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Trouble

von

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I

Sieben Uhr. Der Wecker klingelte. Hicks stöhnte und drückte den Schalter, der das Ringen endlich verklingen ließ. "Bitte sag mir, dass Wochenende ist." Der Junge hoffte, dass er einfach vergessen hatte die olle Blechbüchse auszuschalten. Ein Blick auf sein Handydisplay verriet ihm, dass er sich nicht geirrt hatte. Montag. Gefrustet ließ er den Kopf in sein Kissen fallen. Wenn er lange genug seine Nase hineindrückte, könnte er seinem Leben entkommen. Hicks hielt den Atem an und versuchte seinen Schwerpunkt zu verlagern. Gerade als er dachte, dass es funktionieren könnte, öffnete sich krachend die Tür zu seinem Zimmer. "Moin Sohn!", sein Vater, Haudrauf, stand grinsend in der Tür. "Du musst langsam aufstehen, die Sonne lacht", mit diesen Worten ging der große Mann zu den Gardinen und zog diese schwungvoll beiseite. Sofort flutete Licht den Raum. Hicks brummte entnervt und hob den Kopf aus dem Kissen. Seinem Vater war zum Glück nicht aufgefallen, was er hier versucht hatte... oder er war intelligent genug es nicht zu bemerken. Wahrscheinlich war es ihm auch einfach egal. "Oh Mann. Muss das sein", stöhnte Hicks und rieb sich die Augen.

"Klar doch. Schau doch, deine Nachbarin fährt gerade los", Haudrauf deutete mit dem Zeigefinger aus dem Fenster.

Hicks musste nicht einmal aufstehen und aus dem Fenster sehen, um zu wissen, was sein Vater gerade sah. Heidrun wurde jeden morgen um zehn nach sieben von ihrem Freund Rotzbacke abgeholt. Man konnte den Wecker danach stellen. Viel zu laut heulte der Motor des Autos auf und mit quietschenden Reifen verließ es die Einfahrt des Mädchens. Hicks rappelte sich mühsam auf und starrte nun doch aus dem Fenster. Als nächstes würde Dagur aus der Haustür treten, die Arme vor der Brust verschränken, missbilligend den Kopf schütteln, während er dem Auto hinterher sah und anschließend gähnend wieder im Haus verschwinden, sobald die Karre außer Sichtweite war. Wenn Hicks ehrlich war, stand er nur für Dagurs morgentliche angefressene Visage überhaupt auf. Er brauchte das belämmerte Gesicht des Rothaarigen, das ihm zeigte, dass sich manche Dinge nie ändern würden. Haudrauf sagte irgendwas von wegen Frühstück und Hicks nickte die Sache ab. Es war zu früh für ganze Sätze - genauer noch fehlte ihm die Motivation für ganze Sätze.
 

_______
 

Hicks atmete tief ein, bevor er aus dem Wagen ausstieg. Überrascht hielt er auf dem Gehweg inne, als der Wagen seines Vaters einfach davonbrauste. Normalerweise ließ Haudrauf keine Gelegenheit aus, um ihm irgendeine "Lebensweisheit" nachzurufen, die sich Hicks dann für den Rest des Tages von seinen Mitschülern anhören dürfte. Der Brünette zuckte mit den Schultern. Dann halt nicht, dachte er. Dabei hatte er sich bereits auf die Sticheleien eingestellt. Sticheleien, auf denen Hänseleien folgen würden - so oder so.

Hicks bemerkte, dass er den Atem angehalten hatte und stieß diesen nun langsam aus. Draußen war es noch immer so kühl, dass er seinen eigenen Atem sehen konnte. Eine kleine dünne Wolke, die unsicher wirkte im Angesicht ihrer Vettern am grauen Himmel.

"Pussy!" Rotzbacke und seine Gang hatten ihn vom Parkplatz aus erspäht. Hicks machte den Fehler sich zu dem Schwarzhaarigen umzudrehen, der sich nun von dieser Geste provoziert fühlte. Schnell wandte Hicks sich wieder um und steuerte zielgerichtet auf das Schulgebäude zu, gefolgt von wüsten Beleidigungen und Gelächter. Verdammt, Hicks, schalt er sich selbst. Rotzbacke würde ihn heute nicht mehr in Ruhe lassen. Dabei war doch erst Montag!
 

