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Ruhiger Ritt

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Ruhiger Ritt

Welches Mädchen liebte keine Pferde oder Ponys? Selbst die härtesten Frauen zeigten als Kinder ihre weiche Seite. Auch Jodie liebte Pferde und freute sich immer, wenn ihr Vater sie zum Ponyhof mitnahm. Es gab sogar ein paar Bilder von ihr auf einem Pferd. Nach dem Tod ihrer Eltern hatte James versucht sie mit Ponyreiten aus ihrem Schneckenhaus zu holen, doch die Erinnerung an ihre Familie hatte sie übermahnt und sie konnte es nicht mehr.

Dass sie jetzt wieder im Sattel saß, war sogar für Jodie eine Überraschung. Möchten Sie es einmal versuchen?, hatte die Praktikantin des Reiterhofs gefragt und die Agentin hatte sofort zugestimmt. Das Pferd hatte von Anfang an etwas Beruhigendes an sich.

Die Praktikantin beobachtete Jodie und lächelte. „Sie müssen die Fersen weiter runter machen“, rief sie ihr zu. Die Frau stand in der Mitte des Übungsplatzes und hielt eine Leine. Diese führte zur Trense des Pferdes auf dem Jodie saß. Würde irgendwas passieren, würde die Frau reagieren.

Jodie nickte verstehend und versuchte die Anweisung umzusetzen. Anfangs hatte die Agentin noch kerzengerade auf dem Rücken des großen Tieres gesessen und wirkte eher verkrampft. Nach wenigen Minuten fand sie zu einem lockeren Rhythmus und stellte fest, wie sehr sie das Reiten vermisst hatte.

„Ja, genau so“, rief die Praktikantin. „Das machen Sie sehr gut. Sind Sie früher bereits geritten?“

„Als kleines Mädchen, aber nach dem Tod meiner Eltern nicht mehr“, antwortete Jodie wahrheitsgemäß.

Der Reiterhof an dem sie war, bot seit knapp zwei Jahren eine Pferdetherapie für traumatisierte Kinder und Jugendliche an. Alle Mitarbeiter arbeiteten meistens ehrenamtlich oder für einen geringen Betrag. Die Besitzerin war hauptberuflich als Innenarchitektin tätig, hatte aber genügend Zeit gehabt, um den Hof aufzubauen und sich um alles zu kümmern. Zudem stellte sie qualifizierte Mitarbeiter ein, denen sie bedingungslos vertrauen konnte. Eine davon war eine ausgebildete Therapeutin mit jahrelanger Erfahrung in der Arbeit mit Kindern, die Opfer von Gewalttaten geworden waren.

„Und danach wollten Sie nicht mehr reiten?“

„Mein Vater war mit mir immer auf dem Reiterhof und hat mir zugesehen. Als ich nach dem Tod meiner Eltern das erste Mal auf einem Pferd saß, fühlte es sich nicht richtig an. Ich musste sofort wieder absteigen und bin seitdem nicht mehr beim Hof gewesen. Es ging einfach nicht mehr.“

Die Frau nickte verstehend. „Das erlebe ich oft.“ Sie seufzte und blickte nach hinten. „Wenn Sie sich nicht wohl fühlen, können Sie ruhig absteigen. Ihr Kollege ist sicher auch bald zurück.“

„Mhm? Keine Sorge, so schlimm finde ich es auf dem Pferd nicht“, entgegnete Jodie. Sie hatte am frühen Morgen einen Anruf von Inspektor Takagi bekommen, der sie um Hilfe bat. Zurzeit bearbeitete die Polizei einen kritischen Mordfall bei dem die einzige Zeugin – ein junges Mädchen – kein Wort mehr sprach. Sie wussten nicht, was sie gesehen hatten und wovon sie berichten konnte Während ihre Eltern kaltblütig umgebracht wurden – vermutlich sogar von einem Bekannten – hockte das Mädchen im Schrank und gab keinen Ton von sich. Später stellte sich zudem heraus, dass die Familie erst vor kurzem aus England nach Japan gezogen war und dass das Kind die Sprache möglicherweise noch nicht beherrschte. Unglücklicherweise stand derzeit kein Dolmetscher zur Verfügung, weswegen Takagi notgedrungen auf die einzige Person zurückgriff, die ihm einfiel. Und Jodie hatte zugesagt.

