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Black Hole Sun

von

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"Serge!" Der grosse, drahtige Mann zuckt nervös mit dem Kopf. Seine Hände zittern, das rote Licht lässt seine Augen glimmen. "Sir... ich.." Der hagere Zweite steht an der geöffneten Tür. "Schon gut, gehen Sie beiseite.." murmelt er und betritt das in Rot getauchte Zimmer. Schon nach einigen Metern geht er in die Knie, um den leblosen Körper zu berühren, der zu seinen Füssen liegt. Die langen, weissen Haare verkleben in einer roten Pfütze, die sich unter dem zierlichen Kopf bildet. Der Mund scheint stumm zu schreien, die toten Augen weit aufgerissen. Ein Seufzen entflieht dem Mann, der fast liebevoll die Haare der Toten streichelt. "Wir hätten es nie soweit kommen lassen dürfen. Wir hätten sie trennen sollen, solange sie noch nicht so gefährlich waren.." Sein Blick gleitet über den Boden zur Wand, wo ihn rote Augen getrübt anstarren.
 

"Serge.. ich möchte, dass er hier wegkommt. Bringt ihn irgendwo hin, wo er sicher ist. Six ist noch irgendwo hier... er wird versuchen, seinen Bruder von hier wegzubringen. Er wird ihn nicht hier zurücklassen." Serge nickt daraufhin und betritt mit zitternden Knien den Raum. "Komm her.." raunt er dem Jungen an der Wand zu, der ihm müde entgegenblickt. Serge zittert, aber er wiederholt den Befehl. Der Junge erhebt sich langsam, die weissen Haare verschmelzen mit der schneeweissen Haut. Ein Gefühl, als würde sich die Luft bewegen, durchflutet Serge, als die Gestalt auf ihn zugeht, er stlpert rückwärts aus der Tür.
 

Bedrückt sehen die roten Augen auf den toten Körper hinunter, der sein perfektes Ebenbild zu sein scheint. "Lass es Seven. Sie ist tot. Es bringt nichts mehr, also geh mit Serge." Der Mann richtet sich auf und streicht dem Jungen über den Kopf. Seven senkt den Blick und geht weiter, der weisse Körper am Boden ergraut wie ein welkes Blatt.
 

~*~
 

Auf dem Weg, wohin er mich auch immer führen mag, versuche ich Elena etwas auszuhorchen, aber sie schweigt pedantisch. "Warte, bis wir dort sind. Du würdest es nicht verstehen!" sagt sie immer wieder, aber ich drängle weiter. Wenn ich denn wenigstens wüsste, wo dieses "dort" ist? Und woher will sie wissen, dass ich nichts verstehe? .. Gut, so Unrecht hat sie nicht, ich verstehe kein bisschen.. von garnichts. Sicher ist nur, dass Elena hellsehen kann. Oder aber, die hat das mit diesem Stromausfall verbockt. Bei dem Gedanken sträuben sich mir immer noch die Nackenhaare. Ich glaube, diese Erinnerung werd ich nie wieder vergessen können. Dieses Bild.. zusammen mit dem durchdringenen Geruch verbrannten Fleisches.. ich muss den Kopf schütteln, um den Gedanken loszuwerden. Mit Elena hat alles angefangen. Diese Frau überrascht mich immer wieder. Kann hellsehen, bleibt im Angesicht eines Massentodes cool wie einst Terminator und hat zudem nicht die geringsten Skrupel, die Nöte anderer Leute auszunutzen. In einem gestohlenen Crysler Bennetton versuchen wir uns gerade über Nebenstrassen durch ein im Chaos versunkenen Moskau zurecht zu finden.
 

"Wohin fahren wir, Elena! Ich muss es wissen, wenn ich den Wagen lenken soll!" maule ich, da ich schonwieder das Lenkrad herumreissen muss. Frauen können wohl alle nicht rechtzeitig erwähnen, wenn man abbiegen soll. Elena flucht auf russisch und schenkt dem Wagen vor uns einen tödlichen Blick. "Nach Süden. Ausserhalb Moskaus, Sladis' Laboratorien." Also doch. Elena weiss ganz genau, was hier läuft. Das heisst ..
 

"Moment mal, du wolltest doch .. da wollte ich doch sowieso hin, wieso hast du denn.." Auf einmal grinst sie und sieht mich mit dem berühmten Ach-du-kleiner-naiver-Junge-weißt-du-denn-garnichts-Blick an. "Du hast wirklich keine Ahnung, oder? Um was es hier geht? Was hier eigentlich los ist?" Ziege.

