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How To Save A Life

Haikyuu Krankenhaus AU RairPairs on the Run
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Willkommen zu einem meiner wohl meistersehnten Kapitel. Also von mir. Bei Grey’s Anatomy sagen sie an dieser Stelle übrigens oft: „prepare yourself“

Das und ne Packung Taschentücher und vielleicht nen Kräuterschnapps zur Verdauung geb ich euch auch mal mit. Komplett anzeigen

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1042


 

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Von der 1042er Reihe Elektrolokomotive der österreichischen Bundesbahnen wurden seit den 60er Jahren 257 Stück geliefert. Die Lok wird auch als Universallokomotive bezeichnet und wird mit einem SSW-Gummiring-Federantrieb angetrieben. Die Lok gab es in Tannengrün (80), Blutorangefarben (die meisten anderen) und Kaminrot (versuchsweise am Anfang). In den 90er Jahren wurde das veraltete Modell auf die 1142er Reihe aufgerüstet.
 

1042 ist die Nummer eines Formulars der Armerikanischen Steuerbehörde, dem IRS, welches verpflichtend auf der ganzen Welt von entsprechenden Vermittlern ausgefüllt und übermittelt wird. Vermittler können Banken sein, Rechtsanwälte oder eigene Firmen, die nur für so etwas gegründet wurden. Um das zu dürfen, müssen sich diese Vermittler einer intensiven Prüfung unterziehen, die regelmäßig wiederholt werden muss um den sogenannten QI-Status positiv zu halten. QI steht für Qualified Intermediary und bezeichnet den geprüften Vermittler.

Im Formular wird die unter länderspezifischen Doppelbesteuerungsabkommen berücksichtigt abgeführte US-Quellensteuer in Verbindung mit Wertpapiergeschäften amerikanisch Ansässiger dargestellt. Fehler sind nicht erlaubt und werden teuer. Wer diese Beschreibung versteht ist entweder ein Genie oder hat jahrelang versucht, es zu verstehen, weil für einen solchen Vermittler gearbeitet wurde, und kann das Thema nun nicht mehr hören, weil es, sobald das Thema Steuer aufkommt, immer problematisch wird. Sobald die Amerikaner mit im Spiel sind, meint man gleich noch zusätzlich nervöser werden zu müssen.
 

In der Apostelgeschichte 10-42 steht geschrieben:

"Und hat uns geboten, zu predigen dem Volk und zu zeugen, daß er ist verordnet von Gott zum Richter der Lebendigen und der Toten."

Die Koordinaten 10/42, also 10° 0' 0" N 42° 0' 0" E führen uns nach Äthiopien.
 

10:42 ist aber auch eine Uhrzeit. Zwei sogar, einmal vor Mittag und einmal nach Mittag, des Nachtens.
 

Beim Timestamp 10:42 dieser wunderschönen Coversammlung startet ein Song, richtungsweisend für dieses Kapitel.
 

***
 

Die Nachtschicht war Kenmas liebste Schicht und sie war die Rettung für den Assistenzarzt. Durch sie konnte er ein unangenehmes Gespräch mit seinem Mitbewohner abwehren. Er konnte Terushima ausweichen und er konnte auch Kuroo auf Abstand halten, der sofort bemerkt hätte, dass etwas nicht stimmte. Aber was genau stimmte nicht? Der Kuss, den ihm Terushima gestohlen hat, um sie von Schlimmeren zu bewahren, wollte ihn eigentlich nicht stören. Kenma hat sich nie vorgestellt, wie toll oder nicht toll oder aufregend oder verrückt sein erster Kuss sein würde. Für Romantik hatte er keinen Sinn, auch Verlangen hatte er kaum bis keines danach. Nicht, bis Terushima ihn so überrumpelt hat und er zum ersten Mal dieses aufregende Gefühl hatte, das ihm den Boden unter den Füßen weggezogen hat.
 

Immer wieder hat er sich bei Kawanishi, am Weg heim, in den Stunden im Zimmer, zum Einschlafen und nun auch im Bus am Weg ins Krankenhaus zu besagter Nachtschicht, dabei ertappt, dass seine Finger automatisch auf seine Lippen gewandert sind und er versuchte, das Gefühl für sich zu beschreiben. Erfolglos.

Auch war es schwer, zu entscheiden, ob es ein positives oder ein negatives Gefühl war. Es war, passé positiv, aber es verwirrte ihn, dass der negative Beigeschmack Terushimas so schwer wog. Terushima hat ihn geküsst. Und da war schon Leidenschaft drinnen, denn Terushima, so ahnte Kenma, machte keine halbe Sachen, selbst dann nicht, wenn es nur Tarnung war. Und diese Gefühle verwirrten.

Sie haben Kenma beim Verlassen des Krankenhauses am Vorabend nicht mehr in Yamaguchis Augen sehen lassen. Das tat er selten, aber diesmal konnte er nicht. Terushima war wirklich ein Arsch.

Aber dieser Arsch war gerade nicht da. Er hatte eine normale Schicht und Kenma saß allein im Bus. Wieder einmal mit den Fingern auf seinen Lippen. Am liebsten hätte er sie sich abgebissen. Ging aber nicht. Stattdessen trat er vollkommen unvorbereitet aus dem Bus.
 

„Dr. Kozume.“ Eine schwache Stimme sprach ihn an und er wandte sich zu Dr. Sakusa um. „Dr. Kozume, ich… ich kann die Zeit nicht rückwärts drehen“, sagte er als die beiden sich gegenüberstanden. Kenma musterte den Oberarzt. Er sah absolut fertig aus, hatte Augenringe, verquollene Augen und sein Haar war zerzaust. Er war blass und hatte einen irren Blick drauf.

„Sie können sie auch nicht vorwärts drehen“, vermutete Kenma. Dr. Sakusa lachte verhalten. „Sie haben recht… was… was kann ich eigentlich, Dr. Kozume?“, fragte er und packte den Assistenzarzt an den Oberarmen, ihn desillusioniert durchzuschütteln. Kenma spannte an, schluckte und starrte seinen Mentor überfordert an. „Entschuldigen Sie“, sagte Dr. Sakusa. Er nahm sofort die Hände von ihm und ging ein paar Schritt an ihm vorbei. Immer wieder murmelnd, dass er die Zeit nicht zurück drehen konnte. „Dr. Sakusa-sama, was ist passiert?“, fragte Kenma und schloss auf. Angepasst blieben beide Ärzte stehen und Dr. Sakusas Stimme erzählte brüchig, was in den letzten 24 Stunden passiert ist. Nicht, dass Kenma jedes Detail erfahren wollte, aber er ließ den Oberarzt reden.
 

-
 

Sakusa hat in der Nacht kein Auge zugemacht. Es war nicht so gewesen, dass er Dr. Romero nicht vertraute. Ganz im Gegenteil, wenn jemand seinen Respekt verdiente, dann war es neben Dr. Nekomata, dem Chefarzt der Neurologischen Chirurgie, Dr. Romero, Spezialist für Transplantationen. Der Beste im Land. Weit und breit.

