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Schattenspinner

Im Spinnennetz düsterer Magie
von

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Aus den Schatten ins Licht

Dunkelheit und Stille umgaben Dayin. Blind, taub und unfähig sich zu rühren trieb er im Nichts. Einsam und verlassen. Und doch fühlte er keinen Schmerz, keine Qualen. Sein Geist erwachte langsam - wie aus einem langen Schlaf.

*KYL!*

Eine Silbe drang durch seinen Körper und ließ ihn erzittern. Nach und nach konnte Dayin das Pochen seines eigenen Herzens vernehmen und den Hauch eines seidenweichen Stoffes auf seiner Haut verspüren. Er ruhte war und sicher wie in einem Nest oder dem Leib seiner Mutter.

Doch es war nicht die einzige Empfindung. Ein kalter Schmerz folgte, schnitt wie ein Messer in seinen Hals. Er wollte hochschrecken und schreien, seiner kreatürlichen Furcht folgen, aber schon erfüllte ihn eine angenehme Müdigkeit und bleierne Schwere.

Dayin seufzte. Je weniger er seinen Körper spürte, desto klarer wurde sein Verstand und um so leichter konnte er nun Wahrheit von Lüge oder Wunschtraum unterscheiden. Vieles von dem, an das er sich erinnert hatte, war anders - und doch nicht so fremd. Nun wußte er, warum und wie es zu allem gekommen war, und welche Schuld er an allem trug - wenn man es denn Schuld nennen konnte...

* Ich bin KYL! Und nun weiß ich wieder, wer ich bin.* Sein Geist ordnete langsam und gewissenhaft, die wirr durcheinander schwirrenden Bilder seiner Erinnerung, die so wenig faßbar wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm waren und ließen ihn noch einmal den Weg durchleben, den er gegangen war. *Aber kann ich ertragen, was ich nun klaren Auges vor mir sehe?*
 

Hastig trippelte Dayin auf einem schmalen Tierpfad dahin und sah immer wieder nach hinten. Er hatte Angst, daß sein Bruder ihn verfolgte, denn so böse wie Dayin auf ihn war, mußte Aydan es auch auf ihn sein.

Denn der hatte ihm verboten, wegzulaufen. "Ein Unwetter ist im Anzug. Bleib in der Erdhöhle Welpe. Hast du verstanden?" Diesen scharfen Worten hatte der kleine Elf gehorcht, aber auch wieder einmal seinen großen Bruder gefragt, warum der ihn auf eine große Reise mitgenommen hatte, und warum die Eltern nicht mitgekommen waren.

Er vermißte seine Mama doch so sehr. Und seine Väter nicht minder.

Aydan wollte einfach nicht erzählen, was passiert war, und anstatt den Eltern nachzugehen, war er in eine andere Richtung gelaufen, von ihnen fort.. Das verstand Dayin immer noch nicht so ganz. Auch heute hatte Aydan ihm keine richtige Antwort geben wollen, so sehr Dayin auch gedrängelt hatte. Da war der große Bruder irgendwann ruppig und böse geworden und hatte ihn angebrüllt.

Das gefiel dem Kleinen nicht. Deshalb war er einfach weggerannt!

Jetzt war es auch egal, ob Aydan ihn zu ganz vielen anderen Elfen bringen wollte, die sich um ihn kümmern würden. Aber warum sollten sie das? Er hatte doch Mama und Papa? Warum suchten sie nicht nach denen? Weshalb hatten die ihn alleine gelassen?

Plötzlich schrie Dayin auf. Für einen kurzen Moment wurde es taghell, und dann krachte es als stürze der ganze Wald ein. Seine Traurigkeit war wie weggewischt und machte großer Angst Platz.

"Iiiiiiiieeeeeee!" Erschreckt floh der kleine Elf unter ein paar Büsche und machte sich ganz klein. Heftig zitternd wartete er auch das nächste Krachen ab.

War das ein was Aydan ein Unwetter genannt hatte? Das war furchtbar schrecklich.

Erst als das Krachen und Donnern schwächer geworden war und Dayin eine Weile mit angezogenen Beinen unter den niedrigen Ästen gehockt hatte, faßte der kleine Elf wieder Mut und sah sich vorsichtig um. Seine Furcht war vergessen, denn eine Lücke, ähnlich einem Erdloch machte ihn neugierig.

Er schnupperte vorsichtig, so wie er es seinem Bruder abgeschaut hatte, aber der bittere Geruch, der ihm entgegen schlug schreckte ihn nicht ab, sondern lockte ihn noch mehr, nachzusehen, was sich hinter dem Loch befand..

Schließlich kroch er durch die kleine Öffnung und fand sich an einem seltsamen Ort wieder. Auch wenn es am Himmel stockdunkel war, so konnte er hier doch mehr sehen. Schimmernde Funken, wie ein mondbeschienener Nebel, erhellten die kleine Lichtung.

Dayin stellte sich auf und sah sich mit großen Augen um. Er versuchte die winzigen Lichter zu erhaschen, aber die ließen sich nicht mal richtig berühren. So verlor er schnell sein Interesse an ihnen und sah sich genauer um.

Vor ihm erhob sich ein riesiger grauer Felsen. Er war in der Mitte gespalten, und aus dieser Vertiefung erhob sich ein alter, knorriger Baum mit feucht schimmernder Rinde, der fast lebendig wirkte und die Gestalt einer wunderschönen Elfe besaß.

"Mama?" Der kleine Elf tapste vorsichtig näher und streckte die Hand aus. Gerade als er auf den Felsen klettern wollte, um sich den Baum genauer anzusehen, erfüllte plötzlich ein Knistern und Grollen die Luft.

Ein Blitz schlug in den Felsen ein!

