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366 Tage - 366 Geschichten

366 Tage Challenge 2024
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03.02.2024 - Verstanden

Mit hängenden Schultern lief Ally von der Schule nach Hause. Heute hatte sie ein Referat darüber gehalten, wie sie sich ihre Zukunft vorstellte, aber eine schlechte Note dafür bekommen. Weder die Lehrerin noch ihre anderen Mitschüler hatten verstanden, was sie erzählt hatte. Dabei hatte sie lediglich darüber geschrieben, wie sie sich ihr Leben vorstellte. Sie wollte reisen, sie wollte die Welt entdecken, fremde Kulturen und Länder kennenlernen.

Sie wollte ein anderes Leben führen, als das, was ihre Eltern führten. Auch wenn es sie dadurch überhaupt erst gab, wollte sie frei sein.

Ohne eine Familie, ohne einen festen Wohnsitz. Und vor allem ohne das Geld ihrer Eltern oder eingepfercht in einen Bürojob, der sie niemals glücklich machen konnte.

Aber als sie ihre Vorstellungen dafür in einem Referat vorgetragen hatte, hatte niemand ihre Worte verstanden. Oder nachvollziehen können. Die Lehrerin, Frau Stripöl, hatte ihr sogar gesagt, dass sie das Thema verfehlt habe.

Aber wie konnte etwas falsch sein, für das sie einstand? Wie konnte sie für etwas eine falsche Note bekommen, dass ihre Zukunft betraf? Für etwas, dass ihr wichtig war und ihr gut tat?

Mit einem Seufzen schloss sie die Tür zum Haus ihrer Eltern auf und hörte schon im Flur die aufgebrachte Stimme ihres Vaters.

“Du hast hier nichts mehr verloren, Rayan! Verschwinde!”

Mit dem Namen, den ihr Vater genannt hatte, konnte sie nichts anfangen und auch die Stimme, die anschließend zu hören war, kam ihr absolut nicht bekannt vor.

“Du hast mir nichts mehr zu sagen, Edward und wenn ich Ally sehen will, ist das einzig und alleine meine Entscheidung. Oder ihre!”

Ihre Stirn runzelte sich und sie wusste nicht, ob sie näher treten sollte oder nicht, aber aufgrund dessen, das ihr Name gefallen war, musste sie unbedingt wissen, zu wem diese Stimme gehörte. Sie atmete erneut tief durch und lief in Richtung des großen Wohnzimmers. “Ich bin wieder da”, rief sie kurz vor der Tür und konnte bereits jetzt sehen, dass ihr Vater ertappt zusammenzuckte.

“Ally? Was machst du denn hier?”, wollte er wissen und sie zog direkt eine Augenbraue hoch.

“Ich wohne hier, falls du das vergessen haben solltest”, erwiderte sie knapp, woraufhin sich ein Schmunzeln auf die Lippen des Fremden legte.

“Solltest du nicht in der Schule sein?” Noch bevor sie nicht etwas hinzufügen konnte, ergriff ihr Vater ein weiteres Mal das Wort.

“Die letzten beiden Stunden sind ausgefallen”, entgegnete sie mit einem Schulterzucken und sah anschließend zu dem Fremden. “Wer bist du?”

“Ich bin .. “, fing der Größere an und schnaubte direkt, als er von Allys Vater direkt wieder unterbrochen wurde. “Ein Geschäftskollege. Wir haben etwas zu besprechen, was dich nichts angeht. Deine Mutter hat dir von Madita etwas zu Essen in die Küche stellen lassen”, wies er seine Tochter an und sah sie so auffordernd an, dass Ally im ersten Moment gar nicht wusste, wie sie reagieren sollte. Kaum merklich zuckte sie anschließend mit den Schultern und wandte sich wieder in Richtung Tür.