Nein, es war nicht die Sorge. Nicht seine. Es war Atsumus Sorge, die diesen und somit Sakusa wach hielt.
 

„Und du schaust zu?“, fragte Atsumu und Sakusa nickte. „Und wenn was is, bist du da, yea?“, fragte er weiter. Sakusa nickte wieder.

Die ganze Nacht über gab es Fragen. Atsumu wurde auch richtig desillusionieret und fragte nach Kenma, er fragte nach anderen Männern und erkundigte sich auch, ob Terushima sein Typ war – war er nicht, Terushima war ein Vollidiot.

Sakusa wurde laut, als ihn Atsumu zum wiederholten Mal fragte, ob er schlief.
 

„Wie soll ich schlafen können, wenn du keine Ruhe gibst und schwachsinnige Fragen stellst?“, blaffte er ihn an und sah in verschreckte Augen. Er war Atsumu gegenüber selten laut. Er musste nur manchmal sehr deutlich werden, aber er hat ihn nie angeschrien. „Tut mir leid… aber du raubst mir den letzten Nerv“, seufzte er und stand auf. „Ich hol mir einen Kaffee, das wird heute eh nichts mehr mit dem Schlafen“, sagte er und stand auf. Den Wunsch nach einer Limo erfüllte er Atsumu nicht. Es gab Wasser, mehr durfte er vor der Operation nicht zu sich nehmen. Auf den Protest hin flog dann schließlich ein Polster vom zweiten Bett in diesem Zimmer und Osamu machte sich laut bemerkbar. „Wenn du so weiter machst, behalt ich meine Leber ganz“, knurrte er. „Mach nur! Dann bekomm ich ‘ne Bessere“ – „Bekommst du nicht, sei einfach still und versuch zu schlafen“, mischte sich Sakusa noch einmal ein und setzte sich wieder an Atsumus Bett. Ruhe kehrte ein. Aber nicht lange. Das Fragespiel ging weiter. Details über die Operation, wie das genau mit dem abklemmen funktionierte und warum sie das gleichzeitig machten – nämlich dass der Teil von Osamus Leber schnell eingesetzt werden konnte um so wenig Zeit wie möglich zu verlieren.
 

„Ich verhungere hier noch“, quengelte Osamu, als Sakusa ein paar Stunden später auch das Frühstück verwehrte, beiden. „So schnell geht das nicht“, antwortete dieser trocken und stand auf. „Jetzt kommt die Visite. Dann werdet ihr vorbereitet und für die OP geholt“, erklärte er und ging zur Tür.
 

„Und du? Gehst du jetz? Ich dachte, du bleibst bei mir!“, beschwerte sich Atsumu gleich. Sakusa seufzte. „Ich geh mich frisch machen, Atsumu. Ich bin wieder hier, bevor ihr im OP seid. Versprochen“, sagte er und sah dabei auch zu Osamu, der ihm verständig zunickte. Atsumu griff noch einmal nach seiner Hand, dass es Sakusa nun wirklich schwer fiel, einfach zu gehen, aber er fühlte sich schrecklich. Übernachtig, ungepflegt und unterkoffeiniert. Also ging er.
 

Eine angenehme warme Dusche mit einem kurzen Heiß-Kalt-Wechsel erledigte das meiste um den Rest kümmerte sich ein frisch gebrühter Espresso, den er mit Komori in der Krankenhauskantine geholt hat. Eigentlich wollte er sich einen Deckel für den To-Go-Becher nehmen, doch als er diesen vom Stapel hob, kam ein rotes Entchen in der Grüße eines Zuckerwürfels zum Vorschein und er verzichtete ob der Tatsache, dass jemand mit verunreinigten Fingern hier am Werk gewesen sein musste.
 

„Das ist unerhört“, schnaubte er, da auch ihm schon aufgefallen ist, dass seit geraumer Zeit kleine bunte Entchen diverse Bereiche des Krankenhauses zierten. Und er fand das gar nicht nett, süß, witzig oder auch nur irgendwie in Ordnung.

„Ich hab das Gefühl, sie verfolgen mich“, zischte Komori, der seit der Sichtung der roten Ente geweiterte Augen denn je hatte. Seine Iriden zischten wild von links nach rechts, etwas hoch und weiter hinunter, absuchend, wo das nächste intrigante Vogelgetier saß.

„Wie sollen sie dich verfolgen, Motoya. Die sind aus Plastik“, sagte Sakusa und nahm einen regelrecht erlösenden Schluck vom Espresso. „Harz“, korrigierte Komori, ignorierte aber den eigentlich Inhalt der Message. Denn auch Enten aus Harz konnten ihn nicht verfolgen.
 

„Ich finde es höchst unhygienisch. Wer auch immer sich hier einen Spaß erlaubt, versteht nichts davon“, sagte Sakusa. „Als würdest du was von Spaß verstehen, Kiyo“, kicherte Komori, kassierte aber umgehend ein Augendrehen. Darum ging es nicht. Und doch, Sakusa meinte, dass er gut ausgewählten Humor durchaus verstand und auch schätzte. Immerhin hat es auch Atsumu geschafft, sein Herz zu erobern. Natürlich nicht nur durch Humor. Bei Kiyoomi Sakusa brauchte es dann schon um einiges mehr. Atsumus einzigartiger Charme trug maßgeblich dazu bei, dass Sakusa sein Herz und seinen Kopf verloren hat. Nichts, was er ihm gerne und oft sagte, ihm aber ehrlich zugestand.
 

„Bist du nervös?“, fragte Komori nachdem sie aufgestanden waren und er dabei den letzten Schluck seines Milchkaffees nahm. Die beiden leeren Pappbecher wurden entsorgt und die Kantine verlassen. „Kiyo?“, fragte Komori nach, weil der Oberarzt in Gedanken war und ihn gar nicht recht hörte. Sakusa dachte an die Zeit, in der er Atsumu kennengelernt hat, damals, als er noch nicht hier gearbeitet hat, damals, als das mit Atsumus Krankheit gerade aufkam und er mit jedem Treffen hoffte, eine einfache Lösung dazu zu finden. Aber es war nicht einfach. Auch die Operation, die Dr. Romero und Dr. Udai heute an den Zwillingen durchführen würden, war nicht einfach. Sie gehörte für die Transplantationsspezialisten zur Routine. Aber es war nicht einfach. Und genauso war es nicht einfach für Sakusa, zu antworten.
 

