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Die Marionette - Teil I

Die Zeremonie der Finsternis
von

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Der zehnte Todestag

In den folgenden Jahren lebte Maria zurückgezogen in ihrer Höhle. Sie konnte es nicht wagen, zu lange in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Das war zu gefährlich. Die Magier hatten nicht vergessen, wer und vor allem, wessen Tochter sie war. Sie verfolgten sie immer noch. Nur hier in der Höhle ihrer Eltern war sie in Sicherheit. Die Magier wussten zwar, wo sie lebte, trauten sich aber nicht ihr dort aufzulauern, geschweige denn den Wald des Schreckens auch nur zu betreten. Der Ort hatte seine bedrohliche Wirkung nicht verloren. Zu deutlich erinnerte man sich noch an das Grauen, das zu der Zeit, als die Zantos auf der Höhe ihrer Macht standen, hier umgegangen war. Keiner konnte mit Gewissheit sagen, was es war, denn niemand der es gesehen hatte, war je zurückgekehrt.

Was auch immer zwischen den Bäumen umhergeschlichen war, Maria kannte es nicht, und hatte es auch nie gesehen. Sie fühlte sich dort vollkommen sicher. Soweit es sich vermeiden ließ, verließ Maria den Schutz des Waldes nicht, tat sie es aber dennoch, hatte sie stets Zauberpulver in ihrer Tasche, damit sie, wenn es notwendig war, so schnell es ging den Ort wechseln konnte. Wenigstens um eines musste sie sich keine Gedanken machen: dass das Zauberpulver ihr eines Tages ausgehen würde. Ihre Eltern hatten es ihr in solchen Mengen hinterlassen, dass Maria stark bezweifelte, es überhaupt jemals aufbrauchen zu können.
 

Mittlerweile waren fast zehn Jahre verstrichen, seit Sarah und Ian Zantos ermordet wurden. Maria war zu einer hübschen, jungen Frau herangewachsen. Sie war schlank, hatte langes, dunkles Haar und grüne Augen. Die Magier erschraken jedes Mal aufs Neue, wenn sie sie erblickten, denn in ihr sahen sie das lebendige Abbild ihrer Mutter.

Diese Tatsache hatte es Maria noch schwerer gemacht, sich unauffällig über den Marktplatz zu bewegen um ihre Einkäufe zu erledigen. Da sie es nicht darauf ankommen lassen wollte, dass ihre bloße Erscheinung eine Massenpanik in der Bevölkerung von Misty-Eye auslöste, trug sie, immer wenn sie den Wald verließ, einen schwarzen Zauberumhang, der ihr Gesicht unter einer großen Kapuze verbarg. Von den Magiern unerkannt, konnte sie sich so frei auf der Insel bewegen, wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Sie genoss es förmlich, wie jeder andere über den Marktplatz schlendern zu können und in Ruhe alles zu besorgen, was sie brauchte.

Am zehnten Todestag ihrer Eltern, wanderte Maria durch die Gassen und beobachtete die Leute. Wie an jedem 26. Mai feierten diese den Jahrestag des Triumphes über Sarah und Ian Zantos. Daran, dass das Zantos-Mädchen ihnen entwischt war, dachte heute niemand, dazu hatten sie an den restlichen 364 Tagen des Jahres noch genug Zeit. Dieser Tag war ausschließlich zum feiern da.

Maria konnte kaum zwei Meter weit gehen ohne jemandem ausweichen zu müssen, so voll waren die Straßen. Hin und wieder wurde sie von kleineren Gruppen eingeladen, sich zu ihnen zu gesellen und mitzufeiern, doch jedes Mal lehnte sie dankend ab und dachte bei sich, was für ein unbeschreibliches Glück es doch war, dass die Magier nicht durch Umhänge schauen konnten. Und so wanderte sie weiter. In einem Blumengeschäft kaufte sie drei Rosen, die sie vor einem Zauberpulver-Stand niederlegte. Es war der Stand von Gregor Hunt. Die Rosen waren sowohl für dessen Sohn als auch für ihre Eltern. Alle drei waren an diesem Ort gestorben - vor genau zehn Jahren. Egal was Sarah und Ian auch getan hatten, Maria vermisste sie trotzdem. Wie oft hatte sie sich jemanden gewünscht, mit dem sie reden konnte! Wie viele Stunden der Einsamkeit wären ihr erspart geblieben, würden ihre Eltern noch leben! Aber Maria hatte auch die gewaltige Zahl der Opfer ihrer Eltern nicht vergessen und so hatte sie sich mit dem Los, das sie als Tochter zweier Schwerverbrecher gezogen hatte, abgefunden.

