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Erster Teil: Du kennst mich nicht und doch hasst du mich!

~*Joey x Kaiba*~
von

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Schattenseiten

Bald darauf fuhren sie wieder nach Hause und dort erlebte Joey das Grausamste, was er sich in dieser Lage vorstellen konnte. Kaiba erhielt einen kurzen Anruf und meinte, er müsste sich noch einmal kurz in die Arbeit stürzen.

"Am Sonntag?", hatte sich Joey fassungslos erkundigt.

Aber es hatte alles nichts gebracht. Kaiba zog sich in sein Arbeitszimmer zurück und meinte beschwichtigend, er könne ja mitkommen. Also tat er das auch, um nicht ganz allein zu sein. Während sich Kaiba hinter seinen Computer hockte, kauerte er sich auf eines der Sofas, legte die Beine nach oben und träumte etwas vor sich hin. Neben ihm ertönte schnelles Tippen. Kein Wunder, dass er müde wurde. Nach ungefähr einer halben Stunde ließ er sich einfach zur Seite fallen, kuschelte sich in die Kissen und döste etwas. Nur kurz, bevor sich seine Sinne abschalteten und er einem tiefen Schlaf verfiel.

Zwei Stunden schlief er durch, räkelte sich und schmatzte leise vor sich hin. Kaiba schenkte ihm nur Aufmerksamkeit, wenn er ein besonders merkwürdiges Geräusch von sich gab. Dann lehnte sich zur Seite und beobachtete den jungen Mann kurz. Doch sobald dieser wieder still lag, verlor er das Interesse und schrieb weiter. Konzentriert starrte er auf den Bildschirm, klickte hier und klickte da. Er musste nur noch ganz kurz diese Datei speichern... besessen biss er sich auf die Unterlippe und lehnte sich leicht nach vorn.

Was war denn das?

Wieder schrieb er ein bisschen.

Joey öffnete den Mund, murmelte etwas Verworrenes und begann sich wieder zu wälzen. Er rollte sich vor und zurück und streckte die Beine von sich. Kaiba führte eine schnelle Tastenkombination durch, rieb sich die Stirn und verzog das Gesicht.

"Was zur Hölle..."

Ein leises Seufzen ertönte, dann ein weiteres, recht merkwürdiges Geräusch, auf das ein leiser "Rums" folgte.

"Uh..."

Kaiba lehnte sich wieder zur Seite, seine Augen suchten nach Joey. Doch dieser lag nicht mehr auf dem Sofa. Nein, nun wälzte er sich auf dem Boden.

"Aua..."

"Alles in Ordnung?" Kaiba rümpfte die Nase.

Joey blieb faul liegen, schob nur das Gesicht und starrte ihn an. Doch nach wenigen Sekunden sah Kaiba ihn grinsen.

"Bist du fertig?"

>Nein.< Kaiba warf einen grübelnden Blick zu dem Bildschirm. >Ich komme so gut wie nicht voran.<

"Ja ", antwortete er dennoch und schaltete den Computer aus. Joey vergaß seinen schmerzenden Kopf, rappelte sich auf und streckte sich genüsslich.

"Du? Könnten wir etwas essen?"

Kaiba rieb sich den Nacken, stützte die andere Hand in die Hüfte und warf einen knappen Blick zu der Uhr. Es war schon um sieben und draußen begann es allmählich zu dämmern. Wie lange hatte er denn gearbeitet? Er warf der Uhr einen weiteren Blick zu, konnte nicht glauben, wie schnell die Zeit doch verging. Doch auch bei dem zweiten Nachsehen, standen die Zeiger an derselben Stelle.

"Mm", brummte er. "Ja, wir essen besser etwas."

Sofort war Joey bei ihm, schob sich an ihm vorbei und schlenderte neben ihm einher. Als sie die Tür erreichten, lugte Kaiba zu ihm. Auch Joey hatte ihn heimlich beobachtet. Jetzt trafen sich ihre Blicke kurz und schweiften sofort wieder ab. Als sie dann langsam durch den Flur trotteten, linste Joey wieder zu ihm, verschränkte die Arme vor dem Bauch und knabberte auf seiner Unterlippe.

Auf dem Weg in den Speiseraum wechselten die beiden kein einziges Wort. Sie gingen schweigend nebeneinander her und nur Blicke waren es, mit denen sie sich verständigten. Es war eine wirklich seltsame Atmosphäre, die zwischen ihnen herrschte. Auch, als sie den Speiseraum betraten, schwiegen sie, ließen sich am Tisch nieder und aßen.

Joey war in tiefen Grübeleien versunken, als er langsam die Tasse zum Mund hob und deren Rand an die Lippen setzte, seine Augen hingen geistesabwesend auf einem nicht existierenden Punkt.

>Irgendetwas macht mich nervös<, gestand er sich ein, stellte die Tasse wieder ab, ohne einen Schluck zu trinken und hielt den Atem an. >Ich weiß nicht, was es ist. Ob es Kaiba auch so geht?< Zögerlich blickte er auf und beobachtete seinen Gegenüber. Doch dieser saß still und schien auch einen ausgeprägten Hunger zu haben. Er schien dieses merkwürdige Gefühl nicht wahrzunehmen. Und er war so sehr dem Essen beschäftigt, dass er Joey nicht viel Aufmerksamkeit schenkte. Erst, nachdem er mehrere Momente beobachtet worden war, blickte er kurz auf, erwiderte Joeys Blick und richtete ihn dann wieder auf den Teller.

>Was ist nur mit mir los?< Joey ließ den Blick ebenfalls sinken und blähte die Wangen auf. >Ich fühle mich merkwürdig.< Nervös wanderte sein Blick über den Tisch. >Irgendwas passiert heute noch.< Seine Hände rutschten unter den Tisch, rieben sich aneinander. >Und irgendwie will ich es gar nicht verhindern.<

Schweigend blieb er sitzen, kreuzte die Beine und bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen.

Wieder blickte er auf und beobachtete Kaiba. Aber dieser ließ sich mit dem Essen alle Zeit der Welt. Nur langsam hob er die Gabel zum Mund und kaute lange, bis er hinterschluckte. Erst nach unendlich erscheinenden fünf Minuten, lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme vor dem Bauch.

Dann trafen sich ihre Blicke von neuem.

Ausdruckslos hielten beide den Blickkontakt aufrecht, schienen sich geradewegs zu ergründen

>Er denkt an dasselbe<, zog es Joey durch den Kopf und er schluckte. >Ich weiß es aber er sagt nichts, weil er mich nicht bedrängen will.< Langsam richtete er sich auf. >Also werde ich den Anfang machen.<

"Du hast mir schon eine Menge von dem Haus gezeigt", hob er leise an und erwiderte Kaibas Blick standhaft. "Aber dein Zimmer habe ich noch nie gesehen."

Kaiba antwortete nicht. Bewegungslos blieb er sitzen und musterte jeden seiner Gesichtszüge. Vermutlich suchte er nach einer Unsicherheit, die sich verstecken wollte. Er fand sie auch und schien zu grübeln. Und dadurch wurde Joey nur noch nervöser. Bald hielt er es nicht mehr aus, ließ den Kopf sinken und atmete tief ein. Diese Stille machte ihn fertig. Und sie hielt lange an. So lange, dass Joey glaubte, in jeder Sekunde könne sein Herz stehen bleiben. Und so wie es raste, konnte man es wirklich glauben.

"Willst du es sehen?"

"Hm?" Joey richtete sich auf und baute den Blickkontakt wieder auf. Ohne, dass er es bemerkte, nickte er. Kaiba erwiderte das Nicken bedächtig, schob den Stuhl zur Seite und erhob sich. Nachdem er ihm einen weiteren durchmusternden Blick geschickt hatte, wandte sich ab und ging los. Auch Joey kam auf die Beine und als er stand, hatte er das Gefühl, seine Knie würden jederzeit nachgeben. Doch er hielt sich aufrecht, umfasste die Handgelenke auf

dem Rücken und folgte Kaiba durch die Gänge. Wieder stiegen sie die Treppe hinauf und bogen in den linken Gang ein, indem sich auch Kaibas Arbeitszimmer befand.

Joey starrte während des gesamten Weges auf den Boden und hielt sich hinter Kaiba. Seinem Gesicht waren permanente Gedanken anzusehen… Grübeleien, die ihn beherrschten, ihn jedoch nicht stocken ließen. Er hielt Schritt, folgte Kaiba, ohne zurückzufallen und als er stehen blieb, hielt auch er inne und blickte auf. Bequem griff Kaiba nach der Klinke und öffnete die Tür, die sich direkt neben ihm befand. Er zog sie auf und blieb stehen, erwartete, dass Joey voranging. Und nach einem kurzen Zögern tat dieser es auch.

In stockenden Schritten betrat er den Raum. Hinter ihm trat auch Kaiba ein und schloss die Tür. Letzten Endes blieb er neben ihm stehen und schloss sich seinen Beobachtungen an, obgleich er sein Zimmer wohl am besten kannte. Langsam ließ Joey den Blick durch den Raum schweifen und besah sich alles genau. Aber an seinen Augen, seiner Haltung und seiner Mimik konnte man deutlich erkennen, dass er sich nicht für die Gegenstände, die Bilder oder den Rest der Einrichtung interessierte. Er betrachtete ihn sich nur flüchtig und schloss seine Besichtigung nach nur wenigen Sekunden ab.

"Schön." Ein verunsichertes Grinsen huschte über seinen Mundwinkel. Doch es verschwand so schnell wie es gekommen war. Kaiba stützte die Hände in die Hüften, warf Joey einen flüchtigen Blick zu und zog an ihm vorbei. Sofort haftete dessen Blick an ihm. Joey sah Kaiba nach, wie er zu einer kleinen Kommode ging, dort nach einer Zigarette griff und sie zwischen die Lippen klemmte. Anschließend lehnte er sich gegen das harte Holz des Möbelstücks und

entzündete den Tabak. Als er das Gesicht zu ihm drehte, floh Joey vor seinem Blick und räusperte sich leise. Dann schlenderte er durch den Raum, zog an dem Bett vorbei und blieb vor dem Fenster stehen, welches sich gleich daneben befand. Joey konnte dennoch nicht allzu viel erkennen, denn allmählich verschlang die Dunkelheit Domino. Unter einem leisen Seufzen hob er die Arme, fuhr sich mit der einen Hand über den Nacken und stützte sich mit der anderen am Fensterrahmen ab.

>Und jetzt? Drücke ich mich davor?< Er blinzelte matt, seine Pupillen wechselten zur Seite, richteten sich auf Kaiba. Dieser lehnte noch immer an der Kommode und rauchte. Dabei starrte er auf die gegenüberliegende Wand. Seine Bewegungen wirkten geschwind und kontrolliert.

War er nicht nervös?

Joey schüttelte langsam den Kopf, ließ ihn hängen und ertappte sich dann doch wieder dabei, wie er Kaiba beobachtete, sich den anderen Körper betrachtete.

>Warum sagt er nichts? Jetzt muss er den Anfang machen. Ich finde nicht den Mut dazu.< Er schluckte. >Ich habe keine Ahnung, wie man so was macht.<

Seine Hände wurden wieder unruhig, ein kühles Schaudern zog durch seinen Körper und er richtete sich auf. Langsam ließ er die Arme sinken, atmete tief ein und wandte sich mit einem stockenden Schritt Kaiba zu. Dieser kehrte ihm kurz den Rücken, drückte die Zigarette aus und wurde dann auf ihm aufmerksam. Er drehte sich um und wieder traf Joey dieser fixierende Blick. Der junge Mann schluckte von neuem, versteckte die Hände hinter dem Rücken und faltete sie ineinander. Doch plötzlich näherte sich Kaiba ihm mit sicheren Schritten. Er kam auf ihn zu und blieb erst kurz vor ihm stehen. Joey blickte auf und starrte in diese blauen Augen.

Für die nächsten Momente taten sie nichts anderen und an Kaibas Miene konnte man nicht erkennen, woran er soeben dachte. Doch er schien Joeys Gedanken lesen zu können. Das konnte man zumindest glauben, so, wie er ihn ansah. Anfangs entfloh Joey dem Blickkontakt des Öfteren, baute ihn dann jedoch mit neuem Mut auf. Und bald hielt er ihn standhaft aufrecht. Lange standen sie schweigsam voreinander, bis Joey den Blick sinken ließ und langsam nach Kaibas Hand tastete. Er spreizte deren Finger und hielt sie fest umschlossen, betrachtete sie sich, drehte sie und besah sie von allen Seiten. Kurz darauf verstärkte er den Druck, strich sanft über die Finger und ließ die Hand wieder los. Anschließend atmete er tief ein, griff nach dem unteren Saum seines Pullovers und zog ihn geschwind höher. Er zog ihn sich über den Kopf, ließ ihn sinken und unachtsam zu Boden fallen. Tief durchatmend blickte er wieder auf und studierte Kaibas Augen. Diese waren stets nur auf die seinen gerichtet,

schenkten seinem nackten Oberkörper keinerlei Aufmerksamkeit. Er machte den Anschein, erfroren zu sein, doch überrascht wirkte er nicht, gleichermaßen auch nicht abgeneigt. Als sich Joey dessen bewusst wurde, trat er noch näher an ihn heran. Er tat einen Schritt und stand direkt vor ihm, so nahe, dass er seine Wärme auf der nackten Haut spürte... Kaibas Atem kitzelte sein Gesicht.

Und endlich nahm er eine Bewegung in Kaibas Miene wahr. Der junge Mann blinzelte, ließ den Blick sinken und betrachtete sich Joeys Oberkörper gemächlich. Bedächtig ließ er den Blick über die straffe Haut schweifen, über die starken Arme, den flachen Bauch. Joey ließ sich gern betrachten, blieb stehen und beobachtete Kaiba aufmerksam. Dieser hob bald darauf die Hand, näherte sie Joeys Bauch und legte sie letzten Endes auf die linke Seite der Brust. Er spürte die schnellen und starken Schläge des jungen Herzens, spürte die Gänsehaut, spürte die Nervosität.

Den Blick nachdenklich auf die eigene Hand gerichtet, hielt Kaiba inne, ließ sie erst nach wenigen Sekunden weiter hinab gleiten. Genießerisch fuhren seine Fingerkuppen über die glatte Haut, strichen bedächtig über den Bauch und lösten sich dann von ihm. Kaiba wirkte unentschlossen, als er die Hand zu einer lockeren Faust ballte und an den Mund legte. Wieder richteten sich die blauen Pupillen auf die Braunen, stellten eine stumme Frage und studierten sie genau. Und Joey blieb standhaft und brachte mit einem sanften Lächeln die ebenso

stumme Antwort.

Kurz darauf ließ Kaiba die Hand sinken und legte sie vorsichtig auf seine Hüfte. Die Berührung ergab sich nur langsam, Kaiba machte den Anschein als wolle er diesen Augenblick so lange wie möglich auskosten. Während er auch die zweite Hand hob, um sie auf der anderen Seite zu platzieren, betrachtete er sich den Hals, das Schlüsselbein und letzten Endes wieder die Brust. Er besah sich alles genau, prägte es sich ein. Noch nie hatte er die Möglichkeit gehabt, sich Joeys Körper so ruhig zu betrachten. Das sanfte Lächeln verweilte auf Joeys Lippen, als er langsam das Gesicht sinken ließ und die Augen schloss. Kurz darauf spürte er, wie sich beide Hände von seinen Hüften lösten, über seinen Rücken fuhren und ihn vorsichtig nach vorn zogen. Joey machte einen kleinen Schritt, spürte die Wärme des anderen Körpers noch intensiver und wenige Sekunden später, presste sich dieser fest an den seinen. Genüsslich öffnete Joey den Mund, ließ die Stirn schwelgend auf Kaibas Schulter sinken

und hob die Arme um die Umarmung zu erwidern. Kaiba schmiegte das Gesicht an seinen Hals, auch seine Lider sanken hinab. Ein kitzelnder Atem strich über Joeys Haut, seine Finger versenkten sich sanft in dem Stoff des Shirts. Bald begann Kaiba ihn vorsichtig zu küssen, mit den Lippen nach seiner Haut zu schnappen und zu knabbern. Fast reglos standen sie dort, und trotzdem war es das Schönste, das Joey je erlebt hatte. Während Kaiba seinen Hals zärtlich

bearbeitete, schob er die Hände seinen Rücken hinauf, zwischen den Schulterblättern hindurch und in den Ansatz des Schopfes. Dort begann er ihn zu kraulen und zu streicheln. Durch diesen zurückhaltenden Beginn verlor Joey die Nervosität oder vergaß sie zumindest für diesen Augenblick. Er musste diese feinfühligen Berührungen genießen, sich keine Gedanken über das Kommende machen. Zugegeben etwas ungeduldig, küsste Kaiba höher, erreichte schnell sein Ohr und berührte es sanft mit der Nasenspitze. Joey atmete tief ein und seine Hände hielten in der Bewegung inne, als Kaiba die Arme zurückzog, ihn langsam aus der Umarmung entließ. Seine Fingerkuppen berührten den Bund seiner Hose, strichen über ihn und näherten sich so den Knöpfen. Unbewusst hielt Joey den Atem an, als sich die Finger flink daran machten, die Knöpfe aus den Löchern zu drehen. Es war Kaibas Hose. Niemand kannte sich besser mit ihr aus, als er selbst. Schnell war sie geöffnet. Joeys Hände ballten sich locker zu Fäusten, seine Fingernägel kratzten über die weiche Haut. Nun gab es kein Zurück mehr, eine schnelle Änderung der Meinung existierte nicht und Joey durfte sie sich nicht erlauben. Die äußerst ausgeprägte Feinfühligkeit erlaubte Kaiba, jede kleinste Nervosität, die

Joey befiel, zu erkennen. Nun als er die Hände unter den Bund schob und sie zum Steiß wandern ließ, spürte er sie deutlich. So verlangsamte er die Bewegung seiner Hände und schmiegte sich beruhigend an den jungen Körper. Joey behielt die Augen geschlossen, kämpfte gegen das Zittern an, das seinen Körper allmählich zu beherrschen begann. Er wollte es nicht, doch sein Körper stellte sich gegen ihn. Er hoffte, dass sich Kaiba dessen bewusst war. Er beging keinen Fehler und sollte es auf keinen Fall glauben. Fließend glitten Kaibas Hände über seinen Steiß, verschwanden auch unter den Shorts und fuhren über seinen Hintern. Gleichzeitig zog er die Hose samt Shorts hinunter. Auffällig erschauderte Joey bei dieser Berührung, doch Kaiba hielt nicht inne, hob die Hände und streifte anschließend die Kleider hinab. Er würde es Joey noch schwerer machen, wenn er nun eine Pause einlegte. Dieser spürte nun, wie der weiche Stoff über seine Haut rutschte, über seine Beine glitt und letzten Endes zu seinen Füßen liegen blieb. Noch immer bewegte er sich kaum, blieb stehen und klammerte sich um Kaibas Hals. Es erweckte kein Gefühl des Unbehagens in ihm, nackt vor ihm zu stehen. Es wirkte nur seltsam auf ihn, fremd und gewöhnungsbedürftig. Er behielt die Augen weiterhin geschlossen aber seine Arme lockerten sich allgemach. Er begann sich zu entspannen. Besinnlich fuhren die Hände über seinen Rücken, streichelten seinen Steiß und seinen Hintern. Vorerst hielten sie sich nur dort auf, und Joey war froh darüber.

Kaiba streichelte ihn noch, küsste seinen Hals und hielt ihn fest. Dann nahm Joey jedoch eine stärkere Bewegung wahr und öffnete die Augen. Langsam trat Kaiba einen Schritt nach vorn, Joey schloss sich ihm an, stieg aus der Hose und trat zurück, ließ sich führen. Er richtete sich nach ihm, wich Kaibas Beinen aus und spürte schon nach wenigen Schritten die Kante des Bettes hinter sich. Eine Gänsehaut bildete sich auf seinen Armen, breitete sich schnell aus und zog sich über seinen gesamten Körper. Die braunen Pupillen wechselten von einer Seite zur anderen, die Arme legten sich wieder fester um den Hals des Anderen. Ein mulmiges Gefühl befiel ihn, als sich Kaiba langsam nach vorn beugte, ihn zärtlich dazu zwang, sich zurückzulehnen. Nur stockend ließ sich Joey auf die weiche Matratze sinken und lockerte die Umarmung, denn auch Kaiba tat es. Er ließ ihn vollends los und Joey schob sich langsam zurück, schob sich zu den Kissen und legte sich leicht angespannt auf sie nieder. Er bettete seinen Kopf weich, winkelte die Beine an und öffnete langsam den Mund. Kaiba war ihm in

kurzem Abstand gefolgt. Zögerlich spreizte er die Beine, damit sich Kaiba zwischen sie hocken konnte. All seine Glieder verspannten sich, verkrampften sich. Und nun bekam er die Nervosität in ihren vollen Ausmaßen zu spüren. Seine Hände begannen beiahe zu zittern und er schob sie flink unter die Kissen um sich dort in den Stoff zu klammern. Mit einer langsamen Bewegung griff Kaiba nach der Decke, zog sich zu sich und zog sie sich über die Schultern. Somit verdeckte er auch Joeys Blöße und dieser versuchte erleichtert zu sein, was er jedoch nicht einmal ansatzweise bewerkstelligte. Er war nackt, Kaiba jedoch, trug noch seine volle Kleidung. Doch er ging äußerst feinfühlig und nachsichtig vor, als er sich zu Joey hinabbeugte, sich zu beiden Seiten seines Leibes abstützte und mit den Lippen jeden Zentimeter seiner Haut abtastete. Vorsichtig ließ Joey die Beine sinken und Kaiba arbeitete sich höher, nun, da ihm mehr Freiraum gewährt worden war. Aus Nervosität, zugleich auch aus Scham, schloss Joey die Augen und drehte das Gesicht zur Seite. Was Kaiba da tat,

fühlte sich so unglaublich gut an und er sehnte sich danach, jede dieser Berührungen genießen zu küssen. Doch dies schaffte er nicht. Er wollte sich an Kaiba klammern, ihm sagen, dass er weitermachen sollte. Doch seine Hände verbargen sich weiterhin unter den Kissen, sein Mund blieb geschlossen.

Das erste Mal sollte ja etwas Besonderes und Wunderschönes sein. Früher war er nicht dazu im Stande gewesen, sein Urteil darüber abzugeben. Doch nun glaubte er allmählich, dass diese Behauptung völliger Blödsinn war. Sicher war er nicht der Einzige, der dieses erste Mal damit verbrachte, wie eine Salzstatue auf dem Bett zu liegen und seinem Partner die gesamte Arbeit zu überlassen. Aber er konnte sich auch nicht vorstellen, dass sich Unerfahrene groß

beteiligen würden. Als sich Kaiba weiter nach vorn beugte, brach er jeden Gedanken ab und drehte das Gesicht langsam nach oben. Er lehnte sich über ihn, legte beide Hände auf seine Oberarme und zog sie unter den Kissen hervor. Ohne Joey einen Blick zu schicken, umfasste er seine Handgelenke vorsichtig und drückte sie auf die weiche Matratze. Dann erst, sah er ihn direkt von oben her an, und Joey starrte zurück.

"Sag mir, wenn ich aufhören soll."

Joey wusste vorerst nicht, was er sagen sollte. Er könnte sich Schmerzen ersparen und einschlafen, ohne sich über irgendetwas Gedanken machen zu müssen.

Aber zur Hölle damit… er hatte angefangen und obwohl eine starke Aufgeregtheit ihn beherrschte, schüttelte er den Kopf.

"Sprich nicht darüber", bat er leise. "Tu es einfach."

