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Ratgeber in Sachen Liebe

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo :D

Hier ein kleiner OS über Estelle und Yuri.
Ich habe diesen bereits vor Jahren geschrieben und dann völlig vergessen ^^
Viel Spaß beim Lesen :D Komplett anzeigen

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Flynns Schritte hallten durch die Gänge des Schlosses. Sein Ziel war die Bibliothek, denn er brauchte einige Bücher für Ioders Unterricht. Als Kommandant der imperialen Ritter zählte es auch zu seinen Aufgaben, den jungen Herrscher in Politik und strategischer Kriegsführung zu unterweisen. Als er um die nächste Ecke bog, stand er endlich vor dem großen, hölzernen Eingang der Bibliothek. Er drückte die Klinke nach unten und mit einem ächzenden Knarren schwang die Türe auf. Beim Eintreten strömte Flynn der Geruch von bedrucktem Papier und alten Büchern in die Nase. Verblüfft hielt er inne, als er feststellte, dass schon jemand hier war.
 

„Oh guten Morgen, Lady Estellise!“
 

Flynn musste darüber schmunzeln, dass es mittlerweile eine Überraschung war, die Prinzessin in der Bibliothek anzutreffen. Früher war dies immer der erste Ort gewesen, an welchem er nach ihr gesucht hatte. Wie sehr sich doch einiges verändert hatte, seitdem sie gemeinsam die Welt gerettet hatten.
 

Die Angesprochene saß am Fenster, in den Händen hielt sie ein dickes Buch. „Guten Morgen Flynn, aber wie oft soll ich dich noch bitten, mich Estelle zu nennen. Wir sind schließlich Freunde“, erinnerte Estelle ihn. „Es tut mir leid, aber ich, ich, …“, Flynn kam ins Straucheln. Trotz ihrer Freundschaft fand er es unangebracht, sie bei ihrem Spitznamen zu rufen.

„Schon gut“, Estelle lachte. „Fühl dich zu nichts gezwungen, aber vielleicht kommt es dir irgendwann ja doch über die Lippen.“

„Ich werde es versuchen.“
 

„Was führt dich in die Bibliothek?“
 

„Ich brauche Bücher für Ioders Unterricht“, mit diesen Worten verschwand Flynn zwischen den Bücherregalen und fing an mit einem seiner Finger über die Einbände zu fahren.
 

„Ist das Buch interessant, welches du gerade liest?“, fragte Flynn beiläufig, während er nach den benötigten Büchern suchte.

„Ja, es ist eine fantastische Abenteuergeschichte“, erwiderte die Prinzessin.
 

Die Erzählung erinnerte sie an ihr eigenes Abenteuer. Zwei Fremde, welche sich durch Zufall begegneten und gemeinsam eine unglaubliche Geschichte erlebten. So ähnlich war es bei Yuri und ihr auch gewesen. Doch einen entscheidenden Unterschied gab es. Zwar hatte sie das Ende der Geschichte noch nicht erreicht, doch es war bereits offensichtlich, dass die beiden Hauptfiguren ineinander verliebt waren. Estelle seufzte und blickte aus dem Fenster. Bei ihr und Yuri war es wohl eher eine einseitige Romanze. Sie hegte schon länger sehr starke Gefühle für ihn. Allein an ihn zu denken, reichte aus, um ihr Herz schneller schlagen zu lassen. Estelle schloss die Augen. Wann nur hatte Yuri sie so verzaubert? Sie wusste es nicht. Ein weiterer Seufzer entkam ihren Lippen. Sie bezweifelte stark, dass er ähnlich fühlte. Estelle war überzeugt, dass sie nicht der Typ Frau war, in den Yuri sich verlieben würde. Vermutlich sah er sie noch nicht einmal als erwachsene Frau, sondern noch als Kind. Sie dachte daran, wie ungeniert Yuri und Judith manchmal miteinander flirteten. Sie bewunderte und beneidete Judith um ihre lockere und kokette Art. Sie war bestimmt viel eher der Typ Frau, der zu Yuri passte. Sie musste erneut seufzen.
 

„Alles in Ordnung?“, fragte Flynn mit leicht besorgter Stimme.
 

Estelle lief knallrot an, vor lauter Grübeln hatte sie glatt vergessen, dass sie nicht allein war. Sie wollte schon antworten, es sei alles bestens, als ihr eine Idee kam.
 

„Flynn, darf ich dich etwas fragen?“
 

„Klar doch“, antwortete der Kommandant zwischen den Bücherregalen.
 

„War Yuri schon einmal verliebt?
 

