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Black Hole Sun

von

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[ Operation Mindcrime ]

'Dreizehn dreizehn'

'Siebenundzwanzig'

'Fünf und drei'
 

"Hört auf damit! Alle drei!" Ein heftiger Schlag donnert gegen die Tür und lässt die drei jungen Menschen zusammenzucken. "Hört auf - hört auf!" Ein Paar roter Augen sind voller Zorn zur Tür gerichtet, aber der Mann ist schon wieder weg. Die Wut verraucht und ein leises Seufzen ist zu hören. Ein Kopf mit langen weissen Haaren hebt sich, als eine Hand auf seiner Schulter zu liegen kommt. Ein Lächeln vertreibt die trüben Gedanken und die Kälte verschwindet. Eine angenehme Wärme.
 

"Serge, was hämmern Sie so an die Tür! Sie wissen genau, dass Sie sie nicht aufregen sollen!" Serge verzieht das Gesicht, als hätte er in etwas unangenehm Schmeckendes gebissen. "Ja Sir.." Der Mann im weissen Kittel beugt sich über das schmale Fenster und beobachtet die hellen Gestalten in dem dunklen Raum. "Sie haben wieder gezählt, nicht wahr?" Auf Serge's Nicken hin tippt der Doktor auf ein flaches Brett neben der Tür. "Wir sollten sie endlich trennen. Bevor sie bei Null sind."
 

* * *
 

Ich mag es zu fliegen. Obwohl das Essen nicht gerade von einer 5-Sterne-Menükarte stammt und die Sitze meistens genauso viel Komfort bieten wie ein vollgestopfter Reisebus, finde ich zu Fliegen.. ist eines der Dinge, das selbst nach ein paar Hunderten von Flügen immernoch eine gewisse Faszination hat. Abheben - zu wissen, man ist tatsächlich ein paar Kilometer über dem Boden und völlig einer Crew ausgeliefert, die komische Kostüme trägt und mit einem Grinsen fragt "Kaffee? Tee?" Und natürlich wieder heil herunter kommen. Die meisten Leute haben ja eben keine Angst vorm Fliegen. Lediglich das Abstürzen macht ihnen Sorgen. Über so etwas mache ich mir aber die wenigsten Gedanken. Angst vorm Fliegen - ich bin doch nicht paranoid. Da ist die Chance grösser, auf offener Strasse von einem Bus umgebrezelt zu werden, als einmal abzustürzen. Ist das nicht ein seltsamer Zufall, dass neben mir jemand sitzt, der die Flugangst in Person zu sein scheint? Eine junge Frau, ich schätze sie vielleicht auf 22, höchstens 24 Jahre. Krallt sich bei jedem kleinen Luftloch ins Polster. Ich hab mich schon gewundert, wieso sie noch nicht von den netten kleinen Tüten Gebrauch gemacht hat, die ein kostümiertes Crewmitglied vorhin extra vorbeigebracht hat. Immer wieder ein Kuststück, wie man eine Kotztüte mit einem Lächeln überreichen kann. Ich hab nur noch auf das "Kaffee?" gewartet. Elena heisst sie. Also die neben mir, nicht die Stewardess. Elena Sacharov. Das steht zumindest auf einem der vielen Aufklebern auf ihrer Tasche. Aha - ein Globe-Trotter.
 

Mein Mentor auf meiner anderen Seite schnarcht leise vor sich hin. Fliegen ist für ihn immer eine willkommene Gelegenheit für ein kleines Nickerchen. Der Spiegel ist nicht wirklich interessant, einmal durchgeblättert. Ich sehe an der jungen Frau, einfacherheithalber Elena genannt, vorbei zum Fenster hinaus. Abenddämmern - Wolken Wolken. Dazwischen ein paar Fetzen weit entfernte Landschaft. Ich frage mich, was das für ein Projekt sein kann, das diesem Sladis solche Probleme macht, dass er uns sogar am Flughafen noch zurückpfeifft. Aber der Prof hat nicht damit herausgerückt, was da los ist. Naja, in ein paar Stunden werde ich es ja selbst sehen. Obwohl ich mir nicht wirklich vorstellen kann, dass irgend etwas interessanter sein könnte als diese wahnsinnig spannenden Wolkenformationen draussen vor dem Fenster.
 