Dayin schrie auf und ließ sich erschreckt fallen, denn das grelle Licht blendete ihn. Der Junge hielt sich die Augen zu -die Helligkeit jedoch blieb und tat weh. Sie ging nicht weg, hüllte ihn ein, brannte sich durch seine Finger und in seinen Kopf.

Dayin weinte und schrie, preßte die Hände noch fester gegen die Augen, aber es nutzte nichts, weil das Licht ihn auffraß, ihm etwas wegnahm...

Und dann glaubte der kleine Elf zwei schmale weiße Hände zu sehen, die ihn berührten, und zwei große schillernde Augen, die ihre Wärme und Sorge plötzlich verloren. *NEIN!* hallte ein zorniger Schrei in ihm wieder. *Nein! ich will nicht! Verflucht sollst du sein ....*

So viel Wut und Schmerz lagen in diesem Senden, daß Dayin nicht mehr länger an sich halten konnte. Hastig warf er sich herum und kroch durch das Loch zurück. Dann rannte und rannte der kleine Elf auf seinen kurzen Beinen, bis ihn die großen starken Arme seines Bruders auffingen. Schluchzend klammerte sich Dayin an ihn und ließ seinen Tränen freien Lauf, bis er keine mehr hatte.

Nur einmal zuckte er zusammen, denn Aydan schnupperte an seinen Haaren, atmete heftig ein und aus und versteifte sich plötzlich, als stimme etwas nicht. Dayin sah verwirrt auf, doch bevor er seinem Bruder in die Augen sehen konnte, drückte der sein Köpfchen wieder an seine Brust.
 

'Jetzt verstehe ich!' wisperte Dayin tonlos und ließ die Bilder seiner Kindheit und Jugend achtlos an sich vorüber streifen - auch seinen zweiten Aufenthalt an dem geheimnisvollen Ort, der das Band zu endgültig geschlossen hatte. So wie die Nachtschmetterlinge das Licht suchten, lockte ihn dieses Geheimnis des Waldes der Schattentänze immer zu sich hin. Denn dort war ihm ein Teil seines Wesens geraubt worden. Erst jetzt wußte er, was ihm all die Jahre gefehlt hatte, obwohl er es nie wirklich vermißt hatte.

Dayin fühlte die Leere in seiner Seele überdeutlich und spürte ein brennendes Sehnen und Verlangen, sich das Verlorene wieder zu holen. Aber noch waren seine Erinnerungen stärker und bannten ihn an den Ort, an dem er jetzt war..

Trost spendeten ihm die Jahre der Unbeschwertheit und des Glücks, die ihn zu Sturmtänzer gemacht hatten: dem oberflächlich scheinenden jungen Hitzkopf, der nur Federn im Kopf zu haben schien, und ständig Schwierigkeiten machte weil er immer wieder seine Nase in Dinge steckte, die ihn nichts angingen. Er folgte den Gefährten in die Hitze der Jagd und tollte mit anderen durch den Wald. Nur vom gelegentlichen Tadel Goldfederfells zurückgehalten ließ er seinem Übermut freien Lauf. "Sturmtänzer, du fürchtest wirklich keine Gefahr! Aber glaube mir, dein Leichtsinn kann auch eines Tages andere mit sich reißen. Wenn nur du selber es wärst, der dann das Leid zu tragen hätte. Aber es werden auch immer andere mitgerissen werden."

Und da waren schließlich die Jahre unbeschreiblichen Glücks, die ihm Frühlicht geschenkt hatte, die Gefährtin seiner Seele, seines Herzen und seines Leibes. Sie war mehr als nur eine Liebe gewesen - auch seine Kraft und sein Halt. Und nicht zuletzt die Quelle schlichter, aber treffender Weisheit.
 

"Dir steckt die Verrücktheit im Blut, aber das macht dich gerade so liebenswert!" lachte Frühlicht und wuschelte Dayin durch die dunklen Locken. Dann schnappte sie sich ihn und wälzte sich mit dem jungen Elfen durch das Laub des Vorjahres, bis sie vom Stamm einer jungen Erle aufgehalten wurden. Erhitzte Haut berührte einander und Lippen befeuchteten die empfindsamen Stellen an Kehle und Brust. Mit einem tiefen Seufzen preßten sie sich enger aneinander, als wollten sie sich nicht mehr voneinander trennen. Längst war das brennende Verlangen des Erkennens einer tiefen inneren Leidenschaft gewichen - eines Gefühls, daß sie schon früher miteinander geteilt hätten. "Du bist wie ein Sturmwind in mein Leben gebraust, und deine Kraft reißt mich mit!" seufzte Frühlicht und vergrub ihre Hände in Dayins Haar. "Wo Goldfederfell ein ruhig fließender Strom ist, bist du der Gebirgsbach, der gerade erst der Quelle entspringt." Dann zog sie seinen Kopf an ihre Brust, und vergrub ihr Gesicht in seiner Mähne.

Dayin kicherte, als ihr Atem seine Kopfhaut kitzelte, und kuschelte sich tiefer zwischen die weichen Hügel ihrer Brüste. Gierig sog er ihren Duft ein.

"Eines ist jedoch sehr merkwürdig", murmelte seine Seelengefährtin, als sie den Kopf wieder hob. "Wenn Takenya wirklich deine Mutter war, warum spüre ich dann nicht den Wolf in dir? Und weshalb ist das noch niemandem aufgefallen?"

"Hmmm?" fragte der junge dunkelhaarige Elf schläfrig. "Ich weiß nicht." Er spielte mit einer ihrer Locken. "Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht."

Frühlicht wickelte einige Strähnen seines lockigen um ihren Zeigefinger und schüttelte tadelnd den Kopf. Dann zog sie fest daran.

