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Aschenstaub

Der erste Zauberkrieg
von

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Grau in grau


 

Nahe Lake Windermere, Februar 1971

 

»Schnell jetzt – und leise!«

Die Worte waren kaum mehr als ein Zischen. Ein Mensch hätte sie leicht mit dem Rauschen des Windes verwechseln können. Doch für das ausgezeichnete Gehör einer Katze waren sie bestens zu verstehen.

»Und du bist dir sicher?«

»Wenn ich es doch sage!«

Zwei Männer. Dem Apparierknall vor wenigen Sekunden zufolge Zauberer. Die erste Stimme reif genug für einen vom Leben enttäuschten Vierzigjährigen mit Raucherproblem, die andere deutlich jünger – und dennoch beide mit einem ähnlich schneidenden Ton ausgestattet.

»Revelio!«, fauchte es zusammen mit der nächsten Böe durch die Nacht.

Gespannt hielt alles die Luft an. Sonst geschah nichts. Der Himmel blieb dunkel, das Säuseln des Windes im Gras das einzige andere Geräusch. Der ältere Zauberer brummte jedoch, scheinbar zufrieden.

»Habe ich es nicht gesagt? Wir sind hier richtig.«

Sein Partner schnaubte. Dann knirschte Kies unter schweren Stiefeln. Schnelle Schritte näherten sich, begleitet von Umhangrascheln. Noch bevor die Unbekannten in Sicht kamen, roch man sie allerdings. Vorausgesetzt, die eigene Nase war ebenso fein wie jene der Katze, welche im Schutz einer Lorbeerhecke die Ankunft überwachte. Zumindest für ihr Empfinden stanken die beiden Männer nach gewaltiger, wenngleich verbrauchter Magie. Ein bisschen so, als hätten sie eben an einen Elektrozaun gefasst und erst viel zu spät losgelassen.

Vielleicht hatten sie vor Kurzem noch gegen Auroren gekämpft?

Das wäre zumindest eine Erklärung für ihre unregelmäßig, ja geradezu erregt pulsierenden Auren. Die schützenden Magiemembranen, unsichtbar für menschliche Augen, glühten in Katzensicht eine orange, die andere schlammig-grün. Beschienen von diesem Licht erkannte man auch die Neuankömmlinge selber, welche von weiter unten des Weges kamen. Beide waren maskiert und in dunkle Roben mit silbernen Schließen gehüllt. Aurenfarben mochten unerklärlich sein, aber dieser Aufzug war es nicht, genauso wenig wie die Löcher in den bunten Membranen. Letztes schuf nur der häufige Gebrauch schwärzester Magie. Flüche, die Leben raubten oder Seelen quälten.

Der jüngsten Erfahrung nach fing dieser Prozess damit an, dass die Ränder einer Aura langsam ins Nichts zerfaserten. Dann legten sich erste graue Schleier über die einst so kräftige Farbe. Bis sie offenbar ganz zerriss und die Schwärze der Nacht durchschien, so wie bei diesen Männern – Todessern.

Unwillkürlich drückte sich die Katze tiefer gegen die Erde, in deren Kälte die Erinnerung an den gerade erst überwundenen Winter lauerte. Weder Ohr noch Schwanzspitze zuckten. Nicht mal ein Schnurrhaar regte sich.

»Bist du dir wirklich sicher, dass es hier ist?«, zischte der jüngere Zauberer in diesem Moment. »Da vorne ist nämlich eine beschissene Kirche!«

»Was hast du an ‚leise‘ eigentlich nicht verstanden?« Selber alles andere als still, wirbelte der zweite Mann auf dem Kiesweg herum. Sein Umhang bauschte sich im Wind auf und raubte beinahe die Sicht auf den gezogenen Zauberstab, den er seinem Kumpan gegen die Brust stieß. »Noch ein Wort –«

»Dann was? Du brauchst mich, nicht umgekehrt!«

Der Ältere imitierte mit seinem Knurren – wohl unfreiwillig – einen tollwütigen Crup. »Ich an deiner Stelle, Flubberwürmchen, würde mich nicht darauf ausruhen.« Mit diesen Worten drehte er sich wieder um.

