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Die farbenfrohe Schreibfeder

von

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Der Fremde - KaShin

One Shot Nr. 1

Ƹ̵̡Ӝ̵̨̄Ʒ Der Fremde

 

Eine kleine Rauchwolke verließ seinen Mund als er frustriert seufzte. Warum? Das wusste der junge Mann nicht wirklich. Er fröstelte leicht. Es war kalt in den Straßen Tokyos und er richtete seinen Kragen auf, um ein wenig vor der Kälte geschützt zu sein. Kurz grummelte er über seine eigene Nachlässigkeit, da er vor Stunden viel zu überstürzt das Haus verlassen hatte, als Inspektor Megure ihn zu einem Tatort rief. Eine Frau wurde erstochen in ihrer Wohnung aufgefunden und Shinichi hatte seinem Namen erneut alle Ehre gemacht und den Tathergang aufklären sowie den Mörder an Ort und Stelle überführen können.

»Das war Mord aus Liebe«, murmelte er die Worte in seinem nicht vorhandenen Schal, die ihm der Täter entgegenschrie, nachdem er ihm mit seinen Schlussfolgerungen in die Enge getrieben hatte. Es war der Ehemann gewesen, der nicht damit klarkam, dass seine Frau ihn verlassen wollte. Ja sogar schon die Koffer gepackt hatte. Nicht wegen eines anderen Mannes, nein, sondern wegen seiner Schwester in der sie sich verliebt hatte und mit der sie seit einem knappen Jahr heimlich eine Beziehung führte.

 

Er würde den Grund, warum ein Mensch einen anderen Menschen umbrachte nie verstehen und besonders nicht die Person, die man liebte. Wenn er sie wirklich geliebt hätte, hätte er sie gehen lassen. Frustriert seufzte er auf und fuhr sich fahrig durch seine nicht mehr ganz so glatten Haare, die an einigen Stellen wild abstanden. Ausgelaugt. Ja, so konnte man das Wort beschreiben wie er sich seit geraumer Zeit fühlte. Kraftlos und müde. War es falsch an das Gute in einem Menschen zu glauben? Über den eigenen Gedanken lächelnd, schüttelte er verständnislos seinen Kopf. Natürlich war es das nicht. Der Detektiv sah es nur nicht mehr. Ständig war er von Raubmördern, Kindesentführer und Serienkiller umgeben, wurde mit der Dunkelheit, dem Bösen, das in diesen Menschen ein wohliges zu Hause gefunden hatte, konfrontiert und er kam an einem Punkt an, wo er das Gute in jeder Person in Frage stellte. Das war falsch und das wusste er. Vielleicht war es an der Zeit sich eine kleine Auszeit zu gönnen? Doch was machte die Polizei ohne ihn? Würden sie zurechtkommen? Er zweifelte. An sich und an der Zukunft der Menschheit.

 

Es gab reichlich gute Menschen, darunter auch gute Kriminelle, die er gerne als modernen Robin Hood bezeichnete, und sogleich erschien vor seinen Augen ein durch einen weißen Zylinder in Schatten gehülltes Gesicht. Das linke Auge verdeckt durch ein Monokel und ein Grinsen, was ihm arrogant entgegen lächelte. Ein Schmunzeln zierte seine Lippen als ihm der Mondscheindieb in den Sinn kam. Es war schon verwunderlich, dass ein kleiner Streich seines Gehirns seine Laune besserte und beinahe alle Zweifel, die in ihm keimten, forttrieben. Was KID gerade wohl macht? Sein letzter Coup lag bereits einen Monat zurück. Ein Monat, wo er ihm das letzte Mal gegenüberstand und irgendwie beruhigte ihn der Gedanke, dass der Dieb die weihnachtliche Vorweihnachtszeit mit seinen Liebsten genoss und augenscheinlich eine Pause einlegte. Ob er eine feste Freundin hat mit der er das Fest der Liebe verbringt? Der Detektiv schüttelte sein Haupt. Der Gedanke gefiel ihm nicht und wollte seine soeben gewonnene innerliche Ruhe nicht gleich erneut mit unschönen Vermutungen vermiesen.