"Aua!"

"Darüber solltest du dir aber Gedanken machen!" Frühlicht kitzelte seine Nase. "Denn ich kann mich nicht daran erinnern, daß dir Silbermond oder ein anderer das Blut genommen hat. Denn es ist eine Entscheidung, die wohl überlegt sein muß." Sie lächelte hintergründig. Dayin hob den Kopf. Er wußte wovon Frühlicht sprach, denn sie selber hatte diese Entscheidung bereits getroffen: Wolfsreiter waren nicht wie die anderen Elfen unsterblich. Das Tierblut in ihren Adern ließ sie langsam aber doch stetig altern. Um ihrem damaligen Geliebten Loyahm Goldfederfell das Leid des Verlustes zu ersparen, hatte sie sich das Blut von der Heilerin entfernen lassen, um unsterblich zu werden.

Frühlicht legte ihre Hände an Dayins Wangen. "Nun mache doch nicht so ein Gesicht. Das Wolfsreiterblut ist nicht schwächer oder schlechter als das von reinblütigen Elfen. Eher im Gegenteil!" Ihre Augen begannen seltsam zu funkeln. "Es heißt, daß uns Wolfsreiter genau das zu einem Teil dieser Welt macht. Und selbst wenn einer von uns stirbt, so kehrt seine Seele nicht in den Palast zurück und ist seinen Liebsten fern. Wir hätten die Gabe frei zu entscheiden, ob wir bei ihnen bleiben, oder in die Heimat der Hohen eingehen möchten. Und ich denke ... jetzt, da ich es nicht mehr in Anspruch nehmen kann, daß es auch ein Geschenk ist, nicht nur ein Fluch. Denn sind wir nicht mittlerweile Kinder dieser Welt?"

"Ach ... das ist doch nicht so wichtig." Dayin schüttelte sich. "Wir sind beide reinblütig ... und was schert uns das noch?"

"Ich weiß nicht..." Frühlicht berührte mit ihren Lippen seine Stirn und legte sich dann wieder zurück.

"Dann denke nicht weiter darüber nach", Dayin drehte sich herum und begann sein möglichstes zu tun, um den grüblerischen Gesichtsausdruck seiner Gefährtin auszulöschen...
 

Dayin klammerte sich an diesen glücklichen Bildern so lange er konnte fest, denn er wußte, was ihnen folgen würde. Noch einmal erlebte er die Geburt und das Heranwachsen seiner Tochter Elea mit ... teilte Freude und Leid mit seiner Familie und dem Stamm der Schattentänzer. Dann aber konnte er sich nicht mehr vor den Schatten der Vergangenheit verstecken, die im Begriff waren, ihn einzuholen.
 

Dayin stand außerhalb der Bäume, hinter denen sich die Wohnbäume des Stammes verbargen und inmitten eines Unwetters. Die heftigen Windböen zerzausten sein Haar und wirbelten seine Kleidung auf. Doch er lachte den Blitzen und dem Donner nur entgegen und streckte die Arme aus. "Ich habe keine Angst vor Gewittern. Was sind denn schon die paar Blitze und der Donner! Ich werde mich nie davor fürchten, hörst du!"

Donner übertönte die andere Stimme, die nun an sein Ohr drang, so daß nur ein letzter Fetzen zu vernehmen war. "... laß den Unsinn und komm zurück!"

Dayin nahm die Warnung jedoch nicht ernst und tanzte im unwirklichen Licht der nächsten Blitze. "Ich habe mich niemals vor Gewittern versteckt, siehst du das jetzt ein?"

* Das ist gelogen! Du hast dich vor ihnen verborgen! Und du hast jemanden aus tiefem Schlaf geweckt, der weiter ruhen, oder frei sein wollte!*

"Unnnnghhh!" Dayin schreckte aus dem Albtraum hoch, und wurde im nächsten Moment von sanften aber starken Armen festgehalten.

*Ganz ruhig! Was ist denn los?* fragte Frühlicht und sandte beruhigende Gedanken in Dayins Kopf. Der dunkelhaarige Elf sah sie aus verschleierten Augen an, schien im ersten Moment gar nicht zu wissen, wo er war. "Hast du mich geweckt? Ich habe da eine Stimme gehört."

"Nein, das habe ich nicht!" Frühlicht blickte auf ihren Gefährten hinunter und strich ihm über die Stirn. Sorge stand ihr ins Gesicht geschrieben. "War es wieder dieser seltsame Traum vom Sturm und den Gewittern, den du seit dem Herbst hast? Das Unwetter damals kann doch nicht so schlimm gewesen sein, daß es dir immer noch Angst macht?" Damit erinnerte sie Dayin an ein Unglück im Herbst. Die Jäger waren in einen Sturm geraten, der einem von ihnen das Leben gekostet hatte. Dayin war einer der beiden gewesen, die von einem der umstürzenden Bäume ins Wasser gedrückt worden waren. Während der eine ertrank, hatte sie ihn noch rechtzeitig heraus ziehen können.

Dayin war lange krank gewesen - und mit dem Fieber waren auch seltsame Träume gekommen. Die Elfe strich ihrem Gefährten sanft über die Brust, während der dunkle Elf nun blicklos gegen die Decke ihres Wohnnestes starrte.

Frühlicht täuschte sich nicht. Sein Traum hatte ganz und gar nichts mit dem Unglück zu tun, auch wenn es im ersten Moment so schien. Die Gründe dafür lagen viel tiefer in der Vergangenheit.

