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Vampire Kiss

Vermouth x Jodie, (Curaçao x Kir)
von

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Jemand schüttelte leicht ihre Schulter. Die Blondine murrte, rollte sich etwas mehr zusammen und verschwand bis zur Nasenspitze unter der Decke. Sie wollte noch nicht aufstehen!

Doch erneut wurde ihre Schulter angestupst und wieder leicht geschüttelt. Jemand gab einen amüsierten Laut von sich. Jodie murrte deutlich unzufriedener.

"Hey, na komm schon, wach auf.", hörte sie eine ihr inzwischen bekannte, männliche Stimme sagen. "Du hast schon den halben Tag verschlafen."

Den halben Tag verschlafen? Diese Worte bewirkten, dass sie schlagartig wacher wurde. Wie spät war es denn? Und überhaupt, das war doch Reis Stimme, richtig? Was suchte denn ausgerechnet der Bodyguard hier?

Die junge Frau schlug die Augen auf und drehte sich auf den Rücken, da die Stimme ganz eindeutig von ihrer anderen Seite aus gekommen war.

Bereits während sie aufwachte und sich drehte, realisierte Jodie, dass sie sich erneut im Vampiranwesen befand. In dem ihr inzwischen so vertrauten Wohnzimmer der Daywalkerin, um genau zu sein.

Bourbon stand hinter dem Sofa und hatte beide Arme auf den Sofarücken gelehnt. Belustigt blickte er auf die noch ganz verschlafene Jägerin hinab. "Na endlich. Ich dachte schon du hältst Winterschlaf.", scherzte er.

Jodie zog fragend und nur mäßig begeistert die Stirn kraus, ehe sie sich aufsetzte und sich einige verirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. "Was machst du denn hier?", wollte sie wissen. "Es gehört sich nicht, ungefragt einfach so in fremden Schlafzimmern aufzutauchen."

Der Bodyguard streckte sich, lief unbeeindruckt durch den Raum und blieb vor dem Sofa stehen.

Im Gegensatz zu Jodie selbst, wirkte Rei recht gut gelaunt.

"Zuerst einmal ist das hier ein Wohnzimmer.", verbesserte er sie. "Und dann wäre da noch die Tatsache, dass es schon nach 11:30 Uhr ist. So lange, wie du geschlafen hast, dachte ich mir, ich sehe lieber mal nach dir."

Die Jägerin seufzte. Es hatte keinen Sinn sich über den Vampir aufzuregen, ändern würde sich dadurch auch nichts.

"Schon so spät?" Sie gähnte hinter vorgehaltener Hand, rieb sich über die noch müden Augen und schlug schließlich die Wolldecke zurück, unter der sie bis eben noch gelegen hatte.

Die Blondine schwang die Beine über die Sofakante, setzte sich auf und gähnte erneut. Prüfend blieb ihr Blick an der Wanduhr hängen, welche sie aktuell jedoch nur sehr verschwommen erkennen konnte. Bourbon erkannte das Problem und deutete mit einer kurzen Geste auf den Wohnzimmertisch, auf dem Jodies Brille lag. Kaum, dass sie diese aufgesetzt hatte, konnte sie die Uhrzeit klar erkennen. Sie stutzte. Es war wirklich schon ziemlich spät. So lange hatte sie geschlafen? Und überhaupt... sie hatte keinerlei Erinnerung daran, wie sie in erster Linie zurück in diesen Raum gelangt war.

Skeptisch legte sie die Stirn in Falten. "Merkwürdig. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, zurück ins Wohnzimmer gelaufen zu sein.", äußerte sie.

Rei lachte leise. "Naja, das liegt daran, dass du gestern so erledigt gewesen sein musst, dass du im Auto eingeschlafen bist. Die Mädels haben dich nicht aufgeweckt bekommen, also musste Curaçao dich von der Tiefgarage aus hier her tragen." Bourbon klang mehr als amüsiert.

"Ich...WAS?!" Jodie entgleiste das Gesicht. Sie sollte es geschafft haben, auf der Fahrt zum Anwesen eingeschlafen zu sein?! Verdammt, jetzt hatte sie den Weg hier her schon wieder nicht mitbekommen. Aber das war nicht das Schlimmste an der ganzen Geschichte. Wenn sie daran dachte, dass sie aus Platzmangel die ganze Fahrt über auf Chris Schoß gesessen hatte und folglich in den Armen der Schauspielerin eingeschlafen sein musste... sie wollte nur noch im Erdboden versinken! Das durfte ja wohl nicht wahr sein! Und als wäre das nicht schon schlimm genug, musste sie so tief geschlafen haben, dass Curaçao sie durchs ganze Haus getragen hatte, wie ein schlafendes Kind!

Wie unglaublich peinlich! Ihr ganzes Gesicht brannte vor Scham. Jodie wünschte sich, dass Rei ihr nie erzählt hätte, wie sie hier hergekommen war. Sie würde doch ganz eindeutig im Erdboden versinken, wenn sie Curaçao oder Chris das nächste Mal begegnete!

"Wie unglaublich peinlich. Das glaube ich einfach nicht...", murmelte sie vor sich hin.

Im nächsten Moment verfluchte sie bereits das gute Gehör der Vampire, da ihr Gegenüber jedes Wort verstanden hatte und sie amüsiert und ein wenig mitleidig zugleich angrinste. "Halb so wild, die beiden haben es mit Humor genommen.", wusste er zu berichten.

Na DAS konnte Jodie sich lebhaft vorstellen.

"Immerhin bist du jetzt ausgeschlafen, oder?", ergriff Rei erneut das Wort.

"Wer den Schaden hat....", murrte die Jägerin peinlich berührt vor sich hin, ehe sie blinzelte, als ihr etwas ganz anderes einfiel. Sie wollte dieses unangenehme Thema schnellstmöglich begraben.

"Da fällt mir ein: Wo ist Chris jetzt eigentlich?"

Mit den Händen begann die junge Frau ihre, vom Schlafen noch ganz zerzausten Haare zu ordnen.

"Sie schläft noch.", erklärte Bourbon ihr. "Aber im Gegensatz zu dir, war sie in der Nacht noch Ewigkeiten wach. Ich habe ihr noch etwas zu Trinken gebracht, damit sie sich vollständig regeneriert, anschließend hat sie geduscht und sich umgezogen und ist schließlich runter in die Bar, um nach dem Rechten zu sehen und sich um unsere Gäste zu kümmern."