Sein Begleiter straffte die Schultern. Aufgrund der Maske unter seiner Kapuze konnte man den Gesichtsausdruck des Jungen zwar nicht erkennen, doch spätestens nachdem er die Fäuste in den schwarzen Lederhandschuhen geballt hatte, war offenkundig, dass er diese Maßregelung nicht einfach hinnahm. Trotzdem folgte er dem anderen.

Die Katze wartete, bis zwei Paar schlammverkrustete Stiefel unter silbern bestickten Umhangsäumen an ihrem Versteck vorbeigezogen waren, dann setzte sie sich ebenfalls in Bewegung. Im Gegensatz zu den Schuhen der Männer entlockten ihre Pfoten dem Untergrund nicht ein Geräusch. Außerdem kannte sie den besten Schleichweg durch die trockene Hecke schon seit Wochen. Mal musste sie über die Erde robben, dann wieder war es leichter, durch eine Lücke im Blattwerk zu springen. Um das Nest voller Feen im (viel zu seichten) Winterschlaf machte sie einen Bogen und so gelang es ihr mühelos, den Zauberern unbemerkt zu folgen.

An einer kleinen Mauer stoppten die beiden. »Vorsicht«, warnte der Ältere. Er fuhr mit ausgestrecktem Zauberstab durch die Nachtluft. Seine Stimme gewann einen hämischen Unterton. »Gideon hat eine Schutzlinie gezogen. Nur wer das Mal des Dunklen Lords trägt, kann sie überschreiten. Alle anderen erwartet eine nette Überraschung.«

Viele, kleine Katzenherzschläge und nur wenige Menschenherzschläge lang herrschte Schweigen. Dann spuckte der andere Zauberer durch den vergitterten Mundschlitz seiner Silbermaske auf den Boden. »Also? Wenn ich nicht draußen warten soll, brech den Bann«, forderte er seinen Begleiter auf.

»Hah.« Der erste (oder eher einzige wahre) Todesser vergaß endgültig, leise zu sein, und lachte auf. »Aber ich brauche dich, was? Dabei bist du derjenige, der sich seine Sporen noch verdienen muss, Flubberwürmchen!«

Es gab nur ein ganz leises Geräusch, doch die Katze war sicher, den jungen Adepten von Lord Voldemort mit den Zähnen knirschen zu hören. Todesmutig wagte sie sich im Schatten der Hecke ein paar Schritte näher. Fast bis an die Steinmauer, über der in ihrer Sicht ein kaum erkenntlicher grüner Schleier lag. Bei ihrem ersten Besuch hätte sie den Schutzbann daher auch um ein Haar übersehen – im wahrsten Sinne des Wortes. Nur einem angesengten Schnurrhaar war es zu verdanken, dass sich ihr die Gefahr enthüllt hatte. Seitdem hielt sie Abstand.

Ihr winziges Herz schlug schneller und schneller, während sie beobachtete, wie der ältere Mann seine Zauberstabspitze in die Luft vor sich stach. Als würde er ein Messer führen, schnitt er ein Dreieck ins Nichts. An jeder Ecke murmelte er ein anderes, unverständliches Wort. Zweimal wiederholte er den Vorgang – dann leuchteten die bis dahin unsichtbaren Spuren seiner Bewegung plötzlich giftgrün auf.

Der Zauberer neigte sein Haupt. »Verzeih unser gewaltsames Eindringen, Bruder«, murmelte er.

Eine kreisförmige Welle lief durch das leuchtende Symbol. Daraufhin verschwand beides von jetzt auf gleich – zusammen mit einem Geräusch, dessen Klang nicht einmal die Katzenohren wahrgenommen hatten. Erst sein Fehlen machte bewusst, dass es dagewesen war. Beschreiben ließ es sich dennoch nicht. Und mit dem nächsten Windstoß wehte schließlich eine sachte Wärme heran, die alle Gedanken daran vertrieb. Oder war es eher das plötzliche Fehlen einer gewissen Fluchkälte, die einen aufatmen ließ?

