auf einen der beiden Holzstühle fallen. Also hatte sie damals doch nicht geträumt. Sie hatte ihn am Unfallort ihrer Mutter gesehen. Er hatte auf der anderen Straßenseite gestanden und zu ihr hinübergestarrt. Sie hatte ihn nur kurz wahrgenommen, denn er war gleich danach in einer der Rauchschwaden, die aus dem brennenden Auto ihrer Mutter drangen, verschwunden. Deanne hatte ihn in den darauffolgenden Tagen verdrängt und selbst, als sie sich wieder an ihn erinnerte, dachte sie er wäre nicht real gewesen. Doch jetzt wurde überall über ihn berichtet und er bohrte sich mit aller Gewalt wieder in ihr Gedächtnis. Doch warum gerade jetzt? Warum hatte ihn vorher noch nie jemand bemerkt? Warum tauchte er immer an solchen Stellen auf? Und vor allem: Wer war er?

Deannes Kopf war mit Fragen vollgestopft. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Dagegen kannte sie nur ein Mittel. Sie ging ins Schlafzimmer und kam zehn Minuten später wieder heraus. Jedoch hatte sich einiges an ihrem Aussehen geändert. Sie trug nicht mehr ihr eintöniges Bürodress, sondern eine enge Jeans, ein rotes Neckholder-Top und diversen Schmuck. Sie wuselte ins Bad und machte sich schnell eine Hochsteckfrisur aus ihren schulterlangen, dunkelblonden Haaren. Dann stopfte sie das nötigste in ihre kleine, schwarze Handtasche und zog sich ihre schwarzen Stiefel an. Dann überprüfte sie mit einem Blick, ob sie nichts vergessen hatte und verließ ihre Wohnung.

Nachdem sie die Treppe hinuntergepoltert war, drückte sie die schwere Haustür auf. Kühle Nachtluft und der Geruch nach Abgasen schlugen ihr entgegen. Sie sog die Luft mit einem tiefen Atemzug ein und trat dann hinaus auf den Gehsteig.
 

Aus dem Club, auf den Deanne zusteuerte war schon laute Musik zu hören. Der Türsteher musterte sie kurz, ließ sie aber eintreten. Drinnen standen die Menschen dicht gedrängt und wippten mit den Köpfen im Takt. Deanne schlängelte sich durch die Menge bis zur Bar, wo es nicht weniger voll war. Sie legte einen Geldschein auf den Tresen, wodurch einer der Barkeeper auf sie aufmerksam wurde. Sie bestellte sich einen Martini und setzte sich dann auf einen der Hocker, der gerade frei geworden war. Der Barkeeper stellte ihr den Martini vor die Nase und Deanne nahm einen kleinen Schluck. Dann beobachtete sie die Leute, die neben ihr saßen: Links neben ihr hockte ein junges Mädchen, das schon ziemlich angetrunken aussah. Daneben saß ein blasser, dünner Mann mit Stachelfrisur und Nietenarmbändern. Recht neben ihr stand gerade ein etwas fülligerer, älterer Mann auf; zurück lies er sieben leere Wodkagläser. Doch bevor Deanne sehen konnte, wer daneben saß, löste sich ein schwarzhaariger Mann in ihrem Alter aus der Menge und besetzte den Platz, den der Dicke gerade freigemacht hatte. Als Deanne ihn ansah, grinste der Schwarzhaarige und bestellte sich etwas zu trinken. "Unverschämt voll hier, oder?", schrie er, um die Musik und das Gelärme der Tanzenden zu übertönen. Deanne nickte lächelnd und nahm einen Schluck Martini. Während der Fremde seinen Drink entgegennahm, musterte sie ihn etwas genauer und stellte fest, dass er garnicht so schlecht aussah. Er trug ein enges grünes Hemd, das über seinem Oberkörper etwas spannte und so zeigte, dass er wohl öfter ins Fitnessstudio ging. Seine pechschwarzen Haare waren im Nacken kurzrasiert und wurden nach oben hin länger, ein paar Strähnen hingen ihm in die Stirn. Seine Augenfarbe konnte Deanne im grellen Licht des Clubs nicht ausmachen. Er hatte ein verschmitztes Grinsen auf den Lippen und um seinen Hals baumelte eine silberne Kette. Er wandte sich ihr wieder zu und sah sie fragend an. "Ich hab dich hier noch nie gesehen. Bist du zum ersten Mal da?" Deanne lachte und schüttelte den Kopf: "Dann bist du bisher wohl immer mit ner Augenbinde hergekommen.", rief sie. Er lachte ebenfalls. "Eigentlich nicht. Darum wundert es mich ja, warum ich dich übersehen hab.", er grinste wieder schelmisch. Deanne tat es ihm gleich. "Für mich gilt übrigens das gleiche.", sagte sie laut und leerte ihr Martiniglas. "Ehrlich? Ist ja komisch, ich bin eigentlich fast jeden Freitag hier."