"Entschuldigung, macht es Ihnen etwas aus, wenn ich das hier lese?" Eine kreidebleiche Elena Sacharov deutet auf den "Spiegel" und ich nicke ihr freundlich zu. Na, die Stimme ist wenigstens noch angenehm. So beim näheren Hinschauen sieht sie noch nicht einmal so schlecht aus. Allerdings sinkt sie schon wieder in meiner Bewertung, da sie sich offensichtlich mehr für die Zeitschrift interessiert, als für mein äusserst charmantes Lächeln. Das trage ich weiss Gott nicht für jeden zur Schau. Nun, vielleicht ist sie ja nur schüchtern. "Ist Ihnen auch wohl? Sie sehen etwas blass aus.." Na bitte. Ein Lächeln. Wenn auch etwas gequält. "Das geht schon in Ordnung, ich sollte mich wohl langsam daran gewöhnen.. ich bin übrigens Elena Sacharov!" Ihre Hand ist etwas kalt, aber dafür hat sie einen anständigen Händedruck. Ich kann es nicht leiden, wenn sich eine Hand anfühlt wie ein lebloser Gummilappen. "Hübscher Name! Ich bin Klement Richter und manchmal auch scharf.."
 

Ich habe das Gefühl, ich sollte mir meine Scherze besser aussuchen. Mein Gegenüber lacht nicht, entweder sie hat den Witz nicht verstanden oder sie hat ihn sehr wohl missverstanden. Ich weiss nicht, welche der Möglichkeiten mehr gegen mich spricht. Glücklicherweise werde ich wohl für immer im Dunkeln munkeln, denn sie übergeht meinen Einwurf gänzlich.
 

"Sie fliegen das erste Mal nach Moskau?" fragt sie geradeheraus. "Sieht man mir das an?" Nun grinst sie. Na bitte und schon gewonnen. "In der Tat, das sieht man." Jetzt bin ich doch überrascht. Während ich noch überlege, ob das womöglich eine Beleidigung gewesen sein könnte, schmunzelt Elena und dreht den Kopf zum Fenster. Ist das denn so offensichtlich? Ich ertappe mich schon dabei, mich zu kontrollieren, ob ich noch irgendetwas vom Essen an mir kleben habe, das mich verraten haben könnte. Oder was sonst an mir auffällig sein soll, das mich untrüglicherweise als Moskau-Tourist abstempelt. Sowas ist doch unmöglich. Woher sollte sie das wissen? In der Scheibenspiegelung seh ich sie jetzt breit grinsen und das macht mich allmählich wütend. "Hey, Moment. Erklären Sie mir, woher Sie wussten, dass ich zum ersten Mal nach Moskau unterwegs bin!" Denn wenn ich eines hasse, dann sind es ungelöste Fragen. Besonders die, die mich neugierig machen. Und Elena weiss das anscheinend und sie scheint es ganz unverhohlen zu geniessen, denn sie schweigt. Sowas bringt mich auf die Palme.
 

"Sagen Sie, woher wussten Sie es?" fordere ich zuckersüss, denn dass Frauen nicht auf Befehle hören, weiss ich schon länger. Das macht sie nur bockiger. Man erreicht wesentlich mehr, wenn man ihnen die Antworten mit viel Honig aus dem Gehirn herauskomplimentiert. "Was macht Sie so sicher? Oder können Sie Gedanken lesen?" Elena kichert leise und belustigt und - weiss Gott, Frauen! - es gelingt mir nicht mehr so recht, sauer zu sein. Frauen kämpfen den Geschlechterkampf eindeutig mit unlauteren Mitteln. Sie schüttelt den Kopf und ihre schwarzen, glatten, etwa schulterlangen Haare wedeln um ihr Gesicht. "Das ist Berufsgeheimniss.." lächelt sie und schenkt mir einen ziemlich mysteriösen Blick. Wow. Frau will also geheimnisvoll bleiben. Ich muss zugeben, dass diese Elena mich jetzt doch interessiert. Zeit, mein As aus dem Ärmel zu spielen. "Hmm.. dann lassen Sie mich ebenfalls raten.. Sie sind Journalistin?" Bingo. Ich kann zusehen, wie sich Elenas Gesicht zu Unglauben verzieht. Ihr verblüffter Blick bohrt sich förmlich durch meinen Kopf und nun scheint sie endgültig verwirrt zu sein. "Woher.."
 