“Findest du nicht, dass es endlich an der Zeit ist, dass ihr Ally die Wahrheit sagt?”, hörte sie die Stimme des Fremden erneut in ihrem Rücken, woraufhin sie sich doch wieder in seine Richtung drehte.

“Das entscheidest nicht du, Rayan!” Wütend erklang die Stimme ihres Vaters, während er mit der Hand auf die Tür deutete, um Rayan zum Gehen aufzufordern.

“Doch, das ist es. Ally spielt auch in meinem Leben eine Rolle”, entgegnete Rayan, was Ally direkt wieder verwirrt. “Wie meinst du das?”

“Wag es nicht”, knurrte der Älteste im Raum, als Rayan zu einer Antwort ansetzte, doch diesmal schüttelte Rayan nur den Kopf. “Sie ist alt genug, um die Wahrheit zu erfahren.”

“Welche Wahrheit?” Vollkommen überfordert sah Ally zwischen den beiden Männern hin und her. Sie konnte sich absolut keinen Reim darauf machen, was zwischen ihnen vorging, aber sie wusste, dass es sie selbst betraf.

Als Rayan auf sie zutrat und ihr seine Hand entgegen streckte, griff sie nur zögernd danach. “Ich bin Rayan und ich bin .. dein Vater”, hörte sie anschließend seine Worte, woraufhin Ally sofort ihre Augen aufriss und seine Hand reflexartig wieder los ließ. “Was?”

“Du hast ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren, auch wenn Edward dagegen ist”, begann er und deutete auf das Sofa im Raum. Ally schüttelte kurz den Kopf und ihr Blick huschte zu Edward, bevor sie Rayan wieder ansah. Dieser Mann sollte ihr Vater sein? Ein Fremder? Ein Mann, den sie noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatte?

“Edward ist zwar der Mann, der dich großgezogen und dir ein wunderbares Leben beschert hat, aber er ist nicht dein Vater”, begann Rayan erneut, während er seiner Tochter ein sanftes Lächeln schenkte.

“Wer dann?”, wollte Ally flüsternd wissen, während ihr Blick kurz zu dem Älteren huschte. Als sie jedoch die Worte Rayans hörte, drehte sie sich sofort um und stürmte aus dem Raum. “Er ist dein Großvater. Mein Vater.”

Sie floh regelrecht in ihr Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu, bevor sie sich auf ihr Bett warf. Die Worte Rayans hallten in ihrem Kopf wieder und sie konnte damit gar nichts anfangen? Wie konnte ein Mann ihr Vater sein, den sie nicht kannte und wie konnten ihre Eltern sie jahrelang so sehr belügen? Wie konnten sie ihr verheimlichen, dass sie gar nicht ihr leibliches Kind war?

Sie wusste nicht, wie lange sie auf dem Bett gelegen hatte, aber als es klopfte, sprang sie sofort wieder auf. “Ja?”, glitt es ihr nur leise über die Lippen, während sie die Tür regelrecht fixierte, durch die Rayan nach ein paar Sekunden trat. “Darf ich?”

Ally zögerte kurz, bevor sie langsam nickte und den Fremden, der ihr Vater sein sollte, hinein bat. Rayan lächelte und ließ sich auf dem Schreibtischstuhl des Mädchens nieder, während Ally ihn nicht aus den Augen ließ.

“Es tut mir leid, dass du es auf diese Weise erfahren musstest, aber du musst mir glauben, dass das nicht meine Entscheid war. Edward hat mir jeglichen Kontakt zu dir untersagt und vermutlich auch alle Briefe und Pakete an dich nie weitergeleitet”, begann er, woraufhin Ally im ersten Moment den Kopf schüttelte.

“Darf ich dir erklären, warum .. du nicht bei mir aufgewachsen bist, sondern bei deinen Großeltern?”, schob Rayan leise hinterher, während sich Ally wieder auf ihrem Bett niederließ. Auffordernd sah sie ihn an, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob sie die Wahrheit wirklich hören wollte.