Kaiba musterte ihn noch lange, dann nickte er langsam und ließ seine Handgelenke los. Anschließend richtete er sich auf und befreite sich von dem Shirt. Er zog es flink über seinen Kopf und warf es zur Seite. Joey spreizte die Finger, räkelte sich kurz und ließ flüchtig den Blick über Kaibas Oberkörper schweifen.

Gut, allmählich wurde es fairer. Kaiba beugte sich wieder über ihn und zog die Decke mit sich. Vorerst legte er sich jedoch nur auf ihn, schob sich höher und begann Joey zu küssen. Der junge Mann erwiderte die Küsse nur zurückhaltend, legte jedoch die Arme um seinen Hals und atmete tief ein.

"Entspann dich", flüsterte Kaiba leise und schnappte nach Joeys Unterlippe.

"Geht nicht", nuschelte Joey ebenso leise zurück.

Kaiba antwortete mit einem verworrenen Murmeln, dann löste er sich von ihm und richtete sich bedächtig auf. Wieder trafen sich ihre Blicke, doch diesmal brach Kaiba die kurze ruhige Atmosphäre. Er ließ sich tiefer sinken, zog die Decke höher und ließ eine Hand unter der Decke verschwinden. Joey spürte keine Berührung und dennoch stockte sein Atem.

>Zieh es durch…<, dachte er sich hin- und hergerissen. >Zieh es einfach durch…<

Unter der Decke waren schnelle Bewegungen auszumachen, dann bäumte sich Kaiba

auf und warf seine Hose samt Shorts aus dem Bett auf den Boden. Joey starrte den Kleidern nach. Mit großen Augen sah er sie verschwinden und schluckte wieder.

>Okay…?< Kontrollierend atmete er durch den Mund ein und aus.

Seine Finger versenkten sich in das Bettlaken, als sich ein Arm unter seinen linken Oberschenkel schob, ihn leicht zur Seite drückte und anhob. Joey drückte zu, obwohl es noch nicht einmal begonnen hatte. Er biss die Zähne zusammen und schloss die Augen. Doch die Bewegungen erlahmten, bis er überhaupt gar keine Regung mehr wahrnahm. Bevor er jedoch die Augen öffnen könnte, spürte er eine Hand, die nach der seinen tastete. Sofort öffnete er diese, schnappte nach der Hand und faltete sich in sie. Sofort drückte er zu und presste die Lippen aufeinander.
 

Das erste Mal sollte ja etwas Besonderes und Wunderschönes sein.

Davon erlebte Joey in dieser Nacht zuerst nichts. Anfangs schnaufte er leise, presste Kaibas Hand und biss die Zähne so sehr aufeinander, dass sie knirschten. Es war ein reißender Schmerz, nichts, das man genießen konnte. Und der Schmerz hatte so lange angehalten, bis er glaubte, verrückt zu werden. Kaiba war äußerst vorsichtig gewesen, hatte keinerlei Fehler gemacht. Probleme hatte es nicht gegeben und trotzdem hatte dieses erste Mal Schmerzen in Joey hervorgerufen, die er sich nicht in seinen schlimmsten Alpträumen vorgestellt hätte. Er hatte es anfangs nicht leicht und doch hielten sie erst inne, als sie die Erschöpfung dazu zwang.
 

Nach einer langen und halbwegs ruhigen Nacht erwachte Joey langsam. Verschlafen begann er sich zu regen, streckte beide Beine durch und gähnte erst einmal. Um ihn herum war es still. Kein einziges Geräusch drang an seine Ohren. Nach einem kurzen Räkeln blieb er wieder liegen, seine Hände glitten langsam über das Bettlaken, tasteten nach den Kissen und schoben sich unter sie. Nach wenigen Momenten begannen seine Lider zu zucken und dann öffnete er die Augen. Müde richteten sich seine braunen Pupillen auf die gegenüberliegende Wand und blieben an ihr hängen. Er starrte sie knapp eine Minute an, dann blinzelte er und gähnte erneut. Seine Hände begannen sich wieder zu bewegen, eine tauchte wieder unter den Kissen auf, hob sich zu seinem Gesicht und rieb es. Was war er müde. Faul ließ er die Hand auf das Bettlaken zurückfallen und schmatzte leise. Er könnte noch stundenlang hier liegen bleiben und dösen. Lahm schloss er die Augen und atmete tief ein.

>Schlafen<, ging es ihm durch den Kopf. >Schlaaafen.<

Schlafen?

Seine Augenbrauen verzogen sich. Das erinnerte ihn an irgendetwas. Kurz blieb er noch still liegen, dann riss er die Augen auf und starrte wieder an die Wand.

>Ich habe mit Kaiba geschlafen…<

Sofort zog er beide Hände zu sich, stützte sich ab und richtete sich auf. Doch nach der kleinsten Bewegung hielt er inne und stöhnte leise. Ihm tat alles weh. Unbeholfen kämpfte er sich in eine aufrechte Haltung, hockte sich hin und griff nach der Decke, um sie sich über die Schultern zu ziehen. Dann fiel sein Blick zur Seite und richtete sich auf Kaiba, der neben ihm lag und schlief. In die Decke gehüllt, lag er dort und atmete ruhig und gleichmäßig.

Joey hob die Augenbrauen, betrachtete ihn weiterhin und hob langsam die Hand zum Mund, um an seinen Fingernägeln zu knabbern. Ja, er hatte mit ihm geschlafen. Himmelherrgott, er hatte es hinter sich gebracht. Er hatte Strapazen und Schmerzen durchgemacht, doch er hatte es hinter sich. Abwesend knabberte er weiter und hielt den Blick nachdenklich auf den jungen Mann gerichtet.

>Bereue ich es? Nein.<

Nach weiteren Augenblicken wandte er den Blick ab, ließ die Decke seine Schultern hinabrutschen und betastete seinen Körper. Es war ein merkwürdiges Gefühl…

Und das lag sicher nicht an den Schmerzen, die er immer noch spürte.

Nun hatten sie also die letzten Hüllen fallen gelassen.

Unter einem leisen Seufzen zog er die Decke wieder über seine Schultern, ließ die Arme hängen und starrte ein bisschen vor sich hin.

>Kaiba hat alles gemacht, als hätte er jahrelange Übung hinter sich.< Joey runzelte die Stirn. >Aber das kann ich mir nicht vorstellen. Nein, das geht nicht. Ich glaube, Kaiba hat zu viel Arbeit. Jetzt und auch früher. Er hatte für Beziehungen sicher nie etwas übrig. Bis jetzt.< Joey grinste. >Ja, da haben wir wieder das Allroundgenie.<

Er konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen. Dieses stellte er jedoch sofort wieder ab, als er hinter sich eine flüchtige Bewegung wahrnahm. Und bevor er sich umdrehen konnte, erschien plötzlich Kaiba hinter ihm. Der junge Mann gähnte herzlich, zog die Decke mit sich, hockte sich hinter ihn und schlang die Arme um seinen Bauch. Joey versuchte sich immer noch umzudrehen, doch Kaiba hielt ihn fest, hinderte ihn daran. Also warum nicht, dann starrte er eben auf die Wand und überließ Kaiba den schönen Anblick. Sanft legte er die Arme um die von Kaiba und lehnte sich etwas nach hinten. Er lehnte sich gegen Kaibas Brust und dieser ließ die Stirn auf seine Schulter sinken. So saßen sie einige Momente dort und Joey fühlte sich etwas unwohl.

Er wollte Kaiba viele Fragen stellen. Das Schweigen brachte wieder das Gefühl der Unsicherheit mit sich. Aber vor was sollte er sich denn fürchten?

Der warme Atem, der stoßweise über seine Haut strich, erinnerte ihn an vergangene Nacht. Er hockte sich etwas gemütlicher hin, streckte beide Beine von sich und schloss die Augen. Aber nach wenigen Sekunden, glaubt man es, da rollte Kaiba das Gesicht zur Seite und gähnte wieder. Er gähnte richtig und machte es sich dann wieder gemütlich. Joey jedoch, rümpfte die Nase und wandte sich zu Kaiba, bis dessen Haarsträhnen sein Gesicht kitzelten.

"So müde?"

"Verübelst du es mir?", kam die laue Antwort.

>Oh man!< Joey wandte sich wieder ab, räusperte sich. Nein, natürlich verübelte er es ihm nicht aber irgendetwas musste er ja sagen, um ein Gespräch zu beginnen. Nachdenklich starrte er wieder auf die Wand und schüttelte langsam den Kopf.

>Wieder tut Kaiba so, als wäre das, was wir in dieser Nacht getan haben, das Normalste überhaupt. Er scheint sich da gar nicht so viel draus zu machen. Ganz im Gegensatz zu mir. Oh, ich wünschte, ich wäre so wie er. Nur die ganze Arbeit liegt mir nicht so.< Joey hob eine Hand, um es an seinen Fingern abzuzählen. >Das Haus... na ja, das ist mir auch ein bisschen zu groß. Auch auf einen kleinen Bruder wäre ich stolz und die Limousine? Ist gekauft!< Joey beobachtete seine gespreizten Finger, zog einen von ihnen jedoch wieder ein. >Ne, die Limousine wäre auf die Dauer doch nichts.<

"Weißt du was?", murmelte er grüblerisch und betrachtete sich seine Hand von allen Seiten.

"Mm…?"

"Wir haben eigentlich kaum etwas gemeinsam. Familiär und Freizeitlich und so."

"Schulisch", fügte Kaiba nuschelnd hinzu.

"Ja, danke." Joey rollte mit den Augen und ließ die Hand plump auf die Decke zurückfallen. "Na gut. Aber ich habe keine Firma, keine Limousine, kein großes Anwesen, keine Bediensteten, keinen Chauffeur und keinen kleinen Bruder. Dafür habe ich aber eine kleine Schwester."

"Mm..."

"Ich meine ja nur." Joey kreuzte die Beine und kratzte sich an der Stirn. "Aber du interessierst dich nicht wirklich für die Dinge, für die ich mich interessiere, oder?"

"Mm..."

"Ich kann keine Gitarre spielen, habe keinen blassen Schimmer von Computern und könnte nie im Leben eine Firma leiten. In der Schule komme ich mir manchmal etwas minderbemittelt vor und ich kann nicht einmal normale Termine einhalten. Beim Arzt oder so."

"Mm..."

"Ich will damit nur sagen, dass wir gar nicht so viele Gemeinsamkeiten haben, wie du vielleicht denkst." Joey biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. "Spielst du Playstation?"

"Mm..."

"Was? Wirklich?" Wieder drehte Joey das Gesicht zur Seite, versuchte einen Blick auf Kaibas Gesicht zu werfen. Doch dieser hatte sich an seinen Hals geschmiegt. "Du spielst Playstation?"

"Mm..."

Joey beobachtete seinen Schopf nachdenklich, dann runzelte er wieder die Stirn und atmete tief ein.

"Und... was für Spiele?"

"Mm..."

"Aha." Joey nickte und schnitt eine Grimasse. "Also, weißt du, wie mein heutiger Tagesplan aussieht?"

"Mm..."

"Natürlich." Joey stöhnte leise. "Zuerst werde ich mir ein Hundekostüm anziehen, durch deinen Garten rennen und dem Chauffeur ins Bein beißen. Anschließend steige ich mit einer Leiter in den Himmel und hüpfe über die Wolken. Immer noch im Hundekostüm, versteht sich. Ich küsse die Sonne, gehe im Weltall spazieren und mache mich dann mit einem Dreirad auf den Weg zu Yugi, um ihm einen Antrag zu machen."

Kaiba regte sich nicht und Joey wartete griesgrämig auf eine Antwort. Und die bekam er. Erst nach wenigen Augenblicken, aber bekam sie.

"Lass dir helfen."

"Wa...?" Joey lehnte sich nach vorn und Kaiba richtete sich müde auf, blieb aufrecht sitzen und fuhr sich gähnend über das Gesicht.

"Du hast mir gar nicht zugehört." Joey grabschte nach der Decke und mummelte sich in ihr ein, Kaiba starrte er grimmig an. "Und jetzt machst du dich wieder lustig über mich."

Kaiba rieb sich die Augen und ließ die Arme sinken. Er wusste nicht wirklich, warum er plötzlich angefahren wurde.

"Warum antwortest du mir nicht gleich richtig?" Joey erhob sich auf die Knie, soweit es seine schmerzenden Glieder zuließen. "Ist doch klar, dass ich mir irgendwie vergackeiert vorkomme, oder?"

Kaiba starrte skeptisch zurück und Joey ballte die Hände zu Fäusten, wollte weitermeckern und brachte letzten Endes nur ein leises Seufzen hervor.

"Du bist gemein."

"Und du redest zu viel." Kaiba stöhnte, beugte sich nach vorn und umarmte ihn. Und wie hätte Joey spätestens jetzt noch in der Lage sein können, wütend zu sein. Sofort verlor sich der Zorn aus seinem Gesicht und die Arme hoben sich, um die Umarmung zu erwidern. Doch bevor er das schaffen konnte, ließ sich Kaiba ohne Vorwarnung nach hinten fallen und zog ihn mit sich. Kaiba landete weich auf den Kissen und Joey landete weich auf ihm. Als er sich aufzurichten versuchte, hielten ihn die Arme noch immer fest umschlungen, also ließ er sich auf Kaiba sinken und machte es sich gemütlich. Dieser hob die Arme höher und legte sie über Joeys Schultern.

"Und?", fragte er, nachdem der junge Mann den Widerstand aufgeben hatte und still lag. "Wie geht es dir?"

"Hm." Joey öffnete die Augen, wühlte eine Hand nach vorn und begann neben Kaiba im Bettlaken zu pulen. "Ich fühle mich, als wären vier Lastwagen über mich drüber gefahren. Als wäre ich ohne Seil Bungee gesprungen oder hätte den Atlantik durchschwommen. Ja, so in Etwa fühle ich mich."

Kaiba atmete tief ein Joey wurde etwas angehoben, sank jedoch gleich wieder hinab. So, jetzt wusste er ja, wie es ihm ging. Und weitere Fragen kamen von seiner Seite auch nicht mehr. Aber Joey hatte da so ein paar Ungewissheiten im Kopf, die er gern loswerden wollte. Aber damit zögerte er. Er blieb faul liegen, pulte weiterhin im Laken und knabberte auf seiner Unterlippe. Ein letztes Mal atmete er tief ein, zog die Hand zurück und schob sie zu Kaibas Schlüsselbein. Dort ließ er sie liegen und saugte an seinen Zähnen.

"Ähm..."

"Hm?"

"Ist... irgendetwas schief gegangen oder ist das immer so lustig?"

Natürlich reagierte Kaiba auch darauf nicht sonderlich auffällig. Er löste sogar einen Arm von Joeys Rücken und schob ihn unter den eigenen Kopf. Und die Frage schien ihm auch nicht unangenehm zu sein. Ganz im Gegensatz zu Joey, der sich am liebsten unter der Decke verkriechen wollte und nun angespannt auf eine Antwort wartete.

"Es ist alles so gelaufen, wie es laufen sollte."

>Klar<, dachte sich Joey. >So wie alles in deinem Leben.<

"Ich habe dich gewarnt aber du wolltest ja nicht hören."

"Hey hey hey!" Sofort rappelte sich Joey auf, schob sich weiter nach vorn und starrte Kaiba an. "Tu nicht so, als hätte es dir keinen Spaß gemacht!"

"Natürlich hat es mir Spaß gemacht", erwiderte Kaiba und lugte zu ihm. "Das Gegenteil habe ich nie behauptet."

"Aber es hat sich so angehört", zischte Joey. "Ich war ja der, der leiden musste! Ich hätte es dir nie verziehen, wenn es dir nicht gefallen hätte."

Kaiba behielt den Blickkontakt aufrecht, doch an seinen Mundwinkeln zog ein knappes Schmunzeln. Joey schob sich noch weiter nach vorn, bis ihre Gesichter übereinander waren. Kaiba blickte zu Joey auf und dieser genoss seine Stellung.

"Oh du..." Joey erwiderte das Grinsen, schüttelte freudig den Kopf. "Wir sollten das so schnell es geht wiederholen, damit wir irgendwann mehr Übung darin haben." Dann lachte er, ließ sich hinabsinken und küsste Kaiba.

"Es ist nichts schief gegangen", nuschelte dieser noch einmal an seinen Lippen.

"Halt die Klappe." Joey schmiegte sich an ihn, strich sich die Strähnen zurück und schloss die Augen. Kaiba befolgte seinen Befehl, drückte ihn an sich und erwiderte die flüchtigen Küsse sanft. Dann öffnete Joey den Mund weiter, legte den Kopf schief und presste die Lippen auf die seinen. Sie verschmolzen in einem langen Kuss, ließen ihren Fantasien freien Lauf. Dann rollte sich Joey von ihm runter, rollte sich zur Seite und zog ihn mit sich. Doch sobald sie wieder bequem lagen, löste sich Joey von ihm, streckte den Kopf zurück und starrte ihn verdutzt an.

"Warum bist du eigentlich nicht in der Schule?"

Kaiba runzelte die Stirn, lockerte die Umarmung und räusperte sich.

"Du überraschst mich immer wieder mit deinem Erkenntnisvermögen."
 

In bequemen Morgenmänteln traten die beiden dann auf den Flur hinaus. Joey blieb stehen und Kaiba schloss die Tür mit dem Fuß.

"Und? Was machen wir heute?", erkundigte sich Joey, als er neben Kaiba losschlenderte.

"Ich weiß nicht." Kaiba ließ die Hände in die Taschen des Morgenmantels rutschen. "Aber in zwei Tagen findet ein großes Treffen statt. Ich weiß nicht, ob ich hingehe."

"Ein großes Treffen?" Joey lugte zu ihm.

"Hm", murrte Kaiba. "Eines dieser Treffen, auf denen die großen Geschäftsführer zusammenkommen. Protzen und trinken, mehr gibt es dort nicht."

"Warst du schon einmal dort?", fragte Joey weiter.

"Joseph." Kaiba lugte erschöpft zu ihm. "Würde ich es sonst wissen? Natürlich war ich dort und ich habe es sofort bereut."

"Ja?"

"Leute aus allen Ländern kommen hier nach Japan, um ihre Limousinen zu präsentieren oder mit ihrem Reichtum zu protzen. Ich bekam die Einladung wieder als einer der Ersten, obwohl ich seit zwei Jahren nicht mehr dort war."

Die beiden erreichten die Treppe und stiegen sie gemächlich hinab.

"Und du gehst nicht hin?"

"Auf der einen Seite interessiert es mich schon, was in anderen Teilen der Welt passiert, wie berühmte Firmen vorankommen oder welche bankrott sind. Auf diesen Treffen wird man über all diese Dinge informiert. Auf der anderen Seite kann ich es nicht ausstehen, mit Schleim beworfen zu werden."

"Wie meinst du das?" Joey verstand nicht.

"Ganz einfach." Kaiba ließ die Hand auf das Geländer sinken und trat von der letzten Stufe. "Jeder erhofft sich von dem Erscheinen des Anderen irgendetwas. Verfluchte Verträge, bei denen für sie mehr herausspringt. Die denken, jeden für dumm verkaufen zu können."

"Ja." Joey stimmte ihm zu. "So sind diese verfluchten Geschäftsmänner."

"Hey."

"I... ich meine damit natürlich nicht dich!", berichtigte Joey schnell und grinste nervös. "I... ich meine so insgesamt, weißt du? Ich habe doch Ohren und Augen. Ich habe auch schon ein paar von solchen Typen kennengelernt, die dir alles aus den Taschen ziehen, dich von vorne bis hinten verarschen."

"Ach." Kaiba betrat den Speiseraum. "Ich kann mir kaum vorstellen, dass du..."

"Herr Kaiba!", wurde er plötzlich unterbrochen und blieb stehen. Der Arzt kam ihnen entgegen, fuchtelte wie wild mit einigen Unterlagen. Unauffällig trat Joey einen Schritt zur Seite, versteckte sich hinter Kaiba und krallte sich in seinen Mantel. Scheu lugte er hinter seiner Schulter hervor und sah den gefährlichen Mann näher kommen.

"Wo ist Ihr kleiner Bruder?" Der Arzt blieb vor ihm stehen und ließ die Unterlagen sinken. "Er muss sich doch einer Untersuchung unterziehen, bevor er die Klassenfahrt antritt."

"Er ist bei einem Freund", antwortete Kaiba und schüttelte seine Schulter, denn Joey krallte sich in seine Haut. "Er wird bald wieder hier sein."

"Das will ich auch hoffen!" Der Arzt runzelte streng die Stirn.

"Was denn für eine Klassenfahrt…?", flüsterte Joey leise, immer darauf bedacht, unentdeckt zu bleiben.

"Und Sie trinken jetzt einen schönen Salbeitee", wurde er plötzlich angesprochen. Da schnitt er eine Grimasse und trat hinter Kaiba hervor. "Der tut Ihrem Hals gut und Ihren Bronchien. Und gegen das Fieber hilft er auch!"

"Ich hab doch gar kein..."

Bevor er sich versah, traf die Hand des Mannes auf seine Stirn. Bevor er jedoch erschrecken konnte, schüttelte der Mann den Kopf und trat zurück.

" Und wie Sie Fieber haben! Sie dürfen sich ja nicht überanstrengen. Nicht einmal im geringsten Fall anstrengen. Sonst kann es ganz schnell passieren, dass Sie umkippen!"

"Oi." Joey biss sich auf die Unterlippe.

"Herr Kaiba", wandte sich der Arzt verzweifelt an den Anderen. "Bitte! Ich bitte Sie, bringen Sie diesem Jungen Vernunft bei. Er bringt sich noch um, wenn er nicht auf seine Gesundheit achtet!"

Kaiba lugte langsam zu Joey, musterte ihn streng.

"Ich kümmere mich darum", murmelte er. "Sie können sich auf mich verlassen."

"Gott sei Dank!" Der Arzt streckte die Arme gen Zimmerdecke. "Und schicken Sie Ihren Bruder bitte zu mir!"

Mit diesen Worten ließ er endlich von den Beiden ab und ging wieder seiner Wege. Hektisch und in schnellen Schritten. So wie immer. Joey sah ihm nach, war froh, dass er mit einem Salbeitee davongekommen war. Kaiba murmelte etwas Verworrenes und schlenderte dann auf den Tisch zu. Nach einem kurzen Zögern folgte Joey ihm.

"Das mit dem aufpassen... das hast du doch nicht ernst gemeint, oder?"

"Natürlich war es ernst gemeint", antwortete Kaiba und ließ sich auf seinem Stuhl nieder. "Noch benimmst du dich gut. Aber ich werde schon darauf achten, dass du dich nicht überanstrengst."

"Ach ja?" Plötzlich grinste Joey. "Danach sah es in dieser Nacht aber nicht aus."

Kaibas Hand, die soeben nach der Kaffeetasse greifen wollte, hielt in der Bewegung inne und Kaiba blickte auf. Joey grinste noch immer und Kaiba erwiderte seinen Blick beinahe unbeteiligt. Dann schüttelte er jedoch langsam den Kopf und griff nach der Tasse. Joey lachte leise, beugte sich nach vorn und erspähte plötzlich eine Tasse, deren Inhalt abscheulich stank. Sofort verstummte er und das Grinsen erstarb.

"Och nö..."

"Oh doch." Kaiba trank einen Schluck und stellte die Tasse wieder ab. Joey murmelte einen leisen Fluch, schnitt eine Grimasse und schob die Hand langsam näher an die gottverdammte Tasse heran.

"Was ist denn das nun für eine Klassenfahrt?", fragte er, als er die Tasse fast erreicht hatte.

"Mokuba fährt morgen früh nach Italien", erwiderte Kaiba nachdenklich. "Eigentlich habe ich etwas dagegen."

"Warum?", erkundigte sich Joey und lehnte sich zurück, nicht weiter auf die Tasse achtend.

