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Mein ist die Rache

von

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Hanns-Friedrich von Rosenbaum empfing ihn in seinem Arbeitszimmer. Trotz der fortgeschrittenen Tageszeit war das Licht gedämpft, die Fenster halb von Vorhängen verdeckt. Der Grund dafür offenbarte sich beim Anblick des Gesandten. Er machte trotz seiner ordentlichen Kleider einen eher mitgenommenen Eindruck. Die Haut war fahl, unter den zusammengekniffenen Augen zeigten sich dunkle Schatten und sein Körper verströmte den Geruch von Alkohol und kaltem Tabak. Seine Stimme klang rau, als er Athos betont freundlich begrüßte. "Guten Morgen, Monsieur. Setzt euch. Was verschafft mir das Vergnügen Eures erneuten Besuchs?" Sein Lächeln war etwas schief und es entging Athos nicht, dass seine Zunge die Worte schwerfälliger formte als bei ihrem letzten Gespräch.

"Ich habe ein paar Fragen an Euch. Es geht um einen Kauf, den Ihr vor einigen Tagen getätigt habt." Er machte eine kurze Höflichkeitspause. "Verzeiht, mir scheint, daß Wetter der vergangenen Nacht hat euch den Schlaf gekostet?"

Sein Gegenüber massierte sich angestrengt die Schläfen, während er nach einer angemessen Antwort suchte. Schließlich lächelte er, dieses Mal aufrichtig. "Ich will ehrlich zu Euch sein. Vermutlich würdet Ihr mich ohnehin durchschauen. Sagt euch der Name Jacques Vallee etwas?"

"Der Dichter? Durchaus."

"Ich wurde von einem gemeinsamen Freund in sein Haus eingeladen. Zum Kartenspiel. Wenn Ihr ihn kennt, muss ich euch sicherlich nicht sagen, dass es nicht dabei blieb. Wein, reichlich davon, Zuckerwerk und willige Damen, genug für jeden der Anwesenden. Seht mich nicht so skeptisch an, ich weiß, was Ihr denkt. Ich kenne das Gerede. Aber was Monsieur Vallee nach Meinung anderer Leute mit seinen Freunden macht, geht mich nicht das geringste an. Ich für meinen Teil habe mich an die weibliche Gesellschaft gehalten." Er machte eine kurze Pause, um zu prüfen, wie sein Gegenüber die schlüpfrigen Informationen bewertete. Zu seinem Erstaunen blieb das Gesicht des Musketiers gleichgültig. "Jedenfalls hatte ich bis in den Morgen hinein mein Vergnügen und plage mich jetzt mit den Folgen." Athos bemühte sich um ein verständigen Nicken. Inzwischen war es für ihn offensichtlich, dass der Graf immer noch vom Wein der letzten Nacht benebelt war und seine Zunge entsprechend locker. Jacques Vallee war berüchtigt, Geschichten über sodomistische und anderweitig ausschweifende Feste in seinem Namen machten immer wieder die Runde. Seine religiösen Ansichten galten als ebenso verdächtig. Für einen Mann in seiner Position genoss der Graf von Rosenbaum einen riskanten Umgang.

"Wurdet Ihr meinetwegen geweckt?"

"Nein, wahrlich nicht." Der Gesandte lachte ein freudloses Lachen. "Mein unsägliches Weib und ihre schrille Freundin haben das schon vor Eurer Ankunft erledigt. Mit ihrem dümmlichen Gekicher und Geplapper."

"War ihr nicht bewusst, wann Ihr nach Hause gekommen seid?" Es widerstrebte Athos zutiefst, Mitleid für das selbstverschuldete Leid dieses Mannes heucheln zu müssen. Nicht, weil er etwas gegen Ausschweifungen gehabt hätte, sondern weil er ihm den dröhnenden Kopfschmerz aus reiner Abneigung von Herzen gönnte.

Der Gesandte schnaubte verächtlich. "Als ob es sie kümmern würde." Zu seiner Freude stellte Athos fest, dass sein Gegenüber zumindest in seinem derzeitigen Zustand äußerst leicht aus der Reserve zu locken war. Dieser Umstand sollte ihm die Arbeit merklich erleichtern. Er erinnerte sich vage, dass der Graf selbst seine Ehe bei ihrem letzten Treffen als 'reine Formsache' bezeichnet hatte. "Sie spielt lieber Ihre kleinen Spielchen mit mir, um mir ihre Verachtung zu zeigen." Seine Finger kreisten empört in der Luft.