Da man das Bad nur betreten konnte, wenn man zuvor durchs Wohnzimmer lief, bedeutete das dann wohl auch, dass sie so tief geschlafen haben musste, dass sie die Dusche und die Tatsache, dass die Schauspielerin mehrfach durch den Raum gelaufen war, überhört hatte. Wie unangenehm!

Jodie schob diesen Gedanken entschieden bei Seite und dachte stattdessen kurz über Reis Worte nach. Obwohl Chris gestern selbst noch so angeschlagen war, hatte sie sich also direkt wieder in die Arbeit gestürzt, ehe sie sich etwas Ruhe gegönnt hatte.

"Wie geht es ihren Verletzungen?", wollte Jodie wissen.

"Inzwischen ist davon nichts mehr zu sehen.", wusste ihr Gesprächspartner zu berichten, ehe seine Mimik sich deutlich verfinsterte. "Deine Kameraden sind wirklich überaus gastfreundlich, anders lässt es sich kaum sagen."

Die Blondine verzog das Gesicht. Ihr war es ja selbst mehr als unangenehm, das zwei ihrer Teammitglieder die Schauspielerin so zugerichtet hatten.

Bourbon betrachtete sie einen Moment, ehe seine Mimik sich wieder normalisierte. "Aber immerhin du hast Vernunft gezeigt. Es war die richtige Entscheidung, die du gestern getroffen hast."

Jodie massierte sich die Schläfen und seufzte. "Das wird sich erst noch zeigen, fürchte ich."

Sie stand von ihrem Platz auf und streckte sich. "Sicher ist zumindest, das Mondnebel inzwischen bemerkt haben dürfte, was passiert ist. Und sie werden wenig begeistert sein."

Was das betraf, fiel ihr noch etwas ein. Stimmte ja! Sie musste ihre Kameraden schnellstmöglich kontaktieren. Sie musste ihnen unbedingt erklären, warum sie getan hatte, was sie gestern nun einmal getan hatte. Und sie musste mit ihnen über den Deal reden.

Schon sah sie sich nach ihrem Handy um, entdeckte es auf den ersten Blick jedoch nirgends.

"Wo ich gerade Mondnebel sage, ich muss mein Team anrufen. Sie müssen wissen, was hier gespielt wird."

Erneut scannte ihr Blick prüfend den Tisch und das Wohnzimmerschränkchen, auf welchem sie ordentlich gefaltete Ersatzkleidung entdeckte, die man für sie herausgelegt haben musste.

"Hast du mein Smartphone gesehen?", wollte sie von dem Blonden wissen.

Der Bodyguard zuckte mit den Schultern und blickte sie beinahe entschuldigend an. "Tut mir leid, das haben wir gestern erst einmal an uns genommen. Du kriegst es aber heute noch wieder."

Jodie stutzte und starrte ihr Gegenüber an. Man hatte ihr Handy einkassiert? In ihrem Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken. Bedeutete das am Ende noch, dass sie sich doch sehenden Auges zurück in die Gefangenschaft begeben hatte...?!

"Was hat das zu bedeuten?!", hackte sie mit schneidend scharfer Stimme nach.

Beschwichtigend hob Rei die Hände. "Jetzt beruhig dich wieder, okay? Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme. Chris und wir, wir sehen dich zwar als Verbündete an, aber wir können dir noch nicht zu 100% vertrauen. Wenn dein Team sich gegen den Deal mit uns entscheidet und du ihnen per GPS den Standort unseres Anwesens sendest, hätten wir ein gewaltiges Problem.", erklärte er. "Aber wir haben nicht vor dich wieder hier einzusperren. Chris hat heute am späten Nachmittag zwei Maklertermine. Sie will, dass du sie begleitest, immerhin bist du außer Kir und ihr die Einzige, die sich problemlos im Sonnenlicht aufhalten kann. Wenn ihr das Anwesen verlassen habt, gibt sie dir dein Handy zurück und du hast alle Zeit der Welt, ein Treffen mit deinen Kameraden zu vereinbaren."

Der Blick des Vampirs wurde ernst. "Aber das Gespräch führst du mit deinen Kameraden erst einmal allein. Wir können es nicht verantworten, Chris nochmal in so eine Gefahr zu bringen."
 

Die Zeit verstrich. Nachdem sie im Bad verschwunden war, geduscht und sich umgezogen hatte, kehrte die junge Frau ins Wohnzimmer zurück. Auf dem Wohnzimmertisch warteten bereits ein Korb mit Brötchen und eine kleine Kanne Kaffee auf sie. Bourbon musste ihr ein spätes Frühstück vorbeigebracht haben, als sie ins Bad gegangen war.

Die Jägerin seufzte lautlos und betrachtete für einen Moment das Fenster, welches mit Gardinen verhangen und von außen mit hölzernen Fensterläden versehen war. Kein Tageslicht verirrte sich ins Innere des Zimmers. Aus Sicht der Vampire verständlich, dass sie das Anwesen entsprechend ausgestattet hatten, aus ihrer eigenen Sicht jedoch fast schon deprimierend. Wenn sie wissen wollte, wie spät es war, musste sie sich ganz und gar auf die Wanduhr verlassen, welche ununterbrochen leise tickte.

Jodie setzte sich zurück aufs Sofa, goss sich eine Tasse Kaffee ein und legte eins der Brötchen auf ihren Teller. Sie fühlte sich nach dem Duschen bereits deutlich frischer als gestern noch, doch nach wie vor war sie ein wenig angeschlagen. Sicherlich lag dies an dem Biss. Dieser hatte zwar nicht geschmerzt, doch sie merkte den Blutverlust.

Allein der Gedanke daran, dass sie Chris gestern freiwillig ihr Blut angeboten hatte, war schon irgendwie verrückt. Sie war Vampirjägerin, sie hasste diese elende Brut, die Schauspielerin selbst war gefährlich und skrupellos und dennoch hatte sie sich entschieden, ihre Kameraden von dem geplanten Deal zu überzeugen. Und nun saß wieder sie hier in diesem verdammten Vampirnest, dem sie doch erst kürzlich entflohen war. Nur das sie diesmal einigermaßen freiwillig hier her zurückgekehrt war, was es nicht unbedingt besser machte.

