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Advanced Attraction

von

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Harte Worte

Seit Jodies Ankunft in London waren drei Wochen vergangen. An ihrem ersten Abend inspizierte sie die Wohnung ihres Freundes, obwohl sie diese aus den vielen Videochats bereits kannte. Da Liam seine Vorlesungen an der Universität nicht einfach schwänzen konnte – zum einen gab es in gewissen Kursen die Anwesenheitspflicht und zum anderen stand er vor einer Zwischenprüfung – und auch nicht alle Schichten in der Boutique tauschen konnte, war Jodie die größte Zeit über alleine in der Wohnung. Sie verstand, dass es einige Dinge gab, die wichtiger waren, aber dennoch hatte sie sich die Zeit mit ihrem Freund anders vorgestellt. Und auch sie selbst hatte sich ihren Alltag in London ganz anders ausgemalt. Sie wollte nicht eine von den Frauen werden, die nur zu Hause herumsaßen, putzten und auf ihren Partner warteten. Aber es war genau das, was sie seit jeher tat. Sie stand morgens auf, machte ihm Frühstück und wartete dann den ganzen Tag auf seine Rückkehr. Zwischendurch kümmerte sie sich um seine Wohnung, die Wäsche und das Abendessen. Ab und an wagte sie sich nach draußen, besorgte Lebensmittel und andere Utensilien für den Haushalt. Eher selten ging sie spazieren und sah sich die Gegend an. Mittlerweile konnte sie sogar behaupten, dass sie sich innerhalb der Straße gut zu Recht fand.

Ohne eine wirkliche Perspektive zu haben, war ihr Leben trostlos geworden. Dennoch verspürte sie eine minimale Aufregung, wenn sie daran dachte, dass Liam nach einem langen Tag in Vorlesungen oder nach seiner Arbeit in der Boutique nach Hause kam. Teilweise war es Freude ihn zu sehen, aber es gab auch diesen zweiten Aspekt in ihrer Beziehung. Jedes Mal fragte er nach ihrem Tag und sie antwortete ehrlich. An seinem Gesichtsausdruck wusste sie, dass er nicht darüber erfreut war, dass sie sich bislang noch nicht um ihre Zukunft gekümmert hatte. Doch sie wollte nicht damit beginnen, ihn über ihren Tag anzulügen. Durch ihren Vater wusste sie, dass jede Lüge irgendwann aufflog. Allerdings konnte Jodie Liams Problem nur teilweise verstehen. Sie war noch gar nicht so lange in London und hatte natürlich andere Prioritäten als sich mit ihrer Zukunft auseinanderzusetzen. Und wenn sie ehrlich war, hatte sie sich auch das Zusammenleben mit Liam ganz anders vorgestellt. Aber vermutlich war das normal, wenn man sich als Paar nur selten sehen konnte und auf einmal aufeinander hockte. Jodie war sich sicher, dass sie sich erst wieder aufeinander einstimmen mussten. Und mit der Zeit würden sie eine Beziehung haben wie die ihrer Eltern.

Schweigend nahm Jodie einen Bissen vom Abendessen. Sie war weder eine gute noch eine schlechte Köchin. Ihre ersten Versuche hatte sie damals in den Sand gesetzt, ihr Vater hatte sie scherzhaft als Mordanschlag betitelt. Aber nachdem sie viel mit ihrer Mutter geübt und auch einen Kochkurs besucht hatte, konnte sie zumindest die einfachsten Gerichte zubereiten. Trotzdem war sie immer nervös, wenn Liam den ersten Bissen nahm und sie mit nichtssagendem Blick ansah. Genau so wie jetzt. Er beobachtete sie.

„Was hast du heute den ganzen Tag gemacht?“

Da war sie, die Frage, die darüber entschied, wie der Abend zu Ende ging. Jodie versuchte ihre Worte mit Bedacht zu wählen. „Ich…“, murmelte sie. „…hab mich zuerst ein wenig um die Wohnung gekümmert und danach bin ich nach draußen gegangen. Ich mag die Gegend hier, so viele kleine Geschäfte und ganz viel zu sehen.“

An Liams Gesichtsausdruck hatte sich nichts verändert. Jodie ahnte, dass ihre Antwort zu Ärger führen würde. Er seufzte. „Jodie, das ist…wirklich nett von dir und ich schätze es auch, dass du dich um die Wohnung kümmerst, für mich kochst und auch, dass du wegen mir nach London gekommen bist. Aber…wir hatten doch ausgemacht, dass du nicht nur den ganzen Tag zu Hause sitzen sollst und das Heimchen am Herd spielst. Ich möchte nicht, dass du in einigen Jahren zurück blickst und deine Entscheidungen bereust“, begann er ruhig. „Du brauchst einen Plan für dein Leben und du musst dir überlegen, was du in der Zukunft machen willst. Es muss doch kein Studium sein und wenn du nicht direkt mit einer Vollzeitstelle anfangen willst, dann kannst du auch erst mit einem Teilzeitjob anfangen. Ich weiß, du hast es gehasst, dass dir deine Eltern vorgeschrieben haben, dass du neben deinem Schulabschluss noch Vorbereitungs- oder Orientierungskurse besuchen sollst, allerdings solltest du dir überlegen, ob du das hier nicht auch machen willst.“ Und Liam wusste, dass er nun genau das gleiche sagte, wie ihre Eltern. Aber es musste sein. Denn er teilte ihre Meinung.