Für einen Moment herrschte wieder Stille in der Bibliothek. Flynn hatte mit allen möglichen Fragen gerechnet, aber damit nun wirklich nicht.
 

„Warum willst du das denn wissen?“
 

„Ich habe mich nur gefragt, auf welchen Typ Frau Yuri wohl steht? Ich bin nur neugierig.“
 

Flynn kratzte sich am Kopf und sein Blick schweifte von den Buchtiteln ab.
 

„Weißt du, wir sind nur zusammen aufgewachsen bis ich ungefähr sechs war, dann bin ich mit meiner Mutter von hier weggezogen. Damals haben wir uns noch nicht für Mädchen interessiert. Was Yuri getrieben hat, bis ich ihn bei den imperialen Rittern wieder getroffen habe, weiß ich nicht so genau. Wenn er mal verliebt war, dann hat er es mir jedenfalls nie erzählt. Während unserer gemeinsamen Zeit bei den Rittern hatte er keine Freundin, aber ehrlich gesagt, haben wir uns nie über solche Themen ausgetauscht. Ich kann dir echt nicht sagen, welchen Typ Frau er bevorzugt,“ nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: „Der große Romantiker ist er allerdings sicher nicht.“ Bei dem Gedanken musste Flynn lachen. „Du weißt ja selbst, dass er nur ungern über seine Gefühle spricht.“
 

„Ja ich weiß“, seufzte Estelle. Das machte es nicht gerade einfacher, ihn zu verstehen.
 

„Warum beschäftigt dich das überhaupt?“
 

Estelle zögerte, sollte sie sich Flynn anvertrauen. Er würde es bestimmt niemanden erzählen, früher hatte sie ihm auch immer alles erzählt. Doch irgendwie war es peinlich… aber andererseits wäre es auch schön, wenn sie es endlich jemanden erzählen könnte. Estelle spielte nervös mit einer ihrer Haarsträhnen, öffnete und schloss ihren Mund wieder.
 

„Ich… also ich… versprichst du, dass du es niemand erzählst?“
 

Flynn zog die Augenbraue hoch, ihm war nicht so ganz klar, wo dieses Gespräch jetzt hinführen würde, aber er versprach nichts zu erzählen.
 

„Ich… ich“, Estelles Herz schlug ihr bis zur Brust und ihre Finger begannen zu schwitzen, „ich also, ich bin verliebt… in Yuri.“
 

RUMMS! Ein lauter Knall gefolgt von einem schmerzlichen Aufschrei, ließ Estelle zusammenzucken.
 

„Flynn?“
 

Dem Angesprochenen war das Buch, welches er eben aus dem Regal nehmen wollte, ausgekommen und auf den Fuß gefallen. „So ein Mist“, fluchte Flynn, hob das Buch wieder auf und trat zwischen den Bücherregalen hervor.
 

„Meinst du das ernst?“, fragte er, als er sich zu ihr begab und seinen bisherigen Fund auf einen der kleinen Holztischchen ablud. Dabei verzog er immer wieder sein Gesicht, sein großer Zeh schmerzte höllisch.
 

„Natürlich meine ich es ernst!“
 

Selbst wenn sein bester Freund nicht anwesend war, bereitete er ihm nur Kopfschmerzen, von den Schmerzen in seinen Zehen ganz zu schweigen. Flynn musste diese neue Erkenntnis erst einmal verdauen.
 

„Warum er?“, fragte er schließlich und klang dabei etwas gequält.
 

Estelle antwortete nicht gleich, sie sah aus dem Fenster und dachte an alles was sie bisher mit Yuri erlebt hatte.
 

„Ich weiß es nicht, aber er war der erste der mich nicht mit Samthandschuhen angefasst hat, ihm ist es egal, dass ich eine Prinzessin bin. Das hat für ihn nie einen Unterschied gemacht.“
 

„Ihm fehlt es lediglich an dem nötigen Respekt“, stöhnte Flynn, welcher sich nun gegenüber von Estelle niedergelassen hatte und sich die Schläfen massierte.
 

„Nein, das stimmt so nicht, Yuri lässt sich nur nicht von Rängen und Titeln beeindrucken, aber er respektiert und schätzt all seine Freunde sehr. Außerdem bewundere ich seine ehrliche Art, er spricht immer aus, was er denkt und macht sich keine Gedanken darum, was andere von ihm halten. Er macht sich aber viele Gedanken um seine Freunde, er zeigt es vielleicht nicht immer, aber ich weiß, dass die Gefühle von uns allen ihm sehr wichtig sind.“
 

„Dich hat es ja schlimm erwischt“, stellte Flynn nüchtern fest. Estelle lief knallrot an und versteckte ihr Gesicht hinter ihrem Buch. Flynn musste schmunzeln, die Prinzessin war tatsächlich bis über beide Ohren verknallt. Er wusste nicht, was ihm mehr überraschte, ihre Gefühle oder die Tatsache, dass er davon bisher absolut nichts bemerkt hatte. Sonst entging ihm auch so gut wie nichts. Estelle ließ ihr Buch langsam wieder sinken und lehnte sich an die kühle Schlosswand hinter ihr.
 