Was das betraf, hoffte Jodie wirklich, dass sie sich auf Chris Wort verlassen konnte. Doch sehr viel mehr, als darauf zu vertrauen, nicht sehenden Auges zurück in die Gefangenschaft gelaufen zu sein, konnte sie derzeit nicht.

Die Blondine schaltete den Fernseher ein, verfolgte halbherzig die Nachrichten und frühstückte währenddessen. Damals noch hatte sie sich gewundert, warum es in einem reinen Vampirhaushalt auch Lebensmittel für Menschen gab, doch inzwischen wusste sie, dass Chris in der Organisation dieses Ladens durchaus auch die beiden menschlichen 'Gäste' berücksichtigte.

Den Gedanken, dass es noch weitere Menschen in diesem Haus gab, welche allerdings wie Vieh im Keller gefangen gehalten wurden und sicherlich kein qualitativ hochwertiges Frühstück bekamen, versuchte sie so gut es ging auszublenden.

Am liebsten hätte Jodie auf der Stelle etwas gegen diese Zustände unternommen, doch selbst ein Sturkopf wie sie wusste, dass das unmöglich war. Auch wenn es ihr nicht gefiel, aktuell hatte sie keine andere Wahl als notgedrungen die Füße stillzuhalten und darauf zu hoffen, dass das System der Vampire sich ganz allgemein schon bald grundlegend ändern würde.
 

Die Zeit bis zum Nachmittag verstrich nur quälend langsam. Leider kam Jodie nicht an ihr Handy und von einer Tour durch das Anwesen sah sie ebenfalls ab, auch wenn diesmal niemand die Tür abgeschlossen hatte. Sie könnte dieses Zimmer verlassen, aber was dann? Einerseits wäre es Gold wert sich hier umzuschauen und vielleicht fand sie Rena irgendwo, doch die Chancen, dass sie in diesem verfluchten Haus einem der hier wohnhaften Vampire in die Arme laufen würde, standen deutlich höher. Die Biester hatten sie in den letzten zwei Wochen nicht angegriffen, da sie unter Chris Schutz stand, doch dass sie sich wirklich ungefährdet in diesem Haus bewegen konnte, darauf baute Jodie nicht. Auch wenn sie von einigen wenigen Vampiren inzwischen wusste, dass diese ihr nichts tun würden, im Allgemeinen misstraute sie den meisten dieser Monster auch weiterhin.

Während sie im Wohnzimmer der Schauspielerin festsaß, blieb ihr nicht viel mehr als fernzusehen, um sich irgendwie zu beschäftigen.

Sie hoffte darauf, dass Sternenstaubs Jägerin sie vielleicht besuchen kommen würde, doch dies war nicht der Fall. Sicherlich hatte Rena zu tun.

Während Jodie wohl oder übel im Wohnzimmer festsaß und fernsah, drifteten ihre Gedanken immer wieder zu der gestern getroffenen Entscheidung ab. Auch weiterhin stand sie hinter ihrem Handeln, gleichzeitig war da jedoch auch dieses ungute, nagende Gefühl in ihrer Magengegend. Sie wollte sich lieber gar nicht vorstellen, welche Schlüsse Mondnebel aus inzwischen gezogen hatte. Sie hoffte nur, die ganze Sache möglichst schnell geradebiegen zu können.

Einerseits fieberte sie dem Gespräch mit ihren Teamkameraden entgegen, andererseits graute es ihr auch ein klein wenig davor.

Aus den Gedanken gerissen wurde sie, als plötzlich die Wohnzimmertür geöffnet wurde.

Eine ihr im ersten Augenblick unbekannte Frau mit hellbraunen Haaren, braunen Augen und leichten Sommersprossen betrat den Raum. Sofort spannte Jodie sich alarmiert an und stand vom Sofa auf. Wer war das denn?! Und vor allem, was wollte diese Vampirin hier? Hatte man sie geschickt, oder agierte sie hinter dem Rücken der zweiten Anführerin? Auch weiterhin bedeuteten die ihr unbekannten Vampire in diesem Anwesen für sie Gefahr.

Noch ehe sie selbst etwas sagen konnte, ergriff die Fremde jedoch bereits das Wort. Das Schmunzeln, welches sich dabei auf ihre geschminkten Lippen stahl, kam ihr irgendwie bekannt vor... "Jetzt entspann dich mal wieder, Kätzchen. Du siehst mich ja so an, als wenn ich dich fressen wollte."

Jodie stutzte, blinzelte irritiert und betrachtete ihr Gegenüber genauer. Dieser Spitzname und vor allem die Stimme. "...Chris?", fragte sie ungläubig.

Angesprochene lachte leise und lief einige Schritte weiter in den Raum hinein. "Wenn du mich im ersten Moment nicht erkannt hast, dann bedeutet das wohl, dass meine Verkleidung gar nicht so schlecht ist. Gut so, diese Maske ist verdammt unbequem."

Irritiert blinzelte Jodie erneut, ehe sie verständnislos den Kopf schüttelte. "Warum zur Hölle hast du dich überhaupt verkleidet?", wollte sie wissen.

Langsam fiel die Anspannung wieder von ihr ab. Es war nicht so, dass die Daywalkerin ihr sonderlich sympathisch war, oder das sie ihr blind vertraute, dennoch wusste sie, dass die Ältere sie nicht einfach so angreifen würde.

"Ganz einfach: es ist so gut wie sicher, dass dein Team inzwischen nach uns sucht. Ich habe kein Interesse daran, dass sie mich auf den ersten Blick erkennen. Außerdem habe ich heute noch zwei Besichtigungstermine, bei denen ich mich vor dem Makler lieber als meine eigene Assistentin ausgebe. Es ist deutlich entspannter, wenn ein Makler glaubt, erstmal nur einen Termin mit einem Helferlein zu haben."

Was Chris da sagte, klang durchaus logisch, ganz zufrieden war Jodie allerdings noch nicht.

"Trotzdem, du siehst aus wie eine andere Person. Wie hast du das hinbekommen?"

Die andere Blondine schmunzelte sie nur vielsagend an. "Ich bin Schauspielerin, Kleine."

"Du sagst es, du bist Schauspielerin, kein Chamäleon!" Das Chris auch optisch so spielend leicht in eine andere Rolle schlüpfte, sah Jodie heute zum ersten Mal und sie fand dieses Talent der Älteren gelinde gesagt unheimlich.

"Also Kätzchen, kommst du? Bourbon hat dir sicherlich schon gesagt, dass ich dich mitnehmen will." Chris gab ihr mit einem Nicken zu verstehen, dass sie ihr folgen sollte.
 

