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1000 Ways to Die in the West

Die Memoiren eines Flohgeistes
von

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Jegliche Furcht rührt daher, dass wir etwas lieben.

Thomas von Aquin

 
 

Ich erwachte nur langsam, müde und schwach – und mit brennendem Durst. Das war das erste, was ich begriff, dann auch die Tatsache, dass ich in weichem Fell lag und Blut unter mir rauschte. Herrliches, süßes, mächtiges Blut. Noch nur halb wieder da stieß ich meinen Rüssel durch das Fell in die Haut.

Keinen Sekundenbruchteil später fühlte ich mich umklammert, mehr als schmerzhaft zusammengedrückt und gegen eine Wand geworfen. Mühsam öffnete ich die Augen, zumal ich Yōki spürte.

Nun ja.

Für einen Flohgeist ist es nicht angeraten das Blut eines Daiyōkai trinken zu wollen, das hätte ich wissen sollen. Noch ärger allerdings wird die Sache, wenn du mit besagtem Daiyōkai zusammen in einer engen, durch ihn versiegelten, Höhle sitzt, er dir sogar erlaubt hat in seinem Fell zu schlafen – und dich jetzt zwei rote Augen anstarren.

„Vergebt, oyakata-sama, ich… ich habe geträumt.“ Das stimmte und war zugleich auch die einzige magere Rechtfertigung, die mir einfiel, als ich mich panisch an die Wand drückte und tief Luft holte, um mich wieder auszubeulen. Immerhin lebte ich noch.

Jedenfalls beherrschte sich der Taishō, der offenbar ebenso geschlafen hatte, mit nur drei Atemzügen. Seine Augen schimmerten in der dunklen Grotte wieder golden. „Myōga.“

„Ja, Herr. Bitte, verzeiht. Es lag nicht in meiner Absicht Euch zu belästigen. Ich war nur sehr erschöpft, träumte und naja, habe Durst.“

„Wann hast du das letzte Mal getrunken?“ Da klang ehrliches Interesse mit.

„Magisches Wasser, als ich den Hekashin verließ, das müsste vor einigen Tagen gewesen sein. Meister Nekohiko legte es so an, dass es mir half den Durst zu stillen.“ Oh je.

Prompt kam die Frage, die ich befürchtete. „Falsches Blut, also. Warum gab er dir nicht seines?“

„Es hätte nichts geholfen, oyakata-sama. Kein Blut dieser Welt kann mir mehr helfen, kein Mensch, kein Yōkai, nicht einmal ein anderer Daiyōkai.“

Seine nächste Frage bewies nicht nur, dass er auf dem Weg der Erholung war, sondern auch warum er ein Feldherr geworden war. „Kein anderer Daiyōkai. Nur mein Blut.“

„Wenn Ihr ein anderer wärt, würde auch das Blut eines anderen Daiyōkai helfen, aber, wer würde es mir schon erlauben … Und, da Ihr eben seid, wer Ihr seid, nämlich der Träger der Blutlinie, die So´unga beherrscht, tja.“

„Von meinem Sohn könntest du auch trinken.“

„Von Eurer Tochter, Euren Enkeln, ja. Aber die Sache ist eben die, dass ein Flohgeist, der sich zu hoch gewagt hat, verhungern wird.“

„Darum also hast du mich gesucht.“

Nicht wirklich. „Ich wollte Euer Leben retten. Ihr hattet es für mich getan. Aber ich war und bin mir bewusst, dass Ihr mich kaum mein Leben lang durchfüttern wollt.“ Fangzähne blitzten und nach einer vollen Sekunde Panik wurde mir bewusst, dass er lächelte. Dieses so warme Lächeln, das mich erst in diese Lage gebracht hatte. Warum? Dann dämmerte mir allerdings eine Erklärung. Man sagte Hundedämonen eine überaus feine Nase nach, so fein, dass sie jede Lüge bemerken würden. Das hatte ich im Moment ganz vergessen gehabt.

„Wie lange willst du mich denn noch begleiten?“

Gute Frage, müde, durstig, wie ich war. „Am liebsten solange, bis Ihr sicher im Westen bei Euren Kriegern seid. Aber ich weiß nicht, ob und wie lange ich das durchhalte. Ich bin bereits sehr am Limit.“

„Ein Flohgeist mit Ehre im Leib!“

Ich wusste wirklich nicht, ob er das spöttisch meinte oder wirklich überrascht war.