"Ja komisch, ich nämlich auch."

"Umso besser, dann sehen wir uns ja jetzt vielleicht öfter. Sorry, aber ich muss los.", er trank aus und stand auf, "Ciao Bella!", rief er und verschwand in der Menge. Deanne wollte noch etwas sagen, doch er war schon weg. Sie verharrte für einen Augenblick in der Haltung, wendete sich dann aber wieder ihrem Martini zu und schüttelte grinsend den Kopf. Der Barkeeper räumte das Glas des Schwarzhaarigen weg, hielt dann aber inne und fischte einen kleinen, gefalteten Zettel heraus. Er warf einen kurzen Blick darauf und tippte dann Deanne auf die Schulter: "Ich glaube das ist für Sie.", er gab ihr den Zettel. Deanne zog überrascht die Augenbrauen hoch und entfaltete das Papier. König der Nacht war darauf zu lesen. Deanne wendete den Zettel, aber es war nicht weiter da. Nur König der Nacht. Sie steckte das Stück Papier dennoch in ihre Tasche und machte sich dann auf den Weg zum Ausgang.
 

15 Minuten später stand sie wieder vor ihrer Wohnungstür und sperrte auf. Der kleine Ausflug in den Club hatte seine Wirkung getan. Deanne war auf andere Gedanken gekommen und hatte den 'Großen Unbekannten' schon wieder völlig vergessen. Kaum war sie in ihrer Wohnung, zog sie ihre Stiefel aus, löste die Spange in ihrem Haar und holte ihr Laptop aus dem Schlafzimmer. Das landete auf der Zeitung, die auf dem Küchentisch lag und Deanne setzte sich auf den Stuhl. Nachdem der Computer hochgefahren war, klickte sie auf den Button für Internet, öffnete ihr E-Mail-Postfach und gab ihm Suchfeld König der Nacht ein. Es dauerte einige Zeit, was Deanne ziemlich wunderte; dann wies ein kurzer Ton darauf hin, dass die Suchmaschine etwas gefunden hatte. Allerdings nur eine einzige E-Mail-Adresse. Deanne zögerte, klickte sie dann aber doch an und schrieb:

"Hallo König der Nacht, ich hoffe du freust dich, dass dein Plan funktioniert hat. Aber was soll das Ganze?"

Sie schickte es ab und holte dann den Joghurt vom Wohnzimmertisch, den sie vorhin völlig vergessen hatte. Als sie an den Laptop zurückkehrte, blinkte das Feld E-Mail erhalten. Deanne setzte sich wieder und klickte auf das Feld, während sie den Deckel des Joghurts langsam aufriss. Der König hatte zurückgeschrieben:

"Hallo tracedgirl, ja ich freue mich riesig. Was das Ganze soll? Naja, dir einfach nur meine Telefonnummer zu geben fand ich irgendwie langweilig. ; )"

Deanne schob sich einen Löffel Kirschjoghurt in den Mund und grinste, als sie fertiggelesen hatte.

"Soso, langweilig. So kann ich deine Stimme aber nicht hören. Also wäre die Telefonnummer wohl doch nicht so schlecht gewesen."

Deanne hatte kaum auf Senden geklickt, schon kam die Antwort. Eines musste man ihm lassen, er war schnell.

"Naja, aber so kannst du wenigstens sehen dass ich nicht total unterbelichtet bin und in Deutsch in der Schule aufgepasst hab. Und das ich reden kann, hast du doch im Club schon gemerkt, oder?"

Schon wieder musste Deanne grinsen. Witzig war er also auch noch.

"Ok, schon überredet. Klingt für mich aber ganz so, als würdest du das öfter machen. Bin ich nur eins deiner Spielzeuge?"

Wenigstens diesmal hatte Deanne erwartet, er würde für die Antwort etwas länger brauchen. Tat er aber nicht.