Diesmal ist es an mir, ein breites Lächeln zu zeigen. Ich muss dazusagen, dass es mich ein ganzes Stück Kombinationsgabe gekostet hat, die Abzeichnung einer Kamera in ihrer Tasche zu erraten, dazu ihre Freizeitschuhe, die gut zum Laufen sind und keine standartmässigen Pumps, die heute ja so angesagt sind (ich weiss Bescheid, denn durch meine Freundin lerne ich fast wöchentlich die neusten Trends kennen, aus nächster Entfernung, wenn die Bemerkung erlaubt ist). Und schliesslich ihre "Gabe", mindestens genau so schlüssige Anzeichen zu kombinieren und sich damit ein genaues Bild vom Gegenüber machen zu können. Ein scharfer Geist und eine schlagfertige Zunge - und schon hab ich das ungefähre Berufsbild. Bin ich nicht brilliant? "Nun, das ist auch mein Geschäftsgeheimnis.." grinse ich grossspurig in den grössten Schwindel seit gestern Mittag. Und Elena ist sichtlich beeindruckt. Es ist einfach phantastisch, wenn man gutes Aussehen und ein bisschen Grips verbinden kann. Manche Frauen springen eben erst auf die interlektuelle Schiene an, was nicht unbedingt schlecht sein muss. Nur etwas anstrengender, aber meist sind gerade diese Frauen so kompliziert, dass man gut ein halbes Leben an ihnen herumrätseln kann, ohne Langeweile zu bekommen. Womit ich nicht sagen will, dass diese Elena für mich die Frau des Lebens wäre. Dazu fehlt ihr, denke ich, doch etwas mehr Klasse.
 

"Interessant, Geschäftsgeheimniss... darf ich fragen, wohin Ihre Reise genau geht? Sie beide.." sie deutet mit einem Kopfnicken an mir vorbei auf den immernoch seelig schlummernden Professor, "sehen nicht so aus, als ob Sie auf Urlaubsreise wären." Wieder ertappe ich mich dabei, sie ungläubig anzustarren. Ich frage mich ernstlich, ob mein Lebenslauf auf meine Stirn tätowiert ist, wie macht sie das? Ausser sie kennt den Professor und erlaubt sich einen Scherz mit mir. Wenn ich es mir recht überlege, könnte das wirklich eine Erklärung sein. Der Professor kennt eine Unmenge wahnwitzigster Menschen, in welche Richtung auch immer. Ob das nun hohe Beamten, Doktoren oder ganz normale Leute wie der Milchmann oder eben eine Journalistin sind. Wie sagte er immer: Beziehungen sind heutzutage alles. Ganz schön raffiniert, die Kleine. Ohne es zu merken grinse ich, sie durchschaut zu haben ist eine wahre Genugtuung. Aber soll sie ihr Spielchen weiterspielen.
 

"Wir sind eingeladen auf einen Geburtstag. So gesehen sind wir doch auf Urlaubsreise.." Sie schaut etwas merkwürdig und irgendwie hab ich plötzlich ein komisches Gefühl im Magen. Sie sieht aus wie jemand, der weiss, dass man ihm etwas verheimlicht. Aber sie sagt keinen Ton dazu sondern lächelt wieder. "Ach so, in Moskau selbst?" Ich zucke mit den Schultern. Das komische Gefühl verschwindet langsam wieder, aber es ist trotzdem sehr seltsam. "Ich weiss es nicht, ich habe die genaue Adresse nicht. Was machen Sie in Moskau?" Sie tippt auf ihre Tasche. "Geschäftlich. Aber vielleicht habe ich noch genug Zeit über, meine Familie zu besuchen. Sie wohnt etwas ausserhalb."
 

Dass sie eine gebürtige Russin ist, lässt sich kaum leugnen, nach dem Namen zu urteilen. Auch ihre Gesichtszüge haben einen nahöstlichen Touch, aber ihre Sprache ist tadellos. Sicher ist sie in Deutschland aufgewachsen, denke ich und nicke interessiert. Vielleicht war es doch garnicht so schlecht, mit nach Russland zu fliegen. Elena scheint ein interessantes, nettes Mädchen zu sein. Wenn ich es geschickt anstelle, könnte ich sogar einen Teil des Urlaubs mit ihr verbringen, anstatt auf der öden Feier rumzuhängen, die mich sowieso nicht interessiert. Zaghaft versuche ich mir schon vorzustellen, wie Elena wohl im kurzen Rock und knappen Top aussehen mag. Und ab in die Disko. Oder woanders hin...
 