Aber er fuhr ruhig fort: „Dann gehe doch durch den Bann und sehe nach, ob sich irgendwo dort Drachen herumtreiben. Denn in einem gebe ich dir recht, Floh – wir sollten in den Westen. Wie lange ist es her seit meiner Entführung?“

„Ich schätze acht Tage. Sicher weiß ich es nicht. Ein Bote kam zu Meister Nekohiko, der ihn informieren wollte. Da wurde der Heerbann gerade aufgerufen und die Regentin hatte einen zusätzlichen Bann um das Schloss gelegt.“ Hatte ich ihm das nicht schon gesagt? Aber er war wohl auch nicht gerade besonders gut drauf. Gewesen, zumindest, denn er schien sich gut zu erholen. „Die Krieger werden sich wohl um den Ort Eures Verschwindens aufhalten.“

„Dorthin gehen wir sicher nicht. - Raus mit dir jetzt.“

Ich gehorchte eilig, da ich durchaus realisiert hatte, dass er von „wir“ gesprochen hatte, also anscheinend mich mit einbezog, mich nicht direkt umbringen wollte. Das war schon einmal etwas. Nur, warum nahm er an, dass ich durch den Bann… Nun, ich kam durch, und als ich mich umwandte erkannte ich auch den Grund. Das war kein Zauber, der einen Durchgang verweigerte, nur eine Illusion, dass es sich hier auch um Felsen handelte. Zu mehr war der Taishō wohl nicht mehr in der Lage gewesen. Hastig, so gut ich es noch vermochte, hüpfte ich draußen herum und erkundete die Gegend, mehr als motiviert von der Tatsache, dass er mich in den Westen mitnehmen wollte. Nun ja, selbst, wenn er mich noch einmal trinken ließ, sollte ich mir keine Illusionen machen. Der Machtunterschied zwischen uns war einfach zu riesig. Aber, was sollte es, er hatte mich wieder angelächelt, mich wieder so angesehen…. Dafür würde ich wahrlich sterben.

 

Als ich zurückkehrte, sah er mich nur an.

„Ich konnte in weitem Umkreis keinen Drachen sehen, bin zur Vorsicht jedoch auch noch ein gutes Stück Richtung der Einöden des Hoyama gesprungen.“ Müde ließ ich mich nieder. Ob ich das je noch.in den Westen schaffen würde, immerhin doch meine Heimat? „Ryuichi scheint anzunehmen, dass Ihr schnurstracks auf dem kürzesten Weg zurück wollt. Der Weg östlich um den Feuerberg scheint frei zu sein.“

Der Taishō lehnte sich zurück an die Felswand. „Ryuichi scheint das anzunehmen. Das Problem, mein lieber Myōga, ist nur, dass man nicht König der Drachen wird, wenn man nur stark ist.“

„Ihr meint, man sollte nie denken, dass jemand ein Narr ist, nur, weil er sich wie einer verhält?“

„In der Tat, mein Berater. Umso mehr muss ich mich beeilen. Wann wird es dunkel?“

„Das dauert noch, die Sonne hat erst gerade den Höhepunkt überschritten, oyakata-sama.“ Er hatte mich Berater genannt. Sicher, nur im Scherz, aber das wärmte doch etwas.

„Gut. Dann regenerieren wir uns bis dahin. Und dann werde ich die Einöden so rasch durchqueren wie ich es vermag – und die kleine Last tragen.“

„Vielen Dank,“ gestand ich ehrlich und ließ mich ebenfalls nieder. Das Tempo, dass ein Daiyōkai, noch dazu bestimmt in seiner wahren Form, selbst so matt noch vorlegen könnte – nichts mehr für mich und meinen Durst. Ich sah, dass er den Kopf schräg legte und mich musterte. Was war denn jetzt los? Ich hatte doch nichts falsch gemacht, sonst hätte er mich schon getadelt oder platt gedrückt. Nein, nicht umgebracht, er hatte gesagt WIR würden in den Westen gehen und, nach allem, was ich gehört hatte, ging ich davon aus, dass ein Daiyōkai nie von seinem Wort zurücktrat.

„Du hast mich nicht gefragt, wo So´unga sich befindet.“

„Das geht mich ja auch wirklich nichts an,“ erwiderte ich prompt. Ich entsann mich der seltsamen Ausstrahlung des Höllenschwertes – und, dass Meister Nekohiko gemeint hatte, es würde alle übernehmen, außer dieser einen Hundelinie. Was meinte er nur? Er zog so seltsam die Augen zusammen. Glaubte er etwa doch noch, ich könnte für den Drachenkönig arbeiten? Vielleicht, weil der Schamane uns doch geholfen hatte?

 

Aber dann schloss er die Augen und ich folgte diesem Beispiel, sicher, mich nicht noch in der letzten Zeit meines Lebens sinnlos bestrafen zu lassen. Und ja, zu diesem Zeitpunkt hatte ich mit dem Leben abgeschlossen. Falls ich es schaffte, würde ich ihm so gut ich es vermochte in den Westen helfen, in Sicherheit, zu seinen Kriegern. Wenn ich vorher starb … nun ja. Ich war sicher, er würde mir ein Grab geben. Alles andere außer seiner Sicherheit, seinem Leben, war doch nichts mehr wert.

