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Again and again and again

von

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3rd Loop: Was weißt du über Zeitschleifen?


 

»Wir sind da, Monsieur Flordelis.«

Es kam ihm vor, als tauche er aus einem Fiebertraum auf. Flüchtige Farben tanzten noch in seinem Gedächtnis, verbanden sich mit Geräuschen, die einst Stimmen gewesen sein mochten, nun aber so verwischt waren, dass ihre ursprüngliche Bedeutung nicht mehr zu erkennen war. Er spürte Julies kühlen Blick in seinem Rücken, verbunden mit einer irrationalen Wut in seinem Inneren, die sich in einer Explosion zu entladen schien – und inmitten dieser hörte er plötzlich Julies Stimme, die sich deutlich von dem Rauschen der anderen abhob: »Warum gehst du immer?«

Dann verhallte alles, die Farben wurden auf eine Leinwand geworfen und ergaben ein Bild, dessen Bedeutung er nicht erfassen konnte, bevor ein grelles Licht es verschlang.

Flordelis blinzelte überfordert. Der hell erleuchtete Magnum-Opus-Palast hob sich wie ein Juwel von dem tintenschwarzen Nachthimmel ab. Fassungslos sog er die Luft ein.

Das ist nicht möglich!

Er sah auf sein Handy hinab. 20 Uhr. Auch das Datum stimmte noch überein. Es war der Abend der Gala. Jene, die er ganz sicher schon erlebt hatte. Mindestens einmal, vermutlich eher schon zweimal. Zuletzt hatte er an einen Traum geglaubt, diese Theorie könnte er nun offenbar verwerfen. Doch was war es dann?

»Alles in Ordnung?« Dieselbe Frage wie letztes Mal. »Sie sehen plötzlich so blass aus.«

Nicht gewillt über dieses Rätsel mit seinem Fahrer zu sprechen, winkte er nur ab und öffnete den Posteingang seines Handys. Von Julies Nachricht war nichts zu sehen, aber das wunderte ihn nicht, schließlich hatte er sie noch nicht bekommen. Sollte er ihr einfach schreiben? Nein, sie stritten aktuell noch. Was sollte sie von ihm denken, wenn er ihr mit einer möglichen Zeitschleife käme? Sie würde es wahrscheinlich für einen Annäherungsversuch halten, ohne dass er sich entschuldigen müsste. Außerdem wüsste sie bestimmt auch nicht, was hier vor sich ging, sie war realistisch (noch mehr als er). Und sie wüsste auch nicht, wie man das beendete, dafür war sie zu brachial in ihren Lösungen; aus diesem Grund hatte sie die Forschung verlassen.

Doch es zu beenden war das eigentlich Wichtige und nahm deswegen erst einmal seinen Hauptfokus ein. Er hasste Galas ohnehin, auf einer solchen festzustecken konnte also nicht sein Ziel sein.

Aber er wusste nicht so recht, wie man ein solches Problem angehen könnte. Seines Wissens nach gab es keinerlei Abhandlungen für solche Fälle, keine Experten für Zeitschleifen. Schon gar nicht auf dieser Gala. Vielleicht würde es schon helfen, sich mit jemandem auszutauschen. Er bräuchte jemanden, dem er vertraute, der auf dieser Gala war, vielleicht dieselbe Erfahrung gemacht hatte und sich nicht zu sehr auf Logik berief. Und da fiel ihm nur eine Person ein: Platan. Ich muss mit Platan sprechen.

Dieser hatte sein Handy im Moment bestimmt nicht bei sich (das gehörte sich auf Galas nicht), also müsste Flordelis wirklich hineingehen, so sehr ihm das auch widerstrebte.

Als wären mindestens acht Stunden nicht schon genug gewesen.

Ohne etwas zu sagen, verließ Flordelis den Wagen und schritt eilig auf den Palast zu. Kurz vor dem Eingang fiel sein Blick wieder auf die leere rechte Seite. Letztes Mal hatte er es ignoriert, aber diesmal spürte er wieder diesen Stich in seinem Inneren. Als hätte er hier jemanden erwartet, der einfach nicht kam. Egal, wie oft er hier vorbeilief.

Er schüttelte den Gedanken erst einmal ab und trat ein. In der Eingangshalle erwiderte er die Begrüßung des Dieners, die noch genau dieselbe war, und legte dann den Weg zum Ballsaal zurück. Auch in den Gängen war alles wie letztes Mal: Die Bediensteten zogen sich in die Dunkelheit zurück, die Musik und die Gespräche aus dem Ballsaal vibrierten durch das Gebäude.