 

Seine Füße hatten ihn unbewusst zum Weihnachtsmarkt getrieben. Überlegend kräuselte er seine Brauen, um schlussendlich gleichgültig mit den Schultern zu zucken. Würde er halt allein eine Runde über den Markt drehen. Vielleicht hatte er Glück und er würde ein Geschenk für seine Eltern, die Weihnachten in Amerika verbrachten, Ran und Heiji finden. Daran hatte er durch die unzähligen Kriminalfälle gar nicht gedacht gehabt und irgendwie schämte er sich ein wenig dafür. Gerne hätte er die Feiertage bei seiner besten Freundin oder Freund verbracht, doch feierten diese gemeinsam mit ihren Liebsten, sodass er als drittes Rad am Wagen lediglich die traute Zweisamkeit stören würde. Freuen tat er sich ehrlich für die beiden. Ran hatte viel zu lange auf ihn warten müssen und hatte mit Keisuke endlich jemanden gefunden, der ihr gütiges Herz aufrichtig verdient hatte. Der Mann liebte Ran über alles, legte ihr die Welt zu Füßen und mehr hatte er sich nie für die junge Mori gewünscht gehabt. Heiji, der war endlich nach ewigem Hin und Her mit Kazuha zusammengekommen. Als er ihm diese freudige Mitteilung vor gut zwei Wochen am Telefon gesagt hatte – einen persönlichen Besuch gab ihrer beider Terminkalender bedauerlicherweise nicht her – hatte er dies lachend als Scherz zunächst zur Kenntnis genommen, bis ihm die ernste Art von Heiji bewusst machte, dass diese Neuigkeit alles andere als ein Joke war und freute sich durch und durch für die beiden Chaoten. Dies war ihr erstes Weihnachtsfest, was sie zusammen verbringen würden und da wollte er nicht in Osaka auf der Türschwelle stehen. Und er, ja, er würde dieses Weihnachten alleine in einer viel zu großen Villa verbringen und sich mit einem Conan Doyle Roman die Zeit vertreiben. Schön in seinem alten, eingesessenen Ohrensessel, mit einem Glas Rotwein, fernab seiner Liebsten.

 

Abermals verließ ein Seufzer seine Lippen, als ihm bewusst wurde, wie alleine er im Augenblick doch war und in diesem Moment wünschte er sich auch jemanden an seiner Seite, an dessen Schulter er sich lehnen konnte.

 

Ein helles Kinderlachen holte ihn aus seinen trüben Gedanken, in die er gefallen war und zum ersten Mal seitdem er den Markt betreten hatte, nahm er seine Umgebung und die weihnachtliche Schönheit mit den mit bunten Lichterketten verzierten Ständen wahr. Auf vereinzelte Dächer der Stände konnte er Schnee, hergestellt aus Watte oder einen Weihnachtsmann in seinem üblich roten Outfit und Bömmelmütze erblicken.

»Hey du«.

Irritiert senkte Shinichi seinen Blick. Vor ihm stand ein kleines Mädchen mit einer für sie viel zu groß wirkenden Zuckerwatte in der Hand.

»Hey du«, erwiderte er mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen, als er sich vor ihr kniete.

»Möchtest du von meiner Zuckerwatte probieren?«, fragte sie ohne scheu und blickte ihn aus großen, braunen Rehaugen an. Verwundert zog der junge Mann seine rechte Braue in die Höhe, während sich die andere dabei leicht kräuselte.

»Du solltest einem Fremden sowas nicht anbieten. Ich könnte ein böser Mensch sein, weißt du«, belehrte der Detektiv das kleine Mädchen mit ruhiger Stimme, welches ihm weiter ihre Süßigkeit in ihrer kleinen Hand hinhielt.

»Ne, glaub‘ ich nicht«. Sie schüttelte zur Verdeutlichung ihren Kopf und ihre zwei Zöpfchen, die unter ihrer Wollmütze hervorlugten, schwangen aufgrund der plötzlichen Bewegung umher.