Dayin spürte wie ihn ein Zittern durchlief, als er noch einmal an seine Empfindungen dachte. Für einen Moment tauchte das Bild einer wunderschönen zarten Elfe mit hellem Gesicht und glitzernden weißen Haare in seinem Geist auf. Das sanfte Gesicht verzerrte sich zu einer wütenden kalten Maske. *Warum hast du mich geweckt und dann alleine gelassen? Komm zurück Kind! Wenn du mich schon nicht befreien konntest, dann sollst du mir in meiner Pein doch Gesellschaft leisten!*

"Wer ist sie?" Frühlichts Stimme schreckte ihn auf. Sie hatte seine Gedanken geteilt und nun auch das Bild gesehen, aber offensichtlich nicht die Stimme gehört. "Was ist das?"

Dayin setzte sich auf und kauerte sich zusammen. "Ich weiß nicht... ich weiß es einfach nicht. Ich sehe dieses Bild erst ein, zweimal in meinem Träumen, und sie scheint mir vertraut - aber ich kenne sie nicht."

"Vielleicht sollte ich mit Loyahm darüber reden", überlegte die Elfe. "Der Älteste muß davon wissen, denn vielleicht hat das ganze noch eine tiefere Bedeutung."

"Nein!" Dayin schüttelte den Kopf. "Wozu denn, das sind doch nur Träume. Und außerdem ist er nicht so gut auf mich zu sprechen. Wenn er uns zusammen sieht, dann habe ich immer das Gefühl..."

Frühlicht lachte. "Du täuscht dich in Goldfederfell! Er akzeptiert unseren Bund, auch wenn er seine Traurigkeit über unsere Trennung nicht verbergen kann. Aber ich habe mich schon lange bevor du in mein Leben tratest, lange bevor du geboren wurdest, von ihm getrennt."

"Trotzdem sollten wir besser darüber schweigen. Ich will nicht noch andere mit da hinein ziehen!"

Frühlicht sah Dayin eine Weile an, dann nickte sie. "Gut, das kann ich verstehen. Merkwürdig, das aus deinem Mund zu hören, denn ich kann mich erinnern, daß du Probleme immer gern anderen aufbürdest..." Sie lachte über Dayins empörtes Gesicht und wuschelte ihm durch die Haare. "Böse meinte ich das nicht. Aber das ist einer der Gründe, warum ich dich so sehr liebe. Du vermagst mich immer wieder aufs Neue zu überraschen."
 

Die Träume verblassten und verschwanden für eine ganze Weile aus Dayins Geist. Dennoch spürte er im hintersten Winkel seines Geistes, daß sie nicht ganz fort waren. Der dunkelhaarige Elf verdrängte die düsteren Ahnungen und stürzte sich wieder tief in das alltägliche Leben im Hain und an der Seite seiner Familie.

Mehrere Sommer und Winter vergingen friedlich, in denen nichts das glückliche Leben der Schattentänzer zu stören schien. Niemand ging, und einmal konnte der Erstgeborene neues Leben im Hain begrüßen.

Dann aber zog ein Herbst heran, der die schlimmsten Stürme und Unwetter seit Elfengedenken brachten.

Blitze und Donner fegten über den Wald, begleitet von heftigen Regenfällen, die genauso viel Schäden anrichteten wie die kleinen Brände, die immer wieder entstanden. Wo früher noch einzelne Sonnenstrahlen den Hain erleuchtet hatten, fehlte jetzt das helle Licht der Herbstsonne. Jeder Tag war gleichermaßen grau. Schwere, bleierne Luft machte das Atmen schwer und erinnerte daran, das bald ein neues Unwetter folgen konnte.

Und in diesen Tagen kehrten die Träume zu Dayin zurück. Sie hatten sich verändert, zeigten nicht länger seinen Tanz im Sturm, sondern einen Ort im Wald, der ihm vertraut war. Mehrfach - als kleines Kind und als jungen Elfen - hatte es ihn dort hin gezogen, aber seit er mit Frühlicht zusammen war, war er nicht mehr dort hingegangen. Jetzt wuchs das Sehnen ihn aufzusuchen und Antworten auf seine Visionen zu bekommen. Nur um seiner Familie willen tat Dayin es nicht. Noch nicht...
 

*Du kannst dich mir nicht länger verschließen. Komm zu mir, Kind. Es gibt keinen anderen Ausweg mehr!* wisperte und drängte es in Dayins Geist. Fahrig wischte sich der dunkelhaarige Elf über die Stirn und blickte sich verstohlen um, ob einer der anderen Elfen, mit denen er ein paar Baumnester vor dem nächsten Sturm sicherte, seinen Schwächeanfall mitbekommen hatte. Denn er wollte nicht, das einer unliebsame Fragen stellte und Frühlicht darauf aufmerksam machte. Sie hatte schon genug Sorgen, denn Elea erholte sich einfach nicht von einer Verletzung, die sie sich während einer Jagd zugezogen hatte, auch wenn die Heilerin sich ihrer angenommen hatte. Dayin wollte seiner Seelengefährtin nicht noch mehr Sorgen bereiten, obwohl sie schon längst ahnen mußte, daß mit ihm etwas nicht stimmte. Er fürchtete sich schon vor dem Moment, in dem sie ihren Verdacht äußern würde.

Im nächsten Moment wurde er heftig durchgeschüttelt. Eine starker Wind war aufgekommen, und der Himmel verdunkelte sich zusehens. "Beeilt euch! Laßt die Nester sein und kommt in die Höhlen!" gellte ein Ruf zu ihm hoch.

*Ja, ganz recht, beeile dich. Komm zu mir! Du kannst dich mir nicht länger verschließen*

Das Wispern drängte stärker und deutlicher als sonst in seinen Geist.

Dayin stöhnte und klammerte sich noch fester an den Stamm. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Ein Knistern erfüllte die Luft, und einen Moment war es ihm, als berührten die Schwingen eines Schmetterlings seine Wange.