Als sie zusammen am Reiterhof ankamen, wollte Takagi die Fortschritte des Mädchens abfragen, ehe Jodie das restliche Gespräch führen dürfte.

„Das machen Sie wirklich sehr gut, Jodie.“ Takagi lächelte.

„Danke“, entgegnete die Agentin und brachte das Pferd zum Stehen. Kurz darauf stieg sie ab und reichte der Praktikantin die Zügel. „Danke, dass ich eine kleine Runde drehen konnte.“

„Sehr gerne“, antwortete die Frau. „Wenn Sie wissen, wie sich das Gefühl auf dem Pferderücken anfühlt, können Sie vielleicht viel eher zu dem Mädchen durchdringen.“

Den gleichen Gedanken hatte Jodie auch. Dann wandte sie sich zum Inspektor. „Und? Was hat die Therapeutin gesagt?“

„Das Mädchen scheint langsam Fortschritte zu machen. Anfangs wollte sie gar nicht auf ein Pferd steigen, aber jetzt kann sie es gar nicht erwarten. Leider hat sie immer noch kein einziges Wort von sich gegeben. Ihre Tante bringt sie gleich zur Therapiestunde vorbei.“

„Verstehe“, murmelte Jodie nachdenklich. Man setzte nur selten Familienmitglieder als Dolmetscher ein, da die Gefahr bestand, dass sie zusätzlich Dinge erzählten, die nicht passiert waren, verschwiegen oder Tatsachen verdrehten. Durch die familiäre Befangenheit war es auch möglich, dass sie mit dem Erzählten nicht zurechtkamen und daran zerbrachen. Dennoch fragte sich Jodie, ob die Tante mehr wusste.

„Wenn sie gleich da sind, werden wir mit der Tante reden“, entgegnete Takagi. „Das Mädchen möchte ich zunächst einmal beobachten und wenn sie sich sicher fühlt, können Sie das Gespräch mit ihr suchen.“

Jodie nickte ein weiteres Mal. „Auf dem Rücken des Pferdes könnte sie sich freier und sicherer fühlen. Mir hat die kleine Runde gut getan und ich kann an der Stelle bestimmt anknüpfen.“

Takagi lächelte leicht. „Das klingt gut. Als ich Sie eben kurz beobachtet habe, sahen Sie sehr glücklich aus. Vielleicht sollten Sie überlegen, ob Sie nicht künftig auch Reitstunden nehmen wollen.“

„Ich werds mir überlegen“, antwortete die Agentin. „Aber vermutlich werde ich nicht die Zeit dafür finden.“ Wie auch, wenn sie hinter der Organisation her waren. Jodie wusste nicht, wann sie zuschlugen und da konnte sie ihre Zeit nicht auf dem Reiterhof verbringen. Außerdem hätte sie dann einen geregelten Zeitablauf, was sie noch angreifbarer machen würde.

Takagi blickte auf seine Uhr. „Wollen wir die Beiden gemeinsam begrüßen?“

„Geben Sie mir noch einen Moment“, gab Jodie von sich. „Gehen Sie ruhig schon vor. Ich find den Eingang.“

„Wie Sie meinen“, antwortete Takagi und ging wieder zum Komplex.

Jodie streckte sich und sah sich um. Ihr war klar, dass sie in einigen Stunden einen heftigen Muskelkater in ihren Beinen sowie am Hintern verspüren würde. Und sie freute sich jetzt schon auf das heiße Bad.

Die Agentin zog ihr Handy heraus. Selbstverständlich hatte sie vor ihrem Einsatz James und Shu kontaktiert. Ich rede gleich mit dem Mädchen. Ich melde mich nachher. Jodie glaubte zwar nicht daran, dass die Organisation hinter dem Mord steckte, doch gänzlich ausschließen konnte sie es nicht.

Shuichis Antwort blieb nicht lange aus. Pass auf dich auf.

Jodie lächelte und schickte ihrem Kollegen als Reaktion das Foto des Pferdes auf dem sie zuvor saß.

Nachdem Akai die Nachricht sah, verdrehte er die Augen. Was hatten Frauen auch immer nur mit Pferden?



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