„Es ist okay, wenn du nervös bist“, sagte Komori und legte seinen Cousin die Hand auf den Oberarm, auf eine Art und Weise, wie er wusste, dass dieser es akzeptierte. „Ich bin nicht nervös“, schüttelte Sakusa ab. „Aber… ich bin auch nicht… nicht nervös“ Er seufzte. Komori lächelte ihm aufmunternd zu. „Das ist wohl normal. Aber du hast heute selbst keine OP oder? Du kannst den ganzen Tag bei ihm sein, nicht wahr?“, fragte der Stationsarzt und Sakusa nickte. Er würde den gesamten Eingriff über in der Galerie sitzen, stehen… sich aufhalten und warten, bis Atsumu wieder auf sein Zimmer gebracht würde und dann würde er mit ihm gehen und seine Hand halten, so lange, bis er aufwachte und sich darüber beschweren konnte, dass er schlecht gelegen hat oder dass er Hunger hatte oder Limonade wollte.

Mit diesen Gedanken verabschiedete er sich von Komori, den selbst die Pflicht rief. Chefarzt Nekomata sogar, denn Komori hat sich wie sein Cousin für die Neurochirurgie entschieden und durfte heute bei der Behandlung eines Ruptur gefährdeten Hirnaneurysmas assistieren.


 

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Kenma erinnerte sich daran, dass er bei der Operation auch gerne dabei gewesen wäre, doch Dr. Nekomata wollte keine Neulinge in seinem Operationssaal haben. Nicht bei diesem Eingriff. Es hätte auch mit Kenmas Dienst nicht gut funktioniert, selbst wenn er für so etwas schon auf seine Freizeit und Schlaf verzichtet hätte. Aber das sagte er Dr. Sakusa nicht, denn der wirkte nicht so, als wäre er auch nur annähernd am Ende seiner Ausführungen.
 

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Der Weg zum Zimmer der Miyas fühlte sich schrecklich lange an, obwohl sich Sakusa so schnell mit Komori zum Kaffeetrinken getroffen hat. Seine Beine wurden schwerer und er spürte, dass ihm der Schlaf fehlte, wusste aber, dass er in den nächsten acht Stunde nichts davon nachholen würde und dann auch erst, wenn er Atsumu in die Augen gesehen hätte um sicher gestellt zu haben, dass es ihm gut ging. Erst noch aber hatte er nach dem Erreichen des Zimmers den Weg zum Operationssaal vor sich.

Atsumus Gerede fühlte sich unheimlich wirr und weit entfernt an. Auch ein neuerlicher Streit, den die Zwillinge ausführten, kam nicht recht an ihn heran. Erst als Atsumu vor der Tür zum Chirurgietrakt seine Hand fester drückte, kam Sakusa wieder im Hier und Jetzt an. Mit einem sanften Lächeln sah er zur Liebe seines Lebens und ließ sich von ihm versprechen, dass er sich auf die letzten Meter benahm, aber auch, dass er es nicht wagen würde, irgendwelche außergewöhnlichen Zwischenfälle zu provozieren, für die er natürlich nichts könnte. „Hab dich im Griff. Übersteh das und komm wieder zu mir zurück“, sagte er zu ihm und Atsumu versprach ihm mit einem bedeutungsstarken Kuss, dass ihm nichts passieren würde und dass sie heute Nacht Arm in Arm einschlafen und all den Schlaf nachholen konnten, der ihnen der vergangenen Nacht abhandengekommen war.
 

„Du… Kiyoomi?“, fragte Osamu mit gesenktem Blick. Sakusa wandte sich von Atsumu ab und betrachtete dessen Zwillingsbruder. „Osamu?“, forderte er ihn zum Weitersprechen auf. „Ist Rin heute da?“, fragte der grauhaarige Zwilling. Sakusa wusste, warum, er fragte. Er mischte sich in diese Dinge aber nicht ein. „Ich kenne seinen Dienstplan nicht“, sagte er wahrheitsgemäß. Osamu nickte mit einem aufgezwungenen Lächeln. „Denkst du… wir haben noch eine Chance?“, stellte Osamu noch eine Frage, die Sakusa nicht zu beantworten vermochte. Nicht nur, weil er nicht wollte. Er konnte nicht. „Rintaro ist ein komplizierter Mann. Du wirst das Gespräch mit ihm direkt suchen müssen“, gab er ihm mit auf dem Weg. Wiederwillig versprach er Osamu Suna etwas auszurichten, würde das Schlimmste eintreffen.
 

„Arsch! Behalt‘ deine ganze Leber und sag’s ihm selbst! Willst nur als Held vor ihm da stehen“, knurrte Atsumu und sah von Schwester Misaki zu Pfleger Izuru. „Ihr habt doch sicher ‘nen besser’n Spender gefunden, als den da“, fragte er ein letztes Mal nach der Möglichkeit, Osamu aus seiner selbstauferlegten Pflicht zu nehmen. Beide verneinten. Atsumu wandte seinen Blick zu Osamu um. Er deutete die Krankenbetten näher aneinander zu schieben, dass er nach der Hand seines Bruders greifen konnte. „Danke…“, flüsterte er. „Du würdest dasselbe für mich tun“, sagte Osamu und zuckte mit den Schultern. Atsumu nickte. Würde er. Ohne auch nur im Ansatz darüber nachzudenken. Er würde sein Leben geben für Osamu. Das wusste auch Sakusa und war froh um die Konstellation, nicht besonders stolz, aber froh, dass Osamu etwas für Atsumu gab und nicht anders herum.
 

„Vergib mir, falls ich es nicht schaffe“, sagte Atsumu zum Abschied. Sakusa schüttelte energisch den Kopf. „Das würde ich dir nie vergeben“, sagte er streng und sah zu, wie Atsumu in den ersten Operationssaal geschoben wurde. Er sah ein letztes Lächeln und die Lippen, die „Bis gleich“ formten. „Bis gleich“, flüsterte auch er.
 

Osamu wurde direkt darauf in den zweiten Operationssaal geschoben und dann stand Sakusa alleine im Gang. Die Türen schwangen hörbar nach. Sie vertonten beinahe Sakusas Herzschlag, der immer langsamer wurde. Es wurde still.

Einen Augenblick blieb er so stehen, dann begab er sich einen Halbstock höher.
 

Entsprechend seiner Erwartungen betrat Dr. Romero den Operationssaal wieder mit dem Start seiner Playlist. Alles andere hätte Dr. Sakusa wohl verunsichert, weil es nicht der Norm entsprochen hätte. Auch saß nun wieder Konoha am Narkosegerät und verlangte dem leitenden Arzt ein erfreutes Lächeln ab, das aber sofort mit einer Maske bedeckt wurde. Der Anästhesist reagierte kaum. Seine Augen huschten auf den Monitor und er nickte Dr. Romero zu.

„Skalpell“, sagte dieser, warf einen Blick auf die Vitalwerte und schnitt durch Atsumus Haut. Sakusa biss sich angespannt auf die Lippen und lehnte sich auf seinem Sitz nach vorne. Es hätte ihm wirklich gut getan, wenn Komori jetzt bei ihm gewesen wäre. Er hatte niemanden gebraucht, der ihm die Hand hielt, die Schulter tätschelte oder ihn umarmte. Das würde Atsumu alles machen, wenn dieser nach der Operation in seinen Armen aufwachen würde. Aber er hätte gerne die beruhigende Präsenz einer familiären Person bei sich gehabt.
 