"Natürlich.. falls du Steinbeck meinst, darüber weiss ich bestens Bescheid" knurre ich. Ich hasse es, wenn man mich behandelt wie ein naives Kind.

"Hey, sorry! So war's nicht gemeint, ich.. wundere mich nur, dass Steinbeck dich mitgenommen hat, ohne dir alles zu erklären. Das ist eigentlich sehr fahrlässig. Du weißt nicht einmal, in welcher Gefahr du bist. Dein Köfferchen.." ihr Kopf nickt nach hinten auf den Rücksitz. "Ist noch dein kleinstes Problem, glaub mir.." Also gut. Sie hat gewonnen. "Dann erklär mir bitte endlich alles, damit ich wenigstens weiss, warum ich angeblich in Lebensgefahr bin."
 

"Alles zu seiner Zeit.. zuerst musst du wissen, dass ich nicht die bin, für die du mich hältst. Aber das dürfte dir wohl schon aufgefallen sein, nicht? Wenn du meinst, ich kann hellsehen oder gedankenlesen oder sowas, bist du garnicht so falsch. Nennen wir es eine empathische Begabung. Ich kann Gedanken nicht lesen, aber ich kann sie spüren. Wenn sie klar und kräftig sind, kann ich deshalb meine Schlüsse ziehen." Na wer sagt's denn. Ich wusste, sie ist eine Hexe. Oder sonstwas. "Du bist selbstzufrieden, nicht wahr? Weil du garnicht so unrecht hattest. Aber das Wort Hexe gefällt mir nicht so ganz.." Holla. Für diesen Augenaufschlag hätte sie einen Waffenschein benötigt. Zum Glück bin ich mit Auto fahren beschäftigt, sonst könnte ich für nichts garantieren - mein Flirt-Radar schlägt aus bis zum Anschlag. "Sieh nach vorne.." sagt sie knapp und geb mir redlichste Mühe.
 

Endlich liegt Moskau's Innenstadt hinter uns. Zwar herrscht hier ebenso Chaos wie in der City, doch es hält sich in Grenzen und das Vorankommen wird etwas leichter. "Und weiter?" Elena nickt und greift in ihre Tasche. Heraus holt sie eine Scheckkarte, zumindest sieht sie so aus, aber bei näherer Betrachtung.. "Sieh nach vorne!" meckert Elena und nimmt das Kärtchen wieder weg. Das war faszinierend.. es hat ausgesehen, als würde die Karte durchsichtig werden.
 

"Das ist meine ID. Die Daten ändern sich alle paar Stunden automatisch." erklärt sie und steckt die Karte zurück.

"Bist du sowas wie ne Agentin? Oder Spionin?" Allmählich wird das hier doch noch zu einem JamesBond-Film.

"Wenn du es so nennen willst.. eigentlich bin ich nur eine Angestellte der Emphatic World Organisation. Du hast sicher nichts von ihr gehört. Die EWO kommt zu ihrem Mitarbeitern, nicht andersrum." Ich nicke. Nach dem, was ich gesehen habe, könnte sie mir alles erzählen und ich würde es glauben. Ausser vielleicht, dass die Welt eine Matrix ist. Das fand ich doch zu lächerlich.

"Und dort sind noch mehr von deiner Sorte?.. Ja.. und warum bist du hier?" Elena's Lächeln verschwindet und sie sieht ungewohnt ernst herüber.

"Warum ich hier bin? .. Vielleicht, um eine Katastrophe zu vermeiden." Sie lehnt sich zurück und nickt zum Fenster auf ihrer Seite.

"Das, was du vorhin erlebt hast, war nur der Anfang. Ich fürchte, es war ein Unfall und es wird bei einem nicht bleiben."
 

Das ist zugegebenermaßen heavy. Also war es doch ein Anschlag. Irgendwelche Terroristen mischen Moskau auf und ich bin mitten in einem .. ja, worin eigentlich? Und das Wichtigste, warum ICH eigentlich?

"Tut mir leid, dass ich dich mit reingezogen habe.. aber ich brauche dich. Wir haben es hier nicht mit normalen Kriminellen zu tun, dafür gibt es die Polizei und Interpol und was weiss ich noch alles." Aus den Augenwinkeln beobachte ich ihr schönes Gesicht, das so ernsthaft wirkt, dass mir sofort die Lust zum Flirten vergeht. Eigentlich ist das wohl auch nicht der richtige Zeitpunkt.