»Und warum nicht?«

»Böse Menschen schauen nicht so traurig und du bist nicht fremd. Ich kenne dich aus dem Fernsehen«, konterte die Kleine flink. »Da bist du immer mit Polizisten zusammen und fängst die Bösen, die einem wehtun wollen«.

»Akane, komm her. Wir gehen nach Hause!«, rief eine Frau mittleren Alters unweit hinter ihr.

»Meine Mama. Hier damit du nicht mehr so traurig schaust«, erklärte sie und drückte ihm ihre Zuckerwatte in die Hand. »Süßigkeiten machen glücklich. Frohe Weihnachten«, lächelte sie ihn mit einem so unschuldigen Lächeln an, das nur Kinder besaßen und tapste schnellen Schrittes zu ihrer Mutter hinüber, die sie sogleich an die Hand nahm. Sein Herz wurde weich wie Butter und winkte ihr zum Abschied, auch wenn sie es nicht mehr sah. Er starrte dem Mädchen verblüfft hinterher, als er sich wieder aus der Hocke erhob. Er biss ein Stück von der Süßigkeit ab und verzog genießerisch seinen Mund, als die Zuckerwatte sich auf seiner Zunge auflöste. Lecker. Schön fruchtig, dachte er sich und schaute überlegend auf die rosa Süßware in seiner Hand. Hatte er so einsam gewirkt? Ein trauriges Lächeln legte sich auf sein Gesicht, als ihm bewusst wurde, dass er wirklich einsam war. Alleine über einen Weihnachtsmarkt zu schlendern, ist ein trauriges Armutszeugnis. Für den Bruchteil einer Sekunde ließ er seinen Blick über die Umgebung schleifen und erblickte:

 

Liebespärchen, die Händchenhaltend durch die Stände bummelten.

Jugendliche, die fröhlich lachend einen Glühwein nach dem nächsten tranken.

Eltern mit ihren aufgekratzten Kindern, die lachend an jedem Süßigkeiten Stand stehen blieben und das Gewünschte forderten, während meist die Mutter besorgt das Gesicht verzog und sich bereits mit einem heulenden Kind beim Zahnarzt sitzen sah, der Karies diagnostizierte, während der Vater schon die Geldbörse zum Kauf zückte.

 

Ein bedrückter Ausdruck legte sich auf sein Gesicht. Ja, er war wirklich allein. Allein auf dem Weihnachtsmarkt und auch Heiligabend, welches als Fest der Liebe galt, würde er allein verbringen. Sein Herz wurde schwer und sehnte sich gleichzeitig nach einem Mann, dessen Identität er nicht kannte.

»Zeit nach Hause zu gehen«, murmelte er bedrückt, machte auf dem Absatz kehrt und rannte in eine Person hinein. »Sorry«.

 

 

Etwas abseits, an einem Glühweinstand stehend, hatte ein Mann die Szene beobachtet und ein keckes Grinsen zierte seine Lippen.

»Was gibt es da so blöd zu grinsen?« Die Stimme der jungen Frau klang alles andere als begeistert.

»Hm?«, kam es fragend vom Angesprochenen, der ihr nicht zugehört hatte, lag seine Aufmerksamkeit schließlich auf Shinichi Kudo und dem zuckersüßen Mädchen mit der Wollmütze.

»Ich erzähle dir von meiner Angst einen Laufpass zu bekommen und dich scheint es zu amüsieren. Ein toller bester Freund bist du mir…«, jammerte sie und zupfte an seinem Ärmel herum. »Hast du mir überhaupt zugehört?«

Natürlich habe ich das nicht. Trotzdem wusste er, was seine Sandkastenfreundin von ihm wollte. Er wandte seinen Blick von dem Detektiv ab und hoffte für den Bruchteil einer Sekunde, dass er ihn nicht aus den Augen verlieren würde.

»Sorry Aoko. Ich habe gerade einen alten Freund entdeckt, aber ich versichere dir, dass er dich nicht abweisen wird«.

»Aber woher …«, wollte sie einwenden und wurde vehement unterbrochen. Ein Zeichen, dass er es eilig hatte.