Es reichte jedenfalls, damit sich das gesträubte Nackenfell der Katze glättete. Auch die beiden Zauberer schienen zufrieden, denn sie setzten sich wieder in Bewegung. Quietschend glitt das alte Holztor in der Mauer auf. Die verborgene Beobachterin grub ihre Krallen fester in den Boden, ihre Hinterbeine zum Sprung gebeugt. Zehn, zählte sie innerlich herab, neun, acht, sieben, sechs –

»Argh!« Das war der Junge. Er stöhnte, offenbar vor Schmerz. »So eine verfickte Scheiße –«

»Pass doch auf, hier stehen Grabsteine!«

»Wie soll ich das denn sehen, wenn es hier dunkler als im Trollarsch ist? Es scheint ja nicht mal der Mond!«

»Friedhöfe gehören halt zu Kirchen, das weiß man doch, du Flubberwurm.«

»Und deshalb soll ich wissen, wo die vermaledeiten Scheißsteine stehen? Ehrlich nicht, ich hätte die Hand des Ruhmes behalten sollen –«

Der Ältere schnalzte mit der Zunge. »Egal, vorwärts«, kommandierte er.

Ganz in ihren Streit versunken, sah keiner von beiden die Katze nur ein paar Schritte weiter hinter über die Mauerkrone springen. Dank ihrem grau-schwarz getigerten Fell eins mit der Nacht, verschwand sie sogleich wieder im hohen Gras. Auf ihrem wahren Gesicht hätte sich jetzt ein Grinsen ausgebreitet, denn im Gegensatz zu den Männern erkannte sie die windschiefen Grabsteine klar und deutlich. Auf den Vordersten konnte sie sogar die Inschriften lesen. Ihre Fernsicht mochte in dieser Form eingeschränkt sein, aber dafür barg die Dunkelheit keine Geheimnisse mehr für sie. Eilig analysierte sie das neue Terrain, ehe sie in den Schutz eines marmornen Engels pirschte.

Derweil holte der Junge humpelnd zu seinem Mentor auf. »Warum sollte Rosier ausgerechnet hier ein Labor unterhalten haben?«, fragte er. »Hier stinkt es nach Muggeln, selbst wenn die tot sind!«

»Weiß ich nicht und es ist mir auch egal«, erwiderte der andere barsch.

»Aber wenn er unbedingt eine Kirche wollte, hätte er sich doch eine reformierte Zaubergemeinschaft suchen können.«

»Hätte, hätte ... ist doch fickegal. Hauptsache, wir bekommen das, wonach –«

Anstatt Worten folgte Würgen. Unter den steinernen Engelsflügeln hindurch beobachtete die Katze, wie sich der Todesser an die Schulter des anderen klammerte. Sein nächster Atemzug verwandelte sich in ein Röcheln.

»Wer von uns beiden ist jetzt der Idiot?«, murmelte der Junge. Halbherzig klopfte er seinem Begleiter den Rücken.

Mehr schien er immerhin nicht unternehmen zu müssen, denn dieser holte plötzlich scharf Luft, räusperte sich einmal und schon war der Spuk vorbei. »Hauptsache, wir bekommen, wonach unser Auftraggeber verlangt«, vollendete er seinen Satz, als wäre nie etwas gewesen.

»In einer Muggelkirche ...?«

»Warum nicht? Bei Merlin, nervst du. Gideon wird sich dabei schon was gedacht haben. Los jetzt, rein mit dir!«

»Ich bin doch nicht bescheuert! Bestimmt sind da noch ganz andere Banne über dem Gebäude. Ich für meinen Teil hätte welche benutzt, die schön wehtun.«

»Na dann kannst du sie ja auch finden und aufheben, wenn du doch so schlau bist.«

Der Junge zückte seinen Zauberstab. »Nichts lieber als das«, erwiderte er kühl.

Zusammen mit ihm richtete auch die Katze ihre Aufmerksamkeit auf die kleine Kapelle hinter den Grabsteinen. Um wirklich als Kirche bezeichnet zu werden, reichte es ihrer Erfahrung nach nicht. Das Gemäuer stand bestimmt seit zweihundert, wenn nicht dreihundert Jahren hier, so verwittert waren die Wände. Efeu bedeckte fast die gesamte Längsseite und vom Dach fehlten einige Schindeln. Mindestens eines der Fenster hatte außerdem ein quaffelgroßes Loch. In einem Reiseführer der Gegend hätte man den alten Friedhof samt Trauerkapelle sicherlich als malerisches Kleinod mit wunderbarer Aussicht auf den Lake District angepriesen. Ein bisschen ländlicher Charme für den abenteuerlustigen Wanderer ... Wenn neben den Abwehrzaubern nicht eine gewisse dunkle Atmosphäre gewesen wäre, die selbst in tiefster Nacht wie eine Gewitterwolke über dem Ort hing.