Elena dreht sich so plötzlich zu mir, dass ich fast etwas zurückschrecke. Was ist denn jetzt kaputt? Sie sieht mich durchdringend an, als hätte sie genau gewusst, was ich gerade gedacht habe. Gruselig. Die fast schwarzen Augen glitzern drohend, aber sie sagt nichts. Das ist auch nicht nötig. Ich habe immer mehr das Gefühl, dass mit dieser Elena etwas nicht stimmt. Sie ist interessant und nicht minder mysteriös, auch wenn sie jetzt wieder lächelt, als wäre nichts gewesen, sich das Haar zurückstreicht und mit den Fingern über das Display huscht. Moment mal.
 

"Wow.. Sie haben ein MiniSkope?" Um nicht zu sagen ich bin neidisch. So ein Ding will ich schon seit es auf dem Markt ist. Ausserdem werd ich in zunehmendem Maße misstrauisch. Was will eine Journalistin mit so einem teuren Ding.. und vor allem, wie will sie sowas bezahlen?? Mit ihren vielleicht 22 Jahren wird sie wohl noch nicht zu den Spitzenverdienern zählen. Und auch noch ein neues Modell. Langsam hab ich wirklich das Gefühl, diese Frau führt mich an der Nase herum.
 

"Ein Geschenk" erklärt sie und macht ein paar Anstalten, mit das Ding herüberzuschieben. Heftig dankend lehne ich aber ab. So ein Mist, mir die Blösse zu geben und deutlich zu machen, dass ich sowas nicht besitze. Wenn ich clever gewesen wäre... Soso, ein Geschenk. Was man für solcherlei Geschenke tun muss, will ich lieber garnicht wissen.
 

Das MiniSkope piept gerade, als ich einen näheren Blick darauf werfen will. Elena zieht es zurück zu sich und dottiert die neue Mail. Soviel dazu. Alle um mich haben ein verdammtes MiniSkope und ich komm mir total bescheuert vor. Es heisst ja doch, ein Tag, der mit Aufstehen beginnt, kann kein guter Tag werden.
 

Der Rest des Fluges verlief ruhig, gesprochen haben wir nicht mehr viel, Elena war nach der Mail relativ schweigsam gewesen und sah mehrere Male ungeduldig auf die Uhr. Anscheinend hatte sie es eilig. Endlich in Moskau.
 

~*~
 

Bah, Moskau.... Das Wetter ist nicht gerade vielversprechend. Es regnet wie aus Kübeln und ich versuche verzweifelt ein Taxi herzuwinken. Es ist garnicht so einfach, auf einen Haufen Gepäck aufzupassen und gleichzeitig einem Taxi klarzumachen, dass es anhalten soll. Ich meine, ich habe keine direkten Vorurteile, was die östlichen Länder angeht, aber es wäre wirklich fatal, wenn das Gepäck abhanden kommen würde. Immerhin hat der Prof einige seiner Forschungsergebnisse dabei - nicht auszudenken, wenn die in die falschen Hände gerieten. Ich weiss, wovon ich rede, ich kenne seinen Forschungsstand. Ohne zu untertreiben würde ich sagen, dass in diesem kleinen schwarzen Koffer gute 200 Jahre Knast versteckt sind. Wenn das überhaupt reicht. Spätestens jetzt sollte klar sein, dass der Prof zwar ein gutmütiger, netter Mensch ist - aber leider eine seltsame Auffassung von Gesetzeswidrigkeit hat. Und damit meine ich nicht, dass der Koffer voller Strafzettel ist. Eine genaue Untersuchung würde vermutlich Stoff für einen gesalzenen Politthriller abgeben. Aber dazu später. Jetzt ist erst einmal Elena wichtig, die urplötzlich und wie vom Erdboden ausgespuckt neben mir erschienen ist. Vorhin war sie im allgemeinen Trubel der Gepäckausgabe wie ein Blitz verschwunden und ich hatte schon meine vagen Hoffnungen, noch eine IP auszutauschen, begraben. Und jetzt steht sie neben mir im Regen und winkt nach einem Taxi. Gleichzeitig vielleicht ein Wink des Schicksals.
 

Endlich hält so ein Taxi am Gehsteig, nicht ohne unsere Schuhe noch einmal kräftig einzutränken und schon will ich nach der Tür greifen, als mir Elena zuvorkommt. "Ich muss schnell weg! Sorry!" sagts und will sich doch tatsächlich in mein schwer erarbeitetes Taxi quetschen, aber daraus wird nichts, denn endlich erwacht der Doc aus seiner Zigaretten-Trance und hält die unhöfliche junge Dame am Arm fest.
 