"Wie bedauerlich. Ich nehme an, viele Männer beneiden Euch dennoch ihrer Schönheit wegen?"

"Mag sein. Hin und wieder macht man mir Komplimente zu meiner Frau. Und vor ein paar Jahren hätte ich ihnen vermutlich zugestimmt. Aber ich kenne sie inzwischen gut genug um sie als die Hure zu erkennen, die sie nun einmal ist. Seid Ihr interessiert? Nur keine falsche Zurückhaltung. Macht ihr ein paar Mal schöne Augen und sie hebt die Röcke für Euch. Ihr wärt nicht der erste. Mir soll es egal sein, ich habe schon seit Jahren nicht mehr in ihr gesteckt. Im Gegensatz zu anderen in diesem Haushalt."

Abwehrend hob Athos die Hände. "So wollte ich das nicht verstanden wissen."

"Wie Ihr meint. Ich an Eurer Stelle würde mich auch auf eine andere konzentrieren!" Athos setzte ein verständnisloses Gesicht auf, im Inneren wohl wissend, von wem sein Gegenüber sprach. Seine Unverfrorenheit kannte in diesem berauschten Zustand offenbar genauso wenig Grenzen wie seine Geschwätzigkeit.

"Tut nicht so unschuldig. Ihr seid jeden Tag mit ihr zusammen. Und ich habe Gerüchte über sie und Euch gehört. Aufregende Gerüchte, wenn Ihr mich versteht."

"Ihr sprecht von Aramis.", kam es ihm überraschend gleichgültig über die Lippen. Doch in seinem Inneren begann es zu brodeln. Jeder Gedanke an die Müdigkeit, die sich im schummerigen Licht des Arbeitszimmer schleichend bemerkbar gemacht hatte, war hinweg gefegt. Würde er es wirklich wagen, einem Musketier von seinen niedersten Fantasien mit einem anderen Musketier zu erzählen? So unverfroren konnte er nicht sein, schon gar nicht in seiner politischen Position. Eine solche Frechheit würde ihn endgültig als ungeeignet für sein Amt ausweisen. Und doch belehrte der Gesandte ihn umgehend eines besseren.

"Selbstverständlich! Ich hatte wahrlich schon einige Frauen, aber so eine?" Er schloss für einen Moment die Augen und atmete tief ein. "Eine Amazone, wie sie in alten Geschichten beschrieben wird. Schön, wild und unberührt. So eine zu bezwingen muss unglaublich befriedigend sein, denkt ihr nicht? " Hanns-Friedrich von Rosenbaum war so berauscht von seiner Vorstellung, dass ihm entging, wie Athos' Kiefermuskulatur vor Anspannung zu zucken begann. Nur mit größter Mühe konnte er sich davon abhalten, über den massiven Schreibtisch zu greifen und den Kopf des Grafen wiederholt auf der Tischplatte aufschlagen zu lassen. In seinen Ohren begann das Blut zu rauschen. Irgendwie gelang es ihm dennoch, nach außen hin ruhig zu wirken. Seine Finger strichen langsam, aber mit gehörigem Druck, über das filigran geschnitzte Holz seiner Armlehne, während er darauf wartete, dass sich sein Gemüt abkühlte. Wenigstens der Gedanke, dass der Gesandte sie für unberührt hielt, schaffte ihm ein wenig Erheiterung. Denn selbst wenn es die vergangene Nacht nie gegeben hätte, wäre die Annahme naiv gewesen. Zugegeben, die Sicherheit, die sie vor seinem Kamin ausgestrahlt hatte, hatte auch ihn überrumpelt. Aber einer Frau mit ihrer Leidenschaft und Vorgeschichte, die der gut informierte Graf zweifelsfrei kannte, zu unterstellen, sie hätte wie ein anständiges Mädchen demütig auf ihre Hochzeitsnacht gewartet, zeugte von einer völligen Ahnungslosigkeit.

