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Schuldgefühle

2. Platz im Herbst/Winter-FF-WB 2003
von

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Der Weg der Ehre

Kapitel 6 - Der Weg der Ehre
 

Weder Akane noch Shampoo ahnten, daß sie an diesem Abend vergeblich auf Ranma warten würden. Nach Ukyos tragischen Unfall war der gemeinsame Verlobte der Beiden stundenlang durch Nerima gelaufen. Er hatte kein Ziel. Er schenkte noch nicht einmal der Tatsache, daß er lief, in irgendeiner Art und Weise Beachtung. Zu sehr zerrte der Schmerz über seinen Verlust an seinem Bewußtsein und trübte jede andere Empfindung mit Ausnahme abgrundtiefer Verzweiflung.

Niemand hielt ihn auf seiner Odyssee durch Nerima auf, obwohl es durchaus gute Gründe dafür gegeben hätte, denn seit Ukyo in seinen Armen ihre Augen geschlossen hatte, klebte ihr Blut an seiner Kleidung, seinen Händen und auch auf seinem tränenüberströmten Gesicht. Aber niemand hielt ihn auf oder wagte auch nur, ihn anzusprechen. Im Gegenteil, die Leute, die ihm begegneten, wichen beinahe instinktiv vor ihm aus und schienen sich zu weigern, ihn überhaupt wahrzunehmen, was möglicherweise auch ein wenig mit dem dunkelgrünen Glühen zusammenhing, das seinen Körper umgab. Eine Depressions-Aura, bei deren Anblick selbst Ryoga vor Neid erblasst wäre.
 

Als Ranma schließlich wieder soweit zu Verstand kam, daß er seine Wanderung bemerkte und stehenblieb, befand er sich auf einer der Brücken, die über den durch Nerima fliessenden Fluß führten.

Sein tränengetrübter Blick fiel auf seine blutverschmierten Hände, als wolle er sich davon überzeugen, daß er sich nicht in seinem schlimmsten Alptraum befand. Leider erfolglos.

"Ucchan." Ranma schniefte.

Sein Vater hatte ihm beigebracht, nein, regelrecht eingetrichtert, daß ein Mann unter keinen Umständen Emotionen zeigte, und schon gar nicht weinte. Aber das war ihm im Augenblick herzlich egal. Angesichts seines Verlusts erschienen ihm Genmas Lehrsätze als das, was sie wirklich waren.

Pathetische, hohle Phrasen.

Zu trivial, um jetzt noch von Bedeutung zu sein.

°Ihr Blut klebt an meinen Händen. Ich bin Schuld an ihrem Tod.°

Emotional ausgelaugt lehnte er sich gegen das Brückengeländer und starrte trübsinnig in die dunklen Fluten, die unter ihm vorbeiflossen.

°Wegen mir ist Ucchan tot.° dachte er immer wieder. °'Hübsche Verlobte', beste Freundin...was auch immer. Meine Worte haben ihr den Tod gebracht. Meine Schuld. Und was jetzt?°

Er dachte darüber nach, was jetzt werden sollte. Sein Vater würde es sicher als Pech abtun. Ukyos Pech, aber sein Glück, weil nun ein Mädchen weniger der Heirat mit Akane im Weg stand. Akane wiederum würde ihm - diesmal verdientermassen - die Schuld geben, und ihn ihren Hammer spüren lassen. Wenn auch in erster Linie, um ihren Frust abzureagieren und den Verlust einer Rivalin, die gleichzeitig manchmal auch eine Freundin gewesen war, zu verarbeiten. Ranma war sich sicher, daß er im Zuge ihres Trauerprozesses viele Schläge würde einstecken müssen, aber der Gedanke schreckte ihn nicht. Wenn er Ukyo damit wieder würde lebendig machen können, würde er sich mit Freuden totprügeln lassen. Shampoo würde es vermutlich genauso sehen wie sein Vater, während Kasumi mit ihm Mitleid haben und Nabiki ihm vermutlich die Adresse eines Psychaters verkaufen würde.

Seine Mutter, nun, das war eine andere Geschichte. Er hatte den Tod eines Mädchens, noch dazu einer Verlobten, zu verantworten, und das war alles andere als männlich. Sie würde darauf bestehen, daß er für den Verstoß gegen den Vertrag, den er als Fünfjähriger abgeschlossen hatte, Seppuku beging.

Aber das waren die Ansichten anderer. Von Bedeutung war nur, wie Ranma die Dinge sah. Und das zum ironischerweise wohl allerersten Mal in seinem Leben. Er mußte eine Entscheidung treffen, und zwar auf Basis seiner persönlichen Überzeugung.

Doch während er so über die Standpunkte der anderen Personen nachdachte, die wichtig für ihn waren, der anderen lebenden Personen wohlgemerkt, erkannte er, daß er selbst mit einem dieser Standpunkte übereinstimmte.

Der einzige Standpunkt der dazu führte, daß er die Konsequenzen aus seinem Handeln zog und Verantwortung für sein Tun übernahm.

Der Standpunkt seiner Mutter Nodoka.

Nicht wegen eines Vertrages, den er akzeptiert hatte, ohne überhaupt zu begreifen, was er damals getan hatte. Aber wegen etwas, was damit zusammenhing. Denn natürlich konnte niemand, der genug Hirnmasse für eine funtionsfähige Synapse aufbringen konnte, ernsthaft erwarten, daß er Konsequenzen aus einem Vertrag akzeptierte, dessen Bedeutung er zu dem Zeitpunkt, zu dem der Vertrag geschlossen worden war, unmöglich hatte erfassen können.

Trotzdem fühlte Ranma sich aber an diesen Vertrag gebunden. Aus einem simplen Grund:

Ranma Saotome hält immer sein Wort.

Und dieser eine Satz stand für ein etwas abstrakteres Konzept: Persönliche Ehre.

°Ehre, die ich nun nicht mehr habe. Nicht seit wegen mir Ucchan...° Er führte den Gedanken nicht fort, da ihn eine neue emotionale Flutwelle erfasste, und ihm die Tränen in die Augen trieb.

°Ich kann gehen, wohin ich will, aber ich kann nirgendwo meine Ehre zurückbekommen.°

Er schniefte noch einmal und wischte sich mit dem blutigen Ärmel seines Hemds die Tränen aus den Augen.

"Ich kann so unmöglich weiterleben." wisperte er verzweifelt.

Irgendwo in ihm meldete sich eine Stimme, die ihm sagte, was er da vor habe, sei im Grunde nichts anderes als Aufgabe, und Ranma Saotome gebe doch schließlich niemals auf, also müsse er jetzt auch kämpfen. Aber entweder hörte er diese Stimme nicht, oder er ignorierte ihre Mahnung ganz bewußt, als er über das Brückengeländer kletterte und sich dann in das eiskalte Flußwasser fallen ließ, dessen reissende Strömung ihn sofort mit sich riss.

Für einen Moment spürte Ranma das vertraute Ziehen, als sein Jusenkyo-Fluch aktiviert wurde, und er verspürte für einen kurzen Augenblick Wut darüber, daß er nun nicht als Mann aus dieser Welt gehen konnte. Die Wut wurde jedoch von dem Gedanken besänftigt, daß er es vielleicht auch gar nicht anders verdient hatte.

Aber auch dieser Gedanke hielt sich nicht sehr lange. Ein Strudel zog seinen Körper in die Tiefe, und schon bald umschloß tröstende Schwärze seinen Geist.



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