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Fragmente

Wind und Stille
von

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Zeit ist nicht genug

Dunkle Worte auf hellem Papier; sanfte Striche, die sich in regelmäßige Linien über die raue Oberfläche ziehen. Ein Stempel, rot, um zu bekräftigen, was man über die Leistungen der Amaya Taki zu sagen hat.

Nach jedem Semester, zumindest daran erinnert sich das junge Mädchen noch, war Kuraiko diejenige, die den Weg nach Hause kaum abwarten konnte; das sonst so zurückhaltende Kind genoss seinen Tag. Brachte sie auch keine Pokale und Urkunden von den Sportfesten mit, so waren die schulischen Leistungen doch etwas, in dem sie ihre Schwester immer übertraf.

Heute aber ist es ihr egal, so egal, glauben die Lehrer, wie fast alles für sie geworden ist, alles, was sich außerhalb ihres Kopfes abspielt.

Doch es ist eine neue Art der Gleichgültigkeit; sie kümmert sich nicht nicht darum, weil nichts sie rührt, sondern weil sie Besseres zu tun hat.

Ihr Weg hat ein Ziel.

Und sobald sie an dieses Ziel denkt, finden ihre Gedanken einen Pfad aus dem selbstgebauten Gefängnis ihrer Angst und ihrer Sorgen und konzentrieren sich völlig auf jenes rote Café, das so unscheinbar am Rande der Straße liegt.
 

Ein Gefühl der Geborgenheit befällt sie beim Betreten des inzwischen so bekannten Ortes, und das Nicken der Bedienung erwiedert sie, ohne es recht zu merken.

Ihr Herz klopft; es ist Freitag.

Er hat gelogen, der junge Mann mit den fremdländischen Augen, oder zumindest hat er nicht die ganze Wahrheit gesagt. Er kommt nicht jeden Tag.

Kuraiko hat es versucht; Tag für Tag ist sie durch die Türe geschritten, hat sich an jenen bestimmten Tisch gesetzt und gewartet.

Und gewartet.

Sie trank einen Kakao, aß ihren Kuchen und sie wartete. Und erst, wenn der zweite Kakao kalt und das Licht dunkel geworden waren, stand sie auf und verließ das Café, enttäuscht, weil er nicht durch die Türe getreten war, und erleichtert, weil er es nicht getan hatte.

Was hätte sie denn auch sagen sollen?

Und doch kam sie, Tag für Tag, eine Woche lang; und mit jedem Tag, der verstrich, wurde das Bild des Fremden blasser und sie vergaß, warum sie eigentlich auf ihn wartete und mit jedem Tag, der verstrich, wurde die Angst vor dem, was sie zu sehen glaubte, kräftiger, bis es wieder Freitag wurde und sie seinen schmalen Körper erkannte. Er dagegen schien keine Erinnerung an sie zu haben; wieder fragte er und wieder zögerte sie. Und doch, natürlich, durfte er sich setzen.

Wieder verstrich eine Woche; wieder kam sie jeden Tag, in der Hoffnung, ihn zu sehen und doch mit der Gewissheit, unverrichteter Dinge ziehen zu müssen.

So saß sie da, Tag für Tag, trank einen Kakao, aß ihren Kuchen und wartete. Und erst, wenn der zweite Kakao kalt und das Licht dunkel geworden waren, stand sie auf und verließ das Café, enttäuscht, weil er nicht bei ihr gesessen hatte und erleichtert, weil es nicht geschehen war.

Was hätte man auch sagen sollen?

Die nächste Woche kam sie nur am Mittwoch, weil sie der Gedanke an die heimatliche Umgebung trieb; sie hatte gelernt.

Und sie kam Freitag; wieder schritt er durch die Tür, auf sie zu.

Er war, auch das hatte Kuraiko gelernt, wohl sehr zerstreut; wieder erkannte er sie nicht und fragte, und wieder zögerte sie. Diesmal aber war es kaum merklich und er musste nichts mehr sagen, bevor er sich setzen durfte.

Es traf sie, dass er sich ihrer nicht entsinnen konnte und es erleichterte sie ungemein. Sie wusste selber nicht, was sie trieb und was hätte sie ihm erzählen sollen?

In ihrer Tasche vibriert es und gleichzeitig stellt die Bedienung die dampfende Tasse vor ihr ab; Kuraiko ignoriert beides. Zu plötzlich hat man, die Mutter mit ihren Sorgen und die Frau mit ihrem Beruf, sie aus ihren Gedanken gerissen. Ihr Herz klopft schnell; sie selbst aber bleibt ruhig.