Mein Daiyōkai, mein Freund. Aber, das würde ich ihm nie wagen zu sagen.

 

Ich erwachte erst, als mein Name fiel und sah auf. Da der Taishō vorwärts rutschte, folgte ich ihm aus der Grotte. Ja, es war dunkel geworden.

Er stand im Mondlicht, eigentlich nur an den langen, weißen Haaren erkennbar, und prüfte die Größe des Mondes. „Fast Halbmond. Es bleibt nicht viel Zeit. Nun dann.“ Mit deutlich mehr Yōki als das letzte Mal verwandelte er sich in seine Hundegestalt. Ich sprang ohne zu zögern auf seinen Nacken, klammerte mich dort fest, als er los galoppierte. In einem weiten Bogen um den Hoyama, durch die dortigen Einöden.

Ich musste unwillkürlich an das Dorf der Fliegengeister denken, durch das ein riesiger weißer Hundeyōkai so gebrettert war – er hatte sie bestimmt nicht einmal wahr genommen. Das war ein Tempo! Mit weiten Sprüngen, immer geradeaus, sicher die Richtung haltend. Über Spalten, in denen unten Feuer loderte, Risse in der Lava. Manchmal nur machte er eine Kurve und ich vermutete, dass dort entweder der Boden zu dünn war oder kochendes Wasser aus dem Boden schießen konnte. Wenn ich jedoch bedachte, wie lange ich hier durch gebraucht hatte …

 

In der Morgendämmerung erkannte ich in der Ferne eine schwarze Linie, die sich mit besserem Licht und im Näherkommen als bewaldete Hügel zeigten. Das war sicher das Ende der Einöden, der Westen.

Kaum, dass wir den Wald betraten, wenn man das so sagen kann, denn mein Daiyōkai war langsamer geworden, verwandelte er sich zurück. Ich guckte fragend von seiner Schulter auf, aber er sah sich um, witterte, sicherte.

Dann erst blickte er zu mir. „Nun, den Westen haben wir erreicht. Ich spüre die Magie. Du siehst schrecklich aus nach dem Ritt.“ Und das war Spott.

Ich wollte schon die Schultern zucken, als ich erstarrte, denn seine Klaue schwebte vor mir, vor seiner Schulter, aber sie griff nicht nach mir. Ich war sicher über meinem Kopf stand nicht nur ein Fragezeichen.

„Komm vorne in meine Rüstung, kleiner Floh.“ Das klang nachsichtig. „Kriech in meinen Haori und trinke.“

WAS? Ich hätte es fast geschafft von seiner Schulter zu kippen. So fasste er mich mit zwei Fingern und schob mich einfach hinein. Das zweite Mal, dass er mir helfen musste sein Blut zu trinken. Ich sollte dankbar sein, aber dazu sah ich mich nicht mehr in der Lage. Da war Wärme, war Schutz, war Blut, war … mein Leben und so trank ich, nicht, bis ich rund war, das wäre in der Rüstung zu eng gewesen, aber ich gesättigt war. Dann erst fühlte ich, dass er durch den Wald schritt, offenbar mit einem gewissen Ziel. Behutsam zog ich mich aus dem Haori zurück und setzte mich zwischen diesen und die Rüstung. Das war bestimmt höflicher als auf seiner bloßen Haut zu sitzen. Nur, wohin wollte er? Zu So´ungas Versteck? Und ich sollte das nicht sehen? Auch gut. Ich fühlte mich stark wie eh und je, nun ja, wenn ich das Blut eines Daiyōkai getrunken hatte. Es würde lange vorhalten, wenn ich mich nicht wieder so verausgabte.

„Auf meine Schulter, Myōga.“

Und wieder überraschte er mich. Mochte es in seiner Rüstung auch bestimmt der sicherste und angenehmste Platz der Welt und des ganzen Universums sein – nicht, wenn er mich da nicht wollte. So gehorchte ich wortlos. Er ging durch einen Wald, über Hügel, durch bewaldete Täler und ich bemerkte sehr wohl, dass Yōkai ihre Energie verbargen, wenn er sich näherte, Tiere verstummten. Er war ein Daiyōkai und sein Wesen war Macht. Nun gut, hier auf seinem Fell saß ich vermutlich auch recht sicher. Sollte ich etwas fragen? Nein, lieber nicht. Obwohl mich schon interessiert hätte, wohin wir gingen. So sagte ich nur: „Danke, oyakata-sama.“

Keine Antwort.