„Ja sieht wohl so aus“, versuchte sie lachend zu sagen, doch ihre Stimme klang brüchig. „ich fürchte nur, dass er nicht dasselbe fühlt. Ich bin nur eine gute Freundin für ihn, nicht mehr. Bitte erzähl ihm nichts davon.“
 

In Estelles letzten Worten lag so viel Schmerz, dass es Flynn fast das Herz brach. Er versuchte sich die beiden als Paar vorzustellen, doch das wollte ihm nicht so recht gelingen. Nicht ausmalbar, zu welchem Unsinn sein bester Freund Estelle anstiften könnte. Er setzte ihr bereits jetzt unnötige Flausen in den Kopf. Dennoch musste sich Flynn auch eingestehen, dass Yuri vermutlich alles tun würde, um Estelle glücklich zu machen und sie auf Händen tragen würde, aber ob Yuri mehr als nur eine gute Freundin in der Prinzessin sah, wusste er auch nicht. Zumindest war sie ihm so wichtig, dass er sie trotz der vielen Zeit, die sie ohnehin mit ihm und ihren anderen Freunden verbrachte, sie auch im Palast regelmäßig nachts besuchen kam. Yuri dachte zwar, dass seine nächtlichen Besuche unbemerkt blieben, aber dem Kommandanten der kaiserlichen Ritter blieb absolut nichts verborgen, was im Schloss vor sich ging.
 

„Ich werde ihm ganz bestimmt nichts hiervon erzählen, aber du solltest ihm unbedingt sagen, was du fühlst. Wenn du mit ihm offen und ehrlich über deine Gefühle sprichst, wird er dir zuhören, dich ernst nehmen und dir antworten.“
 

Das musste Flynn Estelle nicht extra sagen, davon war sie selbst auch überzeugt. Doch sie hatte Sorge, dass es danach komisch zwischen ihnen wäre. Außerdem würde ein Korb so furchtbar wehtun. Estelle war sich nicht sicher, ob sie das verkraften könnte.
 

„Ich möchte nicht, dass sich irgendwas an unserer Freundschaft ändert, das ist es nicht wert.“
 

„Wäre es nicht Schlimmer, nie eine Antwort zu bekommen? Vielleicht wird es eine Weile seltsam sein, aber ich denke, eure Freundschaft ist stark genug, um das zu verkraften.“
 

Estelle schloss die Augen. Vermutlich hatte er recht, es verband sie so viel mit Yuri, das würde nicht einfach alles in die Brüche gehen und diese Ungewissheit lastete wirklich schwer auf ihr. Denn manchmal, ja manchmal, da gab es diese kleinen Momente, die sie zumindest hoffen ließen, dass er vielleicht doch dasselbe fühlte. Dieses eine bestimmte Lächeln, das sie immer nur zu sehen bekam, wenn sie mit ihm allein war. Seine Reaktionen, wenn sie ihm mal ein Kompliment machte. Er spielte es immer runter, doch die leichte Röte im Gesicht entging ihr trotzdem nie. Etwas, das bei seiner Flirterei mit Judith nie vorkam. Sie neckten sich, aber rot war er dabei noch nie geworden. Er beobachtete sie oft beim Schlafen. Er dachte zwar vermutlich, dass sie das nicht mitbekam, doch auch sie beobachtete ihn gerne. Dann war noch seine endlose Geduld mit ihr. Estelle musste kurz lachen, mit ihr war es sicher nicht immer einfach. Wenn sie mit Yuri unterwegs war, wanderte sie schon manchmal einfach davon, weil sie irgendwas Faszinierendes entdeckt hatte und alles andere vergaß, oder sie stürzte sich Hals über Kopf in eine haarsträubende Situation, weil sie irgendjemanden helfen wollte, ohne zuerst nachzudenken. Und wie oft stand sie auf der Leitung, weil ihr auch nach all der Zeit vieles da draußen immer noch fremd war. Yuri zog immer mit ihr mit, beschwerte sich nie über den Schlamassel, welchen sie manchmal heraufbeschwor. Es wunderte sie oft, dass er sie immer noch ohne Zögern mitnahm, wenn sie darum bat.
 