»Weil Hakuba ebenso in dich verliebt ist. Das sieht ein Blinder mit einem Krückstock. Entschuldige, aber ich muss los…«, haspelte er und ließ seinen heißgeliebten Kakao zurück, wovon er kaum getrunken hatte.

»Warte…«, wollte sie ihn aufhalten, doch da war er bereits zwischen den Menschenmassen verschwunden. Sitzen gelassen vom besten Freund, dachte sie frustriert als sie den Rest ihres weißen Glühweins trank und letzten Endes eingeschnappt auf den Grund ihrer Tasse blickte. »Und seine Getränke hat er auch nicht bezahlt«. Beleidigt verzog sie ihre Schnute. Das würde sie ihn noch Wochenlang vorhalten.

 

Währenddessen drängelte sich Kaito Kuroba durch die Menschenmassen. Er wusste zwar noch nicht wie er es anstellen sollte, aber in dem Zustand konnte und wollte er den Detektiv nicht gehen lassen.

Sein Herz zog sich in seiner Brust schmerzhaft zusammen, als er an Shinichis Augen dachte, die unglücklich auf die Zuckerwatte gestarrt hatten. Er hatte in der bunten und fröhlichen Menschenmasse so einsam und verloren gewirkt. Ein Anblick, den er nicht ertragen konnte.

»Entschuldigen Sie bitte«, nuschelte er turnusmäßig, als er sich weiter durch die Menge drängelte und es mittlerweile als kleines Weihnachtswunder bezeichnete, dass er seinen Lieblingsdetektiv überhaupt in dieser Menschenmenge hatte ausfindig machen können. Ob dies Schicksal war? Kaito glaubte zwar nicht an solch einen Quatsch, dennoch war es eine Fügung gewesen oder einfach sein Kudo-Radar, der anschlug.

»Darf ich bitte vorbei?«, fragte er höflich, als er sich erneut durch eine Gruppe Jugendlicher schlängelte und in dem Moment hinter dem Detektiv zum Stehen kam, als dieser sich gerade hektisch umdrehte und anscheinend fluchtartig den Weihnachtsmarkt verlassen wollte, so heftig, wie er gegen ihn stieß und dadurch leicht ins Torkeln geriet. »Sorry«, hörte er ihn nuscheln. Kaito verzog ein wenig seinen Mund als er feststellte, dass der junge Mann dabei noch nicht einmal aufgesehen hatte und an ihm vorbei gehen wollte.

»Das ist aber nicht die feine Art, Shinichi«, sagte er und hielt ihn mit der flachen Hand gegen seine Schulter davon ab weiterzugehen.

Verwundert blickte er Angesprochene ihn aus dunklen, azurblauen Augen an, die an diesem schönen Weihnachtsabend von ihrem Glanz verloren hatten. »Kennen wir uns?«

Der junge Mann erkannte sofort, dass sein Gegenüber ihn zwar ansah, aber nicht wirklich zu realisieren schien, was seine Augen erfassten. Sein Lieblingsdetektiv sah sprichwörtlich durch ihn hindurch. Sein Griff um dessen Schulter verfestigte sich. »Ich bin von dir enttäuscht, dass du mich nicht erkennst, Shinichi«, jammerte er theatralisch auf und fuhr sich mit der anderen durch sein widerspenstiges Haar, um seine Frustration zu verdeutlichen. »Wo ist nur deine scharfe Kombinationsgabe geblieben?«

Shinichi neigte fragend seinen Kopf zur Seite und wischte zeitgleich die fremde Hand von seiner Schulter, die dramatische Szene gekonnt ignorierend. »Entschuldigen Sie, aber ich bin heute nicht in bester Verfassung«, gab er ehrlich zu und verdrängte die Tatsache, dass sein Gegenüber ihn duzte, als würden sie sich bereits seit Jahren kennen. Er wollte sich abermals zum Gehen wenden, doch der Unbekannte hielt ihn weiterhin davon ab. Sanft wurde er am Kinn gepackt und der Fremde beugte sich ihm leicht entgegen. Schockiert weiteten sich Shinichis Augen und leichte Panik keimte in ihm auf. Der Mann wollte doch nicht... Oder doch? Er würde doch nicht... Oder doch? Hatte er einen Mistelzweig übersehen?