"Hicks der Irre ist wieder da! Wie war's in der Irrenanstalt?!", schrie Taffnuss über den Schulflur. Echt uncool. Hicks umfasste die Laschen seines Rucksacks fester und beeilte sich, dass er in die Klasse kam. Auf dem Flur musste er zu viele Blicke über sich ergehen lassen.
 

"Uncool", er warf seinen Rucksack über die Lehne und legte den Kopf auf den Tisch. Wenn er ein paar mal hart die Tischplatte mit seinem Schädel küssen würde, würde er für den Rest des Tages beurlaubt werden - oder gleich wieder eingewiesen. Hicks seufzte frustriert und spürte im nächsten Moment eine kalte Flüssigkeit seinen Nacken hinablaufen. Diesen Geruch kannte er zu gut: Kreide, frisch aus einem ausgewrungenen Schwamm in jahrhundertealtem Leitungswasser verdünnt. "Taffnuss...!", wütend sprang Hicks auf.

"Es leeeebt!", schrie die Blondine hysterisch und zog das Gesicht in eine erschrockene Fratze, nur um dann mit dem Finger auf ihn zeigend zu lachen. "Psycho haste dich eingepisst? Jo, Raff, er ist ein Bettnässer!", Besagter hörte auf sich die Achselhaare zu kämmen und musterte Hicks von Kopf bis Fuß, bevor er ebenfalls anfing zu lachen. Die Klasse stimmte mit ein.

Hicks schnappte seine Tasche und rannte aus dem Raum.

"Pussy!", Rotzbacke deutete auf seinen Schritt und lachte aus voller Kehle. Es war ein gehässiges Lachen und seine Gang tat ihr Bestes ihn nachzuahmen. Von einem Pussy-Chor begleitet rannte Hicks in die Jungentoilette und schloss sich in einer der Kabinen ein. Sein Shirt war komplett nass und seine Hose hatte es genau im Schritt erwischt. Manchmal wünschte sich Hicks er könnte Mädchen schlagen. Allerdings würde das seinen Ruf Psycho nur noch weiter befeuern. Taffnuss konnte wirklich nett sein, doch in Kombination mit ihrem Bruder war sie eine richtige Hyäne. Beide wirkten auf Hicks wie Hyänen und in seinen schlimmsten Träumen lachten die beiden sogar wie diese Tiere. Hicks kramte sein Handy hervor und sah auf die Uhr. Sieben Uhr fünfundvierzig. Keine Chance, dass er auf den Flur trat, solange sich dort noch Schüler aufhalten könnten. "Ach komm schon!", frustriert ließ er den Kopf gegen die Wand hinter ihm fallen. Um ein Haar hätte er dabei die Spülung betätigt und fast überhört, wie die Tür zum Jungenklo sich öffnete. Hicks hielt den Atem an, als sich die Kabinentür direkt neben seiner öffnete und wieder schloss. Er sah schwarze Boots in der Nachbarkabine, die plötzlich verschwanden. Der Junge nebenan stieg auf den Deckel der Toilette! Hicks Gedanken rasten. War es Rotzbacke, der seine Rache ausüben würde? Stand dessen Gang auf dem Flur, um ihn an einer Flucht zu hindern oder waren sie gar mit hereingekommen und er hatte sie überhört? Hicks versuchte weitere Stimmen auf der Toilette wahrzunehmen. Er zuckte heftig zusammen, als der Typ neben ihm seine Rucksack auf den Boden fallen ließ. Der Schall tönte laut in Hicks Ohren, sein Atem ging schneller, als er einen Blick auf den Rucksack warf. Er kannte diesen Rucksack!

"Hicks, Junge, hast du dich eingeschissen?", fragte eine belustigte Stimme vom oberen Rand der Kabine.

"Ohnezahn!", Hicks blickte auf und sah die grünen Augen, die ihn neugierig musterten. "Du hast mich voll erschreckt...!", erleichtert stieß er die angehaltene Luft aus. "Ich dachte ich kriege gleich einen Herzinfarkt..."

"Ha, so schlimm kann es nicht gewesen sein", grinste der Schwarzhaarige.

"Ich dachte du seist Rotzbacke. Es ist Montag und er schikaniert mich schon wieder."

"Lass dich nicht immer so rumschubsen!"

Hicks lachte auf "Ja Dad."

"Ehrlich Kumpel, sonst macht der ewig so weiter."