Frustriert saß die junge Frau im Auto. An ihrer Situation hatte sich, im Vergleich zu den letzten Tagen, kaum etwas verändert. "Kann ich die Schlafmaske jetzt endlich abnehmen?", erkundigte sie sich gereizt.

"Von mir aus.", stimmte Chris gleichgültig zu und fuhr eine scharfe Kurve, während Jodie die Maske, die ihre Sicht bis eben behindert hatte, hochschob.

"Ich dachte wir hätten gestern klargestellt, dass ich eine Verbündete bin, keine Gefangene.", murrte die Jägerin wenig erfreut.

"Und ich bin mir ziemlich sicher, dass man dir bereits erklärt hat, dass wir dir erst wirklich vertrauen können, wenn der Deal steht. Noch ist es ein zu großes Risiko, würdest du den Weg zu unserem Anwesen kennen.", konterte die Schauspielerin gelassen.

Während Jodie das ihr aktuell so fremde Gesicht musterte, zündete Chris sich eine Zigarette an.

Ganz automatisch ließ die Jüngere das Fenster auf der Beifahrerseite nach unten fahren. Sie hasste es, wenn die Schauspielerin neben ihr im Auto rauchte.

"Und was ist dann mit Rena? Sie kann das Anwesen betreten und verlassen wie sie will, beziehungsweise wann immer ihr jemand irgendeinen Auftrag gegeben hat."

Die Daywalkerin blies eine Wolke Zigarettenrauch aus und Jodie wedelte den Rauch ganz automatisch mit der Hand weg.

"Das ist etwas vollkommen anderes. Beziehungsweise ist sie vollkommen anders. Charakterlich meine ich.", erklärte Chris ihr und hielt an einer roten Ampel. "Gin ist der Meinung, dass es unbedenklich ist, sie nicht weiter einzuschränken. Ich teile seine Meinung diesbezüglich zwar nicht zu 100%, aber sie jetzt noch einzuschränken, würde keinen großen Sinn mehr machen."

Wenig zufrieden mit dieser Antwort, grummelte Jodie etwas Unverständliches vor sich hin, ehe ihr etwas anderes einfiel. "Wo ist Rena eigentlich? Ich habe sie heute noch gar nicht gesehen."

Zwar hatte sie heute den größten Teil des Tages im Wohnzimmer verbracht, dennoch hatte Rena sie in den vergangenen Wochen oftmals besucht.

"Woher soll ich das wissen?" Chris zuckte mit den Schultern. "Ich hab Kir gestern noch in der Bar gesehen, aber da sah sie ganz und gar nicht gut aus. Vermutlich nutzt sie die Tatsache, dass die anderen japanischen Besucher tagsüber schlafen und schläft sich heute zur Abwechslung auch mal aus."

Die Jägerin runzelte die Stirn. Sie hatte das Gefühl, dass Chris ihr nicht die ganze Wahrheit sagte, doch sie kannte die Schauspielerin inzwischen gut genug um zu wissen, dass diese ihr nicht mehr erzählen würde, als sie wollte.

"Hier, dein Handy.", wechselte Chris abrupt das Thema, griff in ihre Jackentasche und reichte der Jägerin das Smartphone. "Das wolltest du doch wiederhaben, oder nicht?"
 

"Hier ist meine Karte und hier noch die Mappe zu dem Objekt.", wusste der Makler zu berichten und reichte der verkleideten Schauspielerin die Unterlagen. "Ich hoffe Ihnen hat die Immobilie zugesagt. Wenn Sie es wünscht, kann Ms Vineyard mich jederzeit kontaktieren, um sich das Objekt noch einmal selbst anzusehen. Meine Telefonnummer steht auf der Visitenkarte."

Wenn der Makler weiter so katzbuckelte, würden sie noch auf einer Schleimspur ausrutschen. Die ganze Zeit über schon befürchtete Jodie, dass genau das passierte. Andererseits amüsierte sie sich beinahe köstlich darüber, dass der Mann glaubte lediglich mit zwei Assistentinnen der Blondine zu sprechen, während die verkleidete Chris sich die Immobilie in Wirklichkeit selbst angesehen hatte und die ganze Zeit über anwesend war. Die Verkleidung tat wirklich was sie sollte und Chris selbst war einmal mehr mit spielender Leichtigkeit in eine Rolle geschlüpft, wobei Jodie diese Tatsache nicht wunderte, hatte sie die Andere inzwischen doch mehr als einmal mit eigenen Augen schauspielern sehen.

"Ich werde es ihr ausrichten und mit ihr über die Immobilie sprechen. Vielen Dank für Ihre Zeit und den schnellen Besichtigungstermin. Sie werden von meiner Chefin oder mir hören.", antwortete die Daywalkerin derweil dem Makler.

Jodie selbst hörte den beiden nur mit einem Ohr zu. Zwar machte sie sich alibihalber immer wieder einige Notizen, so wie Chris es ihr aufgetragen hatte, doch ständig drifteten ihre Gedanken ab.

Die Schauspielerin hatte die Tatsache, dass sie erst Mitte nächster Woche wieder arbeiten musste, ausgenutzt und einige Besichtigungstermine vereinbart. Also meinte sie es wirklich ernst, immerhin besichtigten sie hier gerade Gebäude, welche zu Laboren oder Blutspendeeinrichtungen umgewandelt werden könnten. Irgendwie beruhigte es die Jägerin, dass das Sternchen sich diese Arbeit trotz ihres vollen Terminkalenders machte, denn das bedeutete, dass sie sie gestern nicht angelogen hatte, sondern wirklich auf Blutkonserven umsteigen wollte.

Doch trotz dieses beruhigen Gedankens, etwas anderes beunruhigte sie dafür um so mehr. Heute um 19:30 Uhr würde sie sich mit Akai, Black und Camel in der Stadt treffen, damit sie ihnen die Situation erklären konnte.

Als Jodie ihren Vorgesetzten vorhin während der Fahrt angerufen hatte, hatte seine Stimme Besorgnis, Fassungslosigkeit und Ärger über ihre Aktion widergespiegelt. James musste hin und her gerissen sein zwischen der Annahme, dass sie sich mit irgendetwas erpressen und zu dieser Dummheit hatte bewegen lassen, oder aber das sie Mondnebel wirklich verraten hatte. Was natürlich nicht der Fall war.