"Das ist es in der Tat nicht.." murmelt Elena und allmählich werde ich wirklich sauer.

"Könntest du bitte unterlassen, dauernd meine Gedanken zu lesen?!"

"Ich sagte doch, ich "lese" keine Gedanken!"

"Dann hör auf in meinen Kopf reinzugucken!"

"Na wenn es mich auch so anschreit!"
 

Murrend lasse ich kurz den Motor aufheulen und überhole nur knapp ein anderes Auto, das mir jetzt entschieden zu langsam fährt. "Warum bist du hier? Was hast du mit diesen Terroristen zu tun?"

"Es sind keine Terroristen. Es sind Kinder. Sie haben uns gerufen.." sagt Elena leise und allmählich blicke ich nun garnicht mehr durch.

"Wie Kinder? Wie rufen? Herrgott Elena, wirf mir nicht immer nur ein paar Brocken hin!" Sie lächelt entschuldigend und reibt sich die Stirn.

"Ich werd es dir genau erklären." Wir sind auf der geraden Strecke zu Sladis' Labor und immer weniger Autos kommen uns entgegen.
 

"Vor zwanzig Jahren war Sladis im Moskauer Forschungsinstitut für Gentechnologie beschäftigt. Er war ein sehr intelligenter, eifriger Mann. Aber bald schon bemerkte man, dass Sladis unzufrieden war mit den Auflagen, die die Regierung dem Labor stellte. Die Regierung verbot jegliche Experimente mit Embrionen, auch das bis dahin noch relativ unerforschte Klonen wurde verboten, da es mehrere brisante Zwischenfälle gegeben hatte, bei denen Sladis die Verantwortung trug. Er wurde daraufhin aus dem Staatsdienst entlassen, aber schon kurze Zeit später hat er seine eigene Forschungsabteilung errichtet. Was sich aber als harmlos herausstellte, seine Labors untersuchten Pilze und Sporen, zumindest ist es das, was die Inspektoren dort festgestellt haben. Aber Sladis hat den Hauptteil seiner Arbeit seiner Leidenschaft gewidmet - den Experimenten mit Erbgut an ungeborenen Kindern, Klonen von Lebenwesen, was aber nie jemand beweisen konnte. Seine Labors wurden nie gefunden, in denen er seine Experimente durchgeführt hat. Aber seit einiger Zeit wissen wir Bescheid." Elena tippt auf ihren Kopf und ich blinzle vor Unglauben. Ja - es klingt wirklich nur noch unglaublich. Fehlt nur noch Agent Smith.
 

"Sie haben uns gerufen. Wir haben sie gespürt. Es sind Kinder, Klement! Sladis hat sein Werk vollbracht und Erbgut verändert, Menschen geklont und sie gezüchtet! Viele von ihnen sind gestorben und die, die noch übrig sind.." sie macht eine Pause und beisst sich auf die Lippe. "Weißt du, es ist schwer zu erklären. Ich weiss, es klingt unglaublich für dich, aber diese Kinder.. sie sind nicht normal. Sladis hat etwas mit ihnen angestellt, sie haben eine ungeheure emphatische Kraft, die sie nur schwer kontrollieren können." Düster blicke ich weiter vor mir auf die Strasse. Wenn Elena nicht so grässlich ernst wäre, würde ich anfangen zu lachen. Aber ich bin mir überhaupt nichts mehr sicher.

"Du meinst, dieses Massaker vorhin.. das war deren Schuld?" Elena nickt und seufzt leise. "Irgendwo in diesem Labor sind sie eingesperrt und ihre Macht wächst mit jedem Tag mehr. Und die Menschen können sie bald nicht mehr kontrollieren! Die Kinder können damit nicht umgehen, sie würden alles dem Erdboden gleichmachen, wenn man sie nicht zügeln würde!" Energisch schildert Elena die riessigen Verwüstungen, die sie anrichten könnten, wenn sie nicht unter Verschluss wären. Sie waren gefährlich, sehr sehr gefährlich. "Und an dieser Stelle kommt Professor Steinbeck ins Spiel. Und du."
 

Langsam setzt sich das Puzzle zusammen. Mein Blick fällt kurz auf den Koffer und ich ahne, was Elena meint. Steinbeck und seine bahnbrechende Droge. Die Menschen nahezu willenlos und unfähig macht, selbständig zu denken. Damit also will Sladis seine erschaffenen Monster unter Kontrolle bringen. Deshalb hat er Steinbeck eingeladen. Deshalb sitze ich hier mit Elena in einem gestohlenen Wagen und fahre in Richtung Geheimes-Forschungslabor mit gemeingefährlichen Laborratten, die gezähmt werden sollen. Was für ein Wahnsinn.
 