Soweit Sakusa das beurteilen konnte, verlief der erste Teil der Operation gut. Atsumus Galle wurde abgeklemmt und die schier unbrauchbar gewordene Leber und gerade herausgehoben, da ertönte das Klirren des OP-Telefons. Dr. Romero hielt inne und bat OP-Schwester Misaki, den Hörer abzunehmen.
 

„Es ist Dr. Udais OP. Izuru sagt, die Spenderleber ist unbrauchbar“
 

“Die Spenderleber ist unbrauchbar“
 

“Unbrauchbar“
 

Unbrauchbar
 

Sakusa hörte nichts anderes mehr als dieses Wort. „Unbrauchbar“. Kein Geräusch aus dem Operationssaal oder der Galerie kam auch nur annähernd an ihn heran. Seine Ohren machten komplett zu. Wie in Zeitlupe sah er, wie Schwester Misaki den Hörer fallen ließ, wie Dr. Romero zu ihm hochsah aber Yachi, seiner Assistenzärztin, Anweisungen mit dem Skalpell in der Hand gab. Das Besteck wurde ausgetauscht und die zur Entsorgung beiseitegelegte Leber von Atsumu wurde wieder in den Kreislauf gebracht. Das Skalpell fiel Yachi aus der Hand. Misaki tauschte es sofort aus.

Sakusas Ohren surrten. Ein Piepen ertönte, von dem er wusste, dass es eine Schockreaktion war und kein Gerät aus dem Operationssaal.
 

Beinahe hätte er vergessen zu atmen, da spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Dass Surren und Piepen verging und der Ton des echten Lebens kam umgehend zurück, auch die Zeit verlief nicht mehr wie in Zeitlupe und Sakusa hob den Kopf um in Sunas scharfe grüne Augen zu sehen. „Osamus Leber versagt“, informierte er ihn, blasser als sonst. Sakusa spürte das Zittern von Sunas Fingern auf seiner Schulter. Sie waren auch kälter als üblich. Er ließ ihn gewähren. Die beiden waren so lange befreundet und arbeiteten in diesem sterilen Bereich, dass er ihm vertraute.

Doch dann geschah etwas, dem er nicht vertraute. Dr. Romero deutete Misaki, die Musik verstummen zu lassen.
 

„Was machen sie mit Atsumu?“, fragte Sakusa schwach. „Was machen sie mit Atsumu?!“ Sakusa wurde lauter. Er stand auf und Sunas Hand rutschte von seiner Schulter.

„Dr. Romero! Was-“ Sakusa war an das Telefon in der Galerie gegangen. „Dr. Sakusa. Schön, Ihre Stimme zu hören, aber wenn Sie wollen, dass er überlebt, lassen Sie mich in Ruhe arbeiten“, sagte Dr. Romero ernster und strenger als Sakusa ihn jemals erlebt hat. Yachi war angespannt, selbst Konoha wirkte unruhig. Unter drückender Stille setzte Dr. Romero die beschädigte aber nicht ganz verlorene Leber wieder ein. Hoch konzentriert suchte er dabei die Möglichkeit, an bereits absterbendem Gewebe vorbeizuarbeiten. Sakusas wiederholte Fragen über den Fortschritt, das Vorhaben und Atsumus Überlebenschancen blieben unbeantwortet. Er wurde nervöser. Aber auch Dr. Romero kämpfte mit seiner Ruhe. Nicht nur, weil ihn Sakusa störte, das konnte er ignorieren.

Etliche Minuten später, in denen Sakusa bereits überlegt hat, selbst in den Operationssaal zu gehen und dafür zu sorgen, dass Atsumu überlebte, legte Dr. Romero das Besteck ab. Sakusa hielt sich an die Vorgaben des Krankenhauses und auch denen der Ethik. Er durfte nicht an einem Angehörigen operieren. Er war zu involviert und eigentlich hätte er nicht einmal in der Galerie sein sollen.

Dr. Romero trat einen Schritt zurück. Atsumu blieb offen. Sakusa blieb stehen.

Seine Augen hafteten wie die gesamte Zeit des Rettungsversuches auf den flinken Fingern des Chirurgen.
 

„Er ist soweit stabil, jetzt heißt es abwarten“, sagte Dr. Romero mit erhobenen Händen. Misaki hatte bereits die Informationen weitergetragen. Osamu stand auf der Transplantationsliste nun ganz oben. Sakusa stand stockend atmend immer noch am Hörer.

„Wir müssen die Spenderleber teilen“, sagte er mit gestandener Stimme. Sein ganzer Körper zitterte vor Angst, aber seine Stimme klang fest und bewusst.

„Das werden wir, wenn wir eine bekommen“, sagte Dr. Romero. Er wandte den Kopf nicht von Atsumu ab. Sakusa nun in die Augen zu sehen, wenn auch über eine sichere Entfernung, war keine gute Idee, das erkannte Yachi umgehend, denn ihr schien ein kalter Schauer über den Rücken zu laufen. Sie schüttelte sich am ganzen Körper und öffnete den Mund um Dr. Romero anzusprechen. „Wir können nichts anderes tun“, sagte dieser, noch ehe sie ihn fragen konnte. Yachi nickte. Sie seufzte und sah auf den offenen Torso vor sich. Die Maschine mit den Vitalwerten machte regelmäßige Geräusche, die sie alle erhofften.
 

Stille. Ewig währende markerschütternde Stille, die Sakusa wie mit einer Katanaschneide durchtrennte. „Rintaro… ihr habt dieselbe Blutgruppe“, sagte er. Suna schwieg, wagte es nicht, seinen Freund anzusehen. „Du kannst-“ – „Kann ich nicht“ Sakusa stockte. Unverständnis schmetterte auf Ablehnung.

„Das kann ich unserer Beziehung nicht antun“, sprach Suna weiter. Das Unverständnis stieg. „Aber sterben lassen kannst du ihn?“ – „Kann ich nicht, verdammt! Aber…“ Suna unterbrach sich selbst mit Stille. Beide hielten inne, maßen einander nur mit Blicken. Sakusa verachtete seinen Freund in diesem Moment mehr als das Schicksal, das Atsumu in diese Situation gebracht hat.
 

„Samu würde mich mehr hassen als jetzt schon. Ich will, dass unsere Beziehung eine neue Chance hat und das geht nicht, wenn er mir sein Leben verdankt“, erkläre Suna schließlich. Sakusa schnaubte. „Du bist so ein verdammter Sturkopf“, knurrte er und ballte die Fäuste. Just in dem Moment, als sie beide noch etwas sagen, vielmehr schreien wollten, erklang das Telefon im Operationssaal. Misaki ging umgehend ran. Die Schwester nickte mit einem Laut, der kommunizierte, dass sie verstanden hatte. „Sie haben eine Spenderleber. Dr. Kuroo und Dr. Yaku sind auf dem Weg“, gab sie die Information an alle im Raum und darüber hinaus weiter. Sakusa atmete erleichtert aus. Er schloss die Augen und senkte den Kopf. „Glück gehabt“, sagte er zu Suna als wäre es ein Vorwurf. „Gleichfalls“, kam es nicht weniger verwerflich zurück. Sakusa verstand ihn manchmal einfach nicht. Gerade hatte er aber auch keinen Nerv dazu, sich mit Suna und seiner Art auseinanderzusetzen. Die beiden hatten jetzt nichts mehr zu reden. Das würde sich in den nächsten Tagen und Wochen wieder ausbügeln, so wie immer, wenn sie nicht einer Meinung waren.
 