"Ohne euch zu nahe treten zu wollen, Monsieur: Ihr solltet keinen Gedanken daran verschwenden, sie 'bezwingen' zu wollen. Vergesst nicht: Mademoiselle Aramis hat viele Jahre Erfahrung im Umgang mit Waffen aller Art. Sie hat gelernt, sich gegen körperlich weit überlegene Gegner zu verteidigen. Sie ist ein so verdammt guter Soldat, dass man ihr Befehlsgewalt über die Musketiere seiner Majestät übertragen hat. Ich habe gesehen, wie sie Männern die Nase gebrochen hat. Wie sie ihnen einen Dolch in den Unterleib jagte, wenn es nötig war. Sie hat einen Mann eine Klippe hinab gestürzt, der mehr als doppelt so viel Masse hatte wie sie. Als der Mann, der für den Großteil ihrer Ausbildung zuständig war und seitdem selbst oft genug eine ihrer Klingen an der Kehle hatte, rate ich Euch, sie nicht zu unterschätzen. Den Fehler haben bereits andere vor euch gemacht und die meisten weilen nicht mehr unter uns."

Der Graf musterte ihn aus spöttisch funkelnden Augen. "Ihr wollt mir also allen Ernstes erklären, dass Ihr nie daran gedacht habt, wie es wohl wäre, sie euch zu Willen zu machen? Nicht ein einziges Mal, während Ihr mit ihr allein wart? Ihre Haut zu berühren, ihre Zunge zu schmecken, ihre Fingernägel in eurem Rücken zu spüren?"

Athos spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt ein solches Maß an Verachtung für jemanden empfunden hatte. Er beugte sich vor und antwortete: "Nein. Zwang ist unter meiner Würde. Und ich würde Euch empfehlen, es genau so zu halten. Um Eurer selbst willen." Das Lächeln aus von Rosenbaums Augen verschwand. Um den weiteren Verlauf ihres Gesprächs nicht zu gefährden, fügte Athos widerwillig hinzu: "Ihr seid ein Mann von Stand und gutem Aussehen in der Blüte eurer Jahre. Lasst die Frauen zu euch kommen." Für einen langen Moment, in dem der Graf augenscheinlich abwog, wie er diese offene Kritik bewerten sollte, schwiegen sie einander an. Schließlich erwiderte er in einem Anflug von Überheblichkeit: "Vielleicht habt Ihr recht. Vielleicht seid Ihr aber auch nur ein langweiliger, verkappter Betbruder, Monsieur. Wenn mir ein Weib gefällt, dann nehme ich sie mir. Auf die eine oder die andere Weise. Denn dafür hat der Herr sie uns gemacht. Und ich bin mir sicher, dass sich Mademoiselle über ein wenig Zuwendung freuen würde."

"Wenn Ihr meint." Athos zuckte mit den Schultern. Das Thema war für ihn vorerst beendet. Tatsächlich dachte er für einen kurzen Augenblick daran, wie sie ihre Finger wieder und wieder in sein Fleisch grub. Beim ersten, beim zweiten und auch noch beim dritten Mal. "Wie ich bereits sagte, bin ich aus einem anderem Anlass zu Euch gekommen. Heute morgen..."

Von Rosenbaum fiel ihm ins Wort: "Verzeiht, stört es Euch, wenn ich mir eine Pfeife anzünde?" Athos verneinte kopfschüttelnd. Es überraschte ihn nicht, daß er auch diesem Laster fröhnte. Hastig erhob sich der Gesandte, um zur Tür zu gehen. Sein schmerzverzerrtes Gesicht ließ allerdings erahnen, dass er es sofort bereute. Ein stechender Schmerz war ihm in den Schädel gefahren. Deutlich langsamer setzte er seinen Weg fort.

"Jakob! Pfeife und Tabak bitte!" Der lahmende Bedienstete hatte seit Athos' Eintreten neben der Tür stehend ausgeharrt. Dankbar darüber, dass er sich endlich die Beine vertreten konnte, machte er sich auf den Weg. Der Graf kehrte an seinen Platz zurück.

"Entschuldigt, ich habe Euch unterbrochen. Fahrt bitte fort."

"Aus Gründen, auf die ich später vermutlich noch zu sprechen komme, suchte mich heute früh Meister Martel, der Schmuckmacher, auf. Er brachte mir eine Liste seiner letzten Kunden und dort fand sich Euer Name. Warum? Was habt Ihr bei ihm gekauft? Und für wen? Für Euch selbst? Für Eure Frau wohl kaum." Seine Stimme hatte ihren plaudernden Ton zurückgewonnen.