"Hnnnh." Dayin rang nach Luft, als eine Welle von Schmerz und Verzweiflung seinen Geist erfüllte. Für einem Augenblick war er wieder ein kleiner Elf, der zu den Wundern eines verzauberten Ortes aufsah und erkannt, wie sich etwas veränderte.

Das war nur durch ihn geschehen. Er trug die Schuld daran.

An was, das vermochte er nicht zu sagen, wenngleich die Gefühle blieben. Also hatte die Stimme recht, wenn sie seine Anwesenheit forderte. Er mußte ihrem Ruf folgen, vielleicht war er dann endlich die dunklen Träume los.

Dayin spürte, wie die ersten kalten Regentropfen auf ihn niederprasselten und durch den Kragen seines Hemdes in den Nacken hinunterliefen. Er sah die anderen in die Versammlungshöhle flüchten. und hoffte, daß nicht noch einer nach ihm suchte.

Denn sein Entschluß stand fest. Er würde hier und jetzt dem quälenden Fragen nachgehen. Vielleicht würde dann alles besser werden.

Dayin kletterte vorsichtig am Stamm hinunter und wischte sich die Hände an seinem langen Lederhemd ab, das sich immer mehr mit Feuchtigkeit vollsog. Schwer klebte es an seinem auskühlenden Körper, aber er störte sich nicht daran.

Im Schatten anderer Bäume entfernte er sich immer mehr von den Nestern und Höhlen und ließ auch bald schon die äußeren Grenzen des Hains hinter sich.

Über ihm tobte das Unwetter. Zwar war der Wind leicht abgeflaut, aber die dunkelgrauen Wolken, die dieser heran getrieben hatte bedeckten den Himmel nun zum Horizont. Blitze zuckten zwischen ihnen hin und her, so daß sie beinahe wie lebendige Wesen wirkten. Immer wieder übertönte ein dumpfes Grollen und Krachen übertönte die Geräusche des Regens.

Eine erneue Sturmbö zwang ihn zu Boden, durch die auch junge Bäume niedergedrückt wurden und morsche Äste zu Boden krachten.

Dayin wischte sich Blätter aus dem Gesicht. Den Arm vor das Gesicht haltend kämpfte er sich weiter. Sein immer wiederkehrender Traum hatte ihm weismachen wollen, das Gewitter nicht fürchten zu müssen - aber je heftiger die Blitze zuckten und der Donner grollte, desto größer wurde seine Angst. Am liebsten wäre er umgedreht und in den Hain zurückgelaufen, wie damals als er...

Dayin blieb kurz vor dem verwunschenen Ort stehen und rang nach Luft. Für einen Moment glaubte er die Berührung eines vertrauten Geistes zu spüren, doch dann trieb ihn ein innerer Zwang weiter. *Komm ... komm endlich zu mir!*

Den Weg durch das Unterholz brauchte er nicht mehr zu nehmen. Vor ihm hatte der Sturm eine Bresche in den Wals geschlagen. Unter dem natürlichen Torbogen, den zwei halb gestürzte Bäume bildeten, trat er auf die kleine Lichtung, die ... wie vor langer Zeit von einem unwirklichen Licht erfüllt wurde.

Und dann sah er sie inmitten des Wetterleuchtens. Ebensowenig wie der gespaltene Felsen, aus dem sich ein knorriger Baum erhob hatte sie sich verändert. Ihre weiße Gestalt bildete sich aus dem Nebel, der auch vor langer, langer Zeit schon den Ort erfüllt hatte. Wunderschön und unwirklich wie eine Hohe stand sie vor ihm.

*Endlich bist du gekommen, mein kleiner hübscher Elf. Willst du nun deine Bosheit wieder gut machen? Auf irgend eine Weise?*

*Bosheit? Ich begreife nicht, was du meinst ...*

Dayin zitterte angsterfüllt, als sie sich zu ihm hinunter beugte. Ein kalter Schauer durchraste ihn, als sich ihre bleichen Hände an seine Wangen legten. Der dunkelhaarige Elf versuchte zurückzuweichen, aber seine Glieder waren wie gelähmt. *Ich verstehe nicht, warum du mich verfolgst.*

* Du verstehst mich nicht?* Ihr Senden klang wütend. *Dabei hast du mich noch enger an diesen Ort gebunden. Was war es denn, das durch den Felsen in mich geflossen ist, Kind? Eine widerwärtige Kraft, die ein Fluch dieser unseligen Welt ist! Dein unreines Blut hat das Netz des Zaubers noch enger gewoben als es schon war!*

Dayin starrte mit weit aufgerissenen Augen auf sie und vergaß nach Luft zu schnappen.

Ihr Blick irrlichterte. *Vielleicht wirst du alles besser verstehen, wenn du erst ganz bei mir bist! In einem Unwetter wurde ich gefangen, in einem weiteren gebunden - in diesem vielleicht befreit. Und wenn nicht - so wirst du mir Gesellschaft leisten!*

Sie warf ihren Kopf in den Nacken, während ihre Hände noch immer an Dayins Wangen ruhten und ihn bannten. Jede Berührung ihrer eisigen Finger tötete eine Empfindung mehr. Ein geisterhafter Sturm hüllte sie plötzlich ein und breitete ihr Haar aus wie ein Spinnennetz, das den Blitz zu fangen schien ...

**KYL!**

Eine starke Seele berührte die seine und er spürte Frühlichts Gegenwart, so als sei sie an seiner Seite.

**NYX. Bitte geh fort!** schrie Dayin mit letzter Kraft, als sie ihm Kraft geben wollte. Für einen Moment schien es, als könne er sich losreißen, doch dann...

Dayin sah, wie der Blitz die Haare und die Gestalt der Erscheinung einhüllte und von den Schultern die Arme hinunter in die Fingerspitzen wanderten.