Immerhin, der junge ‚Flubberwurm‘ war nicht naiv, stellte die Katze fest. Er hatte recht, dass die Kapelle extra gesichert war. Je nachdem, wie sie den Kopf neigte, erkannte sie eine leichte Unschärfe an den Kanten des Gebäudes. Dies blieb allerdings das einzige Indiz für einen Schutzzauber. Verdammt gute Magie, das musste sie anerkennen. Die meisten Zauber versagten, wenn ihr Erschaffer das Zeitliche segnete. Als hätte es noch einen Beweis gebraucht, dass Gideon Rosier mächtig – und gefährlich – gewesen war ...

In weiser Voraussicht hielt sie sich versteckt. Es war einfacher, andere die Drecksarbeit erledigen zu lassen, auch wenn es ihr nicht immer leichtfiel. Ihr Moment würde später kommen. Lange dauerte es ohnehin nicht, da wies der Junge erste Erfolge vor. Einen Zauber nach dem anderen brachte er den Bann zum Einsturz, anstatt nur sich und seinem Begleiter ein Schlupfloch zu schaffen. Schnell, aber einfältig. Genau wie erhofft.

Immer noch lautlos jagte sie näher heran, im Zickzack von Grabstein zu Grabstein. Fremde Namen und weit zurückliegende Daten zogen an ihr vorbei. Blumen, Grablichter oder andere Gaben für die Toten fehlten hingegen ganz. Aber das erleichterte ihr nur den Weg.

Gerade umrundete sie ein Granitkreuz, da schoss ein warnendes Kribbeln durch ihre Schnurrhaare. Als wäre sie mit einer unsichtbaren Wand kollidiert. Sie hielt inne. Zwei Pfoten noch im Lauf erhoben, witterte sie. Es roch muffig. Nach Herbst, wenn das Laub vermoderte und Pilze sprossen. Nur intensiver, aber der Eindruck konnte an den empfindlichen Katzensinnen liegen. Geduckt schaute sie um die Ecke.

Bloß vier, vielleicht fünf Meter trennten sie noch vom Eingang zur Kapelle. Die Todesser standen an derselben Stelle wie zuvor und schwangen nun beide den Zauberstab. Doch zwischen denen und ihrem Versteck klaffte ein Erdloch. Kaum drei Stablängen von ihr entfernt – die Quelle des kräftigen Geruchs.

Jede Faser ihres Katzenkörpers zog sich zusammen, als sie sich fast schon auf dem Bauch liegend dorthin vorschob. Natürlich hätte sie einen anderen Weg suchen können, doch der Weg des geringsten Widerstandes war nie ihrer gewesen. Also kniff sie das Näschen zu und warf einen Blick in das ... Grab? Dort unten befand sich nichts außer ein paar dicken Würmern, aber die Länge und Tiefe hätte für einen Sarg gepasst. Von dem war allerdings nicht eine Spur zu sehen, genauso wenig von der fehlenden Erde. Das konnte kein gutes Zeichen sein.

Unwillkürlich zuckten ihre aufgereckten Katzenohren. Aus Richtung der Kapelle erklang ein Knarzen wie das letzte Wehklagen eines Baums, der gefällt wurde. Die beiden Todesser hatten es geschafft und die Eingangstür aufgestoßen. Bevor die schweren Holzflügel wieder zuschlagen konnten, sprang sie. Anstatt sich im Schutz der Grabsteine zu bewegen, rannte sie geradewegs auf den Eingang zu.