James hatte sie bereits am Telefon zur Rede stellen wollen, doch Jodie hatte ihm nur versichert, dass es einen guten Grund für ihr Verhalten gab und sie es dem Team so schnell wie möglich erklären wollte. Schließlich hatten sie ein Treffen in der Stadt vereinbart.

Allein schon, wenn sie daran dachte, wurde sie nervös. Von diesem Gespräch würde so vieles abhängen. Sie durfte es auf keinen Fall vermasseln. Nicht nur hoffte sie, dass ihre Kameraden ihr Handeln verstehen und es ihr nachsehen würden, sie hoffte natürlich auch, dass der im Raum stehende Deal bei ihnen auf offene Ohren stoßen würde. Auch wenn es sicherlich gar nicht so leicht wäre, die anderen Vampirjäger davon zu überzeugen, dass Chris wirklich vorhatte etwas zu ändern und es sinnvoll wäre, sie zu unterstützen.
 

Nachdem sie das Gebäude wieder verlassen hatten, stellte Jodie fest, dass es inzwischen beinahe dunkel war. Heute regnete es glücklicherweise nicht, dennoch war es mehr als frisch in der Großstadt.

"Und? Hat eins der Gebäude dein Interesse geweckt?", wollte sie von Chris wissen, welche neben ihr her lief und gerade dabei war eine Zigarette anzuzünden. Weiterhin fand Jodie es schwer sich an die aktuell fremden Gesichtszüge und den asymmetrischen, hellbraunen Bob der Schauspielerin zu gewöhnen. Die eigentliche Blondine hatte sich vorhin wahrhaftig mit spielender Leichtigkeit in eine gänzlich andere Person verwandelt, was ihr Äußeres betraf.

Chris strich sich eine Strähne der Perücke aus dem Gesicht. "Das erste Objekt, dass wir uns angesehen haben, hat mir besser gefallen.", antwortete sie ihr nachdenklich. "Damit ließe sich schon etwas anfangen. Aber ich habe in den kommenden Tagen noch einige weitere Termine diesbezüglich."

Jodies Blick blieb an einer digitalen Uhr in einem Schaufenster hängen. "Erst 17:51 Uhr. Bis zu meinem Treffen mit Mondnebel bleibt noch reichlich Zeit.", stellte sie fest, als sie die Uhrzeit las.

"Dir schlottern ja jetzt schon die Knie.", zog Chris sie auf.

"Ist das ein Wunder?!", schnappte Jodie. "Von diesem Gespräch hängt immerhin einiges ab. Nicht nur für mich, sondern auch für so viele Leben, die in Zukunft nicht länger gefährdet wären, wenn es gut läuft."

Die beiden Frauen überquerten, während sie redeten, eine der überfüllten Straßen, wie nur Einheimische es sich trauten.

"Das ist schon richtig. Vermassle es also nicht. Allerdings solltest du versuchen nicht zu nervös zu werden. Deine Nervosität behindert dich eher, als das sie dir etwas bringt."

"Als wenn ich das nicht selbst wüsste!", fauchte Jodie. "Außerdem hast du leicht Reden..." Sie musste dieses Gespräch immerhin führen und ihre Kameraden überzeugen, nicht Chris.

"Ich lese dich dann später wie verabredet auf, sobald du mir das besprochene Zeichen gibst.", stellte die Schauspielerin noch einmal fest.

Die Jüngere nickte. Sie musste die Vampirin immerhin über den Ausgang des Gesprächs informieren, sodass sie das weitere Vorgehen planen konnten.

"Ist gut. Aber bis zu dem Gespräch, müssen wir uns noch einiges an Zeit totschlagen, auch wenn ich früh genug allein zum verabredeten Treffpunkt aufbrechen will."

Chris ließ bei diesen Worten den Blick durch die belebte Großstadt schweifen. "Schon wahr. Bei diesen Temperaturen ist es ehrlich gesagt eine ziemliche Zumutung, die ganze Zeit über durch die Stadt zu rennen."

"Verzogenes Sternchen.", kommentierte Jodie nur und stieß ihrer Begleiterin leicht den Ellbogen in die Rippen.

Chris blinzelte sie überrascht an, ehe sie sie im Gegenzug mit der Schulter anrempelte. "Ich tue mal so, als hätte ich das jetzt nicht gehört, Kätzchen.", tadelte sie sie gespielt.

Erst langsam dämmerte es Jodie, dass sie gerade das erste Mal freiwillig und unbewusst ganz entspannt mit der Schauspielerin unterwegs war und sogar ein wenig mit ihr herumalberte, obwohl diese Frau doch eigentlich ihr schlimmster Alptraum sein sollte.

Chris riss sie aus ihren Gedanken, als sie Jodie eine Hand auf den Oberarm legte und in Richtung einer abgesperrten Straße deutete. "Da vorne scheint ein Straßenfest stattzufinden. Zumindest riecht es hier nach diversen Fressbuden und Musik gibt es auch. Weißt du, was heute hier los ist?"

Das ausgerechnet um diese Uhrzeit eine Straße in der New Yorker Innenstadt gesperrt wurde, war höchst ungewöhnlich.

Jodie blinzelte und überlegte kurz, ehe sie den Kopf schüttelte. "Nein, ich hatte in den letzten Tagen andere Probleme, als mich über mögliche Straßenfeste zu informieren."

Dann jedoch griff sie nach dem Handgelenk der verkleideten Schauspielerin und zog sie in Richtung der Menschenmenge. "Aber lass es uns doch einfach mal ansehen, wenn wir eh noch etwas Zeit totschlagen müssen. Ein wenig Ablenkung kann ich gerade gut gebrauchen."

"Du willst dir das wirklich ansehen? Dort drüben ist es wahnsinnig voll.", kam es zweifelnd von der Daywalkerin.

Die Jüngere verdrehte die Augen. "Wann hast du dir zuletzt ein Straßenfest angesehen, Prinzesschen? Nicht jede Feierlichkeit braucht zwingend einen roten Teppich und Champagner, weißt du?", stichelte sie.
 

Keine Minute später waren die beiden Frauen in die Menschenmenge eingetaucht. Ohne Eile liefen sie über das überfüllte Straßenstück und begutachteten Imbissstände, Souvenirstände und den Pavillon einer Partei. Wie sich herausstellte, wurde das kleine Fest von einem neueröffneten Kaufhaus, in Zusammenarbeit mit einem lokalen Politiker, ausgerichtet, welcher für sich und seine Partei vor den nächsten Wahlen ein wenig die Werbetrommel schlagen wollte.