Und dann waltete Stille.

So lange Stille, bis es wieder unruhig wurde. Atsumus Werte sanken ab und Dr. Romero reagierte mit Punktation der Leber, Beigabe von Adrenalin, das Herz stark zu halten und Konoha passte das Narkosemittel an.
 

„Wir verlieren die Leber“, sagte Dr. Romero und bestätigte der gesamten Mannschaft im Saal als auch den Zusehern oben, dass Atsumus Leben nun am seidenen Faden hing.

Sakusa reagierte. Er lief aus dem Raum. Suna ließ er einfach stehen. Hastig eilte er die Treppen hinunter und riss die Tür zum Vorbereitungssaal auf. Dr. Romero drehte sich im Operationssaal um. „Dr. Sakusa, sehen Sie mich oben nicht gut genug?“, fragte er mit ruhiger Stimme. Seine Körpersprache vermittelte allerdings alles andere als Ruhe und das spürte nicht nur Sakusa, der seine Hände hastig zu waschen begann. „Bei allem Respekt, Dr. Romero, aber das benötigt-“ – „sicherlich keinen Neurochirurgen!“, polterte Dr. Romero dagegen. Sakusa erstarrte. „Sie gehen wieder hoch! Holen Sie sich einen Kaffee oder sorgen Sie dafür, dass Dr. Kuroo und Dr. Yaku unbehindert zu uns stoßen können“ Die Stimme des Transplantationsspezialisten bebte. Alles in Sakusas Körper sträubte sich dagegen, nun zu gehen. Aber Dr. Romero machte plötzlich einen erleichterten Ton, denn die nervösen Geräusche der Maschinen regulierten sich. Atsumus Zustand hat sich stabilisiert. Sakusa atmete einmal ruhig durch. Er drehte das Wasser wieder ab. „Dr. Romero, ich bin gezwungen, ihnen zu vertrauen“, sagte er. „Und das können Sie. Ich werde alles dafür tun, dass mein Patient überlebt“, erwiderte der Chirurg im Saal. Sakusa nahm ihn beim Wort und verließ nach dem Abtrocknen seiner Hände den Vorbereitungsraum wieder. Er war gezwungen zu vertrauen. Im Grunde vertraute er Dr. Romero. Mehr als vielen anderen Chirurgen, aber es ging um Atsumu. Es ging um den Mann, dem Sakusas Herz gehörte und dem er sogar eben dieses überlassen würde, wenn es ihn retten konnte.
 

Wie ihm Dr. Romero aber nahegelegt hat, ging er nun schnellen Schrittes zu den Aufzügen und sorgte dafür, dass der Lift in das Erdgeschoss fuhr wo auch schon beim Öffnen der Tür der Blick auf die beiden Assistenzärzte fiel, die mit dem Organcontainer auf Sakusa zuliefen. „Dr. Sakusa, schnell!“, rief Kuroo und die beiden schlüpften an ihm vorbei in den Lift. Der Stock wurde gewählt und die längsten 42 Sekunden in Sakusas Leben vergingen. Schweigend. Angespannt. Wie vor dem Startschuss beim Wettlauf. Kaum war der Stock erreicht sprinteten sie alle drei los. Kuroo und Yaku liefen zu den Operationssälen und Sakusa stürmte die Treppe in den Halbstock zur Galerie hoch. Mit unruhigem Atem erkannte er, dass Suna nicht mehr hier war, vermutlich war er bei Osamu und beobachtete mit Unbehagen, wie Dr. Udai um dessen Leben kämpfte. Es tat ihm leid, dass er Suna so angeknurrt hatte und dass er ihm noch viel schlimmere Dinge an den Kopf werfen wollte, als hervorzuheben, wie stur er sein konnte. Aber er kam schnell vom schlechten Gewissen wegen ein paar Worten ab, den im Operationssaal herrschte erneut Chaos.
 

Sakusas Augen stierten durch die Scheibe in Dr. Romeros Nacken. Die Gerätschaften brachten den Operationssaal in Aufruhr. Yachi stand mitten im Raum mit dem Tablett voller Operationswerkzeug, das ihr Misaki gerade abnehmen wollte. Der Tisch dafür stand in einer Ecke, als hätte man ihn willkürlich weggetreten und rollen lassen. Dafür stand der Notfallwagen neben Atsumu und Dr. Romero legte die Elektrodenstäbe des Defibrillators gerade weg.

Das Gerät, das Atsumus Puls überwachte, gab wieder regelmäßige Töne.
 

„Was ist passiert?“ Sakusa war ans Telefon getreten und nahm wieder Kontakt mit dem chirurgischen Team auf.

„Wir hatten einen Herzstillstand. Gerinnsel im Herzkranzgefäß direkt an der linken Kammer. Es ist unter Kontrolle, aber wir brauchen die Leber. Dringend“, sagte Dr. Romero ernst mit bebender Stimme. Sakusa schluckte. „Sie sind da“, presste er heraus.
 

Stille. Sakusa liebte Stille. Gerade hasste er sie. Sein Herz schlug so schnell, das Blut in seinen Venen wurde lauter und betäubte ihm die Ohren. Er war dem Schwindel nahe, weil er sich so machtlos fühlte. Die Finger tippten nervös gegen den Hörer, aber er vernahm die Geräusche dadurch gar nicht richtig. Auch den trällernden Ton, den das OP-Telefon gerade machte.

Schwester Misaki legte das Operationsbesteck wieder auf dem Wagen ab und deutete Yachi, es zu Dr. Romero zu schieben. Ihr Gesichtsausdruck als sie den Anruf des benachbarten Operationssaales entgegen nahm, gefiel Sakusa nicht.

Ihr klappte der Mund auf und ihr Blick suchte verzweifelt den des leitenden Chirurgen. Nur im Ansatz schüttelte sie den Kopf, aber das reichte, dass Sakusa den Hörer fallen ließ und aus der Galerie in die andere lief.
 

„Kiyoomi… es tut mir so leid“, sagte Suna. Er stand vor der Glasscheibe und hatte den Kopf nur im Ansatz zurück gedreht. Auf das fragende Gesicht hin, sprach Suna weiter. „Sie haben eine Masse auf der Leber entdeckt und können nicht die ganze verwenden“

Sakusas Herz setzte aus. Das bedeutete, dass nur einer der Zwillinge überleben würde. „Nein!“ Sakusa protestierte. Er schüttelte den Kopf schnell und lief vor zur Glasscheibe um mit beiden Fäusten dagegen zu schlagen. Im Saal unter ihnen zuckten die Ärzte zusammen. „Das darf nicht wahr sein! Das ist nicht fair!“, rief er aus. Dr. Udai räusperte sich im Operationssaal. „Wer bekommt die Leber?“, fragte er und Izuru, gab die Frage über das Telefon an Misaki weiter.
 

