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Tage bis zum Abschied

von

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Part 1

Noch neun Wochen bis zum Tag des Abschieds
 

22. 04. 20XX, Donnerstag

Es ist jetzt fast schon zehn Jahre her, dass ich Yota kennen lernte. Ich war ein Video-Girl und sollte ihn trösten. Ich war fehlerhaft und verliebte mich in ihn. Nach einigen Strapazen und schrecklichen Dingen, die wir durchmachen mussten, wurde ich nach über einem Jahr zu einem Menschen. Seitdem leben wir zusammen und lieben uns.

Heute, ein paar Wochen vor unserem 10-jährigen Kennenlern-Jubiläum, schreibe ich nieder, wie unser Zusammenleben ist. Denn ich werde verschwinden. Ich komme in eine Zwischenebene zwischen Tod und Leben, wo Video-Girls vor ihrer Vernichtung vorbei müssen. Ich wusste immer, dass dieser Tag kommen würde. Großvater hat es mir gesagt bevor er starb. Er sagte, dass ich nur eine begrenzte Zeit zu leben hätte. Ich könnte nie ganz menschlich werden. Ich kann z.B. keine Kinder kriegen, dabei hätte ich Yota so gerne welche geschenkt. Aber jetzt ist meine Lebensdauer endgültig vorbei, ich habe es soweit ausgereizt, wie es nur ging. Ich hatte zehn lange, wunderbare Jahre Zeit, mit ihm zu leben, doch bald ist es vorbei und ich muss die Zeit bis dahin festhalten, damit er später mal weiß, wie ich gefühlt habe. Damit er nicht in ein tiefes schwarzes Loch fällt, wie ich es tun würde wenn es umgekehrt wäre.
 

23. 04. 20XX, Freitag

Heute haben wir die Einladungen verschickt. Wir laden alle ein, die mit uns die Zeit damals erlebt haben und die genau so viel durchgemacht haben wie wir. Wir haben keinen Kontakt mehr zu ihnen gehabt, aber da möchte ich, möchten wir, sie dabei haben. Das sind: Moemi, Nobuko, Takashi und Koji.

Sie alle haben Schweres durchgemacht und haben sich dann selber gefunden. Es hat lange gedauert, aber dann haben wir alle erkannt, dass wir einfach nur wir selbst sein können und uns mit uns selber zufrieden geben müssen.

Wir waren Kinder- Und noch jetzt sind wir dabei erwachsen zu werden.
 

24. 04. 20XX, Samstag

Eben haben wir eine E-Mail bekommen: Nobuko hat zugesagt. Sie wohnt in einer benachbarten Stadt und ist verheiratet. Kinder hat sie auch welche: Zwillinge, vier Jahre alt. Sie wollte nie akzeptieren, dass sie sich nicht ändern konnte. Ich bin mal gespannt, wie sie jetzt mit sich selbst umgeht. Sie wird ihre Familie mitbringen wenn sie kommen.
 

25. 04. 20XX, Sonntag

Yota ist so gut zu mir. Er brachte mir heute Frühstück ans Bett und hat mir seine neusten Entwürfe gezeigt. Mal wieder hat er die ganze Nacht mit zeichnen verbracht. Er hat eine Zeit lang auch Kurse angeboten in verschiedenen zeichnerischen Bereichen. Dabei hat er auch mal einen Jungen kennen gelernt, der ebenfalls ein Video-Girl bekam. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass Yota diesen Jungen ermutigte und auch versuchte ihm den richtigen Weg zu zeigen. Dieser vertraute Yota sogar so sehr, dass er ihn zu Neo-Gokuraku führte, wo Yota auf Opa stieß. Er besuchte uns danach sogar mal, aber er starb kurz darauf. Seine letzten Worte galten mir: Du wirst nicht mehr lange Leben... Mit dem Jungen jedenfalls ging alles gut.