„Nun ich muss jetzt leider los, Ioder erwartet mich bereits zum Unterricht. Denk noch mal darüber nach und tu, womit du dich am wohlsten fühlst, ich denke, das wäre das Beste.“
 

Flynn schnappte sich seine Bücher, deutete eine kurze Verbeugung an und lies Estelle schließlich mit ihren Gedanken allein in der Bibliothek zurück. Diese blickte erneut aus dem Fenster und beschloss das Lesen für heute sein zu lassen und ihr Zimmer auszusuchen.
 

Dort angekommen schmiss sie sich auf ihr Bett und versuchte eine Entscheidung zu treffen. Sie war bis vorhin überzeugt gewesen, es wäre das Beste zu schweigen, doch jetzt war sie sich da nicht mehr ganz so sicher. Diese Gefühle würden nicht wieder verschwinden, diese Hoffnung hatte sie bereits begraben. Ihre Gefühle waren so stark und klar, dass sie oftmals glaubte, jeder, der sie ansah, müsste es ihr eigentlich vom Gesicht ablesen können. Estelle stöhnt auf und versteckte ihren Kopf unter einem ihrer Kissen. Niemand hatte ihr je verraten, wie kompliziert und anstrengend die Liebe sein konnte.

Ein Klopfen schreckte sie auf. Etwas irritiert und verwirrt blickte sie sich um. Sie war in ihrem Zimmer und es war bereits dunkel. Sie musste wohl eingenickt sein. Langsam erhob sie sich, um die Ursache des Geräusches ausfindig zu machen. Sie brauchte nicht lange suchen, der Verursacher stand auf ihrem Balkon und grinste sie an. Alle Gedanken von vorhin schossen ihr erneut in den Kopf und sie konnte regelrecht fühlen, wie sich die Röte in ihrem Gesicht ausbreitete. Sie atmete einmal tief ein und wieder aus, bevor sie zur Balkontür marschierte und ihn hereinließ.
 

„Wirst du dieses Zimmer jemals wie jeder andere normale Mensch durch die Türe betreten?“, fragte sie und spielte ihm die Verärgerte vor, doch eigentlich versuchte sie nur zu verbergen, wie aufgewühlt sie war.
 

„Du weißt genau, dass ich nicht wie jeder andere bin, außerdem weiß ich gar nicht was du hast, das ist schließlich auch eine Türe.“
 

Estelle verdrehte die Augen, musste dann aber lachen. Yuri war einfach unmöglich, doch auch das war ein Grund, warum sie ihn so mochte.
 

Yuri ließ sich in Estelles Lesesessel nieder, verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und wollte wissen, wie ihr Tag war.

Natürlich schoss Estelle als Erstes wieder ihr Gespräch mit Flynn in den Kopf. „Er war normal, ganz normal“, quietschte sie und ärgerte sich im nächsten Moment über den Kontrollverlust ihrer Stimme.
 

Überrascht ließ Yuri seine Hände sinken und sah Estelle nun direkt in die Augen: „Alles okay, du hörst dich seltsam an, ist etwas passiert?“
 

„Nein es ist nichts passiert, rein gar nichts ist passiert“, erklärte sie mit weit ruhigerer Stimme, doch selbst sie hörte, wie unglaubwürdig das Ganze klang. Yuri zog eine Augenbraue hoch. „Sicher?“
 

Estelle schluckte, sollte sie es ihm sagen. Jetzt wäre vielleicht der passende Moment, sie waren allein. „Ich… also, ich… es ist… weißt du… also“. Verdammt war es schwer, die richtigen Worte zu finden.
 

„Wirst du vielleicht krank, du bist ja ganz rot im Gesicht“, fragte Yuri, der nun aufstand und auf die Prinzessin zu kam. Ohne Vorwarnung legte er ihr seine Hand auf die Stirn, um ihre Temperatur zu messen.
 

Erschrocken sprang Estelle zurück und hielt schützend ihre Hände vor sich. „Ich... ich bin nicht krank.“

„Sicher, du siehst gar nicht gut aus. Vielleicht sollten wir den Hofarzt rufen.“
 

Estelle schüttelte energisch den Kopf. „Nein, ich bin völlig gesund, aber also ich…“, Estelle konnte es einfach nicht sagen, die Worte wollten ihr einfach nicht über die Zunge kommen, doch da kam ihr eine andere Idee.

„Warst du schon einmal verliebt?“
 

Yuri ließ die Hand, welche er eben noch nach ihr ausgestreckt hatte, sinken. „Verliebt?“ Yuri kratzte sich am Kopf und sein Blick schweifte ab, er starrte durch Estelles große Fenster in die Dunkelheit. „Wieso fragst du mich das?“
 

Estelle überlegt sich, dass sie vielleicht über geschickte Fragen herausbekommen könnte, was Yuri für sie empfand, ohne gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Sie atmete langsam ein und aus, bevor sie ihre nächsten Worte sprach.
 