"Dreizehn Stunden Fahrt, außerdem eine schäbige Unterkunft. Ich hätte ihn gern mit dem Flugzeug fliegen lassen aber selbst das wollte er nicht. Und über die Unterkünfte habe ich mich auch informieren lassen. Und ehrlich", Kaiba schnitt eine Grimasse, "die sind ihm nicht würdig."

"Na ja, aber wenn er das gern will...?"

"Ich lasse ihn fahren." Kaiba wies mit einer knappen Kopfbewegung auf die Tasse. "So, nachdem du jetzt versucht hast, abzulenken, trinkst du das."

>Mist!< Stöhnend griff Joey nach der Tasse, setzte sie an die Lippen und schloss die Augen. Dann trank er ein paar Schlucke und verzog gequält das Gesicht. Aber vorerst war Kaiba zufrieden und begann zu frühstücken. Auch Joey langte zu und letzten Endes wurde es doch ein angenehmes Frühstück.
 

Die Frage, die Joey an Kaiba gestellt hatte, was sie heute machen würden, beantwortete sich schnell. Nur eine Stunde später hockte Joey gemütlich in einem kleinen Sessel in Kaibas Büro, in der Kaiba-Corporation. Er wollte nicht alleine zu Hause bleiben, sich noch etwas an Kaibas Anblick ergötzen. Also machte er es sich gemütlich, streckte beide Beine von sich und ließ die Arme über den Lehnen baumeln. Ach ja, heute durfte er nicht arbeiten, nicht helfen. Er fläzte nur dort und beobachtete Kaiba, wie er herumrannte. Und er rannte so schnell, das Joey glaubte, es würde mehrere von ihm geben.

Es vergingen wohl zwei Stunden, Kaiba führte Telefonate, wühlte hier, wühlte dort und rannte, als würde er an einem Sprintwettbewerb teilnehmen. Und dann, als Kaiba mal wieder an seinem Schreibtisch saß und sich etwas unentschlossen umsah, betrat Pikotto das Büro. Joey blickte auf und Kaiba lehnte sich zurück. Pikotto ließ die Zigarette sinken und wandte sich an Joey.

"Tag", begrüßte er ihn.

Joey grinste und hob die Hand.

"Tagchen."

Dann verschränkte Pikotto die Arme vor dem Bauch und wandte sich an Kaiba.

"Du wolltest mich sprechen?"

"Ja." Kaiba nickte und auch Joey lauschte auf. "Du arbeitest Tag und Nacht, Pikotto. Ich dachte mal, dir könnten Ferien gut tun."

Pikotto runzelte die Stirn, davon war er überhaupt nicht begeistert.

"Ich brauche keine Ferien", widersprach er.

"Ist mir egal." Kaiba winkte ab. "Du fährst nach Italien."

"Nach Italien?", fragte Pikotto. Joey richtete sich langsam auf.

"Genau, Italien." Kaiba faltete die Hände auf dem Bauch und lehnte sich gemütlich zurück. "Und zwar mit Mokuba... und dessen Klasse."

>Ach, da ist der Haken.< Pikotto seufzte. >Ich habe mich schon gewundert, warum er plötzlich so großzügig ist.<

"Du sollst ihn nur etwas im Auge behalten, darauf achten, dass er keinen Blödsinn macht, verstehst du?"

"Warum schickst du nicht Roy?", versuchte sich Pikotto herauszuwinden. "Ich glaube, der hat Ferien am nötigsten."

"Aber dir vertraue ich am meisten", erteilte Kaiba ihm einen angenehmen Korb. "Roy würde sich an den Strand legen, trinken oder den ganzen Tag schlafen. Er würde diesen Auftrag nicht sehr ernst nehmen. Aber genau das ist er." Kaiba biss sich auf die Unterlippe. "Ernst."

"Na, dann." Pikotto nahm einen letzten Zug und drückte die Zigarette in einem herumstehenden Aschenbecher aus. "Dann werde ich jetzt meine Sachen packen."

Kaiba nickte.

"Danke."

"Keine Ursache." Pikotto schüttelte den Kopf und verließ das Büro. Joey sah ihm nachdenklich nach, blieb jedoch faul liegen. Und Kaiba begann wieder in seinem Schreibtisch zu wühlen.
 

Joey stellte an diesem Tag keine Fragen mehr. Er reimte sich sein eigenes Ergebnis zusammen und hoffte, dass es mit dem Wahren übereinstimmte. Und wenn dem so war, Halleluja. Den Rest des Tages hockte er nur noch in der Kaiba-Corporation. Und wenn ihm langweilig war, dann schnappte er sich einfach das Telefon und quatschte mit Yugi. Dann rief er Tea an, Tristan und Duke. Jedem von ihnen musste er erklären, wie es ihm ging. Außerdem hatte er ihnen versprochen, morgen wieder in der Schule zu sein. Kaiba hatte ihm einen skeptischen Blick zugeworfen, doch nachdem Joey ausführlich mit ihm diskutiert hatte, erhielt er die Erlaubnis, in die Schule zu gehen. Ja, morgen schon. Er langweilte sich ohnehin nur, wenn er irgendwo herumsaß und nicht wusste, was er tun sollte. Es war am frühen Abend, als die beiden wieder nach Hause fuhren. Mokuba trafen sie beim Abendbrot und der Junge jammerte, wie ihn der Arzt wieder gequält hatte. Und als Joey aus Versehen eine Frage stellte, wurde er sofort über den gesamten Verlauf der Klassenfahrt informiert. Kaiba brach das Abendbrot vorzeitig ab, meinte, dass Mokuba ins Bett sollte. Morgen erwartete ihn ein langer Tag. Der Junge verabschiedete sich innig von den beiden und man konnte ihm ansehen, dass es ihm nicht gefiel, so lange von seinem großen Bruder getrennt zu sein. Das kam so gut wie nie vor. Nur manchmal, wenn Kaiba tagelang in seiner Firma hockte. Aber diesmal war es anders. Sie wären in verschiedenen Ländern und Mokuba wusste,

dass nicht ein kleiner Spaziergang genügte, um ihn zu sehen.

"Du musst nicht fahren, wenn du nicht willst", hatte Kaiba einen letzten, verzweifelten Versuch unternommen, doch Mokuba schüttelte den Kopf. Diese Gelegenheit wollte er sich nicht entgehen lassen.

Nachdem Mokuba davongerannt war, machten sich auch die beiden auf den Weg nach oben. Damit ließen sie sich jedoch alle Zeit der Welt. Sie schlenderten, trödelten und es war eine Selbstverständlichkeit, dass Joey nicht das Bett im Gästezimmer benutzte. Während sich Kaiba noch einmal auf einem der Stühle niederließ und eine Zigarette rauchte, begann sich Joey auszuziehen. Träge zog er sich den weißen Pullover über den Kopf, der natürlich wieder Kaiba gehörte und warf ihn auf irgendeinen Hocker. Als er sich soeben ausgelassen strecken wollte, wurde er auf Kaiba aufmerksam, der wieder sonst wohin starrte und ihm keine Aufmerksamkeit schenkte. Er kratzte sich den Bauch, legte den Kopf schief und schlenderte näher. Vor ihm blieb er stehen, stützte die Hände in die Hüften und betrachtete ihn sich nachdenklich. Kaiba hob die Zigarette, klemmte sie zwischen seine Lippen und ließ die Hand sinken. So nahm er einen Zug und blickte dann auf. Joey musterte ihn kurz, die hellen Augen, die auf ihn gerichtet waren, wirkten weder verunsichernd, noch störend auf ihn. Und nach einem kurzen Grübeln schlug er das Bein über die von Kaiba, rutschte näher und ließ sich auf seinem Schoß nieder. Da wandte Kaiba den Blick ab und runzelte die Stirn.

"Also." Joey legte den einen Arm über seine Schulter, mit der anderen Hand klaute er ihm die Zigarette. "Ist es so schlimm, dass ich mir Sorgen machen muss?"

Kaiba lehnte sich zurück, platzierte beide Hände auf Joeys Hintern und besah sich seinen Oberkörper, nicht darauf bedacht, es unauffällig zu tun. Joey ließ sich gern beobachten, nahm einen Zug und blies den Rauch aus.

"Nein." Letztendlich schüttelte Kaiba den Kopf.

Joey wollte ihn nicht mit seiner Hypothese konfrontieren. Also nickte er nur und beugte sich nach vorn. Er lehnte sich gemütlich an ihn, legte das Kinn auf seine Schulter und nahm einen weiteren Zug. Kaiba hatte versucht, Mokuba die Teilnahme an der Klassenfahrt auszureden. Als das misslungen war, zwang er Pikotto zum Urlaub, oder viel mehr dazu, Mokuba im Auge zu behalten. Und jetzt grübelte er schon wieder und zog dieses besorgte Gesicht. Es war kein langes Sinnieren von Nöten, um zu verstehen, was da vor sich ging. Kaiba hatte Angst um Mokuba, befürchtete, dass auf der Klassenfahrt etwas passieren könnte. Auf der Klassenfahrt, an der er nicht teilnahm, um auf ihn aufzupassen, so, wie er es bis jetzt immer getan hatte. Also hatte er seinen besten Mann beauftragt, seinen Job zu übernehmen. Joey konnte sich gut vorstellen, dass Kaiba seine Feinde hatte. Und sicher waren einige davon ganz schön dreist. Nachdenklich starrte Joey auf den Schreibtisch, die Hand die die Zigarette hielt, ließ er müde baumeln. Insgesamt war er sehr müde und morgen kam ein langer Tag auf ihn zu. Vor der Schule müssten sie noch einmal zu ihm fahren, um den Schulkram zu holen. Das bedeutete, dass sie um sechs Uhr aufstehen mussten. Joey hatte es nicht so mit diesen Zeiten. Nun richtete er sich langsam auf, seufzte und besah sich Kaibas Augen, die wieder auf einen nicht existierenden Punkt gerichtet waren. Das war ja nicht auszuhalten. Joey lehnte sich nach vorn, drückte ihm einen kurzen Kuss auf den Mund. Er spürte nur eine kurze Regung seiner Lippen. Dann hob er die Zigarette zu Kaibas Mund und dieser öffnete ihn einen Spalt weit, damit Joey die Zigarette zwischen seine Lippen klemmen konnte.

"Lass uns schlafen." Er lockerte die Umarmung und erhob sich. Kaibas Hände rutschten von seinem Hintern und sanken auf die Stuhllehnen hinab.

"Fühlst du dich auch wirklich stark genug, um morgen in die Schule zu gehen?" Endlich wachte Kaiba wieder auf. Er sah Joey nach, wie er davon schlenderte und nebenbei seine Hose aufknöpfte.

"Na klar." Joey warf ihm einen Schulterblick zu und grinste. "So stark habe ich mich lange nicht mehr gefühlt."

"Ach." Kaiba hob die Hand, nahm die Zigarette aus dem Mund und drückte sie im Aschenbecher aus, der direkt neben ihm stand. Zur selben Zeit schlüpfte Joey aus der Hose und warf sie zu dem Pullover. Ohne auf Kaiba zu warten, stieg er dann auf das Bett, strauchelte zu den Kissen und ließ sich auf die weiche Decke hinabsinken. Er zog sie gleich über sich, schob sich weiter zurück und verschränkte die Arme unter dem Kopf. So blieb er liegen und beobachtete Kaiba. Dieser ließ sich alle Zeit der Welt, stand erst einmal ein paar Sekunden untätig herum und begann erst dann, sein Hemd aufzuknöpfen. Joey wusste, dass es nicht der geeignete Zeitpunkt war. Kaiba machte sich Sorgen aber er musste sich trotzdem an seinem Anblick ergötzen. Geschmeidig fuhren Kaibas Finger über den Stoff und drehten die Knöpfe aus den Löchern. Dann ließ er das Hemd über seine Arme gleiten und warf es neben sich auf den Stuhl. Als er auch seine Hose aufknöpfte, räkelte sich Joey langsam, behielt den Blick jedoch fest auf ihn gerichtet. Kaiba fühlte sich nicht beobachtet, warf auch die Hose auf den Stuhl und wurde erst dann auf die Beobachtung aufmerksam. Er blieb stehen, kratzte sich am Steiß und starrte zurück.

"Was?"

Joey antwortete nicht, vielmehr interessierte er sich für diese unglaublich langen und schlanken Beine. Skeptisch sah sich Kaiba um. War es wirklich er, der plötzlich so interessant auf Joey wirkte? Hatte er vielleicht irgendwo etwas kleben? Da er nicht fündig wurde, richtete er den Blick wieder auf Joey, doch dieser grinste nur, rollte sich zur Seite und zog sich die Decke über den Kopf.

"Komm schon."

Kaiba grübelte kurz, dann schnitt er eine Grimasse und gesellte sich zu ihm.
 

Der kommende Tag war für viele sehr stressig. Joey und Kaiba kämpften sich früh aus dem Bett und fuhren los und nur eine Stunde später, gab es einen weiteren, der sich nicht wirklich glücklich schätzen konnte. Pikotto saß in einem Bus, inmitten von vielen kleinen Kindern. Er war ein sehr kinderfreundlicher Mensch, selbst Vater von zwei kleinen Jungen. Auch die Nerven verlor er nicht so schnell. Doch dreizehn Stunden?

Nun, er würde sehen, wie es weiterging. Die Lehrerin versuchte verzweifelt, etwas Ruhe und Ordnung in den wilden Haufen zu bekommen. Als sie es durch langes Bitten jedoch nicht schaffte, griff sie zu einer Geheimwaffe, die bei Kindern immer funktionierte. Sie ließ einfach einen tollen Film laufen und schon kehrte die Ruhe ein. Doch das dies schon nach einer halben Stunde Fahrt nötig war, war doch schon etwas übel, oder?

Pikotto las in einem Buch und grübelte unterdessen darüber nach, wie er Mokuba im Auge behalten könnte. Der Junge war gerissen und wenn ihm seine Beobachtereien nervten, dann war es nicht schwer, zu entwischen. Natürlich, er verstand den ernsten Grund dafür nicht. Nach einer dreiviertel Stunde zückte Pikotto ein Handy und informierte Kaiba mit einer kurzen SMS über den Verlauf der Fahrt.
 

Kaiba zog das Handy aus seiner Tasche, lehnte sich zurück und begann zu tippen. Nachdem er dann gelesen hatte, legte er das Handy auf den Tisch, warf dem Lehrer einen knappen Blick zu und wandte sich ab, um einen knappen Blick zu Joey zu werfen. Auch um ihn machte er sich seit heute Morgen Gedanken. Zuerst die Probleme mit Mokuba, dann Katagori und jetzt noch Joey. Es sah doch fast so aus, als würde der junge Mann unter einem Rückfall leiden. Kaiba wusste nicht, ob er Fieber hatte aber er wusste, dass dieses bleiche Gesicht nichts Gutes bedeuten konnte. Kurz murmelte er etwas Verworrenes, dann drehte er sich wieder um. Joey sollte im Bett liegen! Nicht etwa hier in der Schule hocken! Aber er hatte es ihm erlaubt und der Arzt würde schimpfen. Einige Minuten starrte er nachdenklich auf die Tafel, dann drehte er sich wieder um.

>Nur noch eine Frage der Zeit, bis er umkippt!<
 

"Sind Sie Mokubas Papa?"

"Hm?" Pikotto ließ das Buch sinken und erspähte ein kleines Mädchen, das plötzlich neben ihm auf dem freien Platz hockte und ihn angrinste.

"Nein", erwiderte er lächelnd und legte das Buch zur Seite. "Ich bin nur ein Bekannter, der Italien gern einmal mit eigenen Augen sehen will."

>Obwohl ich schon siebenmal geschäftlich dort war<, fügte er gedanklich hinzu.

"Aha?" Das Mädchen hob die Augenbrauen. "Und was machen Sie sonst so?"

"Ich arbeite in einer großen Firma."

"In einer großen Firma?"

"Ja."

"In der Kaiba-Corporation?"

Pikotto wunderte sich. "Woher weißt du das?"

"Na ja, das ist die einzige, große Firma, die ich kenne", antwortete das Mädel heiter. "Mokubas Bruder arbeitet auch da."

"Er... arbeitet da?"

"Ja, wussten Sie das denn nicht?"

"Na ja..." Pikotto verstummte, als der Bus das Tempo verlangsamte und in einen Rasthof einbog. Das Mädel wartete immer noch auf eine Antwort, doch Pikotto richtete sich auf und sah sich um.

Eine Rast?

Daran war nichts Ungewöhnliches.

Aber schon nach einer Stunde?

"Wir legen eine kleine Pause ein", meldete sich Busfahrer über einen Lautsprecher. "In ungefähr einer halben Stunde fahren wir weiter."

Den Kindern gefiel es. Sie juchzten und sprangen auf, konnten es kaum erwarten, draußen herumzurennen. Pikotto wartete das Gedränge ab und erhob sich erst, als alle Kinder bereits draußen waren. Er stieg von der oberen Etage hinab und trat auf den Parkplatz hinaus. Die Lehrer hatten alle Hände voll zu tun, um die Kinder beisammen zu halten, denn diese wollten lieber Fange spielen, als herumzustehen. Pikotto zündete sich unterdessen eine Zigarette an, genoss kurz die frische Luft und machte sich dann auf den Weg zu den beiden Busfahrern, die angespannt miteinander diskutierten, sogar zu streiten schienen.

"Gibt es Probleme?", erkundigte er sich, als er neben den beiden stehen blieb.

"Und wie es die gibt!", erwiderte der Kleinere leicht genervt. "Eines der Räder ist locker!"

"Aber ich habe dafür gesorgt, dass alles überprüft wurde!", warf der Größere ein. "Das dürfte gar nicht sein!"

"Bei der Überprüfung des Busses vor der Fahrt wurde nichts festgestellt?" Pikotto ließ die Zigarette sinken und warf dem Fahrzeug einen knappen Blick zu. "Das ist merkwürdig."

"Natürlich ist das merkwürdig!" Der Kleinere raufte sich die Haare. "Was wäre nur passiert, hätten wir es nicht früh genug bemerkt!"

"So etwas kann vorkommen." Dennoch sah sich Pikotto nach Mokuba um. "Jetzt reparieren Sie es einfach und machen Sie die Kinder mit ihrem Geschrei nicht verrückt."

"Ja, ja!" Der Kleinere wandte sich Haare raufend ab und der andere runzelte die Stirn.

"Ich versteh's nicht", murmelte er, bevor auch er losschlenderte.

Pikotto sah ihnen nach, warf dem Bus einen weiteren Blick zu und begann dann Mokuba zu beobachten. Das alles müsste schon ein sehr dummer Zufall sein. Misstrauisch sah er sich erneut um. Viele Autos fuhren von der Autobahn auf die Raststelle ab, viele Autos standen auch auf den Parkplätzen.

Sollte er Kaiba informieren?

Er nahm seine Aufgabe sehr ernst, nahm sich jedoch vor, abzuwarten. Vielleicht war es wirklich nur ein Zufall? In langsamen Schritten näherte er sich Mokuba. Der Junge plauderte ausgelassen mit Bikky und zwei anderen Jungs. Er schien sich keinerlei Sorgen zu machen. Wie denn auch? Er wusste von nichts. Wusste nicht, was seinen großen Bruder plagte und warum Pikotto ihn auf dieser Klassenfahrt begleitete. In nicht all zu weiter Entfernung blieb Pikotto stehen und begann die gesamte Raststelle zu begutachten, zu durchmustern. Doch er sah nichts auffälliges, nichts, was Misstrauen erregte. Die beiden Busfahrer begannen unterdessen an dem Bus herumzufuhrwerken. Meckernd und kopfschüttelnd schoben sie einen Wagenheber unter das Fahrzeug und schleppten Werkzeuge heran. Allmählich erschien ihm Kaibas Befürchtung real. Wenn das alles zu einem ausgeklügeltem Plan gehörte, dann musste er sich wirklich vorsehen. Obwohl Katagori solch ein Plan nicht zuzutrauen wäre. Nach wenigen Minuten begannen die Busfahrer das Rad abzuschrauben und Pikotto machte sich auf den Weg zu ihnen, um ein Auge auf diese lockeren Schrauben zu werfen. Hinter den beiden Männern blieb er stehen, warf die Zigarette zur Seite und beugte sich nach vorn. Er hatte Ahnung von Autos und das was er sah, konnte bei keiner Überprüfung übersehen werden.

"Sie sich das einer an!", jammerte der Kleinere wieder und fuhr sich über den Nacken. "Das kann doch nicht sein."

"Das ist doch zum verrückt werden", stöhnte der Andere.

Pikotto runzelte die Stirn und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Da musste er den Männern Recht geben, das konnte nicht sein. Er seufzte leise und wandte sich um, um einen prüfenden Blick zu Mokuba zu werfen. Die Kinder tummelten sich vor seinen Augen, versperrten ihm die Sicht. Langsam ließ er die Arme sinken und trat näher. Er mochte es nicht, wenn er Mokuba nicht sehen konnte. Die Kinder lachten und alberten, Pikotto trat erst in langsamen, dann in schnellen Schritten näher. Und dann stoben die Kinder auseinander. Sie flohen nicht, nein, sie spielten jetzt doch Fange und die Lehrer schrien in leiser Verzweiflung. Sofort bot sich Pikotto ein guter Blick auf die quasselnde Gruppe, der auch Mokuba angehörte. Sie nahmen nicht an den Spielen teil, sondern tratschten. Und sie tratschten so ausgelassen, dass sie das Auto nicht bemerkten, das sich ihnen in schneller Fahrt näherte!

Augenblicklich erwachte Pikotto zum Leben. Er stieß sich ab und sprintete los. Er würde sie schnell erreichen. Doch würde er es vor dem Auto schaffen? Er rannte schneller, rannte so schnell er konnte. Bikky und die anderen beiden Jungs bemerkten nun den Wagen, der nur noch wenige Meter von ihnen entfernt war. Sofort rannten sie schreiend weg, nur Mokuba… der hatte den Wagen im Rücken und wurde erst auf ihn aufmerksam, als sich seine Freunde bereits in Sicherheit gebracht hatten. Unbarmherzig stemmte sich Katagori gegen das Gaspedal, seine Finger krallten sich um das Lenkrad, sein Mund war zu einem boshaften Grinsen verzerrt. Entsetzt schrie Mokuba auf und riss die Arme vor das Gesicht, doch fliehen tat er nicht, denn seine Beine machten nicht mit. Pikotto rannte direkt auf das Auto zu und bevor dieses Mokuba erreicht hatte, erreichte er ihn. Mit einer kraftvollen Bewegung stieß er den Jungen zur Seite und sofort erfasste ihn das Auto. Er schlug auf der Motorhaube auf, rollte über die Windschutzscheibe, über das Dach und letzten Endes über den Kofferraum. Dann erst landete er hart auf dem Asphalt. Die Kinder schrien, die Lehrer schrien und die Busfahrer schrien am lautesten. Quietschend drehten die Räder durch, Katagori machte sich aus dem Staub.

In großer Panik rannten die Kinder über die Raststelle. Auch die beiden Busfahrer liefen in einer kopflosen Panik umher und rauften sich die Haare. Es war alles zu schnell gegangen, als dass sie es verstehen könnten. Ein Unfall, ging es ihnen allen durch den Kopf. Es musste ein Unfall gewesen sein! Röchelnd neigte sich Pikotto nach vorn, biss die Zähne zusammen und schloss verkrampft die Augen. Doch bevor er nach eigenen Verletzungen suchte, blickte er zuerst auf und musterte Mokuba. Der Junge hockte auf der Bordsteinkante und hielt sich das Bein.

Vielleicht war es gebrochen?

Vielleicht war er arg gestürzt?

Schwerer verletzt schien er jedoch nicht zu sein. Und das war das wichtigste. Pikotto schnappte nach Luft, richtete sich auf soweit es ging und begann hastig in den Taschen seines Anzuges zu suchen. Kurz darauf zog er sein Handy hervor und wählte krampfhaft eine Nummer.
 