„Das weiß ich doch alles“, murmelte Jodie. „Und ich möchte auch nicht den ganzen Tag zu Hause sitzen und darauf warten, dass du nach Hause kommst. Ich bin doch noch nicht so lange in London und ich dachte…wir gönnen uns erst einmal ein paar Tage Ruhe und Erholung. Daran ist doch nichts auszusetzen.“

Er musterte sie. „Das wollte ich dir auch nicht vorwerfen. Ich bin mit der Uni und der Arbeit in der Boutique so beschäftigt, dass wir am Abend nur zu Hause sitzen und essen. Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich danach noch lerne oder Hausarbeiten schreibe. Wir kommen auch am Wochenende nicht dazu, viel zu unternehmen. Wenn du…wenigstens mal was alleine unternehmen würdest…“

„Ich bin in einer fremden Stadt…und einem fremden Land, natürlich möchte ich dann nicht alleine irgendwo unterwegs sein“, warf sie ein.

„Das war bei mir damals doch nicht anders. Jodie, es bringt nichts, wenn du nur zu Hause rumsitzt. Du musst auch für dich selbst einstehen.“ Er schüttelte den Kopf. „Entschuldige, ich wollte nicht so harsch sein. Ich will doch nur dein Bestes. Wenn du zu lange zu viel Zeit vergeudest, kann es zu spät sein. Der Arbeitsmarkt ist hart umkämpft und wenn du nichts vorweisen kannst… Bitte versprich mir, dass du wenigstens versuchst, etwas zu finden was dir Spaß macht. Ich werde dir nicht im Weg stehen. Und…wenn du dich entscheidest, dass du wieder nach New York fliegst, könntest du es bereuen, wenn du die Zeit hier nicht genutzt hast.“

Jodie schluckte. Sie sollte wieder zurück? Aber warum?

„Dir stehen so viele Möglichkeiten offen. Du bist eine großartige Person und ich will, dass du dir auch ein Leben ohne mich aufbaust. Man weiß nämlich nie, was passiert.“

Jodie wirkte niedergeschlagen. Ein Leben ohne ihn? Ging er davon aus, dass sie sich früher oder später trennen würden? Nein! Das wollte sie nicht. Aber was war die Alternative? Sollte sie ihm ganz spontan einen Heiratsantrag machen? Jodie schüttelte den Kopf. Dafür war es definitiv noch zu früh gewesen, auch wenn sie manchmal davon träumte eine Braut zu sein. „Ich…ich verstehe, was du meinst“, murmelte sie leise. „Ich möchte…dir nicht zur Last fallen, Liam. Und ich verspreche dir, dass ich nicht nur zu Hause herumsitzen werde. Ich werde mir einen Job suchen und…mir das Vorlesungsverzeichnis ansehen…und….“

Liam rückte an sie heran. Er legte seinen Arm um sie und zog sie an sich. „Es ist kein Vorwurf, Jodie. Ich hab einfach nur Angst, dass du…mich irgendwann hassen wirst, wenn ich dir jetzt nicht in den Hintern trete.“ Er versuchte zu lächeln. „Dein Essen schmeckt im Übrigen gut. Vielleicht wäre Koch was für dich?“

„Danke. Meine Mom hat mir einiges gezeigt und ich hab zu Hause auch einen Kochkurs besucht. Meine Eltern hatten mich auch schon deswegen gelöchert…aber nein, ich kann mir nicht vorstellen das Kochen zum Beruf zu machen.“

„Mhm…verstehe“, entgegnete Liam und strich ihr über den Rücken. „Hast du überlegt, ob du das mit dem Modeln hier wieder angehen willst?“

„Hm?“ Jodie sah ihn überrascht an. „Das hab ich doch nur als Kind gemacht und ich war froh, als ich es aufgeben konnte. Oder möchtest du mich mit fremden Männern teilen?“

Liam verzog das Gesicht. „Sag doch so was nicht.“

Jodie kicherte. „Ich mein ja nur. Als Model sehen mich viele Menschen und auch wenn meine Bilder als Kind jugendfrei waren, so glaube ich nicht, dass es jetzt auch noch so wäre. Sex sells. Wahrscheinlich müsste ich auch mal im Bikini Fotos machen oder andere freizügige Bilder.“

„Vergessen wir das modeln“, entgegnete der junge Mann. „Ich bin der einzige Mann der dich so sehen darf.“

Jodie schmunzelte. „Das wollte ich hören. Und jetzt iss auf, sonst wird das Essen noch kalt.“