Dort angekommen hielt sie nicht inne, sondern schob sich ohne Nachdenken in den stetig schrumpfenden Spalt. Mauerwerk und Tür rieben über ihre Schnurrhaare, dass es schmerzte. Die Lücke war eng – zu eng? – und jeder Zentimeter stach nadelgleich in ihrem Kopf. Sämtliche Instinkte schrien sie an, nicht weiterzulaufen. Doch das gab ihr nur den letzten Schwung und sobald sie über den kalten Steinboden in die Kapelle schlitterte, spürte sie an der Schwanzspitze den Luftzug, mit dem die Tür zufiel. Beinahe hätte sie vor Erleichterung geseufzt. Nur die Erinnerung an die beiden Zauberer hielt sie davon ab, sich mit einem Miauen zu verraten.

Zum Glück sahen die Männer nicht zurück, sondern in den Raum hinein. Das gab ihr Gelegenheit, unter die erstbeste Sitzbank zu flüchten – mitten in ein Spinnennetz. Angewidert rieb sie mit der Hinterpfote über ihre ramponierten Schnurrhaare, bevor die kitzelnden Seidenfäden ihr ein Niesen entlockten. Unterdessen hörte sie den Jungen einen Feuerzauber wirken. Knisternd entfaltete sich eine kleine Flamme irgendwo in der Dunkelheit. Ihr Sichtvorteil schmolz auf die zurückbleibenden Schatten zusammen, in die sie sich prompt fester drückte.

»Hier ist nichts!«, grummelte der Junge. »Nicht mal rostige Kessel ...«

»Tsss.« Sein Begleiter machte ein paar Schritte vorwärts und drehte sich auf der Stelle, dass seine Sohlen über den glatten Stein quietschten. »Hast du dich nicht eben noch für deine Kenntnisse an Schutzzauber gerühmt? Gideon wird sein Forschungsequipment vor neugierigen Augen verborgen haben!«

»Nachdem das ganze Grundstück doppelt und dreifach gesichert ist? Das wäre doch nur lästig, selbst für Rosier. Ich sage, wir sind zu spät.«

Sie stützte sich mit ihren Vorderpfoten auf die Kniebank fürs Gebet und linste in den Mittelgang hinein. Tatsächlich war der Kapellenraum komplett unauffällig. Ein kleiner Altar ganz vorne – auf dem die Kerze brannte –, drei Holzbänke auf jeder Seite und eine Statuette der Jungfrau Maria zählten zu den wenigen, staubigen Einrichtungselementen.

Der ältere Todesser warf immer wieder seinen Zauberstab an einem Ende hoch, um ihn nach einer Umdrehung aufzufangen. »Hier muss etwas sein«, zischte er leise. »Sonst wäre es ... ihm nicht so wichtig, dass wir gründlich sind.«

Doch erneut gaben die Katzensinne dem Jungen recht. Außer dem Geschmack alter Magie war in dem Raum nichts Ungewöhnliches. Kein verräterisches Flirren in einer Ecke oder das leise Vibrieren von Bannen. Nur das stechende Gefühl von blankem Kupfer auf der Zungenspitze bewies, dass hier viel gezaubert worden war. Die Rückstände verrieten nicht, was geschehen war, aber sie reichten, um das Katzenfell erneut zu sträuben.

Aus Erfahrung wusste die Beobachterin, dass harmlose Kunststücke wie Schwebezauber in ihrer tierischen Wahrnehmung einen eher frischen, minzartigen Eindruck hinterließen. Verteidigungszauber und weitere, defensive Magie hingegen prickelten wie zischende Wissbies. Wieder andere Zauber oder Scherzflüche schmeckten nach der rußigen Luft an einem Kaminfeuer. Und die schwarzen Künste ... waren unberechenbar, aber niemals angenehm. Selbst wenn es nicht im wahrsten Sinne des Wortes zum Himmel stank – dunkle Flüche schufen einen ganz eigenen Abdruck, der einem wie unsichtbare Dementorenfinger über das Rückgrat strich.

Die beiden Männer bemerkten von all dem offenbar nichts. Mit gezückten Zauberstäben trampelten sie durch den Raum und stachen immer wieder wahllos in die Luft vor sich, gemurmelte Enthüllungszauber auf den Lippen. Sogar einige Fliesen brach der Ältere mit einem Fluch auf, weil er meinte, sie würden hohl klingen. Und nachdem ihn diese enttäuschten, ging er dazu über, den Altar zu traktieren.