"Das hast du davon", murrte Kaiba, während er den jammernden Joey durch das Schulgebäude schleppte. Joey stützte sich auf ihn und hielt sich den Bauch. "Wie kannst du mich nur überreden, dich mit in die Schule zu lassen, obwohl es dir nicht gut geht!"

"Heute Morgen ging es mir ja noch gut", klagte Joey und sah das Arztzimmer näher kommen. "Aber jetzt ist mir sooo übel."

"Dann hättest du heute Morgen mehr essen sollen!" Kaiba stöhnte.

"Mir ist trotzdem übel", seufzte Joey.

"Himmelherrgott!" Kaiba rollte mit den Augen, griff nach der Klinke und öffnete die Tür. "Jetzt hältst du den Mund und legst dich hin!"

"Hm... ja..."

"Auf der anderen Seite hast du mich wirklich überrascht." Kaiba hievte ihn auf die Liege und Joey ließ sich sofort nach hinten fallen, krallte sich jedoch noch in Kaibas Ärmel, um sicherzustellen, dass sich dieser nicht aus dem Staub machte.

"Überrascht?", fragte er, als er endlich still lag. "Wie meinst du das?"

"Nun, ich dachte, dass du früher umkippst. Nicht erst jetzt."

"Ach." Joey rupfte an seinem Ärmel und schnitt eine Grimasse. "Ich danke dir für deine Besorgnis."

"Scheinst nicht viel auszuhalten." Kaiba griff nach einem Stuhl und ließ sich neben ihm nieder. "Ich frage mich trotzdem, woran es liegt. Ich meine, dein Fieber war schon fast verschwunden und du hast dich doch auch..."

"Ist doch egal." Joey grinste hinterhältig und zog erneut an seinem Ärmel. "Mir geht es schon besser. Na, komm schon." Er lachte leise. "Küss mich."

Doch Kaiba spielte nicht mit, er ließ sich nicht ziehen und kurze Zeit später landete seine Hand auf Joeys Gesicht, drückte ihn in das Kissen hinab.

"Mmm...!" Joey fuchtelte mit den Händen und Kaiba drehte sich zu der Ärztin um, die dort stand und nicht so recht wusste, was sie davon halten sollte. Sobald er sie erblickte, verfinsterte sich sein Gesicht.

"Er fantasiert!", zischte er. "Hat Fieber!"

"Ja, ähm... natürlich!" Die Ärztin nickte hastig, räusperte sich und machte, dass sie den Raum verließ. Erst, als die Tür zufiel, nahm Kaiba die Hand aus Joeys Gesicht und ließ ihn wieder atmen.

"Unvorsichtiger geht es ja wohl nicht!", blaffte er den keuchenden jungen Mann sofort an und dieser sah sich verdutzt um.

"Was? Warum? Was ist denn?"

Kaiba schnitt eine Grimasse und lehnte sich zurück, die angenehme Pausenmelodie ertönte. Doch auch ein anderes Geräusch vermischte sich mit der leisen Melodie; Kaiba begann in seinen Taschen zu suchen: Sein Handy meldete sich. Während er wühlte, richtete sich Joey flink auf und griff nach seinem Kragen.

"Jetzt ist sie weg", sagte er hastig. "Jetzt können wir."

"Moment." Beschäftigt schob Kaiba ihn zurück und zückte das Handy. "Ja?"

Murrend lehnte sich Joey zurück und machte es sich auf der Liege gemütlich. Er zupfte an der Decke und setzte sich in den Schneidersitz. Auf Kaiba achtete er nicht allzu viel. Dieser sagte nichts und als Joey endlich aufblickte, sah er ein blasses Gesicht, geweitete Augen.

"Langsam, langsam Pikotto!" Stockend richtete sich Kaiba auf, leckte sich die Lippen. "I-ich verstehe dich nicht! Was ist... wie bitte?!" Hastig hob er die andere Hand und fuhr sich über die Stirn. "Das kann doch nicht... Pikotto?! Hey, verflucht! Melde dich!" Kaiba schnappte nach Luft und sprang auf. "Hey, bist du noch dran?! Pikotto?!" Er ließ das Handy sinken, starrte es entsetzt an. Auch Joey wirkte etwas blass, als er Kaiba ansah. Noch nie hatte er ihn so gesehen.

Was war passiert…?

Eine kurze Zeit stand Kaiba nur vor ihm, fixierte das Handy mit entsetztem Blick und schien nicht einmal mehr zu atmen. Auch Joey hatte bald das Gefühl, keine Luft mehr in der Lunge zu haben. Plötzlich ertönte neben ihnen im Gang ein lautes Lachen. Durch dieses Lachen erwachten die beiden wieder zum Leben. Joey hob die Hand und holte tief Luft, um eine Frage zu stellen, doch Kaiba drehte sich in derselben Sekunde um und stürmte auf die Tür zu.

"K-Kaiba?!" Sofort sprang Joey von der Liege und eilte ihm nach. "Was ist denn los?!"

Er holte ihn erst im Gang ein. Kaiba hatte beide Hände zu Fäusten geballt und so wie er ging, konnte man glauben, er wolle jemanden töten, wen und weshalb auch immer. Aber er schenkte Joey keine Beachtung, spuckte einen grausamen Fluch und sprang die Treppen hinab. Joey stolperte hinter ihm her, bis er keine Lust mehr darauf hatte, ihn am Ärmel packte und festhielt.

"Was zur Hölle ist los?!"

"Was los ist?!" Kaiba fuhr zu ihm herum und schlug seine Hand zur Seite. In nur wenigen Sekunden war irgendetwas passiert, das Joey nicht realisieren konnte.

Was er jedoch wusste, war, dass er nichts getan hatte.

"Schrei mich nicht an!" Auch Joey wurde laut und an Kaibas Gesichtsausdruck konnte man deutlich erkennen, dass er leicht überrumpelt war. "Ich will nur wissen, was passiert ist! Willst du mich jetzt deswegen umbringen?"

Kaiba trat einen Schritt zurück, starrte Joey niedergeschmettert an. Seine Lippen bewegten sich stumm, dann schüttelte er den Kopf und brummte leise.

"Okay…!"

"In Ordnung." Joey seufzte, beruhigte sich. "Also, was ist los?"

Kaiba erwiderte seinen Blick nur kurz, dann stöhnte er, ließ den Kopf hängen und fuhr sich mit beiden Händen über den Nacken.

"Oh Gott...!"

"Hey." Zögerlich trat Joey näher und griff nach seiner Hand. Es war ihm egal, ob sie dabei gesehen wurden. Und auch Kaiba achtete nicht darauf. "Was ist mit Pikotto?"

Kaiba blickte auf, sah ihm direkt in die Augen.

"Pikotto ist verletzt. Mokuba auch."

"Wie bitte?!" Joey erschrak.

"Ja." Kaiba nickte verbittert, presste die Lippen aufeinander. "Ich... ich muss ins Krankenhaus!"

Mit diesen Worten wandte er sich ab und eilte weiter. Joeys Hand hielt er weiterhin fest, er zog ihn mit sich und Joey wehrte sich nicht dagegen. Erst als er die große Tür aufriss, ließ er seine Hand los.

"Warum?!" Joey versuchte verzweifelt Schritt zu halten. "Warum sind sie verletzt?!"

"Später!" Schnell näherte sich Kaiba der Limousine, die noch immer vor der Schule stand. "Komm mit!"
 

Joey fühlte sich schrecklich, als er Kaiba durch die Gänge des Krankenhauses folgte. Er mochte diesen sterilen Geruch nicht. Erinnerungen kamen zurück, ließen die Situation noch grausamer erscheinen. Während der Fahrt hatte Kaiba kaum gesprochen. Nur den Chauffeur hatte er angeschrien, zur Eile angetrieben.

Er hatte gelitten. Er konnte nicht stillsitzen, hatte die Hände aneinander gerieben und leise geflüstert. Doch Joey ging es nicht besser.

Verflucht, er wusste doch nicht einmal, was nun wirklich passiert war!

Pikotto verletzt. Mokuba verletzt. Aber warum??

Er hatte keine Fragen gestellt und erhoffte sich, die Antworten auf all die Fragen hier zu finden.

"Wo sind sie!" Der erste Arzt, der Kaiba über den Weg lief, wurde am Kragen gepackt. "Ich will sie sehen!"

"Herr Kaiba." Der Arzt hob abwehrend einige Unterlagen und trat zurück. "Beruhigen Sie si..."

"Ich will mich nicht beruhigen!" Kaiba war außer sich und Joey spürte, wie sich sein Hals verengte. Weder er noch Kaiba wusste, was mit Mokuba und Pikotto war. Wie schwer waren sie verletzt? Während Kaiba mit den Arzt diskutierte, atmete er tief ein und schluckte. Er konnte sich nicht in Kaibas Rolle versetzen. Auch er hatte ein Geschwisterchen, doch dessen Leben war nie von Gefahr geprägt gewesen. Er wusste also nicht, wie es war, sich ernsthaft

Sorgen um das Geschwisterchen zu machen. Auch Pikotto war Kaiba wichtig. Nicht nur als Arbeitskraft. Hätte man Joey früher erzählt, es gäbe mehrere Menschen an denen Kaiba hing, dann hätte Joey diesen Erzähler ohne zu Überlegen als Lügner abgestempelt. Es war kaum zu glauben. Man musste es selbst gesehen haben, wie sich Kaiba sorgte, wie er sich einsetzte, nur, um die beiden so schnell wie möglich zu sehen.

Endlich setzte sich der Arzt in Bewegung und sie folgten ihm.

"Der Junge hat von dem Unfall nur ein gebrochenes Bein und eine kleine Wunde auf der Stirn davongetragen." Der Arzt drehte sich während des Gehens zu Kaiba um und dieser nickte düster. "Um den anderen..."

"Er heißt Pikotto!"

"Verzeihung. Um Pikotto steht es schlechter. Sein linkes Handgelenk ist gebrochen. Außerdem haben wir eine Gehirnerschütterung diagnostiziert. Eine gebrochene Rippe und eine geprellte Schulter. Aber sein Zustand ist stabil, machen Sie sich also keine Sorgen, Herr Kaiba."

>Keine Sorgen machen?!< Kaiba knirschte mit den Zähnen, ballte die Hände erneut zu Fäusten. Dann endlich, blieb der Arzt vor einer Tür stehen und räusperte sich.

"Also, der Junge..."

Er verstummte, als Kaiba nach der Klinke grabschte und die Tür aufriss. Der Arzt schluckte und ließ die Unterlagen sinken.

"... schläft."

Joey atmete tief ein und umfasste die Handgelenke auf dem Rücken. Dann, nach einem kurzen Zögern folgte er Kaiba. Nur langsam trat er ein und blieb nach nur wenigen Schritten stehen. Kaiba stand neben dem einzigen Bett, stützte sich auf der Bettkante ab und starrte den Jungen an, der reglos dort lag. Es war Mokuba. Verunsichert trat Joey näher und blieb am Ende des Bettes stehen. Der Junge sah etwas blass aus, hatte ein dickes Pflaster auf der Stirn. Sein rechtes Bein war dick eingegipst und lugte unter der Decke hervor. Doch der Junge schlief einen ruhigen Schlaf; es schien ihm einigermaßen gut zu gehen. Kaiba regte sich nicht

von der Stelle. Er blieb dort stehen und starrte in das blasse Gesicht seines Bruders. Joey besah sich seine Miene und das was er sah, gefiel ihm nicht. Kaibas Gesichtszüge waren zwar von großer Sorge geprägt, doch wenn man genauer hinsah, entdeckte man auch eine unkontrollierbare Wut, die sich in seinen Augen verbarg. Nach wenigen Augenblicken hob Kaiba die Hand, führte sie an Mokubas Gesicht heran und strich ihm eine schwarze Strähne von der Stirn. Er besaß nicht viele Schwachstellen, doch nun hatte man ihn durch eine von

ihnen verletzt. Seine Hand zitterte, als er sie wieder sinken ließ und sich aufrichtete.

"Okay." Er nickte auf eine Art und Weise, die Joey Angst machte. Er schien soeben einen Entschluss gefasst und ohne weitere Worte zog Kaiba wieder an ihm vorbei und verließ

den Raum. Verstört sah Joey ihm nach, dann tätschelte er flüchtig Mokubas Bein und wandte sich ebenfalls zum Gehen ab. Als er wieder in den Gang hinaustrat, war Kaiba gerade wieder dabei, dem Arzt Angstzustände zu bereiten. Wieder hatte er ihn am Kragen gepackt. Und dabei wollte er nur wissen, wo Pikotto lag. Hektisch wies der arme Mann auf eine Tür und Kaiba stürmte sofort los. Diesmal blieb Joey jedoch stehen und sah ihn kurz darauf in dem besagten Raum verschwinden. Der Arzt neben ihm räusperte sich unauffällig.

"Was... ist denn in Herrn Kaiba gefahren?", fragte er leise und fächelte sich mit den Unterlagen Luft zu. Joey starrte etwas abwesend auf die Tür, die nun langsam zufiel. Anschließend drehte er das Gesicht zu dem Arzt und sah ihn nachdenklich zugleich traurig an. Doch er gab ihm keine Antwort, schüttelte nur den Kopf und ließ ihn anschließend sinken, um sich den Nacken zu reiben.

"Oh... Gott."

Was auch immer in Kaiba gefahren war. Joey hatte das Gefühl, er würde gleich ausrasten und jeden verprügeln, der sich ihm in den Weg stellte. In diesem Fall würde er jedoch der einzige sein. Da der Arzt durch Joey nicht auf des Rätsels Lösung kam, nahm er sich einfach vor, abzuhauen. Er sagte schnell, er müsste sich um seine anderen Patienten kümmern und eilte davon. Nun stand Joey alleine da. Er spitzte die Ohren, versuchte irgendetwas zu hören. Über was sprach Kaiba mit Pikotto? Warum ging er einfach nicht mit rein? Er wusste es nicht. Was

er jedoch wusste, war, dass es keine gute Idee wäre. Nach einem kurzen Grübeln ließ er sich auf einem der Stühle nieder.

Nach nicht allzu langer Zeit öffnete sich die Tür.

Sie wurde aufgerissen und schlug krachend gegen die Wand, bevor sie in das Schloss zurückklackte. Sofort als Kaiba in den Flur gestürmt kam, war Joey auf den Beinen. Kaibas Gesichtszüge zuckten, seine Zähne knirschten, so sehr biss er sie aufeinander. Er schnaubte vor Wut, schien nicht mehr er selbst zu sein. Es musste ein Dämon sein, der in ihn gefahren war. Er stürzte auf Joey zu, wollte jedoch an ihm vorbei und ihn stehen lassen.

Joey bangte um sein Leben und dennoch stellte er sich ihm in den Weg. Kaiba hielt inne, ergriff jedoch sofort das Wort.

"Geh mir aus dem Weg, Joseph!", fauchte er. "Ich habe etwas zu erledigen!"

Somit trat er zur Seite, doch Joey hielt ihn weiterhin auf und machte ihn somit rasend vor Wut.

"Dann sag mir wenigstens, was passiert ist", bat er in einem leisen, beschwichtigenden Tonfall. "Ich mache mir auch Sorgen und bin traurig über das, was geschehen ist."

"Was geschehen ist?!" Kaiba schnappte nach Luft, seine Augen weiteten sich, als sie sich auf Joey richteten. "Viel wichtiger ist gerade, was noch geschehen wird!!"

"Oh Gott, dann sag mir doch, was du vorhast!" Joey fuhr sich flink durch den Schopf, immer darauf achtend, dass Kaiba nicht plötzlich verschwand.

"Bitte Ruhe!", meldete sich plötzlich eine Krankenschwester zu Wort, die sich aus einer Tür lehnte und ergrimmt die Fäuste schüttelte. "Das ist ein Krankenhaus!"

"Verzeihung." Hastig hob Joey die Hände und grinste nervös. Da schloss sich die Tür wieder und er wandte sich an Kaiba, der wohl kurz davor war, ihn zur Seite zu stoßen.

"Ich habe keine Zeit zu verlieren, verdammt noch mal!" Kaibas Gesicht verfinsterte sich, bis Joey Angst vor ihm bekam.

"Ich habe aber das Gefühl, dass du irgendeinen Fehler begehst, irgendeinen Blödsinn machst, wenn ich dich jetzt gehen lasse", warf er verzweifelt ein und hob bittend die Hände. "Wir können doch darüber..."

"Er versucht mich zu zerstören, verstehst du?!" Kaiba trat vor und Joey wich zurück. "Er tut alles, um mich fertig zu machen!! Das ist in Ordnung, solange er sich nur auf mich konzentriert!!"

"Wo... wovon redest du, Kaiba?" Joey verstand nicht so recht. Kaiba näherte sich ihm weiterhin drohend und er kam einer Wand gefährlich nahe.

"Es ist jämmerlich, ja, jämmerlich, sich an Mokuba oder Pikotto zu vergreifen, um mir Schaden zuzufügen!! Und dafür wird er bluten!!"

"M... meinst du..."

Kaiba rang nach Luft, er tobte und Joey befürchtete, ihn nicht bändigen zu können.

"Verstehst du es endlich?? Er war es, der mich angefahren hat!! Ja, zur Hölle, er war es!! Und ich habe nichts unternommen, war doch wirklich der Meinung, mir Zeit nehmen zu können! Aber jetzt…!" Kaiba verengte die Augen. "Jetzt wollte er Mokuba umbringen...!"

"Umbri...!" Joey erschrak so sehr, das er kein weiteres Wort hervor bekam.

"Was fällt Ihnen ein?!", ertönte wieder eine Stimme. Ein Arzt am Ende des Ganges fuchtelte mit einer Mappe. "Gehen Sie raus, das ist ein Krankenhaus!"

"Verzeihung!", rief Joey eilig zurück und wandte sich wieder an Kaiba.

"Er wollte Mokuba umbringen??", stieß er ungläubig aus.

"Ja!" Kaiba lachte humorlos auf. "Aber zu einem weiteren Anschlag wird es nicht kommen! Was denkt sich dieser Mann!? Ich bin Seto Kaiba! Denkt er wirklich, ich lasse mich so einfach unterkriegen?!"

"Was... was hast du vor?" Allmählich fiel Joey das Reden schwer. Er konnte nicht realisieren, nicht verstehen, wovon Kaiba sprach, was er meinte. "Willst du... willst du ihn etwa..."

"Das hat sich dieser Dreckskerl selbst zuzuschreiben!"

In dieser Sekunde stieß Joey mit dem Rücken gegen die Wand.

Was hatte Kaiba vor?

Er wollte... einen Mord begehen?

Joey fehlten die Worte, perplex bewegten sich seine Lippen, doch einen Ton bekam er nicht heraus. Umbringen??

Das konnte doch nicht wahr sein!

War Kaiba denn von allen guten Geistern verlassen??

Langsam atmete Joey ein, seine Hände ballten sich zu verkrampften Fäusten. Kaiba wollte sich abwenden, schenkte Joey keine Beachtung. So konnte er das vor Wut lodernde Feuer in seinen Augen nicht erkennen und bekam Joeys Standpunkt erst mit, als er grob am Arm gepackt und zurückgezogen wurde.

"Spinnst du?!" Jetzt hielt sich Joey nicht mehr zurück. Kaiba wollte sich losreißen aber sein Griff war eisern. "So etwas Dämliches hast du ja noch nie von dir gegeben!! Du... du willst... ich spreche es besser nicht aus! Aber weißt du, in was für Schwierigkeiten du dich bringst?? Mokuba und Pikotto ist nicht geholfen, wenn du bis zum Ende deiner Tage im Gefängnis hockst und zur Hölle, das wirst du, wenn du diese Sache wirklich durchziehst!! Denk doch mal nach, erhebe Anklage gegen diesen Mann, wer auch immer das ist!! Versuchter Mord, Mensch, und sogar in drei Fällen!! Dafür bekommt der Typ schon eine saftige Strafe aufgebrummt!! Wärst du damit nicht zufrieden?!"

"Was für eine Unerhörtheit!", meldete sich plötzlich eine Stimme neben ihnen. "Wie kann man in einem Krankenhaus nur so laut..."

"Schnauze!!" Joey fuhr herum und starrte die Omi im Rollstuhl mordlüstern an. Diese schnappte nach Luft, quiekte leise und rollte schnell weg.

"Nein!!" Kaiba schlug seine Hände zur Seite und Joey strauchelte kurz. "Ich will Katagori nicht im Gefängnis, sondern im Grab sehen! Er hat sich zu weit auf das Glatteis hinaus gewagt und jetzt bekommt er die Rechung!! Ich hätte gedacht, dass du dafür mehr Verständnis zeigen würdest!!"

"Verständnis??" Joey traute seinen Ohren nicht. "Dafür?? Ist bei dir irgendetwas locker?? Du bekommst doch für so etwas nicht meine Zustimmung!! Wenn du das tust, dann bist du doch nicht besser, als dieser..."

Plötzlich packte Kaiba ihn grob an den Oberarmen, stieß ihn zurück und rammte ihn gegen die Wand. Für kurze Zeit drehte sich alles vor Joeys Augen, doch er blieb aufrecht stehen. Kaibas Finger krallten sich in seine Haut, es schmerzte.

"Pass auf, was du sagst!" Kaiba zog ihn vor und rammte ihn erneut gegen die Wand. "Wie kannst du es wagen! Du weißt nicht, wovon du sprichst, also halt die Klappe!!"

Schützend hob Joey die Hände und verbarg das Gesicht hinter ihnen.

"Du... du tust mir weh...", presste er zittrig hervor.

"Was geht es dich überhaupt an, was ich mache?!" Endlich lockerte Kaiba seinen Griff und Joey ließ sich keuchend an der Wand hinab, auf den Boden sinken. Dort blieb er kauern und presste sich beide Hände auf das Gesicht. Kaiba starrte rasend vor Wut auf ihn herab.

"Ich habe mich wohl in dir geirrt!" Er schnitt eine Grimasse, führte eine abfällige Handgeste aus und wandte sich zum Gehen ab.

"Ja, du hast dich in mir geirrt!!" Joey richtete sich auf, sein Gesicht zuckte vor Wut. "Und ich mich auch in dir!!"

"Scheiße!!" Kaiba blickte nicht zurück. Er trat einen Papierkorb gegen eine Wand und bog um die Ecke.

"Arschloch!!" Joey holte weit aus und schlug mit aller Kraft auf den Boden. Dann ließ er sich nach vorn sinken und biss die Zähne zusammen.
 

Wieder einmal nahm das Schicksal merkwürdige Wendungen; Joey wusste nicht mehr, was er denken sollte. Er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen und wissen, wie es nun weitergehen sollte, tat er erst recht nicht.

Was ritt Kaiba nur, dass er vorhatte, solch einen gottverdammten Wahnwitz zu begehen. Sollte er wirklich zum Mörder werden, nur, weil ein gewisser Mann ihn angefahren hatte, einen abgrundtiefen Hass gegen ihn hegte und nun auch Mokuba und Pikotto angegriffen hatten, zwei, die als unbeteiligt galten? Was für eine Ironie.

Stand es in Joeys Macht, Kaiba von einem Mord abzuhalten?

Was zur Hölle sollte er tun?

Sollte er noch einmal mit ihm reden?

Sollte er auf sein Gewissen, seine Vernunft vertrauen?

Die Frage die an vorderster Stelle stand, lautete jedoch: Traute er Kaiba wirklich einen Mord zu?

Einen Grund?

Den gab es zwar und dennoch war die Lösung, die Kaiba als die Schnellste und Fairste ansah, alles andere als korrekt. Es war der falsche Weg.

Warum wollte sich Kaiba das nicht eingestehen?