"Tja, leider mache ich das nicht oft, es gibt nämlich nicht viele Frauen, denen ich einfach meine E-Mail-Adresse zustecke. Und ich habe seit ich 11 bin keine Spielzeuge mehr. Übrigens: Was machst du gerade?"

Deanne warf einen Blick auf den Löffel. Dann zuckte sie mit den Schultern.

"Dann bin ich ja beruhigt. Ich esse einen Joghurt. Und du?"

Sie war gespannt was er gerade tat und bekam wenige Sekunden später die Antwort.

"Ich koche. Und der Fernseher läuft. Hast du schon von diesem 'Großen Unbekannten' gehört. Ziemlich schräg oder?"

Er war anscheinend ein echtes Multitalent. In der Themenwahl allerdings weniger.

"Ja, hab ich gehört. Ist schon ganz schön komisch. Was kochst du denn?"

Deanne stellte den leeren Joghurtbecher auf den Tisch und wartete.

"Vielleicht dein Lieblingsgericht? Wer weiß. Warum bist du denn auf einmal so wortkarg, wenn es um diesen Verrückten geht?"

Sie überlegte lange, was sie schreiben sollte.

"Einfach so. Eigentlich geht dich das auch gar nichts an."

Kaum hatte sie es abgeschickt, bedauerte sie die barsche Tonart auch schon wieder.

"Gut, dann reden wir über etwas anderes. Schlag was vor."

Deanne zögerte abermals. Dann schlug sie den Laptop zu, stand auf und warf sich auf das Sofa. Mit dem Zeh tippte sie auf die Fernbedienung und der schwarze Monitor des Fernsehers flammte auf. Sie zappte durch sämtliche Programme, doch überall war nur die schattenhafte Gestalt des 'Großen Unbekannten' zu sehen. Auf allen Kanälen kamen Berichte über diesen mysteriösen Riesen. Deanne stöhnte auf und wollte den Fernseher schon ausschalten, als sie bei einem Nachrichtensender hängen blieb. Das Polizeivideo, dass gerade gezeigt wurde, kam ihr schrecklich bekannt vor. Es war ein Video von dem Unfall ihrer Mutter. Deannes Augen weiteten sich, als sie sah wie ein roter Kombi die Vorfahrt missachtete und seitlich in den alten schwarzen Chevrolet raste. Die beiden Autos schlitterten in einander verkeilt über die Kreuzung und knallten gegen eine Ampel. Die Frontpartie des Chevys wurde zwischen dem Kombi und der Ampelsäule eingeklemmt und zerdrückt. Dicke Rauchschwaden quollen unter den zerfetzten Motorhauben hervor. Die Fahrertür des roten Kombis sprang auf, der Mann spurtete über die Straße und aus dem Bild. Eine der Rauchsäulen am Rand des Kamerabildes lichtete sich und gab den Blick auf eine hünenhafte Gestalt frei.

Leise tropften zwei Tränen auf das weiße Leinen des Sofas. Deanne saß auf ihren Unterschenkeln, ihre Wangen waren tränenüberströmt. Sie hatte den Daumen zwar auf dem Aus-Knopf der Fernbedienung liegen, war aber unfähig, ihn zu drücken. Das Video wurde ausgeblendet und der Nachrichtensprecher kam wieder zum Vorschein: "Dieses Bildmaterial wurde am 7. Juni letzten Jahres von einer Überwachungskamera der Polizei aufgenommen. Zwei Menschen kamen bei dem Unfall ums Leben. Das, meine Damen und Herren, war das erste Mal, dass man den 'Großen Unbekannten' gesehen hat." Deanne wischte sich unwirsch die Tränen aus dem Gesicht. Sie versuchte, sich zu beruhigen und ermahnte sich in Gedanken, jetzt nicht die Nerven zu verlieren. Dann verfolgte sie weiter die Nachrichten, während sich ihr Atem wieder normalisierte.