Erst zwei Hügel weiter blieb der Taishō halten, als suche er etwas, orientierte sich und ging dann in eine andere Richtung weiter. „Du bist intelligent,“ stellte er dann fest.

Das war zwar schmeichelhaft, aber ich meinte: „Für einen Flohgeist?“

„Um die Wahrheit zu sagen, ich kenne wenige Leute, die ihre Grenzen sehen und einhalten.“

„Dann bin ich wohl töricht, denn ich verstehe nicht, was Ihr meint.“

„Du hast mir einen sehr großen Gefallen getan, unter Risiko des eigenen Lebens, denn dir war klar, was passiert, wenn dich die Drachen erwischen. Dennoch nimmst du dir weder die Freiheit nach dem Höllenschwert zu fragen noch mich darum zu bitten dir als Austausch erneut mein Blut zu überlassen.“ Er klang fast als ob er mit sich selbst redete und ich hütete mich zu dem Kompliment, das sicher eins sein sollte, etwas zu sagen. „Dir war klar, dass es allein meine Entscheidung ist. Und immer sein wird.“

Sollte das heißen… Nein, ich interpretierte vermutlich zu viel hinein. „Natürlich ist es das, oyakata-sama. Ich bin mir der Macht eines Daiyōkai, Eurer Macht vor allem, vermutlich mehr bewusst als sonst jemand. Ich spüre Euer Blut in meinen Adern.“

„Das ist wahr, und außer meinem Sohn bist du das einzige Wesen. Nun gut. Ich gehe zu einem Treffpunkt. Zum Glück ist es noch genug Zeit, wo ich jemanden treffen werde, der So´unga hatte.“

„Das geht?“ entfuhr es mir.

„Er ist ein junger, aber überaus talentierter, Schmied, der sich selbst von dem Schwert der Hölle nicht übernehmen lässt. Zugegeben, ich war froh ihn zu finden. Allerdings hütete er sich seinen Wohnort mir zu sagen. Zum Glück gab ich nach.“

„Zum Glück.“

„Ich wusste tatsächlich nicht, wo sich So´unga befand, als Ryutsubasa mich ….fragte.“ Er sah kurz zu mir. „Oh, danke. Du hast wirklich geglaubt, ich hätte dieser Tortur widerstehen können? Du überschätzt meine Macht. Es gibt Grenzen, bis wohin man etwas verschweigen kann, wenn man es weiß.“

„Ich begreife,“ sagte ich langsam, wirklich überrascht von diesem, doch recht intimen, Geständnis. „Der Schmied nahm das Schwert und trug es mit sich nach Hause und Ihr machtet mit ihm Ort und Zeit der Rückgabe aus. Das hättet Ihr allerdings den Drachen sagen können.“

„Dann käme er nicht. Tōtōsai ist ein sehr guter Schmied mit überaus heikler Kundschaft. Und, er schmiedet nur für Leute, die er leiden kann.“

„Dann wundert es mich bei Euch nicht“, erklärte ich ehrlich.

Es war ein sehr schalkhaftes Lächeln, das mich streifte, ehe er einen Satz einen Abhang hinunter machte. Dort befand sich eine Lichtung mit einem riesigen Baum in der Mitte. Ohne weiteres ging der Taishō darauf zu und ließ sich nieder, lehnte sich daran, eindeutig auf diesen seltsamen Schmied wartend, der ihm das wohl gefährlichste Schwert aller Welten wieder bringen sollte. Hoffentlich hatte er sich nicht geirrt. Aber anscheinend herrschte im Westen noch Frieden, mordete So´unga nicht.

 
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: Morgi
2022-11-25T10:31:18+00:00 25.11.2022 11:31
Hallo!

Die Ruhe vor dem Sturm. Toutousai hat sich zu etwas hinreißen lassen, was mit halsbrecherisch noch milde umschrieben ist, aber es unterstreicht seinen eigensinnigen, unbelehrbaren Charakter. Die Vorstellung, er sei jung, erheitert mich über die Maßen! Ja, Myouga hat es gut getroffen und bewiesen, dass er den Tod nicht schreckt - für ein Lächeln. (Er muss doch auch den Haarkranz einbüßen, sobald er erkennt, wie der Welpe gestrickt sein wird, den er bislang nicht traf.)
Die Vorstellung, wie sich Sesshoumaru des väterlichen Bluts bewusst wird - wie Myouga es tat -, ist wieder ein beneidenswertes Detail.
Möge den beiden das Glück ein Weilchen hold sein, allein, ich glaub es nicht. Die Zitate zum Kapiteleinstieg sind jedesmal schön gewählt.

Viele Grüße, Morgi


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