Der einzige Unterschied war er, denn diesmal waren seine Schritte nicht unwillig, sondern entschlossen. Sobald er mit Platan sprach, kämen sie bestimmt hinter das Geheimnis dieser Wiederholung und könnten es beenden. Platan war gut in so etwas, denn er versteifte sich nicht so sehr auf die Wissenschaft und er kannte sich besser mit Pokémon aus, falls ein solches dahintersteckte – vielleicht fiel ihm sogar ein passendes Märchen ein, das ihm eine Lösung bot. Gemeinsam würden sie es schaffen.

Diesmal hielt er vor der Tür nicht zum Durchatmen inne, sondern öffnete sie direkt zu dem inzwischen vertrauten Bild der Gala. Selbst Julie in diesem goldenen Kleid fiel ihm sofort wieder ins Auge. Er erinnerte sich vor allem auch wieder an die Verlobung und ihre Nachricht am Ende.

Warum gehst du immer?

Für einen flüchtigen Augenblick hegte er die Befürchtung, dass sie hinter allem steckte. Aber das war vollkommen unmöglich. Wie sollte sie das bewerkstelligen? Und warum sollte sie etwas tun? Das entsprach ganz und gar nicht ihrem Wesen. Also schloss er sie als Urheberin vollkommen aus. Platan war weiterhin seine einzige Hoffnung. Doch bevor er seinen Freund entdeckte, drang eine Stimme an sein Ohr: »Ah, Monsieur Flordelis!«

Er wandte sich Henri zu, der auf ihn zukam. Aber diesmal strahlte er nicht. Er wirkte vielmehr besorgt. Kaum war er bei ihm angekommen, ergriff Henri seine Hand, aber nicht um sie zu schütteln, eher fühlte es sich danach an, als bräuchte ihr Gastgeber gerade jemanden, der ihn unterstützte. »Wie schön, dass Sie es einrichten konnten.«

Für einen Moment traten seine eigenen Sorgen in den Hintergrund. So hatte er den sonst so fröhlichen Henri noch nie erlebt – und das deckte sich auch nicht mit seiner Erinnerung an diesen Abend. Aber der vermeintliche Traum und das letzte Erlebnis hatten sich auch voneinander unterschieden. Gab es wieder eine Änderung?

»Ist alles in Ordnung, Monsieur Henri?«, fragte Flordelis. »Fehlt Ihnen etwas?«

»Oh, also ...« Henri warf einen kurzen Blick über seine Schulter. »Ich glaube, ich bin nur etwas nervös. Deswegen hatte ich gehofft, wir könnten vorher noch kurz miteinander reden.«

Ihn überkam eine Vorahnung, worum es gehen könnte. Sein Inneres zog sich sofort zusammen. Was sollte diese Änderung? Wie kam es dazu?

Bevor er sich zu viele Gedanken darum machte, hakte er einfach nach: »Geht es um die Ankündigung Ihrer Verlobung mit Julie?«

Henri sah ihn überrascht an. »Woher wissen Sie davon?«

Stimmt, er dürfte es eigentlich gar nicht wissen. Es würde aber viel zu weit gehen, Henri von der Zeitschleife zu erzählen (wahrscheinlich würde er es ohnehin nicht glauben), also zog er sich einfach auf seine Autorität zurück: »Das tut jetzt nichts zur Sache. Aber warum denken Sie, mit mir darüber reden zu müssen?«

Normalerweise würde er nicht derart brüsk mit Henri sprechen, aber im Moment konnte er darauf keine Rücksicht nehmen. Zu seinem Glück störte sein Gegenüber sich nicht daran. »Julie und Sie stehen sich normalerweise sehr nahe, deswegen wollte ich nur sichergehen, dass diese Offenbarung für Sie nicht unangenehm wird.«

Es war sogar sehr unangenehm gewesen. Flordelis konnte sich nach wie vor nicht erklären, warum genau er so wütend deswegen war. Im Endeffekt ging ihn das gar nichts an, Julie konnte heiraten, wen sie wollte und wenn sie diesen Edelstein deswegen Henri überlassen hatte, würde Flordelis irgendwann seinen Frieden damit schließen.