Es wurde darüber berichtet, was die Polizei über den 'Großen Unbekannten' herausgefunden hatte, was sich für Deanne aber alles ziemlich an den Haaren herbeigezogen anhörte. Es wurden verschiedene Vermutungen angestellt, ob der 'Große Unbekannte' einfach nur ein Verrückter ist, der dumme Streiche spielt, oder ein ernstzunehmender Verbrecher. Das interessierte Deanne nicht im Geringsten. Sie beschäftigte eher die Frage, woher dieser Mann wusste, wo als nächstes ein Unfall passieren würde und er dann genau zur richtigen Zeit an diesem Ort war. Nur eines kam Deanne verdächtig vor: Der 'Große Unbekannte' war bisher nur in ihrem Stadtviertel gesichtet worden. Die anderen Stadtteile hatte er verschont.

Während Deanne vor sich hin grübelte, fing es draußen an zu regnen. Dicke Tropfen platschten an die Fenster. Deanne stellte den Fernseher etwas lauter. Ein Blitz erhellte die stockdunkle Nacht, auf dem Wohnzimmerteppich zeichneten sich die Umrisse der Fenster ab und ein grollender Donner folgte. Das Mädchen warf einen beunruhigten Blick hinaus, wo der Regen inzwischen nur so an die Scheiben prasselte. Dann ließ sie ihren Blick nachdenklich über den Boden wandern, als ein weiterer Blitz aufflammte. Aber diesmal war das Licht auf dem Teppich durch einen großen, menschenähnlichen Schatten verdeckt. Deannes Augen schnellten zum Fenster zurück, doch da war nichts. Lauernd stand sie auf und ging hinüber. Draußen vor dem Fenster befand sich der Feuerwehraufgang. Sie suchte die Eisentreppe mit den Augen ab, konnte aber niemanden entdecken. Sie zog sicherheitshalber trotzdem den Vorhang zu, dann setzte sie sich wieder aufs Sofa. Ihr Puls, der für kurze Zeit hochgeschnellt war, beruhigte sich wieder und Deanne atmete tief durch. "Nur die Ruhe, keine Panik.", murmelte sie zu sich selbst und versuchte, sich wieder auf den Fernseher zu konzentrieren. Schon wieder zuckte ein Blitz über den Himmel. Deanne wagte es nicht, den Vorhang aufzumachen und nachzusehen, ob da wirklich niemand war. Langsam machte sich ein unbehagliches Gefühl in ihrem Bauch breit. Zuerst dachte sie, es wäre das übliche Kribbeln, aber es fühlte sich anders an.

Dieses mulmige Gefühl nahm schlagartig zu, als sie ein knackendes Geräusch aus dem Schlafzimmer hörte. Ihr Herz fing an zu rasen. Langsam, um keinen Lärm zu verursachen, erhob sich Deanne und tappte barfuss über das Parkett auf die Schlafzimmertür zu. Unterwegs nahm sie sich eine Pfanne, die auf der Küchenablage stand und hob sie wie einen Baseballschläger mit beiden Händen schräg über dem Kopf. An der Tür angekommen blieb sie stehen und horchte. Wieder vernahm sie ein lautes Knacken. Sie hielt die Luft an, denn sie hatte Angst ihr unregelmäßiger, schneller Atem könnte sie verraten. Dann nahm sie ihren ganzen Mut und stürmte mit einem Schrei in den dunklen Raum. Das Zimmer war nicht sehr groß, man konnte es mit einem Blick überschauen. Deanne sah sogar hinter der Tür und im Schrank nach, aber es war keiner da. Dann entdeckte sie die Ursache des knackenden Geräusches: Eines der Fenster war geöffnet und schlug gegen den Rahmen. Deanne ließ die Pfanne sinken und schloss das Fenster. Dann kehrte sie ins Wohnzimmer zurück und machte die Schlafzimmertür hinter sich zu. Sie legte die Pfanne wieder an ihren Platz zurück und wollte sich aufs Sofa setzten als sie mitten in der Bewegung erstarrte.

Der Fernseher war ausgeschalten. Aber Deanne war sich ganz sicher, ihn angelassen zu haben. Schnell drückte sie auf einen der Lichtschalter an der Wand, über dem Küchentisch flammte flackernd die Lampe auf. Ein Stromausfall war also ausgeschlossen. Deanne blieb starr stehen und lauschte auf jedes noch so leise Geräusch. Es war vollkommen still. Jetzt packte sie endgültig die Angst, sie stürzte zum Laptop und klappte ihn auf. Ihr Posteingang zeigte fünf neue E-Mails, aber die waren Deanne im Moment egal. Ihre Finger flogen nur so über die Tastatur, als sie eine neue Nachricht verfasste:

"Hier ist irgendjemand in meiner Wohnung! Du musst mir helfen, bitte komm vorbei!", dahinter setzte sie ihre Adresse und drückte auf Senden. Sie betete im Stillen, dass der König noch wach war und warf einen kurzen Blick auf die Uhr. Kurz nach halb zwei. Ein leises 'Pling' ließ Deanne zusammenzucken. Sie klickte auf den blinkenden Button und las nur:

"Ok. Bin gleich da."