“Ich war damals fast so alt wie du, kurz vor meinem achtzehnten Geburtstag, als meine damalige Freundin mir gesagt hat, dass sie dich zur Welt bringen wird Sie wollte und konnte dich aufgrund einer Krankheit nicht behalten und hat auch längst den Kampf gegen diese Krankheit verloren. Ich .. war damit total überfordert und obwohl ich dich vom ersten Moment an geliebt habe, habe ich mich in diesem Moment einfach nicht in der Lage gesehen, mich um ein Kind zu kümmern. Ich wollte frei sein, ich wollte die Welt bereisen und ich wollte in Ruhe um deine Mutter trauern, ohne den Vorwürfen oder Handlungen meiner Eltern ausgesetzt zu sein. Ich habe durch deine Großmutter immer gewusst, wie er dir geht, was du machst oder wie du dich entwickelst, aber sehen durfte ich dich nie. Edward hat mir nahegelegt, dass es besser wäre, wenn du das Leben führst, dass er für dich vorhergesehen hat”, hörte sie Rayan erzählen, wobei sie sich immer fester auf die Lippen biss. Sie hatte schon länger gemerkt, dass sie nicht das Leben führen wollte, dass das ältere Ehepaar führte und sie hatte sich auch immer mal wieder Gedanken darum gemacht, warum die Eltern ihrer Mitschüler um ein Vielfaches jünger waren. Aber auf diese Lösung wäre sie nie gekommen.

“Ich .. habe heute in meinem Referat darüber geredet, dass ich auch frei sein will und nicht in einem Büro enden will, wie Edward”, antwortete sie schließlich, woraufhin sich ein Lächeln auf Rayans Lippen schlich.

“Das habe ich damals auch zu deinem Großvater gesagt und ich habe mir diese Zeit genommen. Auch wenn ich dadurch die Chance verpasst habe, dich richtig kennenzulernen, hat es sich für mich damals einfach richtig angefühlt. Ich musste in die Welt hinaus, ich musste frei sein”, antwortete er und musterte seine Tochter etwas. “Du siehst deiner Mutter sehr ähnlich.”

Bei diesen Worten biss sich Ally kaum merklich auf die Lippen und senkte ihren Blick. Sie schwieg minutenlang, wusste nicht recht, was sie antworten sollte, aber als ihr Vater sich wieder erhob, stand auch sie reflexartig auf.

“Wenn du mich lässt, würde ich dir gerne von dem Gefühl der Freiheit erzählen, dass ich verspürt habe, als ich in deinem Alter war. Ich würde dir gerne mehr von deiner Mutter und unseren Plänen erzählen. Denk in Ruhe darüber nach und wenn du dich entschieden hast, kannst du dich jederzeit bei mir melden, okay? Ich werde in ein paar Tagen weiterreisen, um die Südküste der USA zu erkunden und vielleicht können wir uns vor der Abreise noch ein wenig mehr unterhalten.” Noch während er redete, drehte sich Rayan in Richtung Schreibtisch und schrieb seine Handynummer auf einen Zettel, den er dort fand.

“Denk darüber nach, solange du willst”, schob er hinterher und ließ seine Tochter anschließend alleine. Vollkommen überfordert sah Ally ihm nach, unfähig eine Entscheidung zu treffen. Als die Tür jedoch hinter Rayan ins Schloss fiel, stürzte sie auf die Tür zu, um ihn am Gehen zu hindern. Sie wollte ihn näher kennenlernen, sie wollte, dass er ihr von ihrer Mutter erzählte, aber vor allem wollte sie viel mehr von seinen Reiseerlebnissen hören, denn sie war sich sicher: Egal, was noch passieren würde und egal, wie weit entfernt sich Rayan auch von ihr entfernt befinden würde, bei ihm fühlte sie sich verstanden. Sich und ihr Gefühl nach Freiheit und Unabhängigkeit, trotz der Liebe, die er für seine Tochter empfand.



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