Vielleicht hatte er alles nur in seiner Wut gesagt. Vielleicht ließ er mit sich reden, nachdem er

sich beruhigt hatte? Joey wusste es nicht. Er wusste nicht, was er tun, denken oder sagen sollte. Er wusste gar nichts...
 

Faul lag er in der Badewanne. Er war wieder zu Hause und das Erste, was er getan hatte, war, sich Wasser einzulassen und sich in voller Kleidung hineinzulegen. Jetzt lag er seit zwei Stunden hier und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Das Wasser war bereits kalt. Den Hinterkopf hatte er auf den Wannenrand gelegt, die Beine hatte er angewinkelt, seine Hände baumelten im Freien. Bewegungslos hielten die beiden Finger die Zigarette. Sie qualmte, rauchte sich von selbst. Der Tabak bröckelte zu Boden. Ausdruckslos waren Joeys Augen auf die Decke gerichtet.

Sein Vater war wieder Daheim. Er rannte wie ein Verrückter durch die Wohnung und ließ seinem Putzwahn, der nur äußerst selten vorkam, freien Lauf. Überall in der Wohnung herrschte Leben, nur im Bad lag die Totenstille. Als von draußen ein lautes Gepolter ertönte, blinzelte Joey. Er begann sich zu regen, schloss die Augen und streckte die Beine durch. Das Wasser begann zu plätschern, dann hob er die Hand, führte sie zum Mund und berührte den Filter mit den Lippen.

"Joey?" Plötzlich klopfte es. "Hey, wie lange willst du dich denn noch dort verkriechen? Was machst du eigentlich?"

Der Angesprochene reagierte kaum. Er stöhnte leise, nahm einen Zug und ließ die Zigarette in das Badewasser fallen, in dem sie zischend erlosch. Dann ließ er die Hände wieder baumeln und verblieb reglos.

"Komme gleich..."

"Das hast du vor einer Stunde auch schon gesagt!" Ein lautes Stöhnen. "Badest du?"

"Hm..."

"Sag das doch gleich." Somit ging Herr Wheeler wieder an die Arbeit.

>Wenn er morgen in die Schule kommt, dann rede ich mit ihm. Wenn nicht, dann werde ich ihm nicht wie ein Hund hinterher rennen. Ich habe ihn wirklich falsch eingeschätzt, meinte, er würde vernünftig grübeln, bevor er sich zu einer Sache entschließt. Ich war doch wirklich der Meinung, ihn zu kennen, glaubte, ihn allmählich zu verstehen. Doch in Wahrheit kenne ich nicht einmal die Hälfte von ihm. Ich weiß vielleicht, welche Speisen er mag, welche Kleidermarke er bevorzugt oder wie lange er seine Zähne putzt. Aber sein wahres Wesen? Ich wollte es erforschen aber bevor mir das gelungen ist, kam etwas dazwischen, auf das ich nun überhaupt nicht angewiesen war.< Joey atmete tief ein, seine Gesichtszüge erstarrten. >Wieder kann ich mich an niemanden wenden. Wieder kann ich niemanden um Rat bitten. Wieder bin ich alleine, muss selbst Entscheidungen treffen und mich zu Recht finden. Ist es jetzt aus? Endet es, bevor es richtig begonnen hat? Warum hat mir Kaiba nicht schon früher

Bescheid gesagt, warum hat er sich nicht ausgesprochen und alles in sich hinein gefressen. Er weiß doch, dass er mir vertrauen kann. Warum zur Hölle hat er geschwiegen? Wegen ihm stecken wir jetzt noch tiefer im Schlamassel! Was es mich angeht, was er macht? Das kann er nicht ernst gemeint haben, das war nicht Kaiba. Ich verstehe ihn einfach nicht.< Joey fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht und stöhnte laut. >Das ist doch alles zum kotzen! Und das Wasser ist auch verdammt kalt!< Plump ließ er die Hände auf die Wannenränder fallen

und richtete sich auf. Das Wasser begann zu schwappen, die Kleider klebten nass an seiner Haut. Er achtete nicht darauf, dass sich eine Pfütze im Bad ausbreitete, als er aus der Wanne stieg. Er platschte einfach zum Waschbecken, kratzte sich am Kopf und stützte sich ab, um angespannt in den Spiegel zu starren.

>Bleib ruhig, Joey!<, dachte er sich angespannt. >Lass die Zeit entscheiden. Lass es einfach auf dich zukommen.<
 

Ruhig bleiben?

Als sich Joey am nächsten Tag auf den Weg zur Schule machte, zitterten seine Hände. Den gesamten gestrigen Tag hatte er sich den Kopf zerbrochen. Was sollte er Kaiba sagen? Gar nichts. Kaiba hatte Blödsinn gemacht und Joey hatte wie schon erwähnt, keine Lust, hinter ihm her zu rennen und zu betteln. Kaiba sollte sich seines Fehlers bewusst werden und selbst kommen. Oder auch nicht. Das alles mochte zwar sehr einfach klingen, das war es aber nicht.

Und das wurde Joey jetzt auch klar. Er zog ein schrecklich betrübtes Gesicht, konnte es nicht verbergen und wollte es auch nicht. Während er seine Freunde näher kommen sah, hatte er Kaibas Bild vor Augen. Kaiba, wie er schmunzelte. Ein seltener und äußerst entzückender Anblick. In seiner Gegenwart hatte er es des Öfteren getan.

"Joey!" Yugi war höchst erfreut, ihn wieder zu sehen. Er winkte und war sofort auf den Beinen. Auch die anderen wandten sich ihm zu und begrüßten ihn mit denen für sie typischen Gesten. Bakura sah ihn nur an, Tea lächelte, Tristan grinste und Duke? Der steckte sich einen Kaugummi in den Mund. Joey erwiderte nichts dergleichen. Er blieb kurz stehen, erwiderte ihre Blicke kurz und ließ den Kopf hängen, um tief einzuatmen. Dann blickte er auf und schlenderte weiter.

>Es tut mir so leid, sie nach dieser langen Zeit in der wir uns nicht gesehen haben, mit diesem langen Gesicht zu quälen.<

Vor ihnen blieb er stehen und hob die Hand.

"Hi."

"Und?" Yugis Grinsen verlor an Kraft. "Wie geht es dir?"

"Jetzt überhäufe unseren Joey doch nicht gleich mit so vielen Fragen!" Duke legte den Arm um seinen Hals. "Lasst ihn erst einmal Luft holen."

"Hey." Tristan und Tea traten näher. "Alles klar?"

Joey verschränkte die Arme vor dem Bauch und seufzte leise.

"Nichts ist klar."

"Oh." Duke löste die Umarmung und trat zur Seite um sich dieses trübsinnige Gesicht näher zu betrachten. "Was ist denn los?"

"Fühlst du dich nicht gut?", fragte Yugi. "Hast du dich von gestern schon wieder erholt?"

"Ja, ich..." Joey fuchtelte mit den Händen.

>Oh Gott!<, dachte er sich nebenbei. >Jetzt fehlen mir wieder die Worte.<

"Du siehst ja schlimm aus." Tea hob die Hand und rieb seine Schulter. "Hattest du Ärger mit Kaiba?"

"Hm?" Joey sah auf, traf auf ihren Blick. "Ja, du triffst den Nagel auf den Kopf."

"Herrje." Yugi seufzte.

"Und worum ging es?", erkundigte sich Duke.

"Ach, nichts weltbewegendes", erwiderte Joey sofort.

>Er will nur einen Mord begehen und ich weiß nicht, wie ich ihn davon abhalten soll. Scheiße, ich könnte heulen.<

Und so sah er vermutlich auch aus. In der heiteren Runde war eine merkwürdige Atmosphäre ausgebrochen. Alle schienen sich von der Niedergeschlagenheit angesteckt zu haben. Joey ließ sich auf der Bank nieder und rieb sich das Gesicht.

"Ist... es sehr schlimm?" Yugi trat zögerlich näher.

"Ach, ich mache das schon." Joey lehnte sich zurück und schloss die Augen.

Viele besorgte Blicke hafteten an ihm.

"Ach Joey." Duke seufzte. "Vielleicht hast du ja einen Fehler begangen, in dem du die Freundschaft mit ihm gesucht hast."

Joey öffnete die Augen und starrte nachdenklich auf den Himmel.

>Bereue ich es?<

"Warum machst du dir denn Sorgen?", meldete sich plötzlich Bakura zu Wort, der neben ihm stand und sich einen feinen Riegel schmecken ließ. "Beziehungskrisen gibt es doch immer."

Joeys Herz machte einen entsetzten Sprung. Dennoch blieb er reglos sitzen und ließ sich nichts anmerken und das eher unbewusst. Was hatte Bakura da gesagt? Die anderen fassten diese Bemerkung mit Humor auf. Sie lachten, wurden jedoch schnell wieder ernst, da sie Joey nicht noch trauriger machen wollten. Doch dessen Trübsal war wie weggeblasen, war etwas anderem gewichen, das zurzeit viel wichtiger war. Nach wenigen Sekunden richtete er sich langsam auf und starrte Bakura mit großen Augen an. Der junge Mann mampfte genüsslich und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Den anderen fiel Joeys Reaktion auf den "Scherz" nicht auf, denn sie machten sich ihre eigenen Gedanken, suchten nach einem Grund für diesen Streit. Sie alle kamen jedoch zum selben Schluss: Kaiba war der Böse, so wie immer. Langsam richtete sich Joey auf, kam die auf die Beine, packte Bakura vorsichtig am Ärmel und zog ihn etwas zur Seite.

"Huch?" Beinahe fiel Bakura der Riegel auf den Boden. Doch er rettete ihn rechtzeitig und kam nicht einmal ins Stolpern. Joey zog ihn so weit, bis sie weit genug entfernt waren. Bakura verstand diese Aufregung augenscheinlich nicht. Etwas verwundert blieb er stehen und hob abwartend die Augenbrauen. Joey erwiderte seinen Blick ernst, atmete tief ein und stützte die Hände in die Hüften.

"Okay. Beziehungskrisen. Wie hast du das gemeint?"

"Hm." Bakura schob sich den Rest des Riegels in den Mund. "Wie foll iff ef denn gemeint haben?"

"Wie..." Joey steckte in der Klemme. "Na, ich weiß nicht."

>Ich darf mich nicht verraten<, ging es ihm durch den Kopf.

"Na." Bakura kaute hinter und rieb die Hände aneinander. "Ich meine, du und Kaiba, ihr seid doch irgendwie... so zusammen, oder?"

"Was...?" Joey betete darum, sich verhört zu haben. "Wie kommst du denn darauf...?"

"Ist nicht zu übersehen", verriet Bakura locker. "Ich könnte dir viel aufzählen, hab aber keinen Lust."

"Du... weißt es?" Joey glaubte umzufallen. All die Anstrengungen... umsonst?

Bakura wusste es. Er wusste alles!

"Klar." Bakura zuckte mit den Schultern. "Aber es ist mir egal. Es ist nicht mein Problem und du kannst ja machen, was du willst. Aber sag mal, warum... bist du so blass?"

"Seit wann weißt du es?"

"Schon länger." Bakura begann nach einem weiteren Riegel zu suchen. "Na ja, ist noch was?"

"Ja, ähm..." Joey wurde hektisch. Er bekam Angst bei dem Gedanken, die Neuigkeit würde sich herumsprechen. Und ehrlich, dafür würden sich sehr viele interessieren. Vor allen Dingen die Presse! Er musste nicht unbedingt darauf verlassen, dass Bakura Stillschweigen wahrte. "Moment, ich... weiß es noch jemand?"

"Weiß nicht." Bakura suchte weiter. "Frag doch einfach mal na..."

"Nein!" Es sprudelte nur so aus Joey heraus. "Es muss unbedingt geheim bleiben! Niemand darf es erfahren, verstehst du? Nie-mand! Keine Menschenseele! Es ist sehr wichtig! Wichtig für mich und vor allem noch wichtiger für Kaiba! Es wäre einfach nur schrecklich, wenn andere davon erfahren würden! Ich verlasse mich auf dich, Bakura! Bitte versprich es mir!"

Bakura wirkte verdutzt, verstand Joeys Aufregung nicht.

"Ich wüsste nicht, warum ich es irgendjemandem erzählen sollte. Ich meine, ist doch nicht meine Sache."

"Du behältst es also für dich?"

"Klar, warum nicht?" Endlich wurde Bakura fündig. Er zückte einen weiteren Riegel und begann ihn sofort zu bearbeiten.
 

Kaiba kam nicht. Eigentlich hätte Joey es sich denken können.

Auf der einen Seite freute sich Joey, dass er ihn nicht sah. Auf der anderen Seite machte er sich jedoch auch große Sorgen. Was war wenn Kaiba seinen Plan in die Tat umsetzte, während er im Unterricht saß? Infolgedessen konnte er sich nicht konzentrieren und lag während der gesamten sieben Stunden auf seiner Bank. Nicht, dass das etwas Außergewöhnliches wäre...

Diesmal schlief er jedoch nicht, nein, auch er plante. Irgendetwas musste er tun. Er wusste alles, es würde ihm sehr schwer fallen herumzusitzen, ohne einen Finger krumm zu machen. Seine Freunde luden ihn zu einem gemütlichen Picknick im Park ein, doch er sagte ab und machte sich auf den direkten Weg nach Hause. Er hatte etwas Wichtigeres zu tun. Zu Hause verbrachte er nicht allzu viel Zeit. Er stopfte sich etwas in den Mund, zog sich um und ging los. Es gab nur eines, was er tun konnte.

In eiligen Schritten machte er sich auf den Weg zu einer Anwaltskanzlei, die in der Nähe lag. Er war schon einmal dort gewesen; sein Vater hatte einmal eine Anzeige erhoben und er hatte ihn begleitet. Er hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch, als er die Stufen zu dem Gebäude

hinaufstieg. Er kannte einen Staatsanwalt, der hier arbeitete, der gut mit seinem Vater befreundet war. Bei ihm würde er sich Rat einholen. Nachdem er eine Weile nach ihm gesucht hatte, fand er ihn. Und glücklicherweise fand er ihn in der Cafeteria. Er machte soeben Pause und war gern dazu bereit, Joey ein Ohr zu leihen. Dieser ließ sich ihm gegenüber nieder, lehnte sich zurück und atmete tief ein.

"Willst du einen Kaffee?", erkundigte sich der ältere Mann, der sich Kotogawa nannte und hohes Ansehen unter den Anwälten genoss.

"Nein." Joey schüttelte den Kopf und richtete sich wieder auf, etwas unentschlossen, was er jetzt direkt fragen könnte.

"Na gut." Kotogawa nickte. "Also? Was hast du auf dem Herzen?"

"Ich schreibe eine Geschichte", begann Joey zu erzählen. "Die Geschichte handelt sich um einen jungen Mann, der kurz davor ist, einen Mord zu begehen."

Kotogawa hob die Augenbrauen.

"Seit wann schreibst du Geschichten?"

"Nur so." Joey zuckte mit den Schultern. "Es ist so, der Mann hat einen Feind, der ihm das Leben zur Hölle macht. Er hat schon einen Anschlag auf ihn verübt, wollte ihn umbringen. Aber der Mann hat überlebt und deshalb begann sein Feind, sich an seinen Familienmitgliedern und Freunden zu vergreifen. Er hat sie verletzt, um ihm Schaden zuzufügen, sich an ihm zu rächen."

Kotogawa griff nach seiner Tasse und grinste.

"Da hast du dir aber etwas Spannendes ausgedacht."

"Ja." Joey schluckte und begann seine Hände zu reiben. "Jetzt sieht es jedenfalls so aus, dass der Mann seinen Feind umbringen will. Er ist sehr wütend und lässt sich von anderen nicht ins Gewissen reden. Seine Freunde machen sich natürlich große Sorgen um ihn. Und jetzt möchte ich Sie fragen, wie es weitergehen soll. Wenn er diesen Mord wirklich verübt, was würde

passieren? Würde der Richter Gnade walten lassen, weil das Opfer ihn bedroht hat? Weil er einen Anschlag auf ihn verübt und sich dann sogar an Unschuldigen vergriffen hat?"

"Nein." Kotogawa schüttelte ohne zu überlegen den Kopf. "Einen Mord entschuldigt nichts. Höchstens, wenn er aus Notwehr begangen wird und sich das nachweisen und beweisen lässt. Aber selbst wenn dieser Mann die Freunde und Familienmitglieder umgebracht hätte, besitzt der, der darunter zu leiden hat, nicht das Recht, einen Mord an ihm zu begehen. Er muss Anzeige gegen ihn erheben, ihn vor Gericht stellen."

"Hm." Joeys Gesicht verfinsterte sich verbissen. "Und wenn er den Mann doch umbringen würde... was für eine Strafe würde er erhalten?"

"Bei einer Geldstrafe würde es nicht bleiben", antwortete Kotogawa. "Er würde geradewegs ins Gefängnis wandern, ganz egal, wer er ist oder welchen Rang er in der Bevölkerung hat. Und man sollte sich nicht darauf verlassen, dass er irgendwann wieder auf freien Fuß kommt."

"Oh man." Joey rieb sich trübsinnig das Gesicht. "Sind Sie sich sicher?"

"Natürlich", sagte Kotogawa sofort. "Ich habe mich schon einmal mit so einem Fall beschäftigt. Und? Was denkst du? Genau, der Mann bekam lebenslänglich aufgebrummt, weil er den Mann umgebracht hat, der seine Tochter vergewaltigte."

Joey nickte langsam.

"Und?" Kotogawa griff nach der Gabel. "Wie soll deine Geschichte enden, nun, da du es weißt?"

Joey zögerte mit der Antwort. Bekümmert starrte er vor sich auf den Tisch und blickte erst nach einigen Sekunden auf.

"Ich meine, der Mann musste viel durchmachen. Er macht sich große Sorgen um seine Freunde, die im Krankenhaus liegen. Der eine ist sehr schwer verletzt. Aber ich will, dass er sich trotzdem von seinen Freunden helfen lässt. Ich will, dass er den Mord vergisst und sich an dem Mann rächt, indem er ihn anklagt. Er muss sich helfen lassen und wieder zur Vernunft kommen. Nur weißt ich nicht, wie ich... wie seine Freunde das schaffen sollen."

"Dann bring doch etwas Spannung und Dramatik hinein." Kotogawa begann zu essen. "Das Einzige, was den Mann vielleicht wieder zur Vernunft bringen kann, ist ein grausames Geschehnis, das ihn ablenkt und ihn zu der Einsicht führt, dass er einen Fehler begangen hätte."

Jetzt blickte Joey noch betrübter drein.

"Sie meinen, es bringt nichts, mit ihm zu reden."

"Bestimmt nicht." Kotogawa stocherte in seinem Salat. "So, wie du mir die Geschichte und den Mann geschildert hast, wird er wohl kaum mit sich reden lassen. Da kann nur ein Schock etwas bewirken."

"Aha." Joey schluckte schwer und zwang sich ein Grinsen auf. "Danke für Ihren Rat. Ich werde mich danach richten."

"Kein Problem." Kotogawa nickte und Joey erhob sich. "Ach..."

"Ja?" Der Blonde hielt inne und der Anwalt wendete den Löffel in der Hand, betrachtete sich nachdenklich den Tisch und sah ihn dann geradewegs an.

"Versuch deinen Kumpel zur Vernunft zu bringen, damit ich ihn nicht eines Tages vor Gericht kennen lerne."

Joey öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, wandte dann jedoch das Gesicht ab und räusperte sich leise.

"Mm...", er biss sich auf die Unterlippe, nickte und ging.

>Eine Geschichte<, dachte er sich verbissen, als er das Gebäude verließ. >Wäre es doch nur eine Geschichte, die ich nach meinen Vorstellungen umschreiben könnte. Ich würde vieles anders machen, vieles verändern.<

Ohne sich einmal umzudrehen, verließ er die Anwaltskanzlei und machte sich auf den Weg nach Hause. Seine Knie waren etwas weich, das Herz raste in seiner Brust. Er spürte die Schläge im gesamten Körper.

Es war grausam von Kaiba, ihm diese Verantwortung zu überlassen!

Dachte er wirklich, er würde Däumchendrehen?

War er wirklich der Meinung, er würde nichts tun und warten, bis der Mordprozess gegen Seto Kaiba in ganz Domino auf den Bildschirmen lief? Wenn dem so war, dann musste er wirklich verrückt sein.

>Was soll ich nur machen?!< Die Verzweiflung stieg in Joey höher und höher, er hatte das Gefühl, als kämen ihm jederzeit die Tränen. >Was ist nur mit Kaiba los?! Was erwartet er von mir?!<

Joey blieb stehen, drehte langsam das Gesicht zur Seite und erblickte eine Telefonzelle. Seine zitternden Hände ballten sich zu Fäusten.

>Ich sterbe durch die Angst um ihn!< Nachdenklich starrte er auf das Telefon. >Ich will nicht, dass er sich sein junges Leben durch diese unüberdachte Tat versaut.< Er zögerte noch kurz, dann trat er an die Zelle heran, grabschte nach dem Hörer und wühlte ich seiner Tasche. Kurz darauf schob er ein paar Münzen durch den engen Spalt und wählte flink eine Nummer. Kaibas Nummer, die er in der Zwischenzeit auswendig kannte. Er wartete ohne zu wissen, was er überhaupt sagen sollte.

"Hey, komm Kaiba. Lass uns noch einmal darüber reden." Oder: "Ich habe gerade mit einem Bekannten gesprochen. Weißt du, in was für Schwierigkeiten du dich bringst?".

Natürlich wusste Kaiba um die Folgen und dennoch wollte er es tun! War das blödsinnig oder mutig! Als es klingelte, hielt Joey die Luft an und krallte sich an den nächstbesten Gegenstand, der in diesem Fall das dicke Telefonbuch war. Es klingelte. Einmal, zweimal, dreimal, viermal...

Mit jedem Klingeln wurde Joey nervöser. Und er wartete lange, doch niemand meldete sich. Langsam ließ er den Blick sinken und biss sich auf die Unterlippe.

"Scheiße..." Ächzend ließ er sich nach vorne fallen und lehnte am Telefon. Es klingelte immer noch, doch eine Hoffnung existierte schon längst nicht mehr. Vermutlich hockte Kaiba Tag und Nacht in der Firma und brütete über einen Plan, der an Boshaftigkeit nicht zu übertreffen war. Verzweifelt schloss Joey die Augen und ließ den Hörer sinken.

Kaiba konnte ein durchaus angenehmer Zeitgenosse sein, oh ja. Er konnte zärtlich und sogar lustig sein, sanft… aber bei Gott, es gab Dinge, die ihn in Rage brachten. Und wenn das erst einmal geschehen war, dann war er durch nichts und niemanden aufzuhalten. Dann machte

er kurzen Prozess und handelte ohne nachzudenken. Mit einer stockenden Bewegung hängte Joey den Hörer zurück, stemmte sich ab und trottete mit hängendem Kopf weiter. Seine Hände waren verkrampft ineinander gefaltet, seine Augen starrten verbissen auf den Asphalt.

>Was soll ich tun? Was soll ich tun? Was soll ich tun?<, zog es ihm wie eine Endlosschleife durch den Kopf. >Nichts kann ich tun...< Vor der Wiese den großen Parks blieb er stehen und

atmete tief ein. >Er hat mich der Hilflosigkeit überlassen. In so einer Situation! Das werde ich ihm nie verzeihen können.< Langsam setzte er sich wieder in Bewegung und trottete schwerfällig durch das Gras. >Oh Gott, ich fühle mich, als müsste ich heulen! Das ist alles so unglaublich! Und natürlich trifft mich dieser ganze Mist wieder! Als ob ich es verdient hätte!<

Er begann zu straucheln, seine Schritte wurden unsicherer, sein Hals begann zu schmerzen. Glückliche Zeiten hatten ihren Preis. Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis so ein Zwischenfall sein Leben verdunkelte. Seine Augen begannen zu brennen, er schluckte schwer.