Er schüttelte mit dem Kopf. »Nur keine Sorge. Wenn Sie beide glücklich sind, freue ich mich für Sie und Julie.«

Henri lächelte wieder. »Sie ahnen gar nicht, wie sehr mich Ihre Worte erleichtern, Monsieur Flordelis. Julie wird es bestimmt genauso gehen. Wissen Sie, eigentlich sollte ich Ihnen das nicht sagen, aber Julie hat wirklich befürchtet, dass Sie das schlecht aufnehmen würden.«

Damit hatte sie auch vollkommen recht. Aber darum ging es gerade nicht. Eigentlich wollte Flordelis vor allem dieses Gespräch beenden, um endlich mit Platan sprechen zu können. Er musste diese Zeitschleife beenden. Ob er damit auch diese Verlobung ungeschehen machte?

»Es gibt wirklich keinen Grund, für diese Befürchtungen«, sagte Flordelis, mit einem routiniert unverbindlichen Lächeln. »Bitte, verkünden Sie die Verlobung.«

Glücklich bat Henri ihn mit sich und ging dann direkt auf die anderen Anwesenden und vor allem das verhüllte Podest zu. Flordelis folgte ihm langsamer und blieb schließlich in angemessener Entfernung wieder stehen. Dann ließ er den Blick über die Anwesenden schweifen, bis er Platan, der regelrecht zu glänzen schien, unter ihnen entdeckte. Im Moment unterhielt er sich voller Inbrunst mit einer kleinen Gruppe; ausgehend von den höflich gelangweilten Mienen der Zuhörer erzählte er ihnen gerade wieder ein Märchen, wahrscheinlich über Feen-Pokémon. Banausen, wenn sie das nicht zu schätzen wussten. Sobald das hier alles vorbei war, würde er sich wieder viele Geschichten von ihm anhören.

»Meine lieben Gäste«, verkündete Henri voller Begeisterung, »ich freue mich, dass wir nun vollzählig sind~.«

Sofort verstummten alle Gespräche, die Blicke aller wandten sich ihm zu. Platan wirkte besonders fröhlich, bestimmt weil er sich gute Neuigkeiten erhoffte. Von denen bekam er nie genug.

»Es ist mir eine große Ehre«, fuhr Henri fort, »Ihnen allen endlich mitzuteilen, wofür wir uns versammelt haben. Es gibt gleich zwei großartige Nachrichten, die ich zu verkünden habe!«

Darauf breitete sich ein leises Flüstern aus, als jeder bereits zu ergründen versuchte, worum es hier eigentlich ging. Flordelis' Magen fühlte sich jetzt schon wieder unangenehm flau an, er musste sich um eine neutrale Miene bemühen.

»Zu meiner ersten Nachricht: Inzwischen ist es in Kalos allgemein bekannt, dass ich vor kurzem in den Besitz eines ganz besonderen Stücks gekommen bin, das meine hochdotierte Sammlung noch weiter veredeln wird.«

Platan lehnte sich zu der Person neben sich und setzte schon dazu an, etwas zu sagen, besann sich dann aber. Offensichtlich fiel es ihm schwer, sich zurückzuhalten, aber es gelang ihm, Henri weiter zuzuhören.

»Hiermit enthülle ich voller Stolz den Amethyst der 1000 Möglichkeiten

Damit entfernte er das Tuch unter dem der für Flordelis bereits bekannte Amethyst zutage kam. Deswegen betrachtete er diesen gar nicht erst weiter. Anders als Platan, dessen Augen sogar durch den halben Raum zu glänzen schienen.

Henri breitete begeistert die Arme aus. »An diesem Abend werden Sie alle noch ausführlich die Gelegenheit bekommen, meinen Schatz zu betrachten. Nun möchte ich Ihnen aber noch mein zweites Schmuckstück präsentieren!«

Er streckte Julie die Hand entgegen, die sie so elegant wie zuvor ergriff, als sie sich an seine Seite begab. Dabei fiel Flordelis auf, dass er nie angenommen hätte, dass Julie derart … elegant sein könnte. Sie war kein Tölpel, aber das hier entsprach auch nicht seinem Bild von ihr.

