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Advanced Attraction

von

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Nähe

Shuichi hielt sein Wort und stand eine Woche später vor Jodies Haustür. Als sie diese öffnete, blickte sie ihn verwirrt an. Es kam nicht oft vor, dass der Student vor ihrer Tür stand. Und wenn Jodie an die vergangenen Treffen dachte, war er bisher nur zweimal in ihrer Wohnung. Beim ersten Mal wurde er von Elena mitgeschleppt und durfte Jodie zu ihrem Einzug begrüßen. Beim zweiten Mal war sie ein Häufchen Elend und er war ihr gefolgt um nach dem Rechten zu sehen. „Eh…waren wir…verabredet?“, fragte sie irritiert.

„Nein“, antwortete Akai ruhig. „Ich hab dir ein paar Broschüren zu Orientierungskursen und Informationsveranstaltungen mitgebracht.“

„Oh…ja…danke“, entgegnete sie. „Ich hab angenommen, du würdest mir diese in der Bar geben.“

„Wir wohnen im gleichen Haus, daher sah ich keine Notwendigkeit die Sachen in die Bar mitzunehmen und zu schauen, wann du wieder vorbei kommst.“ Eigentlich war Jodie in der letzten Zeit noch häufiger im April als zuvor. Meistens unterhielt sie sich mit den Nachbarn oder Shuichi. „Und zu Hause ist ruhiger, wenn wir die Sachen durchgehen wollen. Außer du willst nicht.“

„Was? Nein nein, komm rein“, sagte Jodie und stellte sich etwas abseits.

Shuichi kam rein und zog sich die Schuhe und die Jacke aus. Er nahm seine Tasche und folgte Jodie anschließend in den Wohnbereich. Nachdem er sich auf das Sofa setzte, holte er die Borschüren und Unterlagen aus seiner Tasche hervor und verteilte sie auf dem Tisch.

„Möchtest du etwas trinken?“

„Ich nehm ein Wasser.“

„Gut, aber erwarte nicht zu viel, ich hab keine Schirmchen da.“ Es war eine Anspielung darauf, dass Jodie immer einen alkoholfreien Cocktail bekam.

Akai lächelte leicht. „Ich bin schnell zufrieden zu stellen.“

Jodie ging zur Küchenzeile und holte zwei Gläser sowie eine Wasserflasche heraus. Damit kehrte sie zurück in den Wohnbereich und stellte alles auf den Tisch ab. Sie befüllte die beiden Gläser mit Wasser und setzte sich zu ihm. Ihr Blick fiel wieder auf den Tisch. „Du hast…ja viel mitgebracht.“

Der Student nickte. „Wenn ich mir die Mühe mach, dann mach ich es richtig.“ Er griff nach einem Zettel. „Es gibt tatsächlich mehr Informationsveranstaltungen am Campus als man denkt. Die meisten sind allerdings so abgestimmt, dass künftige Schulabgänger daran teilnehmen können. Aber es gibt auch Veranstaltungen für die, die sich erst spät für ein Studium entscheiden oder die die Kurse wechseln wollen. Die Termine findest du in den Broschüren in der gelben Mappe. Außerdem gibt es auch einige offene Vorlesungen, das heißt, du musst gar nicht als Student eingeschrieben sein, um sie dir anzuhören. Aber du brauchst für solche Sachen einen Gästeausweis und musst den jederzeit vorzeigen können. Es könnte auch sein, dass sie dir den Gästeausweis irgendwann vorenthalten, wenn du zu oft umsonst Vorlesungen hören willst. Naja verständlich, immerhin zahlt man nicht umsonst die Gebühren. Außerdem kann es sein, dass dich der Dozent auch während der Vorlesung dran nimmt und zum Unterrichtsstoff befragt. Ich hab dir diese Veranstaltungen in die grüne Mappe getan.“

Jodie nickte.

„Wenn es zeitlich passt, könnte ich dich auch zu diesen Vorlesungen begleiten.“

„Das würdest du wirklich machen? Das Angebot würde ich wirklich gern annehmen.“ Obwohl sie wusste, dass ihr niemand den Kopf abriss, hatte sie ein wenig Angst diesen Schritt allein zu gehen.