"Was ich nicht verstehe.. warum bist du hier? Wenn Steinbeck seine Droge einsetzt um die Kinder zu beruhigen, droht doch keine Gefahr mehr und alles ist in Butter. Wieso bist du dann hier? Sicher, das, was Sladis da treibt ist ein Riesen-Skandal und er würde für das, was er da tut, wohl mehrmals Lebenslang bekommen. Aber was geht das eure komische Organisation an?" Elena sieht mich mit einem stechenden Blick an, als ob ich gefragt hätte, warum die Sonne tagsüber scheint und nicht nachts.

"Überleg mal scharf" nesselt sie und deutet auf den schwarzen Koffer. "Was passiert, wenn diese unschuldigen Kindern mit euren Drogen vollgepumpt werden? Ich weiss genau, wie die Droge wirkt. "Dominate" so heisst sie doch? Macht sie ihre Opfer nicht willenlos, zu gehirnlosen Puppen? Weißt du, was Sladis anrichten könnte mit diesen Kindern, die so stark sind, dass sie eine Stadt wie Moskau an einem Tag in ein riessiges Chaos stürzen können? Mächtige Marionetten, die ihm auf's Wort gehorchen? Die alles tun, was dieser Verrückte ihnen befielt und nichts und niemand sie davon abhalten kann? Es geht uns etwas an, Klement! Nicht nur uns, es sollte auch dich etwas angehen! Die Kinder haben Angst davor, sie ahnen, dass sie sich bald nicht mehr widersetzen können und riefen um Hilfe. Und wir haben sie gehört und werden helfen, Klement. Du hast recht, wenn du uns vorwirfst, dass wir nicht einschreiten, nur um diesen Kindern aus einer Gefangenschaft zu retten. Sie sind gefährlich und wir sorgen dafür, dass Sladis nicht über ihre Macht verfügen kann!"
 

Sie meint das wirklich alles ernst. Aber das.. klingt einfach zu phantastisch. Das ist doch wie ein schlechter Science-Fiction. Mutanten, die die Erde ins Chaos stürzen. Und natürlich der verrückte Professor, der die Weltherrschaft an sich reissen will. Das ist doch alles so hirnrissig! Die Pinkys und der Brain... nein nein. Klar - Klonen und Genmanipulation gibt es zwar schon lange - aber warum sollte dabei etwas entstehen.. etwas so Mächtiges.. wie sie da erzählt. Dass es Emphatie geben soll, hab ich schon öfter gehört, aber ich hab damals immer darüber gelächelt. Esoterischer Firlefanz. Aber Elena sieht weder esoterisch aus, noch scheint sie verrückt zu sein. Und immerhin hab ich ihre Fähigkeit jetzt oft genug zu spüren bekommen, das kann sie nicht alles erraten haben! Trotzdem klingt das alles noch viel zu unrealistisch.
 

Und dann - ausgerechnet ich. Sowas ist doch normalerweise die Aufgabe von smarten Kerlen, die in JamesBond-Manier mit einem coolen Grinsen mal kurz die Welt retten vor dem Schlafengehen. Im Unterhemd. Und stattdessen sitze ICH jetzt hier, hungrig, müde in einem gestohlenen Wagen, eine Hexe neben mir und mitten in einem Weltuntergangsepos. Wäre ich doch nur in Deutschland geblieben, ich würde jetzt den dritten Porno ansehen mit der zehnten Dose Bier in der Hand und würde irgendwann einschlafen, morgens aufwachen und ein bisschen durch die Stadt brettern, Mädels aufreissen und nicht im Traum daran denken in einem verregneten Moskau irgendwelche Monsterkinder aus den Klauen eines durchgeknallten, grössenwahnsinnigen Doktors zu retten. Und warum bin ich dann noch hier? Elena schenkt mit einen vieldeutbaren Blick und ich denke ich weiss, wieso ich nicht einfach den Motor ausmache und zurück in die Stadt laufe.
 

"Mal angenommen, wir finden dieses Labor und die Kinder. Was machen wir mit ihnen, wenn sie so gefährlich sind? Sollen wir sie in den Kofferraum sperren und in den Himalaya fahren, wo sie nix anrichten können?" Elena kichert leise und schüttelt den Kopf.