"Das ganze hier ist also eine Werbeveranstaltung.", stellte die Schauspielerin mit leicht desinteressierter Stimme fest. "Trotzdem wundert es mich, dass die Stadt es erlaubt hat, für so etwas eine normalerweise gut befahrene Straße in der Innenstadt zu sperren."

Jodie zuckte nur mit den Schultern. "Vielleicht ist Vitamin B mit im Spiel. Ich weiß nicht, ein Freund des Bürgermeisters, oder so."

Sie kämpften sich weiter durch die Menge, vorbei an einem Hot Dog Stand und einer Losbude.

Überfüllt, wie die gesperrte Straße war, war es gar nicht so leicht, sich in der Menschenmenge nicht aus den Augen zu verlieren. Bereits zwei mal hatte die Jüngere sich binnen kürzester Zeit suchend nach Chris umsehen müssen, nur um sie im nächsten Moment unweit von sich entfernt zu entdecken.

Jodie seufzte entnervt, zwängte sich an einer Familie vorbei, griff nach dem Arm ihrer Begleiterin und hakte sich schließlich bei ihr ein.

Halb fragend, halb amüsiert hob Chris eine Augenbraue. "Was denn? Hast du Angst mich aus den Augen zu verlieren, oder bist du am Ende doch anschmiegsamer als gedacht?", scherzte sie.

Die Jägerin zog ein Gesicht. "So wie du aktuell aussiehst, gehst du mir zu schnell in der Menge unter. Wenn wir uns ständig suchen müssen, ist mir das definitiv zu nervig.", murrte sie.

"Gib doch einfach zu, dass du in meiner Nähe sein willst.", säuselte die Schauspielerin und zog sie weiter auf.

"Das wird auch in 100 Jahren nicht der Fall sein.", konterte Jodie.

Als der jungen Frau der Geruch von frisch gemahlenem Kaffee in die Nase stieg, begann sie sich suchend umzusehen, was sich in der Menge als gar nicht so leicht entpuppte.

Chris warf ihr ein wissendes Lächeln zu und zog sie kurzerhand mit sich. Im ersten Moment blinzelte die Jüngere irritiert, dann verstand sie. Ihre Begleiterin musste den Kaffeestand gar nicht sehen. Wenn sie den frischen Kaffee bereits riechen konnte, dann war es für die geschärften Sinne der Daywalkerin ein Kinderspiel den Stand zu orten.

Wenig später hielt Jodie einen Becher mit noch dampfendem Kaffee in der Hand. Vorsichtig trank sie einen Schluck, wobei sie darauf achtete, sich nicht an dem heißen Getränk zu verbrennen.

"Etwas warmes zu Trinken tut in der Kälte wirklich gut.", seufzte sie.

"Frierst du etwa schon? Wer von uns ist hier das Prinzesschen auf der Erbse, mh?", neckte Chris ihre Begleiterin.

Jodie warf ihr einen empörten Blick zu, wobei die Empörung diesmal größtenteils gespielt war.

Die aktuelle Situation war mehr als merkwürdig. Sie lief friedlich, Arm in Arm, mit einer Vampirin über ein Straßenfest und das als eine Jägerin Mondnebels. Eigentlich sollte sie das nicht tun. Eigentlich sollte sie deutlich mehr auf der Hut sein und diesem Biest nicht das kleinste bisschen über den Weg trauen. Irritierenderweise fühlte sich der ungeplante heutige Ausflug jedoch viel entspannter an, als es gut wäre. Jodie fühlte sich nicht, als wäre sie mit ihrer Erzfeindin unterwegs, sondern mit einer Bekannten oder Teampartnerin. Das war doch verrückt!

Überraschenderweise störte sie sich noch nicht einmal an der Nähe zu der Daywalkerin. Bei den aktuell unterirdischen Temperaturen fühlte die warme Seite der Schauspielerin an ihrer eigenen, sich sogar gut an.

Die Blondine war über ihre eigenen Gedanken mehr als irritiert. Ließ ihre Vorsicht gegenüber der Vampirin langsam nach? War das wirklich in Ordnung? Chris war nicht nur absolut skrupellos und unberechenbar, sie besaß einen ungemein schwierigen, launischen Charakter. Andererseits konnte die eigentliche Blondine jedoch auch eine wirklich angenehme und humorvolle Gesprächspartnerin sein, auch wenn die ewigen Neckereien und Spitznamen Jodies Nervenkostüm oftmals erheblich strapazierten.

"Deine Seite ist richtig warm. Ehrlich gesagt hätte ich gedacht-", begann sie, wurde jedoch von Chris unterbrochen.

"Was denn? Du müsstest doch inzwischen mitbekommen haben, dass weder ich, noch die anderen, uns anfühlen wie der lebende Tod. Du hast eindeutig zu viele Filme gesehen.", kam es amüsiert von ihr.

In der Menschenmenge interessierte sich niemand für ihr Gesprächsthema. Vermutlich war es hier nicht nur viel zu belebt, es war auch viel zu laut, als das ein Außenstehender mitbekommen hätte, worüber die beiden Frauen sprachen, während sie Seite an Seite über das Fest liefen.

Im Hintergrund war die Musik eines Kinderkarussells und das aufgeregte Kreischen der kleinen Passagiere zu hören.

"Mach dich nicht lustig über mich.", grummelte die Jägerin halbherzig.
 

Als sie an einem Grillstand vorbeiliefen, bekam Jodie aus dem Augenwinkel mit, wie ein Mitarbeiter der Bude sich am Deckel einer Konservendose in die Hand schnitt. Autsch, das hatte sicher weh getan. Unbewusst verzog sie leicht das Gesicht, während der Mitarbeiter der Grillbude so aussah, als würde er fluchen. Verständlich.

Als sie sich wieder ihrer Begleiterin zuwandte, sah sie, dass der kleine Unfall des Angestellten fast schon ruckartig die Aufmerksamkeit der Daywalkerin auf sich gezogen hatte.

//So umgänglich wie sie sich gerade auch gibt, diese Frau ist und bleibt ein Wolf im Schaftspelz. Sie reagiert auf den Blutgeruch genau so wie ein weißer Hai auf eine verletzte Robbe.//, kam es Jodie in den Sinn. Eine leichte Gänsehaut legte sich auf ihre Arme.