„Sonst hätte ich es nicht vorgeschlagen“, gab Shuichi von sich. „Ich hab dir hier noch weitere Unterlagen zusammen gestellt und zwar findest du in der roten Mappe alle Seminare oder praxisbegleitende Veranstaltungen, bei denen Besucher erlaubt sind. Allerdings musst du dich dort beim jeweiligen Dozenten vorher anmelden und wenn es zu viele Interessenten gibt, kann es sein, dass du aussortiert wirst. In der Mappe sind auch andere Veranstaltungen wie Ausstellungen aufgelistet. Viele Fachbereiche machen sogar regelmäßig Ausstellungen oder Veranstaltungen. Außerdem habe ich wegen einer Campus-Führung nachgefragt. Wenn wir uns anmelden, kriegen wir alle Fachbereiche einmal zu Gesicht. Du musst hierfür allerdings zwei bis drei Tage einplanen.“

Sie lächelte. „Wow.“ Er hatte sich wirklich Mühe gegeben

„Und als zusätzlichen Bonus bekommst du nachher von mir noch einen Link zu einem Studienwahltest geschickt. Das könnte ein erster Anhaltspunkt sein und wenn du dich weiterhin für ein Studium interessieren würdest, kannst du auch mit dem Studienberater sprechen. Wie klingt das für dich?“

Jodie umarmte ihn vor Freude. „Danke, dass du mir so hilfst. Du bist wirklich ein guter Freund.“

Guter Freund ertönte es in Akais Kopf. Irgendwas in ihm zog sich bei diesen Worten zusammen. „Schon gut“, murmelte er.
 

Jodie hatte sich die Zeit genommen die sie brauchte. Seit sie von Liams Betrug erfahren und sich von ihm getrennt hatte, waren sechs Wochen vergangen. Trotz allem versuchte er wieder in Kontakt mit ihr zu treten, aber sie brauchte noch Zeit zum Nachdenken. Jodie spielte zwar wieder mit dem Gedanken die Beziehung aufzunehmen, wollte sich aber erst im Klaren darüber werden, was sie in der Zukunft tun wollte. Und Liam schien es zu verstehen – zumindest gab er das an.

Aber Jodie brauchte den Abstand von ihm. Sie musste sich zunächst auf sich selbst fokussieren. Und durch Shuichis Hilfe gelang es ihr auch gut. Er hatte ihr so viele Broschüren und Informationsblätter mitgebracht, dass es lange dauerte, alle durchzugehen. Zusammen mit dem Studenten hatte sie in der ersten Woche alle Kurse, Vorlesungen und Veranstaltungen durchgeschaut und sich überlegt, ob Interesse bestand. Viele Themen wie Informatik, Mathe oder Sport wurden sofort aussortiert. Jodie wusste, dass ein Studium zu diesen Fächern kaum Sinn bei ihr machte und wollte dementsprechend weder ihre Zeit noch die von Shuichi verschwenden. Sie war froh, dass sich der Student dazu bereit erklärte, sie zu begleiten. Allerdings konnte er nicht bei jeder Veranstaltung dabei sein. Ab und an sprang Elena ein, die die Annäherung von Jodie und Shuichi als positiv empfand und sich insgeheim wünschte, dass die Beiden ein Paar wurden.

Ohne es zu merken, fühlte sich Jodie in Shuichis Nähe wohl und konnte wieder richtig lächeln. Sie war gern in seiner Nähe und besuchte ihn auch oft in der Studentenbar. Während er arbeitete, unterhielten sie sich angeregt und wenn er mit der Band spielte, lauschte sie der Musik. Dass er ausgerechnet ein Akkordeon spielte, hätte sie sich in ihren kühnsten Träumen nie vorgestellt, aber als sie ihn damit sah, merkte sie, dass das Instrument zu ihm passte. Auch heute besuchte Jodie ihn in der Bar. Sie setzte sich direkt an den Tresen und beobachtete ihn. „Arbeiten oder lernen?“

Shuichi trocknete gerade ein Glas ab, während er geistesabwesend in die Ferne blickte. „Mhm?“

Jodie schmunzelte. „So sieht man dich nicht oft. Daher fragte ich, ob du gerade nur arbeitest oder lernst.“

„Tatsächlich lernen. Ich bin den Unterrichtsstoff im Kopf durchgegangen. Übermorgen schreiben wir eine Klausur.“