 

Ein Bild mit einem arroganten Grinsen blitze vor seinem inneren Auge auf. Warum musste er jetzt an den Mondscheindieb denken? Und warum reagierte er nicht, um den Mann an sein Vorhaben zu hindern wie es jeder normale Mensch in dieser Situation tun würde? Er verstand seinen Körper nicht. Verstand die Bilder nicht und anstatt den Fremden aufzuhalten kniff er lediglich seine Augen fest zusammen.

 

»Für dich habe ich extra meinen heißgeliebten Kakao mit Sahnehäubchen und einem Hauch Schokosoße stehen gelassen und ich liebe meinen Kakao wirklich abgöttisch«, hauchte er gegen die zusammengepressten Lippen und ein schelmisches Grinsen legte sich auf seine Züge. »Du bist mir also jetzt einen Kakao schuldig«. Damit war das Thema für ihn beendet. Er packte den überrumpelten Shinichi ohne Scham bei der Hand und zog ihn hinter sich her über den Weihnachtsmarkt. Während sie an unzähligen Getränkeständen vorbeiliefen, an denen der Fremde seinen geforderten Kakao hätte einfordern können, hang Kudo in seinen Gedanken fest, die Achterbahn fuhren, und fragte sich, woher ihm die Gesichtszüge nur so bekannt vorkamen. Er fühlte sich wohl in der Nähe des Fremden. Und trotzdem verspürte er da er einen Hauch Gefahr, das von ihm ausging, und entgegen aller Erwartung seine Fingerspitzen freudig kribbeln ließen. Beinahe so als befände er sich auf der Jagd, voller vorfreudiger Erwartung nur um letztendlich enttäuscht zu werden, weil ihm seine Beute durch deine Fingerkuppen entglitt. Er kannte dieses Gefühl, war es doch stets bei den Coups von Kaito KID vorhanden. Aber warum verspürte er dieses bei dem Fremden aus dessen Hand er sich noch immer nicht losgerissen hatte? Ihm war klar, dass sein Kopf ihm etwas signalisieren wollte, allerdings konnte er es nicht greifen. Was war es, was sein Verstand ihm versuchte mitzuteilen?

 

Der Detektiv hob seinen Kopf in den Moment, als der Fremde sich zu ihm herumdrehte und er nicht durch ihn hindurchsah, sondern mit wachsamen Augen betrachtete.

Sein Verstand spielte ihm abermals einen Streich als eine Erinnerung aufblitzte als er in diese indioblauen Augen direkt vor ihm blickte.

 

Kaito KID stand mit dem Rücken zu ihm auf dem Dach des Beika Museums. Sein Umhang wehte leicht in der Abendbrise und der Stoff gab sanfte, flatternde Geräusche von sich, die angenehm in seinen Ohren klangen wie das Wellenrauschen des Meeres. Der Dieb hielt den soeben entwendeten grünen Smaragd zwischen Daumen und Zeigefinger gegen die volle runde Scheibe am Nachthimmel. Seine Haltung wirkte königlich und anmutig zugleich. Shinichi war klar, dass er wusste, dass er da war und dennoch zeigte er ihm nicht die Aufmerksamkeit, die er sich heimlich wünschte. Das wurmte ihn. Der Meisterdieb ließ sich bei seinem Tun nicht von ihm stören und Shinichi fühlte sich wortwörtlich ignoriert. Unzufriedenheit keimte in ihm auf. Ein Gefühl, was er ganz und gar nicht mochte. Nicht, wenn es sich hierbei um den Mann in Weiß handelte.

»Hast du gefunden, wonach du suchst?«, fragte er dieserhalb um bewusst die Aufmerksamkeit des Diebes auf sich zu ziehen.

Ein leises, kaum hörbares Seufzen konnte er vernehmen als der charmante Möchterndieb seine Hand sinken ließ und spielerisch den Smaragd zwischen seinen Fingern gleiten ließ.