Wer bekam eine Organspende, wenn die Patienten auf den Operationstischen Zwillinge waren und beide einen ähnlich kritischen Zustand hatten? Das war eine Frage, die niemand der Anwesenden jemals hätte beantworten wollen. Denn sie bedeutete: „Wen retten wir?“ und „Wen lassen wir sterben?“

Sakusas Hände zitterten vor Angst. Suna sah ihn flehend an. „Wehe, du sagst es“, bebte Sakusas Stimme. Suna schüttelte den Kopf. Die Ärzte im Saal diskutierten wild. Hoben die Zustände hervor. Dr. Udai wurde über Atsumus Herzstillstand informiert und die Spezialisten wogen die Chancen ab. Auch Sakusa hat abgewogen und nahm den Hörer in die Hand.
 

„Dr. Udai? Geben Sie Osamu die Leber“, sagte er mit brüchiger Stimme. „Kiyoomi!“ Suna trat heran, aber Sakusa gebar ihm, stehen zu bleiben. „Atsumus Zustand ist kritischer, er muss auf der Liste ganz nach oben gesetzt werden“, sagte er und hing den Hörer wieder in die Gabel. Dann ging er. Langsam, ohne Suna noch einmal anzusehen. Sakusa blieb am Gang vor der Galerie zu Atsumus Operationssaal stehen. Er bereute, was er gesagt hat. Damit hat er Atsumus Schicksal besiegelt. Aber er wusste auch, Atsumu war der stärkere Zwilling. Wenn jemand noch etwas auf ein Spenderorgan warten konnte, dann war er es. Und dennoch wollte Sakusa umgehend zurück laufen und Dr. Udai sagen, er solle die Leber zu Dr. Romero bringen, aber er konnte sich nicht rühren. Es war, als stünde er in Beton gemeiselt.
 

Später konnte er nicht sagen, wie lange er dort stand und einfach nur mit stummen Gebeten in die Luft starrte. Sakusa war nicht gläubig. Er glaubte nicht daran, dass irgendein übernatürliches Wesen Atsumu retten würde. Er wusste, dass es nur die Medizin konnte und er wusste, dass es manchmal eben nicht ging. Aber Sakusa war dem Verzweifeln nahe und so betete er an alles, was er für möglich hielt. So lange, bis ihn Sunas Stimme wieder ins Hier und Jetzt rief.
 

„Dr. Yamagata und Dr. Yaku holen eine Leber für Atsumu. Dr. Kuroo assistiert bei Osamu“
 

Sakusa brach in Tränen aus. Die Beine versagte der Erleichterung und er ging auf die Knie. Suna bot seinen Halt an, aber Sakusa lehnte ab, er lehnte auch ab, dass er ihm in die Galerie folgte. Dort pinnte er sich direkt an die große Glasscheibe. Dr. Romero wandte sich zu ihm um. Wohl mit einem Lächeln im Gesicht, denn seine Augen übermittelten eines. Die Maske verdeckte den Rest der Mimik.

„So kenne ich Sie gar nicht, Dr. Sakusa“, neckte er, aber bekam keine Reaktion. Stattdessen schniefte Sakusa ein tiefes „Danke“, dass sich neben ihm jemand räusperte. Mit einem erbarmungswürdigen Ausdruck blickte er in Dr. Ushijimas Gesicht, der wohl schon die ganze Zeit hier saß und die Operation beobachtete. Neben ihm saß Dr. Tendou, so still und ruhig, wie den Unfallchirurgen noch niemand erlebt hat „Hier“, sagte Dr. Ushijima mit tiefer Stimme und reichte ein Stofftaschentuch. Sakusa nahm es wortlos entgegen, tupfte sich die Tränen weg und nutzte es auch, nicht weiter eine laufende Nase ertragen zu müssen. „Ich gebe es wieder zurück“, sagte er. Dr. Ushijima nickte mit einem angenehm brummenden Ton und beide sahen wieder in den Operationssaal nach unten.
 

„Alles wird gut“, dachte Sakusa und atmete ruhiger. „Ich kann es kaum glauben, wie spannend es der kleine macht“, gluckste Dr. Tendou. Sakusa ignorierte ihn. Ushijima schwieg auch während sich der rothaarige Arzt neugierig so weit nach vorne beugte, dass jeder andere wohl bereits den Schwerpunkt verloren hätte und gekippt wäre.

Die Anspannung war im Raum deutlich spürbar, stärker noch, als Atsumus Leber komplett zu versagen begann. Plötzlich ging auch Dr. Tendous Pager los.

„Oh!“, stieß er aus, nahm das Gerät zu den Augen und japste nervös auf. „Unfall!“, erklärte er knapp und klopfte Dr. Ushijima auf den Oberarm. „Wir sehen uns“, sagte er noch und wuselte mit einer ungeahnten Entschuldigung an Sakusa vorbei.

Dr. Romero rief Misaki bereits das dritte Mal zu, sie solle nach Yamagata und Yaku fragen. „Dr. Romero! Ich komme nicht durch“, erwiderte sie. Der Notfallwagen kam wieder zum Einsatz. Atsumus Leber wurde punktiert, vergebens. Der Sinusrhythmus wurde durcheinander gebracht. Eine Maschine nach der anderen wurde laut und Sakusa verfiel wieder in seine Schockstarre.
 

„Die sollen hinne machen“, knurrte Dr. Romero nun deutlich angespannt. Die Schockpanele kamen wieder zum Einsatz. Die Kurve beruhigte sich. Nur wenige Sekunden, dann versagte das Herz abermals. „Atsumu“, hauchte Sakusa. „Bitte“, flehte er mit den Händen an die Scheibe gepresst und beobachtete die Ärzte, wie sie aufgeregt alles taten, um Atsumus Zustand wieder zu stabilisieren. Dr. Romero entfernte nun die Leber komplett. Yachi machte die Herzmassage mit einer Hand in Atsumus Brustkorb versenkt.

Auch Dr. Ushijimas Pager ging plötzlich los und er erhob sich. Schweigend ging er aus dem Raum. Zumindest vernahm Sakusa keinen weiteren Ton von ihm. Das Pfeifen in seinen Ohren kam wieder zurück, sowie das Gefühl unter Wasser zu stehen und ertrinken zu müssen.
 

„Wo bleiben die zwei?!“ Dr. Romero wurde lauter. Misaki verfiel am Hörer das Gesicht. „Sie hatten einen Unfall“, sagte sie und schließlich trat Stille im Saal ein. Kein aufgeregtes Treiben mehr. Kein Besteckscheppern. Keine Zurufe. Nur die Maschinen, die einen unerbittlichen Kampf austrugen, welche die lauteste war.
 