„Es gibt da jemanden, der mir mehr bedeutet als alle anderen, jemanden, der mein Herz verrücktspielen lässt und an den ich ständig denken muss, ich habe mich nur gefragt, ob es in deinem Leben auch so eine Person gibt?“
 

Yuri sagte nichts, seinem Gesicht war nicht zu entnehmen was er dachte. Estelle hasste sein Pokerface, welches er viel zu oft trug. „Yuri?“
 

„Es freut mich, dass du so jemanden gefunden hast. Was mich betrifft, selbst wenn es so eine Person gebe, ich glaube nicht, dass ich der Typ für eine ernsthafte Beziehung wäre, ich würde ihr wahrscheinlich nur wehtun. Mir fällt gerade ein, dass ich morgen früh raus muss, also ich gehen dann mal meine Wege, man sieht sich.“
 

Und bevor Estelle die Gelegenheit hatte, etwa zu erwidern, war er auch schon durch die Balkontür in die Finsternis entschwunden. Estelle war sich nicht sicher, was eben passiert war. Hatte sie etwas Falsches gesagt? Vielleicht hatte sie eine alte Wunde aufgerissen, ihn an etwas Unangenehmes erinnert? Er hatte gesagt, er freut sich für sie. Das hieß dann wohl, er empfand nicht dasselbe. Seltsamerweise war sie darüber weniger erschüttert als über die Tatsache, dass sie Yuri auf irgendeine Art und Weise verletzt hatte. Er hatte versucht, unbekümmert zu wirken, aber sie kannte ihn schon zu lange, sie wusste, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Sein schneller Abgang sprach ebenfalls dafür. Was war nur passiert?
 

Yuri schlenderte im Schlossgarten umher und kickte wahllos Steine durch die Gegend. Er hatte immer gewusst, dass irgendwann der Tag kommen würde, an dem Estelle jemanden finden würde, der ihr wichtig war als er. Doch er hätte nicht gedacht, dass dieser Tag schon so früh kommen würde. Er vergrub seine Hände tief in seinen Hosentaschen. Er wollte sich einreden, dass er nur deshalb so aufgebracht war, weil sie für ihn wie eine kleine Schwester war und dass er einfach nur besorgt um sie war, aber tief in seinem Herzen wusste er, dass das eine lahme Ausrede war. Ihr Lachen raubte ihm manchmal den Verstand, ihre Berührungen ließen sein Herz Pingpong spielen und ihr Duft nach frischen Blumen veranlassten ihn einfach alles, um sich zu vergessen. Das waren nicht die Gefühle eines großen Bruders, auch wenn er sich das immer wieder einreden wollte. Wenn er wenigstens wüsste, wer ihm Estelle weggeschnappt hatte. Lange Zeit war er davon überzeugt gewesen, sie wäre in Flynn verliebt, das hatte ihm immer furchtbar gewurmt. Doch mittlerweile wusste er, dass sie tatsächlich nie etwas für seinen besten Freund empfunden hatte. Aber wer war es dann. Ein anderer Ritter? Oder gar irgendein schnöseliger Prinz? Eigentlich gab es nur einen im Schloss, der es eventuell wissen und den er fragen könnte.
 

Flynn saß in seinem Zimmer und studierte noch einige alten Landkarten. Der Unterricht mit Ioder war äußerst erfolgreich gewesen, er lernte und verstand sehr schnell. Eine Bewegung am Fenster, welcher er aus dem Augenwinkel wahrnahm, setzte ihn in Alarmbereitschaft, mit einer flinken Bewegung zog er sein Schwert, sprang auf und hielt es dem Eindringling an die Kehle.
 

„Sachte, sachte nicht, dass du noch jemanden verletzt.“
 

„Yuri, verdammt noch mal, verwende gefälligst Türen wie jeder andere auch, ich hätte dich um ein Haar aufgeschlitzt“, sagte Flynn, während er sein Schwert wieder sinken ließ.
 

„Oh keine Sorge, um mich zu erwischen, musst du schon etwas früher aufstehen“, er stemmte seine rechte Hand auf die Hüfte und grinste Flynn an.
 