"Warum ist das wichtig?" Hanns-Friedrich von Rosenbaum stützte die Ellenbogen auf den Tisch und verschränkte die Hände vor dem Gesicht. Plötzlich wirkte er um einiges nüchterner und es bereitete seinem Gegenüber eine gewisse Genugtuung, Nervosität in seinem Blick zu erkennen.

"Beantwortet Ihr erst meine Fragen, dann sehen wir weiter." Hinter Athos' Rücken betrat der Diener Jakob den Raum, deutlich zu erkennen an den ungleichmäßigen Schritten. Auf einem Tablett reichte er seinem Herrn eine gestopfte Tonpfeife und einen glimmenden Span. Als sie gleich darauf wieder allein waren, ergriff von Rosenbaum erneut das Wort: "Ich habe bei Meister Martel eine Kette und einen Anhänger in Auftrag gegeben. Für mich selbst."

"Wann?"

"Vor ein paar Wochen. Ich weiß es nicht mehr genau." Der Graf begann nervös an seiner Pfeife zu ziehen.

"Wart ihr dafür in seiner Werkstatt?"

"Natürlich! Ich verstehe wirklich nicht, wohin dieses Gespräch führen soll?"

"Geduld. War ausser Euch und Meister Martel noch jemand anwesend?"

"Ferdinand, der Sohn meiner Köchin. Ihr erinnert Euch sicherlich an ihn. Ich hatte ihn mitgenommen, damit Monsieur Martel sein Gesicht kennt, wenn ich ihn erneut zu ihm schicke. Er hat die meiste Zeit vor dem Haus gewartet."

"Sonst war niemand dort?"

"Nein, niemand."

"Ihr habt also nicht zufällig seine Haushälterin gesehen? Jung, hübsch, blond? Eine Frau ganz nach Eurem Geschmack, wie ich vermute?"

"Nein, daran könnte ich mich erinnern. Wenn ich es Euch doch sage, wir waren allein."

"Und diese Schmuckstücke, von denen Ihr spracht, habt Ihr sie inzwischen erhalten?"

"Aber ja. Ferdinand hat sie vor ein paar Tagen in Meister Martels Werkstatt abgeholt. Wollt Ihr sie sehen?"

Athos schüttelte den Kopf. "Das ist nicht nötig. Ich denke es ist in Eurem Sinne, wenn ich Euch nicht länger von Eurem Tagesgeschäft abhalte. Habt Dank für Eure Gastfreundschaft, Graf." Er war bereits im Gehen begriffen, als Hanns-Friedrich von Rosenbaum ihn noch einmal zurück rief.

"Was hat es mit dem Mädchen auf sich?"

Athos prüfte einen Moment lang die Ernsthaftigkeit seiner Frage, zuckte dann gleichmütig mit den Schultern und erwiderte: "Sie ist plötzlich verschwunden, genauso wie einige Schmuckstücke, die Meister Martel für wichtige Kunden gefertigt hat. Er vermutet, dass sie mit einem Liebhaber davongelaufen ist. Ich nehme an, Euer Ferdinand ist noch bei euch?"

"Er hat den Charme eines reudigen Hundes und den Verstand eines Rindviehs, natürlich ist er noch hier", antwortete der Gesandte mit deutlichem Missfallen.
 

Während es auf den Gängen des Louvre einem Bienenstock gleich rumorte und tuschelte, war es in den privaten Räumen der Königin angenehm still. Als Aramis eintrat, legte Constanze gerade letzte Hand an die eng gedrehten Locken Annas von Österreich. Den Hut unter den Arm geklemmt wartete sie an der Tür, bis sie angesprochen wurde. Zunächst war sie alles andere als begeistert gewesen, der Königin zukünftig auch in ihren Gemächern zur Verfügung zu stehen. Inzwischen hatte sie sich jedoch mit dem zumeist belanglosen Geplauder arrangiert, das dort ausgetauscht wurde und sich bei genauerer Betrachtung nur durch den Grad der Obszönität von dem ihrer Kameraden unterschied. Hin und wieder kam es sogar vor, dass sich unter den Frauen tiefgründige Gespräche entwickelten. Hier war sie Marie de Gournay begegnet, einer Dame, die ihrer Lebensweise so viel Verständnis und Respekt entgegen gebracht hatte wie keine andere. Die ebenfalls mit ihrer Rolle als Frau haderte, wenngleich auf eine ausschließlich intellektuelle Art und Weise. Aramis war von der grauen, alternden Philosophin zutiefst beeindruckt gewesen und diese hatte sie mit beinahe mütterlichem Wohlwollen betrachtet. An diesem Tag war sie sich in dieser Welt aus Seide, Perlen, Puder und Parfüm weniger wie eine Kuriosität vorgekommen als sonst.