Henri legte einen Arm um ihre Taille und wandte sich strahlend wieder den Gästen zu. »Die liebreizende Julie, der ich mein erstes Schmuckstück verdanke, ist auch mein zweites und wertvollstes. Ja, Sie vermuten richtig, meine lieben Gäste, wir wollen diese Gelegenheit nutzen, um unsere Verlobung bekanntzugeben!«

Von den anderen kamen überraschte und erfreute Ausrufe. Platan legte ergriffen die Hände auf seine Brust, während er Julie sanft betrachtete. Bestimmt gelang ihm das, was Flordelis versagt blieb: Er freute sich einfach nur für sie. Er war eben ein guter Freund.

Die ersten mehrstimmigen Glückwünsche wurden ausgerufen, gefolgt von Applaus, dem sich alle Gäste anschlossen, auch Flordelis. Diesmal brachte er sogar ein halbes Lächeln zustande, als Julie in seine Richtung sah. Das schien sie aber noch mehr zu verärgern als zuvor. Jedenfalls ließ ihre finstere Miene einen Schauer über seinen Rücken fahren.

Julie wandte ihren Blick wieder von ihm ab. Henri bedankte sich strahlend für die Glückwünsche. »Deswegen wünschen wir Ihnen nun ein großartiges Fest. Essen und trinken Sie so viel Sie wollen! Teilen Sie unsere Freude! Das ist alles, was wir uns heute von Ihnen wünschen.«

Platan und einige andere Gäste versammelten sich sofort um sie beide, um ihnen noch persönlich mitzuteilen, wie sehr man sich für das Paar freute. Flordelis behielt Platan dabei im Auge, wofür er sogar einige potentielle Geschäftspartner, die mit ihm reden wollten – dieselben wie letztes Mal und wenn er sich richtig erinnerte auch davor –, vertrösten musste. Es würde ihm wahrscheinlich leid tun, sobald er die Zeitschleife durchbrochen hatte, aber dann könnte er sich immer noch entschuldigen.

Kaum ließ Platan von Julie und Henri ab, ging Flordelis auf ihn zu und ergriff ihn am Ellenbogen, um ihn mit sich zu ziehen. »Ich muss unbedingt mit dir reden.«

Platan blinzelte ihn überrascht an. »Bonjour, Flordelis~. Du bist heute aber sehr stürmisch.«

Statt etwas darauf zu sagen, brachte Flordelis ihn in eine ruhige Ecke. Da sich gerade alle um das Paar kümmerten, beachtete sie niemand weiter. Ein Glück, denn das Thema, das er ansprechen wollte, benötigte keine Zuhörer.

So ernst wie möglich sah er seinen Freund an. »Platan, was weißt du über Zeitschleifen?«

»Oh, es gibt wunderbare Geschichten darüber«, antwortete er enthusiastisch. »Besonders in Sinnoh, wo man immerhin Dialga als Gottheit verehrt, die den Lauf der Zeit bestimmt. Es heißt, schlägt das Herz von Dialga, läuft die Zeit normal. Wenn man davon ausgeht, könnte eine Herzstörung bei Dialga auch zu einer Zeitschleife führen.« Platan blickte plötzlich betrübt drein. »Aber das wäre ja tragisch.« Sein Gesicht klärte sich wieder auf. »Warum fragst du eigentlich? Hast du Lust auf eine Geschichte? Ich kann dir eine erzählen, aber es wäre das erste Mal, dass du dir auf einer Gala dafür Zeit nimmst, das macht mich durchaus neugierig.«

Seine Neugier war genau das, was Flordelis brauchte. Platan hätte ihm bestimmt auch so zugehört, aber es konnte nicht schaden, wenn er vollkommen involviert war.

»Ich weiß, dass es verrückt klingen mag«, begann er, »aber ich habe diese Gala schon einmal erlebt. Wahrscheinlich schon zweimal. Oder mehr.«

Zu seiner Überraschung lachte Platan. »Bist du sicher, dass das nicht einfach nur deiner Abneigung gegenüber Galas zuzuschreiben ist? Als wir letzte Woche darüber geredet haben, meintest du ja noch, dass sie alle gleich seien und du deswegen heute gar nicht herkommen willst.«

Das hatte er wirklich gesagt. Innerlich verfluchte er sich gerade selbst. Er hatte gehofft, Platan würde ihm ohne größere Überzeugungsarbeit glauben, aber anscheinend war es nicht so einfach.