„Leg es nicht darauf an“, warnte ihm sein bester Freund und steckte sein Schwert wieder in die Scheide. „Was verschafft mir die Ehre, bei deinen sonstigen nächtlichen Besuchen lässt du dich nie bei mir blicken.“
 

Yuris Gesichtszüge entglitten für einen kurzen Moment, doch er hatte sich schnell wieder unter Kontrolle. Er wusste natürlich, wie scharfsinnig sein bester Freund war, aber er hätte schwören können, dass selbst ihm seine gelegentlichen Einbrüche ins Schloss entgangen waren. Flynn zählte das insgeheim als Sieg, er liebte es Yuri einen Schritt voraus zu sein, vor allem wenn dieser nicht damit rechnete.
 

„Wenn du davon weißt, warum wurde ich dann noch nie aufgehalten?“ Yuri ließ sich auf Flynns Bett nieder und verschränkte die Arme vor der Brust.
 

Flynn setze sich wieder auf seinen Stuhl. „Nun zugeben, ich bin nicht begeistert davon, dass du dich ab und an nachts in die Gemächer der Prinzessin schleichst, du solltest mal an ihren Ruf denken, wenn das wer mitbekommt, aber Lady Estellise würde es mir vermutlich sehr übel nehmen, wenn ich dir da einen Riegel vorschiebe.“
 

Seit heute wusste er auch, wie übel.
 

Yuri zog die Augenbraue hoch: „Bei, dir klingt das so, als würden wir sonst was in ihrem Zimmer treiben, ich sehe nur ab und an, wie es ihr geht. Mehr ist da nicht, aber wenn wir schon von Estelle sprechen, ist in letzter Zeit etwas vorgefallen?“

Jetzt kamen sie der Sache näher, es ging also um Lady Estellise.

„Was sollte denn vorgefallen sein?“
 

„Hat sie neue Bekanntschaften geschlossen oder neue Freunde?“
 

Zum zweiten Mal an diesen Tag wurde Flynn mit einer Frage konfrontiert, deren Hintergrund sich ihm nicht so ganz erschloss. „Ich weiß nichts von neuen Freunden oder Bekanntschaften.“
 

„Gibt es jemanden mit dem sie momentan viel Zeit verbringt?“
 

„Was soll dieses seltsame Verhör, spuck endlich aus was los ist?“
 

Yuri rollte genervt die Augen, wo war die Scharfsinnigkeit seines Freundes, wenn sie mal wirklich von Nutzen wäre.

„Sie erwähnte vorhin, dass es jemanden gebe, na ja, in den sie verliebt ist, und ich wollte bloß wissen, wer das ist?“
 

Sie hatte ihm also erzählt, dass sie verliebt ist, aber nicht in wen. Nun man konnte die Dinge wahrlich unnötig kompliziert gestalten und wieso zum Henker, war er da irgendwie zwischen die Fronten geraten. Das Yuri ihn deswegen aufsuchte, musste allerdings auch bedeuten, dass es ihn sehr beschäftigte.
 

„Sag bloß, du bist eifersüchtig.“
 

Flynn traute seinen Augen nicht, als sich doch tatsächlich ein leichter Rotschimmer auf die Wangen seines besten Freundes schlich. Auch seine Haltung wirkte plötzlich etwas verkrampft. Er hatte wohl ins Schwarze getroffen.
 

Wieso funktionierte die Scharfsinnigkeit von Flynn immer nur in den falschen Momenten. Yuri hasst ihn dafür. „Eifersüchtig? Wie kommst du denn darauf. Nein, ich mache mir nur Sorgen, du weißt, wie leichtgläubig Estelle manchmal sein kann, ich will nur nicht, dass ihr jemand wehtut, also sagst du mir jetzt, wer es ist?“
 

„Ich werde dir seinen Namen ganz bestimmt nicht auf die Nase binden, das musst du sie schon selbst fragen.“
 

„Dann sag mir wenigstens, ob du ihn gut genug für sie hältst?“
 

Flynn zog die Augenbrauen hoch. Die Gelegenheit seinen besten Freund etwas zu ärgern, würde sich Flynn nicht entgehen lassen. Das war für die Kopfschmerzen und natürlich für die Schmerzen in seinen Zehen.
 

„Nein, sie ist definitiv viel zu gut für ihn. Er ist ein Hitzkopf und ein Tunichtgut, für den Gesetzte eher so etwas wie gut gemeinte Vorschläge sind, die man aus seiner Sicht getrost ignorieren kann. Er kennt Gefängniszellen von innen in- und auswendig. Es mangelt ihm an Respekt und Disziplin und er hört einem nie zu. Eine furchtbare Wahl, wenn du mich fragst.“
 

„In so einen hat sie sich verliebt? Das klingt gar nicht nach Estelle. Sag mir bitte, du hast versucht, ihr das auszureden?“

„Sagst nicht gerade du mir ständig, ich soll Estellise ihr eigenes Leben leben lassen? Es ist ihre Entscheidung und auch wenn ich sie nicht gutheiße, ich werde mich nicht einmischen.“
 

Yuri starrte Flynn für einen Moment finster an. War das jetzt sein Ernst? In einem Moment wie diesen entschied Flynn sich auf ihn zu hören. Das war wohl der schlechteste Moment, um Yuris Worte zu beherzigen. Flynn war Yuris Blick nicht entgangen und es kostete ihm Mühe nicht loszulachen.
 