"Blödmann. Dafür hab ich dich dabei. Wir beruhigen sie und bringen sie zur EWO, dort wird man sich dann weiter um sie kümmern." Nachdenklich sehe ich in den Rückspiegel, der Wagen fährt schon eine ganze Weile hinter uns her.. er ist mir erst jetzt aufgefallen, weil sonst niemand mehr auf der Strasse fährt, ausser uns.

"Das heisst, du willst, dass ich die Kinder mit dem Zeug da ausser Gefecht setze und dann in Seelenruhe mit ihnen durch ganz Russland fahre?" Kopfschüttelnd lächelt Elena beschwichtigend. "Nein, das verlange ich nicht. Sobald du mir geholfen hast sie da rauszuholen, werde ich dich absetzen wo du willst, am Flughafen oder wo du eben hinwillst. Den Rest schaffe ich dann auch alleine. Aber erstmal müssen wir zusehen, dass wir da reinkommen, das ist nämlich alles andere als ein Spaziergang..."
 

Endlich hat Elena unseren Verfolger auch ausgemacht und wirft einen Blick in den Rückspiegel. "Er verfolgt uns schon die ganze Zeit, was?" Ich nicke stumm. "Vielleicht ist es jemand von Sladis' Leuten. Ich sollte ja den Koffer abholen und so schnell wie möglich wieder zurückkommen, als eben.. dieser Unfall passierte." Elena nickt und greift in ihre Tasche.

"Er wird uns nichts tun, solange wir zum Forschungszentrum fahren, ohne Zweifel ist das sowieso sein Ziel. Es wird ihm gerade Recht sein, dass du auch dahin unterwegs bist. Doch irgendwann sollten wir uns dann von ihm trennen.."
 

Mein Mund klappt ungläubig auf, als ich einen Blick zu Elena werfe, die mit einem Mal eine schwarze Pistole in der Hand hat und sie fachmännisch beginnt zu laden. Ich hab so ein Teil noch nie von Nahem gesehen und allein die Vorstellung, dass da wirklich scharfe Munition drin ist, lässt meine Ohren glühen. "Elena.. du.. du willst ihn doch nicht erschiessen?!" stottere ich ungläubig. Ich habe zwar gesehen, dass sie ganz schön kaltblütig ist, aber sie wird doch niemanden wirklich töten wollen? Langsam wird mir der Ernst der Lage wirklich bewusst, das ist definitiv kein Spiel mehr, wenn neben mir eine Killerin sitzt und hinter mir ...
 

"Ich hoffe, ich brauche sie nicht.." flüstert Elena und zumindest hat es den Anschein, als behage ihr die Vorstellung auch nicht, die Waffe benutzen zu müssen. "Aber.. wenn es sein muss, werde ich mich auch verteidigen. Klement.. versteh doch, das ist zu wichtig! Viele tausend Menschen könnten sterben, wenn wir es nicht schaffen, die Kinder zu finden und ausz.. aus der Gewalt von Sladis zu befreien!" Mir war, als hörte ich sie stocken, aber der Anblick der Pistole verdrängt jegliche Gedanken, die nicht damit in Verbindung stehen. Elena würde ohne zu zögern schiessen, um ihren Auftrag auszuführen. Sie ist der James Bond, nicht ich. Sie ist der coole Held, der die Welt rettet und nicht davor zurückschreckt, deshalb über ein paar Leichen zu gehen. Ich sehe, wie Elena den Mund verzieht, auch sie scheint gequält von der Vorstellung.

"Du tust mir unrecht.. bedenke doch, was auf dem Spiel steht! Du hast gesehen, was heute abend in der Stadt passiert ist, wieviele unschuldige Menschen starben wegen dieser Kinder! Glaub mir, ich mache das nicht gern, ich wollte zuerst auch nicht nach Moskau fliegen, aber ich dachte.. ich dachte an meine Freunde und Verwandte, die überhaupt nichts damit zu tun haben und in Gefahr sind. Ich verlange auch nicht von dir, dass du schiessen musst." Sie hat recht, das weiss ich. Was ist so ein Halunke, so ein Verbrecher gegen eine ganze Stadt unschuldiger Menschen? Aber.. sie tötet. Sie wird töten, ich weiss es genau.
 