Draußen wird es nun früher dunkel; das Mädchen bemerkt es mit derselben unbewussten Nachlässigkeit, mit der sie beschließt, nicht mehr zu bleiben, bis ihr zweiter Kakao kalt und das Licht dunkel geworden ist. Die Zeit ist nicht genug.

Nun schließen sich ihre kalten Finger um die warme Tasse und allein der Gedanke an das samtene Gefühl der tiefbraunen Flüssigkeit in ihrem Hals befriedigt ihre Sinne. Der Geruch, der ihr in die Nase steigt, das leise Flüstern der alten Möbel um sie herum, all dies entspannt ihre Muskeln; ihre Lider senken sich langsam und sie atmet tief durch.

Es sind nicht viele andere Leute in dem Café, dennoch wirkt es recht voll; der Platz, den keine Körper brauchen, benötigt die Persönlichkeit der Anwesenden. Das hektische Hupen und Rasen der Straße scheint vor dem Fenster des Raumes zu verharren; das ist der Grund dafür, dass die Geborgenheit fast greifbar scheint.

Kuraiko weiß das und sie ist dankbar dafür, in all der Unsicherheit wenigstens etwas Ruhe zu fühlen. Doch damit ist es aus, als sie die Augen öffnet und der junge Mann vor ihr steht.

Sie hält den Atem an; doch diesmal fragt er nicht.

Er lächelt und setzt sich, um mit der Arbeit zu beginnen.

Und sie bleibt und beobachtet die Kohle unter seinen Fingernägeln, bis ihre Sehnsucht gestillt ist.

Dann geht sie.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Yu_B_Su
2009-05-25T17:14:29+00:00 25.05.2009 19:14
Die Geborgenheit, Ruhe, Heimlichkeit ... schön zu lesen. Komisch ist, dass sie mit niemandem wirklich in Kontakt tritt, obwohl sie es sich wünscht... das ist echt mysteriös...
Von: abgemeldet
2009-05-10T16:41:17+00:00 10.05.2009 18:41
Mich fesselt die Nachdenklichkeit von Kuraiko jedes Mal aufs Neue. Dass sie auf jemanden wartet, immer in dieses Café geht und wartet, hat etwas. Das kenne ich aus eigener Erfahrung, wenn man auf jemanden wartet und man ihn nicht immer sehen kann.

Die Geschichte ist sehr lebensnah geschrieben, das erkenne ich immer wieder, aber in diesem Kapitel ist es wirklich viel, was da zusammenkommt. Ich kann Kuraikos Handeln stückweise verstehen, zum Beispiel als sie aus ihren Gedanken gerissen wird. Man ist völlig versunken in ihrem eigenen Kopf und plötzlich muss sie sich mit ihrer Umgebung auseinandersetzen. Das würde mich auch dazu bringen, die Leute darum zu ignorieren.

Insgesamt erkenne ich viel von mir in Kuraiko wieder, deshalb und natürlich auch wegen vieler anderer Gründe mag ich deine Geschichte auch so.

Greets~
Maxwell-chan
KFF
Von: abgemeldet
2009-05-09T13:14:35+00:00 09.05.2009 15:14
Hallo,
Es gibt zwei Orte von Menschenhand, die ich wirklich mögen könnte. Der Erste ist ein kleiner, uhriger Buchladen, vielleicht ein Antiquariat. Und der Andere wäre so ein Café, weswegen ich auch im letzten Kapitel bereits von der Beschreibung so gefangen war. Das gefällt mir übrigens besser als die Beschreibung des Hauses, beziehungsweise des Raumes, von vorhin.

Ja, Angst ist wahrlich nichts Anderes als ein selbstgebautes Gefängnis. Wider hast du ein gutes Händchen für eine treffende Wortwahl gezeigt.
Und Angst, sowolh sie selbst als auch der Versuch, ihr zu entfliehen, bringt einen dazu, in einen festen Tagesablauf zu verfallen, der nicht gebrochen werden sollte. Wie der ihre. Darf man fragen, ob du einfach so darauf gekommen bist oder es aus eigener Erfahrung kennt?

Ein zersteuter Student mag eine Weile brauchen, aber egal warum es so ist, das ist ein gutes Ende für ein Kapitel, und das Ende ist vielleicht das Wichtigste des vollkommenen Ganzen.

Liebe Grüße, Polaris
~KFF~
Von: abgemeldet
2007-07-10T18:57:54+00:00 10.07.2007 20:57
Du meine Güte.. das ist ja richtig dramatisch!
Wird nun Kuraiko böse werden? Nooo!!!


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