„Oh…ach so…dann stör ich dich nicht weiter.“

„Schon gut“, sagte der junge Mann. „Ablenkung kann nicht schaden und wir sind hier schließlich in einer Bar.“

Jodie nickte. „Bist du dir sicher? Wenn es nachher voller wird, kommst du gar nicht mehr zum Lernen.“

„Ich hab in einer halben Stunde Feierabend“, entgegnete er. „Kurz vor Klausuren reduzier ich meine Zeiten und wir haben dann auch weniger Auftritte mit der Band…meistens schreiben wir alle in der gleichen Woche unsere Klausuren.“

„Verstehe. Du bist bestimmt bestens vorbereitet.“

Er schmunzelte. „Natürlich bin ich das. Und bei dir? Hattest du nicht heute die Schnuppervorlesung zur Fotografie?“

„Ja, hatte ich. Und es war ganz informativ. Am Anfang erklärte uns der Dozent ein paar allgemeine Sachen, danach ließ er uns Bilder bewerten und interpretieren. Es war schon faszinierend, was man da so herausliest und was der Fotograf einem eigentlich sagen möchte. Er zeigte uns auch andere Bilder mit den gleichen Personen und der gleichen Umgebung, aber anderer Mimik. Du glaubst ja nicht, wie viel sich verändern kann, um eine ganz andere Atmosphäre zu erhalten. Allerdings riet er uns auch dazu, ein zweites Hauptfach zu wählen, weil man mit Fotografie allein nicht weit kommt. Es gibt viele gute Fotografen und Ausstellungen. Journalismus wäre auch eine gute Brücke…ich glaub, da hab ich nächste Woche eine Vorlesung, die ich mir ansehen kann. Und gestern war ich in der Einführungsveranstaltung für Kriminologie. Das war auch sehr interessiert. Die Dozentin hat uns am Anfang erzählt was im Fernsehen eigentlich alles falsch dargestellt wird und was uns in dem Studiengang erwartet.“

Akai nickte verstehen. „Die Veranstaltung hatte ich auch. Wenn die Serien die Wahrheit abbilden würden, würden die Einschaltquoten sinken. Aber von einer so schnellen Fallaufklärung kann jeder Polizist oder Agent nur träumen.“

„Genau, das dachte ich auch“, kicherte sie. „Ich bin wirklich froh, dass ich das gemacht habe. Und danke nochmal, dass du mich so oft begleitet hast. Ich war wirklich nervös.“

„Kein Problem, ich hab auch etwas dabei gelernt“, entgegnete Shuichi. „Sag einfach Bescheid, wenn ich wieder mitkommen soll.“

„Das mach ich“, gab die junge Frau von sich. „Jetzt weiß ich ja, dass die Menschen nicht beißen und auch die Leute, die ich diese Woche kennen gelernt habe, waren ganz nett. Wir haben uns etwas unterhalten und ich bin froh, dass ich wirklich nicht die Einzige bin, die nicht weiß, was sie mit ihrem Leben anfangen soll.“

„Ich hab dir doch gesagt, dass du damit nicht alleine bist.“

„Ja, das hast du“, antwortete Jodie. Sie streckte sich. „Ich glaub, den Schubs in die Richtung hab ich gebraucht. Vor allem hat es mir auch geholfen, dass du nicht zu den Personen gehörst, die mich mein ganzes Leben lang begleitet haben. Das macht schon einen Unterschied aus.“

Akai nickte. Er wusste, dass die Zeit für Jodie auch schmerzhaft gewesen war und sie Ablenkung suchte. „Willst du noch was trinken? Ich kann dir schnell einen Cocktail mixen oder ich pack zusammen und wir gehen.“

„Wir können gern los“, antwortete Jodie und stand auf. Da er noch lernen musste, wollte sie ihn nicht zu lange aufhalten.

Shuichi packte seine Sachen ein, verabschiedete sich von den Kollegen und ging mit Jodie nach draußen.