„Ja, Ma’am.“

„Das klingt ja, als wäre ich voll alt.“

Liam kicherte. „Tut mir leid. So war das nicht gemeint.“

„Dann will ich mal nicht so sein und deine Entschuldigung annehmen“, sagte Jodie ruhig. Sie lächelte. „Liam?“

„Ja?“

„Jetzt wo ich hier bin…also deine Wohnung…mir ist aufgefallen, dass du dich zum Lernen oft im Schlafzimmer verschanzt und wenn…ich nach dir wach bin, bleibe ich noch länger dort, damit du morgens im Wohnzimmer genügend Zeit für deine Aufgaben hast. Versteh mich nicht falsch, ich mag deine Wohnung, aber…ich glaube sie ist für uns zwei zu klein.“

Liam nickte verstehend. „Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Noch geht es, aber je mehr Zeit wir hier zusammen verbringen, desto schneller könnte es passieren, dass wir uns gegenseitig an die Gurgel gehen wollen. Keiner hat hier seinen Freiraum und bei einem Streit…naja du weißt schon…“

„Ich bin froh, dass du das auch so siehst“, gab die junge Frau von sich.

„Trotzdem bin ich nur Student und muss neben den Studiengebühren auch andere Kosten tragen. Eine kleine Wohnung macht da am meisten Sinn und ich bin oft nicht zu Hause.“

„Ich kann ab morgen mal im Internet nach einer Wohnung schauen. Solange sie bezahlbar ist und mehr Zimmer hat, haben wir Beide unseren Freiraum.“

Liam lächelte. „Gute Idee. Ich denke, es ist auch für unsere Beziehung besser, wenn wir erst einmal getrennt voneinander wohnen. Wir hatten von Anfang an einen schlechten Start. Kaum kamen wir zusammen, bin ich nach London und danach hatten wir eine Fernbeziehung. Direkt zusammenzuziehen wäre bestimmt in einer Katastrophe geendet. Wir sollten uns erst einmal aneinander gewöhnen und uns näher kennenlernen. Ich bin froh, dass du das auch so siehst.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

Jodie versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Eigentlich wollte sie ihm das Gegenteil vorschlagen und sich auf die Suche nach einer größeren Wohnung machen. Für sie beide. Aber stattdessen hatte er sie komplett falsch verstanden und seine eigenen Schlussfolgerungen gezogen. Natürlich hatte er recht mit seiner Aussage, doch sie war nur seinetwegen nach London gekommen und sollte wieder von ihm getrennt werden. „Ja, ich…ich kümmer mich darum. Aber…mach dir nicht zu viele Hoffnungen, dass ich schnell was finde. Eine Wohnung zu finden, dauert seine Zeit und ich hab…noch keinen Job.“

Er legte seine Hand auf ihren Kopf und strich ihr über das Haar. „Ich will dich nicht loswerden, falls du das glauben solltest. Und natürlich weiß ich, dass man eine Wohnung nicht von heute auf morgen findet. Mach dir darüber nicht zu viele Gedanken. Wenn es wegen dem Geld ist, das kriegen wir schon hin. Wenn es nicht anders geht, fragen wir deine Eltern oder meine Eltern, wenn dir das lieber ist.“

„Schon gut.“

„Ach Jodie“, wisperte Liam. „Ich seh es in deinem Gesicht. Du bist traurig, aber das musst du nicht sein.“

Sie lehnte sich an ihn. „Das weiß ich doch. Ich hab nur nicht gedacht, dass es dir nichts ausmacht, wenn ich mir eine eigene Wohnung suche.“

„Natürlich macht es mir was aus. Was meinst du, was in meinem Kopf vorgeht? Du bist neu in der Stadt und kennst dich hier nicht aus. Ich habe Angst, dass ein Vermieter deine Gutgläubigkeit ausnutzen wird oder dass du mit deinen zukünftigen Nachbarn nicht auskommst oder du in eine komische Gegend ziehst…mir geht so viel durch den Kopf, aber ich versuche es nicht zu zeigen. Ich weiß nämlich, dass du nicht auf den Kopf gefallen bist und die richtige Entscheidung treffen wirst. Genau so weiß ich, dass es für uns Beide so am besten ist. Wer weiß, wann bei uns Mord und Todschlag herrscht. Irgendwann muss ich mir noch ein Alibi suchen.“

„Mhm?“ Sie blickte zu ihm hoch. „Wer sagt denn, dass ich das Opfer bin?“

Liam war überrascht. „Naja…ich kann mir nicht vorstellen, dass du mir was antust.“ Er schmunzelte.

„Aber du weißt doch, dass Frauen sehr eifersüchtig und rachsüchtig werden können.“ Jodie kicherte. „Und außerdem bin ich die Tochter eines FBI Agenten. Ich weiß, was ich tun muss, um ungeschoren davon zu kommen.“

„So ist das also. Du wirst es mir nicht einfach machen.“

„Wer kann, der kann“, entgegnete sie.

Zunächst blickten sie einander streng an, danach begannen sie aber herzhaft zu lachen.



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