»Ob ich den Edelstein gefunden habe, damit die Gerechtigkeit siegt? Nein, das habe ich nicht, aber auf der Suche nach meinem Frieden habe ich einen Schatz gefunden, nach dem ich nicht gesucht habe«.

KID drehte sich zu ihm um. Kurz spiegelte sich das Mondlicht auf seinem Gesicht wieder und er konnte ein wunderschönes Indioblau erkennen sowie sanfte Gesichtszüge ausmachen, ehe sich seine Züge erneut zu seinem üblichen Markenzeichen verwandelten; das überhebliche Lächeln, was gleichzeitig herausfordernd auf ihn wirkte.

»Allerdings ist auch der Schatz gut gesichert und darf ich noch nicht als Mein bezeichnen, Herr Detektiv«.

Shinichi rümpfte seine Nase. »Du sprichst wie immer in Rätseln, KID«.

»Welche deine Aufgabe es ist diese zu entschlüsseln«, konterte er keck.

»Hm«. Seine Hände in die Hosentasche schiebend schaute er dem Meisterdieb amüsiert entgegen. Etwas darüber betrübt, dass er nicht in dieses helle Blau sehen konnte, welches er viel zu kurz hatte erblicken dürfen. »Ich entnehme deinen Worten, dass du diesen einen Schatz nicht mehr hergeben möchtest. Du weißt, ich kann das nicht zulassen«.

»Ist das so?«, konterte der Mann in Weiß mit selbstbewusster Stimme, als er leichtfüßig - es wirkte beinahe schwebend - von der Dachkante zu ihm hinuntersprang.

Sie standen sich gegenüber und doch konnte er nicht in die Augen des Diebes sehen. Die Krempe seines Zylinders legte das Gesicht seines Rivalen wie üblich in Schatten; ließ lediglich den Blick auf die untere Gesichtshälfte zu. Darüber enttäuscht verzog er leicht seine Mundwinkel. KID kicherte amüsiert und Shinichi zog missmutig gestimmt die Braue in die Höhe, während der Dieb ihn abwartend anblickte. Er wusste, das KID wollte, dass er es aussprach. Ihn darum bitten sollte, aber er würde es nicht tun. Das Grinsen seines Gegenübers wurde breiter.

»Warum so misslaunig, Herr Detektiv?«, versuchte er ihn zu provozieren, jedoch ließ er sich nicht auf dieses Spielchen ein.

Ein erneutes Kichern erklang in seine Ohren und ehe er reagieren konnte, hatte der Dieb den letzten, geringen Abstand zwischen ihnen überbrückt. Er spürte die Krempe, die dezent gegen seine Nasenspitze stieß. »Den Edelstein gebe ich dir wieder«, hauchte KID und Shinichi spürte, wie die geschickten Finger des Diebes den Edelstein in die Jackentasche seines Jacketts gleiten ließ.

Seine Finger umgriffen das kalte Metall in seiner Hosentasche. Dies wäre die perfekte Gelegenheit und doch rührte er sich nicht. Warum nur? Warum tue ich es nicht?, schrie sein Verstand verzweifelt. Er steht direkt vor mir. Ich bin ihm so nah, wie ihm noch keiner gekommen ist. Spüre seinen Atem auf meinem Gesicht, seine Wärme auf meinem Körper und doch rühre ich mich nicht. Höre lediglich mein Herz, welches mir schmerzhaft gegen die Rippen pocht, in einem Tempo, was mir nicht gefiel. Ob er es wusste?

»Heute ist nicht die Nacht dafür, Herr Detektiv«, sprach er mit gedämpfter Stimme, schien zu ahnen oder zu wissen, was ihn quälte.

Von einem weichen Stoff bedeckte Finger strichen sanft über seine Wange und ließen ihn innerlich erzittern. Er ertappte sich dabei, wie er sich wünschte, diese Finger ohne die Handschuhe auf seiner Haut zu spüren.

»Die Handschellen heben wir uns für unsere nächste Begegnung auf«.