Erleichtert atmete sie auf und las die fünf anderen E-Mails noch durch, die er geschickt hatte, als sie vor dem Fernseher gesessen hatte. In jeder stand etwas wie: "Warum antwortest du nicht mehr? Hab ich irgendwas falsches gesagt? Melde dich!", anscheinend meinte er es wirklich Ernst mit ihr. Sie lächelte und sah vom Bildschirm auf. Augenblicklich verging ihr das Lachen. Die Schlafzimmertür stand offen. Und dieses Mal war sich Deanne hundertprozentig sicher, sie vorhin geschlossen zu haben. Ihre Nackenhärchen stellten sich auf. Allmählich wurde ihr das zuviel. Sie konnte nicht klar denken; wusste nicht, was sie jetzt tun sollte. Sie saß einfach nur still auf ihrem Stuhl im Licht, das der Monitor des Laptops abgab, und starrte lauschend vor sich hin. Unfähig, sich zu bewegen, wartete sie ab und erschrak fürchterlich, als es an der Tür klingelte. Sofort sprang sie auf und öffnete sie.

Der König sah zwar etwas müde aus, lächelte aber dennoch, als er sie erblickte. Deanne war so froh, dass er da war, dass sie ihm am Liebsten um den Hals gefallen wäre, ließ es jedoch lieber bleiben. "Was ist denn los, dass du mich so früh am Morgen aus dem Bett holst?", fragte er. "Es ist irgendjemand hier in meiner Wohnung.", flüsterte Deanne. Der König der Nacht sah sie fragend an: "Und wie kommt der da rein?", bohrte er weiter und Deanne merkte, dass er sie nicht ernst nahm. "Ich weiß es nicht. Aber es passieren ständig merkwürdige Sachen."

"Zum Beispiel?"

"Der Fernseher geht ohne Grund aus, die Tür steht offen obwohl ich sie kurz zuvor zugemacht habe und ich höre die ganze Zeit Geräusche."

"Bist du sicher, dass du das nicht geträumt hast."

"Ja, ich bin mir sicher.", raunte Deanne energisch. Der König sah zuerst sie an, dann warf er einen Blick in ihre Wohnung. Deanne sah ihn weiterhin an. Plötzlich riss er die Augen auf, packte sie am Handgelenk und zog sie energisch auf den Flur hinaus. "Was ist denn?", sie schaute ihn fassungslos an, während er die Tür zuknallte. Er gab ihr keine Antwort, nahm stattdessen ihre Hand und lief mit ihr den Gang entlang zum Aufzug. "Hallo? Was soll das?", Deanne blieb abrupt stehen, worauf auch er zurückgerissen wurde. "Ich hab ihn gesehen!", er drückte auf den Aufzugknopf.

"Wen?"

"Na den Typ, der in deiner Wohnung war! Er ist mitten durchs Wohnzimmer gelatscht!"

"Was?!"

"Ja verdammt, und jetzt komm!", er warf einen unruhigen Blick zu ihrer Wohnungstür. Sie folgte seinem Blick und zog hörbar die Luft ein, als die Klinke der Tür sich langsam senkte. Eine Sekunde später kündigte ein leises Klingeln den Aufzug an. Der König zog sie, ohne ihre Zustimmung, einfach hinein. Deanne sah durch das Gitter des Fahrstuhls gerade noch, wie ein schwarzer Schuh über die Schwelle ihrer Tür trat. Dann schob sich der Boden vor den Aufzug. Erst jetzt registrierte sie, wo sie sich befand. Sie wirbelte herum und sah den König an. Der erwiderte ihren Blick und fragte ahnungslos: "Was ist?"

"Wir sind im Fahrstuhl.", antwortete Deanne monoton. "Und in wie fern ist das ein Problem?"

"Ich... ich fahre nie Aufzug...", murmelte sie und drehte sich weg. Der König zog nur verwirrt beide Augenbrauen hoch.
 