»Ich bin mir absolut sicher. Ich wusste schon im Vorfeld, wie dieser Stein aussehen würde und auch, dass Monsieur Henri seine Verlobung mit Julie bekanntgeben würde.«

»Hast du vor, ihr noch zu gratulieren?«

»Das ist nicht das Thema«, erwiderte Flordelis verärgert. »Aber falls du es unbedingt wissen musst: Ich habe ihr schon letztes Mal nicht gratuliert und du hast es auch da schon bemerkt, weil du mich den ganzen Abend beobachtet hast.«

Platans Lächeln schwand für einen flüchtigen Augenblick. »Warum sollte ich dich den ganzen Abend beobachten?«

»Das habe ich dich auch gefragt. Du hast darauf geantwortet, dass du mich einfach gern beobachtest, weil ich eine sehr eindrucksvolle Erscheinung wäre.«

Die Aussage verwirrte ihn immer noch, aber diesmal hatte er keinen Champagner in der Hand, den er einfach trinken könnte. Deswegen konzentrierte er sich einfach auf Platan, dessen Augen inzwischen erstaunt geweitet waren. »Du hast diesen Abend wirklich schon einmal erlebt.«

Flordelis freute sich darüber, dass Platan ihm glaubte, aber etwas daran irritierte ihn doch noch: »Das hat dich jetzt überzeugt?«

Er hätte mit einigen anderen Dingen gerechnet, die er als Beweise anbringen müsste, wie etwa eine Vorhersage, was zu einem bestimmten Zeitpunkt auf der Gala geschehen würde.

»Nun«, sagte Platan, »ich habe dir bislang nie erzählt, dass ich dich gern beobachte – und schon gar nicht, warum. Wenn du also nicht meine Gedanken lesen kannst, ist das nur so möglich.«

»Interessanterweise haben wir letztes Mal darüber gesprochen, dass ich dich schon so gut kenne, dass ich deine Gedanken lesen kann

Platans Augen glitzerten regelrecht vor Begeisterung. »Oh, wirklich? Wie faszinierend. Worüber haben wir noch gesprochen?«

»Über Julie und mich.« Nachdenklich strich Flordelis sich über den Bart. »Wärst du eigentlich gewillt, mir zu erklären, was ein Pampuli ist?«

Platan lachte verlegen. »Oh je. Habe ich das erwähnt? Pampuli ist ein sehr stures und eigensinniges Pokémon. Aber es ist auch sehr stark, deswegen … ist es irgendwie auch ein Kompliment.«

Also traf Platans Aussage zu, dass es nur die Wahrheit war. Er und Julie waren beide sehr stur und das schon immer. Deswegen zog sich diese Auseinandersetzung zwischen ihnen so lange hin.

»Aber davon ab«, fuhr Platan fort, bevor Flordelis mit mehr als einem Nicken reagieren konnte, »würde ich gern mehr über diese Zeitschleife wissen. Erzähl mir alles.«

Gut, sie kamen zum Thema zurück und näherten sich damit hoffentlich bald einer Lösung. »Ich weiß nicht, wie oft ich diese Gala bereits erlebt habe. Letztes Mal dachte ich, es wäre nur ein Traum gewesen, als ich im Wagen zu mir kam, nachdem ich bei der Abreise eingeschlafen war. Aber als ich diesmal aufgewacht bin, war es vollkommen klar.«

Warum auch immer. Vielleicht hing das mit dem seltsam verwirrenden Traum zusammen, den er kurz vor dem Aufwachen durchlebt hatte. Das brachte ihn jedoch nicht weiter, denn dieser bestand nur aus Farben und Rauschen.

Platan legte eine Hand an sein Kinn und nickte verstehend. »Also bist du schon mindestens zum dritten Mal hier.«

»So ist es. Wenn ich aufwache, ist es 20 Uhr, und wenn ich wieder einschlafe, ist es kurz vor Mitternacht.«

»Ah, du gehst also jedes Mal vor Mitternacht. Das ist typisch für dich.«

»Ich habe anderes zu tun, als auf einer Gala mit all diesen falschen Leuten zu reden.« Oder Julie zu beobachten. »Aber eigenartigerweise scheint sich bei jeder Wiederholung etwas zu ändern. Beim ersten Mal hat Monsieur Henri nur den Stein enthüllt. Beim letzten Mal hat er ihre Verlobung bekannt gegeben. Und dieses Mal hat er vorher noch mit mir darüber gesprochen, ob es für mich überhaupt in Ordnung wäre, es zu verkünden.«

Soweit er sich erinnerte, waren dies die einzigen Änderungen. Aber er verstand immer noch nicht, was es damit auf sich haben mochte.