Verrucht gehauchte Worte.

Eine sanfte Berührung.

Ein Körper, der sich von ihm entfernte und nackte Finger, die fest das mit weißem Stoff verdeckte Handgelenk umfassten.

Zwei Wörter, geflüstert mit einer sehnsuchtsvollen Stimme, die sich nicht wie die seine anhörte.

»Geh nicht«.

Ein verschmitztes Lächeln.

Ein kurzes Anheben eines Kopfes und zwei hellblaue Augen, die ihn überrascht und gierig zugleich anfunkelten.

»Bis zur nächsten Begegnung, Herr Detektiv«.

Dann ein Gefühl der Leere.

 

Bis heute hatte er nicht gewusst, warum er in dieser Nacht so gehandelt hatte, aber nun, als er in diese indigoblauen Augen des Fremden blickte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

»KID«, hauchte er ungläubig, kaum hörbar, als er realisierte, wer der Mann vor ihm war, der ihn nun fernab des Marktes durch eine menschenlose Straße zog, die er in- und auswendig kannte wie seine Westentasche oder die Romane seines Lieblingsautors. Wie waren sie denn so plötzlich hierhergekommen?

»Du hast gute 20 Minuten vor dich hingestarrt von daher kann ich deine Verwunderung verstehen, aber sehe ich wirklich aus wie Kaito KID?«, sagte sein Entführer mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen, der sich unmittelbar vor ihm befand. So unmittelbar, dass sich ihre Nasenspitzen berührten als er nichtsahnend aufsah und in seiner Bewegung ebenso stoppte wie sein Atem. Da war es wieder, dieses Indigoblau, was ihn seit geraumer Zeit regelrecht fesselte und dieses Gefühl, was er zuvor bereits verspürt hatte. Ein Hauch von Gefahr, dass seine Fingerspitzen freudig kribbeln ließ und dessen Ursprung er nun kannte.

Sein Mund klappte auf und wieder zu. Eine unbekannte Unsicherheit stieg in ihm auf. Hatte er sich vielleicht geirrt?

Der Ausdruck in seinen Augen verfestigte sich. Das kurze Zögern war so schnell verflogen wie es gekommen war.

Nein …

»Du trägst deine Kostümierung nicht. Warum hast du dich mir zu erkennen geben? Das war nicht sonderlich intelligent von dir, KID«, sprach er mit fester Stimme und speicherte dabei jedes Merkmal ab. Die nach oben gewandten Augen, die feinen Augenbrauen, das asymmetrische Gesicht, die kleine Stupsnase, die schwungvollen Lippen und das wilde, widerspenstige braune Haar, das stumm dazu einlud, ihm durch die Haare zu fahren. Er unterdrückte den Drang, genau dies zu tun.

»Weiß nicht so genau«. Kaito zuckte unwissend mit den Schultern. »Wollen wir nicht drinnen weiterreden? Es ist eisig kalt hier und du schuldest mir eine heiße Tasse Kakao!« Um den Worten einen gewissen Nachdrang zu verleihen rieb er sich fröstelnd seine Oberarme und gab bibbernde Geräusche von sich, während er mit dem Kopf zur Villa Kudo deutete.

»Warum sollte ich einen Dieb in mein Haus lassen?«

»Um deine Schuld zu begleichen?«, bekam er flink zur Antwort und wurde von weißen Zähnen geblendet.

»Du hast deinen Kakao aus eigener Entscheidung stehen lassen«, antworte sein Gegenüber stur und verschränkte die Arme ineinander.

»Um einen Mann in Not zu helfen?«, versuchte er es weiter und ließ sich auf das kleine Spielchen ein. Ob das die Trotzreaktion war, weil er ihn beim letzten Coup auf dem Dach zunächst bewusst ignoriert hatte? Wahrscheinlich, aber irgendwie fand Kaito diese Reaktion bei seinem Lieblingsdetektiv einfach nur süß, weil es eigentlich absolut nicht zu dem gestandenen und sonst so ernsten Mann vor ihm passte. Es freute ihn, Shinichi von einer anderen Seite kennenzulernen, wenn er mal nicht in seinem Detektiv-Modus war, der darin bestand, ihm das Leben auf seinen Coups schwer zu machen und ihn zu jagen, auch wenn er diese Raubzüge besonders mochte, da sie einfach aufregend und brenzlig waren.