"Entschuldigen Sie, Fräulein. Wir haben es mindestens genau so eilig und zudem waren wir nun wirklich zuerst hier. Ich bin aber gerne Gentleman und biete Ihnen an, das Taxi mit uns zu teilen, falls wir in die gleiche Richtung unterwegs sind." Ach geben Sie es zu, Prof. Sie kennen diese Person doch sehr wohl. Das merkt man doch sofort. Ich meine, wer lädt schon jemanden in ein Taxi ein, von dem man nicht einmal dessen Ziel kennt? Was wird hier gespielt? Anscheinend wissen wohl alle Bescheid ausser ich. Ich hätte nicht gedacht, dass mich der Prof so unterschätzt. Zufall. Sicher. Elena lächelt und nickt. Woher sollte SIE wissen, wohin wir fahren? Schlechte Vorstellung wirklich. Aber langsam werde ich gespannt, wohin das alles führt. Ich kann wohl kaum hoffen, dass die beiden mich so an der Nase herumführen, weil sie für mich eine Überraschungsparty schmeissen wollen.
 

"Ihnen macht es doch nichts aus, Klement, sich mit dieser jungen Dame den Rücksitz zu teilen?" Nein, wie könnte ich auch? Ich komm mir langsam vor wie bei einem schlechten Amateurtheater. Dabei geben sich die beiden Hauptdarsteller nichtmal die geringste Mühe, über ihr mangelndes Talent hinwegzutäuschen. Fehlt nur noch der obligatorische Gesprächswechsel: "Wohin fahren Sie?" - "Zu Prof. Worycek's Anwesen, wir sind auf seinen Geburtstag eingeladen!" - "Nein! Sie auch? So ein Zufall?!" Glücklicherweise können sie sich diese Peinlichkeit gerade noch verkneifen, aber ich hätte ehrlich damit gerechnet. Tropfnass klettere ich also hinter Elena ins Taxi, dessen Fahrer sich gerade mit den Koffern abmüht. Im Inneren ist es zum Glück etwas wärmer und nachdem ich mich etwas schwerfällig aus meinem Mantel geschält habe (was in dieser Blechdose garnicht so einfach ist) wage ich sachte zu entspannen. Der Russe am Kofferraum flucht, versucht die ganzen Koffer unterzubringen, der Prof nuschelt mit seinem MiniScope. Und Elena schielt zu mir herüber.
 

Ja wirklich, aus den Augenwinkeln beobachtet sie mich. Ich tu ihr den Gefallen und beginne das Gespräch, auf dass sie offensichtlich wartet. Auch, wenn ich mir jetzt schon denken kann, was sie sagt. Eigentlich fast den genauen Wortlaut. Und sie weiss ebenso, was ich sagen werde. Schon seltsam, beide wissen, was der andere fragen und antworten wird, aber man fragt trotzdem und bekommt die erwartete Antwort. Vielleicht liegt das Geheimnis im Aussprechen der Sätze? Die blosse Artikulation? Das ist wie, wenn jemand das Drehbuch gelesen hat und sich danach den Film ansieht. Man weiss genau, was die Leute sagen werden, aber man wartet solange, bis sie es wirklich gesagt haben, dann lehnt man sich zurück und ist zufrieden. Eine seltsame Welt, voller Rituale...
 

"Na, dann sind wir wohl in die gleiche Richtung unterwegs." sage ich deshalb, weil ich weiss, sie wartet darauf. Und sie wird antworten: "Scheint so. Netter Zufall, nicht? Ich soll ein paar Schnappschüsse von der Veranstaltung schiessen. Einige berühmte Deutsche Professoren sollen eingeladen sein." Nun ja, ich hätte es anders formuliert, aber Elena trifft genau die Kernaussage. Das Lügennetz wird immer dichter. Woher sollte sie auch wissen, dass diese "Veranstaltung" auch die unsere ist? Ich hatte schliesslich nur einen Geburtstag erwähnt, den wir besuchen. Aber sie scheint ihren Fehler bemerkt zu haben. Denke ich. "Wissen Sie, Herr Richter, ich hatte mich gefragt, woher ich Ihren Begleiter kannte. Er ist Professor an der Uni Heidelberg, richtig? Ich hatte schon von ihm gelesen. Daher dachte ich, dass er sicher auch zu der Veranstaltung fährt. Wäre sonst ja wirklich ein seltsamer Zufall, nicht?" Elena lächelt so unschuldig, dass ich es ihr fast geglaubt hätte. Aber da ist wieder was mit ihren Augen, das mir nicht gefällt. Als könnte sie mein Misstrauen förmlich vom Gesicht ablesen und mich trotzdem mit aller Macht zu überzeugen versucht. Nun.... zugegeben, vielleicht hat man mir dieses gläubige Nicken auch nicht abgenommen. "Na das wär ja wirklich ein Zufall.." sage ich nur aus einem Grund, und zwar, die Peinlichkeit dieses Wortwechsels noch mehr zu unterstreichen. Jetzt spätestens sollte selbst sie bemerkt haben, dass ich ihr die Geschichte nicht abkaufe. Zu meiner Überraschung sagt sie nichts.
 