Die Sache mit den Kursen aber macht Yota jetzt nur noch alle paar Wochen mal. Er hat es nämlich geschafft: Er kann sein Geld mit Kinderbüchern verdienen und er hat sich schon eine beachtlichen Ruf erarbeitet. Das macht ihn glücklich. Ich glaube, er kann nicht noch glücklicher werden. Zum Glück. Oder... leider. Wenn ich gehen muss wird es ihm das Herz brechen. Bis dahin muss ich ihm die Zeit so angenehm wie möglich machen. Ich werde ihn diese Zeit nie vergessen lassen. Sie soll auch meine Erinnerungen immer erleuchten, auf dass ich niemals wieder jemand anderen lieben werde.
 

26. 04. 20XX, Montag

Ich merke jede Sekunde, die ich mit ihm zusammen bin, dass ich immer noch glücklich mit ihm bin. Nach so langer Zeit, in der wir schon so viele Paare auseinander haben gehen sehen, hat unser Band uns immer noch zusammen gehalten. Heute Abend habe ich in einem Schaufenster ein Bild gesehen, dass mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ein Engel, der in den Himmel aufsteigt und seine Liebe auf der Erde zurück lassen muss. Es hieß "Verabschiedung". Das ist es, was ich bald tun muss.

Die Gewissheit, dass ich ihn verlassen muss, zieht sich durch meine Welt wie ein schwarzer Schleier, der den letzten Gang zum Grab umhüllt, wie der weiße Schleier sich vom Beginn einer Ehe bis zum Ende, dem Tode eines der Liebenden, langsam ins graue verfärbt und letztendlich über einem Gesicht hängt, dass still und leise Abschied von einer geliebten Person nimmt und den letzten Weg zum Grabe umhüllt.
 

27. 04. 20XX, Dienstag

Eine Weitere Zusage ist eingetroffen: Moemi wird kommen. Sie ist eine Karrierefrau geworden und schlägt sich unabhängig von allen erfolgreich durchs Leben. Ihre Wohnung hat sie jetzt in Südkorea, weil ihre Firma sie dorthin versetzt hat, aber schon zum 15. ist geplant, das sie wieder nach Japan kommt. Leider zieht sie nicht in unsere Nähe, sondern an die gegenüberliegende Küste. Sie ist nicht verheiratet und wohl auch Single, denn ich weiß, dass Moemi sich sofort von etwas oder jemandem abgewendet, wenn sie bemerkt hat, dass sie anhängig geworden ist. Das ist es, was sie damals gelernt hat und nachdem unser Kontakt vor einigen Jahren abgebrochen ist, war es immer noch so. Ich hoffe sie hat es geschafft das Mittelding zu finden, dass sie glücklich machen kann.
 

28. 04. 20XX, Mittwoch

Moemi kommt eine Woche vor unserem Jahrestag und Nobuko und ihre Familie ein oder zwei Tage danach. Ich bin bereits fleißig am vorbereiten, denn schließlich müssen alle irgendwo schlafen. Nobukos Familie wird in meinem alten Zimmer schlafen, das lange nicht mehr betreten wurde, weil sowohl Yota als auch ich zu viele Erinnerungen in ihm verloren hatten. Ich hoffe, dass Takashi und Koji sich auch noch melden. Sie sind seit einigen Jahren wie von der Bildfläche verschwunden und niemand weiß, wo sie sind. Ich hoffe, unsere Nachricht erreicht sie. Ich würde mir für Yota wünschen, dass sein alter Kumpel bei ihm ist, wenn ich ihm sage, dass ich Abschied nehmen muss.
 

Noch acht Wochen bis zum Abschied
 

29. 04. 20XX, Donnerstag

Heute Nacht haben Yota und ich uns nicht geliebt. Er wollte es mit mir tun, aber ich konnte nicht. Es gibt eine Blockade bei mir mit ihm zu schlafen, schon so lang ich ihn kenne. Ich weiß nicht warum und das macht mich wahnsinnig. Ich meine, es ist schön mit ihm zu schlafen und ich genieße es auch, aber ich denke immer: Du solltest das nicht tun. Vielleicht weil dies die Aufgabe der Video-Girls war und ich keines mehr bin? Ich weiß es nicht. Ich glaube aber, es hat ihn verletzt als ich ihn weggestoßen habe. Ich muss unbedingt mit ihm reden, nur ist er bis morgen zu einer Besprechung in Tokio mit einem großen Verlag gefahren. Wenn er wieder kommt werde ich ihm einen schönen Empfang bereiten. Er soll wissen, dass ich es nicht böse gemeint habe und ich will ihm fachgerecht gratulieren, wenn er den Vertrag mit dem Verlag gekriegt hat.
 