»Meine detektivischen Instinkte sagen mir, dass du durchaus auf dich selbst aufpassen kannst«.

»Weil du mich nicht hier draußen erfrieren lassen kannst?«

»Wir haben augenscheinlich die gleiche Konfessionsgröße, ich kann dir meine Jacke geben«, schlussfolgerte er aus seinen Beobachtungen und ließ seinen Blick zur Verdeutlichung einmal über seinen Gesprächspartner wandern, was ihn schlucken ließ. Der Mann sah geradezu zum verboten gut aus.

»Weil du nicht alleine sein möchtest und mich gerne in deiner Nähe hast?«

Shinichi antwortete nicht, da er nicht wusste, was er darauf erwidern sollte, sondern starrte ihn nur aus offenem Mund an. Es abstreiten? Nein, das konnte er nicht. Es zugeben? Nein, das wollte er just in den Moment auch nicht, als er bereits das sichere Schmunzeln im Gesicht von KID erblickte, der ihn augenscheinlich zwischenzeitlich durchschaut hatte. Es aber hier und jetzt auszusprechen und dem Dieb damit zusätzlich eine gewisse Genugtuung zu bescheren, nein, das würde er gewiss nicht tun. 

»Und, weil du meinen wahren Namen wissen möchtest«.

Dies war keine Frage, sondern eine Feststellung und was sollte der Detektiv dazu sagen? Der verdammt attraktive Mann vor ihm hatte simple gesagt einfach nur Recht.

Shinichi holte aus seiner Hosentasche seinen Schlüssel hervor und schloss schweigend das Tor zu der Villa-Kudo auf, durch welches er stur marschierte. Kaito grinste frech und nahm diese Handlung als stumme Aufforderung auf, ihm zu folgen. Voll ins Schwarze getroffen.

»Bilde dir bloß nichts darauf ein. Du bekommst deinen heißen Kakao und danach kannst du wieder gehen«, versicherte er, als er den Schlüssel ins Schlüsselloch der Eingangstür steckte und auf der Treppenanhöhe stand.

»Hm, joar, mal sehen«, säuselte Kaito vergnügt, als er seinen Fuß auf die erste der drei Stufen setzte.

Der Detektiv warf ihm einen mahnenden Blick über die Schulter zu als just in dem Moment am dunklen Abendhimmel ein heller Lichtschweif vorbei fegte. »Eine Sternschnuppe!«

Kaito sah zu Shinichi auf, dessen azurblauen Augen seit ihrem Aufeinandertreffen wieder an Glanz gewonnen hatten und er damit seine spontane Entscheidung, seine Maskerade fallen zu lassen, in keiner Weise bereute. Sein Baugefühl hatte ihn nicht enttäuscht. Lächelnd sah er zu seinem Lieblingsdetektiv hoch, der dank des Treppenabsatzes einen Kopf größer war als er.  »Hast du dir was gewünscht?«

Shinichi senkte seinen Blick und seine Augen leuchteten geheimnisvoll, als er mit einer beiläufigen Handbewegung die Tür zur Villa öffnete und KID den Vortritt ließ.

Sie wurden von einer angenehmen Wärme begrüßt, die ihre vor Kälte eingefrorene Gesichtshaut wohlig kribbeln ließ. Eine gesunde Röte zierte ihre beider Wangen.

»Mein Wunsch hat sich bereits erfüllt«, flüsterte er leise mit einer glücklichen Stimme.

Ja, dieses Weihnachten würde er nicht alleine verbringen und endlich konnte er mit Spaß und Freude ein Weihnachtsessen zubereiten und KID mit seinen Kochkünsten verzaubern.

Ob ich ihn mit einer mit Maronen gefüllte Forelle auf Wurzelgemüse überraschen soll?

 

Ende



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