"Da.. da vorne, schau!" flüstert Elena und ich starre angestrengt in die Dunkelheit, kann aber nichts entdecken, was ihre Aufmerksamkeit erregt hat. Sie deutet an mir vorbei und ich folge ihrem Arm, als ich es auch sehe. In einiger Entfernung steht neben der Strasse auf einem Hügel eine kleine Kapelle, ein grosses Kreuz überspannt das Dach und ich sehe es nur kurz, da der Lichtkegel der Scheinwerfer nur in der Kurve das Gebilde beleuchtet haben. "Fahr langsamer.. bieg rechts in den kleinen Waldweg und folg dem Pfad.. und ignorier den anderen Wagen hinter uns!" Das Gefährt holpert über den steinig-schlammigen Weg, ich fahre langsamer, damit der Unterboden womöglich nicht aufsitzt, draussen kommt ein schmatzendes, glitschendes Geräusch zustande. Die Nackenhaare stellen sich mir trotzdem, als Elena geräuschvoll das Magazin in die Pistole einschnappen lässt und ich versuche es bis auf weiteres einfach zu ignorieren. Vielleicht hat Elena Glück und sie muss sie wirklich nicht gebrauchen.
 

Der Waldweg dauert an und gabelt sich an einer Stelle, Elena deutet nach links und ich folge dem Weg, der nur noch die Ausmaße eines Trampelpfads angenommen hat. Im Stillen frage ich mich, woher Elena den Weg kennt, denn ohne zu zögern lotst sie uns durch den Wald ohne einmal nachzudenken. Und es wird immer unheimlicher. Denn mitten im Wald beginnt ein geteerter Weg, der gerade breit genug für unser Auto ist und schon folgen wir der schwarzen Bahn. "Wieso kennst du dich hier so gut aus?" frage ich schliesslich, als Elena keine Anstalten macht, mir es von sich aus zu erklären.

"Ich spüre sie.." sagt sie leise und schliesst die Augen. "Sie leiten mich zu sich, sie warten schon sehnsüchtig..." Seufzend wechsel ich den Gang und denke noch einmal darüber nach, ob Elena nicht doch etwas zu esoterisch wird. Der Wagen hinter uns folgt uns wie gehabt durch den Wald und macht keine Schwierigkeiten. Bis jetzt.
 

Ich frage mich, wo das alles enden soll. Spätestens jetzt vergeht jedem das Abenteuer, das er sich womöglich gewünscht hat. Die Situation ist so abstrus und zerrt an meinen Nerven.. dieses ganze Chaos.. ich frage mich schon, ob ich nicht irgendwann aufwache und mich über einen sehr realistischen Traum wundere, aber ich warte vergeblich auf das Aufwachen. Bin ich wirklich in Moskau zu einem geheimen Labor unterwegs? Ist das, was Elena erzählt hat, nicht alles nur Hirngespinst, das sich krass anhört? Je näher wir unserem Ziel kommen, desto nervöser werden wir beide.
 

~*~
 

Keuchend und mit klopfendem Herzen fällt ein bleiches Geschöpf mit schneeweissem Haar zu Boden und rappelt sich sofort wieder auf. Weiter. Immer weiter. Es ist dunkel und die roten Augen schauen ins Leere, versuchen etwas zu erkennen, setzen den Weg ins Ungewisse fort. Strähnig und wirr klebt das hüftlange Haar am nackten Körper, die weisse Haut wie Porzellan ist schmutzig und blutet aus unzähligen Schrammen. Die Lunge ringt keuchend nach Atem, der zierliche Körper zittert vor Kälte und Angst. 'Wo bist du, Bruder? Wohin bringen sie dich, was tun sie dir an? Ich lass dich nicht alleine, ich werde dich holen! Wo bist du, Bruder?' Die kleinen Füsse hinterlassen blutige Spuren auf dem Boden, als er weitergeht, hastig durch Staub und Kälte, durch Drähte und scharfe Kanten, die ihn leise aufstöhnen lassen vor Schmerz. Aber er geht weiter, bis er ihn gefunden hat.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Kaora
2004-05-20T20:39:29+00:00 20.05.2004 22:39
Pfuuh... da hab ich die Geschichte schon bei meinen Lieblingen und komm doch erst so spät über dieses Kapitel. Meinen Glückwunsch. Ich bewundere dich. ^^; Ich bewundere Leute, die es schaffen diese Spannung aufrecht zu erhalten. *lob*
Kaora
Von:  Schreiberliene
2004-05-09T18:55:12+00:00 09.05.2004 20:55
Hallo,
dein Schreibstil ist beeindruckend und die Geschichte fesselt einen sofort, da man schon am Anfang ein etwas merkwürdiges Gefühl bei der Sache hat. Ich würde mich sehr darüber freuen, bald einen neuen Teil lesen zu können.
Chrissy


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