30. 04. 20XX, Freitag

Es hat geklappt, er hat den Job. Und er sagt, er hätte sich kaum konzentrieren können, weil er die ganze Zeit darüber nachdenken musste, warum ich nicht wollte. Letztendlich ist alles geklärt und wieder in Ordnung. Ich habe kurz nach der Aussprache mit ihm geschlafen. Es war wunderschön. Überall hatte ich Kerzen aufgestellt und alles war super romantisch. Ich bin froh, dass es bei uns so schön einfach ist. Bei anderen Paaren führen solche Sachen oft zu Stress, aber bei uns spielt soetwas einfach keine Rolle. Wir sind beide vom Charakter her so gestrickt, dass wir uns immer viel zu viele Gedanken machen. Das hat uns schon vor so einigem bewahrt. Wenn etwas vorfällt, z.B. das wir Streit haben, dann machen wir uns totale Gedanken, was wir dem jeweils anderen angetan haben, und ob es an uns liegt oder nicht, usw. Ich liebe es, weil es uns so impulsiv und leidenschaftlich zusammen leben lässt. Es ist ein ständiges Hoch und Tief der Gefühle, das uns immer wieder spüren lässt, dass wir uns so sehr lieben. Ich werde das vermissen.
 

01. 05. 20XX, Samstag

Mann-o-mann, was ich alles zu erledigen habe ist schon unglaublich. Ich mache gerade alles, dass ich mir immer vorgenommen habe, z.B. einem Obdachlosen etwas zu essen geben oder so. Das ist ziemlich viel, aber ich tue gerne Gutes. Seit das damals mit Natsumi passiert ist spenden Yota und ich viel für Herzkranke. Er verdient ja eine ganze Menge seit er so erfolgreich ist und ich habe auch gut verdient, doch seit ein paar Monaten, ungefähr fünf oder sechs glaube ich, habe ich keinen Job mehr. Meine Stelle wurde gestrichen und durch eine Maschine ersetzt. Ich habe bei einem kleinen Verlag (Darauf kommt es bei Yota und mir irgendwie immer hinaus: Verlage) Manuskripte Probe gelesen. Jetzt haben sie so eine Maschine der mit einem bestimmten Programm nach verschiedenen Ausdrücken und Wendungen sucht um dann die wahrscheinlichste Wirkung auf den Menschen zu errechnen. Ich finde das schwachsinnig, ein Mensch sollte selber lesen, nur so kann er auch das Buch und dessen Inhalt fühlen. Der Computer macht die selbe Arbeit, aber manche Rechte sollten den Menschen doch noch gelassen werden, finde ich.

Was ich mir auch noch vorgenommen habe ist, an einer Demo teilzunehmen. Ich zwinge Yota nächste Woche mit mir dahin zu gehen, es ist eine Demonstration gegen Tierversuche. Für sowas sollte man sich einfach engagieren, egal auf welche Weise. Ob das was bringt oder nicht ist eine andere Frage...
 

02. 05. 20XX, Sonntag

Das wichtigste was ich machen muss bevor ich gehe ist: Einen Menschen glücklich machen. Nicht auf die Weise wie Video-Girls es tun, sondern auf einer anderen Ebene... Ich finde den richtigen Ausdruck nicht, aber das wäre so wichtig. Wenn es mir einfällt schreibe ich es noch auf.
 