"Jooooey!"

Sofort blieb er stehen und blickte auf. Plötzlich erspähte er Yugi, Tristan, Duke, Tea und Bakura, die keine zehn Meter entfernt, auf einer Decke saßen und ihn anstarrten.

Wo kamen die denn her?!

Joey starrte mit geröteten Augen zurück. Sie starrten alle. Dann erhob sich Yugi.

"Was machst du denn hier?"

"Ich..." Joey fehlten die Worte. Nebenbei spürte er, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Schnell hob er die Hand und wischte sie mit dem Ärmel fort.

"Hey, Joey?" Yugi hob die Hand, berührte die seine.

"Ich..." Joey wandte den Blick ab. "Ich war nur kurz..."

"Joey, was ist denn mit dir?" Auch Tea war schnell auf den Beinen und eilte zu ihm.

>Oh Gott, jetzt fange ich wirklich an zu heulen!< Joey biss verkrampft die Zähne zusammen. >Ich kann nicht anders. Es ist einfach so...<

Er schnappte nach Luft und schluckte erneut, seine Finger spreizten sich, dann ballte er die Hände wieder zu Fäusten, ließ den Kopf sinken und biss sich auf die Unterlippe. Seine Knie wurden immer weicher, er fühlte sich schwach. Erschöpft von alle den Strapazen, die nun wieder auf seinen Schultern lasteten.

"Joey?" Yugi war besorgt. Er versuchte einen Blick auf sein Gesicht zu werfen, doch Joey presste das Kinn auf seine Brust und schloss die Augen. Eine Träne rollte über seine erhitzte Wange. Stille. Ein Beben fuhr durch seinen Körper, es stieg in ihm höher, bis er sich nicht mehr halten konnte. Plötzlich kam dieses grausame Gefühl und er versuchte es nicht zu unterdrücken. Er schluchzte laut auf und neigte sich nach vorn. Nur wenige Momente stand er dort, bis er sich auf die Knie fallen ließ.

"Joey!" Duke sprang auf.

Ächzend neigte sich Joey nach vorn, seine Hände schoben sich zitternd durch das Gras, krallten sich darin fest. Er schluchzte immer weiter, konnte sich nicht mehr halten. Die Tränen tropften von seiner Nasenspitze, die Augen hielt er verkrampft geschlossen.

"Ich kann nicht mehr...!", presste er zwischen den heftigen Atemzügen hervor. "Ich kann..."

"Joey." Er spürte eine Hand auf seiner Schulter, Yugi hatte sich neben ihn gehockt. Er hörte, wie Tea entsetzt nach Luft schnappte. Bakura legte den Kopf schief, wusste nichts dazu beizutragen.

"Hey!" Duke kauerte sich vor ihn, beugte sich nach vorn und legte beide Hände auf seine Schultern. "Hey, was ist denn?!"

Joey antwortete mit einem leisen Wimmern und kroch weiter in sich zusammen.

"Das ist zuviel... das ist... gemein...!"

Er konnte kaum sprechen, hatte das Gefühl, als würde sich sein Hals zuschnüren. Duke rieb seine Schultern, seufzte leise und sah auf, um einen kurzen Blick in die Runde zu werfen. Tristan starrte Joey erschüttert an, Tea presste sich beide Hände auf den Mund und Yugi wusste nicht so recht, was er tun sollte. Und Bakura? Der saß nur da und verfolgte das Geschehen mit nachdenklicher Aufmerksamkeit. Als Joeys Körper unter lautem Schluchzen erbebte, wandte er sich ihm wieder zu, schob die Hände von seinen Schultern unter die Arme und drückte den jungen Mann hoch. Joeys Finger lösten sich aus dem Gras, langsam und stockend richtete er sich auf, behielt das Gesicht jedoch stets gesenkt.

"Komm her." Duke rutschte näher an ihn heran, schob die Hände über seinen Rücken und umarmte ihn. Sofort hob Joey die Arme und presste sich an ihn. Das Gesicht drückte er an Dukes Hals, seine Finger krallten sich in die rote Weste. Und er schluchzte weiter, ließ seinem inneren Schmerz freien Lauf.

"Tsch... ist ja gut." Duke warf Yugi einen Anteilnehmenden Blick zu und begann Joeys Rücken zu reiben. "Beruhige dich erst einmal."
 

Sich zu beruhigen, fiel Joey nicht sehr leicht. Er krallte sich noch lange an Duke, bis er dazu im Stande war, seine Tränen zu unterdrücken. Dann ließ Duke ihn los und er bekam ein Taschentuch und eine Cola in die Hand gedrückt. Anschließend wurde er zur Decke gezerrt und gezwungen, sich zu setzen. Seine Augen brannten immer noch und seine Hände zitterten, als er die Dose hielt und das Taschentuch anstarrte.

Die anderen ließen sich neben ihm und vor ihm nieder, bildeten einen Kreis und starrten ihn an. Yugi und Tea sahen etwas blass aus, Duke jedoch, neigte sich nach vorn und reichte Joey eine kleine Packung.

"Kaugummi?"

"Hm." Joey griff danach, schien jedoch nicht vorzuhaben, ihn dazu zu gebrauchen, wozu er geschaffen worden war. Er ließ ihn sinken und blickte mit trüben Augen auf. Viele Blicke trafen ihn. Anteilnehmende, Besorgte, zugleich auch Fragende. Natürlich, jetzt warteten sie auf eine Erklärung. Joey musterte jeden in der Runde, Bakura dabei besonders gründlich. Aber der junge Mann sehnte sich wohl mehr nach seinen geliebten Riegeln als nach einer Erklärung, einer Beichte, wie man es in diesem Fall nur nennen konnte. Merkwürdig war dieser Bakura. Er schien sich lediglich für seine Welt zu interessieren. Und dennoch war er ein netter und äußerst angenehmer Zeitgenosse. Er erwiderte Joeys Blick unverfälscht, dann wandte er sich zur Seite und begann in seiner Tasche zu wühlen, scheinbar auf der Suche nach einem neuen Riegel. Joey räusperte sich und ließ den Blick sinken.

"Also." Alle dachten es und Duke sprach es aus. "Was ist los."

>Ich kann ihnen unmöglich die gesamte Wahrheit sagen<, dachte sich Joey und wischte sich die letzten Tränen von den Wangen. >Belügen möchte ich sie aber auch nicht. Das Letzte was ich jetzt gebrauchen kann, ist ihr Zorn. Das würde ich nicht aushalten. Ich werde nicht die Wahrheit sagen, aber auch nicht unehrlich sein.<

"Es ist so", begann er nach weiteren Überlegungen. "Mokuba hatte einen Unfall."

"Einen Unfall?" Yugi erschrak.

"Hm." Joey nickte. "Es ist aber nicht so schlimm, denn er ist nicht schwer verletzt. Kaiba war trotzdem sehr sauer. Er... nun ja... er hat dem Mann die Schuld gegeben, der auf ihn aufpassen sollte. Ich habe diesen Mann verteidigt und deshalb bekamen wir uns in die Haare."

>Tut mir Leid, Pikotto.< Joey seufzte.

"Und deshalb geht es dir so schlecht?" Duke schraubte eine Augenbraue hoch, machte den Anschein, zu zweifeln. "Kann dieser Streit denn wirklich so arg gewesen sein, dass du derart leidest?"

"Ich mache mir nur Sorgen um unsere Freundschaft", warf Joey schnell ein und schickte Bakura einen prüfenden Blick. Dieser ließ sich seinen Riegel schmecken und schien nicht vorzuhaben, seinen Senf dazuzugeben. "Kaiba war wirklich rasend vor Wut, und ja, es war eine arge Meinungsverschiedenheit."

"Und du denkst wirklich, dass Kaiba dir wegen so etwas die Freundschaft kündigen könnte?", fragte Tea verwundert.

"Weiß nicht."

"Aber du machst dir trotzdem Sorgen, ist es nicht so, Joey?" Yugi nickte mitfühlend. "Das ist ein gutes Zeichen. Das ist eine wahre Freundschaft. Weißt du, in der Freundschaft gibt es immer einmal Streit. Aber wenn man an den anderen glaubt, dann nimmt man es nicht so schwer und verträgt sich bald wieder."

"Moment mal." Duke richtete sich auf. "Nimm's mir nicht übel, Joey. Aber ich glaube nicht, dass du so ausrastest, nur weil du dir Sorgen um die Freundschaft machst."

"Sie ist mir aber sehr wichtig." Joey wurde nervös, fühlte sich, als säße er im Kreuzverhör.

"Das mag zwar sein, aber..."

"Jetzt beschmeiß ihn doch nicht mit so vielen Fragen!" Tristan schubste ihn zur Seite. "Wir müssen ihm Trost spenden und nicht gnadenlos auf ihn einreden!"

"Wenn es aber so ist?" Duke schnitt ihm eine Grimasse und verschränkte die Arme vor dem Bauch.

"Duke!" Auch Tea war von dem Benehmen des jungen Mannes nicht angetan. Sie schickte ihm einen funkelnden Blick und rückte näher an Joey heran. "Dann musst du eben mal mit Kaiba sprechen. Vielleicht war ja alles nur ein Missverständnis? Vielleicht hat er es nicht so gemeint und will sich wieder mit dir vertragen?"

"So, wie ich Kaiba kenne, würde sein Stolz darunter leiden, wenn er zu dir käme, den Anfang machen würde." Tristan legte grübelnd den Kopf schief. "So ist er nun einmal. Und das heißt, dass du dich aufopfern musst, wenn du dich wieder mit ihm verstehen willst."

"Oder du...", meldete sich Bakura plötzlich zu Wort. Sofort richteten sich alle Augen auf ihn und Joey biss sich nervös auf die Unterlippe, in der Hoffnung, Bakura würde nichts Falsches sagen. Der junge Mann ließ kauend den Riegel sinken und sah sich verdattert um. War es denn so überraschend und außergewöhnlich, dass er auch etwas sagen wollte?

"Ach...", er schluckte hinter und hob die Augenbrauen, "... nichts."

"Du solltest dir keine weiteren Gedanken darüber machen, Joey." Wandte sich Tea an ihn und tätschelte seine Schulter. "Sicher ist es gar nicht so schlimm, wie du vielleicht denkst."
 

Natürlich. Es war eigentlich überhaupt nicht so schlimm. Er hatte keinen Grund, sich zu plagen und sich in seinem Zimmer zu verkriechen. Er hatte keinen Grund, bis zu seiner Erschöpfung zu grübeln und zu fluchen. Er hatte keinen Grund, seinen Vater von sich zu stoßen, als dieser zu ihm kam.

Er hatte keinen Grund, sich zu plagen. Alles war in Ordnung.
 

Reglos lag er auf dem Bauch, die Decke hatte er über sich gezogen. Er lag auf seinem Bett und starrte auf seine Hände, als könnten sie all das Grauen beenden. Seine Augen wirkten trüb, müde, und das nicht, weil er wieder eine Nacht damit verbracht hatte, zu grübeln, sich zu sorgen und sich verrückt zu machen. Nein, er war völlig mit der Situation überfordert. Er wusste nicht, wo er beginnen sollte, wollte nicht wissen, wo es enden würde. Bei jeder Bewegung verspürte er das Gefühl, als würden Gewichte auf all seinen Gliedern liegen, ihm das Gehen erschweren. Sein Körper war geschwächt. Geschwächt durch die Krankheit. Geschwächt auch durch die seelische Verzweiflung. Die Niedergeschlagenheit, die er tief in seinem Inneren spürte, ging auf seinen Körper über, setzte ihm zu. Joey war müde.

Er wollte schlafen, würde den Schlaf mit offenen Armen empfangen, doch er wagte es nicht. Er saß hier und unternahm nichts und doch hatte er Angst davor, dass etwas passieren konnte, während er sich ausruhte. Draußen begann es zum Morgen zu dämmern. Joey blieb liegen, schenkte dem gleißenden Licht, das zu ihm in den Raum fiel, keine Beachtung. Er würde nicht in die Schule gehen. Was brachte es ihm denn?

Kaiba war nun gegen ihn und auch Kotogawa hatte ihm nicht weiterhelfen können.

Ein gut gemeinter Rat zur falschen Zeit.

Ein Schock muss ihn zur Vernunft bringen?

Toll, Joey war gerettet. Es dürfte nicht all zu schwer werden, Kaiba einen gehörigen Schock zu versetzen. Joey blieb liegen, bis es helllichter Tag war. Dann begann sich die Decke zu bewegen und er wühlte sich ins freie. Sein Gesicht war blass, die Augen gerötet. Auch den Bewegungen fehlte es an Kontrolle, als er sich träge aus dem Bett rollte, die Füße auf den Boden setzte und auf die Beine kam. Sein Vater war jetzt auf Arbeit, er würde erst spät in der Nacht wiederkommen. Joey musste sich etwas zu Essen holen, damit er nicht verhungerte. Denn er hatte wieder vor, den gesamten Tag in seinem Zimmer zu verbringen, um die Welt zu bemitleiden, sich natürlich eingeschlossen. Langsam drehte er den Schlüssel im Schloss, drückte die Klinke hinab und öffnete die Tür. Die Wohnung war still, trostlos. Er war alleine. In unsicheren Schritten trottete er in die Küche und dort auf den Kühlschrank zu. Er öffnete ihn, griff lahm nach einem Jogurt und schob die Tür mit der Hüfte zu. Seine Augen starrten flimmernd ins Leere, als er auch nach einer Wasserflasche griff und in sein Zimmer zurückkehrte.

‚Pass auf, was du sagst! Wie kannst du es wagen! Du weißt doch gar nicht, wovon du sprichst, also halt die Klappe!!’

Er erinnerte sich an den Streit zurück, als er an seinem Fenster hockte, träge auf der Fensterbank fläzte und den Tag vorbeiziehen sah. Die Menschen, die sich lachend und schäkernd auf der Straße tummelten, bedachte er nur mit verächtlichen Blicken.

‚Ja, verstehst du es endlich?? Er war es, der mich angefahren hat!! Ja, zur Hölle, er war es und ich habe nichts unternommen, war doch wirklich der Meinung, mir Zeit nehmen zu können! Doch jetzt…! Jetzt wollte er Mokuba umbringen!!’

>Hat sich Kaiba mir das erste Mal von seiner wahren Seite gezeigt? Hat er sich während unserer schönen Zeit nur verstellt? Er ist so unberechenbar, dass es mir Angst macht. Hat ihm die erste Nacht gar nichts bedeutet? Ich weiß nicht, was ich von ihm denken soll. Ich war doch wirklich der vorschnellen Meinung, ihn zu kennen, oder allmählich kennen zu lernen. Im Krankenhaus wurde er grob, hat mich wieder wie einen Haufen Dreck behandelt… so, wie früher. Auf der einen Seite verstehe ich ihn. Er muss nicht bei Sinnen gewesen sein, muss unter diesem Schock gelitten haben. Mokuba, der ihm alles bedeutet... verletzt. Wie konnte er

da Rücksicht auf mich und meine Gefühle nehmen? Er war zerstreut, völlig perplex und außer sich.<

Diese Gedanken wiederholten sich wie eine Endlosschleife. Joey kam nicht weiter, nein, kein Stück. Wie eine Salzsäule verbrachte er den Rest des Tages damit, auf die Straße hinabzustarren oder die Wolken zu betrachten. Er sehnte sich nach Ablenkung, wenigstens kurz. Doch nicht einmal diese Freude gönnte man ihm. Er beobachtete die Sonne, wie sie ihren Zenit erreichte und in den späteren Stunden hinab sank, letztendlich hinter den Häusern verschwand und dem Mond ihren Platz überließ. Da wurde es stiller auf den Straßen. Joey blieb sitzen. Katzen miauten in der Dunkelheit, in den Gassen raschelte es, hier und da schrie

ein Betrunkener. Die Zeit verging und es war wohl zehn Uhr, als sich Joey endlich zu regen

begann. Er richtete sich auf, stützte sich vom Fensterbrett ab und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, die ihm etwas verzottelt zu Berge standen. Er brauchte frische Luft. Also schlüpfte er in seine Schuhe, stülpte sich einen weiten Kapuzenpullover über und verließ die Wohnung. Auf den Straßen war es etwas frisch, also zog er sich die Kapuze über und ließ die Hände in den Taschen des Pullovers verschwinden. Kaum ein Mensch war noch unterwegs,

jedenfalls traf Joey niemanden auf seinem spontanen Spaziergang. Doch damit war er zufrieden. Einen Yugi, der zeternd an seiner Hose hing, konnte er nicht gebrauchen.

‚Geht es dir gut? Geht es dir gut? Geht es dir gut??’

Yugis Sorgen in allen Ehren, doch nun brauchte er Ruhe, um nachzudenken oder es zumindest zu versuchen. Das Letztere traf wohl eher zu und der Versuch war zum scheitern verurteilt, bevor Joey ihn gestartet hatte. Den Blick trübsinnig auf den Boden gerichtet, schlenderte er über die menschenleere Straße und trat eine Dose zur Seite. Sie rollte scheppernd über den Asphalt und schlug letzten Endes gegen die Bordsteinkante. Ein leiser Schall zog durch die Gegend und verebbte schnell. Joey entfernte sich immer weiter von zu Hause, achtete nicht mehr auf die Umgebung. Als er nach ungefähr zehn Minuten aufblickte, erspähte er ein riesiges Hochhaus, das sich weit bis über die normalen Wohnhäuser erstreckte. Er blieb stehen und besah es sich nachdenklich. Es war fast so hoch wie das Firmengebäude der Kaiba-Corporation. Joeys Augen richteten sich unweigerlich auf das Dach. Er seufzte schwer und setzte seinen Weg fort. Er benutzte den Weg einer schmalen Gasse, schlängelte sich durch die Mülltonnen und kletterte sogar über einen Maschendrahtzaun, nur, um irgendwie weiterzukommen. Ein Ziel hatte er sich heute Nacht nicht gesetzt. Er betrat eine

breite Hauptstraße, blieb auf der linken Fahrspur der Autos stehen und sah sich nach beiden Seiten um. Nicht weit von hier befand sich das Lawell. Und gegenüber?

>Ich habe eine Möglichkeit<, kam ihm ein Gedanke. >Ich könnte die Polizei auf Kaiba aufmerksam machen, ohne irgendetwas von seinen Plänen zu verraten. Vielleicht lässt er sich dadurch einschüchtern?< Joey saugte an seinen Zähnen. >Blödsinn!<

Er atmete tief ein und legte den Kopf in den Nacken. Sein warmer Atem beschlug in der kühlen Nachtluft. Dann setzte er seinen Weg fort, trödelte gedankenverloren über die Straße und räumte gleich etwas auf, indem er leere Dosen zur Seite trat. Er machte sich nicht Gedanken über das Hier und Jetzt, so wie er es sonst immer tat. Nun war er gezwungen, anders zu denken. Wie würde es weitergehen, wenn das alles vorbei war? Und vorbei sein würde es irgendwann, auf welche Art und Weise auch immer. Joey spürte eine kalte Gänsehaut auf seinen Armen.

>Das ist eine hübsche Straße<, dachte er sich verbissen, um sich abzulenken. >Sicher war es sehr anstrengend, sie zu bauen!<

Er murmelte etwas Verworrenes, schüttelte den Kopf und fügte noch einen leisen Fluch hinzu. Fluchen, ja. Was sollte er denn anderes machen? Er begann die breite Straße hinabzuschlendern. Es kamen ihm nur zwei Wagen entgegen. Aber die Fahrer waren vermutlich so betrunken, dass sie nicht einmal den jungen Mann bemerkten, der nur wenige Meter an ihnen vorbeischlenderte. Doch das Desinteresse war beiderseitig. Joey driftete wieder ab, während er auf den dunklen Asphalt starrte und langsam einen Fuß vor den anderen setzte. Er ging und ging, die Straße schien kein Ende zu nehmen. Er dachte an nichts, in seinem Kopf herrschte eine gähnende Leere und sie tat ihm gut. Langsam zogen die parkenden Autos an ihm vorbei, die Nachtruhe nahm immer weiter zu, bis kaum noch Geräusche ertönten. Joey atmete tief ein, blinzelte... und blieb stehen. Die Hände behielt er weiterhin in seinem Pullover verborgen, der Blick haftete noch immer auf der finsteren Straße, löste sich jedoch von ihr. Joey richtete sich aus der zusammengesunkenen Haltung auf und starrte eine schwarze Figur an, die nur wenige Meter vor ihm, über die Straße eilte. Er sah ihr nach, bis auch sie inne hielt. Sie blieb im Schatten einer Laterne stehen und wandte sich ihm zu, doch Joey brauchte nichts zu sehen, um zu wissen, wem er soeben begegnet war.

Eine leise Sehnsucht zeichnete sich in seinen Gesichtszügen ab, als er wieder blinzelte und langsam den Kopf schief legte, zögernd, unentschlossen, was nun zu tun war. Er starrte die Gestalt an, bis sie sich wieder zu bewegen begann. Langsam näherte sie sich dem hellen Schein einer Laterne und tauchte in ihn ein. Sie standen auf der dunklen Straße, inmitten der Nacht, inmitten der Stille.

Auch Kaiba schien von Joeys Anblick überrascht zu sein. Und merkwürdigerweise brachte er es auffällig zum Ausdruck. Er verzog die Augenbrauen, sein Mund öffnete sich einen Spalt weit… sprachlos. Keine große Distanz trennte die beiden, sie bewegten sich nicht. Eine leichte Brise presste sich gegen Joeys Rücken.

"Joseph?" Kaiba brach die Stille, beinahe war es nur ein Flüstern und doch verstand Joey ihn. Mit gemischten Gefühlen sah er ihn an, besah sich seine Augen genau.

>Ich kann nicht in ihnen lesen. Sie sind mir verschlossen und werden es immer bleiben.<

"Wo warst du?" Nun sprach Kaiba deutlicher, lauter, doch ein leichtes Schwanken in seiner sonst so unerschütterlichen Stimme verriet, das hinter der Frage wahres Interesse steckte.

"Wo warst DU?", erwiderte Joey verbittert in dem Versuch, kühl zu klingen.

"Du warst nicht in der Schule." Kaiba ließ die Hand sinken.

"Gestern war ich es", murmelte Joey, noch immer reglos verharrend.

Kaiba wusste nichts zu erwidern. Er starrte ihn an, dann schüttelte er den Kopf, gefangen in einer gnadenlosen Verbitterung. Vermutlich sah er ein, dass er einen Fehler begangen hatte. Dann wandte er den Blick ab, als wolle er flüchten, als vertrüge er es nicht, Joey zu sehen. Er starrte auf den Asphalt, grübelnd. Joey beobachtete ihn, drehte langsam das Gesicht und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln. Nun suchte Kaiba nach Worten.

Würde er die Passenden finden?

>Was ist los, Kaiba? Sonst warst du es immer, der im Besitz der Schlagfertigkeit war. Meine Aufgabe war es, zu stottern und nervös zu sein.<

Er schwieg und wartete, dass Kaiba fortfuhr, doch darauf schien er lange warten zu können, denn Kaiba machte den Anschein, zu einer stummen Salzsäule zu erstarren. Joeys Augen hafteten aufmerksam an ihm, wanderten dann jedoch ein kleines Stück zur Seite. Er sah an ihm vorbei, erblickte die Konturen eines Mannes, der sich Kaiba langsam näherte. Er war weit von ihm entfernt und doch konnte Joey sein Gesicht erkennen, als er durch den Schein einer Laterne schlich. Er hatte diesen Mann noch nie zuvor gesehen, schenkte ihm dadurch keine

weitere Beachtung und richtete den Blick wieder auf Kaiba. Dieser atmete tief ein und blickte auf.