"Guten Morgen, Aramis!" Constanze riss sie aus ihren Gedanken, als sie mit strahlenden Augen ihre Hände ergriff und ihre Wangen küsste. "Gerade noch pünktlich!" flüsterte sie ihr mit einem Zwinkern zu, bevor sie sich wieder der Königin zuwendete.

"Guten Morgen, Aramis.", wiederholte Anna von Österreich sanftmütig. Wohlwollend beobachtete sie, wie sich die straffe Körperhaltung des Musketiers bei ihrer Begrüßung von den fast tänzerischen Bewegungen ihrer Zofe unterschied. Nicht ohne Grund hatte sie Ludwig gegenüber den dringenden Wunsch geäußert, er möge ihr die junge Frau auch innerhalb des Louvre zur Verfügung stellen, wenn sie Gäste in ihren Gemächern empfing. Aramis besaß eine beeindruckende Menschenkenntnis, hatte in der Vergangenheit wiederholt ihre bedingungslose Loyalität bewiesen und war dabei äußerst diskret. Kurzum, Aramis' Anwesenheit vermittelte ihr ein besonderes Gefühl von Sicherheit, wie es keiner der Hundertschweizer vor ihrer Tür vermochte, und die französische Königin war dankbar, sie in ihrer Nähe zu wissen. "Wie geht es Euch?", fragte sie entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit. Überrascht brachte Aramis nur ein kurz angebundenes "Gut!" und eine knappe Verbeugung hervor. Man hätte es als Disziplin deuten können. In ihrem Inneren jedoch herrschte ein Auf und Ab aus wohligem Kribbeln und der Angst, jemand könnte von all den sündigen Gedanken in ihrem Kopf etwas ahnen, wenn sie sich die vergangene Nacht in Erinnerung rief. Und das tat sie. Unweigerlich immer und immer wieder. Rückblickend war es für sie kaum vorstellbar, dass sie beinahe wirklich schlafen gegangen wäre. Dass sie minutenlang in seinem Schlafzimmer gestanden und sich selbst auszureden versucht hatte, was sie letztlich doch getan hatte. Dass sie an sich gezweifelt hatte. Dass sie an seiner Körpersprache gezweifelt hatte. Die Art, wie er sie vor dem Kamin angesehen hatte - sie kannte diesen Blick. Es war der gleiche, mit dem Francois sie Jahre zuvor bedacht hatte. Und nach und nach, während sie, im Halbdunkel stehend, unschlüssig auf das breite Bett gestarrt hatte, verstand sie, was Porthos und D'Artagnan an diesem Abend so dringend mit jenem Charles de Saint-Martin zu besprechen hatten. Nein, auf diese Art der Hilfe waren weder sie noch Athos angewiesen. Sie hatte ein letztes Mal tief durchgeatmet, die zur Vernunft mahnende innere Stimme in eine dunkle Ecke ihres Verstandes verbannt und war zu dem Mann vor dem Kamin zurückgekehrt. Seitdem wartete sie auf das schleichende Gefühl der Reue. Bislang vergeblich. Stattdessen spürte sie immer noch seine warme Haut auf ihrem Körper, seine Lippen auf ihren und die Hand, die ihr zärtlich durchs Haar strich, als er sie schon schlafend wähnte.

"Dann wollen wir die Tür öffnen." Anna von Österreich ließ sich in ihren Sessel gleiten, strich die tannengrünen Stoffbahnen ihres Rockes so zurecht, dass die Blumenranken aus Goldfäden ihre ganze Pracht entfalten konnten, und wartete. Aramis positionierte sich, wie es inzwischen ihre Gewohnheit bei dieser Art von Beisammensein war, zwei Schritte neben der Königin mit festem Blick und vor der Brust verschränkten Armen. Es hielt die Damen für gewöhnlich davon ab, sie in ihre Gespräche einzubeziehen, bis die Königin das Wort an sie richtete. Die Gelegenheiten, an denen es dazu gekommen war, konnte Aramis allerdings an beiden Händen abzählen. Sie war nicht zu ihrer oder anderer Leute Unterhaltung anwesend, dafür hatte Anna von Österreich Verständnis.