So harmlos wie die Vampirin sich den ganzen Tag über gegeben hatte, war es fast schon leicht zu vergessen, was sie eigentlich war, doch in Situationen wie dieser zeigte sich ihr wahres Wesen.

"Oh nein, denk nicht mal dran.", fauchte die Jägerin verärgert, ruckte am Arm ihrer Begleiterin und zog sie entschieden weiter.

"Au!", protestierte Chris halbherzig und musterte Jodie erneut mit einer Mimik, die es der Jägerin leicht machte zu glauben, dass das Sternchen sie nicht ganz für voll nahm. "Weißt du, nur weil ich bemerkt habe, dass dieser Typ sich geschnitten hat, heißt das nicht, dass ich mich nicht unter Kontrolle hätte.", zischte sie Jodie zu.

"Und das soll ich dir glauben?", hakte Mondnebels Jägerin wenig überzeugt nach.

"Dummes Kätzchen, wirklich. Was meinst du, was in dieser Stadt los wäre, wenn wir bei jedem noch so schwachen Blutgeruch den Verstand ausschalten würden?", erklärte Chris ihr leise aber durchaus belustigt.

Weiterhin ignorierten die Menschen in der näheren Umgebung die beiden Frauen. Es war viel zu laut auf dieser Veranstaltung, als das jemand mitbekommen würde, was die beiden sich zuflüsterten.

"Hör auf mich ständig dumm zu nennen...!", maulte die Jägerin wenig erfreut.

Ihre Begleiterin grinste sie lediglich an. "Dann gib mir nicht ständig jeden Grund dazu, Süße.", zog sie sie auf.

"Verdammter Quälgeist!", protestierte Jodie. Langsam fiel die Anspannung wieder von ihr ab, immerhin schien Chris weiterhin wirklich ganz sie selbst zu sein.
 

Nachdem sie einmal über das Fest gelaufen waren, bahnten die beiden Frauen sich wieder einen Weg aus der Menschenmenge. Natürlich war die Großstadt weiterhin laut und belebt, doch außerhalb des Straßenfestes war der Lautstärkepegel bereits wesentlich besser erträglich.

Jodie prüfte die Uhrzeit und stellte fest, dass es bald schon an der Zeit für sie wäre, sich auf den Weg zu der Verabredung mit den anderen Mitgliedern Mondnebels zu machen.

Zwar handelte es sich bei den Anderen um ihre Kameraden, dennoch konnte sie nicht verhindern, dass bereits der Gedanke an das anstehende Gespräch sie nervös machte.

"Lass uns die wichtigsten Punkte noch einmal durchgehen, okay?", bat sie ihre Begleiterin.

"Fangen wir mit dem Punkt an, dass du dich wieder beruhigen solltest.", antwortete Chris ihr. Spontan fragte Jodie sich, ob die Schauspielerin wirklich so gelassen war, obwohl es hier auch für sie um alles ging, oder aber ob sie sich nur so ruhig gab, damit ihre Ruhe auf sie abfärbte.

"Also schön-", ergriff Chris erneut das Wort, brach jedoch ab, als ihr Handy sich mit einem Klingeln bemerkbar machte. Kurz hob sie die freie Hand. "Moment, warte mal kurz.", forderte sie Jodie auf, zog das Handy aus ihrer Tasche und nahm den Anruf entgegen.

In dem kurzen Moment, in dem Chris das Handy zum Ohr geführt hatte, meinte die Jüngere den Namen 'Curaçao' auf dem Display ausgemacht zu haben.

Eh? Curaçao? Wenn Chris silberhaariger Bodyguard sich erkundigen wollte, wie das Gespräch mit Mondnebel gelaufen war, war sie eindeutig zu früh dran.

"Hey, was gibt's?", nahm die Schauspielerin den Anruf entgegen.

Von ihrer Position aus, konnte Jodie nicht verstehen, was genau die Anruferin sagte, doch was sie zweifelsohne hörte war, dass Curaçao sich scheinbar nicht mit irgendeiner Begrüßung aufhielt. Die Stimme der sonst so ruhigen Vampirin klang schrill und panisch.

Unweigerlich spannte Jodie sich an, erst recht, als sie sah, wie Chris Mimik von entspannt schlagartig zu alarmiert wechselte.

"Jetzt nochmal ganz ruhig, ja? Was genau ist mit der Kleinen denn passiert?"

Mit der Kleinen? Fragend blickte Jodie die Daywalkerin an ihrer Seite an. Wen meinte sie? Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Spontan fiel ihr nur eine Person ein, die hin und wieder von Chris als 'Kleine' bezeichnet wurde und um die Curaçao sich zeitgleich so sehr sorgte.

Ihr Herz machte einen Satz und Adrenalin jagte im Bruchteil einer Sekunde durch ihren Körper.

Rena! Jodie hatte sie den ganzen Tag über nicht gesehen. Irgendetwas musste folglich passiert sein, erst recht, wenn sie die panische Stimmlage der Silberhaarigen beachtete.

Da Sternenstaubs Jägerin schon längst zu einer Freundin für sie geworden war, flammte auch in ihr sofort die Sorge auf.

Jodie musste unbedingt mitbekommen was los war. Um Curaçaos Worte besser verstehen zu können, lehnte sie sich zu Chris und mit dem Ohr so nah es ging an das Handy der Schauspielerin.

Diese blickte im ersten Moment verärgert drein, musste sich dann jedoch dafür entschieden haben, ihre Begleiterin nicht auf Abstand zu schieben und sie das Gespräch mitverfolgen zu lassen.

"»Ich kann dir nicht genau sagen was passiert ist, aber ich glaube, dass Gin ihr etwas angetan hat. Chianti und Korn haben etwas in der Art angedeutet. Bourbon und ich haben versucht mit ihm zu reden, aber wir kriegen aus ihm nichts heraus. Gin meinte nur, dass es seine Sache ist, wie er Mitglieder seines Hauses bestraft und das wir uns da nicht einzumischen haben.«", berichtete die mehr als besorgte Silberhaarige.

Bestraft? Allein bei dem Wort und dem Gedanken daran, wie brutal und gefürchtet der japanische Vampirfürst war, krampfte sich das Herz der Jägerin zusammen.

"Im Prinzip hat er damit ja auch Recht.", äußerte Chris und seufzte. "Kir gehört zu seinen Leuten, da haben wir Amerikaner uns nicht einzumischen."