03. 05. 20XX, Montag

Immer noch kein Lebenszeichen von Takashi. Wo kann er nur sein? Er hat zwar damals Yota in dem Glauben gelassen, dass er mit dem Überfall auf Moemi zu tun hatte, aber er war immer noch sein Freund. Ich weiß, dass er kommen wird, wenn er die Nachricht kriegt, die Frage ist nur: Wird sie ihn erreichen? Wir haben die Einladung an seine Eltern geschickt, an seine E-Mail Adresse an seinen letzten Vermieter, etc. Ich war sogar noch mal in der Wohnung in der er mich damals hat eine Zeit lang wohnen lassen als Yota mit Moemi zusammen war. Das waren noch Zeiten... Wir hatten keine Ahnung, wie es später mal werden würde. Wir wollten es einfach so schnell wie möglich so haben, wie wir es uns vorstellten. Und wir wollten uns ändern, immer zu. Jeder von uns. Moemi zum Beispiel wollte nicht mehr so ängstlich vor Berührungen sein, nachdem sie überfallen worden war. Sie wollte auch unbedingt sofort unabhängig werden und blieb alleine in Japan zurück als ihr Eltern nach Übersee zogen.

Wir wollten uns einfach keine Zeit lassen uns zu verändern, aber ich habe mittlerweile verstanden, dass man sie sich geben muss. Veränderungen kommen nicht einfach so. Sie müssen langsam und behutsam herbeigeführt werden.
 

04. 05. 20XX, Dienstag

Heute war wieder so ein schöner Tag. Yota hatte nichts zu tun und hat sich den ganzen Tag für mich frei genommen. Solche Tage liebe ich. Sie gehören zu meinen besten Erinnerungen. Erst haben wir lange ausgeschlafen und dann ausgiebig gefrühstückt. Danach sind wir in die Stadt shoppen und spazieren gegangen. Ins Kino wollten wir nicht, weil man sich da nicht unterhalten kann. Ich weiß, das sage ich seit Jahren, aber es stimmt halt. Abends waren wir richtig chic essen. In einem indischen Restaurant, weil ich total gerne scharfes Essen mag. Yota hat sich mittlerweile auch dafür begeistern können. Bis morgens um drei haben wir dann in unserer schaumigen Wanne gehockt und geredet. Wir haben viel über seinen Vater diskutiert. Der ist mittlerweile in Paris stationiert und designed da für eine ausgefallene Möbelfirma. Er hat auch damals dieses Haus designed, in dem wir noch heute wohnen. Das heißt auch: Wir schlafen immer noch in dem selben Zimmer, in dem wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Ich bewundere unser Durchhaltevermögen.
 

05. 05. 20XX, Mittwoch

Wenn es jetzt so weit wäre und ich müsste ihm sagen, dass ich gehen muss, würde ich es bereuen, dass ich es ihm nicht schon vorher gesagt habe? Ich überlege schon die ganze Zeit, ob ich es ihm sagen soll oder nicht. Wenn ich es tue, wird er alles hinschmeißen und sich nur noch um mich kümmern. Er würde alles versuchen, zu ändern das ich verschwinden werde, aber es ist unausweichlich. Ich bin nicht sicher, ob ihm das klar wäre oder ob er das überhaupt registrieren wollen würde. Wenn ich es ihm aber nicht sage, wird er schwer enttäuscht sein wenn es soweit ist und sich sagen, dass er noch so vieles gerne getan und noch so vieles gerne gesagt hätte. Ich glaube aber, dass ich es besser nicht sage. Er ist zu zerbrechlich um damit so umgehen zu können, dass es nicht noch schwerer für uns würde. Er muss aber wissen, dass mir alles reicht, was wir bisher haben. Ich bereue Nichts von all dem und ich liebe es so, wie es jetzt ist. In unserem Alltag. Ich brauche das Aufgesetzte nicht, um glücklich zu sein. Er wird trauern, das weiß ich, und -so eingebildet es auch klingt- ich bin die Liebe seines Lebens und das weiß ich. Ich habe schon so oft zu hören bekommen, dass es egoistisch sei so zu denken, aber ich frage euch, was ist so egoistisch daran, die Liebe des anderen zu genießen und sich ihrer so sicher wie sonst nichts zu sein? Es ist einfach so und nur aus Verlegenheit werde ich nicht leugnen, dass ich mir nur in dieser einen Sache in meinem Leben völlig sicher bin: Unserer Liebe.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2004-09-02T20:20:34+00:00 02.09.2004 22:20
oÔ Wow! Ich find das sehr gelungen!
Schön ausführlich, gute Athmospäre. Ich hoffe wirklich, dass bald die Fortsetzung kommt!

xae


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