Die sengende Helligkeit brannte sich in seine Augen, sein Gesicht. Sie blendete ihn, grub eisigen Schmerz in sein Fleisch, in seinen Kopf und umgab auch seine Seele. Das Licht zerrte ihn mit sich, doch dann schloß sich plötzlich ein fester Griff um ihn.

Dayin spürte, wie er zurück gestoßen wurde. Frühlicht stand inmitten des gleißenden Soges und blickte noch ein letztes Mal zu ihm zurück. Dann stürzte sie sich in den Strudel und verschwand in einem heftigen Blitz..

In Dayin zerbarst etwas wie eine Eisplatte auf den Felsen. Sein Herz wollte ihm zerspringen, seine Seele schrie voller Qual, doch dann löschte der Schmerz alles aus und stürzte ihn in ein Meer der Dunkelheit ...
 

... aus dem er verändert erwachte. Sturmtänzer war zu jenem Zeitpunkt gestorben und Schattenspinner war an seine Stelle getreten, der stumme und stark verletzte Wanderer, den die Rastlosigkeit weit über die Welt der Zwei Monde getrieben hatte. Nur die Tatsache alles scheinbar vergessen zu haben, hatte ihn überhaupt noch am Leben gelassen.

Jetzt waren die Erinnerungen zurück, und sie lasteten schwer auf Dayin. Denn auch wenn Frühlicht freiwillig gegangen war, so lastete ihr Tod doch schwer auf seinen Schultern. Goldfederfell hatte schon recht. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er die anderen nur früh genug eingeweiht hätte, wenn er nicht so leichtsinnig gewesen wäre, in das Unwetter hinaus zu laufen ....

Vielleicht...

Dayins Geist hielt in seinen Selbstvorwürfen inne. Noch immer sah er die letzten Augenblicke seines Lebens als Sturmtänzer vor sich. Langsam zogen sie an ihm vorüber, als wollten sie ihm neue Schuld aufbürden, als wollten sie ihn endgültig zerstören.

Nein, so war es nicht!

Alles fügte sich nun zu einem zusammen. Seine Traumreise, die ihm einen Teil der verborgenen Erinnerungen und schließlich seinen Seelennamen wiedergebracht hatte, ergab ebenso einen Sinn, wie die letzten Erinnerungsstücke: Dort war niemals von Tod, von Vernichtung die Rede gewesen. Die Erscheinung - einst eine Hohe namens Myriellin - hatte von ihm verlangt, ihr Schicksal zu teilen...

Frühlichts Seele lebte!

Sie war ihm erst vor kurzem in der Gestalt seines Tierfreundes Squirrit nahe gewesen, und er hatte es nicht einmal richtig bemerkt. Sie war seit ihrem vermeintlichen Tod damals die Gefangene der Hohen, weil sie an seine Stelle getreten war! Und nun hatte sie sich wieder für ihn geopfert, um ihm die Erinnerung wieder zu schenken!

Was war er nur für ein Narr gewesen, davon zu laufen Vielleicht konnte er ja noch etwas tun, wenn er wirklich den Ort aufsuchte, an dem alles begonnen hatte.

Dayin kämpfte gegen die bleierne Schwere seiner Glieder an. Er mußte nun endlich alles, zu einem Ende bringen, egal zu was für einem Preis.

Plötzlich ging alles sehr einfach. Das Verlangen gab ihm die Kraft, das Webzeug aufzureißen und abzustreifen. Schnell verließ er die Versammlungshalle. An der Öffnung zögerte er einen Moment, aber dann huschte er hinaus. Seltsamerweise schien niemand ihn wahrzunehmen, obwohl ein Pärchen dicht an ihm vorbei ging, und ein Elf direkt zu ihm hin sah.

Um so besser, dann würde es einfacher sein, zu gehen.

Dayin huschte an einigen heimkehrenden Jängern vorbei, die von einer müden, erschöpften Anführerin begrüßt wurden. Seine Enkeltochter Ayrilinn scherzte mit einigen Elfen und berührte dabei immer wieder stolz ihren leicht gerundeten Bauch. Rosenlieb zeigte stolz ein neues veilchenfarbenes Stück Leder vor und lachte über den Eifer einiger junger Elfen es für sich als Teil eines neuen Kleidungsstück zu erbetteln.

Nur einer schien kurz den Kopf zu heben und irritiert in seine Richtung zu schauen, so daß Dayin seinen Schritt beschleunigte, und aus dessen Sichtfeld huschte. Er wollte nicht, daß Goldfederfell, der nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich verändert wirkte, ihm folgte. Denn der Älteste schien selber von schlimmen Erfahrungen und großem Leid gezeichnet.

Dayin drängte es zum ersten Mal aus freien Stücken zu jener, von fehlgeleiteter Magie erfüllten Lichtung, denn es galt die vielen Fehler seines Lebens wieder gut zu machen.

Noch einmal blickte er mit traurigen Augen zurück auf die Schattentänzer, von denen nur wenige Wegbegleiter seiner frühen Jahre waren und nahm stumm Abschied von ihnen. Denn diesmal würde es keine Rückkehr in den Hain und zu den Freunden geben, die er in Rosenlieb und Sirkayla wiedergefunden hatte.

Das wußte er tief in seinem Inneren.
 

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*Hier bin ich!* Dayin betrat die Lichtung und stützte seine Hände gegen den rauhen Felsen der im Laufe der Zeit stark verwittert war. Die Wurzeln des Baumes hatten ihn noch weiter gespalten - und es würde nicht mehr lange dauern bis er ganz zerborsten war.