"Wo warst du gestern?", stellte Joey eine Frage an ihn.

Kaiba zögerte mit der Antwort, seine Lippen bewegten sich, ohne dass ihnen ein Ton entrann. "Hast du deinen Plan schon in die Tat umgesetzt?" Joeys Miene veränderte sich, nahm beinahe eine leise Verachtung an. "Stehe ich in diesen Augenblicken einem Mörder gegenüber?"

"Nein." Langsam schüttelte Kaiba den Kopf, senkte ihn. "Ich habe es nicht getan."

Joey erwiderte nichts. Wieder richtete sich sein Blick auf den Mann, der stetig näher kam, sich ein direktes Ziel gesetzt zu haben schien. Diesmal musterte er ihn jedoch inniger. Der Mann taumelte etwas, seine Schritte wirkten unsicher. Vermutlich hatte er zu tief in die Flasche geschaut.

Kaiba drehte sich nicht um, achtete nur auf Joey, dieser achtete auf den Mann. Sein Gesicht verblieb reglos, doch dann setzte er sich in Bewegung, ging los und näherte sich Kaiba in

langsamen Schritten. Dieser blickte auf, als er ihn näher kommen sah. Joey würdigte ihn keines Blickes, machte den Anschein, an ihm vorbeiziehen zu wollen. Doch dann blieb er kurz vor ihm stehen, Kaiba betrachtete ihn von der Seite. Aufmerksam hafteten Joeys Augen an dem Mann, der sich ihnen weiterhin näherte, nicht vorzuhaben schien, einen anderen Weg zu wählen. Joey besah sich sein Gesicht. Es war verzerrt, gerötet und von einem dicken Schweißfilm bedeckt.

Joey packte eine leichte Nervosität und er lugte flüchtig zu Kaiba. Dieser erwiderte seinen Blick sofort, schien etwas in seinen Augen zu erkennen und drehte sich um.

Nur kurz streiften sich die Blicke der beiden und Joey stockte der Atem, als der 'Betrunkene' in einer merkwürdig zielstrebigen Bewegung seine Jacke aufriss, hineingriff und eine Pistole hervorzog. Mit geweiteten Augen starrte Joey auf den blanken Lauf, stockend zog er die Hände aus den Taschen und öffnete den Mund. Kaiba jedoch, reagierte weniger fassungslos. Nur knapp traf sein Blick auf die Pistole, bevor er sich auf das Gesicht des Mannes richtete. Brennend starrte er seinen Gegenüber an, während der Blonde still die Lippen bewegte und die Augen nicht von der Waffe lösen konnte. Joeys Herz raste beinahe schon schmerzhaft in

seiner Brust, eine kalte Gänsehaut zog sich über seine Arme und er wagte es nicht, sich zu regen.

"Katagori!" Ein humorloses, eiskaltes Grinsen zerrte kurz an Kaibas Mundwinkeln und verschwand so schnell, wie es gekommen war. "Sieh mal einer an."

Katagori schnaubte, schnappte nach Luft und umfasste die Pistole sicherer. Zitternd wies der schimmernde Lauf in die Richtung des Brünetten.

"Guten Abend...", Katagori verengte die Augen, seine Stimme zitterte, "... Chef! Schön, Sie wieder zu sehen!"

"Du gottverdammter kleiner Hurensohn..." lauernd tat Kaiba einen Schritt nach vorn und widersprüchlich der zitternden Stimme, trat Katagori auf ihn zu, schnitt ihm den Weg ab und bearbeitete die Unterlippe mit den Zähnen.

"Nur weiter so!", fauchte er. "Ich bitte Sie, geben Sie mir einen Grund, um Sie zu erschießen!"

"Gründe hast du doch nicht nötig!" Kaiba ging mit der Situation kontrolliert um. Er geriet nicht in Panik und die Tatsache, dass ein Lauf auf ihn gerichtet war, änderte daran nichts. Langsam ließ er die Hände sinken und ballte sie zu Fäusten; Joey stand gleich einer Statue neben ihm, verfolgte das Geschehen mit bleicher Miene. "Was interessiert sich eine jämmerliche Kreatur wie du für Gründe!"

"Halts Maul!!", krächzte Katagori mit heiserer Stimme, zielgerichtet hob sich sein Daumen zum Hahn der Waffe. "Als ob dir Gründe wichtig wären, bevor du handelst! Du und deine wahnsinnigen Launen! Du hast mich doch nur gefeuert..."

"Oh... ja!" Als würde die Erinnerung ihn amüsieren, grinste Kaiba, während er ihn unterbrach. "Gründe besitze ich nie, wenn ich handle. Wobei es ganz gleichgültig ist...", er starrte ihn an, "... ob du restlos unqualifiziert, faul und unbrauchbar bist!"

Katagori rang nach Atem, ein Röcheln drang aus seinem Hals und das mechanische "Klick", als er den Hahn spannte.

"Was ist?" Kaiba betrachtete sich die Waffe einschätzend. "Warum noch reden, wenn du auch einfach nur abdrücken kannst? Feige?"

>Halt dein gottverdammtes Maul!< Keuchend fuhr Joey zu dem Brünetten herum und starrte ihn an. >Wenn du ihn provozierst, wird es ihm noch leichter fallen! Auf was zur Hölle bist du aus?!<

Der kalte Schauer durchflutete seinen gesamten Körper, seine Knie bebten. Das war zuviel!

Kaiba fuhr nicht fort, man könnte meinen, er habe Joeys Gedanken gelesen. Er stand nur dort und fixierte Katagoris Augen, ohne mit einer Wimper zu zucken.

Die Pistole lag unsicher in dessen Hand, konnte jede Sekunde losgehen. Auch Katagori schwieg, nur sein rasselnder Atem war zu hören und Joey meinte, mit seinem Herz wäre es ebenso. Er hielt die Luft an, um das Keuchen zu unterdrücken, dann starrte er in die Augen des Mannes.

Oh... nein, nein, nein, diese Entschlossenheit gefiel ihm nicht!

Fahrig leckte er seine Lippen und schluckte schwer. Und die Tatsache, dass sich Kaiba und

Katagori mehrere Augenblicke schweigsam gegenüberstanden, machte es ihm nicht leichter.

Eine Bewegung lenkte Joeys Aufmerksamkeit auf sich... hastig suchten seine Augen in der Dunkelheit und folgten einer Katze, die sich geduckt über die Straße flüchtete. Ein schmerzhafter Druck breitete sich in seinem Hals aus, als er die Finger spreizte und dem Tier auch weiterhin nachsah. Kurz darauf verschwand es zwischen den parkenden Autos und zögernd blickte der Blonde zu den beiden zurück...

Was taten sie...?

Joey verzog die Miene und zitterte am ganzen Leib, als er sich Katagori betrachtete. Er zögerte, er schoss nicht, er konnte es nicht... nein, er durfte nicht...

Ein schmerzhaftes Stechen erfasste seine Herzgegend, als ein lautes Scheppern die Stille durchschnitt. Die Katze rutschte auf den lockeren Deckeln einer Mülltonne ab, sprang sofort weiter und ließ dabei einen der Deckel zu Boden gehen. Laut durchbrach es die Stille und für wenige Augenblicke war ein jeder von ihnen perplex. Zu Tode erschrocken drehte sich Katagori um, zielte auf die leere Straße und suchte ächzend nach dem möglichen Feind. Hastig riss er die Pistole von einer Seite zur anderen und gerade erst hatte er sich umgedreht, da erwachte Kaiba zum Leben. Joey sah seine Bewegungen nur aus den Augenwinkeln.

Wie er vortrat, gedachte, Katagori zu erreichen... und dessen Aufmerksamkeit unterschätzte.

Unerwartet ließ sich Katagori ablenken und noch ehe Kaiba den zweiten Fuß nach

vorn gesetzt hatte, wirbelte er zu ihm herum. Ein abgehacktes Ächzen drang aus Kaibas Hals, als er stolperte und sich der Lauf abermals auf seinen Kopf richtete. Mit geweiteten Augen erfasste er ihn, sah den Finger, der sich hastig gegen den Abzug presste... doch die Sicht versperrte sich ihm, als Joey zu ihm hastete, sich ihm um den Hals warf und gegen ihn presste.

Laut hallte der Schuss in den Straßen wider. Kaiba spürte, wie Joey, von der Wucht des Geschosses erfasst, nach vorn gestoßen wurde, wie ein heftiges Zittern durch seinen Körper fuhr, sich seine Finger schmerzhaft in seinen Nacken krallten. Ihm versagte der Atem, als er Joeys Wärme auf seiner Haut spürte, sein Gesicht, wie es sich gegen seinen Hals presste. Ein lauter Schrei dröhnte in seinen Ohren. Joey...

Nein, er war es, der schrie. Vom Entsetzten gepackt und so laut er konnte. Er schrie, bis ihm die Luft ausging und fand unsicheren Halt aus den Beinen. Er drohte zu stolpern, die Wucht hatte sie beide aus dem Gleichgewicht gebracht, doch stand Joey noch immer aufrecht vor ihm. Die Schultern des Blonden hoben sich unter einem hastigen Atemzug, der als heiseres Röcheln wieder aus seinem Hals drang. Die blauen Augen waren auf einen nicht existenten Punkt gerichtet, seinem Körper fehlte es an jeder Beweglichkeit und erst als Joeys Umarmung an Kraft verlor und die Knie des jungen Mannes nachließen und er hinab sank, erwachte er zum Leben. Er hob die Hände zu seinem Rücken, versuchte ihn festzuhalten. Joeys Arme rutschten von seinen Schultern, dann brach er zusammen. Kaiba versuchte ihn zu fassen, doch seinen Armen fehlte es an Stärke. Zusammen mit Joey sank er auf die Knie und kauerte auf dem kühlen Asphalt. Beinahe entglitt der Blonde seinem Griff, doch schnell verfestigte er ihn und zog ihn mit stockenden Bewegungen höher. Joeys Gesicht sackte nach vorn und lehnte an

seiner Brust. Die Züge des jungen Mannes wirkten entspannt und ausdruckslos... leblos... doch plötzlich begann er sich langsam zu räkeln, zu ächzen, zu röcheln. Ungläubig ließ Kaiba den Blick sinken, starrte ihn an. Durch den Ärmel seines rechten Arms fraß sich eine warme Flüssigkeit, sie benetzte auch seine Hand. Zögerlich löste er diese von Joeys Rücken und besah sie sich mit bodenlosem Entsetzten. Das Blut haftete an seiner Haut.

Katagori schenkte er keine Beachtung. Zitternd ließ er die Hand wieder auf Joeys Rücken sinken, hielt ihn so fest wie er nur konnte. Joeys Oberkörper lag auf seinem Schoß, seine Arme hingen reglos im Leeren.

>Nein...< Langsam schüttelte Kaiba den Kopf, seine Finger krallten sich in den blutdurchtränkten Stoff des Pullovers. Kurz blieb Joey leblos liegen, dann erzitterte sein Körper unter einem verzweifelten Versuch, Luft zu holen. Es klang, als hätte sich seine Lunge zugeschnürt, als bekäme er keine Luft. Er wand sich benommen in Kaibas Armen, die ihn zitternd hielten. Katagori betrachtete sich die Szene mit kurzer Verwirrung. Die Pistole hatte er sinken gelassen. Doch nun kehrte die Sicherheit in seine Augen zurück, die Finger krallten sich um die Pistole und dann bewegte er sich mit langsamen Schritten auf Kaiba zu. Dieser hatte das Kinn auf seine Brust, auf Joeys Schopf gepresst. Immer wieder erbebte dessen Körper, die Bewegungen erschienen immer unkontrollierter, verkrampfter. Auch Kaiba hatte das Gefühl, als würde ihm der Atem wegbleiben. Krampfhaft schloss er die Augen und verstärkte die Umarmung so sehr er konnte.

Als ein leises, all zu bekanntes Geräusch ertönte, schreckte er auf. Erschüttert richteten sich die geröteten Augen auf den Mann, der nun direkt vor ihm stand, gnadenlos auf ihn herabblickte. Kaiba spürte, wie sich Joeys Arm zu regen begann, wie seine Finger flüchtig über seinen Mantel glitten.

"Du hast mir etwas sehr Wichtiges genommen, Kaiba." Langsam hob Katagori die Pistole, richtete sie direkt auf seine Stirn. Und Kaiba bewegte sich nicht. "Jetzt werde ich dasselbe tun. Der hier scheint auf jeden Fall wichtig genug sein, damit du dein Pokerface verlierst."

Abermals wurde der Hahn gespannt und gemächlich näherte sich der Lauf dem Gesicht des Brünetten. Dieser kauerte zusammengesunken auf dem Boden, hielt Joey im Arm und Katagori, stolz aufgerichtet, stand vor ihm.

"Ich bin also zu feige, ja?" An den Mundwinkeln des Mannes zerrte ein höhnisches Grinsen. "Dass ich nicht lache!"

Er ließ Kaiba leiden, näherte sich dem Abzug nur sehr langsam mit dem Zeigefinger und legte ihn davor, beinahe schon bedächtig. Kaiba regte sich nicht von der Stelle.

"Ich werde dir zeigen, zu was ich im Stande bin!" Katagori lachte laut auf... und der Abzug klickte erneut... Er lachte, doch kein weiterer Schuss erschallte. Augenblicklich erstarb sein Geläster und verwirrt richteten sich seine Augen auf die Pistole. Kaibas Augen folgten dem Lauf apathisch.

"Verflucht!" Hastig richtete Katagori die Waffe erneut auf ihn und drückte ab. Stockend blinzelte der Brünette, als erneut das leere "Klick" ertönte. Immer und immer wieder drückte Katagori ab, doch das Magazin war nur mit einer einzigen, der einen heiligen Kugel bestückt gewesen. Die Miene des Mannes verfinsterte sich, als er die Waffe endlich sinken ließ. Wieder brach eine Zeit des Schweigens und der Reglosigkeit über sie herein, bis Katagori gemächlich nickte.

"Das Schicksal muss dich lieben, Kaiba", spuckte er wie einen Fluch aus und wandte sich träge zum Gehen ab. "Aber es ist besiegelt. Du wirst sterben, wann und wie auch immer."

Stumm trafen sich ihre Blicke ein letztes Mal, bis Katagori sich von dem für ihn amüsanten Anblick losriss und sich endgültig umdrehte. Er ging ruhig, schien sich Zeit zu nehmen und Kaibas Mimik verharrte noch immer im demselben Ausdruck, während er ihm nachsah. Joey begann leise zu würgen, hustete erstickt und presste etwas Unverständliches hervor, doch Kaiba fixierte sich nur auf Katagori. Er sah ihm nicht lange nach und plötzlich verzerrte sich

seine Miene wuterfüllt. Er schluckte schwer, biss die Zähne zusammen und löste eine Hand von Joeys Rücken. Flink schob er sie unter seinen Mantel, griff hinterrücks in seinen Gürtel und zog ebenfalls eine Pistole hervor. Auch sie zitterte, als sie sich auf Katagoris Rücken richtete. Verkrampft krallten sich die blutigen Finger um den Griff, der Zeigefinger ruhte bereits auf dem Abzug. Kaibas Atem begann zu rasen, als er hastig den Hahn spannte und höher zielte.

‚Weißt du, in was für Schwierigkeiten du dich bringst??’, hörte er plötzlich Joeys Stimme in seinem Kopf.

Er erinnerte sich...

‚Mokuba und Pikotto ist nicht geholfen, wenn du bis zum Ende deiner Tage im Gefängnis hockst und zur Hölle, das wirst du, wenn du diese Sache wirklich durchziehst!!’

Zittrig zog Kaiba die Nase hoch, öffnete den Mund und stieß einen bebenden Atem aus. Die Pistole begann immer stärker zu zittern, sein Gesicht verzerrte sich zusehends.

‚Ich habe aber das Gefühl, dass du irgendeinen Fehler begehst, irgendeinen Blödsinn machst, wenn ich dich jetzt gehen lasse.’

Erschöpft rang er nach Sauerstoff, dann unterbrach ihn ein scharfes Keuchen. Seine Finger lockerten sich, die Pistole sank tiefer, bis sie endgültig der Hand entglitt und auf dem Boden landete. Ächzend ließ sich Kaiba nach vorn sinken, presste die Hand auf Joeys Rücken und beugte sich hinab, bis die blonden Strähnen sein erhitztes Gesicht kitzelten. Joey atmete schnell und röchelnd, beinahe hyperventilierte er. Sein Körper begann zu zucken, bevor er

ein gedrungenes Schluchzen hervorwürgte.

"Es… tut weh..."

Kaiba presste die Lippen aufeinander und schloss die Augen, die blutige Hand schob sich höher, schob sich in Joeys Schopf. Der junge Mann quälte sich, kämpfte mit Schmerzen, die man sich nicht vorstellen konnte. Kaiba spürte den heißen Atem auf seiner Haut, die Tränen, die sich durch den Stoff seines Hemdes fraßen.

"Ich...!", panisch kämpfte Joey nach Sauerstoff, seine Hände versuchten sich wieder in seinen Mantel zu krallen. Doch es fehlte ihm die Kraft, seine Finger glitten ab, "... ich… will nicht… sterben!"

"Du wirst nicht sterben", presste Kaiba leise hervor, er war kaum noch Herr seiner Stimme. Sie geriet ihm außer Kontrolle, zitterte so sehr, dass er kaum noch zu verstehen war. "Du darfst es nicht, verstehst du..."

Joey stieß ein erschöpftes Ächzen aus und zog die Nase hoch.

"Ich will nicht sterben...!", röchelte er wieder.

Kaiba spürte, wie immer mehr Blut seinen Ärmel durchnässte, wie sich die warme Flüssigkeit auf seinen gesamten Arm legte. Joeys Rippen! Das Geschoss hatte seine Rippen getroffen...

"Hilf mir..." Joeys Stimme war nun nicht mehr als ein klägliches Wimmern.

"Halt durch." Auch Kaibas Stimme gab nicht mehr viel her. Er konnte sich nicht bewegen, blieb auf der Straße kauern und presste Joey an sich. Er blieb im Licht der Laterne hocken. Um ihn herum, herrschte Stille.
 

*~*~*~*~
 

Leise ging der Regen auf die düstre Gegend hinab. Ein angenehmer Geruch lag in der Luft, außer dem Rauschen herrschte Stille. Es war in den Nachmittagsstunden und die Sonne stand noch immer am Himmel, doch diese Gegend... sie war düster.
 

Reglos stand Kaiba dort. Er tat es seit geraumer Zeit, seine Augen waren ausdruckslos auf einen Grabstein gerichtet. Der teure weiße Marmor war sauber, bisher nicht verwachsen oder gar vergraut. Er befand sich noch nicht lang an diesem Ort; erst vor zwei Tagen hatte eine Beerdigung stattgefunden. Zum erneuten Mal las Kaiba die verschnörkelte goldene Schrift, mit der der Name in den Marmor eingraviert worden war. Noch immer konnte er nicht glauben, was passiert war, konnte die Situation, in der er steckte, noch immer nicht

realisieren. Langsam öffnete er den Mund und atmete tief aus. Doch seine Augen glänzten nicht, nicht eine Träne vergoss er an diesem Grab. Seine Hände begannen sich zu bewegen, tauchten aus den tiefen Taschen des dunklen Mantels auf und ballten sich zu Fäusten.

Warum musste es nur so weit kommen?

"Hey, Seto!", ertönte plötzlich eine Stimme und endlich erwachte er vollends zum Leben. Er blinzelte und drehte das Gesicht zur Seite. Dort stand ein Junge, der sich auf zwei Krücken stützte und grinste. "Wie lange willst du das Grab noch anstarren? Wir kannten die Frau doch gar nicht. Komm, wir müssen Joey besuchen."

Nachdenklich besah sich Kaiba seinen kleinen Bruder, dann nickte er, warf dem Grabstein einen letzten Blick zu und wandte sich ab. Er folgte dem humpelnden Mokuba über den Friedhof und verließ ihn nach wenigen Minuten. Das Krankenhaus war nicht weit entfernt; Kaiba hatte jedoch darauf bestanden, den Friedhof zu besuchen. Er wollte allein sein. Mit sich und seinen finsteren Gedanken. Zurzeit gab es viel, worüber er nachdenken musste. Gestern und vorgestern war er mit Mokuba im Krankenhaus gewesen.

Was hatte er dort getan?

Mokuba war stets der Einzige gewesen, der zu Joey gegangen war, Kaiba hatte vor dem Zimmer gewartet. Joey schlief seit knapp zwei Tagen, musste sich erholen, von der Operation und der Schwäche. Kaiba wollte ihn nicht sehen. Und der wahre Grund war ihm nicht bekannt. Vielleicht glaubt er, er würde seinen Anblick nicht ertragen, denn er trug allein die Schuld daran, dass ihm Schlimmes widerfahren war. Schuldgefühle... lange hatte er sie nicht verspürt. Hatte er denn je unter ihnen gelitten?

Hatte er sich je die Schuld für irgendetwas zugeschrieben?

Eigentlich nicht... dieses Gefühl war eine neue Erfahrung für ihn, eine sehr unangenehme. Er fühlte sich schrecklich und wusste nicht, was er tun sollte. Nie hätte er geglaubt, in einer Situation festzustecken, ohne deren Ausweg zu kennen. Er hatte immer alles gewusst, sich durch nichts beirren lassen.

Woher sollte er denn wissen, wie man mit so etwas umzugehen hatte?

Als Kaiba hinter Mokuba das Krankenhaus betrat, verschlechterte sich seine Laune zusehends. Er starrte düster gen Boden und niemand wagte es, ihn anzusprechen. Keiner der Ärzte wusste, wie es passiert war. Niemand wusste, warum man Joey eine Kugel aus dem Rücken entfernen musste. Und Kaiba hatte ihnen alles geboten, damit sie keine Fragen stellten. Und das taten sie auch nicht.

Man musste Kaiba nur sehen und schon wusste man, dass ihn diese Sache so schwer traf, dass er niemandem Rede und Antwort stehen würde. Mokuba hatte er mit seinen Selbstbemitleidungen verschont. Der Junge hatte den Unfall bereits vergessen, für ihn war ein

gebrochenes Bein keine große Sache. Hauptsache war für ihn, dass er Joey und Pikotto besuchen konnte. Wie in den letzten beiden Tagen auch, fuhren sie mit dem Fahrstuhl in die zweite Etage. Schon am selben Tag der Einlieferung war Joey von der Intensivstation auf die normale Station verlegt worden. Es gab keinen Grund, sich Sorgen zu machen.

In gewisser Hinsicht...

Dann humpelte Mokuba schneller und steuerte geradewegs auf eine bestimmte Tür zu, kämpfte mit den Krücken, um sie zu öffnen und verschwand flink im dahinter liegenden Raum. Er hatte nie gefragt, warum Kaiba ihn nie begleitete. Er war viel zu besessen darauf, Joey zu sehen und ihn zu tätscheln, so als würde dadurch alles besser werden. Oder er saß eben nur da und starrte ihn an.

Kaiba hatte seine Schritte verlangsamt und sich letzten Endes in eine kleine Warteecke gesetzt, die sich nicht allzu weit entfernt, befand. Dort saß er nun und starrte, wie die beiden Tage zuvor auch, auf eine kleine Wanduhr.

Wie lange würde es diesmal dauern, bis Mokuba zurückkehrte?