Die hohen Türen öffneten sich bedächtig und fast lautlos. Auf ein Handzeichen Constanzes wurde das Rumoren auf dem Gang lauter, kam näher und ergoss sich schließlich in die Gemächer der Königin. Ein halbes Dutzend Damen, in ihren besten Kleidern und mit Perlen behangen, knicksten dem Zeremoniell folgend vor der Königin und sprachen die üblichen Begrüßungsformeln. Nur eine schwieg. Mit gesenktem Blick und einem besonders ehrfürchtigen Knicks wartete sie darauf, von ihrer Begleiterin vorgestellt zu werden.

Für Aramis war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sie der Gräfin von Rosenbaum in den Gemächern der Königin begegnen würde. Immer häufiger war sie ihr in den vergangenen Wochen im Louvre aufgefallen und es war ein Leichtes zu erkennen, dass sie sich als Teil des Hofadels zu etablieren versuchte. Anna von Österreich nahm ihre Anwesenheit mit einem wohlwollenden Nicken zur Kenntnis, anschließend machten es sich die Damen in einer Runde aus Sesseln und Hockern bequem.

Zu Aramis' Verwunderung setzte sich die junge Frau ausgerechnet auf den gepolsterten Hocker in ihrer unmittelbaren Nähe. Sie rückte ihn sogar noch ein Stück näher an sie heran, war dabei jedoch bemüht, es wie ein Versehen aussehen zu lassen. Eine Zeit lang passierte nichts, die Gräfin von Rosenbaum plauderte mit ihrer Freundin und aß von dem Gebäck, das man ihr reichte. Aramis bemerkte lediglich, dass die linke Hand der Gräfin dabei ihren Fächer nervös umklammert hielt, schuldete dies aber ihrer vermeintlichen Nervosität angesichts der Tatsache, dass sie sich in der Gegenwart der Königin befand. Als der letzte Bissen Kuchen in ihrem Mund verschwunden war, begann die rechte Hand an einem Perlenohrring zu nesteln. Die Aufregung der Gräfin übertrug sich schleichend auf den Musketier, deren Hand inzwischen auf ihrem Rapier ruhte. Aramis prüfte misstrauisch jede noch so kleine Bewegung der Bayerin. Was hatte diese Frau vor? Man sollte doch meinen, dass ihre Aufregung mit der Zeit eher abklang. Statt dessen wurde sie immer unruhiger.

"Verzeiht mir bitte meine indiskrete Frage, aber... " Die junge Frau neigte sich unvermittelt zu Aramis, so dass diese reflexartig auch die rechte Hand zum Rapier führte, und senkte verschwörerisch die Stimme. "... Ich brauche Gewissheit. Stimmen die Gerüchte über Monsieur Athos und Euch?" Der Perlenohrring wackelte hin und her.

"Welche Gerüchte, Madame?" Aramis sah sie mit großen, ungläubigen Augen an. Die Anspannung fiel von ihr ab, die Hand löste sich von der Waffe.

Die Gräfin von Rosenbaum war sichtlich überrascht angesichts dieser scheinbaren Naivität. "Das Ihr eine Affäre mit ihm habt, natürlich", säuselte sie hinter ihrem Fächer aus weißen Straußenfedern. Constanze, die in einigen Schritten Entfernung unfreiwillig Zeugin des Gesprächs wurde, schnappte empört nach Luft. Einer fremden Frau eine so intime Frage zu stellen erschien ihr ungeheuerlich. Noch dazu in dieser Umgebung. In dieser Lautstärke. Man musste sich nicht einmal besonders anstrengen, um jedes ihrer Worte zu verstehen. Um so überraschter war sie, als die von ihr erwartete Zurechtweisung durch Aramis ausblieb. Stattdessen reagierte diese mit offener Belustigung. "Warum stellt Ihr mir solche Fragen, Madame?"