Diese blinde Ignoranz gegenüber dem heiligen Ort brannte im Katzenherz. Noch waren es nur ihre Krallen, die aus ihren weichen Pfoten hervorbrachen und sich lautlos gegen den Boden drückten, doch der Drang wuchs, ihr Versteckspiel zu beenden. Fell und Versteck hinter sich zu lassen ... Aber nein, noch nicht. Falls etwas geschah. Sie brauchte Informationen!

Also schlüpfte sie vorsichtig von der Bank in den nächsten Schatten. Jetzt kam es darauf an. Ein Fehler konnte sie das Leben kosten. War sie eben pfeilschnell einhergejagt, fand nun jede Bewegung in Zeitlupe statt. Immer wieder erstarrten ihre Glieder, wenn einer der Zauberer plötzlich innehielt – als hätte sie ein Versteinerungszauber getroffen. Mitten im Schritt verharrte sie dann, nur damit sich alle Anspannung mit so etwas Lächerlichem wie einem Niesen des Älteren auflöste.

In einigem Abstand zu ihren beiden Observationsobjekten schlich sie so durch den Raum. Selbst wenn alle Spuren der Magie getilgt worden waren – für einen verräterischen Hinweis brauchte es viel weniger. Manchmal waren es die gewöhnlichsten Dinge, die am meisten verrieten. Zum Beispiel ein heller Fleck am Boden.

Ihr Katzenherz setzte einen Schlag aus. Mit eingezogenen Krallen strich sie über die verdächtige Steinfliese vor ihr. Kein Knirschen. Nicht ein Staubkörnchen drückte gegen ihre empfindlichen Ballen. Der Stein rund um den Altar war blank. Als wäre er geputzt worden – stundenlang. Diesen Farbunterschied erkannte sie sogar mit Katzenaugen. Aber selbst die besten Reinigungszauber ihrer Mutter hinterließen keine derart sterile Oberfläche.

Offenbar hatte man viel Wert darauf gelegt, weniger als nichts zurückzulassen. Ungeschickt nur, dass dem Rest der Kapelle nicht dieselbe Aufmerksamkeit zuteilgeworden war, wie sie schnell feststellte. Besonders rechts neben dem Eingangsbereich lagen überall kleine Dreckklumpen verteilt. Obschon sie wusste, dass deren Knirschen nur in Katzenohren wie Donner klang, reckte sie alle paar Schritte den Kopf nach den Zauberern. Die waren allerdings damit beschäftigt, sich gegenseitige Vorwürfe hinsichtlich ihrer mangelnden Kompetenz zu machen.

Davon ermutigt, nahm sie die Zeit für eine gründliche Witterungsprobe. Das Risiko zahlte sich aus, denn ein bekannter Geruch stieg ihr in die Nase. Herbst, Pilze – Lebensfäule. Die Erde stammte nicht vom Kiesweg oder den Stiefeln der Zauberer. Es handelte sich um die kläglichen Überreste der Grube, in die sie fast gestolpert wäre.

Diese Erkenntnis reichte, damit sich ein Bild in ihrem Kopf zusammensetzte. Ein Friedhof, ein offenes Grab, ein fehlender Sarg. Schwarze Magie. Todesser.

Lautlos verschmolz sie wieder mit den Schatten. Bevor die Gelegenheit verstrich, war es Zeit für ihren Rückzug. Und dann ... Phase zwei. Grimmige Entschlossenheit sträubte das Fell in ihrem Nacken. Aber zunächst das Wichtigste – wo kam sie hinaus?

Die verschlossene Tür war keine Option. Einen zweiten Ausgang gab es nicht. Zumindest keinen, der für Menschen gemacht war. Wohl aber das beschädigte Fenster, das sie schon von draußen bemerkt hatte. Kleiner als ein Quaffel war sie gerade so, die Größe des Lochs sollte also ihr geringstes Problem sein. Die einfache Glasscheibe reichte allerdings nicht ansatzweise zum Boden. Hinausschlüpfen konnte sie somit nicht. Sie musste hindurchspringen.