„Dr. Yachi! Lassen Sie es“, sagte Dr. Romero bestimmt. Die Assistenzärztin sah von ihrem Mentor hoch zu Sakusa, der kreidebleich hinunter starrte. Er wünschte, er hätte das nicht gehört. Yachi pumpte weiter. Dr. Romero wiederholte seine Forderung. Yachi stoppte irgendwann. Langsam zog sie ihren Arm zurück, voller Blut. Ihre Lippen bebten, sie war den Tränen nahe. Dr. Romero sah auf die Uhr.

„Zeitpunkt des Todes – 10:42“ In Sakusas Ohren pochte es laut. In diesem Moment spürte er alles und gar nichts. Es war, als bräche die Decke über ihm herein und würde ihn unter sich begraben. Sein Hals zog sich zu, sein Herz verengte sich. Er spürte die Hand nicht, die er sich auf die Brust legte. Der Herzschlag wechselte zwischen Rasen und beinahem Aussetzen. Sakusa vergaß das Atmen. So lange, bis er in Dr. Romeros Augen sah, da durchfuhr es ihn wie ein Blitzeinschlag.
 

„NEIN!!!“, rief er, schlug gegen das Glas, wiederholt. So lange bis er sich die Handballen aufgeschlagen hatte und Dr. Romero Yachi hochgeschickt hat, ihn zu beruhigen. Aber das nutzte nichts. Er riss sich aus der liebgemeinten Geste heraus. Das Herz startete ein neues Rennen, genauso wie Sakusa. Er lief aus der Galerie, stolperte beinahe die Treppen hinunter und hastete in den Operationssaal, wo Dr. Romero gerade am Schließen war. Die Widerworte, dass er nicht hier zu sein hatte, hörte Sakusa nicht. Das Rauschen in seinen Ohren war zu laut. Er eilte zu Atsumu und legte ihm die Hände an die Wangen. „Atsumu!! Bitte sieh mich an. Bitte wach auf“, japste er und tätschelte die immer kühler werdende Haut. Seine Finger zitterten, sein ganzer Körper bebte. Atsumu sah ihn nicht an. Er wachte nicht auf.

Dr. Romero hielt inne. Konoha stand auf. Er legte Sakusa eine Hand auf die Schulter, die aber sofort weggeschlagen wurde noch ehe etwas gesagt werden konnte. Weggeschlagen wurde auch das Tablett auf dem das chirurgische Besteck lag. Es schellte unter lautem Klirren zu Boden. Kurz darauf wurde auch der Tisch umgerissen, auf dem das Tablett gelegen hat. Die Kabel und Schläuche , die an Atsumus leblosen Körper hingen, wurden mit unerwarteten Sänfte entfernt, mit der Sakusa vorsichtig und beruhigend versprach, dass alles gut werden würde. Dr. Romero machte einen Schritt zurück und trug Misaki auf, Suna zu suchen. Währenddessen forderte Sakusa immer wieder von Atsumu aufzuwachen. Er wurde immer lauter, energischer und wütender. „Du tust mir das nicht an! Ich vergeb‘ dir das nicht“, schrie er ihn an und rüttelte ihn sogar und schließlich fanden sich Dr. Romeros Finger mit festem Druck auf seinem Handgelenk. Sakusa zuckte auf und starrte panisch auf die Armbanduhr des Chirurgen. „10:42“, flüsterte er und griff mit der zweiten Hand rasch an das Rädchen der silbernen Uhr, den Minutenzeiger zu drehen. So lange zurück zu drehen, bis wieder der Morgen bekundet wurde, dann riss er sich aus dem Griff und lief ans andere Ende des Saals. Er hob sich an einem Hocker hoch um die Wanduhr herunter zu nehmen. Nervös drehte er auch hier am Rad und stellte den Minutenzeiger zurück. Als nächstes zückte er sein Smartphone und stellte dort die Uhrzeit manuell um, ebenso auf seinem Pager. Die Uhr wurde wieder aufgehängt. „Ich bin gleich wieder da“, sagte er im Vorbeilaufen zu den sterblichen Überresten Atsumus und verließ fluchtartig den Operationssaal.
 

Sakusa lief auch in den Saal, in dem Dr. Udai Osamu gerade verschloss und drehte dort ebenfalls die Uhren zurück, die er zu greifen bekam. Das tat er genauso darauf im Gang, wo immer ihm eine auffiel. Er nahm Kolleginnen und Kollegen ihre Smartphones, Pager, Tabletts und Armbanduhren ab um sie zurück zu stellen. Weit zurück zu einer Zeit, wo Atsumu nicht tot war und ihm noch frech ins Gesicht lachte.

Sakusa tat es mit jeder Uhr, die er auch vor dem Krankenhaus fand. Passanten wurden überrumpelt. Den Kollegen bei der Rettung stellte er das Autoradio um und auf dem Weg zu seiner Wohnung nutzte er jede Gelegenheit, jede Uhr, jeden Funken Hoffnung und versuchte, die Zeit zurückzudrehen.
 

Aber er konnte nicht.
 

Sakusa konnte die Zeit nicht zurück drehen, auch nach Stunden nicht, in denen er durch die Stadt gelaufen war und in Cafés, Bars, Wäschereien, dem Bahnhof und wo er noch ran kam, die Uhren umstellte.
 

Erst als es dunkel wurde kam er wieder am Krankenhaus an. Es war, als wäre es früher morgen und die Operation stünde erst an. Er würde Suna zwingen können, sich mit Osamu auszusöhnen und er würde Atsumu retten können.

Als er aber Kenma aus dem Bus steigen sah, erschlug ihn seine eigene herbeigesehnte Lüge wie ein Baseballschläger.
 

„Dr. Kozume“, sagte er schwach.


 

-
 

„Es tut mir leid, dass Ihr… Freund gestorben ist“, sagte Kenma unsicher. Mit diesen Situationen, Angehörige über den Tod zu informieren, war er noch nicht besonders vertraut. Dafür gab es keinen Crash-Kurs. Auch nicht für das, was darauf geschah. Sakusa ging vor ihm zu Boden. „Er war nicht einfach nur mein Freund…“, sagte er und fasste in seine Hosentasche, eine kleine schwarze Schatulle herauszuholen. „Ich wollte ihn nach der OP fragen, ob er…“ Er stockte. Kenma presste die Lippen zusammen und ging langsam in die Hocke. Er legte seine Hand auf die kleine Box und schob sie mit Sakusas Hand zu diesem zurück. „Bitte stehen Sie auf, Dr. Sakusa. Die Leute schauen schon“, sagte er und neigte den Kopf zur Seite. Auch Sakusa wandte sich um. Mit Schrecken stellte er fest, dass er auf dem Boden saß und schmutzig wurde. Schnell riss er sich hoch. Auch Kenma erhob sich wieder und beobachtete, wie Sakusa panisch all den Schmutz abklopfte. Dabei fiel die Schatulle herunter, wurde aber nicht länger von Sakusa beachtet, erst als Kenma sie hoch hob und ihm wieder reichen wollte.
 