Jodie warf ihr einen entsetzten Blick zu. Wie konnte sie das nur so ruhig sagen?!

"»Du weißt genau, dass ich mich da nicht einfach so raushalten kann...!«", am anderen Ende der Leitung brach Curaçaos Stimme.

Erneut spürte die Jägerin einen schmerzhaften Stich. Curaçao hatte ihr gegenüber noch nie mit Freundlichkeit geglänzt, sie war eine Vampirin und äußerst gefährlich noch dazu und dennoch zeigte sie eine mehr als menschliche Seite, wenn es um Rena ging. Jodie konnte die Sorge um die Brünette, die für sie binnen kurzer Zeit zu einer guten Freundin geworden war, nur zu gut nachvollziehen.

"Dich an einen Menschen zu binden und dann auch noch an jemanden aus einem anderen Haus, das war eine verdammt dumme Idee, wie oft habe ich dir das jetzt schon gesagt?", murrte Chris und schüttelte den Kopf, auch wenn Curaçao dies am Telefon natürlich nicht sehen konnte.

Jodie verstand nicht ganz, wovon die andere Blondine da redete, doch sie mischte sich nicht ein und hörte stattdessen zu, während ihre Sorge von Sekunde zu Sekunde wuchs.

"»Du musst gerade reden. So etwas sucht man sich nicht aus. Aber das ist jetzt ja auch vollkommen nebensächlich. Du musst unbedingt zurückkommen und versuchen mit Gin zu reden. Die Chance, dass er mit dir spricht, ist wesentlich größer.«" Die Stimme der Vampirin klang beinahe flehend.

"Hey, ist ja schon gut. Ich habe nie gesagt, dass ich dir nicht helfen würde. Ich mache mich auf den Weg, auch wenn ich dir nicht zu viel versprechen will. Du hältst in der Zwischenzeit die Füße still und stellst keine Dummheiten an, verstanden? Ich weiß du machst dir Sorgen um die Kleine, aber es bringt nichts, wenn du dich jetzt auf eigene Faust mit den Japanern anlegst. Vor allem nicht mit Gin." Der letzte Satz der Schauspielerin klang mahnend.
 

Nachdem sie das Telefonat beendet hatte, ging Chris von sich aus wieder auf Abstand zu Jodie und warf dieser einen gereizten Blick zu. "Du hast es gehört. Ich muss zurück zum Anwesen, bevor meine Leute noch etwas Dummes anstellen."

Die Jüngere blickte sie mit besorgten Augen an. "Oh Gott, was glaubst du was passiert ist? Ist Rena...-", begann Jodie, doch Chris unterbrach sie, indem sie mit den Schultern zuckte und abwehrend eine Hand hob.

"Ich kann dir nicht sagen, was mit ihr ist, oder ob Gin mir irgendetwas darüber sagt. Das ist ein Thema, in das ich mich eigentlich nicht einzumischen habe. Aber Curaçao hängt an dem Mädchen..."

"Jetzt sag das nicht so, als wenn Rena dir vollkommen gleichgültig wäre!", fuhr Jodie die Schauspielerin an, welche unbeeindruckt wirkte.

"Für dich ist sie jedenfalls eine Freundin. Dir sieht man die Sorge an der Nasenspitze an.", sagte Chris ihr auf den Kopf zu und fuhr fort: "Ich kümmere mich um die Angelegenheit, aber du darfst jetzt nicht die Nerven verlieren. Du musst trotz allem konzentriert bleiben, wenn du gleich mit deinen Kameraden sprichst."

Mondnebel...verdammt! Während Jodie dem kurzen Telefonat gelauscht hatte, hatte sie den Termin vor lauter Sorge ganz verdrängt. "Verdammt, der Termin...", nuschelte sie.

"Ich denke nicht, dass ich heute nochmal aus dem Anwesen komme, wenn ich vermeiden will, dass Chaos ausbricht. Ich sage Bourbon Bescheid, dass er dich nachher abholen soll. Ruf ihn einfach an, okay?"

Chris wandte sich zum Gehen, doch Jodie hielt sie auf, indem sie entschieden nach der Hand der Schauspielerin griff und sie daran festhielt.

"Das wird nicht nötig sein. Ich komme mit, damit das klar ist.", verfügte sie entschlossen.

"Du musst mit Mondnebel sprechen. Das hat jetzt Priorität.", widersprach Chris ihr.

"Als wenn ich dafür jetzt die nötige Ruhe hätte, solange ich nicht weiß, was mit Rena ist!", hielt die Jägerin dagegen. "Versuch erst gar nicht mich umzustimmen. Ich komme mit.", entschied sie. "Ich werde meinen Vorgesetzten auf der Fahrt anrufen und das Treffen verschieben."

Für einige Sekunden starrten die beiden Frauen sich an und fochten mit den Blicken ein stummes Duell aus. Schließlich seufzte die Schauspielerin, drückte Jodies Hand, mit der diese sie festhielt, und nickte schließlich.

"Dann los jetzt. Einen Sturschädel wie dich bekäme ich eh nicht abgeschüttelt. Du würdest mir notfalls noch auf den Rücken springen, damit ich dich mitschleifen muss."

"Besser nicht. Wenn dir verzogenem Prinzesschen ein Rotkehlchen auf dem Rücken landet, stehst du vermutlich schon nie wieder auf."

"Pass auf was du sagst!" Die verkleidete Daywalkerin fauchte verärgert, was einige Passanten dazu brachte, bei dem nicht menschlichen Laut irritiert zu den beiden Frauen zu sehen, ehe sie es wohl auf ein vorbeifahrendes Auto schoben und ihren Weg fortsetzten.

Die beiden Blondinen verlegten die Diskussion und eilten stattdessen durch die Straßen, um auf schnellstem Wege zurück zum Auto zu gelangen.

Während ihrem Weg durch die Stadt, konnte Jodie vor lauter Sorge kaum einen klaren Gedanken fassen. Curaçao wäre niemals so aufgelöst gewesen, wenn die Lage nicht wirklich ernst wäre.

Sie wusste noch nicht genau was mit Sternenstaubs Jägerin passiert war und was sie für sie tun konnte, doch auf jeden Fall wollte sie ihrer Freundin helfen. Sie hoffte nur, dass die Situation sich, zurück im Anwesen, möglichst bald klären lassen würde.



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