Lachend zwinkerte Platan ihm zu. »Vielleicht kannst du diese Schleife ja durchbrechen, wenn du dich endlich mit Julie versöhnst.«

»Das würde dir gefallen, hm?« Abwehrend verschränkte er die Arme vor der Brust. »Ich verzichte weiterhin darauf. Hast du noch andere Ideen?«

»Wir könnten etwas ausprobieren, während ich dir Geschichten über Pokémon erzähle, die dazu in der Lage sind, die Zeit zu beeinflussen.« Wieder war er voller Enthusiasmus, als freute er sich am meisten, Geschichten erzählen zu dürfen. »Vielleicht fällt dir bei diesen Erzählungen schon etwas ein, was dir ohne den richtigen Kontext bislang nur nicht aufgefallen ist. Ansonsten musst du etwas tun, das du auch nur ungern tust.«

Flordelis runzelte seine Stirn. »Worum handelt es sich?«

»Bleib bis Mitternacht.« Platan lächelte sanft. »Manchmal ist die simpelste Antwort auch die richtige. Falls die Zeitschleife dann noch einmal anfängt, kannst du immer noch etwas anderes tun.«

Wieder musste Flordelis an Julies Nachricht denken. Warum gehst du immer?

Steckte am Ende wirklich Julie oder ihr gemeinsamer Konflikt hinter der Zeitschleife? Wollte sie um Mitternacht mit ihm reden? Selbst falls es nur wieder zu einem Streit führte, könnte es nicht schaden, wenn er es ausprobierte. Besonders wenn es beinhaltete, dass Platan ihm Geschichten erzählte. Ja, in diesem Fall wäre es nur ein kleines Opfer.

Deswegen vollführte er eine einladende Handbewegung. »Du wirst deinen Willen bekommen, ich bleibe bis Mitternacht. Erzähl mir dafür alle Geschichten, die dir, passend zu unserer Situation, einfallen.«

Platans Augen glänzten regelrecht. »Oh, mein Lieber, diese Worte wirst du noch bereuen~. Ich fange am besten mit Geschichten über Dialga selbst an. Weißt du, in Legenden erzählt man sich, mit Dialgas Geburt begann der Lauf der Zeit. Deswegen wird es als Gottheit verehrt, und es kann den Fluss der Zeit so manipulieren, dass es frei zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wandelt. Deswegen war es bislang unmöglich, dieses Legendäre Pokémon zu erfassen und zu untersuchen. Aber es gibt eine Geschichte über Dialgas letzte Sichtung. Und die beginnt vor Hunderten von Jahren in der Hisui-Region ...«

 

Flordelis unterbrach Platan kein einziges Mal, während er erzählte. Fast vier Stunden lang, alle Geschichten, die er von Dialga kannte. Sein Freund erzählte ausführlich und lebhaft, so wie eh und je. Manchmal machte er eine kurze Pause, um einen Schluck zu trinken – die Kellner kamen auffallend oft bei ihnen vorbei, um ihnen Getränke oder Snacks anzubieten und Platan kurz zuzuhören –, aber ansonsten blieb er vollkommen bei der Sache. Es war so bewundernswert, dass Flordelis' Herz schneller schlug, während er ihm lauschte. Glücklicherweise gab es genug Champagner, um das zu verdrängen und es nicht hinterfragen zu müssen.

»... und dann erlaubte Dialga es den Helden, die Zahnräder der Zeit im Turmsockel einzusetzen, was die Lähmung des Planeten unterbrach. Damit war die Welt gerettet, was mit einer großen Feier zelebriert wurde, ähnlich großartig wie diese Gala zweifellos.«

Der letzte Satz holte Flordelis unsanft wieder in die Realität zurück. Er bedankte sich dennoch lächelnd bei seinem Freund. »Waren das jetzt alle Geschichten, die mit Dialga zu tun haben?«

Platan nickte. »Jedenfalls alle, die ich kenne. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal dazu komme, sie alle auf einmal zu erzählen. Vielleicht sollte ich den Zeitschleifen dafür dankbar sein.« Er lachte. »Am Ende bin ich derjenige, der für alles verantwortlich ist, weil ich einfach nur Geschichten erzählen wollte.«

Das bezweifelte Flordelis sehr stark, deswegen schmunzelte er, ging aber dennoch darauf ein: »Falls ja, dann dürfte diese Schleife ja erfolgreich durchbrochen worden sein.«

Platan zwinkerte ihm zu, dann warf er einen Blick auf seine Uhr. »Sieh an, es ist kurz vor Mitternacht und du bist noch da. Eine richtige Premiere~.«

»Dann werden wir ja gleich erleben, ob das alles ist, was es braucht.« Flordelis hoffte es wirklich.