Sie blickte hoch in die Sonne. „Das Wetter ist heute echt schön.“

„Es regnet nicht immer in London“, warf er ein und sah auch in den Himmel. „Wenn du möchtest, können wir die Abkürzung durch den Park nehmen und verzichten auf die U-Bahn.“

„Das geht?“

„Natürlich. Die U-Bahn ist trotzdem schneller, aber wenn wir durch den Park gehen, kommen wir auch ins Ziel. Nach anstrengenden Tagen ziehe ich den Fußweg der Bahnfahrt vor. Der Kopf wird freier und man hat Zeit nachzudenken.“

„Dann lass uns durch den Park gehen. Es ist irgendwie peinlich, dass ich schon eine ganze Weile hier wohne, aber meine Umgebung noch nicht so wirklich kennengelernt habe.“

„Hier entlang“, kam es von Akai und er bog in eine Straße ein und betrat dann den Park.

Jodie beobachtete die vielen Pärchen und lächelte. Mit einem Mal errötete sie aber, als ihr bewusst wurde, dass auch sie nicht alleine war und man etwas anderes annehmen könnte. Um den Gedanken loszuwerden, schüttelte sie hastig den Kopf.

„Mhm? Alles in Ordnung?“

„Ja“, antwortete sie sofort.

„Willst du Eis?“ Er wies auf den Eiswagen.

Jodie blickte irritiert dorthin. Eis? War das vielleicht doch eine Art Date oder bildete sie sich das alles auf einmal ein? „Äh…ja gerne, für mich Vanille und Nuss, bitte.“

Akai ging zu dem Wagen und stellte sich an. Als er ankam, bestellte er zwei Waffeln und reichte eine schließlich an Jodie weiter.

„Ich hab irgendwie nicht gedacht, dass du Eis mögen würdest.“

„Wieso nicht?“

„Ich weiß auch nicht. Du bist für mich irgendwie nicht der Typ für Eis.“

„Mhm…vielleicht weil ich eine kalte Aura habe?“

„Das hast du jetzt gesagt.“ Sie ging neben ihm und schleckte am Eis. „Woher hast du das mit der Aura?“

„Hat meine Mutter mal zu mir gesagt.“

„Oh.“

„Ist nicht schlimm. Wir hatten früher öfters unsere Differenzen. Ich würde mir Sorgen machen, wenn sie mal handzahm ist.“

„Ach so.“ Jodie lächelte. „Das kenn ich von meiner Familie auch. Manchmal streitet man sich und im nächsten Moment ist man wieder ein Herz und eine Seele.“

„Eltern bleiben eben immer Eltern. Und auch wenn wir Kinder groß und erwachsen werden, so bleiben auch wir immer die Kinder unserer Eltern. Die Sorgen vergehen nie.“

„Sehr philosophisch von dir.“

„Kann sein.“ Shuichi ging weiter und aß sein Eis auf. „Ich versuche immer verschiedene Aspekte zu betrachten und mich in andere Menschen hineinzuversetzen. Das wird mir in der Zukunft sicher helfen.“

Jodie nickte verstehend. Sie genoss den kleinen Spaziergang. Die Zeit verging wie im Fluge, sodass sie irritiert vor dem Wohngebäude stand. Shuichi öffnete die Tür zum Hausflur und ließ Jodie eintreten. Gemeinsam gingen sie zu ihrer Etage. „Soll ich dir die nächsten Tage weitere Broschüren mitbringen?“

Jodie blickte ihn fragend an. „Es gibt noch Broschüren, die du mir nicht mitgebracht hast?“, witzelte sie.

„Auf den Plätzen liegen oft welche aus oder werden verteilt. Ich kann also für Nachschub sorgen.“ Er brachte sie zu ihrer Haustür.

„Danke, das wär sehr lieb von dir. Vielleicht gibt es noch was, was ich mir noch nicht angesehen habe. Aber irgendwann sollten wir damit aufhören.“

Shuichi nickte. „Also dann…“

„Also dann…“, murmelte Jodie und spürte bereits ihre Haustür im Rücken. Und dennoch schien es so, als würden die Funken in der Atmosphäre sprühen. Sie sahen einander in die Augen und spürten es Beide.

Jodie wurde nervös und in ihrem Bauch rumorte es – allerdings im positiven Sinn. Shuichi beugte sich runter zu ihr. Sein Gesicht war ihrem nah. Viel zu nah. Jodies Herz pochte ununterbrochen. Lauter. Je näher sein Gesicht kam, desto nervöser wurde sie. Sie blickte in seine tiefgrünen Augen, er in ihre blauen Augen. Als seine Lippen ihre streiften, schloss sie ihre Augen. Wärme umfasste sie, als sich ihre Lippen gänzlich berührten.



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