Hicks sah erneut auf die Uhr. Ursprünglich hatte er nach Hause gewollt, um sich umzuziehen, doch sein Shirt war weitestgehend getrocknet. Ein paar Minuten mehr und er wäre wieder im Spiel. "Na, jedenfalls kommt 'ne Neue in die Klasse", sagte Ohnezahn und stieg von dem Toilettendeckel herunter.

"Echt?"

"Ja, so ne Stadtgöre. Keine Ahnung, man. Hübsch, dafür aber dumm", beschrieb der Größere den Neuzugang.

"Woher weist du das?", fragte Hicks.

Er konnte das Grinsen aus der Stimme des Anderen praktisch heraushören, als er sprach: "Na hör mal. Wenn jemand so etwas weiß, dann ich.
 

Die Schulglocke läutete die erste Stunde ein. Ohnezahn, in der Nachbarkabine, ließ die Hose herunter und entleerte seine Blase. "Na jedenfalls kommt sie genau in unsere Klasse. Weiß nicht, ob ich das so geil finde."
 

"Hast du nicht gesagt, die ist hübsch?", erwiderte Hicks verwundert.
 

"Ja, aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie nicht auch merkwürdig ist. Heidrun kennt um ein paar Ecken Jemanden, der die Neue kennt und der sagt, dass sie irre ist - nicht auf ne positive Weise..." Ohnezahn betätigte die Spülung, dann verließ er die Kabine und wusch sich die Hände.
 

"Die werden bestimmt eh alle auf sie abfahren", sagte Hicks schulterzuckend. "Irre hin oder her. Die meisten Jungs hier sind so intelligent wie Rotzbkacke..."
 

"Ey...", beschwerte sich der Schwarzhaarige.
 

"Ich sagte doch, die Meisten. Gut zu wissen, dass du dich angesprochen fühlst", grinste Hicks.
 

"Sag mal...", begann sein Kumpel.
 

"Hm?", machte Hicks.
 

"...du hast dich da drin aber nicht wirklich eingeschissen, oder?"
 

"...Was?"
 

"Wie lange willste noch in der Kabine bleiben?", lachte der Schwarzhaarige und klopfte scherzhaft gegen die Kabine. "Wenn du nh Tampon brauchst, sagste Bescheid." Ohnezahn lachte weiter.

Hicks hörte wie sich das Lachen schließlich entfernte, als sein Kumpel das Jungenklo verließ. Arsch, dachte er. An manchen Tagen fragte er sich, was er der Welt getan hatte, dass sogar sein bester Kumpel über ihn her zog.
 

______
 

"Oh, Hicks, die Anderen sagten, du seist nach Hause gegangen. Setz dich doch einfach nach hinten", bat der Lehrer, als er wieder den Klassenraum betrat. Hicks Blick fiel zu seinem Platz. Dort saß jemand. Diese Person war ihm gänzlich unbekannt. Bestimmt war sie die Neue, von der Tooth gesprochen hatte. Sein Kumpel hatte recht, sie war hübsch.

Hicks nickte, nahm stumm seine Sachen und steuerte auf die hintere Reihe zu. Alle Blicke waren auf ihn gerichtet und er zog automatisch seinen Kopf ein. Raffnus grinste breit und formte mit ihrem Mund das Wort "Psycho", als er an ihr vorbei lief.

Hicks machte, dass er auf seinen Platz kam. Endlich begann der Lehrer seinen Unterricht, Mathe. Hicks Lieblingsfach. Es ging um Parameter, doch schon bald schaltete Hicks ab, als Taffnus zum gefühlt hundersten Mal dieselbe dämliche Frage stellte. Aber woher sollte der dumme Zwilling auch wissen, dass Parameter nicht zwingend etwas mit tatsächlichen Metern zu tun hatten und auch nichts mit Geld. Hicks hätte gerne aus dem Fenster gestarrt und seine Gedanken in den vorbeiziehenden Wolken verloren, doch er saß an der Wandseite. In der Ecke, umgeben von Beton und Schülern, mit denen er noch nie ein Wort gewechselt hatte. Es war wie ein Gefängnis und der Schulgong war der Wärter mit den Schlüsseln, der die Zellen der Insassen aufschloss, nur, damit sie sich auf dem Pausenhof gegenseitig zerfleischten. Hicks sammelte hektisch seine Sachen ein und verließ das Klasenzimmer, bevor die Zwillinge ihn wieder attackieren konnten.



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