Maria drehte dem Zauberpulver-Stand den Rücken zu und machte sich auf den Heimweg. Sie hatte erledigt, weshalb sie auf den Markt gegangen war. Sie verfolgte ihren Weg rückwärts, vorbei an dem Blumengeschäft und vorbei an den feiernden Magiern. Gerade wollte sie in die Gassen einbiegen, die sie auf direktem Wege an den Rand des Waldes führen würde, als sie etwas von dem Gespräch vierer Magiern, die allesamt in beige Zauberumhänge gekleidet waren und dazu passende Hüte trugen, aufschnappte. "wüsste zu gerne, was aus dem Ungeheuer geworden ist", sagte der kleinste von ihnen. Als er bemerkte, dass die anderen offenbar keine Ahnung hatten, wovon er sprach, fügte er noch hinzu: "Ihr wisst schon, das aus dem Wald des Schreckens."

Maria blieb wie angewurzelt stehen. Ein Ungeheuer? Im Wald des Schreckens? Sie trat etwas näher an die vier heran und hörte ihnen aufmerksam zu.

"Du meinst doch nicht etwa die Geschichte mit den Teressys, oder Larry?", fragte die etwas mollig aussehende, kleine Frau neben ihm ungläubig.

"Die Familie die im Wald angeblich von einem Monster angefallen worden sein soll?", meldete sich ein größerer Mann mit ebenso großer Brille zu Wort.

"Von wegen angeblich!", protestierte Larry. "Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen! Und danach habe ich es noch ein paar mal zwischen den Bäumen entdecken können. Und jedes Mal ist kurz darauf jemand verschwunden. Ich sage euch, das Monster gibt es wirklich!"

"Ach ja? Du hast schon so manches Mal Dinge gesehen, die überhaupt nicht existieren. Ich sage, das ist vollkommender Schwachsinn, was du uns erzählst. Ein Monster! Wenn es in diesem Wald ein Monster gibt, dann ist es dieses Zantos-Mädchen. Hab schon lange nichts mehr von der gehört, vielleicht hat sie es ja geschafft sich selbst in die Luft zu sprengen. Damit hätte sie uns doch einen gewaltigen Gefallen getan, oder nicht?"

Maria hatte genug gehört. Es tat ihr in ihrem Inneren weh, die Leute so über sich reden zu hören. Dabei hatte sie ihnen doch überhaupt nichts getan! Das Ganze war so furchtbar ungerecht. Immerhin wusste sie nun, dass ihre Tarnung funktionierte. Und was hatte es mit diesem Ungeheuer auf sich, dass dieser Larry im Wald gesehen haben wollte und das seiner Meinung nach die Teressys umgebracht hatte? Sie hatte nie irgendein Ungeheuer im Wald gesehen, daher schloss sie sich in diesem Punkt der Meinung der molligen Magierin an, die gesagt hatte, dass das Ganze totaler Quatsch war. Aber wer waren die Teressys? Maria war sich sicher, den Namen irgendwann schon einmal gelesen zu haben. Aber wie sehr sie auch nachdachte, sie konnte sich einfach nicht mehr daran erinnern, woher sie den Namen kannte.

Sie setzte ihren Weg fort und betrat den Wald. Wie sie es erwartet hatte, sah sie dort kein Ungeheuer und so erreichte sie schließlich ihre Höhle. Da es bereits sehr spät war, ließ sie sich sogleich auf ihr Bett fallen und schlief auch sofort ein.
 

Sie waren umzingelt. Es gab keine Möglichkeit zu entkommen. Sie saßen in der Falle.

"Ihr dreckigen Mörder, ihr werdet niemanden mehr umbringen! Für das Leben meines Sohnes werdet ihr teuer bezahlen!"

Der Kreis, den die Magier um Maria und ihre Eltern gezogen hatten, wurde immer enger. Sie kamen näher. Sie würden sie umbringen. Nur noch ein paar Sekunden, dann wäre alles vorbei, schoss es Maria durch den Kopf, aber sie hatte keine Möglichkeit noch länger darüber nachzudenken, denn etwas lenkte sie ab. Ihre Eltern hatten gleichzeitig angefangen, bestialisch zu lachen. "Na los, greift uns an!", schrie Ian Zantos. "Ihr könnt uns unser Leben nehmen, aber es gibt etwas, dass ihr uns niemals nehmen könnt: unseren Willen, euch zu vernichten. Abgerechnet wird zum Schluss, doch noch ist das Ende nicht gekommen. Auch wenn wir es nicht mehr erleben werden, euer Untergang steht unwiderruflich bevor. Und das ist allein eure Schuld!"

Wie auf Kommando stürzten sich alle Magier gleichzeitig auf die Familie. Maria sah, wie ihre Mutter etwas Zauberpulver aus dem Beutel holte und es ihr über den Kopf warf. "Flieh, Kleines!", flüsterte sie, gleich darauf war sie tot. Das Pulver erfüllte seine Aufgabe, Maria gelang es zu entkommen.

Aus weiter Ferne konnte sie die Stimme ihrer Mutter hören: "Unsere Rache wird Misty-Eye nun rasch ereilen. Die Zeit der Magier läuft ab. Sie haben keine Macht, uns zu besiegen. Sie können unseren Sieg nicht verhindern! Wir werden gewinnen!"



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  TeaGardnerChan
2005-06-29T16:45:11+00:00 29.06.2005 18:45
WOW!!!
Echt tolles Kapitel.
Bin erstaunt.


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