Deanne stand ganz nah am Gitter und trat von einem Fuß auf den anderen. Sie traute diesem mechanischen Ding absolut nicht. Nein, es war nicht nur, dass sie ihm nicht traute, sie hasste es. Und es fuhr so unendlich langsam, dass sie glaubte, es laut anschreien zu müssen, damit es schneller wurde. Nervös kaute sie auf ihrem Daumennagel herum und verfolgte mit den Augen den Zeiger, der anzeigte, in welchem Stockwerk sie sich befanden. Plötzlich gab es einen Ruck, Deanne stolperte nach hinten, das Licht erlosch; sie spürte nur, wie sie auf etwas weiches fiel und hörte ein empörtes "Au!" von hinten.

Sie richtete sich schnell atmend auf und tastete sich an der Holzverkleidung entlang. Mühsam zog sie sich hoch und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. "Was zum Teufel war das?", fragte der König. "Keine Ahnung...", flüsterte Deanne mit zittriger Stimme. "Der Strom ist ausgefallen...", murmelte er und drückte alle Knöpfe nacheinander. "Wie bitte?"

"Der Strom ist ausgefallen."

"Na toll...", Deanne fasste sich an den Kopf und lehnte sich mit der Schulter gegen das Gitter. Unten am Boden war ein Spalt frei, wo sie ins untere Stockwerk sehen konnte. Auch dort war alles dunkel. Gerade, als sie Luft holte, um etwas zu sagen, machte der König "Schhhhhh!" und hielt ihr eine Hand vor den Mund. Sie wagte nicht einmal zu atmen und spitzte die Ohren. Es war ein stetiges 'Tock, Tock, Tock' zu hören. "Was ist das?", wisperte Deanne so leise es ging und sah nach oben, von wo das Geräusch kam. "Da geht jemand die Treppe runter...", antwortete der König flüsternd. Die beiden gingen in die Hocke und spähten aus dem Spalt hinaus in den Flur des Erdgeschosses. Langsam wurde das 'Tock' lauter. Deanne krallte ihre Finger unbewusst in den grünen Hemdärmel des Königs. Er bemerkte es, sagte aber nichts.

Inzwischen war das Geräusch ganz nahe. Deanne holte bebend Luft um sie dann anzuhalten. Langsam passten sich ihre Augen der Dunkelheit an, sie konnte die zweiflügelige alte Haustür sehen, die nur angelehnt war. Vom Aufzug bis dorthin waren es nur ein paar Schritte, doch sie konnten nicht hinaus. Das tocken war jetzt direkt neben ihnen, doch es behielt seine Geschwindigkeit bei. Der König und Deanne lagen auf dem Boden des Fahrstuhls und fixierten die Treppe zu ihrer Rechten. Es war Deanne, die den schwarzbeschuhten Fuß und den ebenso schwarzen Hosensaum als erstes sah und beinahe laut geschrieen hätte. Als der Rest zum Vorschein kam, stockte beiden der Atem. Denn beide kannten den völlig in schwarz gehüllten Mann.

Deanne sah in seiner Hand etwas metallisches aufblitzen, sie schrie und drückte sich gegen die hintere Wand des Aufzugs.
 

~to be continued~



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2005-05-03T14:43:18+00:00 03.05.2005 16:43
Wirklich gute Story. Nur fände ich ein paar Zeilenumbrüche ganz praktisch, denn ich muss mich nebenbei noch im andere Dinge kümmern (Multi-Tasking lässt grüßten) und es liest sich einfach leichter.
Ich hoffe das du bald weiter schreibst, denn ich möchte unbedingt wissen, wie es weiter geht (und ich lese eigentlich keine Krimi's).

Kommentatorin Enigma_Lyxiria aka Finster by KfS
Von: abgemeldet
2005-04-17T08:33:19+00:00 17.04.2005 10:33
So ich hab sie gelesen! Ich hätt auch nicht mittendrin aufhören können... die ist echt spannend!! ich weiß nich was ich sagen soll... richtig gut geschrieben! *atem anhalt* die personen find ich auch gut ,gemacht' nur das foto mit dem typ (und grünem hemd) sieht echt schräg aus. (nimmst du da nie anime-figurchen oder so?) aber egal die story is perfect! ^-^
ey, und wehe du schreibst die net weiter, hab sie schon in meinen favouriten aufgenommen!
ciao *knuffelz*


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