„Hör mal, sie ist zwar aus meiner Sicht zu gut für ihn und es ist mir immer noch ein Rätsel, warum ausgerechnet er, aber ich weiß auch, dass sie ihm viel bedeutet und er sie auf Händen tragen würde, daher denke ich, dass das schon in Ordnung geht. Außerdem sollte er ihr tatsächlich das Herz brechen, dann breche ich ihm sämtliche Knochen, darauf kannst du dich verlassen.“

Da sprach Flynn wahre Worte, Yuri würde den Typen noch viel mehr brechen als nur seine Knochen.
 

Zum zweiten Mal an diesem Tag schlendertet Yuri durch den Schlossgarten unschlüssig, was er tun sollte. Flynns Worte beruhigten ihn nicht wirklich. Was, wenn der Typ Estelle eines Tages einfach schnappte und mit ihr verschwand und er nicht wüsste wohin. Der Gedanke, die Prinzessin nicht mehr zu sehen, schnürte ihm die Brust zu. Der Gedanke sie in den Armen eines anderen sehen zu müssen, machte ihn fast wahnsinnig. Wann nur waren seine Gefühle für Estelle so groß geworden? Es war wohl sehr schleichend passiert. Er erinnerte sich noch, wie sehr es ihm damals auf den Magen geschlagen hatte, als er dachte, Estelle würde ins Schloss zurückkehren und ihre gemeinsame Reise wäre beendet. Als sie ihm dann in Dahngrast sagte, sie möchte bei ihm bleiben, mit ihm weiter durch die Welt reisen, waren dass unbeschreibliche Glücksgefühle gewesen. Vermutlich hatte es damals schon begonnen, auch wenn es ihm da noch nicht bewusst gewesen war. Schmerzlich erinnerte sich daran, als sie herausfand, was er getan hatte. War er bis zu dem Moment noch felsenfest davon überzeugt gewesen, richtig gehandelt zu haben, reichte ein Blick auf sie, um es so schrecklich zu bereuen. Er dachte, er hätte sie für immer verloren, aber sie hatte ihm ihre Hand gereicht und gesagt, dass sie dennoch bei ihm bleiben wollte. In jenem Moment hatte er sich geschworen, dass er es nie wieder zulassen würde, dass irgendetwas zwischen sie kommt. Wenn er sie jetzt ohnehin an einen anderen verlieren würde, dann nicht ohne wenigstens noch einmal alles probiert zu haben. Er rannte los.
 

Estelle lag nach wie vor wach in ihrem Zimmer. Sie hatte versucht zu schlafen, doch der Schlaf wollte einfach nicht kommen. Ihr Gedanken rotierten und fanden keine Ruhe. Yuris Worte hallten in ihrem Kopf wider und wider. „Ich freue mich für dich.“ „Ich bin nicht der Typ für eine feste Beziehung“, „Ich würde ihr nur wehtun.“ Wie kam er nur auf solche Gedanken? Estelle konnte sich nicht vorstellen, dass Yuri jemanden, der ihm wichtig war, verletzen könnte. Er hatte eine viel zu schlechte Meinung von sich selbst. Er freute sich für sie, also kümmerte es ihn anscheinend nicht, wenn es jemand anderen in ihrem Leben gebe. Solche und ähnliche Gedanken kreisten in ihrem Kopf umher. Erst ein sanftes Klopfen riss sie aus ihren Gedankensumpf. Yuri stand erneut an der Balkontür und winkte ihr zu. Estelles Herz machte gleich wieder einen Saltosprung. „Krieg dich wieder ein, er freut sich, dass ich in jemand andern verliebt bin. Es gibt also keinen Anlass, Saltos zu springen“, murmelte sie, während sie vom Bett glitt und zum Balkon spazierte.
 

„Ich dachte, du müsstest morgen früh raus?“, begrüßte sie den Schwertkämpfer und ließ ihn in ihr Zimmer eintreten. Sie standen sich nun genau gegenüber, nur einige Zentimeter trennten die beiden.
 