Er hob den Kopf zu dem Baum und suchte die vertraute Gestalt, die im dämmrigen Licht des verlöschenden Tages kaum zu erkennen war. Anders als im übrigen Wald drangen hier die Sonnenstrahlen nur schwach durch den allgegenwärtigen feinen Nebel.

Als er keine Antwort auf seinen Ruf erhielt, drehte Dayin sich um und hob den Kopf zu den groß gewordenen Bäumen. Längst war die Bresche wieder geschlossen, die das Unwetter zwischen sie geschlagen hatte.

*Kyl!* Sanfte Hände legten sich auf seine Schultern, und warmer Atem streifte seine Wangen, der warme und kalte Schauer über seinen Rücken rinnen ließ. Konnte es wirklich wahr sein? Dayin drehte sich hastig um.

*Nyx!* Fest schloß er die Elfe mit der goldbraunen Haarmähne in seine Arme. Sie war so wirklich wie er, ein lebendes, atmendes Wesen, und es schien ihm einen Moment, als wäre nichts geschehen, und er nur einmal mehr aus einem langen Traum erwacht. *Geliebte ... wie sehr habe ich dich vermißt. Ich war so dumm, so blind. Und dann...*

*Hör auf, dir Vorwürfe zu machen, mein Liebster. WIR hab en die Fehler gemeinsam begangen, wenn sie denn Fehler waren.* Frühlicht sah zu ihm auf und legte ihre Hände gegen seine Wangen. *Es war die Unwissenheit eines winzigen Welpen und die Magie dieses Ortes, die alle Ereignisse auslösten! Und ich habe nicht weiter nachgeforscht, warum du bar jeden Blutes des Volkes deiner Mutter warst. Jetzt hat alles eine Bedeutung bekommen.*

*Ich wünschte, das wäre alles nur ein böser Traum.*

Dayins Sinne verrieten diese Hoffnung.

Erst jetzt wurde ihm bewußt, daß er die völlig von der Aussenwelt abgeschiedene Lichtung niemals hätte betreten können, denn das Loch war längst zugewachsen und eine Dornenhecke schloß die Lücken. Er wußte nicht einmal mehr, wie er da hindurch gekommen war. Und dann berührten Frühlichts Hände weiche, unvernarbte Haut, die nur noch die Zeichen der Schattentänzer trugen. Der Elf hielt die Luft an. Er verstand nun, was mit ihm geschehen war, doch er bedauerte es nicht.

Ehe er seine Erkenntnis Frühlicht mitteilen konnte, löste sich eine weiße Erscheinung aus dem Baum und schritt leichtfüßig über den Felsen auf sie zu.

*Da bist du ja endlich! Ich wollte dich immer haben, damit ich die Einsamkeit nicht länger alleine ertragen muß!* Mit einem wütenden Blick musterte sie Frühlicht. *Dich brauchen wir jetzt nicht mehr Geh! Geh fort! Ich weiß, daß du das kannst!*

Wut und Verzweiflung lagen in dem Senden der Elfe mit den irrlichternden Augen und sie streckte, wie schon einmal die Hand aus. *Ich will nur dich und sonst keinen!*

*Nein, das lasse ich nicht zu!* Frühlicht hielt Dayins Hand fest. *Hör mit doch einmal zu und überschütte mich nicht immer mit deinem Haß!* kämpfte sie gegen die Erscheinung an, deren Zorn sich in einem Sturmwind äußerte, der Frühlicht fortzublasen drohte.

*Ich werde freiwillig zu dir kommen, wenn du ihr diese Bitte erfüllst!* erklärte nun auch Dayin und legte seine Arme um die Gefährtin. 'Wir müssen ihr entgegen kommen, denn sonst befreit sie sich gar nicht mehr aus ihrem Wahn.

Die Erscheinung hielt inne und legte mißtrauisch den Kopf schief. *Gut, ich will dich um seinetwillen anhören. Im Senden hat niemals Lüge gelegen.* Ihre letzten Worte klangen schon etwas ruhiger, auch wenn das Flackern in den Augen blieb.

*Ich weiß, was mit dir geschehen ist!* Frühlichts Blick richtete sich auf den Felsen, der nun von innen her zu glühen begann. *Du hast diese Welt niemals gemocht, Myriellin. Um so schlimmer war es dann für dich, als Trillian, Shorin und die anderen lernten ihr neues Leben anzunehmen, Und das beste aus ihm zu machen.

Du hast dich von Jahreszeit zu Jahreszeit mehr und mehr dagegen gesträubt mit den Gegebenheiten zurecht zu kommen, und nur umwillig den Anweisungen und Bitten der anderen gehorcht.. Du wolltest zurück in den Palast, um jeden Preis.

Im Streit hast du dich schließlich von den anderen getrennt, weil sie deine Worte nicht mehr ernst nehmen wollten und bist in den Wald gelaufen, bis du schließlich erschöpft zusammengebrochen bist.

Doch während du schliefst ist ein Unwetter aufgekommen. Zu spät hast du gemerkt, was geschah, und konntest dem Blitz nicht mehr entfliehen, geschweige denn, ihn ablenken. Er traf dich, als du die Magie wirktest, und sein Zorn band dich an diese Welt.