"Was soll ich sagen? Ich habe Monsieur Athos heute morgen kennengelernt, bevor ich hierher fuhr. Sehr charismatisch. Dieser Blick, so geheimnisvoll! Und auch sonst äußerst nett anzusehen. Ein Bild von einem Mann. Ihr wisst, wovon ich rede."

"Da würden Euch wohl die wenigsten Frauen widersprechen", nickte der blonde Musketiers sachlich. "Ich vermute jedoch, dass die meisten Damen das gleiche über euren Gemahl sagen würden." Constanze folgte der Unterhaltung der beiden Frauen mit wachsendem Unverständnis. Natürlich kannte auch sie das Getuschel um die beiden Musketiere, das dank ihres Mannes vor ihrer eigenen Haustür nicht halt machte. Aber bisher hatte sie nicht erlebt, dass Aramis sich in irgendeiner Weise über die Attraktivität ihres Kameraden geäußert hätte.

"Ihr versteht mich also! Natürlich tut ihr das. Auf dem Weg hierher sagte ich deshalb zu meiner lieben Freundin, dass ich es aufregend fände, ihn näher kennen zu lernen. Es wäre eine willkommene Abwechslung zu den einfach gestrickten Stallburschen und Küchenjungen. " Die Gräfin senkte für einen Moment schamhaft die Lider, wirkte dabei jedoch so unglaubwürdig, dass die gerade aufflammende Wut in Aramis einer milden Belustigung wich. Die Freundin der bayerischen Dame wiederum war sichtlich darum bemüht, nicht Teil der Unterhaltung zu werden, und plauderte mit einer der älteren Frauen über den Schneider ihres Kleides. Die Gräfin fuhr indessen fort: "Mir war jedoch nicht bewusst, dass er womöglich schon anderweitig gebunden sein könnte, bis die Baronin mich über besagte Gerüchte informierte. Ihr könnt Euch sicherlich denken, dass ich Euch keinesfalls verärgern möchte!" Sie deutete auf das Rapier, dessen kunstvoll verziertes Gefäß sich jetzt auf fast gleicher Höhe mit ihrem Gesicht befand.

"Macht Euch deswegen nur keine Sorgen. Die Erfahrung zeigt, dass Frauen häufiger zum Gift als zu Waffen greifen." Aramis äußerte diesen Gedanken so nebensächlich und mit so viel Leichtigkeit in der Stimme, dass die Gräfin von Rosenbaum an einen bissigen Scherz glaubte. Constanze hingegen, die Aramis während der gesamten Unterhaltung nicht aus den Augen gelassen hatte, konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass ihr Blick an Kälte gewonnen hatte.

"Ihr würdet Euch mir also nicht in den Weg stellen?"

"Aber nein. Monsieur Athos ist mir keine Rechenschaft schuldig. Er ist mein Vorgesetzter und ich werde mich hüten, mich in seine privaten Beziehungen einzumischen. Wenn Ihr mir aber die Anmerkung erlaubt: Euer Gatte wird vermutlich wenig begeistert sein." Die junge Adelige verdrehte die strahlend schönen Augen. Sie machte keinen Hehl daraus, dass ihr Gatte und seine Meinung ihr vollkommen egal waren. Überhaupt musste ihr die Meinung anderer Menschen recht wenig bedeuten, wenn sie derartige Gespräche vor einer Gruppe klatschfreudiger Hofdamen führte. Zweifelsohne hatten einige von ihnen ihre Unterhaltung mit angehört und warteten nur darauf, neue Gerüchte zu streuen.

Die Gräfin ihrerseits wähnte sich nach Aramis' Beteuerungen in Sicherheit und wendete sich wieder ihrer Freundin zu.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  citosol
2018-06-30T20:44:59+00:00 30.06.2018 22:44
I LOVE YOU SO MUCH!
You keep this story so intriguing, i constantly try to see where you're going, but every chapter is a surprise!

Thanks for keep it going on, Iwas a totally different person when it started, and had a totally different life, but this story is a red line that joins my old and my new world.

Thanks again, I cannot wait to read the next chapter!
Antwort von:  Tach
01.08.2018 10:22
Thank you so much for your wonderful comment :) I feel the same. After all I've been working on this story for nearly half my life and so much has changed since then. But we are getting closer to the grand finale. Maybe I'll start writing another story afterwards ;)


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