Langsam und kraftlos ließ er sich tiefer in den Stuhl sinken und streckte die Beine von sich. Es kam nicht selten vor, dass er in zwei Tagen nicht einmal im Bett lag und es dazu benutzte, wozu es gefertigt worden war. Es war keine Seltenheit, dass er zwei Tage ohne Schlaf verbrachte, doch diesmal war er müde und das war durchaus eine Seltenheit. Tausendmal hatte er sich alles durch den Kopf gehen lassen. Und letzten Endes war er doch immer der Meinung gewesen, an allem Schuld zu sein. Das war einfach so und daran würde sich nichts ändern, so viel er auch grübelte und sich plagte. In schnellen Schritten erschien der behandelnde Arzt neben ihm im Gang, erspähte ihn und blieb stehen. Kaiba blickte nicht auf, schenkte ihm keine Beachtung und doch ließ er die Unterlagen sinken und trat näher. Neben ihm blieb er stehen und besah sich Kaiba anteilnehmend.

"Darf ich mich setzen?"

Noch immer reagierte Kaiba nicht. Er starrte weiterhin auf die Uhr und schwieg. Also seufzte der Arzt leise und ließ sich neben ihm nieder.

"Sind Sie wieder mit Ihrem Bruder hier?", fragte er sogleich und lehnte sich zurück, von der Arbeit erschöpft, was eigentlich stets Kaibas Job gewesen war. Dieser nickte leicht und unscheinbar, ließ den Blick sinken und starrte auf seine Hände, die entspannt ineinander gefaltet waren. Der Arzt hatte Fragen aufgegeben, die sich darum drehten, warum er ihn nicht sehen wollte. Und so kam er zum medizinischen Teil und runzelte die Stirn.

"Hören Sie", sagte er die Unterlagen überfliegend. "Ihr Freund hat wirklich großes Glück gehabt. Er ist kräftig gebaut, hat starke und gesunde Knochen. Die Kugel ist zwischen seinen Rippen stecken geblieben, wurde aufgehalten, so dass sie sich nicht dem Herzen nähern konnte, das direkt dahinter liegt. Und wenn das passiert wäre, hätten wir nichts mehr für ihn tun können."

Kaiba blinzelte, seine Hände begannen sich langsam zu bewegen.

"Die Knochen sind kaum gesplittert, wichtige Organe wurden nicht verletzt. Die Operation verlief so gut, besser hätte es nicht laufen können. Hören Sie, die Sache sieht schlimmer aus, als sie ist. Sie müssen sich keinerlei Sorgen machen. Es bestand nie Lebensgefahr für ihn. Er muss unter einem Schock und unter den Schmerzen gelitten haben, diese Sache hat Ihnen sicher eine große Angst bereitet. Doch glauben Sie mir, nachdem er aufgewacht ist, braucht er vielleicht eine Woche, bis er allmählich wieder auf die Beine kommt."

"Warum sollte ich Ihnen nicht glauben", antwortete Kaiba endlich, seine Hände verblieben wieder reglos. "Natürlich bin ich froh darüber aber die Hintergründe verstehen Sie nicht. Wenn es nur die Verletzung wäre..." Kaiba brach ab und atmete tief ein.

Der Arzt grübelte kurz, dann nickte er und seufzte erneut.

"Nun gut, ich wollte Ihnen nur sagen, dass der gesundheitliche Zustand Ihres Freundes nicht der Schlimmste ist." Mit diesen Worten nickte er Kaiba verabschiedend zu und erhob sich. "Er dürfte nicht mehr lange schlafen", sagte er dann noch und ging weiter, um sich den anderen Patienten zuzuwenden. Kaiba sah ihm nicht nach, starrte weiterhin auf seine Hände und wurde erst aufmerksam, als er eine bekannte Stimme vernahm. Langsam drehte er das Gesicht zur Seite, richtete sich auf und warf einen knappen Blick in den Gang. Yugi,

Tea, Tristan, Bakura, Duke und Opa Mûto schienen ebenfalls auf den Gedanken gekommen zu sein, Joey zu besuchen. Die Nachricht von Joeys geheimnisvollem Unfall hatte sich schnell herumgesprochen. Kaiba besah sich die Gruppe nur kurz, dann erhob er sich aus dem Stuhl, ließ die Hände in den Manteltaschen versinken und schlenderte davon. Er wollte ihnen nicht begegnen. Also ging er in die entgegengesetzte Richtung, zog an einer gewissen Tür vorbei und steuerte auf die nächste Ecke zu. Es war unglaublich, wie viele kamen, wenn es hieß, sich

Sorgen um Joey zu machen. Würde er im Krankenhaus liegen, wäre es wahrscheinlich nur Mokuba und vielleicht auch Pikotto, die ihn besuchen kämen.
 

Es war nicht so, dass er vor seinen Joeys Freunden floh, nein, er wollte seine Ruhe haben und niemandem irgendetwas erzählen.

Nach wenigen Schritten bog er um die nächste Ecke, blieb stehen und lehnte sich hinterrücks gegen einen Getränkeautomaten, der dort stand. Dann verschränkte er die Arme vor dem Bauch und starrte auf den Boden. Oft hatte Joey davon gesprochen, was man wohl Schicksal nennt.

War das das Schicksal, das ihn erwartete?

Das Leben ist relativ, das Glück ist relativ...

Was sollte man tun, wenn das Schicksal eines Menschen so unsicher war?
 

"Sicher geht es ihm heute besser", sagte Yugi, als sie vor der Tür stehen blieben. "Vielleicht ist er ja auch schon wieder wach?"

Tea seufzte leise und faltete die Hände vor der Taille.

"Schauen wir doch nach?", schlug Tristan vor.

"Geht ihr schon mal vor." Mit einem Schritt löste sich Duke aus der Menge. "Ich hol mir kurz etwas zu trinken, dann komme ich nach."

"Ist gut." Yugi griff nach der Klinke und öffnete die Tür. Duke wandte sich inzwischen ab und schlenderte davon. Während er auf die Ecke zusteuerte, hinter der sich sogleich der Automat befand, begann er in seiner Tasche nach irgendetwas zu wühlen, mit was er das Getränk bezahlen konnte. Er wühlte und wühlte und bog letzten Endes um die Ecke. Dann schlenderte er weiter und blickte auf. Und sofort, als er Kaiba erspähte, blieb er stehen. Auch Kaiba hatte ihn schnell bemerkt, wandte das Gesicht zur Seite und schickte ihm einen

knappen Blick. Duke starrte zurück, zog die Hand aus der Hosentasche und legte den Kopf schief.

"Du auch hier?"

Kaiba wandte den Blick ab. Mit verschränkten Armen blieb er am Automaten stehen und starrte wieder auf den Boden.

"Sieht ganz danach aus."

Es missfiel ihm, Duke zu begegnen. Es missfiel ihm auch, dass Joeys Freunde hier waren, obgleich er es nicht einmal gewagt hatte, ihn zu sehen.

"Ja", erwiderte Duke leise und trat näher. "Und? Wie geht es ihm? Warst du schon bei ihm?"

"Wüsste nicht, was dich das angeht", antwortete Kaiba.

Knapp vor ihm blieb Duke stehen, stützte langsam die Hände in die Hüften und besah sich Kaibas Gesicht. An diesem konnte man deutlich erkennen, was er sich in diesen Sekunden wünschte, doch Duke wurde seinen Wünschen nicht gerecht, ließ ihn nicht allein. Stattdessen verzog er säuerlich das Gesicht.

"Manchmal widerst du mich richtig an, Kaiba", sagte er und musterte ihn genauer, eine Reaktion abwartend. "Mit diesem entsetzlichen Gesicht hältst du alle von dir fern, die du nicht leiden kannst. Du stößt sie von dir und schmeißt ihnen üble Dinge an den Kopf, wenn sie sich dir nähern. Aber Joey hast du über die Mauer klettern lassen, die du um dich aufgebaut hast. Und nun frage ich mich... wieso? Sag nicht, dass es mich nichts angeht. Es geht mich sogar sehr viel an." Duke legte den Kopf schief. "Denn Joey ist auch mein Freund und er ist der

Beste, den ich je hatte. Was zwischen euch passiert ist, geht mich wirklich nichts an, das gebe ich zu und dir gebe ich in diesem Fall recht, aber...", Duke atmete ein, in ihm wuchs der Zorn und Kaiba regte sich nicht von der Stelle, würdigte ihm nicht einmal eines Blickes, "... wenn so etwas passiert, wie das hier, wenn sich in deiner Gegenwart so schwer verletzt und uns niemand sagen will, was passiert ist, dann hast du mir nicht zu sagen, dass es mich nichts angeht!" Seine Miene verfinsterte sich. Kaiba jedoch, zuckte mit keiner Wimper, während er auf den Boden starrte. "Joey hat geweint, verstehst du? Er war völlig außer sich und konnte sich nicht mehr unter Kontrolle halten! Und das nur, weil er sich Sorgen um dich gemacht, unter dem Streit gelitten hat, von dem er uns erzählt hat! Er ist zu uns gekommen, du

warst scheinbar nicht für ihn da!" Endlich zeigte Kaibas Miene eine kurze Regung. Er blinzelte und flüchtig pressten sich die Lippen aufeinander. "Er hat uns die Geschichte von dem Unfall von Mokuba erzählt, wobei ich mir nicht einmal sicher bin, ob es überhaupt

stimmt oder ob er uns wichtige Details vorenthalten hat! Doch wenn dem so ist, dann kannst du dich verdammt glücklich schätzen, denn er hat es für dich getan! Er tut sehr viel für dich und du?!" Plötzlich wurde Kaiba am Kragen gepackt und nach vorn gezogen. Duke hielt ihn fest und seine Stimme schwoll weiterhin an. "Warum hast du ihn nicht beschützt?! Du sagst doch immer, dass du so unglaublich perfekt und stark bist!!"

"Lass mich los, verdammt!" Kaiba schlug Dukes Hände zur Seite und stieß ihn zurück. "Du hast keine Ahnung wovon du sprichst, also halt deine verfluchte Klappe, Devlin!"

"Du hast Recht!" Duke richtete sich langsam auf. "Ich kann nur davon sprechen, was ich mitbekommen habe! Joey ist über lange Zeit bei dir, hat sich eben mal erkältet, woran überhaupt nichts auszusetzen ist! Doch dann!" Duke trat wieder näher und Kaiba sah ihn unbeeindruckt an. "Dann begannen mich einige Dinge stutzig zu machen. Etwas muss zwischen euch passiert sein! Zuerst geratet ihr in einen Streit wegen Mokuba und dem Unfall, am nächsten Tag kommst du nicht in die Schule und am darauf folgenden fehlt Joey. Er verkriecht sich in der Wohnung, lässt niemanden an sich heran und geht nicht einmal ans Telefon! Ich habe mir auch Sorgen gemacht, verstehst du?!" Verzweifelt presste sich Duke

beide Hände auf die Brust. "Wehe dir, wenn du daran schuld bist, dass er gelitten hat! Aber es kommt noch besser! Ja, am nächsten Tag bekomme ich zufällig mit, dass Joey auf der Intensivstation liegt und dass mir keiner der Ärzte sagen will, wie es dazu kam! Was zur Hölle soll ich denn da denken?! Dich werde ich bestimmt nicht danach fragen!" Duke stöhnte

qualvoll auf und raufte sich die Haare. "Er war so glücklich, dass er eine Freundschaft mit dir aufbauen konnte. Glaub mir, er hat keine Partys deshalb gefeiert aber ich kenne ihn. Er hat mehr gelacht als sonst, aber die Freundschaft zu dir muss mit vielen Gefahren verbunden sein! Ich sage dir", Duke blickte auf und hob drohend den Zeigefinger, "wenn du Joey auch nur noch einmal in irgendwelche Schwierigkeiten bringst, dann bekommst du es mit mir zu tun! Und ich sage es, mit mir ist nicht zu spaßen!"

Gemächlich verschränkte Kaiba die Arme vor dem Bauch.

"Du magst Joey doch auch, oder?" Duke wurde leiser. "Natürlich. Weshalb hättest du ihn sonst an dich heran gelassen. Vielleicht bedeutet dir diese Freundschaft nicht so viel wie Joey, aber..."

"Was?!" Kaiba fuhr zu ihm herum und diesmal wurde Duke grob am Kragen gepackt. "Wie kannst du es wagen, so etwas behaupten! Du hast doch keine Ahnung, wovon du sprichst!"

"Ja, verflucht!" Duke versuchte sich loszureißen, doch es misslang. "Vielleicht weiß ich es wirklich nicht aber da niemand mit mir spricht, da mir niemand sagt, was vorgefallen ist, muss ich wohl davon sprechen, was ich mitbekommen habe. Es tat weh, Joey so zu sehen, verstehst du?!" Duke krallte ich um Kaibas Hände und biss die Zähne zusammen. "Joey ist mir sehr wichtig! Und wenn er plötzlich in Tränen ausbricht, dann will ich auch den Grund erfahren!"

Endlich ließ Kaiba ihn los und er stolperte zurück.

"Au." Kurz rieb er sich den Hals, dann sah er wieder auf und traf auf Kaibas Blick. Er biss die Zähne zusammen und brach den Blickkontakt dann ab. "Wir freuen uns alle, dass Joey in dir einen neuen Freund gefunden hat", sagte er dann. "Aber wenn wir ihn dir anvertrauen, dann möchten wir uns sicher sein, dass du es ernst mit ihm meinst, dass du deine Zeit mit ihm verbringst, weil du ihn leiden kannst, nicht etwa, weil dir langweilig und Joey so anhänglich ist." Er räusperte sich und blickte abermals auf, um Kaiba direkt anzusehen. "Wenn Joey so oft bei dir ist, dann will ich, dass du auch auf ihn aufpasst, denn er ist verletzlicher, als es den Anschein hat."

Mit diesen Worten atmete er tief durch, nickte langsam und wandte sich zum gehen ab. Kaiba sah ihn mit nachdenklicher Miene nach und sah ihn kurz vor der Ecke stehen bleiben.

"Ach, Kaiba." Er wandte sich um und verschränkte die Arme vor der Brust. "Geh zu ihm. Dich braucht er in dieser Zeit auch."

Dann verschwand er und ließ Kaiba dort stehen.
 

Als sich Kaiba nach geraumer Zeit mit Mokuba auf den Nachhauseweg machte, gingen ihm immer und immer wieder Dukes Worte durch den Kopf.

‚... er ist verletzlicher, als es den Anschein hat.’

Ein Beschützer sollte er sein?

Bisher hatte er in dieser wohl Rolle kläglich versagt.

Das meinte er zumindest in seiner Verzweiflung. Als Joey in der Klemme saß, hatte er ihn vom Dach geholt und ihm anschließend das Leben gerettet, indem er ihn aus der Badewanne gezogen hatte. Er hatte ihn zu sich nach Hause geholt, um ihn zu pflegen, hatte ihn durch die halbe Schule getragen, nachdem er zusammengebrochen war und als er Fieber gehabt hatte, hatte er lange an seinem Bett gesessen. Den Beschützer hatte er bisher immer unbewusst gespielt.

Was wäre Joey ohne ihn gewesen?

Er hatte immer auf ihn aufgepasst… und nun versagt.

Versagt, in der Situation, in der er gedacht hatte, Joey nicht beschützen zu müssen. Er hatte nicht über alle Möglichkeiten nachgedacht, als die Pistole auf ihn gerichtet worden war. Obwohl das nur zu verständlich war, machte er sich Vorwürfe.

Auch Mokuba hatte er nicht beschützen können. Und Pikotto.

Was sollte er denn machen?

Er konnte Joey nicht unter die Augen treten.
 

Sobald er zu Hause war, schickte er Mokuba zum Spielen und zog sich zurück. Er kauerte sich auf das Sofa, auf dem Joey so gern saß oder schlief. Er brachte den Kamin schnell zum brennen, zog die Vorhänge vor die Fenster und begann dann, eine Flasche Whisky zu leeren. Währenddessen rauchte er eine Zigarette nach der anderen und starrte abwesend vor sich hin. Noch nie hatte er sich betrunken oder aus Frust eine ganze Schachtel an einem Abend geraucht. Nun meinte er jedoch, der richtige Zeitpunkt wäre gekommen. Ohne auch nur einmal über irgendetwas nachzudenken, füllte er ein Glas nach dem anderen und griff

letzten Endes nach der Flasche. Sicher bot er einen jämmerlichen Anblick und nachdem die leere Flasche über das Sofa rollte, hatte er das erste Mal das Gefühl, Joey nicht würdig zu sein, ihn nicht verdient zu haben. Es war Mitternacht, als sich ihm alles drehte... und als sich das Telefon meldete. Da blickte er auf und drehte das Gesicht zur Seite. Er hatte keine Lust

abzunehmen... auf der anderen Seite hatte er jedoch das Gefühl, dass es wichtig sein könnte. Also rappelte er sich langsam auf, stützte sich auf der Sofalehne ab und trottete schwankend auf das Telefon zu. Er hatte keine Lust, mit irgendjemandem zu sprechen, wollte sich eine zweite Flasche Whisky krallen und trinken, bis er umfiel. Er musste zweimal nach dem Hörer greifen, bevor er ihn zu Fassen bekam. Dann richtete er sich langsam auf und lehnte sich hinterrücks gegen den Schreibtisch, den Hörer lustlos zum Ohr hebend.

"Ja..."

"Herr Kaiba?", meldete sich eine nur allzu bekannte Stimme und plötzlich war Kaiba wach. Er schnappte nach Luft und biss sich auf die Unterlippe, ein kalter Schauer fuhr durch seinen gesamten Körper. Es war der Arzt aus dem Krankenhaus!

"Hm", murmelte er etwas verworren und fuhr sich über das Gesicht.

"Ich freue mich, Ihnen die Nachricht überbringen zu dürfen. Er ist endlich aufgewacht. Und er möchte Sie sehen."

"Was?" Kaiba hatte mit so etwas gerechnet und doch wusste er nun nicht, was er sagen sollte. Also murmelte er etwas vor sich hin und versuchte seinen Atem zu beruhigen, der von einer auf die andere Sekunde schneller fiel. "So... spät noch?"

"Natürlich, ich bin dazu bereit, eine Ausnahme zu machen. Sie können sofort kommen."

"Ich will nicht kommen", sprach Kaiba endlich das aus, was er dachte.

Stille in der Leitung, der Arzt schien zu grübeln.

"Herr Kaiba", seufzte er dann. "Er wünscht es."

Kaiba krallte sich an die Tischkante, damit er nicht umkippte. Nun, da er aufgestanden war, breitete sich allmählich ein mörderischer Schwindel in seinem Kopf aus. In diesem Zustand wollte er Joey schon gar nicht unter die Augen treten.

"Dann sagen Sie ihm, dass Sie mich nicht erreicht haben."

"Herr Kaiba, ich..."

"Sagen Sie es ihm!"

"Das... ähm... nun ja." Der Arzt räusperte sich und Kaiba verdrehte die Augen. "Er sitzt neben mir."

"Was?" Kaiba erschrak, verlor den Halt und kippte zur Seite. Er knickte einfach um und fand sich wenige Sekunden später auf dem Boden wieder. Dort grabschte er hastig nach dem Telefon und atmete tief ein. "Aber ich..."

"Moment... warten Sie kurz." Der Arzt brach ab und leise Geräusche ertönten.

Verdattert verzog Kaiba das Gesicht.

Was war denn jetzt los?

Erschöpft und müde schloss er die Augen, schob sich zurück und lehnte sich gegen den Schreibtisch. Dort winkelte er die Beine an und wartete. Der Arzt schien auch nicht zu wissen, was er wollte...

Noch immer ertönten leise Geräusche. Doch dann wurde es wieder leiser und Kaiba vernahm einen tiefen Atemzug.

"Hey... bist du dran?"

>Joseph!< Sofort war Kaiba wach. Er fuhr in die Höhe und blickte sich perplex um. Damit hatte er nicht gerechnet! Joeys Stimme hatte etwas müde geklungen, eben so, als wäre er gerade aufgewacht. Aber es versteckte sich keine Trauer in ihr, nicht einmal die kleinste Depression. Sie war einfach nur etwas leise und gedrungen. Kaiba antwortete nicht, versuchte sich verzweifelt zu konzentrieren und nachzudenken. Perplex fuhr er sich über das Gesicht und atmete tief ein.

"Warum...", leises Husten, "... sagst du denn nichts?"

"Ja, ähm...", Kaiba presste die Lippen aufeinander und richtete sich stockend auf, "... ja, ich bin dran."

>Ich kann mich doch nicht ewig davor drücken<, dachte er sich unterdessen. >Dass es so schnell passiert, hätte ich jedoch nicht geglaubt.<

"Das ist schön", kam die leise Antwort. "Kommst du zu mir?"

"Ich...", Kaiba kam auf die Beine. Sollte er ihm sagen, dass er es nicht wollte. Also sagte er einfach: "Ich weiß nicht."

"Warum weißt du es denn nicht?" Joey hörte sich verwundert an. "Willst du mich nicht sehen?"

"Doch, natürlich", rutschte es Kaiba heraus.

"Also, wo liegt denn dann das Problem?"

Naiv, wie eh und je. Konnte sich Joey gar nicht denken, wie es ihm...

"Du kannst dich nicht hinter Schuldgefühlen verstecken!" Plötzlich klang Joey fast schon barsch und Kaiba versetzte das scheinbare Verständnis einen Schlag. "Ich habe dich jetzt... ähm..."

"Zwei Tage", murmelte der Arzt im Hintergrund.

"Ich habe dich jetzt zwei Tage nicht gesehen." Joey machte eine kurze Pause, ein leises Seufzen. "Und du mich auch nicht."

>Dieser verfluchte Arzt!< Kaiba stützte sich auf den Schreibtisch. >Er hat ihn bereits aufgeklärt!<

Vorerst antwortete er nicht, überlegte, wie er sich entschuldigen könnte. Er biss sich auf die Unterlippe und schloss die Augen, seine Finger krallten sich um das Telefon. >Was erwartet er denn jetzt von mir?!<

Auch Joey schwieg, Stille herrschte. Vermutlich dachte auch er jetzt nach.

>Wenn ich jetzt nein sage, werde ich mich auch morgen nicht zu ihm wagen! Und über die nächsten Tage will ich mir erst gar keine Gedanken machen. Besser ist es, wenn ich jetzt gleich alles regle. Dann muss ich mir keine Sorgen...<

Er brach die Gedanken ab, als ein leises Brummen in der Leitung ertönte, Joey schien ungeduldig zu werden.

"So kommen wir nicht weiter." Joey stöhnte. "Du bewegst jetzt deinen Hintern und machst, dass du herkommst!"

Dann wurde aufgelegt.

Kaiba hob verstört die Augenbrauen und lauschte dem gleichmäßigen Tuten. So ging es auch. Jetzt konnte er erst recht nicht zu Hause bleiben. Er stöhnte und ließ das Telefon sinken. Jetzt musste er nur noch diesen grausamen Rausch loswerden. In dieser Verfassung wäre es sehr unklug, zu Joey zu gehen.

>Ich werde einfach abwarten, was er zu sagen hat<, dachte er, als er sich etwas benommen auf den Weg zur Tür machte. >Wütend hörte er sich anfangs aber nicht an. Letzten Endes ist es aber egal, was er denkt. Ich weiß, dass ich die Schuld an diesem Vorfall trage.<
 

~*to be continued*~



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von: abgemeldet
2009-01-08T04:35:14+00:00 08.01.2009 05:35
So ein laaaanges Kapitel!dafür hatte ich lange gebraucht aber es hat sich voll gelohnt! Was kaiba da abzieht,ist unter aller Sau!! der kann doch Joey nicht solche Sorgen machen!! >:(
hoffentlich kriegt Joey das alles hin!
Von: abgemeldet
2008-10-31T23:46:02+00:00 01.11.2008 00:46
Das is übel. aber sowas von. Manchmal muss man halt Priotiäten setzen.....oder sich nen liebhaber besorgn,der weniger stressige kollegen an der Ferse hat. uu wenn ich da an die nächstn teile denke. Man,ich hab echt nix zu tun. -__-

badadaaaaa
natse


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