Schneller noch als ihre Herzschläge rasten ihre Gedanken. Die Gebetsbänke waren der höchste Punkt, den sie vom Boden erreichen konnte ... wenn sie auf deren Rückenlehne kletterte, alle Kraft zusammennahm, sich streckte ... ja, dann sollte es passen. Musste es. Sie durfte nicht warten.

Mit einem Satz gelangte sie auf die Sitzfläche der Bank direkt unterhalb des Fensters. Vorne am Altar wurden die Stimmen der Männer lauter.

»Ich habe den Zauber schon eingesetzt! Glaubst du wirklich, ich bin doof?«

»Pah, du hast undeutlich gesprochen – A-pa-re-cium!«

»Na? Zufrieden? Glaubst du mir jetzt endlich, dass ich den Zauber schon eingesetzt habe? Hier ist nichts versteckt!«

»Dann ...« Der Ältere geriet hörbar ins Straucheln. »Dann benutz halt deine Hände! Vielleicht müssen wir den Altar ohne Magie verschieben ... Vielleicht blockiert etwas unsere Zauber.«

»Na klar. Daran glaubst du doch selber nicht.«

»Nein, aber ich habe nicht vor, unseren Auftraggeber zu enttäuschen. Und glaub mir, wenn wir nicht alles versucht haben, werden wir das bereuen.«

Der Junge stöhnte, zunächst genervt, dann vor Anstrengung. Das nahm die Katze zum Anlass, auf die schmale Rückenlehne der Holzbank zu hüpfen. Sie sah nicht zu den beiden Männern am Altar. Für sie zählte nur das Loch in der Fensterscheibe.

Einatmen. Ausatmen. Anvisieren. Dem Instinkt vertrauen. Nicht denken. Bloß nicht denken ... Laufen. Springen. Strecken! Die scharfkantigen Glassplitter kamen näher, wurden größer – waren vorüber. Sie landete im Gras. Und dann rannte sie. Vorbei an allen Gräbern, über die Steinmauer, hinaus aufs freie Feld. Weiter, den Weg hinunter, um eine Ecke. Bis zu einem kleinen See. Erst unter den Ästen einer Trauerweide bremste sie.

Aber da hörte ihre Bewegung nicht auf. Noch im letzten Schritt zogen sich ihre Gliedmaßen wie von Geisterhand in die Länge. Abrupt verließen ihre Vorderpfoten den Boden und wurden zu feingliedrigen Händen. Aus getigertem Fell wurde schwarzes Haar, grüne Augen verloren ihr Glühen. Keinen Wimpernschlag später trat anstelle der Katze eine junge Frau ans Seeufer.

»Hah ...« Minerva McGonagall keuchte. Die Nachtluft stach in ihren zurückverwandelten Lungen wie der verdammte Cruciatus. Mit einer Hand an den Rippen lehnte sie sich gegen den Stamm der Weide. Nur ein Augenblick ... Fahrig tasteten ihre Finger nach dem Zauberstab in ihrer Umhangtasche.

Da war er ja! Erleichterung durchflutete sie bei der Berührung des warmen Holzes. So ging es ihr immer, nachdem sie zu lange in Katzengestalt unterwegs gewesen war. Manchmal, wenn sie nach der Rückverwandlung die Augen schloss, war ihr glatt, als würde die Drachenherzfaser darin glühen. Oder gar pochen. Fast so beruhigend wie der zweite Herzschlag ihrer Animagusform. Lächelnd zog sie den Stab hervor.

Aus der anderen Tasche ihres Umhangs holte sie eine große Feder. Auch diese war von ureigener Wärme erfüllt. Aber nicht mehr lange. In hastigen Schwüngen kritzelte sie mittels Zauberstab wenige Worte auf die rot-goldene Innenfahne.

Zwei Todesser, Windermere. Schick Auroren. H.P. in zehn.

Das musste reichen. Auf einen ungesagten Zauber hin ging die Phönixfeder in Flammen auf. Binnen Sekunden war sie restlos verschwunden. Nur ein Kitzeln blieb in Minervas Handfläche zurück. Die Zuversicht in ihr wuchs allerdings. Heute würde es einen Sieg zu feiern geben!



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