Der Fahrer sitzt und los geht die Reise durch Moskau. Da es immer noch in Strömen regnet, kann ich von der gewaltigen Stadt nicht viel erkennen. Durch den Regenschleier kann ich die typischen Gebäude und Bauwerke bestenfalls erahnen. Der Prof ist jetzt wieder putzmunter, er redet angeregt mit dem Fahrer, natürlich auf russisch. Etwas genervt höre ich mir das Gelächter an, in das sogar Elena leise einstimmt. Auf eine charmante Art und Weise komme ich mir mal wieder wie der blöde Tourist schlechthin vor.
 

"Wielange bleiben Sie hier?" fragt Elena plötzlich und streicht über ihr rabenschwarzes Haar. Oh Wunder, ein paar Worte, die ich indentifizieren und sogar verstehen kann. Um dieses Bonbon richtig auszukosten, lasse ich mir lange Zeit mit der Antwort. "Ich denke wir sind eine Woche hier. Zumindest wohnen wir solange bei dem Kollegen meines Mentors. Und wo werden Sie wohnen?" Vermutlich hätte mich die Ungezwungenheit ihrer Frage angesichts dieser bodenlosen Frechheit ärgern sollen, aber ich muss feststellen, dass Elena eine dieser merkwürdigen Frauen ist, denen man einfach nicht böse sein kann. Eigentlich kann es mir schlichtweg gleich sein, wohin wir fahren und dass alle so tun als kennen sie sich gegenseitig nicht. Solange ich mit Elena reden kann und mehr über sie erfahren, lohnt sich das Ärgernis auf jeden Fall. Vielleicht bin ich ja in "Vorsicht Kamera" oder sowas. Oder "Blind Date"? Was auch immer, ich mache das Beste daraus und beschliesse, meine Aufmerksamkeit mehr aufs Flirten zu verlegen. Lächelnd lausche ich ihrer wirklich angenehmen Stimme, die verlauten lässt, dass sie in der Stadt im Holiday Inn ein Zimmer beziehen wird. Irgendwo am Stadtrand. Wo wir demnächst sicher auch halten werden.
 

Elena zeigt aus dem Fenster, der Regen fällt noch immer vom Himmel als gelte es, Moskau zu überschwemmen. Die Lichter der Stadt glänzen durch den Wasserschleier, die Strassen sind laut und voller Reklamebeleuchtung, in der Nähe kann ich das "Holiday Inn" - Logo ausmachen. Sie wechselt ein paar Worte mit dem Fahrer und er wird langsamer. "Bevor Sie uns verlassen, dürfte ich vielleicht nach Ihrer IP fragen?" Die Gelegenheit muss ich am Schopf packen. Nicht, dass ich sie nicht mehr wiedersehen sollte - aus welchen Gründen auch immer. "Hm.. ich geb sie Ihnen morgen.." entschuldigt sie sich und lächelt wieder. "Ich hab sie.. im Koffer, wir sehen uns ja morgen früh, denke ich!" Und weg ist sie nach draussen verschwunden. Und ich sitze hier drinnen im Taxi. Und sehe dem Fahrer zu, wie er ihre Koffer auslädt. Und sehe sie auf dem Gehsteig in Richtung Hotel verschwinden. Und mit ihr verschwindet meine Laune.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Babbel
2004-03-14T18:04:26+00:00 14.03.2004 19:04
HARHAR!!!
Erster Kommi! *g*
*Siegesfahne schwenk*
So, meine Süße ^^
Ich muss ma sagen, ich bin äußerst gespannt, wie es weitergeht, darum...WEITERSCHREIBEN!!!!!! >.<
*direkter Befehl ist*
Finde den Schreibstil klasse, richtig professionell...und dieser Minirock-heischende Clement...*g*
*nies*
*grad von Heuschnupfen geplagt wird*
*knuddel*


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