„Ach, du kennst mich, ich schlafe ohnehin nie viel,“, antwortete er und grinste. „Und deshalb hältst du mich auch von Schlafen ab?“, lachte sie. „Nun es machte den Anschein, als könntest du auch nicht schlafen.“ Estelle hob ihre Augenbraue und sah Yuri nun direkt in die Augen. „Anschein? Wie lange stehst du denn schon am Balkon?“ Seine Nasenspitze verfärbte sich verdächtig rot. Musste sie ausgerechnet jetzt hellhörig sein. „Estelle, ich wollte mit dir reden“, brachte er schließlich den Grund für seinen erneuten Besuch heraus. Yuri lächelte sanft, es war dieses Lächeln, das er nur zeigte, wenn sie allein waren. Sie liebte dieses Lächeln. „Ich wollte mich entschuldigen, ich bin einfach verschwunden, ohne das Gespräch richtig zu beenden.“ Estelle lächelte zurück: „Ich wollte mich auch entschuldigen, meine Worte scheinen die verletzt zu haben, auch wenn ich nicht so ganz weiß warum.“ Es waren nur ein paar Zentimeter, ein Schritt und sie würde diese überbrücken, könnte ihn Umarmen, ihn küssen… Wie er wohl reagieren würde? Sie hatte sich diesen Moment schon so oft ausgemalt und davon geträumt, doch jetzt und hier fehlt ihr der Mut dazu.
 

„Flynn meinte dein Auserkorener wäre ein respektloser Nichtsnutz, ich hoffe, du weißt, was du tust.“ Estelle öffnete den Mund, doch bevor sie antworten konnte, fuhr Yuri fort.“ „Aber eigentlich bin ich gekommen, um dir zu sagen, meine Antwort ist ja.“ Er musste über ihren verwirrten Blick lachen.
 

„Die Antwort auf deine Frage, du wolltest doch wissen, ob es auch in meinem Leben eine Person gibt, die mir alles bedeutet. Ja es gibt sie. Sie ist eigensinnig und lässt sich nicht gerne etwas vorschreiben. Sie will die Welt mit ihren eigenen Augen und Händen entdecken und vergisst dabei gerne einmal alles um sich herum, sie kann nie wegschauen, wenn jemand leidet, sie geht sogar, soweit sich selbst in Gefahr zu stürzen, um anderen zu helfen, was mir nicht selten ganz schon viel Nerven kostet. Sie stellt das Wohl aller anderen immer über ihr eigenes. Sie hat das bezauberndste Lächeln, welches ich je gesehen habe und einen unerschütterlichen Glauben an das Gute in den Menschen. Selbst in mir sieht sie nur das Beste und das nach allem, was ich getan habe. So einen Menschen trifft man nur einmal im Leben und ich hoffe, du verstehest, dass ich daher tatsächlich verletzt war, als sie mir sagte, sie wäre in einen anderen verliebt, aber ich respektiere ihre Gefühle und ich hoffe sie auch meine.“
 

Die Zeit stand still, es war als hätte jemand alles angehalten. Wort für Wort klang Yuris kurze Rede in ihrem Kopf nach. Er liebte sie, er fühlte wie sie, sie spürte, wie ihr die Tränen die Wangen hinunterrannen. „Hey, kein Grund zum Weinen, ich sagte doch schon…“ Weiter kam er nicht, Estelle hatte nach seinem Kragen gegriffen, zog ihn zu sich und küsste ihn. Yuri wusste nicht, wie ihm geschah, er riss die Augen auf, doch dann schloss er diese langsam, legte seine Hände um ihre Taille und zog sie so eng an sich, wie nur irgendwie möglich. Wer hätte gedacht, dass so viel Leidenschaft in der Prinzessin steckte, er konnte nicht leugnen, dass ihm diese Seite an ihr gefiel. Langsam lösten sie ihren Kuss wieder. „Darf ich daraus schließen, dass ich der respektlose Nichtsnutz bin?“
 

Estelle musste kichern: „Flynn hat dir gesagt, ich wäre in einen Taugenichts verliebt und dir ist nicht einmal der Gedanke gekommen, dass er dich gemeint haben könnte?“ Sie hielt ihn immer noch an seinem Kragen fest und sah ihn herausfordernd an. „Nun, wenn ich mir jetzt all seine Worte in Erinnerung rufe, es ist genau sein Bild von mir. Jetzt komme ich mir tatsächlich wie ein Idiot vor.“ Estelle kicherte: „Ja, aber du bist mein Idiot“, und dann küsste sie ihn erneut.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, die Geschichte hat euch gefallen :)
Ich würde mich sehr über Rückmeldungen freuen <3

LG Komplett anzeigen

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