»Und?«, fragte Platan. »Ist dir an den Geschichten irgendetwas aufgefallen, was dir vorher vielleicht entgangen ist?«

Flordelis schüttelte mit dem Kopf. »Nein. Außerdem wüsste ich nicht, warum eine Gottheit diese Zeitschleife erschaffen sollte, nur um mich zu verärgern.«

»Vielleicht ist das Ziel ein anderes«, sagte Platan. »Aber ich wüsste auch nicht, was es für eines sein könnte. Und warum du und Julie darin so im Mittelpunkt steht.«

Auch ohne es bereits erlebt zu haben, wusste Flordelis, was als nächstes kommen würde, aber er war trotzdem nicht schnell genug, um Platans nächste Worte aufzuhalten: »Vielleicht seid ihr vom Schicksal füreinander bestimmt! Wäre das nicht wundervoll?«

Obwohl sein Freund begeistert klang und sogar lächelte, wirkten seine Augen seltsam trüb. Für ihn wäre das offensichtlich nicht wundervoll. Aus welchem Grund auch immer. Aber Flordelis wollte ihn nicht so sehen, deswegen wehrte er das direkt ab: »Ich bezweifle, dass dem so ist. Vielmehr denke ich, dass-«

Ein stechender Schmerz in seinem Rücken ließ ihn abrupt innehalten. Etwas bewegte sich in ihm, wühlte durch seine Brust und entfachte dabei ein geradezu lähmendes Feuer. Den Bruchteil einer Sekunde später – es fühlte sich wie eine quälende Ewigkeit an – spritzte eine rote Flüssigkeit auf Platans Gesicht, das sich in eine entsetzte Grimasse verwandelte, während er Flordelis anstarrte.

»Danke, dass du geblieben bist~«, flüsterte Julie hinter ihm geradezu lieblich in sein Ohr.

Mit einem Ruck wurde etwas aus seiner Brust entfernt. Die Schmerzen explodierten regelrecht und nahmen ihm jegliche Kraft. Platan rief seinen Namen, als Flordelis zu Boden sank. Jemand hielt ihn fest, aber jede Berührung sandte grell-weiße Flammen durch ihn hindurch, die verhinderten, dass er sich bewegte. Sein ganzer Körper brannte, er war nicht mehr Flordelis, er war nur noch Schmerz.

Geräusche, Stimmen vermengten sich zu einem seltsamen Rauschen, das sich seltsam dumpf in seinen Ohren anhörte. Durch den tiefroten Schleier vor seinen Augen konnte er nichts erkennen.

Julies Worte echote durch sein Inneres, durch den Schmerz, der ihn ausmachte: Warum gehst du immer? Danke, dass du geblieben bist~.

Zwei so unterschiedliche Sätze, die etwas in ihm zu zerbrechen drohten. Aber er konnte das nicht zulassen, er durfte es nicht. Er wusste nicht, woher diese Überzeugung kam, doch er wusste, dass es wahrhaftig war. Wenn dieses Etwas zerbrach, geschah etwas Schreckliches, etwas nie wieder Gutzumachendes.

Die Kanten des Schmerzes wurden langsam dumpf. Die Welt dunkler. Gleichgültigkeit setzte ein.

Durch den Schleier sah er plötzlich das panische Gesicht eines Mannes, der ihm etwas bedeuten müsste. Glaubte er. Der Mann bewegte seine Lippen, doch kein Laut erreichte ihn. Bedauerlich. Vielleicht. Er erinnerte sich nicht. Es kümmerte ihn auch nicht mehr.

Als seine Lider zu schwer wurden, schloss er seine Augen. Und dann erlosch der Schmerz und auch das letzte Überbleibsel des Mannes, der einst Flordelis gewesen war, schwand aus diesem von der Zeitschleife geschaffenen Konstrukt – um im nächsten wieder aufzuwachen.

 
 



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