Viele Jahre ist dir das nicht bewußt gewesen, und du hast nur dann und wann auf Elfen reagiert, die sich von starken Gefühlen getrieben diesem Ort näherten, bis sich jenes Elfenkind, das heute zu Dayin herangewachsen ist, an diesen Ort verirrte. Wieder war es ein Unwetter, daß dich gleichzeitig weckte und band. Du hoffest dich befreien zu können, aber statt dessen hat ein Teil seines Ich's doch noch fester an diese Welt gebunden.*

*Woher weißt du das alles?* Myriellin die Hohe zitterte. Ihr Blick verlor den Wahnsinn und machte Angst Platz. *Ja, das ist alles wahr! Ich habe Trillian immer wieder zu sagen versucht, daß wir niemals für diese Welt bestimmt waren. Aber niemand hat mir zuhören wollen, niemals... Deshalb sag mir, woher weißt du das?*

*Ich habe Augen um zu sehen, und andere Sinne, um das Verborgene zu erspüren. Der Felsen singt ein trauriges Lied. Von Verzweiflung und Angst, von Einsamkeit und großem Zorn. Ich verstehe dich sehr gut.*

*Und ich begreife nun auch, was du durch mich hast erdulden müssen. Durch den Leichtsinn und die Neugier eines kleines Kindes ist alles so schlimm geworden* ergänzte Dayin und löste sich von Frühlicht. *Ich habe bis jetzt nicht verstanden, was ich getan habe ... und um so mehr vergessen. Aber nun will ich alles wieder gut machen.*

*Wie wollt ihr das tun? Ihr seid fast ganz in dieser Welt aufgegangen, und eure Kräfte sind gering gegenüber denen, die ich besitze.*

*Das ist der Grund. Hier geht es nicht um Kraft oder Magie, sondern um Verstehen und Annehmen.* Dayin legte eine seiner Hände auf den Felsen, den die Erzählung Frühlichts hatte ihm den Schlüssel zu einer Lösung in die Hand gegeben. *Unsere Seelen mögen schwächer als die deine sein, aber wir gehören zu dieser Welt, auch wenn wir ihr Blut, sei es bewußt oder unbewußt verleugnet haben. Wir lieben unsere Heimat, denn wir sind fest in ihr verwurzelt.*

Frühlicht nickte und trat an seine Seite. *Wir werden an deine Stelle treten, damit du dorthin heimkehren kannst, wohin sich deine Seele am meisten sehnt. Für uns wird es keine Gefangenschaft sein, denn wir sind nicht allein, und wir haben noch mehr in der Nähe, die wir lieben...*

Wie Dayin legte sie eine Hand auf den Felsen, die andere umschloß fest die Finger des Gefährten.

*Ich werde euch ewig dankbar sein, wenn es gelingt.*

Die Züge der Hohen glätteten sich. Die Schatten des Leids, die ihre Seele ausgezehrt hatten verschwanden Stück um Stück.

Dayin und Frühlicht lächelten und traten in den Felsen hinein. Offenen Geistes nahmen sie die Fesseln an, die sich um sie schlossen und stießen die Hohe aus diesen hinaus. Schon als die letzten Bande von Myriellin abfielen, verblasste die Seele der Hohen in der überirdischen Schönheit ihrer wahren Gestalt.

Dayin und Frühlicht sahen einander an und verschmolzen ganz mit dem Felsen, wohl wissend, daß ihnen die Ewigkeit nun gemeinsam gehörte...
 

  
 

Einer dunklen Ahnung folgend suchte Ahrian die Stelle auf, an der Dayin geschützt in seinem Webzeug ruhte. So viele andere Dinge hatten sie den vergangenen Winter und auch noch den Frühling in Atem gehalten, daß sie kaum, und dann nur flüchtig an den eingesponnenen Elfen gedacht hatte. War es jetzt - wo das Leid langsam verblaßte, und die Wunden des Verlustes und Schmerzes heilte, nicht endlich an der Zeit, sich auch um dieses Stammesmitglied zu kümmern?

Die junge Anführerin beugte sich zu der Nische hinunter, um den Kokon zu berühren. Ein seltsamer Geruch stieg ihr in die Nase, und dann sah sie den Grund dafür.

Ahrian durchlief es heiß und kalt, als sie die Gerüche richtig deutete. Nun zögerten ihre zitternden Finger nicht länger, das klebrige Webzeug teilweise wegzuziehen und Dayins Gesicht zu enthüllen. Der dunkelhaarige Elf atmete nicht mehr und zeigte auch sonst kein Lebenszeichen.

Blaß und reglos lag er vor ihr, und die ebenso leblose Viper, die ihre Fänge in seinen Hals geschlagen hatte, wirkte wie ein schöner Schmuck an einer von Steinformern geschaffenen Statue.

Ahrian berührte eines der halb zerstörten Zeichen an Dayins Wange. und staunte wie klar das Farnblatt jetzt wieder zu erkennen war, das in früheren Zeiten sein Zeichen gewesen war.

Doch am meisten erstaunte sie der friedliche, gelöste Gesichtsausdruck Schattenspinners, der die Narben schwächer erscheinen ließ und die einstigen Züge Sturmtänzers hervorkehrte, der auch jetzt noch ein freches Grinsen auf den Lippen zeigte.

Für einen Augenblick huschte ein glückliches Bild durch ihren Geist. Zwei junge Elfen, in der Blüte ihres Lebens liefen Hand in Hand durch einen frühlingsgrünen Wald, und blieben dann stehen um sie anzublicken. Ihre Augen leuchteten, als hätten sie Schmerz und Leid weit hinter sich gelassen. Und es war als schenkten Dayin und Frühlicht - den niemand anderes konnten die beiden sein nun auch ihr durch diesen Blick Trost und Hoffnung...

Ahrian löste sich von dem Toten. Ihr Zittern schwand, denn nun wußte sie eines: Schattenspinner hatte im Tod seine Erinnerungen und Erlösung gefunden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Firewolf
2005-03-07T13:02:48+00:00 07.03.2005 14:02
Trotz tot ein Happy end.^^
Wirklich schön.
Mir gefällts, wie immer.
Was ich nur noch gerne wissen würde:
Was bedeutet das:  ?
Das hab ich in der ganzen Story nich verstanden.

Wölfchen


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