„Nein, ich kann das nicht behalten“, sagte er und schob die Hand wieder zurück zu Kenma. „Und ich kann ihn noch viel weniger behalten! Dr. Sakusa!“ empörte sich Kenma und starrte auf die Ringschachtel. Auch wenn das nicht das war, wonach es für Passanten aussah und Kenma keinerlei romantische Gefühle für den Oberarzt empfand, machte ihn die Situation nervös und ließ sein Herz schneller schlagen. Man hatte auch eben nicht täglich mit einem Verlobungsring zu tun. „Bitte…“, sagte Sakusa wiederholt und ließ Kenma mit dem Ring stehen. Dieser folgte ihm aber rasch und redete weiter auf ihn ein.
 

Ungläubig der ganzen Situation wegen stand Kenma kurz darauf vor seinem Spind und starrte auf Schatulle mit dem Ring, den er natürlich bis jetzt nicht gesehen hat und es auch nicht anders plante. Sakusa war nicht mit ins Krankenhaus gegangen und Kenma hat sich vorgenommen, bei der nächsten gemeinsamen Schicht die Sache klarzustellen, denn er verstand, dass Sakusa unter Schock stand.
 

Unter Schock stand der Oberarzt auch nach Kenmas ruhigen Nachtschicht noch. Stumm stand er vor dem Haikyuu Medical Hospital und starrte auf die Uhr. Irgendwann wurde es auch durch die umgestellte Zeit wieder 10:42 und Sakusa senkte die Hand mit dem Smartphone.

„Atsumu ist tot“, sagte er und Kenma nickte.
 

„Kann ich etwas für Sie tun?“, fragte er und hoffte auf eine Ablehnung. Sakusa neigte den Kopf und die beiden Augenpaare trafen sich. Kenma ahnte, dass er nichts anderes getan hat, als seiner Trauer freien Lauf zu lassen. Seine Augen waren rot, verquollen, glasig und er konnte die salzigen Spuren der Tränen auch noch auf Sakusas Wangen erkennen.

Ich will ihn sehen, aber ich kann das nicht alleine“, sagte er. „Ich kann Dr. Suna anpagen“, schlug Kenma vor. Das war unvorsichtig. „Nein!“, wurde die Hoffnung abgeschmettert. Kenma seufzte. „Okay, ich gehe mit Ihnen“, sagte er und drehte wieder um.
 

Auf dem Weg zur Pathologie wechselten sie kein Wort. Auch Dr. Matsukawa nahm sie stumm in Empfang, zeigte ihnen nur, wo Atsumus Leichnam lag. Am Aufbereitungstisch. Dr. Romero hatte ganze Arbeit mit der Verschließung geleistet und Dr. Matsukawa hatte wohl auch seinen Teil dazu beigetragen, dass dieser geliebte Mensch nun so da lag, als würde er friedlich schlafen. Jetzt sah er auch wirklich so aus, nur wusste Sakusa es besser. Schmerzlich.

Mit zögernden Schritten trat er näher an den Tisch heran. Zitternd hob sich sein Arm und er legte seine Hand auf Atsumus. Ruckartig packte er zu und ließ eine neue Welle Trauer über sich hereinbrechen. Sakusa lehnte sich hinunter. Er bebte unter den Tränen. „Ich kann dir das nicht vergeben“, schluchzte er tief zerbrochen und legte sich neben den toten Körper. Er nahm ihn in den Arm und versuchte ihn zu wärmen.
 

Dr. Matsukawa tippte Kenma an und deutete ihm, mit ihm zurück zu gehen. Für Kenma war das auch die gewünschte Möglich, Abstand zu nehmen.
 

„Die Toten nehmen immer was von uns mit und es ist oft unsere Contenance“, sagte Dr. Matsukawa im Vorraum des kalten Leichensaals. Kenma verstand nicht recht, hatte aber auch kein Interesse an einer Erklärung.

„Ich muss dann auch gehen“, sagte er und duckte sich unter dem prüfenden Blick hinweg. Dr. Matsukawa verfolgte ihn noch mit den Augen, bis er den Gang zurück zum Lift betreten hat, das spürte Kenma genau und dann beeilte er sich, nach Hause zu kommen.
 

Aus diesem Moment hat er weit mehr mitgenommen, als er jemals gedacht hätte und schritt er nach dem in der WG direkt an die Tür seines Mitbewohners. Er klopfte schwach.
 

„Terushima? Ich hab heute was gelernt“, sagte er und lehnte sich an das Holz. „Wir können die Zeit nicht zurückdrehen, also… das weiß ich schon immer, aber mir ist klar geworden, dass wir Dinge nicht ungeschehen machen können und dass wir nicht einfach alles vergessen sollten und dass wir auch daraus lernen müssen, also… Mir bedeutet unsere Freundschaft etwas und auch wenn ich die Zeit genauso wenig vor drehen kann an einen Punkt, wo ich nicht immer daran denken muss, was du gemacht hast, will ich, dass du das weißt…“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich würde ja sagen, es tut mir leid, dass ich Atsumu hab sterben lassen. Aber wer mich gut kennt, weiß, dass er nicht zu meinen Lieblingen gehört. Somit, nein, es tut mir nicht leid. Vielleicht tut es mir leid, dass es ausgerechnet zu dieser besinnlichen Zeit sein musste, aber durch das eingeschobene Kapitel kam ich nun nicht drum rum.

Ihr fragt euch vielleicht, warum ich gerade diese Version von Chasing Cars gewählt habe und das kann ich euch zweifach begründen. Einerseits: ganz simpel, ich liebe Busted und war total geflasht, dass Charlie den Song auch gecovert hat. Ja und Anderseits hab ich bei ihm echt das Gefühl, dass er jeden Moment zerbricht, sich aber aufrappelt nur um nochmal dem Zerbrechen nahe zu sein und das passt so gut zu Sakusa in dem Moment. Ich mags zwar nicht, dass er den Mund nicht richtig aufmacht beim Singen, weil ja, das hört man total raus, aber dennoch, es hat für mich einfach am besten gepasst. Es gibt wunderschöne Versionen von Frauen gesungen, aber ich wollte einen Mann und auch, wenn ich die Version von Boyce Avenue liebe, die hier… ja, die passt einfach perfekt.

Wie fandet ihr den Einleiter in Verbindung mit dem Titel und der Handlung? Für mich vergeht kein Tag, an dem ich nicht um 10:42 auf die Uhr schaue und n bisschen Gänsehaut bekomme. Manchmal schüttelt es mich richtig, manchmal muss ich sogar lachen. Das 1042 Formular hat mich eine ganz schöne Weile im Beruf begleitet und „der Schrecken“ steckt immer noch ein bisschen in mir. Witzig oder? Komplett anzeigen

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